[420] Das zehende Buch.

Die (1) Einteilung.


SImson hatte nunmehr / in einem lustigen Tahle /gefunden / was er gesuchet. Alda hatte sein Auge das Ziel seiner dritten Lustfahrt / am Bache Sorek / erreichet. Bei diesem Bache hielt sich eine schöne Filisterin auf: wo sie nicht vielmehr eine schnöde Tausendkünstlerin zu nennen. Also befand er sie auch in der Taht. Kaum war sie seinen Augen aufgestoßen /da ward er straks gewahr / daß sie ihr Handwerk wohl gelernet. Das Loddern ihrer Augen lokasete die seinigen zur Stunde sie mit Lust anzusehen. Das Lächlen ihres Mundes machte seinen Mund lüstern / sie anzusprächen. Die Anmuhtigkeit ihrer Gebährden reitzte seinen Fuß bei ihr einzuträhten.

(2) Der Eintrit geschahe. Die Ansprache folgete.Simson ward entzükt. Er stolperte wieder in die gefährlichen Fußangeln / die ihm schon zweimahl /auf dem Pfade geuler Liebe / den Fuß verletzet. Er gedachte nicht mehr an die gelittenen Schmertzen. Mit den genäsenen Wunden / waren sie alle verschwunden. Sein Hertz war unter den Gehorsam der Augen so gar gebracht / daß es dieselbe Schönheit / daran sich jene vertgaften / straks als entzükt lieben muste.

(3) Also konte dan Simson dem Angelhaken /den ihm Delila / durch ihre verliebte Blikke / zuwarf / keines Weges entgehen. Er ward gezwungen dem Befehle seiner eigenen Augen zu gehorchen. Er wolte straks anbeissen. Er wolte das Aß / zusamt dem Haken / einschlukken. Und hiermit war er fest. Hiermit war er gefangen. Hiermit ward er verliebt.

(4) Straks entstund in ihm ein Sturm von vielerlei Neugungen. Diese tobeten und wühteten in seinem Gemühte dermaßen / daß der Raum viel zu änge ward. Bald rührete sich in ihm die Neugung / seine neue Liebste zu ümarmen. Bald ward er lüstern sie zu küssen. Bald trug er Verlangen ihrer Liebe zu genüßen / bald sie gar als eigen zu besitzen. Durch diese[421] [423] Leidenschaften / welche die geule Liebe gemeiniglich mit sich schleppet / befand er sich so beängstiget /daß er eher nicht ruhen konte / er hette dan erlanget /was er verlangte.

(5) Aber dieser Sturm währete nicht lange. Kaum war er begonnen / als er sich schon endigte. Wo kein Widerstand ist / wird die Festung bald gewonnen. Bewilfahrte Begierden seind leichtlich zu sättigen. Nach erlangtem Verlangen / darf keiner mehr seufzen. Gewährte Wünsche der Verliebten seind ihr lachendes Glük; das ihnen die Angst aller verzögerter Hofnungen / und das Leiden so vieler Folterungen benimt / ja das sie in einen Lusthimmel vol Geigen / und in eine Schatzkammer vol Freuden gleichsam einführet.

(6) Simson fand alles straks nach seinem Willen. Er hatte bei seiner Liebsten kaum angeklopfet /da stund ihm schon Tohr und Tühre zu allen seinen Neugungen offen. Er zog ein / als ein Siegesheld. Seine Begierden erstoltzten in ihrem so plötzlich erlangtem Siegesgepränge. Er selbst hielt das Freudenmahl im Schosse seiner Liebsten: die ihm den Trank der ersinlichsten Wohllüste vol einschenkte. Er genos der allersüßesten Speise / die ihm Delila in geheuften Schüßeln vorsetzte. Hier liebelten ihm die blühenden Wohllüste des Frühlings / und die gezeitigten Ergetzungen des Herbstes auf einmahl alle zusammen.

(7) Alle seine Sinne fanden alhier ihre Lustspeisen volauf. Nichts / ja gar nichts ward ihnen verweigert. Er sahe das liebliche Lächlen des Mundes / das anmuhtige Lieblen der Augen. Er hörete das hertzentzükkende Schmeichlen ihrer Zunge. Er roch die süße Zimmetluft ihres Ahtems. Er fühlete das sanfte Streucheln ihrer Hände. Und dieses alles täht er mit solcher Vergnügung / daß er sich einbildete bei der Liebe-Göttin selbsten ein Gast zu sein.

(8) Seine Begierden waren lange so groß nicht / als Delila milde zu sein schien sie zu sättigen. Sein Lusthunger befand sich lange so heftig nicht / als sie freigebig war / ihn zu stillen. Ja sie war im Erlustigen verschwänderisch / im Reden holdsälig / im Schmeicheln unvergleichlich / im Liebeuglen anmuhtig [423] / im Schertzen liebreich / in Gebährden höflich /im gantzen Wesen erfreulich.

(9) Dieses Ergetzen / dieses Erlustigen hatte kein Ende. Sie ward nimmer müde. Nimmer hörete sie auf diese Lustspiele zu treiben. Eines folgete straks dem andern. Eines hing immer am andern. In dieser zusammengegliederten langen Reihe der Lustspiele befand sich Simson so vol Freuden / daß es ihm ein Vorschmak des Paradieses / aber ach leider! nicht des Himlischen / zu sein schien. Er hatte die Liebe noch nie so erfreulich befunden. Noch nie war ihm ein Frauenbild so gar liebreich / so gar leutsälig /so gar wilfärtig vorgekommen.

(10) Aber es schien / daß ihm / im ersten Anbisse /die Liebe nur darüm so süße gemacht würde / damit sie ihm hinfort / wan er tieffer hinein geriete / üm so viel bitterer schmäkte. Gemeiniglich pflegt man die Giftküchlein mit Zukker zu überziehen; damit der Vorschmak süße / der Nachschmak aber / der den Tod würket / üm so viel herberer und bitterer sei. Gemeiniglich wird dieses wahr: Trägt der Anfang die Lust /so trägt das Ende die Last.

(11) Doch dieses gedachte Simson nicht. Er lies sich nichts Böses treumen. Er vermuhtete keines weges / daß das Glük / das ihn itzund so lieblich anlächlete / mit der Zeit eben so grausam / ja noch grausamer auf ihn zustürmen würde. Und also lies er sich nichts anfechten. Er lies keine böse Schwahnsfeder in seinem Gehirne wachsen. Er war in seiner Lust so vertieffet / daß er von nichts / als von ewigwährenden Freuden treumete. Er betauerte bloß allein / daß er aus stähtiger unaufhörlicher Ergetzung zuweilen müde würde. Es war ihm nur leid / daß er nicht alle die Lustspeisen so oft und so färtig / als sie ihm angebohten warden / einzuschlukken vermöchte.

(12) Auf diese Weise belustigte sich Simson zimlich lange. Lange Zeit stund ihm ein weites und breites Feld offen; da er / nach eignem Belieben / in voller Wohllust sich weiden mochte. Auch blieb er immerfort lüstern. Seine Begierden warden nie so sat /daß sie aufgehöret hetten ihn lüstern zu machen. Die Hitze der Delila war dermaßen stark /daß sie[424] nimmer nachlies ihnen ein Teil darvon mitzuteilen. Und also erhielt sie dieselben fort und fort in ihrem gewöhnlichen Gange.

(13) Daher kahm es / daß Simsons meister Zeitvertreib war sich bei dieser Frauen zu erlustigen. Ja er wohnete schier gar bei ihr: weil er seine Zufriedenheit nirgend besser / als in ihrem Schoße / zu finden vermochte. Diesen hielt er für sein zeitliches Himmelreich / für sein irdisches Paradies; darinnen er /der geblendete Simson / seine gantze Glüksäligkeit erlanget zu haben wähnete. Und hierdurch begab es sich / daß seine Feinde zu eben der Zeit / da er / mitten in seinen Freuden / gantz unbesorgt / und am sichersten zu sein schien / der Gelegenheit wahr nahmen / ihm die lange gedreueten Lagen zu legen.

(14) Die Filister / welche stähts auf ihn lauerten / kundschaften dieses aus. Sie wurden seines stähtigen Umganges mit der Delila gewahr. Ihre Fünffürsten selbst erfuhren es alsobald. Die Kundschaffer brachten es an. Doch ging alles in der Stille zu. Man lies sich nichts märken / aus Furcht / Simson möchte vielleicht den Brahten riechen / und ihnen eben also / wie er zu Gaza getahn / entschlüpfen.

(15) Die Fünffürsten kahmen heimlich zusammen. Sie hielten einen verborgenen Raht. Es ward bei Leibesstrafe verbohten etwas auszusagen. Unter der Rose ward alles gehandelt. Niemand unternahm sich nur ein Wort laute zu reden. Und darüm flisterten dieseFilister / mit zusammengestekten Köpfen / einander alles ins Ohr. Ja selbst das Rauschen mit den Rökken / das Scharren und Trappen mit den Füßen /das Rükken mit den Stühlen ward vermieden. So gar stille / so gar behuhtsam ging alhier alles zu!

(16) Die Erfahrung hatte sie so vielmahls gelehret /wer Simson war. Sie wusten von langer Zeit her /was er im Schilde führete. Seine mehr als Heldenmäßige Tahten konten ihnen / aus so vielen seinen Siegsgeprängen / nicht unbekant sein. ›Er sei‹ / sagten sie alle / ›listiger / als ein Fuchs; großmühtiger und tapferer / als ein Leue; stärker / als ein Nasenhörning.‹ Er achtete tausend Filister anders nicht / als tausend Stoppeln. Darüm tähte man töhricht mit ihm einen Tutz zu [425] wagen. Darüm müste man ihn zu gelegener Zeit überlistigen.

(17) Und diese Zeit schien ihnen itzund gebohren /zu sein Itzund / da er im Wohllustbette der Liebe faulentzete / schien es am füglichsten ihm einen Listrang abzugewinnen. Das Einhorn / wie die Naturkündiger uhrkunden / sol kein Jäger zu fangen wissen / als wan es seinen Kopf / aus Liebe zur Keuschheit / in einer keuschen Jungfrauen Schoß geleget /und sich alda in den Schlaf wiegen laßen. In einem solchen / wiewohl unkeuschem Schoße / gedachten sie den Simson / weil sie ihn der Unkeuschheit ergeben / und alda sicher und unbesorgt schlafen sahen / gleichmäßig zu fangen.

(18) Hierzu achteten sie kein beßeres Mittel zu sein / als durch die Delila listiglich bei ihm auszuwittern und zu erfahren / worinnen die Kraft seiner übermenschlichen Starke bestünde. Sie wolten erforschen /woher ihm die gewaltige / ja schier algewaltige Macht seines Armes / alles zu überwinden / alles zu zerreissen / und alles über einen Hauffen zu schmeissen /herkähme. Sie wolten den Grund ergründen / darauf sie den Bau seines Gefängnisses / damit es wider seine Stärke bestünde / fest genug aufzuführen vermöchten.

(19) Darüm kahmen alle Fünffürsten zu ihr. Die Herscher und Heupter des Filisterlandes selbst sprachen ihr zu. Doch dieses tähten sie heimlich / in Simsons Abwesen: dessen sie sich zuvor erkundiget. Ihr erstes Anbringen waren lauter Beschweerungen. Sie beschweerten sich / und klagten zum allerersten häftig über des Simsons Muhtwillen. Hierdurch gedachten sie den Willen dieser Frauen / in ihren Willen zu willigen / üm so viel eher zu bewegen. Darnach begunten sie dem rechten Ziele /dessentwegen sie angelanget / almählich näher zu trähten. Sie gaben ihr zu verstehen / was sie selbst verstanden: nähmlich daß sie über den Willen des Simsons allein herschete; daß niemand / als sie /in die Schatzkammer seiner Heimligkeiten einen freien Eintritt zu haben vermöchte; ja daß nur sie allein /seine Geheimnisse zu erfahren / geschikt sei.

(20) Diese Reden / welche sie / als ihr zum Ruhme gesprochen [426] / aufnahm / kützelten ihr das Ohr gewaltig. Sie tähten ihr so wohl / daß ihr Hertz für großen Freuden im Leibe gleichsam hupfete / ja daß es so groß ward / als der gröste Kuhkmagen. Sie lauschte /sie horchte / da ihr ein solches Lob ihrer Verdienste so übermäßig zugemäßen ward / nicht anders / als eine mit Unflaht übersudelte Sau / die von einer Elster gelauset wird. Ja eben also / als diese sich brüstet /wan sie mit einer güldenen Halskette behänget einhertrit / brüstete sich auch und erstoltzte die unflähtigeDelila: zuvoraus weil Fürsten selbst ihr einen solchen Ehrenschmuk zueigneten.

(21) Endlich kahm man zum Ziele selbst. Man baht sie vom Simson / bei dem sie so überaus viel vermöchte / durch ihre Liebkoserei / auszuforschen /›woher dieselbe so ungeheure Stärke / dadurch er allen Menschen ein unvermeidliches Schrökken einjagte / sich entsponnen? Was für ein Stern oder Unstern es sei / der eine so gewaltige Kraft in ihm würkte? Und ob dieselbe Kraft und Stärke nicht etwan zu gewissen Zeiten von ihm wiche?‹

(22) Delila / die von den Grösten deß Landes sich besuchet / und als gerühmet / ja gleichsam gar angeflöhet sähe / ward hierüber so Ehrgeitzig / daß sie dem Begehren ihrer Anflöher / sie zu ihren Pflichtschuldigen zu machen / anders nicht / als höflich begegnete. Ihre Weigerung / wiewohl sie sehr klein war / geschahe nur des Wohlstandes wegen. So straks und auf einen Plotz zur Verrähterin ihres Liebsten zu werden / wolte sich nicht geziemen. Zudem wolte sie erst auch mit güldenen oder silbernen Zungen angesprochen sein. Die Fleischerne / die einen so scharfen durchdringenden Klang nicht geben konten / waren zu wenig / sie zu einer völligen Bewilligung zu bewegen.

(23) Ein Weibesbild / zumahl ein solches / alsDelila war / wird zwar / durch Beweisung eiteler Ehre / zur Erfüllung eines fremden Willens gelokaset / aber nicht so straks bewogen. Es mus was anders sein / als ein eitler Ahtem / das es überteuben sol. Wan ein Esel mit Gelde beladen anklopfet / dan springet die Tühre von sich selbst auf. Jupiter muste Gold auf der Danae Wächter regnen laßen. Eher stund ihm die Tühre zu [427] dieser bewachten und eingesperreten Königlichen Fürstin nicht offen. SolteSimsons Verborgenheit ausgekundschaffet werden / so muste Delila mit Gelde bestochen sein. Solte seine Geheimniskammer den Filistern offen stehen / so musten sie mit güldenen Schlüsseln der Tührhühterin den Mund öfnen.

(24) So boht ihr dan einieder Fünffürst eilfhundert Silberlinge zur Belohnung an. Diese fünfmahl zusammengerechnet / belieffen sich auf fünftausend und fünfhundert. Wan es Priestermüntze gewesen / so waren es so viel halbe Tahler. War eb aber Bürgermüntze / so seind es so viel Ohrtstahler / nach unsrem Gelde gerechnet. Das war ein fetter Bissen / der eine solche Mätze / wie Delila war / leichtlich reitzen konte darnach zu schnappen. Ein so großes Versprächen machte sie auch zur Stunde geschäftig / das versprochene zu überkommen. Ja ihr großes Verlangen nach dieser so reichen Verehrung spörnete sie gleichsam an der Filister Begehren ie eher ie lieber zu vergnügen.

(25) Der Geldgeitz ist den Weibern angebohren. Gemeiniglich trachten sie dem Gelde nach. Gemeiniglich suchen sie Reichtuhm zu samlen. Und diesen erfordert auch ihre Hofart. Ihre Pracht in Kleidern gebietet ihnen gleichsam zu geitzen. Was für ein Wunder war es dan / daß Delila / durch den Anbot des Geldes / sich verführen lies eine Kundschafferin / und eine Verrähterin ihres eigenen Liebsten zu werden. Was neues war es dan / daß sie / aus eitelem Geldgeitze / diese schändliche Tohrheit beging.

(26) Mich deuchtet / ich sehe alhier an den Fünffürsten der Filister das Vorbild der Hohen Priester zu Jerusalem. Mich dünket / ich sehe die Delila den Verrähter Judas / und den Simson unsern Heiland vorbilden. Es ist zwischen einer und der andern Geschicht schier kein anderer Unterscheid / als dieser / daß der Heiland der gantzen Welt ungleich weniger gälten muste / dan der Heiland Israels; und daß die Fünffürsten viel milder / als die Hohenpriester / im Ausbieten / ja Delila weit geitziger / als Judas / im empfangen des Bluhtgeldes gewesen: welches sich dort auf fünftausend und fünfhundert Silberlinge / hier aber nur auf dreissig erstrekte.

[428] (27) Wan es auch wahr ist / wie die Jüdischen Meister meinen / daß dieselbe Witwe / welcher Micha /ihr eigner Sohn / eilfhundert Silberlinge gestohlen /die sie nachmahls selbsten zum Gottesdienste gewiedmet / eben diese Verrähterin Delila gewesen- so scheinet sie zugleich in diesem Stükke den VerrähterJudas / weil sie alle beide das empfangene Bluhtgeld / aus Bereuung ihrer begangenen Verrähterei /GOtte gleichsam wiedergeben wollen / vorgebildet zu haben.

(28) Die mit großen Verheissungen erkaufte Delila schritte dan alsobald zur Sache. Sie grif den Handel an: doch erstlich nur mit Liebkosen. Hatte sie zuvor geschmeuchelt / geliebelt / geliebkoset / so täht sie es itzund noch vielmehr. Hierdurch wolte sie den Simson gewinnen. Hierdurch wolte sie ihn vorbereiten zur Wilfahrung ihres Begehrens. Hierdurch wolte sie ihm sein gantzes Hertz stehlen: damit sie durch dessen volle Besitzung auch eine Besitzerin seiner Geheimnisse werden möchte. Und also wolte sie so straks nicht zuplumpen / das Augenmärk ihres Verlangens mit Worten zu berühren.

