2311.

Im Dec. 1746.


Mel. Allein Gott in der höh etc.


1.

Jtzt gleich wirds hundert-jährig seyn, da ging zur ewgen feyer, Agathe, frau von Rappoltstein aus ihrem wittwen-schleyer: ein knabe war mit ihr bekannt, der g'rad im alter Jesu stand, mit namen Philipp Jacob.

2.

Sie hatte seine seele lieb, die selge Tempel-Hanne, sie dacht' aus einem seher-trieb: der knabe wird zum manne; sie sah ihn an aus einem ton: sieh' deine mutter, lieber sohn! mit eloquenten augen.

3.

Nicht kräftiger rieff anderswo dem sohne und dem pathen, tot lacrymarum filio, dem Hipponer Prälaten, die mutter Monica ins ohr, was sich bey ihm nicht mehr verlor, das süsse evolemus.

4.

Benigna, Laubachs Richterin, und die man unterm namen der seligen frau Land-vögtin kennt unter Gottes saamen, das waren zwey geschworne leut, in dieser letzten bösen zeit dem will'n des Herrn zu dienen.

5.

Die erste war ein edles reis von dem Piasten-stamme, dem David, 1 der ehrsame greis, manch schwanen-lied vom Lamme aus treuem herzen vorgebet't, und sich darüber todt geredt; beyn wächtern kams ad acta.

6.

Benigna konnte ihren freund bey zwanzig jahren nützen, sie warn auf einen zwek vereint, zu segnen und zu schützen, das in dem Wetterauer kreis vom Vater Gott gestekte reis der ecclesiolarum.

7.

Darnach kam Philipp Jacob weg und lehrte in Chur-Sachsen, wo an der gränz in einer ekk manch bäumlein aufgewachsen: aus diesen gegenden ließ ihn das auge Gottes weiter ziehn zum Advocato fratrum.

8.

Inzwischen blieb das kleine heer in denen Wetterauen ein wayselein, und hin und her gabs blössen einzuschauen. So zog das wölklein daherum sich nach und nach ins Reussenthum und nach Berlin und Halle.

9.

Was man an diesem letzten ort in seiner seel gefühlet, [2209] wie lieblich Jesu leidens-wort zur fasten-zeit gespielet, davon kan ein ins creutzes-bann mit leib und seel gefahrner mann sich oft nicht satt erzehlen.

10.

Bald rükten Ebersdorf und Hall' einander um viel näher, der Zeugen evangelscher schall und die mystic der seher, die gingen denn auf Eins hinaus, und so genoß dis liebe haus freund Hochmanns letzten segen.

11.

Man gläubt' dem wort, dem alles wich promissis tanquam minis; doch liebte man dabey den strich τῆς ταπεινο Φρωσύνης. Ein lichter blik ins wort: Gemein', schloß beydes unzertrennlich ein, das creuz-wort und den creuz-sinn.

12.

Was das für eine freude war, als sich gemeinlein fanden: der ganze plan war noch nicht klar, doch spur'n genug vorhanden, damit so ging das Herrnhuth an, wobey die Land-vögtin gethan, wie David that beym tempel.

13.

Die Mutter-kirche ist noch aus, das Weib Jerusalaim: da droben hat sie hof und haus, wovor die Mahanaim noch mit so heeres-spitzen stehn, da körper nicht durch können gehn, und ist was unsichtbares.

14.

Wenns aber auf den vorzug kömmt, nicht gradus, (der ist mißlich) sed temporis, vom Herrn bestimmt ist unser haus gewißlich (denn mit noch älteren ists aus) das itzt unstreitge anstalt-haus nach Speners grund-idéen.

15.

Was sind denn ecclesiolæ in den religionen? Es sind so geists-filiolæ, die Jesu schmerz zu lohnen, dem Kayser was des Kaysers ist, und Gott, dem Vater Jesu Christ, suum cuique geben.

16.

Noch deutlicher: mehr als Ein haus voll evangelscher freude, begehrn nicht aus der welt hinaus, noch aus dem lehr-gebäude. Sollt' aber darein jemand störn, wie Mann und Weib 2 zusamm'n gehörn, gleich wärn sie protestanten.

17.

Darf man dem nächsten, wenn er blind, nur aus dem wege gehen, so accordiret man geschwind, und läßt sich nirgends sehen, wo aus der freyheit, die das Lamm mit schmerz erwarb am creuzes-stamm, will ärgerniß entstehen.

[2210] 18.

Man bleibt in einer tieffen still', und practicirt zwey dinge, die der Catchismus haben will, weil alles daran hinge: man lehrt das wort so rein und klar, als es im buch und herzen wahr, und lebt, wie's Gott verleihet.

19.

So lang die anstalt zur Gemein' der Abend-mahls-genossen nicht darf mit auf dem wagen seyn, bespannt mit den vier rossen, die immer g'rade vor sich gehn: so gehts gar unvergleichlich schön, und in braut-kammer-tone.

20.

Wenn aber jenes flammen-rad die anstalt kriegt zu fassen, und in dem offnen creuzes-staat mit hinnimmt auf die gassen vom alt- und neuen welt-revier; da rathe Gott, und nicht mehr wir. Rath uns nach seinem herzen!

21.

Daß aber ein getreuer mund sein herz dabey erkläre, so wünschts dem hundert-jährgen bund, daß er ohn ende währe; und ihm noch Mährsche brüderschaft, noch einge andre streiterkraft den stillen himmel störe.

Fußnoten

1 Schweinitz.

2 Jesus und die Gemeine.

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TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. Zugaben 1-4 zum Herrnhuter Gesangbuch 1743. 3. Zugabe. 2311. [Jtzt gleich wirds hundert-jährig seyn]. 2311. [Jtzt gleich wirds hundert-jährig seyn]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B5A9-4