[317] [319]Das achte Buch.

Die (1) Einteilung.


Als nun die Zeit herbei kahm / die Simson zum Leichenbegängnisse seiner frommen Mutter bestimmet; da ward das Gerichte geschlossen / der Gerichtssaal versperret / und Simson feierte von allen seinen Amtsgeschäften / dieser Trauer nach Gebühr abzuwarten. Ja die Stahtsheupter / die Aeltesten / die Vornehmsten des gantzen Israels hielten ihrem Stahtsrichter Geselschaft. Alle folgeten / mit ihm / der Leiche. Die Anzahl der Trauerleute war so groß / daß sie von Simsons Mütterlichem Hause bis an das Begräbnis reichete.

(2) Alda ward dan diese Gottsälige Frau / ihrem ehmahls lieben Ehmanne zur Seite / beigesetzet. Alda genos sie nun desselben Geselschaft / dessen Haus-und Bet-genossin sie so manche Jahre gewesen. Alda ruheten nun diese beide / die in einem Hause so friedlich / so liebsälig zusammen gelebet / in einem Grabe beieinander. Alda war es / da sie beide miteinander auf die Zukunft ihres Erlösers / ihres Seeligmachers /in das ewige seelige Leben versetzet zu werden / warten solten.

(3) Simson lies ihr zu Ehren nicht allein einen sonderlichen Grabstein setzen / und darauf / unter an dern / das Lob ihrer Tugenden schreiben; sondern auch deswegen selbst eine Lobrede halten: wiewohl es zu der Zeit bei den Begräbnissen der Kinder des Israels / zuvoraus der Weibsbilder was ungewöhnliches war. Und also schien es / daß er seiner frommen Mutter gantz ungemeine Tugend / nach ihrem Ableiben / auch auf eine gantz ungemeine Weise wolte geehret haben.

(4) Dieses verdinete sie auch in Wahrheit / durch ihre so fürtrefliche Tugend / noch vielmehr / als nach der Zeit / durch seine Freigäbigkeit / das Röhmische Frauenzimmer; dem der Raht zu Rohm / weil es seinen gantzen kostbaren Schmuk hergegeben die Stadtvon den Galliern zu erlösen / eben so wohl /als dem Mansvolke / ein solches öffendliche Lob /nach [319] desselben Tode / zuerkante; wiewohl diese Freiheit wohl drei hundert Jahre darnach / bei dem Begräbnisse der Popillia / des Katulus Mutter / zuerst in Gewohnheit gebracht worden.

(5) Alhier möchte man nicht unbillich fragen: warüm seine so Tugendvolkommene Mutter ihr Großer Sohn nicht auch innerhalb der Stadt Zarea / in etwan einem Heiligthume / sondern ausserhalb / auf einem offenen und freiem Felde / begraben laßen? Hierauf geben wir zur Antwort: daß Simson / weil er ein Vorstand und Bewahrer der Satzungen des Volkes Gottes war / darinnen alle Tohten ausserhalb der Stadt zu begraben gebohten ward / derselbe / der sie überschritte / nicht sein wollen.

(6) Es scheinet aber diese Satzung von den Tohtengräbern nicht allein unter dem Volke Gottes /sondern auch bei andern / und fürnähmlich bei den Griechen und Röhmern aus zweierlei Uhrsachen gestiftet zu sein. Die erste ging den Gottesdienst an: die andere die gemeine Wohlfahrt. Dort vermeinte man / daß das Heilige / durch die Tohtenleiber / entheiliget / und beschmützet würde: hier aber / daß derselben Gestank etwan die Luft verfälschen / ja gar vergiften / und die Leiber der noch lebenden anstekken möchte / sofern man die Leichen in den Städten begrübe.

(7) Darüm war auch nicht nur den Priestern Gottes / sondern auch den Götzenpfaffen / unter etlichen Völkern / zu den Tohten zu gehen verbohten. Ja diese durften zu keinen Gräbern kommen / noch einen Tohten ansehen / viel weniger anrühren; auch nicht einmahl die Grab- und Klage-lieder pfeiffen hören. Selbst die Schuhe / die man aus dem Leder des Viehes / das von sich selbst gestorben / gemacht / durften sie nicht tragen.

(8) Ich wil mehr sagen: die Bildseulen der Götzen warden / wan sie an solchen Oertern stunden / da man oftmahls Menschen hinrichtete / mit Tüchern behangen; damit sie die Hingerichteten nicht sehen möchten. Daher lies Keiser Klaudius des Augusts Bildseule vom Fechtplatze wegsetzen; weil er nicht wolte / daß sie der vielen Mistähter wegen / die sich alda fast täglich toht zu fechten gezwungen warden / nicht allezeit verdekt stehen müste.

[320] (9) Aus eben derselben Gewohnheit entspros es /daß Josias / der Jüden König / in die Götzenheuser / die man wider Gottes Befehl gebauet / als er sie entheiligen / und den Götzendienst darinnen vernichtigen wolte / Tohtengebeine zu tragen befahl. Ja daher kahm es / daß bei den Röhmern der so genente Leermachende Götze Viduus / der den Leib / wie sie wähneten / indem er ihm die Seele raubete / gleichsam ausleerete / als ein trauriger Leichengötze / nicht in der Stadt / sondern ausserhalb stehen muste. So durften auch bei den Griechen die Tohtengräber und dergleichen Leute nicht in der Stadt wohnen. Alle musten sich / von der Bürgerschaft abgesondert / vor den Stadttohren aufhalten.

(10) Und darüm hat man sich freilich zu verwundern / daß diese löbliche Gewohnheit bei den heutigen Kristen so gar vernichtiget worden / daß sie ihre Tohten nicht nur auf die Gottesäkker / innerhalb der Ringmauern der Städte / sondern gar in die geweiheten Gottesheuser und Heiligtühmer begraben: dadurch dan solche heilige Oerter entheiliget / und unter den Menschen zugleich manche Seuchen und Krankheiten erwekket werden.

(11) Unter den ersten Kristen war es nicht also. Diese folgeten der Göttlichen Satzung. Diese begruben keine Leichen in ihren Städten / viel weniger in ihren Gottesheusern. Aber mit der Zeit ward den Päbsten / und andern Heiligen Leuten / in den Heiligtühmern ihre Grab- und Ruhe-stätten zu haben vergönnet. Darnach wolten auch Keiser und Könige diese Ehre haben. Ja zuletzt ward es so gemein / daß selbst die allergeringsten / die gantz nichts rühmliches in der Welt gestiftet / und oftmahls die allersündhaftigsten / allerboßhaftigsten / die Unflähter unter den Kristen / ja gar Teufelskinder in solchen heiligen Gebeuen / die zum Gottesdienste gebauet und gewiedmet waren / musten begraben werden.

(12) Aber wir wollen uns bei den Tohten / und Tohtengräbern nicht länger aufhalten. Wir haben genug von Traurigen Dingen geredet. Nun müssen wir auch etwas anders / wo nicht Fröhliches / doch das mit mehr Lust und Ergetzung anzuhören sein wird / vorbringen. Und hierzu giebet uns Anlaß das Widerfahren [321] der schönen Timnatterin: welche der Egiptische Königliche Fürst eben üm diese Zeit entführen lies.

(13) Gemeldte Schöne hielt sich / im Abwesen des Fünffürsten / auf einem seiner Lustheuser auf. Alda hatte sie sich auf einen Abend eben zu Bette begeben / als ein behangener Wagen vor das Tohr kahm. Die Reiter / die ihn begleiteten / klopften an. Der Vornehmste darunter begehrte sie zu sprächen. Er gab vor: er kähme vom Landtage. Er were vom Fünffürsten ausgeschikt sie zu hohlen. Es sei alda etwas wüchtiges vorgefallen / darbei ihr Anwesen erheischet würde. Darüm müste sie bald aufsitzen. Ehe der Tag anbreche / müsten sie da sein.

(14) Weil nun die Armsälige von einem Diener des Fünffürsten / der von ihnen mit Gelde bestochen / und in ihren Geselschaft war / eben dasselbe verstund; so gleubete sie / daß es wahr sei / was sie hörete. Und darüm kleidete sie sich straks an / und begab sich mit auf die Reise. Diese ging nach Gaza / oder vielmehr nach dem Munde des Flusses Besor zu: da ein Egiptisches Schif ihrer wartete / sie in den nächsten Seemund des Niels / den Schlüssel des Egiptischen Königreichs / welchen man nach der Zeit den Pelusischen Hafen genennet / zu bringen.

(15) Alda war es / da sie die schöne Timnatterin in gemeldtes Schif brachten. Ja von dar war es / da sie / in die Mittelländische See / zu Segel gingen / und ihren Lauf nach der Egiptischen zu nahmen. Bisher hatte diese Schöne keine böse Vermuhtung gehabt. Bisher hatte sie nichts geargwähnet. Aber nunmehr begunten ihr Schwahnsfedern zu wachsen. Es kahm ihr verdächtig vor / daß sie zu Schiffe nach dem Landtage gehen solte; zuvoraus durch eine so große See. Darüm rief sie den Diener des Fünffürsten zu sich. Dem sagte sie heimlich ins Ohr: »dis ist ja der Weg nicht nach dem Landtage. Wir seind ja schon aus dem Filisterlande weg. Wo wollen wir dan hin?«

(16) Doch dieser / wiewohl er üm alles wuste / verbarg ihr die rechte Wahrheit. Er sagte nur: weil es auf dem Lande / der Straßenreuber wegen / in dem Gebürge / was unsicher sei / [322] hette der Fünffürst befohlen / sie zu Wasser zu ihm zu bringen. Man würde nach etlichen Stunden wieder in einen andern Hafen desFilisterlandes einlauffen. Von dannen sei es sicherer zu reisen. Von dannen würden sie vollend zu Lande fortgehen.

