14. Gedichte

Gespräche zwischen Cleantes und Seladon.

Seladon:

Wie kömmt es immer doch, Cleantes, daß man dich
An solchen Orten sieht, allwo kein Schatten sich
Von einem Menschen zeigt? du fliehest ihre Spuren,
Und wehlest dir dafür nur lauter wüste Fluren,
Wo kaum des Tages Licht durch Busch und Wipfel dringt,
Wo auf dem stummen Baum der schwache Vogel singt.
Willst du den Eulen gleich die Finsterniß erkiesen?
Wird denn die Einsamkeit von dir so hoch gepriesen?
Sag an, was machet dich so schüchtern und verzagt
Daß sich dein Fuß nicht mehr in solche Zimmer wagt,
[277]
Wo kluge Leute sind? ist dir ihr Blick zuwider?
Was macht ihn dir verhaßt, was schlägt den Umgang nieder?
Cleantes:

Wer ists, der mich allhier in meiner Ruhe stört?
Bist du es, Seladon? du hast ja längst gehört,
Wie hoch ich allzeit die Einsamkeit geschätzet,
Die unsern Geist erquickt, und unser Herz ergetzet.
Ein Weiser ziehet stets, glaub Seladon, es mir,
Die ärgste Wüsteney den Lustgefilden für,
Wonach ihr euch so reißt; dort ist ja nichts zugegen,
Was uns Verdruß erweckt und Ekel kann erregen.
Der Eremite schmeckt die gröste Süßigkeit.
Er ist und bleibt vergnügt, genießt Zufriedenheit,
Bleibt immer ungestört, hengt täglich den Gedanken,
Vor sich gelassen nach, darf sich mit niemand zanken,
Weil ihn zu keiner Zeit der Feinde Boßheit rührt,
Dergleichen ihr gar viel in eurem Schwarm verspührt.
Der Neid kann nicht entfernt von der Gesellschaft bleiben,
Hingegen kann er sich an jenen gar nicht reiben.
Denn sein vergälltes Naß und ausgespiener Gift,
Der uns auch ohne Schuld in seinem Speichel trift,
Dringt durch die Hölen nicht die Moos und Hecke decket,
Darinn ein wilder Lauch so süß, als Datteln schmecket.
Seladon:

Mein Freund du irrest sehr, wo denkst du immerhin?
Ists möglich, daß du wohl aus blossem Eigensinn
Und einem falschen Wahn, der wahrlich dich bethöret,
Die Zunft der Menschen fliehst; wer hat dich dies gelehret?
Dein Vorurtheil ist falsch.
[278] Cleantes:

Was? thu mir solches dar –
Kein Kluger widerspricht; mein Satz ist Sonnenklar.
Seladon:

Geduld; laß mich nur auch ein Wort zu wege bringen;
Mich dünkt, du sollst so dann aus anderm Thone singen.
Hat uns der Schöpfer denn nur einzig in die Welt,
Dem tollen Eigensinn zu folgen hingestellt,
Daß wir durch Ekel seyn den andern Menschen fluchen,
Und Fledermäusen gleich die Winkel sollten suchen?
O nein! es hatte kaum die Allmachtsvolle Kraft,
Den Erdenkloß geformt, ihm Stärk und Geist verschafft,
Und menschliche Gestallt ihm angedeyen lassen,
So wollt er auch sein Glück in weitre Schranken fassen.
Das edelste Geschöpf, das sich allein befand,
Und nichts, als Thiere sah, bekam ein Weib zur Hand,
Dem an Vollkommenheit er nichts fand gleich zu schätzen,
An dessen Umgang er sich täglich konnt ergetzen.
Dies, meyn ich, giebt uns mehr als deutlich zu verstehn,
Es sey uns auferlegt mit Menschen umzugehn;
Wer zieht, ich frage dich, hieraus nicht diese Lehre,
Daß wer die Menschen flieht, kein Mensch zu nennen wäre?
Cleantes:

Dies reichet noch nicht zu. Folgt denn daraus der Schluß,
Daß man die Einsamkeit und Stille fliehen muß?
Da sich das menschliche Geschlecht vermehren sollte,
Und auch der Herr die Welt bewohnet wissen wollte,
[279]
So musten freylich wohl der Menschen viele seyn,
Und was; du lieferst selbst dadurch mir Waffen ein,
Die Gegenwehr zu thun; denn in dem Paradise,
Das es die Einsamkeit in ihrer Schönheit wiese,
Traf man zween Bürger nur, nicht ganze Schaaren an.
Wodurch der Himmel wohl vermutlich dargethan,
Und uns unfehlbar will die schöne Vorschrift geben,
Wir sollten ohne Schwarm und ohn Geräusche leben.
Seladon:

