39. An des Geheimen Conferenz-Ministri Frey-Herrn von Gersdorf 45sten Geburts-Tag
1724.
O Auge! dem des Abgrunds tiefe Schlünde
So nahe sind, als die gestirnte Bahn,
Es weidet sich Dein Blik im Thal der Gründe,
Kaum streiffet er die stolzen Cedern an,
Wir wollen Dich bey dieser Abend-Zeit
Allmächtiger! auf unsre Art erhöhn,
Und wären gern von Deiner Höh gesehn,
Drum bükken wir uns tief mit Niedrigkeit.
O Arm! der sich, vom Ursprung an der Dinge,
Bis diesen Tag, mit gleicher Kraft geregt,
Der nicht bedarf, daß man ihm unterzwinge,
Was sich aus Trotz vor seine Stärke legt,
Von dessen Schlag der Erd-Kreis bebt und kracht;
Du hebst und trägst der Deinen kleine Zahl,
Du führest sie so sanft durchs Jammerthal,
Man übergibt sich willig Deiner Macht.
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O Grund des Rechts, und richtiger Gedanken!
Dieweil Du selbst ein Gott der Ordnung bist;
So hältest Du auch alles in den Schranken.
Drum wissen wir, daß Dirs gefällig ist,
Wenn man sich gern vor denen neigen mag,
Die Deine Macht auf Höhen treten läßt.
Drum heisset uns das heut'ge Jahres-Fest
Ein frölicher und Ehren-voller Tag.
Wir ehren den, den heute Deine Rechte,
Du Lebens-Gott, zum ersten vorgezeigt:
Wer liebet nicht sein eigenes Geschlechte?
Drum sind wir ihm mit Liebe zugeneigt.
Was sollen wir ihm nur zu gute thun?
Wir heben ihn in Deine gute Hand,
(Das liebliche, das veste Liebes-Band,)
Da läßt sichs gut, da läßt sichs sicher ruhn.
Du klares Licht, du Sonne Deiner Treuen!
Was Dich erblikt, das sehnet sich nach Dir.
Wer so, wie Du, sein Wohlthun kan verneuen,
Verneuet leicht der Seinen Liebs Begier.
Verneue Dich dem Vetter heute noch,
Erneure ihm den schönen Liebes-Rath!
Der hat genug, der Dich alleine hat;
Noch bindest Du gar an ein sanftes Joch.
Was können wir ihm zur Verehrung reichen?
Nicht Geld noch Gut; das hast Du schon versehn.
Nicht Ehr und Glük; er trägt davon die Zeichen:
Drum bleibt der Wunsch bey Deiner Liebe stehn.
Die gönne ihm noch manches Lebens-Jahr,
Die schenke ihm recht viel Vergnüglichkeit,
Die leite ihn durch diese Wander-Zeit,
Das thue sie, die Liebe: Sie ists gar.
Und Herz voll Treu, voll ungemeßner Milde,
Das immerdar in lautrer Liebe wallt,
[120]Du vestes Schloß, und gegen alle Schilde
Der Widrigen, verwahrter Aufenthalt!
Nur sperr uns da den Einlaß nimmer zu,
Denn wenn die Kraft der Finsternis bey Nacht
Sich hier und da genug zu schaffen macht;
So finden wir in Dir vollkommne Ruh.