(29) Hiermit verzog sie dan so lange / bis sie sein Gemüht mit vielerhand Lustspeisen gesättiget / sein Hertz durch tausend Ergetzungen durchsüßet / seine Gedanken durch ihre verzukkerte Reden gestillet / ja den gantzen Simson gleichsam beruhiget. Aus einem ruhigen Gemühte / das mit lauter Freuden erfüllet ist / blikket die Freigebigkeit im Wilfahren allezeit ungezwungen hervor. Dieses wuste die verschlagene Delila sehr wohl. Darüm unterlies sie nichts / ja gar nichts / dadurch sie ihren Simson in solche so angenehme Gemühtsruhe versetzen könte.

(30) Sie wuste / daß großmühtige Helden besser nicht befriediget noch befreudiget würden / als durch den Lobspruch ihrer Heldentahten. Darüm vermischete sie endlich diese Wohllüste mit dergleichen Lobsprüchen / ihm sein Hertz und seine Neugungen vollend abzustehlen. Sie könte sich kaum einbilden /sagte sie / daß es wahr sei / daß es nicht ein Traum sei einen so unvergleichlichen Helden in ihren Armen zu sehen. Sie dürfte kaum glauben / daß Simson sie liebete: dessen unüberwindliche Stärke die gantze Welt erschrökte; dessen [429] mehr als menschliche Heldentahten durch den gantzen Erdkreus sich ausbreiteten / und der Ruhm darvon bis an den Himmel erschallete.

(31) Einer solchen Glüksäligkeit sei sie nicht währt. Daß Simson / der Held der Helden / sie zur Liebsten erkohren / sei sie nicht würdig. Daß nur sie die Ehre hette sein Hertz zu besitzen / verdienete sie nicht. Eine Erdgöttin sei allein würdig eines solchen Erdgottes Liebe zu geniessen: der durch den mächtigen Nachdruk seines Armes alles / was er nur anrührete / zerschmetterte; ja der / durch seinen Nahmen allein / alle / die ihn höreten / mit Furcht und Schrökken überschüttete.

(32) Ihre Schönheit sei zwar zu geringe sie in den Augen des allerfürtreflichsten Siegsheldens so hochschätzbar zu machen / daß er sie selbst einer Erdgöttin vorzöge. Gleichwohl gönte der Himmel ihr dieses Glük. Gleichwohl hette sie die Ehre denselben zu besitzen; in dessen Gegenwart die erstaunten Filister selbst als unbewegliche Bildseulen da stünden die Zurüstung seiner herlichen Siegesgepränge noch mehi zu verherlichen. Und hierüber were sie gleich als entzükket. Sie erstoltzte mitten in diesen ihren Glüksäligkeiten; da sie auf nichts anders bedacht sei / als ihre Liebe mit tausend Ergetzlichkeiten zu sättigen.

(33) »Aber diese Gedanken« / fuhr sie fort / »stöhret / mit der Freude zugleich / das fürwitzige Verlangen das mich plaget / etwas zu wissen / das ich bisher nicht melden dürfen. Noch itzund weis ich nicht / ob ich so kühne sein darf Ihm nur eine Frage vorzutragen. Dieser Zweifel benimt mir ein großes Teil der Lust ihn zu ergetzen. Ja er dürfte zuletzt das Feuer meiner Liebe wohl gar unter die Asche der Furcht begraben. Ach! ich wolte / daß ich diesen Fürwitz aus meinem Gedächtnisse vertilgen könte; weil er mich die Zeit über / da ich ihn vertuschen mus / zurükhält mich so wohl / als Ihn / wie ich sonst könte / ja wolte / recht vergnüglich zu ergetzen.«

(34) Sobald Simson diese Reden seiner Liebsten verstund / war er bemühet sie ihres Zweifelmuhtes zu benehmen. Er gab ihr die allerlieblichsten Worte. Er strählete / küssete / hertzete sie. Er begehrte nicht länger vor ihr zu vertuschen / was sie so [430] ängstiglich zu wissen verlangte. Sie solte die Frage / die sie an ihn hette / nur kühnlich heraus sagen. Sie solte dasselbe / was ihrer beider Wohllust minderte / nur alsofort aus dem Wege schaffen. Er sei schon bereit ihrem Begehren zu wilfahren.

(35) Hierauf fing dan Delila alsobald an. »Ich kenne« / sagte sie / »meinen Simson noch nicht recht / so lange mir unbekant ist / worinnen die Kraft seiner übermenschlichen Stärke bestehet. Ich weis nicht / ob er ein Mensch / oder mehr als ein Mensch ist / so lange mir der Grundris seines Wesens unbewust bleibet. Darüm geschiehet an Ihn meine flöhendliche Bitte / mir zu entdekken / aus was für einem Zeuge die Fürtreflichkeit seiner Stärke herrühret? Dieses ist das einige / das ich von ihm zu erfahren suche; damit ich ihm die Ehre / die seiner Hoheit gebühret /zu geben wisse.«

(36) Mehr sagte sie nicht. Weitern Umschweif wolte sie nicht machen. Auch lies sie bei dieser Bitte nicht alzugroßen Eifer spühren. Und dieses täht sie darüm; damit er nicht etwan in einen Argwahn geriete / daß etwas anders hinter ihrer Frage verborgen sei. Sie wolte sich bei ihrem Liebsten keines Weges verdächtig machen / als begehrte sie seine Geheimnisse zu wissen / ihn darnach in Ungelegenheit zu bringen.

(37) Simson / der vielleicht den Betrug märkte /war in Beantwortung der Frage so vorsichtig / daß er die rechte Wahrheit verschwieg. Alle die Liebkosereien / alle die hinterlistige Verstellungen / die sie angewendet ihn zu betöhren / waren so mächtig nicht /daß sie ihn hetten bewägen können sein Geheimnis zu offenbahren. Er antwortete lächlende nichts anders /als / ›er sei kein Gott. Daß er nur ein Mensch were /könte sie leichtlich gewahr werden / wan sie ihn mit sieben Seilern von frischem Baste / die noch nicht verdorret / binden würde. Und also würde seine Kraft gebunden / seine Stärke verschwunden / und er Selbsten nicht anders sein / als ein ander gebrächlicher Mensch.‹

(38) Hierauf ümarmeten sie einander beiderseits. Beide küsseten einander hertzinbrünstiglich. Simson war froh / daß er / durch eine blaue Dunst / die er ihr vor die Augen gemahlet / eine so süße Wohllust erworben. Und Delila schätzte sich zum [431] höchsten glüksälig / daß sie nunmehr dasselbe besäße / welches ihr dienen solte die Mänge der versprochenen Silberscheuben für ihre Verrähterei bald in ihren Geldkasten zu scharren.

(39) Auch frohlokten die Fünffürsten / sobald ihnen Delila kund gethan / daß sie nunmehr dasselbe / was sie begehret / ausgeforschet: indem sie sich einbildeten / die Zeit sei itzund gebohren / da sie Gelegenheit bekommen sich am Simson / nach eignem Belieben / zu rächen. Ja sie liessen die Seiler mit allem Fleisse machen / damit sie stark genug sein möchten denselben anzuhalten / den sie zu binden gedachten. Auch versuchten sie dieselben etliche mahl /ob sie fest genug weren allem Gewaltzwange zu widerstehen.

(40) Nachdem nun alle sieben auf das beste verfärtiget waren / zogen etliche wohlgewafnet damit hin /und begaben sich heimlich in der Delila Haus. Alda warteten sie / in einer Kammer / auf den gewünschten Ausgang. Sie warteten so lange / bis Delila den fest genug gebundenen Simson ihren bluhtdürstigen Händen überantworten würde. Eher wolten / noch durften sie sich an einen solchen Held nicht machen / für dessen gewaltiger Stärke / so lange sich einiger Arm an ihm regen könte / sie nicht versichert waren.

(41) Inzwischen kahm Simson auch an. Er traht wieder in dasselbe Haus / da man ihm so tükkisch nachstellete. Delila lief ihm straks entgegen. Sie empfing ihn mit einem hertzlichen Kusse; doch nur dem Scheine nach: weil er in der Taht anders nicht /als ein falscher Judaskus war. Gleichwohl gefiel er ihm so wohl / und machte seine Neugungen so lüstern / daß er sich von stunden an auf die Spuhr der eiteln Wohllüste begab. Hierinnen befand er sich endlich so vertieffet / ja selbst gleichals ermüdet / daß er sein Heupt / zum Schlafe geneugt / in dei Delila Schoß sinken lies.

(42) Unterdessen wachte die Verrähterin / als eine hungerige Katze / die den Meusen nachstellet. Sie lauschte / sie lauerte / wie ein fressichter Wolf / den Raub / auf den sie so begierig verlangte / zu erhaschen. Sie wartete / bis Simson entschlafen; damit sie ihr Vorhaben üm so viel leichter volenden könte. Als sie nun märkte / daß er fest genug schlieffe / legte sie sein Heupt [432] [434]auf das nächststehende Bette. Dieses täht sie so leise / daß er es nichtgewahr ward. Darnach schlich sie eilend hin die Seiler / welche sie verborgen hatte / zu hohlen.

(43) Diese Seiler schlug sie ihm üm die Beine so wohl / als die Aerme. Sie band beide Füße zusammen; damit er / wan er wakker würde / nicht stehen /noch gehen könte. Sie fesselte beide Hände so fest /daß sie sich nicht bewegen könten. Ja sie machte die Aerme selbst an den Leib fest. Und dieses alles verrichtete sie mit solcher Behändigkeit / ja so geschwinde / daß es der Schlafende nicht fühlete.

(44) Hierauf traht sie zu den Filistern in die Kammer. Diese suchte sie anzumuhtigen auf den nunmehr gebundenen und noch schlafenden Simson loß zu gehen. Aber sie hatten hierzu kein Ohr. Das bloße Binden konte den Muht ihnen nicht geben ihn anzufallen. Sie waren so oft gewitziget / daß sie einem so schlüpferichten Grunde nicht traueten.Simsons überschwängliche Stärke hatte sie so furchtsam gemacht / daß sie sich eher an ihm nicht reiben durften / sie weren dan zuvor versichert / daß er gantz kein Vermögen / sich loß zu reissen / mehr hette.

(45) In die Gefahr / von ihm überwältiget zu werden / so plumplings sich zu wagen / stund ihnen nicht zu rahten. Sie wolten zuvor die Stärke der Bande /wan er wakker sei worden / erfahren. Sie wolten zuvor versuchen / wie es alsdan mit dem Binden der Delila ablauffen würde. Eher wolten sie ihren heimlichen Anschlag / der ihnen zum ärgsten ausschlagen möchte / zu keiner öffendlichen Gewalttaht kommen laßen. Und darüm beschlossen sie / sich so lange vor der Tühre des Zimmers stille zu halten / bisDelila mit einer fröhlichern Bohtschaft wiederkähme den vollen Sieg über den Simson ihnen anzukündigen.

(46) Unterdessen traht die Verrähterin nach dem Bette / zu. »Auf! auf! Simson« / rief sie mit lauter Stimme: »die Filister überfallen dich.« Diese Stimme drang in einem hui / durch die Ohren / zu den Sinnen hinein. Es ward alles rege / was in und an dem bestürtzten Simson war. Er erwachte. Er stund auf. Er schüttete alles / was seine Bewägung verhinderte /von den [434] Armen und Beinen weg. Ohne weitere Gewalt sprangen die Seiler in Stükken. Er zerrisse sie /wie einen Faden / der von der Lohe versänget ist.

(47) Und also fühlete er nicht einmahl / daß er gebunden sei / bis er die Stükke der zerrissenen Seiler erblikte / ja zugleich den Betrug der Delila märkte: die er auch deswegen mit leunischen Augen anzusehen schien. Doch diese sahe viel zorniger aus. Sie gebährdete sich / als ein gestochener Bok. Es schmertzte sie / daß sie sich so schändlich geteuschet sahe. Sie war erzürnet io auf sich selbst / ja sie spiehe sich schier an / daß sie so leichtgleubig gewesen; daß sie Simsons Worten vielzuviel getrauet.

(48) Endlich gab sie den Filistern ein Zeichen des unglüklichen Ausschlages. Hierüber erschraken sie so heftig / daß sie nicht wusten / wie sie sich so straks aus dem Staube machen solten. Sie eilten schier über Hals über Kopf darvon: und sahen einander / sobald sie an einen sichern Ort gelanget / gantz bestürtzt an. Sie schnoben / sie keuchten / und liessen aus ihren verschlagenen Angesichtern eben eine solche Farbe blikken / als weren sie der eusersten Gefahr entlauffen.

(49) Weil nun Delila die Zornflammen ausSimsons Angesichte noch immerzu blikken sahe /so muste sie aus der Noht eine Tugend machen. Sie muste den Unwillen / den sie auf ihn geworfen / verbärgen. Sie muste geschmierte Worte geben / und wieder anfangen zu schmeicheln: indem sie sich befahrete / sein Zornfeuer möchte sonsten zum allerersten über sie ausbrächen.

(50) Ja sie begunte sich zu entschuldigen. Sie wendete vor: ihr Fürwitz allein hette sie bewogen / durch diese Seiler / die Wahrheit seiner Worte zu erfahren. Sie hette damit / daß sie ihn gebunden / nichts anders / auch nichts Böses im Sinne gehabt. Er solte deswegen nicht über sie zürnen. Und hiermit fiel sie ihm üm den Hals / und gab ihm einen Kus über den andern. Ja sie hielt zu küssen / und zu schmeucheln nicht eher auf / als bis sie die Heftigkeit seines Grimmes besänftiget.

(51) Also verzog sich das Zornwetter in Simsons Gesichte. So veränderten sich die düsteren Wolken in eine anmuhtige [435] Heiterkeit. Mund und Augen lächelten wieder. Der Sturm war vorbei. Die Liebesneugungen folgeten. Der Vergleich auf beiden Seiten ward getroffen. Es ging alles verträglich / alles lieblich zu. Delila schenkte dem Simson die Wohllust vol ein: und er hinwieder lies an seiner liebe nichts mangeln.

(52) Sobald Simson auf das neue verliebt worden / trachtete sie ihn auch Mitleidend zu machen. Hierdurch gedachte sie gar gewis zu ihrem Ziele zu gelangen. Hierdurch vermeinte sie dasselbe zu erreichen / was sie durch keinerlei Liebesbezeugungen zu tuhn vermocht. Sie stellete sich / mitten in ihren Ergetzungen / gantz kläglich an. Da Simson am verliebtesten zu sein schien / fing sie an sich über ihn erbärmlich zu beklagen.

(53) Kein Hertz wird mehr beweget / als dasselbe /das die Liebe hitzig / und das Mitleiden weich machet. Dieses wuste die listige Delila sehr wohl. Darüm suchte sie beides in Simsons Hertzen zu stiften. Und hiermit vermeinte sie gewonnenes Spiel zu haben. Das letztere zu befördern / brach sie aus in lauter Klagen. »Ach! mein Simson! mein Liebster!« sagte sie / »verdienet nun meine so hertzliche Liebe /die ich ihm bisher erwiesen / nichtsmehr / als daß er mich itzund so schändlich geteuschet? Wie kan ich gleuben / daß der Mund / der so vielmahls schwöret / daß er mich liebe / die Wahrheit rede; weil ich ihn itzund lügenhaftig befunden?

(54) Ich vermeinte / daß unserer beider Hertzen /durch die Liebe / so nahe zusammen verbunden weren / daß seines mir eben so wohl / als ihm das meinige /stähts offen stünde. Aber ich sehe nun viel ein anders; nachdem er sein Hertz für mir dermaßen verschlossen / daß mir / ein einiges Geheimnis daraus zu wissen /nicht zugestanden wird. Ja ich mus noch darzu erfahren / wan ich etwan lüstern werde darnach zu fragen /daß man meiner nur spottet; daß man mir eine blaue Dunst vor die Augen mahlet.

(55) Wan irgend unter meiner Frage / seinen Abschlag zu beschönen / einiger Betrug / oder einiges Unheil verborgen were / so wolte ich meine Klage selbst /als freventlich / strafen. Wan irgend meine Treue darunter zu hinken scheinen möhte / so solte mein Mund schweigen. Ich wolte darwider nichts sagen. [436] Ich wolte vielmehr guht heissen / daß er behuhtsam gehandelt / indem er mir die rechte Wahrheit vertuschet.

(56) Aber er hat sich von derselben / die ihn so hertzlich liebet / keines Betruges / keines Unheils /noch einiger Untreue zu befahren. Kan er wohl mit Wahrheit sagen / daß er mich iemahls betrügerisch oder untreu befunden? Vielmehr kan ich ihn bezüchtigen / daß er mich betrogen / daß er untreulich an mir gehandelt: indem er / an stat dankbar zu sein für meine so getreue / so stähtige Liebe / so undankbar gewesen / daß er meine Begierde die Wahrheit zu wissen / bloß mit Lügen abgespeiset.

(57) Ja ich habe mehr / als alzuviel Uhrsache mich zu beklagen / daß ich die Aufrichtigkeit seiner Liebe /deren ich mich zur Belohnung für die meinige versichert hielt / auf so ungewissem Fuße befunden. Es schmertzet / ja kränket mich / daß ich so leichtgleubig gewesen einem Manne zu trauen / bei dem keine Treue zu finden. Nun mag ich / aus eigener Erfahrung / wohl sagen / daß dieselbe recht närrisch ist / die den Männern eine andere Liebesneugung zuvertrauet / als eine solche / die bloß auf den eitelen Eigennutz der Wohllust sich gründet.«

(58) Unter alle diese Beschwerungen / unter alle diese Beschuldigungen mischete sie gleichwohl noch immerzu ihre gewöhnliche Schmeucheleien. Sie lies gleichwohl nicht nach denjenigen zu ergetzen / von dem sie noch immer begünstiget zu werden verhofte. Und hierdurch vermeinte sie den sauren Essig der Unlust / der etwan aus ihren herben Beklagungen entspringen möchte / zu versüßen.

(59) Daher konte dan Simson anders nicht tuhn / als höflich sich entschuldigen; indem er vorschützte: was er getahn / sei bloß aus Schertze geschehen. Er hette die Gedanken sie zu betrügen keines Weges gehabt. Weil er gesehen / daß ihr einfältiger Fürwitz mit einer wahrscheinlichen Antwort zu frieden gewesen /so hette er unnöhtig erachtet den Grund der Wahrheit zu entdekken. Es sei alles nur Kurtzweile gewesen. Darüm were sie in ihren Klagen alzustachelicht. Darüm deutete sie seine Gedanken alzuübel aus.

