§. 1. Gegenstand.
Im ersten Theile der Sitten und Sagen aus der Oberpfalz habe ich einen größern Abschnitt des Stillebens im Volke dem Leser vor Augen geführt. Folgerecht sollte ich nun die Fortsetzung liefern, denn des Stoffes läge genug vor, sowohl in der Nachlese, welche seitdem zu Ersterem gehalten wurde, als auch in den Aufzeichnungen über das Haus und seine Theile, Einrichtung und Geräthschaften, Speisen und Kleidung, des Tages Arbeit und deren Besonderheiten, dann über Kinderspiele und Kinderlieder.
Doch habe ich es für dringender erachtet, die andere Hälfte des Titels zu ergänzen und nun zur Sage und Mythe überzugehen.
Ich habe mir darin die Aufgabe gestellt, die Anschauungen des Volkes darzulegen, welche sich aus seinem heidnischen Glauben noch erhalten haben, [3] somit dasjenige aufzunehmen, was seine alten Götter und halbgöttlichen Wesen, seine Geister und geisterähnlichen Erscheinungen berührt, überhaupt das, woraus sich die höhern Wesen, an die der Heide einst glaubte, erkennen lassen. Während also der erste Theil alte Sitte und altes Recht enthält, soll der zweyte die Mythologie als Gegenstand umfassen. Doch kann derselbe nicht erschöpft werden: Vieles muß der Symbolik der Zeit, Manches auch jener der organischen Natur überlassen bleiben.
Was Inhalt und Form des Darzustellenden betrifft, so halte ich auch hier an dem bereits ausgesprochenen Grundsatze fest, nichts aufzunehmen, als was aus dem Munde des Volkes kam, und das Gewonnene treu und einfach wiederzugeben, wo möglich als ein nach Außen abgeschlossenes Ganzes.
Es mag dabey sich öfter treffen, daß, was ich vorführe, bereits anderwärts veröffentlicht, oder daß, was bereits bey andern deutschen Stämmen gründlich erhoben ist, auch hier und ohne wesentlich neue Zuthat erscheint. Da ich mir aber zum Vorwurfe gesetzt, den Oberpfälzern ein getreues und umfassendes Bild des eigenen Seyns und Denkens vorzuführen, nicht aber, was bisher als allen Deutschen Stämmen Gemeinsames erkannt wird, zu ergänzen, so konnte ich diesem Bedenken nicht Rechnung tragen.
Ich lebe dabey der Hoffnung, daß es mir gelingen wird, bey meinen Landsleuten den Sinn für die heimatlichen Altertümer durch die Veröffentlichung meiner Forschungen [4] zu wecken, zu beleben, sie zu eigenem selbständigen Forschen anzuregen und auf diese Weise für die theure Heimat zu wirken, daß sie heraustrete aus ihrer Verborgenheit und sich ebenbürtig hinstelle neben die auf diesem Gebiete schon vertretenen Gaue Deutscher Erde. Die Arbeit ist, wenn auch mühevoll, doch in ihrem Ertrage lohnend, und wird nicht bloß von der Gegenwart, welche der Heimat sich wieder zuwendet, sondern mehr noch von der Zukunft, den Nachkommen, ihre dankbare Würdigung finden. Wie wir Jenen dankbar seyn müßten, welche vor Jahrhunderten uns aufgezeichnet hätten, was das Volk sich erzählte von alten Tagen, wie es lebte und dachte, wird die Nachwelt auch Denjenigen den gebührenden Dank nicht versagen, welche in der Gegenwart für sie sammeln, die Goldkörner der Mythe und Sage zu Tage fördern, die ersterbende Mundart vor der Vergessenheit retten, das häusliche Leben, die Gewohnheiten, Freud und Leid des Volkes in ein Gemälde aufnehmen und so zum Zeugen ihrer Mitwelt, zum Urkundensammler für die Gegenwart werden. Oder sollte das nicht den Namen der Urkunde verdienen, was auf diese Weise gewonnen und für das Gedächtniß aufgezeichnet wird?
In der That, reicher Fund wird Demjenigen, welcher auf oberpfälzischem Boden solche Zeugnisse aufsucht. Es bedarf hiezu keines gelehrten Apparates, keiner großen Reisen und Wanderungen, nicht großartiger Pläne. Jeder hat die Schachte in nächster Nähe, wenn er sehen, suchen will. Ich verweise hier nur auf das, was ich aus der [5] Gegend von Waldthurn, Bleystein und Vohenstrauß bey zweymaliger Anwesenheit dort aufzubringen vermochte.
Je enger der Kreis, den sich der Forscher zieht, desto ergiebiger und edler die Ausbeute. Alles Andere gilt als Raubbau.
Und nicht mehr zu säumen ist damit. Die Gegenwart ist zu sehr auf das Praktische, auf Gewinn gerichtet, als daß der junge Nachwuchs die Ueberlieferungen am häuslichen Herde seinem Gedächtnisse bewahren möchte. Die Jugend wird in der Schule gedrillt nach demselben Maßstabe für Land und Stadt, und um alle Poesie gebracht; ja der Lehrer steht nicht an, die Kleinen aufzuklären, wie die Bescherung des Christkindes am Weihnachtsabende doch nur eitel Trug und Lüge sey. Und die Kinder klagen dann weinend den Aeltern ihr Leid, daß man sie um diesen schönen Traum gebracht und durch solchen Raub in die Prosa des Lebens allzufrühe eingeführt habe. Welchen Ersatz könnte die Schule auch einem Kinde bieten, dem man so unbefugter Weise seinen frommen Glauben genommen hat! Es ist eine traurige Erfahrung an gar vielen Orten, wie die Jugend, kaum der Schule entwachsen, Alles wegwirft, was sie darin gelernt hat, daß die Feyertagschüler schon vergessen haben, was sie in der Kinderschule gekonnt.
Man möge also doch nicht glauben, mit diesen Schulen für das Leben zu bilden, mit diesen Lehrbüchern, die, oft in verrenktem Deutsch abgefaßt, selbst Erwachsenen schwer verständlich sind. Und hätte nicht die Mutter dem Kinde den Glauben an Gott und [6] seine Gebote in das Herz gepflanzt, und würde nicht die Kirche alle ihre Kräfte aufbieten, zu erhalten, was gefährdet ist, so gäbe es wohl keine Gewalt, welche die Verirrten zurückbrächte auf den Weg, den die Treue der Vorältern gegen geistliche und weltliche Obrigkeit gebahnt hat. Wie die Burgen zusammenstürzen der edelsten Geschlechter, die in der Geschichte glänzen, und ihren letzten Weheschrey dem trauernden Besucher entgegensenden, ob denn Niemand sey, der sich erbarme, wie ihre Trümmer selbst im Tode nicht Ruhe finden vor dem Egoismus der heutigen Welt, welcher Alles praktisch verwerthen will, so ergeht es auch den Resten der Erinnerung im Volke an sein früheres Wissen und Thun. Aus der Jugend werden sie ausgetrieben durch die Schulgelehrsamkeit, und dem Manne sind sie eitel Märlein und nichtsnutzig Zeug, so daß er nicht begreifen will, wie sich Jemand mit solchen Träumereyen quälen mag. Freylich, es gibt heut zu Tage nur Eine reelle Wissenschaft, das Einmal-Eins.