(17) Gleichwohl blieb sie unruhig. Gleichwohl konten diese Reden ihr den Verdacht / den sie geschöpfet / nicht aus dem Sinne bringen. Daher entstund bei ihr eine so große Traurigkeit / daß sie sich des Weinens nicht enthalten konte. Der vornehmste der Abgefärtigten suchte sie zwar zu trösten. Aber ie mehr er ihr Trost zusprach / ie unmuhtiger / ie betrübter sie ward: zuvoraus als er ihr endlich zu verstehen gab / daß sie einem Königlichen Fürsten / der sich in ihre Schönheit verliebet / solte zugeführet werden.

(18) Uber solchen so fremden Bericht entsetzte sie sich dermaßen / daß sie straks in Ohnmacht niedersunk. Eine guhte weile lag sie / als toht. Nicht ein einiges Glied regete sich. Nur der Ahtem gab ein Zeichen / daß noch einiges Leben in ihr sei. Dieser / der im Anfange gantz schwach war / begunte nunmer immer stärker zu werden / als sie / auf einen tiefgehohlten Seufzer / mit gantz leiser Stimme sagte: »Du Schelm! du Bösewicht! du Verrähter! wer ist dieser Königliche Fürst?«

(19) »Er ist ein solcher« / fing der Egipter hierauf an / »über dessen Durchleuchtigstem Heupte des mächtigen Königreichs Egipten Krohne hänget: der gebohren ist einen so mächtigen Reichsstab zu führen: ja der beschlossen hat / Sie / neben sich / auf den Egiptischen Reichsstuhl zu setzen. Und zu dem Ende hat er mich abgefärtiget Sie zu hohlen. Itzund gehen wir darnach zu; da man Sie / als eine Egiptische Königliche Fürstin / ja künftige Königin selbst / mit frohlokkenden Stimmen wird wilkommen heissen.«

(20) »Ist derselbe / der dich abgefärtiget« / fiel ihm die schöne Timnatterin in die Rede / »ein Königlicher Fürst! warüm fängt er dan sein Vornehmen nicht auch Königlich an? Warüm handelt er Reuberisch? Suchet er mich zu ehren; warüm lesset er mich dan rauben? Ist er in mich verliebet / [323] und trachtet er mir seine Liebe zu erweisen; warüm begehet er dan solche häsliche Dinge? Warüm jaget er mich dan in ein solches Schrökken? Ein Königlicher Fürst mus Königlich /und nicht Straßenreuberisch handeln. Ein wahrer Liebhaber mus tuhn / was der Liebe gemäß ist. Darüm / weil er wider seinen Königlichen Stand / und wider seine Liebe handelt / kan ich ihn mit nichten weder für einen Königlichen Fürsten / noch für einen Liebhaber erkennen.«

(21) Indem sie dieses redete / zog über ihnen ein Schwarm schwartzer Wolken zusammen; daraus ein erschrökliches. Donnerwetter gebrochen kahm. Erst fing es an fort und fort zu blitzen / zu wetterleuchten. Darnach hörete man von weitem ein Brummen in der Luft / ein Sausen und Brausen auf dem Wasser. Endlich folgeten die härtesten Donnerschläge. Die Wolken barsten gleich als voneinander. Es krachte / es knakte / es knasterte und prasselte so greulich / als solte der Himmel zu trümmern gehen. Die Donnerkeule pfiffen / und schossen / mit Feuerstrahlen begleitet / so gewaltig herunter / daß denen / die es höreten / die es sahen / die Haare zu Berge stunden.

(22) Ja es war nicht genug / daß über ihnen der erzürnete Himmel also stürmete. Die See selbsten stürmete neben und unter ihnen zugleich. Die erboßete Wasserwogen / durch den Wind aufgereitzet / flogen bald Himmelan / bald sunken sie wieder nach dem Abgrunde zu. Diese schossen / schlugen / und stiessen so gewaltig / und mit solchem puffen auf das Schif zu / daß man augenbliklich vermeinte seinen Untergang zu sehen. Es war erschröklich anzuschauen / wie es durch die ungeheuren Wällen bald in die Höhe / bald wieder herunter / und bald auf diese /bald auf jene Seite geschmissen ward.

(23) Guhter Raht war alhier teuer. Die Segel hingen zerflattert. Der Mast lag zerschmettert. Das Ruder stund gelähmet. Des Schiffers Kunst war vereitelt /und das Schif selbsten schier gantz vol Wassers gespühlet. Also trieb es der abscheuliche Sturm /wohin er wolte. Also warfen es die Wällen bald hier-bald dort-hin. Die armsälige schöne Timnatterin war in der eusersten Angst. Furcht und Schrökken hatten sie so eingenommen / [324] daß sie zitterte / daß sie böbete / wie das Espenlaub. Sie ächzete /sie kärmete so häftig / daß sie auch die Steine selbst zum Mitleiden hette bewegen mögen.

(24) »Ach!« sagte sie mit wehmühtiger Stimme /»wie bin ich so unglüksälig? Haben sich dan alle Uhrwesen wider mich verschworen? Sol ich dan nun auf dieser wüsten See mein Leben endigen? Sol ich nun in diesen wilden Wällen begraben werden? Ach! ich erschrökke / wan ich daran gedenke. Doch was sage / was klage ich? Es ist besser / es ist ehrlicher alhier zu sterben / alhier begraben zu werden / als in eines gottlosen Wühterichs / als in eines unbarmhertzigen Menschenreubers Händen mit tausenterlei Todesängsten gepeiniget werden.«

(25) Unterdessen hatten die andern alle genug zu tuhn das Wasser auszuschöpfen; damit das Schiflein nicht gar versinken möchte. Und also bekümmerte sich niemand üm diese trübsälige Schöne. Niemand sprach ihr ein einiges Wort zu. Niemand sahe sich nach ihr üm. So eifrig waren sie bemühet Schif und Leben zu retten. Aber es war alles vergebens / was sie tähten. Und ob sie schon endlich einige Hofnung bekahmen das Land zu erreichen; indem sie / durch den Sturm / nach dem Munde des Flusses Sihor zu getrieben warden: so ward ihnen doch diese Hofnung bald vereitelt.

(26) Weil das Ruder unbrauchbar gemacht war /konten sie das Schif weder wenden / noch lenken. Und daher begab es sich / als sie vor diesen Flus kahmen / daß es auf eine harte Sandbank geschmissen ward. In einem Augenblikke war es mitten voneinander geborsten. Die eine Hälfte sunk / mit allen Menschen / straks unter. Die andere / darinnen die schöne Timnatterin sich gantz allein befand / ward vollend nach dem Lande zu getrieben. Es währete so lange nicht / als ich dieses schreibe / da lag sie / durch eine gewaltiggroße Wasserwoge / schon auf das Ufer geworfen.

(27) Die Armsälige wuste nicht / wie ihr geschahe. Sie vermeinte noch in der See zu liegen; weil sie gantz trieffendnas war. Unterdessen legte sich der Sturm. Der Wind ward stille / der Himmel klahr / das Gewölke durchscheinende. Durch dieses brach die Sonne hin. Ihre Strahlen machten das Wetter [325] [327]lieblich /und die Luft warm / ja die halbtohte Timnatterin wieder lebendig. Auch begunte sie in Wahrheit das Leben volkömlich wieder zu fühlen; indem sie sich aufrichtete / und mit der Hälfte des Schiffes / auf dem truknen Lande sahe.

(28) Alhier befand sie sich zwar wieder im Gebiete der Filister / und nicht sehr weit von Bersabe / der Grentzstadt des Filisterlandes. Aber sie war gleichwohl aus einer Gefahr in die andere gerahten; indem sie die Bersabische Wüste vor sich hatte / da sie nirgend einigen Menschen erblikte. Darüm / nachdem sie ihre Kleider ein wenig getruknet / machte sie sich auf / einige Wohnungen zu suchen. Aber sie geriet so weit vom Wege nach Bersabe weg / und so tief in die Wildnis hinein / daß sie keinen Ort antraf / da Menschen wohneten.

(29) Inzwischen nahete die Nacht herbei. Es begunte dömmerlich zu werden. Da überfiel sie der Schrik. Da ümgab sie die Furcht. Der Angstschweis brach ihr aus. Darüm eilete sie mit geschwindern Schritten fort. Sie hofte noch immer einigen Ort anzutreffen / da sich Menschen enthielten / und da sie für dem Anfalle der wilden reissenden Tiere versichert sein könte. Aber sie traf keinen an.

(30) Doch geriet sie endlich / in der Dömmerung /an eine Feuerstätte. Alda fand sie / zu guhtem Glükke / neben den Kohlen und der Asche / noch einen neuen Topf / mit einem Feuerzeuge. Dieses war ein gewisses Zeichen / daß an hiesigem Orte kurtz zuvor einige Leute gewesen / welche das gemeldte Küchengerähte zweifelsohne vergessen. Auch stunden üm den Ort herüm etliche Feigenbeume / mit reiffen Feigen. Von denen aß sie / ihren Hunger zu stillen / ein guhtes Teil.