(60) Aber indem Simson sich also zu entschuldigen trachtete; [437] indem er dieses losen Weibes Beschuldigungen auf diese Weise zu begegnen suchte /gab er ihr nur frischen Anlaß / zur Volziehung ihrer Boßheit / noch einen Anfal zu wagen. Diese seine Höfligkeit machte sie sich straks zu nütze. Straks fing sie wieder an das vorige Liedlein zu singen. Sie täht wieder einen Versuch ihn zur verlangten Wilfahrung zu bereden.

(61) »Ach! mein Schatz« / sagte sie / »weil er dan bisher Belieben getragen mit mir zu schertzen / so wollen wir nun / in rechtem Ernste / miteinander handeln. Weil ich eben itzund die gewaltige Kraft seiner Stärke selbst gesehen / so bin ich noch viel vorwitziger worden / die Uhrsache dessen zu wissen Ach! er laße mich doch nur einmahl so bitsälig sein / daß ich diese Wilfahrung erlange. Er laße mein Hertz / das ihn inniglich anflöhet / keine Fehlbitte mehr tuhn.

(62) Ich begehre ja nichts mehr / als den Grund seiner Herligkeiten / als die Herstammung seiner Hoheiten zu wissen. Ich verlange ja nichts anders / als diese Wissenschaft zu erlangen; damit ich seinen Glantz gebührlich ehren / und ihn / sofern er mehr als ein Mensch ist / nach dem Währte seiner Verdienste ehren möchte. Dieses Begehren ist ja nicht unziemlich. Diese Bitte kommet ja aus einem redlichen Hertzen; das ihn höher schätzt / als alle Schätze der Welt; das ihm alle seine Liebe gewiedmet / und in dieser Liebe sein Leben zu schlüßen beschlossen.«

(63) Simsons Hertz befand sich zwar / durch diese Reden / darunter stähtige Liebesblikke spieleten / durch und durch erweichet. Gleichwohl erstrekte sich dieses Erweichen so weit nicht / daß er were bewogen worden die Wahrheit zu sagen. Er muste zwar antworten: aber die Wurtzel seiner Stärkt, verschwieg er. Diese derjenigen zu zeigen / welche sie auszurotten vorhatte / war kein Raht. Er wuste wohl / aus der Erfahrung / daß Delila die Wahrheit seiner Reden zu untersuchen nicht nachliesse. Er wuste wohl / daß er hierdurch / obschon der Versuch aus keiner Boßheit herrührete / dannoch aller seiner Stärke verlustig seyn würde.

(64) Und also stellete sich Simson / als wan er die Wahrheit sagete. Er stellete sich nur / als ob er ihr sein gantzes Hertz [438] eröfnete. Unterdessen vertuschete er doch das verlangte Geheimnis. Er sprach: ›wan man ihn mit neuen Strükken / die noch nie gebrauchet worden / bestrükte / so würde seine Kraft verschwinden / und er schwach werden / wie ein ander Mensch‹ / Und dieses wuste er ihr so wahrscheinlich vorzustellen / daß sie festiglich gleubte / sie hette nunmehr ihr Verlangen erlanget.

(65) Hierauf lies sie die Filister abermahl hohlen. Denen zeigete sie an / mit was für listigen Ränken sie ausgefischet / was sie begehret. Sie versicherte dieselben die Gewisheit des gantzen Sieges in Händen zu haben. Sie muhtigte sie zur Hofnung eines glüklichen Ausganges an. Und dieses täht sie / ihre Worte zu beglaubigen / mit unaufhöhrlichem Frohlokken / ja selbst mit stähtigem Händeklappen.

(66) Aber die Filister traueten dem Landfrieden nicht. Sie wolten sich in keine Gefahr wagen. Sie waren schon zuvor dermaßen gewitziget / daß sie das Bildnis der Furcht noch in ihren Angesichtern trugen.Delila hatte genug zu tuhn / sie wieder auf dieselbe Spuhr zu bringen / das sie das erste mahl ein so heftiges Schrökken überfallen. Den vorigen unglüklichen Ausschlag sahen sie noch vor Augen. Darüm waren sie scheu des andern zu erwarten.

(67) Nach langem besinnen machten sie sich gleichwohl auf. Endlich gab ihnen der Rachzorn so viel Muhtes / daß sie hinschlichen sich in ihrem alten Schlaufwinkel zu verstekken. Alda lauschten und lauerten sie. Alda horchten sie hinter der fest verrügelten / und mit Höbebeumen vermachten Tühre. Sie horchten / wie es ablauffen würde. Sie hielten sich so stille / daß sie kaum einen Hauch von sich gaben. Und dieses tähten sie aus Furcht / Simson möchte sie hören; er möchte sie überfallen / und das Garaus mit ihnen spielen.

(68) Unterdessen spielete Delila ihr Spiel. Sie ergetzte den Simson mit allerlei Kurtzweile. Sie liebelte / sie schmeuchelte / sie heuchelte. Sie bemühete sich ihm allerlei Lust zu machen. Und also suchte sie ihn in den Schlaf zu wiegen. Sie trachtete die Wache seines Lebens ihm zu entziehen. Und dieses ging [439] ihr so wohl an / daß sie nichts verhindern konte zur gewünschten Erfüllung ihrer Verrähterei zu gelangen.

(69) Sie nahm die Strükke. Sie schlug dieselben etliche mahl üm des schlafenden Simsons Aerme /ja selbst üm die Füße herüm. Sie zog sie so dichte zusammen / und verknüpfte sie dermaßen fest / daß es unmüglich schien / durch menschliche Hand / aufgelöset zu werden. Auch hatte sie der Seiler so stark und so dik und dichte drehen müssen / daß keine Stärke /wie groß und gewaltig sie schien / sie zu zerreissen vermochte.

(70) Aber des Seilers so wohl / als der Verstrükkerin Arbeit war alhier nur vergebens. Vergebens war alle Hofhung / alle Bemühung der Filister. Ja es schien / als hette Simsons Schutz-Engel ihnen allen die Augen verblendet: weil sie nicht straks zulieffen / da er im Schlafe gleichals gantz begraben lag / ihn zu erwürgen. Ein einiger Schwertstoß hette diesem Starken das Leben / zusamt der Stärke /bald rauben können. Viel leichter / viel geschwinder hette man ihn ümzubringen / als mit Strükken so fest zu binden vermocht.

(71) Man mus sich in Wahrheit verwundern / daß dieselben / welche der Bluhtdurst doch antrieb Simsons Tod zu suchen / bei so gewünschter Gelegenheit ihn zu töhten / so saumsälig / so zauderhaftig / so Muht- und Verstand-loß gewesen: indem sie ihn / an stat straks aus dem Wege zu reumen / erst zu binden sich bemüheten; da doch der Schlaf ihn schon genug gebunden ihre Wühterei an ihm ungehindert zu verüben.

(72) Doch dieses Versehen war nicht so sehr ihrer eigenen Blind- und Tumheit / noch auch ihrer Saumsäligkeit / und Muht- ja Verstandloßheit / als wohl der Vorsehung GOttes / zuzuschreiben: welcher den Simson / als seinen auserkohrnen Knecht / indem er schlief / durch seinen Engel bewachen lies. Dieser verhühtete / daß die Boßheit der Filister / ihm das Leben zu nehmen / so weit nicht greiffen durfte. Dieser widerstund ihren bluhtdürstigen Anschlägen /und vereitelte sie gantz.

(73) Die Gefahr derer / die GOtt erwehlet / bleibt allezeit ümschränkt. Sie darf ihre Grentzen / die ihr seine Barmhertzigkeit vorschreibet / nicht überschreiten. So haben die Trübnisse [440] der Nachfolger GOttes auch allezeit ihre gewisse Maße. Und diese wird also eingerichtet / daß die Betrübten mehr Nutzen / als Schaden / mehr Vorteil / als Nachteil darvon tragen.

(74) Wan uns die Menschliche Gebrächligkeit die Bahne zum Verderben glättet / bietet uns die Göttliche Barmhertzigkeit ihre hülfliche Hand. Wan uns aber unsere Verwägenheit zum stürtzen treibet / wendet GOtt die Hand seines Mitleidens von uns ab. Alsdan stekken und zappeln wir in der Gefahr. Alsdan rennen wir Zaumloß in dasselbe Verderben / das wir uns selbsten zubereitet.

(75) Weil Simson / aus angebohrner Gebrächligkeit / zum Sturtzfalle geneugt war / half ihm GOttes mitleidende Hand. Weil er / aus Liebe desselben Weibes / das ihm nunmehr zum zweiten mahle Falstrükke geleget / im Wege des Verderbens fort irrete / übergab ihn zwar GOtt dem Triebe seiner Neugungen / doch also / daß er zugleich die boßhaftigen Unterwindungen seiner Feinde vereitelte.

(76) Und also kahm er / als ein herlicher Uberwinder / aus der zweiten Gefahr / darein er im Schlafe gerahten / mit Ehren heraus. Sobald Delila wiederüm anfing überlaut zu rufen ihm einen Schrik einzujagen; da ermunterte sich Simson. Sobald sie gerufen /»auf! auf! die Feinde seind da«; da erwachte seine Stärke: da erhub er sich aus dem Bette mit einer solchen gewaltigen Bewägung / daß die Bande von Armen und Beinen straks absprangen.

(77) Die Knöpfe gingen loß. Die Knohten sprangen auf. Die Stränge / da sie am dikkesten waren / rissen in Stükke / nicht anders / als weren sie Zwirnsfäden gewesen. Diese lagen als Siegeszeichen vor seinen Füßen. Und er selbsten stund / als ein Siegesheld /mitten ein. So viel vermochte seine nur gewöhnliche Bewägung! So viel vermochte das bloße rekken und rütteln seiner Arme / seiner Schultern / und seiner Füsse!

(78) Inzwischen befand sich Delila zum höchsten beleidiget. Sie stund schaamroht / und bestund in diesem zweiten Betruge / wie die Butter an der Sonne. Ja sie glühete gleichsam vor Zorne / daß sie auf das neue so schändlich betrogen war. Nichts schmertzte sie mehr / als daß sie die Hofnung / welche [441] sie den Filistern so gar groß / so gar gewis eingebildet /in den Brunnen gefallen sahe. Ja es schmertzte sie noch vielmehr / daß sie den Lohn ihrer Verrähterei /den sie schon im Rachen zu haben wähnte / wider alles Vermuhten so plötzlich verlohren.

(79) Sie muste den Bösewichtern / welche sie zu diesem Schelmstükke gereitzet / abermahl ein Abzugszeichen geben Sie muste / wie ungern sie es auch tähte / sie anmahnen ihr Leben mit der Flucht zu retten. Weit darvon / war guht für den Schus. Sie lieffen / als hetten ihnen die Köpfe gebrant / eilend hinweg. Sie sprangen / wie die schüchternen Hängste / wan sie die Peitsche klatschen hören. Das Warten / das Zaudern brachte Gefahr. Geschwinde machten sie sich aus dem Staube.

(80) Unterdessen stund Delila gleichals vor den Kopf geschlagen. Weil sie mit lauter Rasereien schwanger ging / konte keine Schmeuchelei zur Ausgebuhrt kommen. Auch die Scheinliebelung selbsten wolte nicht fort. Sie gedachte nun an kein Lachen. Die Blikke / die aus ihren Augen schossen /waren nur Zornblikke. Die Worte / die aus ihrem Munde gingen / brummeten / wie der Donner. Nirgend fand sie Ruhe. Sie lief / als tolsinnig / im Zimmer herüm / und sprang / als eine gescheuchte Ziege.

(81) Aber Simson lachte mehr / als er zürnete. Es gefiel ihm überaus wohl / daß er seine Liebste nun wieder geteuschet. Doch lies er sich dessen nicht märken. Er bemühete sich vielmehr sie zu befriedigen. Erstlich ging es an ein Schertzen. Darnach folgeten die allerfreundlichsten Schmeucheleien / die ihren Zorneifer besänftigen / und ihr rachgieriges Hertz brächen solten. Endlich kahmen die Küsse darzu: welche sie unweigerlich annehmen muste; aus Furcht / er möchte seinen Stab anderswohin setzen.

(82) Und eben darüm durfte sie ihn / mit Verschmähungen / keines Weges erbittern. Sie muste zulaßen / was er begehrte. Sie hatte mit dem / daß sie ihn nun zweimahl verrahten wollen / schon zu viel getahn: wiewohl er es selbst für keine Verrähterei annahm. Mehr Erweiterungen ihrer Verbrächen zu ma chen durfte sie nicht wagen. Es war kein Raht ihn noch mehr zu [442] beleidigen. Und also muste sie sich dan freundlicher anstellen / als sie wolte / ja kaum konte.

(83) Die Weibsbilder brummen ihre Buhler / die ihnen die Geldtasche schweer machen / nimmer an /wan sie nicht wissen bald darauf ein freundliches Lächlen von sich zu geben. Nimmer runtzeln sie die Stirne zum Sauersehen / es sei dan / daß sie bald darauf wieder ein süßes Gesichte machen wolten. Ja sie grollen nie / wo sie nicht zugleich auch liebsälig sich erweisen. Nie laßen sie einigen Has blikken / wo nicht straks die Liebe darauf folget. Also behalten sie das Netze / den Vogel / der ihnen entflügen wil / zu bestrükken / stähts in der Hand.

(84) Simson erweichte die Delila / durch alle seine Liebesbezeugungen / anfangs nicht mehr /als einen Kieselstein. Er bewegte sie nicht mehr / als ein steinernes Bild / das wider alle Stürme steif und fest stehet. Ja sie schien selbst / als aus einem Felsen gehauen. So gar hart erwiese sie sich zuerst gegen alle seine Schmeuchelungen! So gar unempfindlich war sie gegen alle seine Küsse! Es verfing bei ihr kein Seufzen. Kein Wort / wie liebreich es war / mochte sie befriedigen.

(85) Endlich aber erhielt Simson / nach vielem Anhalten / eine kurtze / doch übermühtige Antwort. ›Sofern er gegen sie‹ / sagte Delila / ›noch immerzu hartnäkkig verharren würde die Wahrheit zu vertuschen / wolte sie auch immerzu gegen ihn so hart / als sie itzund were / verbleiben‹ / Sobald sie diese kützlende Worte gesprochen / sprung sie jähligen auf / und lief zum Zimmer hinaus.

(86) Flucht würkt Zuwachs der Liebe. Ie mehr die Liebste flüht / ie mehr sie den Verliebten zieht. Delila ahmete den Voglern nach; die / nach gesteltem Netze / sich auf die Seite begeben / die Vogel / die anders ungern in das Netze wollen / üm so viel eher zu berükken. Ein Wild wird nicht so leicht in das Netze gebracht / wan es den Jäger darbei siehet. Wan die Geliebte flüht / und der Verliebte nachleuft / stolpert et unvorsichtig in ihre Strükke.

(87) Der armsälige Simson stund hierüber gantz verschlagen. Er wuste nicht / was er tuhn solte. Er verzweifelte schier gar: weil der Delila Gunst anders nicht / als mit seiner [443] eusersten Gefahr / wieder zu erlangen war. Er konte nun nichts mehr erdenken /damit er ihr fürwitziges Verlangen befriedigen möchte. Er konte keine wahrscheinliche Lügen mehr finden / ihrem stähts anhaltendem Begehren zu begegnen. Es schien ihm schier unmüglich zu sein ihr einzubilden /daß man mit anderen Strükken seine Stärke bestrükken könte; nachdem sie sich schon zweimahl aus der allerfestesten Bestrükkung herausgerissen.

(88) Er konte / noch durfte sich nicht entschlüßen ihr die nakte Wahrheit zu entdekken. Das Geheimnis war zu wichtig / daß es / ohne sein gröstes Nachteil /nicht konte geoffenbahret werden. Dan hieraus stund zu vermuhten / daß ihm ein unvermeidliches Unglük aufstoßen / ja wohl gar ein unümgänglicher Tod entstehen würde. Gleichwohl mochte noch konte sie durch kein anderes Mittel zu ihrer vorigen Liebe wieder erweichet werden. Gleichwohl war es unmüglich durch einen andern Weg zur Genüssung seiner vorigen Glüksäligkeit zu gelangen.

(89) Ohne diese zu leben war ihm ein verdrüßliches Leben. Ja das Leben war ihme kein Leben. Es war ihme vielmehr ein stähtiger Tod; weil er ohne Gegenliebe liebte / und hierdurch in die eusersten Todesschmertzen versetzt ward. Kurtz / er verschmachtete für Angst. Die unerleidliche Pein / sich alles Trostes beraubet zu sehen / machte sein Hertz so matt / daß es keinen Raht erdenken konte / daß es kein Mittel zu finden vermochte sich aus diesen Todesängsten zu wikkeln.

(90) Nach langem nachsinnen fiel ihm gleichwohl endlich ein neuer Fund ein. Endlich besan er sich auf eine neue Gattung der Wahrscheinligkeiten. Durch diese / ie wahrscheinlicher sie schien / ie mehr Glauben er bei seiner Liebsten zu finden verhofte. Er war froh / daß er einen so guhten Fund erfunden / einen solchen Fund / vermittelst dessen er ihm die Tühre seiner bisher verlohrnen Ergetzlichkeiten wieder eröfnet sehen würde.

(91) In dieser Freude gleichals entzükt / rief er die Delila zu sich. Er stellete sich / als hette die Liebe sein Hertz gantz übermeistert; als hette sie ihn gezwungen ihren Fürwitz zu [444] vergnügen. Er erwiese sich gäntzlich entschlossen zu sein ihr itzund mit der lauteren Wahrheit zu wilfahren. In diesem Augenblikke solte sie erfahren / wie hertzinniglich und so gar treulich er sie liebte / daß er auch nicht vermöchte selbst das tiefste Geheimnis seines Hertzens vor ihr verborgen zu halten.

