[116] Betrübte Klage der Sylvia
Uber das Absterben Ihres Geliebten

Mehr als verhaßter Tag, an dem ich bin gebohren,
O Schmertz, dem in der Welt nichts zu vergleichen ist!
Mein liebster Seladon geht leider! nun verlohren,
Den meine Seele sich zur Nahrung auserkiest.
Ists möglich? kanst du mich mein andres Ich verlassen.
Ergießt, ihr Augen, euch in eine Thränen-See.
Fängt Stern und Schicksal mich auf einmahl an zu hassen?
Ach Schönster! deine Flucht gebiehrt mir eitel Weh.
Das Blut in Adern wallt, der Puls hört auf zu schlagen,
Ich bin schon halb entseelt, mein blasses Angesicht
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Kan unsrer Welt vielleicht mehr als ich selber sagen,
Weil Mund und Feder mehr als halb gebrochen spricht.
Dein Sterben rühret mir das innerste der Seelen,
Dein jäher Scheide-Brief durchbohret Hertz und Brust.
Ich kan mein Leiden wohl erwehnen, nicht erzehlen,
Dem Himmel ist mein Schmertz und meine Noth bewußt.
Dein Umgang hiese mir ein Himmel hier auf Erden,
Dein holdes Augenpaar, das nur geweyhet hieß
Und dem an Anmuth nichts kan fast vergliechen werden,
War mir ein Lust-Revir und irdsches Paradieß.
Dein süß ambrirter Mund erquickte Geist und Hertze,
Dein Arm hieß meinen Leib die schönste Ruhestatt.
Befand ich mich bey dir, so wust ich nichts von Schmertze,
Ich wurde deiner Huld und Liebe niemahls satt.
Dein und mein Hertze war in eine Form gegossen,
Dein und mein Wille hieß ein gleich gestimmter Chor.
Was hab ich nicht bey dir vor Zucker-Lust genossen,
Ich stelle sie mir noch durch Angedencken vor.
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Jedoch um alles diß bin ich nunmehr gekommen,
Mein Freuden-Stern verkehrt sich in Cometen Schein,
Der Schmuck wird meinen Haupt auf einmahl abgenommen,
Ich soll durch Sturm und Wind nunmehr entblättert seyn.
Ihr Sternen! sucht ihr denn mein gäntzliches Verderben?
Ja sucht es immerhin, ich bin darzu bereit.
Ihr seht ja, wie sich Mund und Wangen schon verfärben,
Und wie der Harm und Gram mir als ein Mörder dräut.
Ach laß mich Seladon dich bald von neuen küssen,
Eh vollends Fäul und Wurm der Lippen-Pracht zerfleischt.
Ich kan und mag mich nicht von dir entfernet wissen,
Weil Lieb und Sehnsucht nun von mir dergleichen heischt.
Nimm Liebster, nimm mich mit, du solst mich völlig haben,
Ich lege mich vergnügt mit in den Sarg hinein.
Da wo mein Hertze liegt, muß man mich auch begraben,
An deiner Seite muß auch Sylvia mit seyn.
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Und wilst du mir den Wunsch und solche Lust verwehren,
So siehe, Seladon, es sonder Wunder an,
Wenn du dereinst auch das von mir wirst gleichfals hören,
Was Artemisia aus Zärtlichkeit gethan.
Indessen ruhet sanfft, ihr lieblichen Gebeine!
Ich gehe wiederum nun in mein Marter-Hauß,
Worinnen ich gewiß euch Tag und Nacht beweine,
Denn mein Vergnügen ist mit euch nun leider aus.
Verläst mein matter Fuß gleich eure düstre Kammer,
So sitz ich doch im Geist beständig an der Grufft;
Mein Hertze bleibt beklemmt, die Seele voller Jammer,
Biß mir des Himmels Winck, euch nachzufolgen rufft.

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TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. Gedichte. Versuch in gebundener Schreib-Art. Vermischte Gedichte. Betrübte Klage der Sylvia uber das Absterben ihres Geliebten. Betrübte Klage der Sylvia uber das Absterben ihres Geliebten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B38F-1