(31) Weil sie nun die Düsternis überfiel / beschlos sie alda zu übernachten. Und zu dem Ende machte sie ein Feuer an: darzu ihr der Feuerschlag / und das ümliegende dürre Holtz dienen muste. Bei demselben setzte sie sich traurig nieder. Die Furcht und das Schrökken liessen nicht zu / daß sie schlief. Sie saß /und horchte stähts / ob sie nicht irgendwo einiges Menschen Stimme vernehmen könte. Aber sie vernahm keine.

(32) Alhier war es / da sie alles / was ihr die Zeit ihres Lebens [327] über begegnet / in ihren Gedanken betrachtete. Alhier war es / da sie allen ihren Glüks- und Unglüks-fällen nachdachte. Ja alhier war es / da sie diese kläglichen Worte / mit oft wiederhohlten Seufzern / wehmühtiglich auslies.

(33) »Ach! ich Elende!« sagte sie. »Ach! ich Trübsälige! ich Armsälige! ich Trostlose! über die alle Wetter gehen! Wan wird der Himmel mich zu bekümmern / und mein Glük zu verschlimmern aufhören? Hat er mich nur darüm auf einen so hohen Güpfel der weltlichen Freuden und Wohllüste gesetzt / damit er mich üm so viel höher und eher in das tiefste Tahl der Trübsalen und Unlust herunter stürtzen könte? Hat er mich nur darüm in den Fürstenstand erhoben / damit er mich in den allerdrangsäligsten Jammerstand herunter fallen liesse? Hat er mich nur darüm aus der Tieffe meines noch erleidlichen Unglükkes auf die höchste Glüksstaffel versetzet / damit er mich im Meere der allerunerträglichsten Unglüksäligkeiten versinken liesse?

(34) Ach! ich Drangsälige! ich Unglüksälige! die ich zum Spielballe des Glükkes gleichsam erkohren /ja gebohren zu sein scheine! Hat mich das Glük eine Zeit lang nur darüm so lieblich / so freundlich angelächelt / damit es mich üm so viel häslicher anblikken /und üm so viel feindsäliger verfolgen möchte? Hat es mich darüm mit Zukker und Honige gekörnet / damit es mich darnach mit Wärmuht und Galle speisen möchte? Ach! wie hat es mir seine vorige Süßigkeit in lauter Bitterkeit verwandelt? Wie mus ich nunmehr /die ich lauter Lust hatte / durch die Last der Unlust untergedrükt / ja schier erdrükt werden?

(35) Ich habe nunmehr in der Taht erfahren / daß alles / was in der Welt ist / nur eitel und unbeständig sei. Ich habe nunmehr gelernet / daß weltliche Wohllust und Ehre nichts anders sei / als ein verschwundener Rauch / als ein vergänglicher Schatte. Vor wenig Stunden stund ich noch im Stande der höchsten Ehren / der höchsten Glüksäligkeit. Ich ward geliebet / geehret / bedienet. Der fürnehmste der Fünffürsten des Filisterlandes hielt mich als seine Tochter. Seine Untertahnen erwiesen mir Fürstliche Ehre. Sein gantzes Hofgesinde [328] ging mir / mit allen ersinlichen Diensten / eben als einer Fürstin / zur Hand. Ja ich besaß alle die Ehre / alle die Freude / die eine der allerglüksäligsten auf Erden besitzen mag. Aber wo ist nun dieselbe so große Glüksäligkeit? Ach! wie bald ist sie verschwunden?

(36) Der Himmel hat mich zwar eben itzund aus den Raubklauen eines Wühterichs / der mich entführen lies / gantz wunderlich erlöset. Ja er hat zugleich /da wir Schifbruch litten / mein Leben aus dem Rachen des Meeres / den es schon aufsperrete mich zu verschlingen / auf eine gleich so wunderliche Weise gerissen. Gleichwohl bin ich / im entgehen der einen und andern Gefahr / in eine neue gerahten: die mir nicht weniger den endlichen Untergang dreuet; indem ich alhier / in dieser wilden Einöde / Menschlichen Beistandes entsetzet / mich stündlich besorgen mus von den grimmigen Tieren zerrissen und aufgefressen zu werden.«

(37) Indem sie dieses sagte / vernahm sie von fernen ein Gereusche der Streucher / das immer näher und näher kahm. Hierüber erschrak sie dermaßen /daß ihr alle Bewägung entging. Sie erstarrete gleichsam für Furcht. Selbst die Sprache ward gehämmet. Sie konte den Mund / Ahtem zu hohlen / nährlich auftuhn. Ja die Sinligkeit selbsten hatte sie schier verlaßen. Die Empfindligkeit war schier gantz von ihr gewichen.

(38) Die Morgendömmerung begunte zwischen Nacht und Tag eben eine Scheidung zu machen / als sie dasselbe / das die Streucher zum rauschen gebracht / in das Gesichte bekahm. Ein erschröklich großer Leue lies sich sehen. Er nahete mit langsamen Tritten / ja so langsam / daß es schien / als wan er hinkete. Die Armsälige wuste nicht / ob sie flühen /oder warten solte. Zu flühen lies ihr der Schrik kaum zu. Doch dieser verzog sich algemach / als sie endlich gewahr ward / daß der Leue in der Wahrheit hinkete: als sie sahe / daß er nur auf drei Pfohten / und mit einem sehr traurigen Wesen / nach ihr zu kahm.

(39) Sie hatte zwar / im ersten Anblikke dieses reissenden Tieres / ihres Schwagers Beistand / oder desselben Stärke zu haben gewünschet. Sie hatte gewünschet / daß Simson zugegen sein möchte sie von diesem Untiere zu erretten. Aber [329] [331]nunmehr erkante sie / daß der Leue sie selbst üm Beistand gleichsam anflöhete: daß er sie / seine Wundärtztin zu sein /zu bewegen suchete.

(40) Er stund vor ihr gleich als ein Bittender / und zugleich Liebkosender. Er sahe sie traurig an / sie zum Mitleiden zu bewegen. Er hielt ihr seine Pfohte zu / damit er hinkete / sie zu besehen. Da märkte sie /daß ihm etwas schadete. Da ward sie gewahr / daß er einen Splitter hinein geträhten. Den sahe sie stekken. Sie zog ihn heraus. Sie wischete die Wunde rein ab /und schmierete sie mit etwas Balsams / den sie in einem Büchslein bei ihr trug.

(41) Unterdessen stund der Leue gantz stil. Er sahe sie überaus freundlich an. Er wedelte mit dem Schwantze. Und als sie alles verrichtet hatte / legte er sich vor den Füßen seiner Aertztin nieder. Da lag er /und spielete / wie ein Schoßhündlein. Da gab er ihr die lieblichsten Blikke. Niemahls verliessen sie seine Augen. Sein Gesicht blieb allezeit auf sie gerichtet. Und dieses täht er ohne Zweifel ihr einige Zeichen seiner Dankbarkeit blikken zu laßen.

(42) So veränderte dan alhier dieses Tier / dem die Grausamkeit sonst angebohren zu sein scheinet / sein unbändiges wildes Wesen in ein gantz liebreiches / in ein gantz guhtahrtiges. Sein Gesicht / das sonst so star / so häslich / ja so grimmig aussiehet / gab itzund anders nichts / als die allerlieblichsten /allergühtigsten / allersanftmühtigsten Blikke von sich. Ja es schien / als wan aus seinen Augen der Schrik /der sonsten darinnen / als in seiner eigenen Wohnung / zu hausen pfleget / gantz verbannet gewesen. So viel vermag eine Wohltaht / die oftmahls bei vernünftigen Menschen nicht den geringsten Dank verdienet / in einem unvernünftigen / ja selbst grausamen reissendem Tiere!

(43) Nachdem er also eine Stunde gelegen / sprang er jähligen auf. Er lief eilend einem dikken Knakke zu. Die schöne Timnatterin erschrak. Sie böbete. Sie zitterte. Sie wuste nicht / was sie denken solte. Sie geriet in den Wahn / er habe seine Wildheit wieder angenommen. Aber es schien / daß er irgend ein Wild gewittert: welches er zu fangen / und damit sein[331] Artztlohn zu bezahlen vorhette. Dan er kahm bald wieder / mit einem jungen Rehe. Dieses legte er zu ihren Füßen hin; und rührete es weiter nicht an / als wolte er sagen / es solte für sie gespahret sein.

(44) Weil sie nun märkte / was er wolte / so zog sie dem Rehe die Haut ab. Sie zerteilte desselben Rükken. Die Stükken darvon täht sie in einen Topf mit Wasser / und setzte sie zum Feuer. Unterdessen sahe der Leue fleissig zu. Er gab achtung auf alles / was sie täht. Und als das Gerichte gar / und angerichtet war / auch sie selbsten darvon zu essen begunte / da lies er aus allem seinem Wesen eine sonderbahre Freude blikken.

(45) Nachdem sie sich gesättiget hatte / schied sie von dannen / zu sehen / ob sie irgendwo Menschen antreffen könte. Aber der Leue folgete stähts nach. Er verlies sie nimmer. Wo sie ging / oder stund / oder saß / da blieb er bei ihr. Er war immerzu ihr Gefährte / ihr Jäger / ihr Küchenmeister / ja selbst ihr Beschirmer. Er täht zwar keinem Menschen einiges Leid. Aber wan er sahe / daß iemand der schönen Timnatterin zu nahe kahm / dem gab er straks einen solchen leunischen Blik / daß er muste zurükträhten.