(92) Delila aber wolte seinen Worten nicht trauen. Sie blieb noch immerzu widerspänstig. Sie kehrete sich weder an seine Liebe / noch an seine Reden. Sie täht / als hörete sie nicht; als were sie taub / und stum zugleich. Ja sie sahe sich nicht einmahl nach ihm üm. So verächtlich hielte sie ihn! So wenig achtete sie /was er sagte! So gar wenig gleubte sie seinen Reden!

(93) Doch endlich fuhr sie mit dieser spitzigen Antwort heraus. Er dürfte sich / sagte sie / nicht bemühen sie zu beschwatzen / daß er ihr mit der Wahrheit zu wilfahren gedächte. Sie wüste wohl / daß seine Gedanken viel anders weren. Sie wüste wohl / daß er nichts anders könte / dan Lügen / dan teuschen / dan betrügen. Die Erfahrung hette sie solches bisher mehr als alzuviel gelehret. Er solte sich nicht einbilden /daß sie noch ferner so leichtglaubig sein würde sich bei dem Narrenseile herümführen zu laßen.

(94) Der gebrante scheuete das Feuer. Der Geritzte meidete die Dornen. Der Gestulperte flöhe das Hulprige. So müste sie auch / als eine von ihm Geteuschte seine Teuscherei flühen. Und eben darüm wolte sie künftig so einfältig / ja so närrisch nimmermehr sein die Betrügligkeit seiner Worte für Wahrheit anzunehmen. Sie wolte künftig ihm keine Gelegenheit mehr geben ihrer aufs neue zu spotten. Sie were seines Gespöttes so sat / daß sie / solches zu verhühten /auf eine viel andere Weise mit ihm ümzugehen gesonnen.

(95) Bei schlüßung dieser Worte / warf sie dem armen Simson gleichwohl einen halbfreundlichen Blik zu: welcher in seinem Hertzen so viel vermochte / daß es vollend gefangen ward. Er bildete sich schon ein wieder einen Trit in den bisher verweigerten Freudenhimmel zu tuhn. Er lies sich bedünken den Vorschmak seiner wiedererlangten Glüksäligkeit schon gekostet zu haben. Und in solcher süßen Einbildung gab er auf ihre Reden folgendes zur Antwort.

[445] (96) »Ach! meine Liebste« / sprach er / indem er sie hertzlich / ümhälsete. »Ach! mein Schatz / mein Hertzchen / mein Seelchen! wie ist sie so gar misgleubig? Wie trauet sie mir so gar wenig zu? Hat sie mich bisher zweimahl schertzende befunden / so wil ich itz und in rechtem Ernste mit ihr handeln. Ich wil ihr die klahre Wahrheit entdekken. Ich wil ihr nichts vorlügen Ich wil sie nicht teuschen / noch betrügen. Hierauf verlaße sie sich nur.

(97) Und daß ich dieses so festiglich beschlossen /bin ich veruhrsachet worden durch das heftige Verlangen / das ich trage / wieder in ihre liebe Gunst zu kommen; ohne die ich nicht leben kan. Ja ich darf wohl schwöhren / daß mir keine Zeit meines gantzen Lebens so schmertzlich gewesen / als diese / darinnen ich mich der Wohllust in ihrem Schöße zu spielen verlustig befinde. Auch darf ich wohl hoch beteuren /daß meine Seele solcher Wohllust zu genüssen / niemahls begieriger gewesen / als itzund / da sie mir gantz entzogen wird.«

(98) Weil nun Delila sahe / daß alle diese Reden aus einer gantz heishungrigen Begierde herrühreten / so wolte sie eine so gewünschte Gelegenheit zu ihrem Zwekke zu kommen / nicht entschlüpfen laßen. Und darüm trieb sie ihn tapfer fort. Sie trieb ihn ungestühmiglich an mit der versprochenen wahren Antwort ihr Verlangen zu stillen. Ja sie lies nicht nach /weil der Liebe Feuer eben itzund in ihm am heftigsten flammete / fort und fort anzuhalten / bis sie die Antwort erhalten.

(99) Und also fing dan endlich Simson an / und sagte: ›er würde gantz unvermögende sein / sobald man sieben Haarlokken seines Heuptes / mit einem Flechtbande / würde geflochten / und mit einem Nagel in den Boden geheftet haben.‹ Mit dieser Antwort schien Delila so wohl zu frieden? zu sein / daß sie nunmehr nicht zweifelte / sie hette dasjenige / was sie so ängstiglich verlanget / wahrhaftig erlanget.

(100) Auch war sie gewislich so wohl ersonnen /daß gantz keine Redensahrt / die einige Falschheit an sich hette / darinnen zu finden. Niemand konte in Zweifel ziehen / daß eher alle. Haarlokken aus dem Kopfe / als der so fest eingeschlagene [446] Nagel aus dem Boden / solten herausgerissen werden. Ja es war alles / in dieser Antwort / so wohl gestellet / so klüglich eingerichtet / daß es anders nicht schien / als daß ihre Wahrheit in der Untersuchung unfehlbar bestehen würde.

(101) Daher ward diese Schälkin überaus froh. Die Freude sahe man ihr aus den Augen / und allen Gebährden flüßen. Alles inwendige war bei ihr befriediget / alles Verlangen gestillet / alle Begierde beruhiget. Es befand sich kein Glied an ihrem Leibe / das ihres Hertzens Lust nicht anzeigete. Der Mund lachete. Die Hände klatscheten. Die Füße sprungen auf.. Der gantze Leib stund in freudiger Bewägung.

(102) Zuvoraus schien ihr Angesicht eine Schauburg der freudigen Liebespiele geworden zu sein: da die Liebe ihre Rolle so wohl spielete / daß der Anschauenden Augen und Hertzen mit lauter Freuden erfüllet warden. Und also erwekte sie in Simsons Hertzen mehr Wohllüste / mehr Ergetzlichkeiten / als er iemahls wünschen können. Ja sie schien im Geben viel freigebiger zu sein / als er im Nehmen begierig sein konte.

(103) Das Schmeucheln / das Liebkosen hatte kein Ende. Keine Venus kan ihren Adonis iemahls so überschwänglich ergetzet haben / als Delila itzund ihren Simson ergetzte. Keine liebe konte so volkommen nicht erdichtet werden / als dieselbe war /welche sie ihm / dem Scheine nach / erwiese. So künstlich wuste diese schlimme Schälkin ihr verrähterisches Gemüht mit dem Mantel der Scheinliebe zu verhüllen! So behände konte sie ihr tükkisches Hertz unter allen ihren falschen Ergetzungen verbergen!

(104) Simson ward über allen diesen so überflüßigen Ergetzungen gantz entzükt. Er wuste nicht mehr / ob er noch bei dem Bache Sorek / oder aber schon bei den Flüssen des Paradieses lustwandelte. Er bildete sich ein aus diesem irdischen Lusttahle gar in die Elisischen Felder versetzet zu sein. So gar ergetzlich kahm ihm alles vor! Er sahe / ja fühlte nichts anders / als lauter Lust / als lauter Ergetzungen. Er spührte nichts anders / als ein liebliches Wohlleben; welches er ewig zu tauren sich festiglich einbildete[447] (105) Und dieses alles / dessen er mit voller Vergnügung genosse / gebahr in ihm so viel Lust / daß er an die Unlust / die schon im Ankommen begriffen / gantz nicht gedachte. Ja er gedachte nicht einmahl / wie närrisch / wie stürrisch ihm Delila mitfahren würde /sobald sie / durch vorwitziges Bewähren seiner Worte / sich abermahl betrogen zu sein erführe. Und also war er gantz sicher. Er lebete gantz ohne Bekümmernis. Ja er vermuhtete keines Weges / daß auf diese liebliche Windstille so ein häsliches Sturmwetter folgen würde.

(106) So vertieft ist ein Verliebter in seiner Liebe /daß er üm das Zukünfftige gantz unbekümmert lebet. So erpicht ist er auf seine gegenwärtige Lust / daß er vergist auf Vorbereitschaft gegen die Unlust / die darauf folgen möchte / zu gedenken. Wan er sich nur mit dem Gegenwärtigen nach Hertzens Lust sättigen mag / so betrachtet er nicht / daß er darnach werde hungern / ja wohl gar verschmachten müssen. Der volgeschänkte Bächer der Wohllust schmäkt ihm so wohl / daß er des künftigen Durstleidens wenig achtet.

(107) Gleichwohl war der verliebte Simson / in aller seiner Wohllust / noch so vorsichtig / daß er sich auf das müglichste bearbeitete den Schlaf aus den Augen zu halten. Er wolte wach und wakker bleiben so lange / ja so viel / als er könte. Und hierdurch war erbedacht die Zeit / darinnen er lügenhaftig solte befunden werden / zurük zu schüben: damit er nicht so bald wieder in das vorige Weh unglüksälig zu werden verfallen möchte.

(108) Aber wie wach und vorsichtig er war / so schlau und listig war auch seine Verrähterin. Sie stellete sich an / als begehrte sie die Wahrheit seiner Worte keines Weges zu untersuchen: damit sie bei ihm nicht etwan in Verdacht kähme / sie trachtete /durch ihre Nachstellungen / ihn zu überlistigen; und er seine Sorgfalt / sich in acht zu nehmen / und ihre Boßheit zu verhindern / üm so viel eher fahren liesse.

(109) Zu dem Ende wartete sie auch etliche Tage. Sie verschob ihren boßhaftigen Anschlag von einer Zeit zur andern. Sie verzog eine guhte Weile das Vorhaben ihrer Grausamkeit zu volziehen. Und dieses täht sie bloß darüm; damit er / aus [448] übriger Behuhtsamkeit / des Schlusses ihrer gotlosen Boßheit nicht gewahr würde / oder zum wenigsten keinen Argwahn auf sie würfe: dadurch sie dan an der Volführung märklich konte gehindert werden.

(110) Sobald sie nun meinte / daß durch Langheit der Zeit aller Argwahn verschwunden / und kein Verdacht mehr in Simsons Gedanken sich einnisteln könte; da berief sie die Filister zum dritten mahle. Sie sperrete sie wieder in den gewöhnlichen Schlaufwinkel. Und diese Bößwichter gehorchten ihr üm so viel lieber / als sie durch die Scheinbarheit der Antwort des Simsons betöhrter waren ihm zu gleuben. Sonst würde man sie an einen solchen Ort /da sie anders nichts / als geteuschet / oder wohl gar erwürget zu werden / gewärtig sein konten / mit Schlagschlägen nicht gebracht haben.

(111) Weil sie wähneten / daß Simsons Stärke fest genagelt / und alle seine Kraft gefesselt sein würde / so waren sie zuerst des glüklichen Ausschlages dieses Handels schon so versichert / daß sie gleichals unverzagt hinzueileten. Ja sie waren schier gantz vol Muhtes / gantz vol Freuden; indem sie sich einbildeten denselben Nagel / daran Simson fest hängen solte / schon / als ein Siegeszeichen / in den Boden eingeschlagen zu sehen.

(112) Unterdessen war Simson / durch den genossenen Schlaftrunk des Wohllustweines almählich eingeschläfert. Ja er geriet endlich in einen so tieffen Schlaf / daß er / als toht und gestorben / ohne einige Bewägung da lag. Und also bekahm Delila gewünschte Gelegenheit ihr fürgenommenes Schelmstükke zu volziehen. Sie flochte dan von seinem Haare sieben Lokken zusammen in einen Zopf. Diesen schlug und heftete sie / mit einem Nagel / so fest an den Bodem des Zimmers / daß es unmüglich schien ihn loß zu reissen.

(113) Ja sie klopfte / sie hämmerte so lange / bis sie den Nagel so tief hinein geschlagen / daß er mit keiner Zange wieder heraus zu ziehen war. Auch versuchte sie selbsten mit eigenen Händen etliche mahl /ob es ihr müglich sein könte denselben heraus zu winden. Und ob sie wohl mit gantzer Gewalt wand / und alle [449] Kräfte daran sträkte / so vermochte sie ihn doch im geringsten nicht waklende zu machen.

(114) Also bildete sie sich dan ein / es sei alles wohl bestellet: sie habe den Nagel stark und tief genug ein / und den Haarzopf des Simsons fest genug angeschlagen. Sie gleubte nunmehr festiglich /Simsons Stärke sei in solchem Zwange / daß sie sich nun / noch nimmermehr / nicht wieder loß zu würken vermöchte. Aber sie wuste doch gleichwohl nicht / daß in seinen dem Scheine nach schwachen Haaren eine so starke gantz unüberwindliche Kraft /daß ihr alle die andern Kräfte weichen müsten / verborgen sei.

(115) In solcher so festen Meinung / darinnen sie schon zu siegesprangen schien / konte sie dannochdie Filister nicht überreden dergleichen zu meinen. Diese waren und blieben noch immer so kleinhertzig / daß sie sich an dem schlafenden / wiewohl auch fest genageltem Simson nicht reiben durften. Der Schrik / den ihnen desselben ungeheure Stärke vor diesem so vielmahl eingejagt / klebete noch so fest in ihren Gliedern / daß sie sich vor dem Zimmer des Simsons kaum bewegen / ich schweige / selbst hinein wagen durften.

(116) Die Erinnerung seiner allemahl glüklichen Siege vergewisserte sie / daß dieser Siegesheld / sobald er sich loß gemacht / unter ihnen eine bluhtige Niederlage anrichten würde. Das Gedächtnis seiner mehr als heldenmäßigen Tahten versicherte sie / daß er / sobald er sich nur rühren könte / sie allesamt auf einen einigen Streich zu Bodem zu schlagen vermöchte. Und darüm durften sie sich nicht erkühnen einen solchen Anfal / der den ihrigen veruhrsachen würde /mit ihrem eignen Schaden zu tuhn.

(117) Ja sie hielten es für eine Verwägenheit / oder vielmehr Tolkühnheit einem solchen Blitze sich zu nahen; welcher / ob er sich schon itzund nicht rührete / dannoch / wan er gezörget würde / mit einem greulichen Donnerwetter über sie ausbrächen könte. Daher schrieb ihnen ihre Klugheit / oder vielmehr Verzagtheit vor / so lange zu verziehen / bis man gewis erfahren / daß er aller Kraft entblößet / und so ohnmächtig sei / daß er keinem Anfalle mehr zu widerstehen vermöchte.

[450] [452](118) Delila schien über die Kleinmühtigkeit ihrer Landsleute sehr übel zu frieden zu sein. Ja sie ging mit Unwillen von ihnen; weil ihr die Zeit viel zu lang fallen wolte den Lohn ihrer Verrähterei / darnach sie so heftig verlangte / zu empfangen. Darüm sprang sie auch / mit poltern und klappern / zur Tühre hinein / nicht anders / als wan sie rasendtol were. Darüm machte sie auch das gewöhnliche Geschrei noch viel grösser / als sie zuvor iemahls gethan / den Schlafenden zur Gegenwehre zu ermahnen. Ja sie rief so laut /daß Simson aus dem Schlafe für Schrökken aufsprang / und den Nagel / mit einem einigen Schwunge des Heuptes / aus dem Boden heraus ris.

(119) Dieser Nagel hing ihm / als ein Siegeszeichen seiner übermenschlichen Stärke / noch im Zopfe / da er sich gantz entrüstet / wiewohl noch schlafirre /die Feinde zu erblikken / auf allen Seiten ümsahe. Im Anfange ward er dessen nicht gewahr: aber als er ihm / mit dem Zopfe / den Hals berührete / da ris er ihn heraus / und schmis ihn / gleichals erzürnet / vor den Füßen des Weibes dermaßen hart nieder / daß er vom Unterbodem aufsprang / und in den Oberbodem hinein fuhr.

(120) Inzwischen brante Delila für grimmigem Zorne. Die Augen wetterleuchteten erschröklich. Die Stirne stund als in vollem Feuer. Die Wangen glüheten. Der Mund donnerte. Die Zunge selbst war als ein Donnerkeil. Ja das gantze Angesicht blitzete mit lauter Zornstrahlen / mit lauter Rachflammen. Sie tobete. Sie wühtete. Sie rasete. Sie stellete sich gantz ungebährdig. Sie stampfte mit den Füßen. Sie schlug üm sich mit den Händen. Bald lief und sprung sie im Zimmer herüm. Bald stund sie gantz star und steif /als eine Bildseule.

(121) In solcher Gestalt bildete sie ab die Abscheuligkeit / die Raserei / die Rachgierigkeit / ja alles was häslich / was greulich / was erschröklich / was wühterisch / was grimmig zu sein pfleget. Also wohneten alle diese Gespenster / alle diese Spukereien in einem Leibe beieinander. Also hielten sie alhier / als in ihrer eigenen Schauburg / ihren gleichals höllischen Aufzug.

(122) Delila stund zwar Anfangs gleichals erstummet. Sie war als erstaunet; weil sie sich nun zum dritten mahle geteuschet befand. Sie konte für alzuheftigem Zorne kein Wort reden. [452] Sie schwieg stokstille. Doch darnach / als der Zorndampf ihres Mundes /der als ein Brenofen rauchete / meist vorüber war/fing sie erschröklich an zu schreien. Ihre Stimme klung / als ein Donner. Ihre Worte waren lauter Donnerkeule / lauter Wetterpfeile / die auf den armsäligen Simson hauffenweise zuschossen.

(123) Sie rief / sie schrie so laut / als sie immer konte: »du undankbahrer / du treuloser Bösewicht! Ist dieses der Dank / dadurch du meine so aufrichtige / so beständige Liebe vergiltest? Ist dieses die Treue /damit du meine so ungeschmünkte / so hertzliche Treue / die ich dir iederzeit erwiesen / erwiederst? Sol dieses die Wahrheit sein / die du mir zu entdekken schwuhrest; indem du mich abermahl mit einer so schändlichen Lügen geteuschet? Ach! du treulosester Lügner! Ach! du abgescheumter Betrüger! Was ich zu zweien mahlen als einen höflichen unbetrüglichen Schertz / auf deine Beredung / angenommen / ist nun zum dritten mahle / ach leider! in einen alzuwahren Schimpf ausgeschlagen.