O schöne Folgerung! du kömmst damit nicht fort.
Schweig nur du Eigensinn, und höre noch ein Wort;
Willst du vor der Vernunft dein Ohr so fest verriegeln,
So kann dein Unverstand an Thieren sich bespiegeln.
Sie stellen, sind sie gleich vernunftlos, dennoch dir,
Als einem Menschenfeind, ein herrlich Beyspiel für.
Gieb Acht, wofern du dich noch wagst ans Licht zu stellen,
Wie gerne selbige mit andern sich gesellen.
Sie suchen hier und dar stets ihres gleichen auf,
Und du verwirrter Kopf, und du bestehest drauf,
In düstre Hölen dich aus Unmuth zu verstecken,
Die voller Moder sind, und wo die Würmer hecken?
Was hilft es andern wohl daß du nebst ihnen lebst,
Wenn du stets eingesperrt an deinem Schlamme klebst?
Cleantes:

Du redest wunderlich, und urtheilst nach dem Sinn.
Freund, glaube nicht, daß ich deswegen einsam bin.
Denn wenn ich ganz allein vor mich gelassen sitze,
Und den zufriednen Geist vor Schwarm und Sturm beschütze,
[280]
Den man im Umgang spührt, und der euch täglich stöhrt,
Erblick ich einen Freund, der mich viel gutes lehrt,
Und dies ist die Vernunft; mit der ich mich bespreche,
Die vielmals ingeheim so dann mir meine Schwäche,
Recht offenherzig sagt, den Fehl vor Augen legt,
Und mir im Dunkeln auch das hellste Licht anschlägt.
Was sollt ich weiter wohl mich in Gesellschaft dringen,
Da dieser Zuspruch mir hilft Stund und Zeit verbringen?
Seladon:

Dies alles geb ich zu, und räum es willig ein,
Deswegen muß man doch so Leute scheu nicht seyn,
Der Menschen Umgang fliehn, und die Gesellschaft hassen,
Und Eremiten gleich die ganze Welt verlassen.
Ist die Geselligkeit nicht das geweyhte Band,
Wodurch, besinne dich nur selbst, des Schöpfers Hand,
Uns allerseits verknüpft? Wie würde man bestehen,
Wenn jeglicher, wie du, wollt andere verschmähen,
Und stets alleine seyn?
Cleantes:

Sag mir nur Seladon,
Was hätt ich für Genuß, für Vortheil wohl davon,
Wenn ich mich in der Welt in alle Händel mengte,
Von andern locken ließ, und in Gesellschaft drängte?
So viel; daß ich dabey, so oft es auch geschäh,
Viel lachenswürdiges und thörichtes ersäh,
Mich preiß den andern gäb, selbst auf die Richtbank legte,
Und wider mich den Neid unüberlegt erregte.
Die Falschheit ist zu groß die man itzt herrschen sieht.
[281]
Dies macht es noch nicht aus, daß man die Menschen flieht;
Soll man von einem Baum darum nicht Früchte brechen,
Weil Wespen und Geschmeiß dieselben öfters stechen?
Die Laster, geb ich zu, sind leider gar gemein,
Doch strahlt auch hier und dar der Tugend reiner Schein
In vollem Glanz hervor; man muß das beste wehlen,
Ein Kluger hält sich nur zu tugendhaften Seelen,
Und lacht die Thorheit aus, die sich zu kennen giebt.
Es bleibet doch dabey; der Umgang ist beliebt,
Er macht uns witzig, klug, bescheiden und bedächtig,
Belebt und aufgeweckt; da der stets niederträchtig
In seiner Höle bleibt, der allem Umgang flucht,
Und sich der schönen Welt ganz zu entziehen sucht.
Cleantes, schäme dich; das Volk wird deiner spotten,
Einsiedler sind verhaßt in ihren düstern Grotten,
Die Thorheit hecket ja in ihrem wüsten Haus,
Nichts, als nur albern Zeug, und tolle Grillen aus.
Die Welt wird, solltest du dich länger ihr entreissen,
Dich einen Sonderling und Grillensänger heissen.
Steh auf, und folge mir, fleuch deine Wüsteney,
Komm mit mir in die Stadt, und mache dich selbst frey.
Du wirst den Unterschied und Vortheil leicht erkennen.
Sodann wird ieder dich auch einen Menschen nennen.
Cleantes:

Du sagst vom Umgang, Freund, mir sehr viel süsses für,
Und preisest mir ihn an; wohlan ich folge dir.
Doch sollt es mir dabey, ich will es frey gestehen,
Wie dem Diogenes dort in Athen ergehen,
Der, ob er gleich ein Licht bey hellem Tag verbrannt,
Im suchen dennoch nichts von ächten Menschen fand;
[282]
So würd ich wiederum in mein Höle steigen,
Und jedem, der mich stört, ein schel Gesichte zeigen.

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TextGrid Repository (2012). Ziegler, Christiana Mariana von. Gedichte. Gedichte. Vermischte Gedichte. 14. Gedichte. 14. Gedichte. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B306-2