(46) Wan sie schlief / war er ihr Wächter. Er täht kein Auge zu. Auch selbst da sie nach drei oder vier Tagen einige Wohnungen antrafen / blieb er Tag und Nacht bei ihr. Alhier war es / da die Armsälige / nach so manchen erlittenen Ungemachen / etliche Tage lang auszuruhen / und sich zu erhohlen gedachte. Aber das übermäßige Schrökken / der stähtige Kummer / die Erkältung bei ihrem Schifbruche / mit andern dergleichen Zufällen / hatten ihre Kräfte dermaßen geschwächet / daß sie zu kranken begunte.

(47) Der Leue märkte dieses zur stunde. Er ward überaus traurig. Er sahe sie mit kläglichen Augen an. Die Treue / die er ihr bisher erwiesen / ward itzund immer grösser und grösser. Weil ihm die Menschliche Sprache / sein Mitleiden ihr kund zu tuhn / mangelte /so täht er solches durch seine Gebährden. War seine Zunge nicht gelöset oder geschikt ihr einigen Trost[332] zuzusprächen / so bemühete sie sich doch / durch Händeläkken / den guhten Willen zu eusern.

(48) Die Menschen / bei denen sie eingekehret /waren hierüber verwundert. Mit Bestürtzung sahen sie dem Leuen zu. Sie konten zuerst nicht begreiffen /wie ein so grausames und hochmühtiges Tier so gar liebreich und freundlich / so gar demühtig und aufwärtig geworden. Doch hieraus so wohl / als aus der wunderwürdigen Schönheit der schönen Timnatterin schlossen sie endlich / daß dieselbe / welche sie für ein Menschliches Frauenbild angesehen /die Fönizische Göttin Onke selbst sein müste.

(49) Diese beehreten die Fönizier / als eine Göttin der Weisheit / der Tapferkeit / und Liebligkeit / ja der Liebe selbst. So viel / auch wohl mehr übermenschliche Vermögenheiten eigneten sie dieser Onke zugleich zu. Ja wie manche Kräfte die Griechen und Röhmer / unter mancherlei Nahmen / dem einigen Lichte des Mohnes zumaßen / so manche schienen auch die Fönizier ihrer einigen Onke zuzumässen: unter welchem Nahmen sie vielleicht eben so wohl / als jene unter so vielen andern / die einige Göttin des Mohnes verstunden; durch die / nach ihrem blinden Wahne / neben der auch einigen Göttin der Sonne / alles beherschet würde.

(50) Gemeldter Göttin war an etlichen Oertern der Leue heilig. Auch gab man ihr zuweilen / wan sie als eine Göttin der Schönheit und Liebe betrachtet ward /ja wohl sonsten / ihren Stahtswagen zu ziehen / Leuen zu. Was für ein Wunder war es dan / daß diese so einfältigen Wüstlinge die schöne Timnatterin / weil ihr ein Leue so untertähnig aufwartete / für eben dieselbe Göttin hielten? Es war in Wahrheit nicht fremde / daß man sie / in solchem Wahne /gleich als eine Göttin verehrete.

(51) Der Wirt / welcher / mit seiner Fraue / nach des Ortes Beschaffenheit / zimlich from zu sein schien / hatte eine einige Tochter. Diese war ohngefähr von achtzehen Jahren / und in vielen Stükken sehr guhtahrtig: auch nicht häslich / noch ungeschikt. Doch darbei hatte sie ein überaus verliebtes / und fast wildes und freches Wesen an sich. Die Augen [333] rolleten unaufhörlich im Kopfe / und flogen / als angezündete Feuerschwärmer / überal herüm. Sobald sie irgend ein Mansbild erblikten / lieffen sie / als eines Uhrwerks Unruhe / ja stiegen gar / mit einer gleich als aufgeschwollenen Grösse / plötzlich aus ihren Höhlen heraus / nicht anders / als wolten sie straks nach ihrem Gesichtsziele zueilen.

(52) Diese mehr geule / dan lieblich-keusche Blikke verrieten den heftigen Trieb ihrer Begierden alzusehr. Es war ihr nicht müglich solchen Trieb einzuzeumen. Es verfingen auch alhier weder gühtige /noch scharfe Worte; dadurch sie ihre Eltern zu zähmen trachteten. Wie heftig sie der Vater bestrafte /wie genau sie die Mutter bewachte / so lüstern und listig war sie beide zu teuschen. Kaum wendeten sie den Rükken / da war die Tochter schon aus dem Hause: da lief sie schon auf die Buhlschaft. Ja sie sprang / gleich als ein muhtiger brünstiger Hirsch /der sich aus seiner Umstellung gerissen / über Strumpf und Stiel hin. Und wan sie etwan aus Furcht zu Hause bleiben muste / so hatte sie doch einen oder den andern Buhler vor ein Hinterfenster beschieden. Ja sie öfnete / wan die Eltern schlieffen / ihnen wohl gar die Thüre / oder lies sie zum Fenster hineinsteigen.

(53) Was alda vorging / verbietet mir die Schaam zu melden. Ich muß es unter der Rose laßen. Es möchte vor züchtigen Ohren zu ärgerlich klingen. War der Buhler zu blöde / so erwiese sie sich üm so viel kühner. Ihr Kitzel befand sich so übermäßig / daß sie ihn selbst zum Liebespiel reitzete. Ja das jükkende Fel wolte sie gestreichelt / bekrabbelt und gekrabbet haben. Ohne Mansvolk konte sie kaum eine Stunde tauren. Kahm es nicht von sich selbst / so wuste sie es auf allerlei Weise zu lokken. Ward es hierdurch noch nicht lüstern ihre lüsterne Begierde zu vergnügen; so eilte sie selbsten / sobald sie Luft bekahm / einen Buhler zu suchen. Der nächste war der Liebste. Sie traht schier allen Pfützen / die ihr am ersten aufstiessen / die Augen aus: auch selbst den häslichsten Mistkeuten. So gar vergeultgroß war ihr Liebedurst! so gar übermäßig hitzig war ihre Hertzensbrunst!

(54) Dieses unbändige Wesen verdunkelte alle ihre Geschikligkeiten. [334] Diese wilde Unahrt vereitelte alle ihre Guhtahrtigkeiten. Diese so gar unkeusche Brunst brandmärkte ihre sonst liebliche Leibesgestalt mit einem häslichen Schandflecke. Dieses einige Laster /das sie an sich hatte / verstellete / verderbete / ja vernichtigte alle ihre Tugenden. Und hierdurch verlohr sie fast allen ihren Ruhm. Hierdurch geriet ihre Ehre beinahe zum Falle. Hierdurch bekahm sie einen häslichen / greulichen / abscheulichen Nahmen: für welchen / ihn zu entgreulen und angenehm zu machen /schier kein Mittel mehr zu finden.

(55) Weil sie nun das Vermögen nicht hatte / wiewohl sie es zu haben ängstiglich wünschte / solchen so gar geulen / so gar heftigen Begierden zu widerstehen; so ging sie bei sich selbsten zu Rahte / wie diesem so schädlichen Ubel zu begegnen sei. Und hierzu fand sie kein anders Mittel / als den Ehstand: in welchem sie / ohne Verlust ihrer Ehre / diese so geule Lust büßen könte. Ein solches Mittel zu erlangen entschlos sie sich zugleich die bei ihnen eingekehrte vermeinte Göttin Onke demühtigst anzuflöhen. Und zu dem Ende traht sie / in Abwesenheit ihrer Eltern / vor das Bette der schönen Timnatterin. Vor dieser gewähnten / wiewohl kranken Göttin fiel sie auf die Kniehe nieder / und schüttete folgendes Gebäht aus.

(56) »Große Göttin« / sagte sie / »die du Dich gnädig erzeigest allen / die Dich anflöhen; zu Dir flühet meine flöhende Seele. Bei Dir suche ich Zuflucht. In Dir hoffe ich zu finden / was ich suche. Aus Dir darf ich alles erwarten. Von Dir mag ich alles verlangen. Durch Dich mus ich mein Verlangen erlangen. Ach! neige doch deine Ohren / kehre doch deine Augen zu mir! Höre doch meine Stimme! Siehe doch mein Anligen! Vernim doch meine Seufzer! Schaue doch an die Angst meines Hertzens!«

(57) O weise Göttin / die du alles weist! Du weist besser / als ich / was mir fehlet. O mächtige Göttin /in derer Macht alles stehet! Du allein hast die Macht mir zu helfen. Ach! so hülf / so hülf dan! hülf deiner bekümmerten / deiner sonst hülflosen Dienerin! Du bist ja so gühtig / so barmhertzig / daß ich an [335] deiner Hülfe nicht zweiflen mag. »Und hiermit schwieg sie eine guhte Weile stokstille.