(124) Dieser alzugroben / alzukenbahren Lügen wirstdu nun keinen Dekmantel mehr ümhängen können; dadurch sie / mit deiner Meineidigkeit / nicht allezeit hin zu scheinen vermöchte. Nun hastdu kein Zierfärblein mehr deine gottlose Falschheit zu vertuschen / deine heillose Betrügerei zu beschönen / deine schändliche Lügen / welche dir als angebohren zu sein scheinen / ihres Schandflekkes zu entsetzen. Ich gleube dir nun nicht mehr. Deinen Glauben hastdu bei mir gantz verlohren.

(125) Ich möchte wohl wissen / was dich bewogen mir die Wahrheit zu verhehlen; da ich dir doch nichts / ja gar nichts verhehlet? Dieses must du selbst gestehen. Dieses kanstdu nicht leugnen; wiewohl du sonst der Lügen gewohnet bist. Ja du weist / wan du es wissen wilst / sehr wohl / daß ich dir allezeit mein Hertz eröfnet.

(126) Befahrestdu dich etwan eines Unheils / wan du meinen Fürwitz mit der Wahrheit abspeisen soltest? Bistdu etwan darüm so schüchtern mir das verlangte Geheimnis zu offenbahren; weil du die Einbildung hast / es möchte dir zum Nachteile gereichen? Ach! nicht zum Nachteile! Dan dein Nachteil / und dein [453] Unheil würde das meinige mit sein. Wan du littest / würde ich mit leiden. Das Ubel / das dir begegnete / würde mir selbst so übel / so weh tuhn / daß ich daraus anders nichts / als den gewissesten Tod / zu gewarten hette.

(127) Meinestdu etwan / ich würde dir untreu werden? Gedenkestdu etwan / ich würde dich verrahten? Wähnestdu etwan / ich würde dich in die Hände der Filister überantworten? Aber denke / noch meine nicht / daß du mich also befinden werdest / wie ich dich befinde. Bistdu untreu? Ich bin es nicht. Bistdu betrügerisch? Ich nicht. Bistdu lügenhaftig? Ich nicht. Bistdu meineidig? Ich werde es nimmermehr sein. Mein Gemüht ist gantz anders gesinnet. Mein Hertz /träget Abscheu für allen diesen Lastern.

(128) Es ist anders nicht / als eine betrügliche Folgerung: weil du untreulich mit mir handelst / daß es strakt folgen müsse / ich werde dergleichen an dir tuhn. Mit dem Maße / damit man dich abmisset / kan ich nicht abgemässen werden Eines andern Untreu aus seiner eigenen schlüßen wollen / ist ein unwahrhaftiger Folgeschlus. Eines andern Gemüht aus seinem eigenen erkennen wollen / ist eine bloße Fehlerkentnis Von mir mus man in alwege anders urteilen / als von dir.

(129) Ich habe dir ja die völlige Besitzung über meinen Leib / über meinen Willen / über mein gantzes Hertz eingereumet. Ja ich habe dich selbst über mein Gemüht / und meine Seele herschen laßen. Alle meine Neugungen seind unter deiner Bohtmäßigkeit gestanden. Du hast sie geneuget und gebeuget / wie du selbst gewolt. Aber mit was für einem Danke hastdu meine so milde Wilfahrung erkennet? Hastdu hingegen mich nicht betrogen? Hastdu mich nicht geäffet? Hastdu mich nicht vor meinem gantzen Volke beleidiget? Hast du mir nicht den grösten Schimpf angetahn?

(130) Wie schön hastdu nun geschwohren mich zu lieben? Wie wahrhaftig hastdu nun mich dein Hertz /dein Leben / deine Seele / deinen Schatz genennt? Wo seind nun alle die Ehrennahmen / die du mir / als deiner einigen und eigenen Liebsten / zugeeignet / geblieben? Doch was wil ich viel sagen? Was wil ich viel fragen? Es ist nichts fremdes / noch seltsames /[454] wan derselbe / der ein Lügner von Gebuhrt ist / sich in einen schönen Engel verstellet; da er doch ein häslicher Teufel in der Taht ist.

(131) Es verdreust mich nichts mehr / als daß ich so gar einfältig gewesen deinen Lügenreden zu gleuben / ja sie gar mit den alleraufrichtigsten Liebesbezeugungen zu vergälten. Es gereuet mich nichts mehr / als daß ich so guht ja so albern gewesen deinen Worten zu trauen / da du mir / daß du mich über alles liebetest / zuschwuhrest. Ja ich verpfuje mich selbsten / daß ich einem solchen Unmenschen / den nur mich zu foltern gelüstet / nachdem er seinen Lusthunger an meinen Ergetzungen gebüßet / mich so gar zu eigen gegeben.

(132) Ich wil mehr sagen. Es tuht mir weh / wan ich daran gedenke / daß ich bisher mehr dir / als mir zuliebe gelebet / und gleichwohl dadurch nichts anders / als Spot und Verachtung / verdienet. Ja es schmertzet mich von Hertzen / daß ich so gar geäffet /geteuschet / und betrogen mus bleiben. Aber dem sei /wie ihm wolle / so bin ich doch versichert / daß ich bei allen diesen Veracht- und Verschmähungen / noch so viel Muhtes behalten / daß ich das Hertz gar wohl haben kan mich zu rächen.

(133) Ja ich wil mich gewislich rächen: doch nicht anders / als durch Veränderung meiner getreuen Liebe in einen unversühnlichen Has. Ich wil dich hassen / so lange sich ein Ahtem in mir beweget. Dieses ist mein fester / mein unveränderlicher Schlus. Und hiermit sol dir alle meine Freundschaft / alle meine Liebe / ja alles / was zur Liebe gehöret / gantz aufgekündiget sein. Hiermit solstdu ewig verbannet sein / nicht allein aus diesem meinem Schoße / von dieser meiner Brust / und aus diesem meinem Hertzen / sondern auch aus allen meinen Sinnen und Gedanken.

(134) Dein Gedächtnis wil ich bei mir gantz ausrotten. Deine Liebe wil ich / samt der Wurtzel / ausjähten. Ich wil sie ausjähten aus meinem Hertzen / mit Strumpf und Stiele. Hingegen wil ich / an deren stat /deinen ewigen Has hinein pflantzen. Ich wil dich hinfort nicht mehr achten / als meinen Liebsten. Ich [455] wil dich halten für meinen Feind. Ja ich wil deine Feindin sterben.

(135) Ich kan zwar leichtlich gedenken / daß du diesen meinen Ban / diese meine Rache / diesen meinen Has wenig achtest; indem du weder meine Liebe /noch meine Treue / noch mich selbsten achtest. Gleichwohl bin ich in der Meinung / daß ich deinen Undank / deine Falschheit / deine Teuscherei mehr als genug werde gerochen haben / wan ich verschaffet /daß du die alleraufrichtigste Treue derselben / die dich bisher so hertzlich geliebet / für ewig verlierest.«

(136) Sobald sie diese Reden volendete / volendete sie auch zugleich den Ban. Sie fing an ihre Rache zu volziehen: indem sie geschwinde zum Zimmer hinaus lief; indem sie ihm ihre Gegenwart entzog / und sich in einer abgelegenen Kammer versperrete. Ja sie lies ihm so viel Zeit nicht / daß er sich hette verantworten können. Auch wolte sie gantz keine Verantwortung /noch Entschuldigung annehmen.

(137) Simson stund als ein Stok. Er fühlete schier keine Bewägung mehr. Zorn und Bestürtzung übermeisterten ihn dermaßen / daß er gantz sinloß zu sein schien. Ja der Schmertz / den er über diesen stachlichten Worten empfing / hatte seil Gemüht so eingenommen / daß er nicht wuste / was er tuhn solte. Er sahe sich nunmehr aller seiner Freuden entsetz. Er sahe sich aus dem Paradiese der Wohllust verbannet. Er sahe sich aller Hofnung zu seiner verlohrnen Glüksäligkeit iemahls wieder zu gelangen / gantz beraubt.

(138) Die Blösse seines Angesichtes deutete die jämmerliche Beschaffenheit seines Gemühtes genug an. Auch konte man hieraus die allerschmertzlichste Pein seines Hertzens / das gleichals zwischen zwei Bretern eingeklämmet lag / leichtlich erkennen. Ihn schmertzte nichts so sehr / als daß er seinen Absagebrief albereit geschrieben / und das Banurteil über seine Liebe schon volzogen sahe.

(139) Dieses war der allergrimmigste Streich / dessen gewaltiger Nachdruck selbst bis in die Seele drung / ja sie gar / vom Leibe zu scheiden suchte. /Auch stund der arme Simson gewislich schon halbentseelet da. Er stund ohne Bewäg- und [456] Empfindung / als eine Bildseule. Er hatte die Macht nicht zu reden. So ohnmächtig war seine Zunge! So schwach war sein Ahtem! So kraftloß waren alle seine Leibesglieder!

(140) Er wuste zwar sehr wohl / wie nachteilig es seiner unvergleichlichen Hoheit were / wan er einer solchen unreinen Mätze / wie Delila war / auf dem Irwege der schnöden und unkeuschen Liebe nacheilete. Er erinnerte sich zwar sehr wohl / daß sein hohes Ansehen / das ihn über alle Männer erhub / märklich geschmählert würde / wan er sich so tief herunter liesse / daß er einem solchen verächtlichen Weibe / mit Verlust alles Ruhmes und aller Ehren / eine so flüchtige Lust und Ergetzung zu erbätteln / gleichsam zu Fuße fiele.

(141) Auch hielt sein Gemüht ihm vor / er sei / bei so beschaffenen Sachen / in alwege verpflichtet durch seine so unüberwindliche Stärke sein Ansehen zu behaupten. Hierzu kahm nachmahls die Vernunft / die ihm riet diejenige / die ihn doch nur in eine jämmerliche Dienstbarkeit zu stürtzen vorhette / fahren zu laßen. Endlich traht das Urteil herbei. Dieses trachtete / durch Anzeigung tausenterlei Unglüks / ihm die unzüchtige Delila dermaßen zu verleiden / daß er sich / dieselbe / die ihn erst verschmähen / wieder zu verschmähen / ja gar aus seinem Hertzen zu verbannen / entschlüßen möchte.

(142) Aber weder das Gemüht / noch die Vernunft / noch auch das Urteil waren so mächtig den Eingebungen der ungestühmen Liebe zu widerstehen. Was jene / durch unterliche Hülfe / gebauet / warf ein jähligen entstandener Sturm verliebter Gedanken straks wieder über einen Hauffen. Und also konte nichts heilsames in Simsons Hertzen beschlossen werden: welches ein heftiger Schwarm unsäliger Schlüsse dermaßen verunruhigte / daß kein Mittel zu finden war diesem so großem Unheile zu steuern.

(143) Ja die Liebe schwatzte dem Simson so viel Liebliches vor / daß er sich nicht entziehen konte sie zu höhren. Bald redete sie von der Holdsäligkeit der Delila. Bald mahlete sie die Anmuhtigkeit ihrer Augen ab. Bald beschrieb sie die Ahrtigkeit ihrer Schmeucheleien. Bald priese sie die Süßigkeit ihrer Ergetzungen. Und hierdurch machte sie seinen Mund immer [457] wässerichter / seine Wunden immer tieffer / seine Begierden immer hitziger.

(144) »Bistdu nicht töhricht« / sagte sie / »daß du deinen durch eigne Verwahrlosung verlohrnen Schatz wiederzusuchen so verzögerst? Bistdu nicht närrisch /daß du einen solchen Schatz / darinnen alle deine Glüksäligkeiten / alle deine Wohllüste bestehen / so schändlich verschertzest? Wilstdu dich dan so muhtwillig desselben Angesichtes berauben / darinnen man alle Schönheiten des Himmels / als in einem kurtzen Begriffe / beschauet? Wilstdu nun ohne Sonnenschein / in der Fünsternis leben; weil du dich von desselben zwo Augensonnen entfernest?

(145) Wo wilstdu deinen Liebesdurst leschen / wan deine trukne Lippen von dem Honigseim ihres Mundes / nieht mehr können trunken werden? Und wo deinen Lusthunger stillen / wan du nicht mehr in dem Garten ihrer Schönheit Hertz und Augen wirst lustsättigen dürfen? Dan die Labung und Weide / deren du alhier so oft genossen / wirst du anderswo so süße /so anmutig / so überflüßig / ja so unversagt / nicht antreffen.

(146) Bei welcher andern wird dir ein so köstliches / ein so anmuhtiges / mit tausenterlei Liebkosungen angerichtetes Lustmahl vorgesetzet werden? AlleinDelila ist es / die alle deine Sinne zur besten Weide führet und einleitet / deren du auch schon so oft mit Wohllust genossen. Eine andere möchte dir mehr versprechen / als sie geben kan: bei der Delila suchestdu sicherlich / was du bei ihr schon so oft gefunden.

(147) Du kanst wohl bei irgend einer andern Haken anschlagen. Aber du wirst gleichwohl immer zurük gedenken. Deine Delila wird dir doch immer im Sinne liegen. Du wirst dieselbe / der du alle deine Neugungen gewiedmet / gleichwohl noch immerzu in deinen Gedanken finden. Und also wjtd dir alle Speise / weil sie die Liebe nicht würtzet / nur bitter schmäkken / wie süße sie sonsten ansich selbsten sein möchte.

(148) Ich wil mehr sagen. Du möchtest auch wohl an etwan eine gerahten / derer Ubermuht / ich wil nicht sagen Muhtwille / dich vielleicht eine langezeit auf die Folterbank schleppen / und unmenschlich peinigen würde / ehe sie dir erleubte die [458] verlangte Lustkost zu kosten. Würdestdu nicht alsdan für Reue / daß du deine Delila so unvorsichtig verlaßen / wie ein Reif zerflüßen / und wie ein Kraut / dem sein Saft /aus Mangel der Feuchtigkeit / entgehet / verdorren?

(149) Ja du möchtest auch wohl zu noch einer anderen gelangen; derer Geldgeitz dir deine Lust überflüßig verpfeffern / oder teuer genug anschlagen würde. Alsdan würdestdu / bei allen und ieden Ergetzungen / den Bluhtiegel / den Bluht und Geld dir auszusaugen gelüstet / wohl fühlen. Alsdan würdestdu /aber zu spähte / wünschen / du werest bei deinerDelila geblieben.

(150) Darüm / o Simson / kehre wieder! kehre wieder! Die Zeit hierzu ist noch nicht gar verflossen. Der Weg stehet dir noch offen zu derselben wiederzukehren / die allezeit willig und bereit gewesen dich mit aller Wohllust nach der Fülle zu sättigen. Wan du diese Zeit verseumest / und aus diesem Wege weichest / so wird dir darnach nichts / als Unruhe deines Hertzens / nichts / als Kummer und Hertzleid aufstoßen. Du wirst deine Plagegeister / ja deinen Tod selbsten stähts vor deinen Augen sehen.«

(151) Auf diesen Einspruch der Liebe / weil erdem Simson in allen Stükken wahrscheinlich /wo nicht selbst wahrhaftig zu sein vorkahm / folgete von Stunden an eine gleichals aberwitzige Verwürrung seiner Gedanken. Diese verbasterte die Vernunft / die seinem Willen widerstrebete. Diese widerstund dem Urteile / das seine betöhrte Neugungen einzuzeumen trachtete. Ja sie stieg so hoch / daß sie den unglüksäügen Simson in einen jämmerlichen Zustand versetzte.

(152) Seine Seele saß ihm schon auf der Zunge /die ihm den so Tod ankündigte. Sein Leben hing an einem dünnen und broschem Fadem; und hiermit lief es nach dem Ende zu. Es konte gewislich auch anders nicht sein: weil seine Gemühtsregungen alles rege machten / alles in ruhr stelleten / was in und an ihm war / und ihn dermaßen beängstigten / daß sein Geist ausgetrieben zu werden sich augenblicklich befahrete.

(153) Aus dergleichen Zufällen der Verliebten scheinet es / daß die Dichtmeister / welche die Liebe nur mit Pfeilen gewafnet [459] / zu wenig getahn: weil sie zugleich auch Donnerkeule führet; damit sie / als eine Donnergöttin / zuweilen die Verliebten gar zu Boden schläget und töhtet. Der Zustand eines Verliebten /wan er die Glüksäligkeit seines Verlangens nicht erlanget / ist also beschaffen / daß er augenbliklich dem Tode zueilet. Die Liebe / sooft sie mit Grausamkeit sich rüstet / lesset sich mit verliebten Gedanken allein nicht befriedigen. Sie wil / ja mus zugleich auch den Willen haben ihren Befehl zu volbringen. Wo sie diesen nicht erlanget / da wirft sie mit Donnerkeulen üm sich / und den Verliebten jämmerlich darnieder.

(154) So zischelte dan der verliebte Simson /von der Peitsche so ungestühmer Plagegeister angetrieben / auf dieser Glander seines Verderbens fort. Er entschlos sich derselben / die er / durch Weigerung ihrer Bitte / zu seinem höchsten Nachteile beleidiget /einen demühtigen Fußfal zu tuhn. Er wolte derselben /die seines Hertzens Abgöttin war / weil et ihrem Willen so ungehorsam gewesen / daß er darüm so grausam müste gestraft werden / mit einer Abbitte begegnen.

(155) Und in diesem entschlüßen begab er sich nach der Kammer zu / darinnen sie sich eingesperret befand. Unter wegens zeigten ihm seine Betrachtungen den Unstern / der ihm sein künftiges Unglük weissagete. Ja sie zeigten ihm an / daß dieser Gang das Mittel sei dahin zu gelangen / dahin ihn die Schweere seines Verhängnisses zu schleppen trachtete. Und darüm bemüheten sie sich ihn zu warnen; damit ihn seine eigene Füße nicht mitten in das Verderben hinein tragen möchten.

(156) Hingegen trieb ihn der ungestühme Trieb seiner Sinne noch immer fort. Die noch immer anhaltende Schmertzen / die ihm Delila / durch ihr Entfernen / veruhrsachet / dreueten ihm / wo er seines Lebens verlohrne Glüksäligkeit nicht bald wieder erlangte / den endlichen Tod. Ja alle seine Gemühtsneugungen stimmeten mitzu. Daher entstund in ihm ein solcher Sturm / daß er / sein eignes Unglük zu suchen / nach der Kammer / zu nicht geschleppet /sondern gejaget ward.

