Das zehnde Lied
An die mit allen tugenden mildiglich begabte/ und mit allen schönheiten folkömlich-gezierte Adelinde/als er ihrer lieben hand in der ersten ansprache ein küslein abgestohlen.
gesetzt durch Peter Meiern.
1.
Wer giebt/ o mund/ dier diesen muht/
daß du durch blasses lippen-bluht
beschmutzst den heilgen schnee der hände/
der durch der heissen seuftzer pflicht
wohl schmältzen solte/ wan er nicht
wer' unentfündlich sonder ende.
[300] 2.
Vergib mier/ schöne hand/ den kus/
den ich gezwungen geben mus/
vergib es mier/ o Adelinde;
die schuld ist deiner glieder zier/
die fordern diesen kus von mier/
verfolgt durch tausend hertzens-winde.
[301] 3.
Du liebe hand/ sei tausendmahl
und mehr beglükt/ ja ohne zahl
durch mein geträues hertz beküsset;
nim an der müden seele geist/
der Dier auf kniehen dienste leist/
und deine Göttin götlich grüsset.
4.
O Adelinde/ liebstes Kind/
das keine mutter schöner findt/
verleih mier blikke deiner gnade;
entzeuch auch deine liljen nicht/
noch die zwei-fache rosen-schicht
dem sauer-süßen lippen-pfade.
5.
Ist gleich mein leib von Dier entfernt/
so küsst doch/ weil der himmel sternt/
mein' andacht deine liebe seele;
ja dein gedächtnüs sol in mier
verbleiben/ weil der geist alhier
noch schwebt in seines sitzes höle.