(58) Die schöne Timnatterin sahe die Flöhende mit Verwunderung an. Mit Bestürtzung vernahm sie / was sie sagte. Sie lag krank und schwach zu Bette: gleichwohl hörete sie sich eine mächtige Göttin nennen. Sie wuste schiel nicht / ob jene / oder sie selbst treumete. So gar fremde / so gar seltsam kahmen ihr alle diese Reden vor! Gleichwohl lies sie sich dessen nichts märken. Sie wolte die Flöhende lieber bei ihrem Wahne laßen / als sich zur Unzeit offenbahren. Hierdurch gedachte sie mehr Aufwartung und Dienste / mehr Wilfahrung und Treue von solchen Leuten / denen sie sonst / als Halbwilden / wenig trauen durfte / in diesem ihrem elenden Zustande zu haben.«

(59) Ja sie war / üm ihrer Sicherheit willen / nicht wenig froh / daß sie in solches Ansehen gelanget. Wiewohl es ein Laster der beleidigten Gottheit war /daß sie die Ehre / die einer unsterblichen Göttin zukahm / ihrem sterblichen Selbstande zuzueignen gestattete; so machte doch die Noht / die auch das Eisen bricht / dieses Laster alhier gleichsam zur Tugend. Endlich fragte sie die ängstliche Bitterin: was für eine Hülfe sie suchte? was für ein Anliegen sie drükte.

(60) »Alwissende Göttin« / fuhr jene fort / »warüm fragstdu nach meinem Anliegen; da es Dir doch eben so wohl / ja besse bekant ist / als mir? Das Feuer der Liebe / das mich ängstiget / hastdu ja selbsten angezündet. Diese heftige Begierden / die mich so übermäßig foltern / hastdu mir ja selbsten eingepflantzet. Den Treiber meines Gemühtes / der meine Sinnen mit Schlagschlägen gleichsam forttreibet / und so ungnädig mit mir handelt / hast du ja selbsten bevolmächtiget. Warüm stellest du dich dan / als were Dir nichts bewust?

(61) Ach! vertilge doch / gnädige Göttin / oder lindere nur diese meine Brunst. Nim aus meinem Herzen die ungestühmen Begierden weg / oder aber besänftige sie. Befiel meinem Gemühtstreiber mich in Ruhe zu laßen / oder mit mir was erleidlicher zu handeln. Und wan Du ja keines von beiden zu tuhn in deinem Rahte beschlossen; wan ich darzu bestimt bin / [336] daß das Feuer meiner Liebe / wie es angefangen / so fortwühten sol: ach! so erweise mir doch diese Gnade /daß ich / auf deinen Wink / durch deine Hülfe / Gelegenheit finde solchen Brand / ohne Verlust meiner sonst in Gefahr schwebenden Ehre / vergnüglich abzukühlen. Diese Gelegenheit kan mir der Ehstand /darein ich mich zu begeben verlange / nur allein geben.

(62) Länger ausser diesem Stande zu leben ist für mich kein Raht. Wan mir nicht bald das Glük zufället einen Ehliebsten zu ümarmen / so bin ich verlohren. Es ist aus mit mir. Alle meine Ehre stehet in Gefahr. Darüm erbarme dich meiner / O barmhertzige Göttin! Biete mir bei Zeiten deine Hand! Reis mich bei Zeiten aus diesem Unglükke! Du allein kanst es tuhn. In deiner Macht allein stehet mein Glüks- und Unglüks-stern. Du allein bist es / die mich besäligen / mich erfreuen / und meine Ehre retten kan. Ach! eile bald /meine Helferin / eile bald! Eile bald mir zu helfen /weil mir noch zu helfen stehet!«

(63) Auf diese so ängstiglich ausgelaßene Worte folgete ein gantzer Schwarm Seufzer: den ein gewaltiger Platzregen von Trähnen begleitete. Hieraus / und aus allen ihren Gebährden konte man augenscheinlich schlüßen / daß alles / was sie gesprochen / ihr Hertzenswunsch sei. Die schöne Timnatterin sahe die Armsälige / darinnen zwo widerwärtige Angebohrenheiten widereinander so heftig stritten / überaus mitleidendlich an. Sie sahe mit Verwunderung /wie die zum Guhten geneugte / doch schwächste der stärkeren Bösen zu widerstehen mit Gewalt trachtete; aber an Kräften viel zu schwach fiel. Ja sie konte sich nicht gnug verwundern / daß eine solche / die in einer wüsten Wildnis / unter lauter Wüstlingen / gebohren und erzogen worden / dem Guhten noch so viel nachahrtete / daß sie ihrer so überaus bösen und überaus mächtigen Unahrt sie zu überwältigen / so überausgern den Kopf bieten wolte / wan nur ihr Vermögen solchen so guhten Willen die Hand zu bieten mächtig genug sein möchte.

(64) Sie wünschte wohl tausendmahl dieselbe Göttin / für die man sie ansahe / nur dieser Drangsäligen zum besten / wahrhaftig zu sein. Zum wenigsten wünschte sie die Macht zu [337] haben ihr zu helfen. Aber der zu liebe / der sie nicht zu helfen vermochte / solches zu wünschen war nur vergebens. Beide Wünsche blieben leer. Sie konte weder die Göttin Onke werden / noch so viel Macht ihr anmaßen der Bittenden zu wilfahren. Gleichwohl stellete sie sich / als wolte sie ihr helfen. Gleichwohl gab sie ihr die allerschönsten Vertröstungen / zum wenigsten die allertröstlichsten allerleutsäligsten Worte.

(65) Unter andern fragte sie: ›welchen Jüngling in der Nachbarschaft sie wohl am meisten liebete / und ob derselbe / den sie also liebete / sie auch wieder liebete?‹ Auf beide Fragen war die Antwort: ›sie hette keinen lieber / als ihres nächsten Nachbahrn mittelsten Sohn; der unter allen / welche sie kennete / der geschikteste / verständigste / und eingezogneste Jüngling / auch ihr wieder mit gar sonderlicher Liebe zugetahn sei.‹

(66) »Wie komt es dan« / fragte die schöne Timnatterin weiter / »daß aus Euch beiden kein Ehpaar werden kan?« »Ach!« gab die Verliebte wieder zur Antwort / »beide Väter seind uns verhinderlich. Der meinige wil mir nicht gestatten nur einmahl mit ihm zu reden. Hingegen wendet der Seinige vor: ich sei nicht reich genug; ich habe so viel Mittel nicht / als sein Sohn hette; ich were noch vielzujung / und was des Dinges mehr ist. Hierdurch bin ich / aus Zweifelmuhte / veruhrsachet worden meine brennende Liebe /die mich so gar sehr verunruhiget / auf andere / ja bald auf diesen / bald auf jenen zu lenken. Unterdessen bleibet doch der erste der allerliebste / und ich kan / noch mag seiner nicht vergessen.«

(67) »Was hat dan derselbe / den du so beständig liebest« / fuhr die schöne Timnatterin fort / »gelernet /und was für einen Beruf / damit er dich ernehren könte / pfleget er zu treiben?« »Er ist ein Wildschütze« / antwortete die Verliebte. »Auch verstehet er die gantze Jägerei; die er am Hofe des ältesten Fünffürsten / da er drei Jahr in Diensten gewesen / gelernet. Dieser tapfere Fürst / der unser Landesherr ist /hat ihn / seiner Geschikligkeit und Treue wegen /überaus lieb gehabt. Aber etliche von den Jägern misgönten dieses Glük ihm dermaßen / daß sie nicht eher zu schlafen sich verschwuhren / [338] sie hetten ihn dan in die euserste Ungnade gebracht. Und also bekahm dieser guhte Mensch ohngefähr vor einem Jahre plötzlich seinen Abschied. Von der Zeit an hat er sich stähts alhier / bei seinem Vater / aufgehalten: da wir dan Gelegenheit bekahmen / einander bekant und günstig zu werden.«

(68) Sobald die schöne Timnatterin verstund / daß dieser Jüngling bei eben demselben Fünffürsten / der sie an Tochter stat aufgenommen /gedienet / da ward sie straks so vol Freuden / daß sie alles ihres Kummers vergaß. Ja die Krankheit selbst verlies sie von Stunden an. Von Stunden an stund sie auf / und sagte / mit lieblichem Lächlen / zu derselben / die ihr dieses erzehlet: »sei getrost / meine Tochter. Ich gewähre dich deiner Bitte. Ich wil alles tuhn / was du begehrest. Weil derjenige / den du so hertzlich / so treulich / so beharlich liebest / ein solcher ist / wie du sagest; so versichere ich dich / du solst ihn haben /und keine andere. Uber ein kleines wil ich verschaffen / daß du in seinen Armen ruhen solst. Gib dich nur noch ein wenig zu frieden. Sei stille! Sage nichts!

(69) Ja ich wil noch mehr tuhn / als du bittest. Dir zu Liebe wil ich so viel tuhn / daß dein Liebster bei dem Fünffürsten seine vorige Gnade zweifach wieder erlange. Um deinet willen wil ich so viel zu Wege bringen / daß er über alle seine Misgönner sol erhoben werden. Er sol der fürnehmste werden unter allen Jägern. Das Gebiet über sie alle sol ihm gegeben werden. Auch du solst dieser Gnade mitgenüßen. Die Fünffürstin selbst sol dir mit der höchsten Gnade gewogen sein. Diese sol sich auch so weit erstrekken /daß sie dich an ihre Tafel / an ihre Seite wird setzen.«

(70) Wie froh über diesen Worten die Verliebte ward / ist nicht auszusprächen. Für übermäßigen Freuden wuste sie nicht / was sie täht. Sie sprang von ihrem Fußfalle / der bishierher gewähret / jähligen auf. Sie hüpfte / sie tantzte. Sie war so lustig / so fröhlich / daß sie ihrer selbst vergaß: daß sie vergaß dieser vermeinten Göttin für ihre milde Gunst zu danken. Doch endlich besan sie sich. Sie kahm wieder zu sich selbst. Sie täht einen neuen Fußfal / ihre Danksagung / in tiefster Demuht / zu verrichten.