(157) Und also kahm er / eh er es wuste / darvor an. Er [460] klopfte / mit leisem Klopfe / gegen die Tühre. Er lösete / durch einen tiefgehohlten Seufzer / die Zunge. Darauf folgete das Flöhen. Er baht / man möchte doch das Zimmer eröfnen / darinnen er seineDelila / mit aller seiner Glüksäligkeit / eingeschlossen zu sein wüste. Ja er hielt inständig an ihm den Eintrit zu derselben / ohne die er nicht leben könte / noch wolte / zu vergönnen.

(158) Delila lies ihn eine lange weile klopfen. Sie lies ihn / als etwan einen unverschähmten Bätler /eine guhte Zeit bätteln. Sie weigerte sich ihm die Tühre zu eröfnen. Den verlangten Zutrit ihm zu vergönnen hatte sie kein Ohr. Sie antwortete weder Böses / noch Guhtes. Sie schwieg gantz stille. Nicht ein einiges Wörtlein kahm aus ihrem Munde. Und also stellete sie sich / als were sie taub und stum zugleich.

(159) Also macht es ein Weibesbild / dessen Hochmuht / weil es weis / daß es geliebet wird / ihm einbildet eine Göttin zu sein. Also stellet es sich gegen seinen verliebten Beleidiger unerbitlich. Also peinigt es ihn mit solchen immerwährenden Schmertzen / daß es ihm scheinet mehr eine Hänkerin / ja Teufelin / als eine liebsälige Göttin zu sein. Ja es dünkt ihn nicht anders / als wan sich sein Paradies / darinnen er sich / bei Genüßung aller Wohllüste / zuvor befunden /in eine Hölle verwandelt.

(160) Endlich machte sie gleichwohl / nach langem Anhalten / die Kammer auf. Sie vergönte dem Simson den Zutrit. Sie lies seinen Augen zu / ihr Antlitz zu schauen. Diese schweiften und flatterten gleichsam bald üm ihren Mund / bald üm die Augen /bald üm ihr gantzes Angesicht Zaumloß herüm.

(161) Aber er spührete von stunden an / daß die Ernsthaftigkeit ihres Angesichtes ihn auf das neue zu peinigen gesonnen. Daher stund er im Zweifel / ob es rahtsam sei desselben Gewölke / daraus lauter Zornstrahlen geschossen kahmen / beständig anzublikken: zuvoraus als er märkte / daß ihr Kopf mit Meusenestern / und ihr Gehirn mit Spingeweben erfüllet war. Dieses alles hielt ihn auch zurük mit vielen Worten sie anzuflöhen.

(162) Und also entschlos er sich nur allein mit einem Fußfalle [461] zu versuchen / ob er ihre Gnade wieder erlangen künte: weil er in den Gedanken stund /daß diese seine Demuht die meiste Kraft haben würde den Hoch- und Uber-muht ihres Hertzens zu überwinden. Ja er bükte sich schon / er neugte die Kniehe schon vor ihr niederzusinken / als sie befahl seine Bitte stehende /und nicht kniehende zu verrichten.

(163) »Mit dieser Ehre« / sagte sie / »ist mir nicht gedienet. Ich verlange nicht angebähtet / aber wohl aufrichtig geliebet zu sein. Ich bin nicht Ehrgeitzig /aber wohl Liebebegierig. Auch rühret dieser mein Zorn aus keiner Hofart her. Darüm vermag ihn kein Fußfal zu stillen. Es mus etwas anders sein / das meinen schier unerleidlichen Schmertzen ein gewünschtes Ende machen sol. Mein Verlangen wird mit keinem Rauche gesättiget. Alle deine Demuht / alle deine Niedrigkeit / die du mir zu erweisen gedenkest / kan es nicht vergnügen: wan das Wahrzeichen der verlangten Genugtuhung nicht darzu komt.

(164) Ich begehre gewilfahrt / und nicht angebähtet zu sein. Jenes komt mir / als deiner Liebsten / und dieses nur einer Göttin zu. Ich verlange nach keiner Götlichen Ehre / die im Anbähten / in Fußfällen bestehet. Ich heische nur allein das Recht / das die Liebe mir gestattet / das unsere unterliche Liebe mir zuerkennet. Das andere ist nur ein Uberflus eines schalkhaftigen / und kein Zeichen eines getreulich lieben den Hertzens.

(165) Mein Wille wil durchaus bewilfahret sein. Du solst / ja du must / unserer Liebe wegen / die dich dahin verpflichtet / in den Willen deiner Liebsten ein willigen. Wan du dieses zu tuhn dich noch länger streubest / so wisse / daß dein Urteil schon ausgesprochen ist: es mag dir sauer / oder süsse scheinen. Hiermit hast du deine letzte Frist. Wan diese vorüber gestrichen so sein wird / kanstdu keine Gnade mehr erwerben.

(166) Wodurch ich begehre gewilfahret zu werden /ist dir schon so vielmahls gesagt / daß mich ekelt mehr Worte darvon zu machen. Wilstdu in deiner Halsstarrigkeit noch länger verharren; und wilstdu nicht tuhn / was ich getahn haben wil; so pakke dich dan immerhin / so sei dan ewig von meiner Gunst ausgeschlossen / ja ewig von meiner Gegenwart verstoßen. Diese Worte / die ich itzt gesprochen / und noch spräche / [462] sollen die letzten sein. Anders werden zu dir keine mehr aus meinem Munde gehen; es sei dan / daß du gegen dieselbe / die du zu lieben vorgiebest / dich halsstarrig zu erweisen aufhörest.«

(167) Der unglüklich Verliebte vernahm diese Worte mit euserster Bestürtzung. Die Angst seines Hertzens war so überschwänglich groß / daß er nicht wuste / wessen er sich entschlüßen solte. Aus zween eusersten Wegen muste der beste gewehlet / der schlimste vermieden werden. Beide zugleich zu bewandeln war unmüglich. Sein Geheimnis nicht zu offenbahren / und gleichwohl auch zugleich seiner Delila Gunst zu erhalten / waren zwei widereinander streitende Dinge / die sich beide zugleich nicht tuhn liessen.

(168) Simson wuste sehr wohl / wan er sein Geheimnis / seiner Liebsten Gunst zu erhalten / offenbahrte / daß ihm dadurch die höchste Gefahr Leibes und Lebens zustoßen würde. Hingegen sahe er auch /wan er solches nicht straks tähte / daß ihn diesen Augenblik seine Liebste von ihr ewig zu verbannen /und also in die euserste Todes- und Höllen-angst zu stürtzen beschlossen. Aus diesen zwei eusersten Ubeln das erleidlichste zu erwehlen fiel ihm / als einem euserst Verliebtem / viel zu schweer. Hierzu rieht zwar die Vernunft / zusamt dem Urteile. Aber die Liebe vereitelte diesen Raht / und gab / ja drang ihm auf den schlimsten.

(169) So entschlos er sich dan / auf ungestühmes einblasen der Liebe / lieber / durch Entdekkung dieses Geheimnisses / seine Liebste zu vergnügen / und also ihre Gunst zu erhalten / als durch Verschweigung dessen / sie noch ferner zu beleidigen / und ewig von ihr verstoßen zu leben: wiewohl er gewis wuste / daß er durch jenes seine Herligkeit / ja wohl das Leben darzu verlieren würde. Und eben hierzu brachte ihn seine so gar ungezeumt- und ungezähmte Leidenschaft; welche wir / in einem so großen Helden / ja von GOTT selbst erkohrnem Erlöser seines Volkes / billich mit Verwunderung betrachten.

(170) Er eröfnete der Delila / mit kurtzen / wiewohl auch gnugsamen Worten / den lange verlangtenUhrsprung seiner mächtigen Stärke. Er gab ihr zu verstehen / ›sie rühre [463] bloß von GOtt her: welcher ihm / als seinem Verlobten / gleichwohl ausdrüklich befohlen / zur Erhaltung derselben / sein Haar nie verkürtzen zu laßen‹ / Aus diesem Haare /fuhr er fort / entstünde den Filistern der unauflöseliche Unglüksknohten. Und dieses bekräftigte er mit oftwiederhohleten Schwühren.

(171) Doch die Schwühre weren alhier nicht nöhtig gewesen die ausgesprochene Wahrheit damit zu versiegeln.Weil Simson aus der Erfahrung wuste /daß er durch Lügen seinen Tod veruhrsachte; so trug er nunmehr Abscheu sich dardurch noch ferner in Gefahr zu stürtzen. Und eben darüm durfte man itzund keinen Argwahn der Lügen auf ihn werfen. Das Hertz kan einem solchen Munde / der ihm durch seine Zunge / wan es mit dem Tode ringet / zu Hülfe kömt /keine Lügen eingeben.

(172) Man durfte nicht gedenken / daß derselbe /der / durch Verkauffang falscher Wahren / in die euserste Lebensgefahr gerahten / von neuem dergleichen Wahren verkauffen würde Simson war schon dreimahl / der Lügen wegen / gewitziget. Darüm entzog er sich das vierde mahl zu lügen. Ein inbrünstig Verliebter unterstehet sich nicht mehr / die Wahrheit derselben zu verschweigen / die ihn deswegen albereit in die euserste Todesnoht gebracht.

(173) Delila begunte sich unter diesen des Simsons Worten algemach zu stillen. Sie begab sich in Ruhe. Sie befand sich befriediget. Die Heftigkeit des Zornes lies nach. Das düstere Gewölke / das den Glantz ihres Angesichtes verdunkelte / verzog sich. Die Augensonnen fingen an wieder hervorzublikken. Sie spitzte die Ohren. Sie lauschte / sie horchte fleissig? zu. Sie gab achtung auf den innerlichen Verstand aller Worte / die aus dem tiefsten Grunde des Hertzens heraus zu kommen schienen.

(174) Hierüber ward sie so vergnügt / daß sie alle Zornstrahlen / die sich unter die Schönheit ihres Angesichtes vermischet befanden / verbannete. Die Liebe / die bisher bei ihr als erstorben gelegen / begunte nunmehr wieder zu blühen. Auch lies sie dieselbedem Simson gantz ehrerbietig blikken. Wie lieblich die wiederaufgeklährte Luft / nach verzogenem Sturme / gleichsam lachet / so lieblich / so anmuhtig /so freundlich [464] lachten auch alle ihre Gebährden. Alle ihre Worte waren gleichals mit Zukker bestreuet /gleichals mit Seide bekleidet / gleichals mit Bluhmen gezieret. So süße / so sanfte / so liebreich geschmükt gingen sie aus ihrem lächlenden Munde!

(175) Simson ward über diese so plötzliche Veränderung seiner Liebsten gantz entzükt. Er war zum höchsten erfreuet / daß dieselbe / die ihm bisher eine zornige Rachgöttin zu sein geschienen / in eine liebreiche Huldgöttin verändert worden. Und eben darüm veränderte sich auch sein gantzer Schmertz in lauter Lust. Er vergaß alles seines Kummers. Er gedachte nicht einmahl mehr an das heftige Wehleiden /das ihm ihre närrische Widerspänstigkeit bisnochzu veruhrsachet. Ja er vergrub alles / was vorgegangen /in das Grab der ewigen Undacht.

(176) Nunmehr war er auf nichts mehr bedacht / als alles dessen zu genüßen / was ein Verliebter zu begehren / und eine Geliebte zu gewähren vermag. Er schifte nunmehr / in überchwänglichen Freuden / auf dem vollen Meere der Wohllust / mit guhtem nachwinde. Alles ging nach Willen und Wunsche glüklich fort. Er war kaum so begierig zu nehmen / als seineDelila zu geben sich freigebig erwiese. Er befand sich kaum so lüstern nach ihren Begünstigungen / als sie im Ausspenden derselben verschwänderisch war.

(177) Unterdessen bemühete sich die Gotlose Frau abermahl die Filister einzutagen. Sie trachtete dieselben aufs neue zu versamlen. Doch diese hatten Schwahnsfedern in den Ohren. Sie besorgeten sich wieder geteuschet zu werden. Und darüm wolten sie nicht kommen. An stat sich einladen zu laßen / schikten sie der Delila die schmählichsten Worte zu. Sie beschuldigten sie einer närrischen Leichtgleubigkeit. Sie verwiesen ihr / daß sie allen Lügen zu gleuben so gar einfältig / so gar albern sei. Ja sie hielten ihr schimpflich vor / daß sie sich so leichtlich / so lüderlich über den Tülpel werfen liesse.

(178) Sie konten / noch wolten nicht begreiffen /daß in den Haaren / die nur aus den Dämpfen und Dünsten des Heuptes entstünden / eine so wunderbahre Stärke stekken solte. Sie wolten nicht gleuben / daß die Göttliche Almacht / derer [465] Geheimnisse sie nicht verstunden / eine solche Kraft / selbst durch ein schwaches Haar / irgend einem Menschen mitteilen könte. Ja sie hielten es gantz für unmüglich. Und darüm verlachten und verspotteten sie nur alles / wasDelila sagte.

(179) Aber diese Schälkin urteilte gantz anders. Sie wuste wohl / wie schweer es zugegangen / diese Worte dem Simson aus dem Munde zu lokken. Sie hatte gnugsam verspühret / was für ein Selbstreit und Widerwille bei ihm entstanden / ehe sie ihn dahin bringen können sie auszusprächen. Und darüm sei es wohl gleublich / daß sie mit dem Safte der Wahrheit angefüllet weren.

(180) Wie bald / und wie leichtlich die Lügen verschwinden / so bald und so leichtlich springen sie auch über die Zunge. Aber die Wahrheit / die in den tiefsten Winkeln des Hertzens verborgen lieget / eusert sich so bald / und so leichtlich nicht. Es gehet mit ihrem Ausbruche sehr schweerlich / sehr langsam zu; weil sie den Has der Lügen liebenden Welt flühet /und sich daher in eine so tieffe Kluft verbürget.

(181) Delila lies nicht nach die schläferigenFilister aufzumuntern. Sie hielt immer an die Ungleubigen gleubig / und die Zweiflenden Hofnungsvol zu machen. Und hierzu führete sie ihnen so kräftige Bewägreden zu Gemühte / daß sie ihr endlich musten gewonnen geben. Endlich überwältigte sie dan die Ungestühmigkeit ihres Anhaltens. Endlich liessen sie die Abrahtungen ihres eigenen Urteils fahren / und begaben sich auf die Spuhr / die ihnen Delila zeigete / des glüklichen Ausschlages ihrer gemachten Hofnung zu erwarten.

(182) Sie gingen wieder in die gewöhnliche Kammer / die ihnen einen sicheren Schlaufwinkel für Simsons Grimme, verhies. Straks darauf begunte sie zu schmeucheln. Straks fing sie an zu liebkosen. Straks ergetzte sie ihn mit den allerersinlichsten Liebespielen. Sie boht ihm ihren Schoß zum Hauptküssen an /damit sie ihn üm so viel eher in den Schlaf wiegen möchte. Auch konte die Verrähterei keine bessere Wiege finden / als diese / die ein unglükliches Grab ist der unvorsichtig Verliebten.

(183) Die Ergetzungen / die Simson alda kostete / waren [466] ihm so süße / daß er von dar in das Paradies entzükt zu sein schien. Ja er war auch gäntzlich entzükt. Er befand sich nicht mehr bei sich selbst: weil der Schlaf ihn mit solcher Gewalt überfiel / daß alles Empfinden von ihm wiche. Er fühlete nun nichts mehr. Er schlief gantz sicher und unbesorgt. Selbst schlief er so fest / daß er mehr toht / als lebendig zu sein schien: indem man nichts lebendiges an ihm spührte / dan das bloße Röcheln und Schnarchen.

(184) Mitler weile setzte Delila die Schähre verrähterisch an. Sie schnitte das glüksfällige Haar vom Heupte herunter.

In sieben Schnitten lag es auf ihrem Schoße. Und hiermit verwüstete sie dasselbe Haar / das die Wunder Göttlicher Almacht in Simsons Stärke / so lange es auf seinem Heupte gestanden / erhalten hatte. Ja hiermit lag es / samt dieser übermenschlichen Stärke /vom Leibe geschieden.

(185) Also hatte dan der armsälige Simson dieselbe Hoheit / die ihn über alle Menschen erhub / so lüderlich verlohren. Also war er nunmehr der Menschlichen Schwachheit unterworfen; weil er sich seiner übermenschlichen Stärke verlustig gemacht sahe. Also war dan derselbe / der an Herligkeit / an Kraft und Macht alle Sterblichen so weit übertraf /daß er alle ihre Macht / alle ihre Kraft vereitelte / nunmehr anders nicht / als ein ander gebrächlicher Mensch.

(186) Alhier erblikken wir / in dieser Begäbnis /die Wahrheit dessen / das man saget: Menschliche Hoheiten hängen an einem zahrten Hährlein. Menschliche Herligkeiten kleben an einem dünnen Drähtlein. Sobald dieses Hährlein / dieses Drähtlein bricht / lieget die Hoheit / lieget die Herligkeit gefället. SobaldSimsons Haar / das seine Hoheit / seine Herligkeit / seine Macht und Kraft bewahrete / zerbrach / oder vielmehr ab-oder zerschnitten ward; da hatten alle diese Fürtrefligkeiten / alle diese Schätzbarkeiten bei ihm ein Ende.

(187) Was ist zährter / was ist dünner / was ist zerbrächlicher / was kan leichter versänget / und zerstükket werden / als ein Haar? Ach! wie eine schwache Stütze war dieses / den ehmals glüksäligen Simson bei solcher seiner überschwänglichen Glüksäligkeit zu erhalten! Ach! wie bald kan das Glükshaar [467] / das wir mit unsern Händen vermeinen fest zu halten / zerbrächen! Ach! wie bald werden die Wohllüste dieser Welt / die nichts / als Haare / das ist eitel Eitelkeiten seind! durch Trübsalen unterbrochen / ja gar vereitelt!

(188) Darüm möchte man sich nicht unbillig wundern / daß der Entzug dieser Eitelkeiten uns so gar entstellet / daß das Gemühte dadurch alle seine Ruhe verlieret / desselben Neugungen aufrührisch gemacht /und die Gedanken zum unterlichen Kriege gereitzet werden: darauf dan nichts / als Unlust / als Schmertzhafigkeit / ja nichts / als Verzweiflung folget. Zu diesen Jammern führet uns die Gewalttähtigkeit unserer Gemühtstriften / ja stürtzet uns endlich wohl gar in das euserste Verderben.

(189) Wie mancher entziehet sich nicht üm den Verlust eines Hährleins alle seine Wohlfahrt und Ehre / ja das Leben selbst zu verschertzen! Wie mancher peiniget sich selbsten mit schmertzlicher Unruhe / ja begehet wohl gar einen Selbmord / wan er siehet / daß er dasselbe / darnach ihn verlanget / nicht zu erlangen vermag! Wie manchen betrübet eine nichtswürdige Buhlschaft / die ihm nicht werden kan / so heftig / daß er darüber in euserste Verzweifelung / oder wohl gar in Todesnoht verfält!

(190) Ein solcher in seiner eigenen Lustsucht ersoffener eigensinniger Starkopf war auch Simson: der aller seiner Hoheit / aller seiner Herligkeit / aller seiner Wohlfahrt / und Ruhe viellieber entbähren wolte /als einer einigen eigensinnigen Lust: darauf er dermaßen erpicht war / daß er sich selbst zu foltern eher nicht nachlies / als bis er sie / mit unersetzlichem Verluste seiner Ehren / ja seiner Augen selbst / erlangte.

(191) Als er nun / über dem Schreien und Rufen seiner Liebsten / oder vielmehr seiner Ate / sie eigendlicher zu nennen / erwachte / da gedachte er: »ich wil ausreissen / wie ich ehmahls getahn. Ich wil meinen Feinden entflühen.« Aber er wuste nicht / daß der HERR von ihm gewichen. Er wuste nicht / daß er seine Kraft verlohren / und gantz schwach / wie andere Menschen / geworden. Dieses vernahm er erst / als er seine sieben Lokken auf dem Boden erblikte. Hieraus ward ihm der [468] Verlust seiner Stärke straks kund. Hieraus nahm er straks ab / daß er verrahten sei.

(192) Nunmehr erblikte man an ihm die Wahrzeichen der Schwäche. Sein Angesicht ward gantz blas. Seine Hände böbeten. Die Furcht schien ihm aus den Augen. Das Schrökken lies sich an allen seinen Gliedmaßen sehen. Der gantze Leib zitterte. Er richtete sich zwar auf die Füße. Doch dieses ging so schweerlich zu / daß er den Verlust seiner Kraft märklich spührete; weil er kaum so viel Ahtems hatte sich zu bewägen.

(193) Er blikte sich selbst gantz bestürtzt / gantz beschähmt / mit traurigen Augen / an. Bestürtzt war er über sich selbst / daß er / der kurtz zuvor unter allen Sterblichen der Stärkeste gewesen / nunmehr schier der Schwächste sein müste. Beschähmt war er /daß er seine Stärke selbsten verwahrloset / selbsten verschertzet; ja daß er sie / durch seinen eigenen Muhtwillen / so gar lüderlich verschertzet. Darüm war er auch so traurig / so betrübt. Darüm sahe er so kümmerlich aus.

(194) Durch diese Märkzeichen der Schwachheit warden die Filister ermuntert ihn anzufallen. Sie gaben ihrer gewöhnlichen Zaghaftigkeit Uhrlaub /und fasseten einen ungemeinen Muht einen so grossen Feind zu dämpfen. Sie rüsteten sich mit Grausamkeit zur Rache. Endlich fielen sie über ihn her mit solcher Grimmigkeit / als wolten sie ihn gantz zerfleischen /zergliedern / und in tausend Stükke zerreissen.

(195) Inzwischen stund der arme Simson gantz ohne Bewägung. Er hatte das Hertz nicht sich nur im geringsten zu wehren. Seine Gemühtsmuhtigkeit war fort. Seine Tapferkeit verlies ihn. Die Mattigkeit herschete über seinen gantzen Leib. Er knikbeinete für Schwachheit der Gelenke / wie ein Trunkenbold. In seiner Faust / die sonst alles zerschmetterte / war itzund schier so viel Kraft nicht / daß er sie aufhöben konte. Ja sein Arm / der so viel Ritterliche Tahten verübet / so viel mächtige Feinde geschlagen / so viel herliche Siege / mit großen Ehren / erhalten / hing als gelähmet am Leibe herunter.

(196) Ich wil mehr sagen. Die ungeheure Bildseule / darinnen die Kraft und Stärke der tapfersten Helden / als in einem kurtzen Begriffe / beieinander war / und die Herligkeit Götlicher Almacht [469] sich blikken ließen /war itzund so schwach / so ohnmächtig / daß sie dem geringsten Anlauffe dieser tobenden Feinde nicht widerstehen konnte. Und also muste derselbe / der ehemahls ihre Peitsche gewesen / sie / als seine Hänker /hänkermäßig mit ihm ümspringen laßen.

(197) Sie stachen ihm die Augen aus. Und dieses tähten sie vielleicht darüm; weil nichts erschröklichers an ihm war / als eben dieselben / wan sie /durch ihre Blikke / Zornflammen aus-streueten: oder aber weil sie / als Anstifter des Aufruhrs wider Simsons Hoheit / allein ein solches Todesurteil verdienet. Sonst tähten sie ihm nichts weder an seinem Leibe / noch an seinem Leben. Sie führeten ihn nur also geblendet / und in Fessel geschlagen nachGaza.

(198) Sobald man mit ihm vor die Stadt gelanget /lief schon eine grosse Mänge Volkes heraus / denselben / der sich unterstehen dürfen ihr Stadttohr über einen Hauffen zu schmeissen / und dessen Tohrflügel darvon zu tragen / gefangen und gebunden zu sehen. Es konte kein Siegeseinzug mit grösserem Frohlokken / und Freudengeschrei gehalten werden / als dieserder Filister / mit dem unglüksäligen überwundenem Simson.

(199) In der Stadt selbsten ward der Zulauf noch zehenmahl grösser. Es blieb schier kein Mensch in den Heusern; ohne nur in denen Gassen / da man ihn durchführete. Alhier waren alle Heuser volgepfropft mit Menschen. Alle Dächer stunden so dichte mit Volke besetzt / daß sie eine so schweere Last kaum tragen konten. Man drängete / ja zertraht schier einander auf den Gassen. So dichte lieffen die Leute / klein und groß / zusammen / wo Simson hinkahm!

(200) Dieselben / die ihn gefesselt führeten / trahten einher mit stoltzem Tritte / und prangeten mit ihm / als die tapfersten Siegshelden mit etwan einem gefangenen Fürsten / in den her-lichsten Siegsgeprängen. Also ward dan der armsälige Simson / unter dem erschröklichen Klange der Spotreden / und Schmähworte / darbei ihn auch einer hier / der andere dort zupfete / nach dem Gefängnisse gebracht. Alhier war es / da er / als ein [470] geblendetes Pferd / oder ein Esel / in der Stampfmühle das Rad ümtreiben muste.

(201) Man kan leichtlich gedenken / wie dem armen Simson / bei so plötzlicher Glüks- und Standes-veränderung / mus zu muhte gewesen sein: indem er aus einem Stahtsrichter des gantzen Volks GOttes / ja aus einem so unüberwindlichen Helden ein so gar verachteter Mühlenesel hat werden müssen. Man kan leichtlich erachten / wie heftig es ihn geschmertzet / daß er / seiner herlichen Hoheit und hohen Herligkeit beraubt / nicht in einen Knechtischen /nicht in einen Gefänglichen / sondern gar in den Stand eines verächtlichen Lasttieres herunter gestürtzet worden.

(202) Doch dieses alles könte man nicht besser beschreiben / als aus seinen eigenen Reden / die er mit sich selbst gesprochen; oder aus seinen eigenen Gedanken / die er dazumahl / in seinem Elende / gehabt. Unter andern / weis ich gewis / wird er sich / als einen töhrichten Anbähter derselben stünkenden Götzin /die ihn in diesen Jammerstand gestürtzet / selbsten gescholten / verpfujet / und angespiehen haben.

(203) Ja mich dünkt / ich höre noch itzund ihn also reden: »O unglüksäliger Simson! wo ist nun dein Ruhm / daß du ein Wunder der Welt gewesen / geblieben? Wo ist nun deine Hoheit / deine Herligkeit /dein Ansehen / das du gehabt deiner unüberwindlichen Stärke wegen von iederman gefürchtet / ja von denen / welche die Vielheit der Gottheiten gestehen /gar für einen Gott gehalten zu werden / hingekommen? Ach! wie ist alles dieses verschwunden; nachdem du ein verächtliches Schauspiel der Welt / eine Zielscheibe des Spottes und höhnischen Gelächters geworden!

(204) Was hülft es dich nun / daß du so viel Helden- ja Wunder-tahten getahn? Was hülft es dich eine so unvergleichliche Stärke gehabt zu haben / daß du /ohne Beistand einiger Menschen / gantze Kriegsheere verheeret / so viel Feinde geschlagen / und allezeit ein Uberwinder gewesen; weil nun deine Stärke gefesselt / und du selbst / in einem schweeren Gefängnisse / der Rachgierigkeit deiner Feinde Zielmärk sein must?

[471] (205) Aber was wil ich viel sagen? Was wil ich viel klagen? Daß ich aus einer euser- sten Glüksäligkeit in diesen eusersten Unglüksstand so tief herunter gestürtzt bin / daran hat niemand Schuld / als ich selbst. Ich bin selbst die Uhrsache meines Verderbens: indem ich meinen unbändigen Gemühtsneugungen den Zügel zu lang gelaßen; indem ich ein unreines Weibsbild / das nichts kan / als Lügen und Betrügen / mich leiten / oder vielmehr verleiten laßen. Von dar komt mir alles Elend her. Dieses ist der Uhrsprung meines Verderbens.

(206) Ich wuste wohl / daß ein solches Weibesbild in ihrem Schilde die Verrähterei / in ihrem Wapen die Untreue führete. Ich wuste / daß alle Gänge / die ich zu ihr tähte / mich mit ihren Scheinliebelungen zu ergetzen / nur lauter Sturtzfälle weren; dadurch ich mein hohes Ansehen verlieren / und aller meiner Herligkeit mich beraubet sehen würde. Noch dannoch war ich so hartnäkkig / daß ich weder die Vernunft / noch das Urteil / die mich darvon abrieten / iemahls hörete; daß ich nur allein meinen bösen Lüsten folgete.

(207) Ich wil mehr sagen. Die Erfahrung selbst warnete mich für der Verrähterei dieser Gottlosen Mätze. Doch gleichwohl war ich so achtloß mich zu hühten / und ihren betrügerischen Lagen zu entflühen. Ach! weh mir / daß ich so leichtsinnig / so leichtgleubig / ja gegen eine solche Betrügerin so gar guht- und offen-hertzig gewesen / daß ich ihr alle Geheimnisse meines Hertzens geoffenbahret! Ach! weh mir / daß ich einer solchen Ertzbetrügerin / üm eine Hand vol eiteler Wohllüste / so gar mein Hertz verpfänden /meine Sinne wiedmen / meine Liebe zueignen / ja mich selbst so lüderlich verkauffen müssen / daß ich nunmehr in die schmählichste Leibeigenschaft gerahten!

(208) Ich wil hiermit alle Jünglinge treulich warnen sich für solchen Weibsbildern zu hühten; derer Schönheit sie nachlauffen ein Paradies zu suchen /und doch nur eine Hölle finden. Ich wil sie / durch dieses mein Beispiel / warnen / sich in solcher Liebe /die den Mund mit Honige / das Hertz aber mit Galle beschmieret / und so einen trübsäligen Ausgang gewinnet / nicht zu vertieffen. An mir können sie sich spiegeln. Mit [472] meinem Schaden können sie lernen den ihrigen zu verhühten.«

(209) Diese und dergleichen Jammergedanken /oder vielmehr Jammerreden / führete Simson in und mit sich selbst / als er eine große Mänge Spötter /seine Schmertzen zu vervielfältigen / vor seinem Gefängnisse stehen sahe. Hierdurch / indem man ihn mit den allerschärfsten Schmähworten zu beladen immerfort anhielt / ward sein Grim in ihm dermaßen aufgereitzet / daß er schier rasendtol zu werden begunte. Ja er schien auch zu rasen / als die Einbildung ihm zum Troste vorhielt / er sei nicht derselbe Simson / dessen Glüksäligkeit ehmahls so herlich geblühet. Und eben daher war er üm so viel weniger betrübt / daß er itzund so unglüksälig sei.

(210) Seiner Feinde Vorsatz war ihn nicht zu tönten. Sie vermeinten ihrer Grausamkeit ein grösseres Genügen zu tuhn / wan sie ihn lange Zeit folterten /als wan sie ihn straks auf ein-mahl hinrichteten. Und dieses scheinet auch die Almacht GOttes verhindert zu haben; damit er sich vor seinem Ende noch kräftiger / als er iemahls getahn / rächen möchte. Ja darüm ward ihm sein Haar / zum Wahrzeichen seiner wiederanwachsenden Stärke / selbst im Gefängnisse wiedergegeben.

(211) Unterdessen beschlossen die Fünffürsten der Filister ihrem Korn- und Fladen-götzen / dem Dagon /ein algemeines Dankfest zu halten; weil er ihnen ihren Feind Simson in ihre Hände gegeben. Die Vorbereitung hierzu war schon volbracht. Das Götzenhaus stund auf das prächtigste / mit vielerhand Schmukke /versehen. Ja alles stund färtig / als die Fünffürsten /mit einem großen Gepränge / den Einzug hielten.

(212) Mitten im Götzenhause fanden sie eine lange Tafel gedekt. Alda solten sie / mit den Priestern / ein Freudenmahl halten. Alda setzte man sich nach der Reihe herüm. Die Speisemeister liessen die Speisen /in etlichen Gängen / auftragen. Diese hatte man alle zum köstlichsten / zum nietlichsten zugerichtet. Die Üppigkeit und der Uberflus waren Tafeldiener. Der Mäßigkeit / der Rahtsamkeit vergönte man keinen Zutrit. Bei diesem Freudenmahle sich finden zu laßen war ihnen verbohten.

(213) Die Tafelreden / die alhier vorgingen / waren schier [473] allein vom gefangenen Simson / und seiner Verrähterin. Jener ward jämmerlich durch die Spothechel gezogen / und diese / ihrer wohlausgeführten Verrähterei wegen / gar bis in den Himmel erhoben. Niemand war zugegen / der hierüber nicht von Hertzen gefrohlokket / gejauchzet / und mit großen Worten geprahlet hette. Und also mochte dieses Mahl billich ein Freudenmahl heissen: doch nur so lange / bis es Simson dem gantzen Filisterlande nachmahls zu einem jämmerlichen Trauermahle machte.

(214) Als sie sich nun alle wohl gemästet und wohl bezechet hatten / da stund man auf sich mit allerhand Spielen / wie bei Schlüßung dergleichen Feiertage gebreuchlich / zu erlustigen. Zu diesen Spielen ward auch Simson / ihr gröster Spielnarre zu sein / gehohlet. Das gantze Volk frohlokte / bei seiner Ankunft /mit einem so überausgroßem Geschrei / daß das Götzenhaus darvon vol ward. Auch lobete man den Abgott Dagon / daß er so mächtig und so gühtig gewesen den Filistern ihren Feind / der ihr Land verderbet /und so viel Einwohner erschlagen / in ihre Hand zu geben.

(215) Simson ward dan / durch einen Knaben /in das Götzenhaus hinein geführet: welches die Schauburg seiner Verspottung / doch auch zugleich die Siegesburg seiner wiedererlangten Stärke / wo nicht auch das Grabmahl der Filister sein solte. Eine schier unzählbare Mänge der Menschen war alda schon von allen Enden her zusammen gelauffen. Man wartete seiner mit großem Verlangen. Und als er durch den Drang mitten in das Götzenhaus hinein ging / da ward er von einem hier / vom andern dort bald gezupfet / bald verspottet.

(216) Das Lachen / das Spotten / das Hohnekken /das Lästern / das Schmähen / das Beschimpfen hatte kein Ende. Rund üm ihn her / auf allen Seiten / ja selbst von oben / vom Dache herunter vernahm man nichts / als lauter Beleidigungen / als lauter Stichelreden / die dem armen Manne / gleichals spitzige Pfeile / das Hertz schier töhtlich verwundeten. Daher stund er von der Mänge so vieler Schmertzen gleichals beteubt. [474] Er stund / in voller Bestürtzung / gleichals unbewäglich / gleichals unempfindlich.

(217) Unterdessen vergaß gleichwohl seines GOttes die Seele nicht. Sie bewägte sich Ihn / als ihr Endziel / eifrig zu suchen; weil sie unter den Menschen nichts / als Trübsaal / als Verfolgung litte. Ja sie bewägte sich in Simsons Hertzen dermaßen / daß er von stunden an Muht fassete die Almacht GOttes / die seine Schmaach allein rächen / und seine verlohrne Kraft ihm allein wiedergeben könte / hertzinniglich anzuflöhen.

(218) »Ach! mein GOTT« / sprach er bei sich selbst / »wilstdu dan ewig über mich zürnen? Sol dan dein Grim / weil ich gesündiget / fort und fort währen? Ach! ich habe gesündiget. An dir habe ich gesündiget. Das weis ich / das bekenne ich / das betrübet mich / das ängstiget mich / das reuet mich. Ach ja! es reuet mich / daß ich so schweerlich gesündiget. Darüm hoffe ich auch / Du werdest meine Sünde vertilgen. Ja ich habe das Vertrauen zu deiner grundlosen Gühte / Du werdest deine Gnade wieder über mir aufgehen laßen.

(219) Ich bin ja dein Knecht. Ich bin das Heupt deines Volkes / zu dessen Erlösung Du mich selbst erkohren. Ich bin ja derselbe Simson / der vom Beginne seiner Gebuhrt an das Vorrecht gehabt / in der Rolle deiner Liebsten zu stehen. Du hast mir gleichwohl das Amt anvertrauet deinen auserwehlten Kindern die Wunder deiner Almacht kund zu tuhn. Warüm sol mich dan nun einieder deines Schutzes beraubt / und in der Gewalt dieser deiner Feinde verlaßen sehen?