[339] (71) »Gühtige Göttin« / fing sie / im niederfallen / an / »ich wiederhohle meinen Fußfal. Ich beuge vor Dir abermahl die Kniehe. Ich falle vor Dir abermahl nieder; doch mit verändertem Vorsatze. Bei jenem Fußfalle begehrte ich Trübsälige zu suchen / zu finden / und zu empfinden deine Gnade. Bei diesem wil ich nunmehr Erfreuete geben / und schenken / was ich habe / Dir / O allergnädigste Göttin / für deine mir angebohtene so überschwänglich große Gnade zu danken. Hier lieget deine gantzergebene Dienerin vor deinen Füßen. Die nim hin zum Danke / den ich gebe. Besser weis und vermag ich meine Dankbarkeit nicht darzustellen / als durch Uberreichung und Ubereignung meiner selbst.

(72) Liebreiche Göttin / ich gebe Dir zu eigen mein gantzes Mich. Ich gebe Dir zum Eigentuhme mein gantzes Vermögen. Ich heilige Dir mein gantzes Hertz / das deines Dankes vol ist. Ich wiedme Dir alle meine Gedanken / die an nichts anders gedenken / als Dir zu danken. Ich eröfne / Dich zu preisen / meinen Mund. Durch meine Lippen sol deine Ehre hervorbrächen. Meine Zunge sol Dir ewig lobsingen / Dich ohn Unterlaß rühmen / Dir fort und fort danken. Nimmermehr wil ich deiner Gnade vergessen. Nimmermehr wil ich aufhören deine Gühte zu erhöben. Ja ich wil Dich rühmen / ich wil Dich preisen / ich wil Dir danken immer und ewiglich.«

(73) Diese so jähligen entstandene Freudenbezeugungen der schönen Timnatterin so wohl /als der verliebten Bersaberin / ermunterten den Leuen endlich auch seine Freude zu eusern. Wie betrübt und traurig er bisher über die Unbäsligkeit seiner Aertztin sich angestellet / so erfreuet war er itzund / da er sie wieder wohlauf sahe. Er wedelte mit dem Schwantze. Er schüttelte die Mähne. Er richtete sich mit den Vörderpfohten in die Höhe. Er hub den bisher hängenden Kopf wieder auf /und sahe die Wiedergenäsene mit munteren Augen an. Ja er sprung für großen Freuden kurtz herüm.

(74) Hierauf bekahm die schöne Timnatterin Lust sich in die frische Luft zu begeben. Zu dem Ende ging sie vor die Hintertühre. Nicht weit von dar erblikte sie einen grühnen Anger / in einem breiten Grunde. Dahin täht sie / durch das [340] ümliegende Feld / einen Lustwandel. Der Leue begleitete sie. Aber die Verliebte blieb zu Hause. Sobald sie den Anger erreichet / da kahm ihr ein Jüngling entgegen. Dieser ging bekleidet / eben wie die Jäger ihres Herrn Vaters / des Fünffürsten. Daher muhtmaßete sie von stunden an / daß er derselbe Wildschütze sei / dessen die Tochter ihres Würtes erwähnet.

(75) Sie ward froh / daß sie eine so gewünschte Gelegenheit bekahm ihn allein zu sprächen. Aber er schlug seitwärts aus dem Fußsteige. Er sahe sie ebenmäßig / als andere / weil eine mehr als Menschliche Schönheit ihr beiwohnete / und ein Leue sie begleitete / für eine Göttin an. Und darüm entsetzte er sich für ihrem Anblikke. Darüm durfte er sich nicht erkühnen ihr zu begegnen. Darüm fürchtete er sich ihr zu nahen. Sobald sie dieses märkte / rief sie ihn selbst zu sich. Sie sprach ihn mit überaus leutsäligen Worten an. Er solte nicht aus dem Wege weichen. Er solte sich nicht scheuen zu ihr zu kommen. Sie hette ihn etwas zu fragen. Und hiermit stund sie stil / und wartete seiner.

(76) Auf diese Reden kehrete der Schüchterne wieder nach ihr zu. Er beugete sich vor ihr gantz ehrerbietiglich. Er neigete sich dreimahl zur Erde nieder. Und als er ihr so nahe war / daß sie einander die Hand zureichen konten / da fiel er auf das Angesicht die vermeinte Göttin anzubähten. Sie aber befahl ihm aufzustehen / und auf dasselbe / das sie fragen würde / zu antworten. »Weil ich weis« / sagte sie / »daß zwischen dir und der Tochter meines Würtes einige Liebe sich entsponnen / so bin ich / aus gewissen Uhrsachen / begierig von dir zu erfahren / ob du sie auch zu ehligen gedenkest?«

(77) Diese so unvermuhtliche Frage jagte dem Jäger ein bluhtrohtes Färblein ab. Die Schaam machte den Scheuen gantz schüchtern. Er durfte die Augen nicht aufschlagen. Viel weniger war ihm müglich zu antworten. Er stund eine guhte Zeit / als mit Bluhte begossen / und sein Angesicht gleichals in einem feurigen Dampfe. Dieser schien seine Zunge zu überstülpen / daß sie unbewäglich blieb / daß sie kein Wort bilden konte. Selbst der Mund war als zugespündet. Er rührete sich nicht. Er verstummete gantz. Er blieb sprachloß und geschlossen.

[341] (78) Die schöne Timnatterin trachtete solche Scheu und Schaam dem schüchternen Schaamlinge zu benähmen. Sie suchte den Blödling zu entblöden / den Feigling kühn und kek zu machen. Sie hielt ihm vor / daß alles sein Glük auf dieser ihrer Frage beruhete. Ihn zu besäligen stünde gantz in ihrer Macht. Dieses könte / ja wolte sie auch tuhn. Darüm solte er ihr nur kühnlich antworten. Er solte seines Hertzens Gedanken nur ungescheuet heraus sagen. Wan er solches nicht tähte / so könte sie auch nicht tuhn / was sie wolte. Ihr Wille sei bereit ihm zu helfen. Aber sein Wille müste gleich also bereit sein ihr die Wahrheit zu offenbahren / und nicht zu vertuschen. Kurtz / er solte sich alhier erweisen / als ein Jäger / als ein Schütze; dessen Beruf erforderte weder scheu / noch blöde / weder furchtsam / noch feig zu sein. Wolte der Glüksjäger sein Glük erjagen / so müste die Kühnheit ihm zum Windspiele / die Kekheit zum Jägerspiesse dienen.

(79) Nachdem nun dieses Schüchterlings feuerrohter Anstrich / damit die Schaam seine Bakken bezeichnet / in etwas verblichen; nachdem das Spund aus seinem Munde / das Band von seiner Zunge gesprungen; da brach er endlich in folgende Reden aus. »Ich gedenke« / sprach er / »wohl viel zu tuhn: aber der Zwang zwinget mich meine Gedanken zu ändern. Mein Wille were freilich diese Tochter unsers Nachbarn zu ehligen / wan meines Vaters Wille den meinigen billigte. Weil dieser mein Vater verbeut sie nur einmahl zu sprächen / so darf ich / wie lieb ich sie habe / die Gedanken / ihr Breutigam zu werden / nicht fassen.«

(80) »Warüm ist dan dein Vater dieser deiner Liebe so gar zuwider?« fragte die schöne Timnatterin. Der Wildschütze gab zur Antwort: »weil meine Liebste nicht reich genug ist; weil sie von ihren Eltern / die nur arme / dürftige / wiewohl sonst redliche Leute seind / keine genug ansehnliche Morgengabe zu gewarten hat.« Hierauf fragte sie ferner: »siehestdu dan auch auf den Reichtuhm? und woltestdu wohl lieber eine andere zu heurrahten wehlen / wan dieselbe reicher were / dan diese?«

[342] (81) Weil er nun beide Fragen mit Nein beantwortete; so versprach ihm die schöne Timnatte rin / nachdem er seine Liebste / ihrer Armuht ungeachtet / so gar beständig liebete / zu verschaffen / daß er mit solcher seiner Liebsten / wie arm und dürftig auch ihr Vater sei / gleichwohl anderswoher eine reiche Beisteuer bekommen solte. Ja sie selbst wolte sie / als eine Mutter ihre leibliche Tochter / ausstatten. Von ihr selbsten / und aus ihrer Hand solte er dieselbe / die ihm so hertzlich lieb sei / zu empfangen haben. Aber er müste zuvor eine Reise zum Fünffürsten tuhn. Zu dem wolte sie ihn / in einer hochwüchtigen Angelegenheit / selbst absenden. Sobald er von dar wieder zurük gelangete / solte seine Liebste Braut / und er Breutigam sein. Er solte zwischen dessen nur stil schweigen / und der Zeit erwarten.

(82) Wie froh der Jäger anfänglich über einer so gewünschten / so angenehmen Vertröstung ward / so traurig ward er nachmahls wieder / als die schöne Timnatterin des Fünffürstens erwähnete: zuvoraus als er vernahm / daß er dahin eine Reise tuhn solte. Die Ungnade / die der Fünffürst auf ihn geworfen / lag ihm noch immer im Sinne. Das zornige Gesicht / damit er ihn angeblikket / als er ihm / von seinem Hofe sich wegzupakken / und nimmermehr wieder vor ihn zu kommen / befohlen / schwebete noch allezeit vor seinen Augen. Darüm befahrete er sich / es würde mit solcher Reise für ihn nicht alzuwohl ablauffen.

(83) Die schöne Timnatterin märkte seine Gedanken zur Stunde. Aus der Erzehlung seiner Liebsten war ihr sein Widerfahren bei Hofe schon bekant. Sie wuste schon / daß er / aus Verleumdung etlicher Jäger / in des Fünffürsten Ungnade gerahten. Und daher kunte sie leichtlich muhtmaßen / daß er Bedenken trüge vor einem solchen Herrn / der ihm seinen Hof für ewig verbohten / zu erscheinen. Ja daher suchte sie ihm ein Hertz einzusprächen. Und weil er nachmahls ihr selbst bekante / wie es üm ihn stund / und was ihn von solcher Reise zurükhielte; so sagte sie / er solte sich nach Hofe zu ziehen nicht abschrökken laßen. Er solte nur guhtes Muhtes sein. Sie wolte / durch ein Brieflein / bei dem Fünffürsten[343] schon so viel auswürken / daß er die verlohrne Gnade zehenfach wieder erlangen solte. Ja sie versicherte ihn / daß an dieser Reise sein gantzes Glük hinge.

(84) Auf diese so guhte Versicherung entschlos er sich dan mit dem künftig-anbrächendem Morgen abzureisen. Zu dem Ende gieng er auch / sich wegefärtig zu machen / von stunden an nach Hause. Die schöne Timnatterin aber blieb noch ein wenig auf dem Anger. Und nachdem sie sich mit Wandeln genug ergetzet hatte / kehrete sie auch wieder zu ihrer Behausung. Alda setzte sie sich / und verfärtigte folgendes


Schreiben an ihren Herrn Vater

den Fünffürsten.


Liebster Herr Vater / Gnädiger Fürst /


Ich lebe noch. Ich bin ausser Gefahr. Ich befinde mich wieder in seinem Gebiete. Dessen kan Ihn dieser Brief / und der ihn bringet / dieser Jäger / versichern. Es brach über mir ein Unglükswetter auf. Der Egiptische Königliche Fürst hatte mich beinahe schon in seinen Raubklauen. Ich war schon zu Schiffe gebracht ihm zugeführet zu werden. Ich schwebete schon auf der See. Ich erblikte schon von ferne die Grentzen des Egiptischen Raubnestes. Aber der Himmel hat mich aus dieser Gefahr erlöset. Ein gewaltiger Seesturm schlug das Raubschif zurük / und mitten voneinander. Er schlug die eine Helfte / samt den Reubern / zu Grunde / und die andere / mit mir / auf das Filistische Land. Alda lag vor mir die Bersabische Wüste. In dieser irrete ich einsam herüm / bis ein Leue mich zur Aertztin / und ich ihn zum Gefährten und Aufwärter bekahm. In dessen Geleite geriet ich endlich dahin /da Menschen wohneten. Diese hielten / ja ehreten mich als eine Göttin. Auch bewürteten sie mich / so guht / als sie konten. Unter denen dienete mir die Tochter meines Würtes am meisten. Von ihr erfuhr ich erst / daß ich wieder unter des Herrn Vaters [344] Gebiete gelanget: und daß dieser Jäger / den ich an Ihn abgeschikt / und der ihr Liebster ist / an seinem Hofe gedienet. Wie froh ich über beides ward / kan ich nicht sagen. Ich verlangte von stunden an solchen ihren Liebsten zu sprächen. Ich entschlos mich straks ihn zum Bohten zu gebrauchen. Er war auch willig hierzu: doch auf meine Versicherung / daß er / an stat der Ungnade / die ihm / ohne seine Schuld / etliche Verleumder und Misgönner bei dem Herrn Vater veruhrsachet / eine völlige Gnade wieder finden solte. Weil ich nun an des Herrn Vaters Liebe gegen mich /als seine gehohrsamste Tochter und treueste Dienerin / keines Weges zweifeln darf; so darf ich auch keinen Zweifel tragen bei Ihm so bitsälig zu sein / daß er seinen auf den Unschuldigen geworfenen Zorn fallen /und ihm die verlohrne vorige Gnade / mir zu Liebe /zehnmahl milder blikken laße. Er verdienet in Wahrheit / an stat der Ungnade / diese Gnade / daß er über alle Jäger erhoben / und zum Jägermeister des gantzen Fürstentuhms bestellet werde. Und zu dieser Würde verhoffe ich ihm Glük zu wünsche / sobald er / auf des Herrn Vaters beliebten Befehl / mit Desselben Abgefärtigten / wieder zurükkommen wird / die jenige nach Hofe zu begleiten / welche seine gehorsamste selbst erkohrene Tochter und getreueste Dienerin eben also zu leben und zu sterben wünschet / als man sie bisher gewürdiget zu nennen

Die schöne Timnatterin.


(85) Bei überreichung dieses und noch eines anderen Schreibens / befahl sie dem Jäger zu eilen. Sie wolte / daß er sich keines Weges seumete. Und damit er üm so viel eher bei dem Fünffürsten angelangte /mietete sie ihm ein Pferd. Hierauf begab er sich / sobald der Himmel zu grauen begunte. Hiermit jagte er tapfer fort. Ehe der Tag recht anbrach / war er schon so weit weg / daß man ihn nicht mehr sehen konte. Und also kahm er / nach etlichen Stunden / bei Hofe glüklich an.

(86) Alhier fand er alles in Ruhr. Alle Filister versamleten sich. Alles stund in vollen Waffen. Man war geschäftig das Volk Israels mit Kriege zu überziehen. Simson ward beschuldiget / er hette die schöne Timnatterin entführet. Auf [345] niemand anders fiel der Verdacht / als auf ihn. Er solte deswegen herhalten. Das gantze Volk Gottes solte dessen entgälten. Alle Stämme des Israels wolte man anfallen solchen Raub zu rächen. Man wolte sie unversehens überrumpeln. Und darüm hielt man es heimlich / wohin dieser Kriegszug gemeinet.

(87) Gleichwohl warden jene / solcher mächtigen Kriegsrüstung wegen / auch wakker. Sie schlieffen nicht. Sie trauten dem Landfrieden nicht. Simson kennete den Ubermuht der Filister alzu wohl. Er wuste sehr wohl / was sie im Schilde führeten. Ihm konte nicht unbekant sein / wie wetterwändisch / wie unbeständig sie weren. Und darüm begunte man sich auf Israels Grentzen auch schon zu rüsten. Man machte sich alda auch bereit zum Gegenstand. Die junge Manschaft ward aufgebohten die Grentzstädte zu besetzen. Simson selbst war hinten und vornen. Er war überal geschäftig. Er stellete gantz vorsichtig alles an.

(88) Ein Leue schläft mit offenen Augen / mit wedlendem Schwantze / seinen Feind abzuschrökken: indem er ihm einbildet / er wache. Eine solche Leuenahrt lies alhier Simson blikken. Die Filister gedachten ihn / durch einen unterlichen Frieden / gantz in den Schlaf gewieget zu haben. Sie vermeinten / sie hetten ihm / durch eine blaue Dunst / die Augen zugeschlossen. Aber der wakkere Simson hielt sie gleichwohl allezeit offen. Selbst seine tapfere Faust befand sich in stähter Bewägung. Sobald sich nur etwas in der Nachbarschaft rührete / lies er sein hurtiges / vorsichtiges / wakkeres / und tapferes Wesen blikken.

(89) Der Fünffürst stund eben im Schloshofe sich auf seinen Streitwagen zu begeben / als ihm der abgefärtigte Jäger den Brief der schönen Timnatterin einhändigte. Weil er nun / aus der Uberschrift / die Hand sostraks nicht kennete / so fragte er / mit zimlich rauen Worten / von wem er kähme? Der Jäger gab zur Antwort: er wüste nicht anders / als daß dieselbe / die ihn geschrieben / die Große Göttin Onke sei. »Wie komstdu dan an den Brief einer so Großen Göttin?« fragte der Fünffürst ferner. Und der Jäger antwortete wieder: Sie hette denselben [346] ihm selbst in die Hände gegeben / und darbei ausdrüklich begehret ihn ja eilend nach Hofe zu bringen. Zu dem Ende hette sie ihm auch selbst ein Pferd gemietet / und tapfer fortzujagen befohlen.

(90) Der Fünffürst ward über diesen Worten des Wildschützen zum höchsten verwundert. Er konte nicht begreiffen / woher es komme / daß eine so Große Göttin ihn so hoch würdigte: daß eine unsterbliche Göttin sich so gar tief herunterliesse / mit eigner Hand an einen sterblichen Menschen zu schreiben. In solcher Verwunderung brach er den Brief auf / und entfaltnete ihn. Sobald er die Unterschrift erblikte /rief er überlaut: »du hast recht gesagt / dieser Brief sei von einer Göttin geschrieben. Es hat ihn auch in Wahrheit eine Göttin geschrieben; wiewohl nicht die Göttin Onke. Die Göttin von Timnat ist es / derer Handschrift ich alhier erblikke. Die schöne Timnatterin ist es. Meine liebste Tochter ist es. Ach ja! sie ist es selbst / die an mich schreibet.«

(91) Hiermit fing er den Brief an zu lesen. Schier bei ieder Zeil hielt er stil. Ja schier bei iedem Worte euserte sich eine neue Bewägung seines Gemühtes. Anfangs spührete man / aus seinen Gebährden / eine gantz ungemeine große Freude. Bald darauf lies er eine schier grössere Bestürtzung blikken. Doch diese schien / im fortlesen / wieder mit einigen Freudenzeichen vermischt zu werden. Ja wie oft der Inhalt des Schreibens sich änderte / so oft veränderte sich auch des Lesers Wesen.