(220) Du sihest ja selbsten / wie boßhaftig sie mit mir handeln. Ja du siehest / der Du alles siehest /mein euserstes Elend.Dieses sehen / und sich nicht erbarmen; dieses anschauen / und keine Rettung leisten / ist der Uberschwängligkeit deiner liebe / ja der unendlichen Grosse deiner Barmhertzigkeit alzunachteilig. Darüm darf ich auch nicht zweifeln / Du werdest mir zu derselben Rache / die ich deiner / meiner / und deines Volkes Schmaach wegen / an diesen Gottlosen auszuüben verlange / diejenige Stärke / die Du mir entzogen / wieder verleihen.

[475] (221) Ei! so verziehe dan nicht / mein Helfer! Teile deinem Diener ein Gnadenstüklein aus der Schatzkammer deiner Almacht mit! Stärke diesen Arm! Bekräftige diese Faust! Gib diesem Leibe neue Stärke /neue Kraft / neues Vermögen; damit ich Dich und mich / vor meinem Ende / noch emmahl räche! Es sterbe Simson / mit den Filistern / das Verdienst deiner Herligkeit / durch seinen / und ihren Tod / zu ehren! Es sterbe Simson / wan er nur / durch Ertöhtung vieler seiner Feinde / ein ruhmherlicher Uberwinder kan werden!

(222) Ich bin des Lebens müde. Die Erfahrung so vieler Trübsalen verleidet es mir. Daher wird es mir lieber sein in meiner Rache zu sterben / als in der Peinigung länger zu leben. Zu dieser Rache treibet mich nicht so sehr an mein eigener Grol / als der Eifer für deine Ehre. Darüm verleihe mir / mein GOtt / aus dem Schoße deiner Almacht so viel Stärke / daß ich das letzte Wunder / zum Zeugnisse deiner Gottheit /und deines Beistandes / glüklich volende!«

(223) Nachdem er diese Reden ausgesprochen /fühlete sich seine Stärke von stunden an erneuert. Ja er fühlete / daß seine Glieder kräftiger / sein Arm stärker / und sein Hertz muhtiger zu werden begunte. Und darüm baht er den Knaben / der ihn leitete / daß er ihn zu einer der zwo Hauptseulen / darauf das Götzenhaus stund / bringen möchte / seinen ermüdeten Leib daran zu lähnen. Diese Bitte ward straks volzogen. Auch war niemand / der es verhinderte; weil dieselbe Gegend vielleicht dienlicher schien den Simson vor aller Augen spielen zu sehen.

(224) Sobald er dahin gelanget / erneuerte er seine Bitte zu seinem GOtte / welcher der Kraftgeber zur Volziehung einer so so herlichen Wundertaht sein solte. Er flöhete / mit innerlicher Andacht / Ihn an /seinen Arm zu stärken / und seine Faust zu führen; damit er diese seine Feinde teils lebendig begraben /teils im Begraben entseelen mochte. Hierauf fing er alsobald an zu einem so ruhmwürdigen Anschlage /der in einem Stieiche sein Leben / und zugleich seine Siege schlüßen solte / sich färtig zu machen.

(225) Er ümarmete die zwo Seulen / auf denen der gantze [476] Bau ruhete / die eine mit seinem rechten / die andere mit seinem linken Arme. Diese hielt er so fest /und schüttelte sie so gewaltig / daß das gantze Gebeu kaum zu wakkeln begunte / als man es schon über einen Hauffen gefallen sahe. Und also schien es / daß er / als ein Erlöser des Volkes Gottes / mit solchen seinen aus- und voneinander-gesträkten Armen dasselbe Kreutz vorbilden wolte / daran der Erlöser der gantzen Welt hängen / und das allerherlichste Siegsgepränge über die höllischen Filister / in seinem Tode selbst halten solte.

(226) Ja es schien / als wolte dieses durch das gewaltige schütteln bewägte böbende / knakkende und krachende Götzenhaus selbsten das Schütteln und Bewägen der Grundfeste des Erdbodems bei dem allerheiligsten Leiden und Sterben unsers algemeinen Erlösers und Heilandes vorbilden: da zugleich der Vorhang im Hause GOttes in zwei Stükke zerris / von oben an bis unten aus; da die Felsen zersprangen / die Gräber sich auftähten / und viel Leiber der Heiligen /auch Simson selbsten / wie etliche der Kirchenlehrer gemeinet / aufstunden. Und also scheinet schier alles /was in Simsons Leben bis in seinen Tod vorging /ausgenommen sein sündliches Wesen / das allheiligste Leben / Leiden und Sterben unsers Heilandes gleichsam vorgebildet zu haben.

(227) Die Filister warden Anfangs über dieser des Simsons kreutzweise gemachten Stellung veranlaßet / ihn fast eben also / wie unserem leidenden gekreutzigtem Heilande geschahe / zu verhohnekken /zu verspotten / und auf das schmählichste zu verschimpfen. Aber ihr höhnisches Gelächter verkehrte sich bald in Weinen. Ihr spöttisches Frohlokken verwandelte sich bald in ein trauriges Jammergeschrei. Ihr schmähliches Narrenspiel veränderte sich bald in ein erschrökliches Schauspiel. So bald sie das Gebeu wakkeln sahen / und desselben knakken / knakken /krachen und prasseln höreten; da sahen sie schon ihr Grab vor Augen / da höreten sie schon die Bohtschaft / die ihnen den Tod verkündigte.

(228) Simson hatte den zweiten Ruk mit gewaltiger Stärke kaum getahn; kaum war dieses Wort / es sterbe Simson / mit den Filistern / aus seinem Munde: da wichen die Seulen [477] [479]und Balken aus ihrem Stande: da fiel das Dach / darauf bei dreitausend Männer und Weiber stunden / plötzlich herunter / und das gantze Götzenhaus / darinnen die Fünffürsten selbst waren / mit allen Umgängen / über einen Hauffen. Also stürmete Simson dem Dagon sein Haus /gleichwie Kristus nachmahls dem höllischen Dagon sein Raubschlos gestürmet. Also ward er / in seinem Tode selbst / ein Siegesheld über die Filister / gleichwie Kristus / in seinem Tode / ein Siegesfürst über die höllischen Filister / den Teufel und Tod / geworden. So viel vermochte der Grim eines Menschen! So viel würkte GOttes Gerechtigkeit!

(229) Das Geheule / das Geschrei / das Jammern der gedrükten / der verletzten / und halberschlagenenFilister erfüllete zur Stunde die Luft. Die andern /die entweder für Furcht / oder unter der Last des Gebeues straks toht blieben / hielten ein ewiges Stilschweigen. Und dieser zehlete man über dreitausend. Also warden / mit ihm / und in seinem Tode / ungleich mehr Menschen getöhtet / als er / in seinem Leben / und in allen seinen Schlachten / erschlagen. Also ward dieses Götzenhaus das allerberühmteste Wundergrab / darinnen der Dagonsgötze selbst / mitten unter seinen Götzendienern / begraben sein muste.

(230) Dagon ward gebildet / als ein Fisch / mit eines Menschen Kopfe / Füßen / und Händen / oder vielleicht mehr mit einer Fischhaut überzogen. Diese Fischgestalt deutet auch Samuel an / wan er saget: daß Dagon / in Gegenwart der Lade des Bundes / seinen Kopf / und beide Hände verlohren / aber die Gestalt des Fisches behalten; wie es die Ebräischen Sprachmeister erklähren. Ja der Nahme Dagon selbst zeiget eben dieselbe Gestalt an. So kahm dan eben dieser Nahme so wohl / als die Gestalt selbsten /einem Götzen als eigen zu; weil alle solche Götzen nichts anders / als stumme Bildseulen / und eben so stum / als die Fische / seind: wiewohl etliche dem Dagon auch eine Menschliche Sprache zuschreiben /ja wohl gar sagen dürfen / er habe die Menschen den Akkerbau gelehret; daher es auch vielleicht kommen /daß ihn seine Götzendiener / als einen Gott der Feldfrüchte geehret.

[479] (231) Simson scheuete sich für einem so jämmerlichen Tode gantz nicht: weil er wuste / daß er der Filister Tod sein solte. Er flohe nicht die Sense des Todes; weil er wuste / daß sie sowohl seinen Feinden / als ihm selbsten / den Lebensfaden abschneiden solte. Derselbe Tod / der den Tod der Feinde befördert / ist besser / als das Leben selbst / welches in stähter Gefahr stehet geraubet zu werden. Es ist rühmlicher und glüksäliger mit Ehren sterben / als in Schmaach und Schande leben; da das Leben selbst ein Tod ist.

(232) Ein solches Ende nahm derselbe Mensch /den alle / die nicht wusten / daß er eine Wundergebuhrt der Almacht GOttes sei / seiner übermenschlichen Macht wegen alr einen Gott ehren musten. Ein solches Ende nahm Simson / dessen Herligkeiten so hoch gestiegen / auch so tief wieder herunter gefallen / daß ihn die Nachwelt selbst als ein Weltwunder /ja zugleich als ein Beispiel des vergänglichen Wesens Menschlicher Hoheit / und der grausamen Wühterei unserer Gemühtstriebe fort und fort so wohl mit höchster Verwunderung / als mitleidender Bestürtzung betrachten mus.

(233) Wie unglüklich er kurtz vor seinem Ende war / so glüklich ward er wieder im Ende selbst. Dieses machte er treflich guht. Er starb / als ein Siegesheld /in vollem Siegesgepränge. Er lies einen solchen Ruhm / ein solches Wunderzeichen seiner Stärke hinter sich / daß man dessen ewig gedenken wird Mitten in seinem Siegesgepränge fand er sein Grab / das ihm seine Hände selbst aus den Zeichen seines Sieges gebauet. Die erschlagene Leichen ziereten es / gleihals so viel tausend Bildseulen / so überaus herlich / als kein königliches Grabmahl / so lange die Welt gestanden / iemahls hat können gezieret werden.

(234) Ich wil mehr sagen. Es war ein großes Vorteil seines Ruhmes / daß niemand / als er selbst / dieses Heldenwunder / welches niemahls ohne Niederlage seiner Feinde gefochten / niemahls ohne Siegeseroberung gestritten / erlegt zu haben sich rühmen konte. Von seinem selbst eigenem Arme bekahm er den Todesstreich / eben als er den allerhöchsten /allerstahtlichsten / allerruhmwürdigsten Sieg darvon trug / ja einen solchen Sieg / [480] von dem man reden und schreiben wird / so lange die Sonne / die dazumahl Zuschauerin war eines so großen Wunderwerkes / den Erdkreus bescheinet.

(235) Und obschon der Verlust seiner Säligkeit /aus diesem scheinbarem Selbmorde / könte gemuhtmaßet werden; so wollen wir doch lieber der unendlichen Gühte GOttes das Wort reden / als gleuben / daß dieser algemeine Richter den Richter von Israel /einiger Sünde wegen / nach seiner gestrengen Gerechtigkeit / solte verurteilet haben: zumahl weil Er ihn iederzeit von seiner Gebuhrt an / aus eigenem Triebe /so sonderlich beschirmet / ja ihm auch überdas eine so gar sonderliche Stärke / dadurch er alle Menschen weit übertraf / verliehen / daß er sich selbsten wider alle Gewalt der mächtigsten Kriegsheere zu beschirmen vermochte.

(236) Ja was noch mehr ist / ob Er ihn schon / seines Verbrächens wegen / auf eine gar kurtze Zeit dieser Stärke beraubet / und selbst in der Feinde Hand übergegeben; so hat Er ihn doch / auf sein ängstliches Bitten und Flöhen / straks wieder dermaßen gestärket / daß er an seinen Feinden eine so große Rache volbringen können / unangesehen er selbst das Leben miteingebüßet. In Betrachtung alles dessen wird auch niemand gleuben / daß der grundgühtige GOTT denselben / den Er so hoch begnadiget / in eben der Zeit / da Er ihm seine Hülfe so kräftiglich blikken lies / solte verlaßen / und seine Seele dem höllischen Reuber zum Raube gegeben haben.

(237) Zudem weil GOTT ihn zum Erlöser und Rächer seines Volkes / ja zugleich zur Geissel derFilister erwehlet / und er keine andere Gelegenheit hatte / als mit Verlierung seines Lebens / diese von seinem Gesetze niemahls verbohtene / ja von GOtt vielmehr gebohtene Rache zu verüben; so war es nur ein Zufal sein Selbmörder zu werden. Und also hat er sich / durch diese Taht / keiner Sünde mehr teilhaftig gemacht / als irgend ein ander Held / der nicht aus Verzweifelung / sondern aus Tapfermühtigkeit /sich mitten in die Feinde hinein wagt / und dahinein setzt / da er seinen gewissen Tod vor Augen siehet.

[481] (238) Ein solcher hat den Vorsatz nicht seinen Tod zu befördern / sondern den Feind zu erlegen. Darüm ist er auch kein Selbmörder / wan er schon das Leben einbüßet; sondern ein tapferer Kriegesman / welcher /weil er seine Kriegespflicht getreulich beobachtet /billich zu preisen. Den Tod nicht achten ist kein selbstangetahner Tod. Auch ist es keine Sünde / sondern ein Zeichen einer Großmühtigkeit / das aus der Tugend herrühret. Dem sei nun / wie ihm wolle / so kan doch kein Zweifel / worauf er sich auch immermehr gründen mag / den großen Ruhm des Simsons verkleinern. Sein Lebenslauf wird dannoch ein klahrer Spiegel sein / darinnen man die Hoheit der Menschligkeit viel höher erblikket / als sie in aller andern Menschen Lebensgeschicht erblikket kan werden.

(239) Dieses zu beschlüßen fügen wir noch hinzu /daß Simsons Gebrächen / dadurch er sich sonst versündigt? zu haben möchte bezüchtiget werden / nur Liebegebrächen gewesen: Kein Irtuhm verdienet mehr entschuldiget zu werden / als der aus Liebe geschiehet. Die Liebe ist den Menschet so eigen / daß die Menschligkeit ohne sie nicht zu bestehen vermag. Wo die liebe aufhöret / höret das Menschliche Leben auf. Darüm ist es nicht fremde / wan wir / durch den Anblik einer Schönheit / verliebt werden.

(240) Das schön und lieblich ist / nicht lieben wollen / fält unsrem Willen alzuschweer; weil ihm das Gesetz dasselbe / was ihm die Vernunft als ein solches vorhält / zu ergreiffen / gleichsam eingebohren ist. Lieben ist an und vor sich selbsten keine Sünde /kein Laster. Es ist vielmehr eine Tugend. Die Sünde stekt im alzuviel: ja sie stekt in der Unordnung. Alzuviel lieben / und in der Liebe die Geschöpfe dem Schöpfer vorziehen / das ist Sünde.

(241) Wan der Wille / durch die Nohtwendigkeit das Schöne zu lieben angereitzet / die Schranken der Liebe / welche die Vernunft ihm vorschreibet / zaumloß überschreitet: das ist das Alzuviel / und die Unordnung / welches wir für Sünde rechnen.

(242) Ach! wie gern wolte der Mensch sich rechtfärtigen / er fehle nicht / wan er ein Weibesbild liebet; oder zum wenigsten erweisen / dieser Fehler verdiene Verzeihung / weil er den [482] Nohtzwang zum Vorsprecher hat. Die Macht der Weibesbilder / deren sie sich über unsere Gemühtsneugungen anmaßen / ist auch in Wahrheit so groß / daß keine andere Macht zu finden / die uns so gewalttähtig / als der Weibsbilder ihre /begegnet.

(243) Darum handelt derselbe klüglich / der die Liebe zu rechter Zeit zeumet / und ihr selbsten Maß und Ziel vorschreibet. Der Schiffer / der sich unvorsichtig oder muhtwillig in den Sturm begiebt / verdienet nicht beklaget / vielweniger entschuldiget zu werden / wan er Schifbruch gelitten: weil er seinem Urteile folgen sollen / das ihm gerahten aus dem Sturme zu bleiben. Wer die Gefahr meidet / die er vor Augen siehet / und meiden kan / der tuht weislich. Hingegen handelt derselbe töhricht / der mit vollen Springen darnachzu eilet / ob er schon vorher weis / daß er in das Verderben rennet.

(244) Aber es schien unziemlich zu sein / daß ein solcher Rüstzeug GOttes / als Simson war / unter den Gottlosen liegen solte. Es schien einem Richter /ja Erlöser des Volkes GOttes nachteilig zu sein / daß er in einem solchen Grabe / darein die Göttliche Rache den Hochmuht der Heiden durch ihn gestürtzet / wiewohl er es ihm zugleich selbst gebauet / solte begraben bleiben. GOtt wolte den Leichnam desselben /der sein Verlobter / und unter die Zahl seiner Liebsten gezehlet war / in der Gewalt seiner Feinde nicht laßen. Er wolte nicht zulaßen / daß er / mitten unter den Leichen der Unbeschnittenen / unter dem Schutte dieses niedergestürtzten Götzenhauses / an einer so unheiligen Stätte / bei einem so greulichen Götzen /seiner Verwäsung erwarten solte.

(245) Es war genug / daß Simson alda sein letztes Siegsgepränge volbracht. Er hatte nun / nach seinem sieghaften Tode / dieser allerruhmherlichsten Siegsehre lange genug genossen / als seine Brüder sich aufmachten seinen Leichnam abzuhohlen. Sein gantzes Väterliche Haus machte sich auf. Alle seine Befreundte zogen gen Gaza. Alda huben sie ihn auf / und führeten ihn in ihr Land. Die Filister durften nichts darwider sagen. Sie durften es nicht verhindern; weil es GOTT also haben wolte.

[483] (246) Und also brachten sie ihn ungehindert zum Grabmahle seines Vaters Manoah / welches zwischen Estaol / und Zarea lag. Alhier setzten sie ihn bei. Alhier solte Simson / dem Leibe nach / ruhen. Alhier solte dieser ruhmherliche Richter des Volks GOttes der letzten Zukunft / wo nicht der Auferstehung / seines und aller Menschen Richters erwarten. Alhier blieb er dan / zu seinen Eltern versamlet / liegen; nachdem er das Volk GOttes zwanzig Jahr mit Ruhm und Ehren / wiewohl auch mit vielen Mühsäligkeiten beladen / gerichtet.


ENDE.

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TextGrid Repository (2012). Zesen, Philipp von. Romane. Simson. Das 10. Buch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AE95-3