(92) Weil nun die gantze Kriegsmacht der Filister zum Feldzuge schon aufgebrochen / auch etliche Schaaren albereit fortzuziehen begonnen; so befahl er / als er noch mitten im Briefe war: man solte den Feldzug aufschüben. Alle Völker solten sich wieder in ihr Läger verfügen. Alda solte man auf weiteren Bescheid warten. Simson sei unschuldig / fuhr er fort. Man hette bisher ihn fälschlich bezüchtiget. Es kähme von weit höherer Hand / daß seine Fürstliche Tochter entführet worden. Der Kriegeszug müste nunmehr verändert / und anderswohin / als das unschuldige Volk der Kinder Israels zu überziehen / gewendet werden. Und darüber müsten sich zuvor alle Fünffürsten berahtschlagen.

[347] (93) Hierauf schlug er die Augen wieder auf den Brief. Und nachdem er ihn zweimahl nacheinander durchgelesen / sahe er den abgefärtigten Jäger überausgühtig / überausgnädig an. »Was sol ich nun dir« / sprach er / in Gegenwart aller ümstehenden Hof- und anderer Fürstlichen Bedienten / überlaut /»für eine Gnade blikken laßen / weil du mir einen so gar hocherfreulichen Brief eingehändiget? Mit was für einem Bohtenlohne sol ich die fröhliche Bohtschaft /die du mir bringest / vergälten? Alle meine Gnade sol dir hinfort offen stehen. Bitte nur / was du wilst. Ich wil dir nichts versagen.«

(94) Nach Volendung dieser Worte / kehrete er sich zu den Jägern und Wildschützen üm / die hinter ihm /auf der linken Hand fast alle beisammen stunden. »Und ihr Jäger« / fing er zu ihnen an / »was meinet ihr wohl / daß dieser euer Mitjäger und Spiesgeselle verdienet? Was sol ich ihm für diese seine Dienste /die er itzund meiner liebsten und einigsten Fürstlichen Tochter geleistet / und dadurch mich so gar hoch erfreuet / für eine Gnade bezeigen?«

(95) Weil nun keiner unter allen Jägern hierauf zu antworten sich erkühnete / so fuhr er fort / nachdem er ein wenig stil geschwigen. »Wisset dan« / sagte er /»daß ich diesen meinen Liebling / den etliche seiner Misgönner unter euch ehmahls fälschlich bei mir angegeben / itzund zum Obersten Jägermeister in meinem gantzen Fürstentuhme bestellet. Und darüm gebiete ich euch / ihn hinfort für euer Oberhaupt zu erkennen / und allen seinen Befehlen so wohl / als den meinigen / zu gehorchen.«

(96) Hierauf sahen die Jäger einander an. Ihre Gebährden gaben den Unwillen und Verdrus / den sie hatten / daß ein so junger Jäger / der noch darzu von gantz geringer Abkunft war / ihnen allen vorgezogen würde / genugsam zu vernehmen. Aber keiner hatte gleichwohl das Hertz dem Fünffürsten zu widersprächen. Seine Wahl wolte guht geheissen / und sein Fürstlicher Wille volbracht sein.

(97) Endlich befahl er auch / daß hundert auserlesene Reiter / einen Rit in die Bersabische Wüste zu tuhn / sich gegen zukünftigen Morgen solten gefast halten. Diese waren bestimt [348] den neuen Oberjägermeister / den der Fünffürst seine Fürstliche Tochter wiederzuhohlen absenden wolte / bei seiner Hin- und Her-reise zu begleiten. Zudem Ende warden ihm auch drei neue Stahtsrökke / samt allem Zugehöhr / aus der Fürstlichen Kleiderkammer gereichet; damit er in seiner Gesantschaft / wie es einen Fürstlichen Gesanten geziemet / stahtlich genug aufziehen möchte.

(98) Also sahe man diesen Jäger in einem augenblikke mit Ehren und Gnaden gleichsam überschüttet. Sobald kehrete sich das Blat üm! Sobald fiel ihm das höchste Glük zu! Sobald ward aus einem verachteten Wüstlinge / ja Staublinge / der ausbündigste Liebling / der ansehnlichste Höfling! Derselbe / der nur vor einer Stunde nichts anders / als ein armer / und darzu dienstloser Jägerknecht gewesen / war itzund ein Fürstlicher Oberjägermeister: den sein Fürst überdas auch so hoch begnadigte / daß er die Ehre haben solte / als ein Gesanter / mit einem so prächtigen Nachschwalke von auserkohrnen Reitern / an seine liebste Fürstliche Tochter / Sie nach Hofe zu begleiten /ausgeschikt zu werden.

(99) Uber alle diese gantz unvermuhtete Ehre ward der Jäger so vol Freude / daß Justien / und Mandro / als sie / jener aus einem Seuhürten / und dieser aus einem Schiffer / zu Röhmischen Keisern / Primislaus / als er aus einem Kühhürten zum Böhmischen Könige / Darius / als er aus einem Häscher zum Persischen Könige / Agatokles / als er aus einem Töpfer zum Sizilischen Könige / Telefanes / als er aus einem Wagner zum Lidischen Könige /Hiperbolus / als er aus einem Liechtzieher zum Fürsten der Atehner / Viriat / als er aus einem Hürten / Jäger / und endlich Straßenreuber zum Heerführer der Portugallier / Gadareus / und Ventidius / als sie beiderseits aus Bätlern zu Römischen Bürgermeistern / ja Rodope / als sie aus einer gemeinen Huhre zur Egiptischen Königin erhoben worden / freudiger und fröhlicher nicht sein können.

(100) Als nun die Zeit das Abendmahl zu halten herbeigenahet / ward dieser neue Oberjägermeister auch mit an die Fürstliche Tafel gesetzt. Alda bekahm er Gelegenheit den Brief der schönen Timnatterin / den sie ihm an die Fünffürstin [349] mitgegeben / zu überreichen. Und dieses täht er im zusehn des Fünffürsten: welcher nicht eher essen wolte / noch konte / er habe dan zuvor dessen Begrif vernommen. So begierig war er den gantzen Zustand seiner Tochter zu wissen! Darüm ward er ihm auch von der Fünffürstin selbst alsobald vorgelesen. Er lautete aber von Worten zu Worten / wie folget.


Schreiben an ihre Frau Mutter /

die Fünffürstin.


Liebste Frau Mutter / Gnäd(ige) Fürstin /


Ich habe bisher manches Unglük empfunden. Doch hat mich keines so heftig geschmertzet / als das mir die Ehre der Frau Mutter aufzuwarten so lange misgönnet / ja so wühterisch entzogen. Mancher Glüksstoß ist mir begegnet. Doch hat mir keiner so weh getahn / als der mich von Ihrer Fürstlichen Gegenwart eine so geraume Weile gleichals verstoßen zu leben gezwungen. Nach so mancherlei Unglüksstößen / sties mir gleichwohl endlich das unverhofte Glük auf / daß der Himmel mir diesen Jüngling / den ich abgefärtiget / gleich als einen Engel / mir in meinem Elende zu dienen / zuschikte. Ihm / und seiner Liebsten mus ich allein danken / daß ich / in welcher Landschaft ich were / zu wissen bekahm: daß ich / in des Herrn Vaters Fürstentuhm wieder gelanget zu sein /erfuhr: ja daß ich zugleich die Zeit gebohren sahe / da mich die Hofnung versichern konte / Ihre mir entzogene Fürstliche Hand bald wieder zu küssen. Ach! ich verlange darnach. Und dieses Verlangen auf das schierste zu erlangen bin ich vermittelst dieses Jünglings gewärtig: welchen ich auch darüm Ihrer hohen Fürstlichen Gnade gleich also anbefehle / wie ich in meinem Schreiben an den Herrn Vater getahn; darinnen ich zugleich alle meine Glüksfälle / die ich von der Zeit meiner Entferung an gehabt / ausführlich erzehlet. Wan ich bei Hofe bin angelanget / welches ich / auf Ihre gnädige Beförderung / innerhalb [350] drei oder vier Tagen geschehen zu sein sehnlich vermuhte; dan wil ich das übrige meines Zustandes mündlich erklähren. Unterdessen wird Ihnen Ihre Dienerin /meine liebe leibliche Mutter / aus inliegendem Brieflein / welches ihr einzuhändigen ich untertähnig bitte /darvon auch etwas eröfnen. Und ich werde den Himmel für Ihre Wohlfahrt anflöhen / solange mir seine Gnade die Ehre gestattet Ihre selbsterkohrene Fürstliche Tochter zu sein / welche man bisanher / mehr aus Gunst / oder gar Misverstande / als aus einem untadelhaftigen Urteile / hat nennen wollen

Die schöne Timnatterin.


(101) Weil unter dem Einschlusse dieses Schreibens an die Fürstliche Hofmeisterin zugleichmit ein Brieflein angelanget / so ward sie von stunden an aus dem Frauenzimmer gehohlet. Der Fünffürst hatte solches Brieflein eben in der Hand / als sie in den Saal traht. »Da habt ihr« / sprach er / und hielt es nach ihr zu / »die Versicherung / daß unsere Tochter noch lebet / und in guhter Verwahrung ist. Wir tragen Verlangen zu erfahren / was sie an euch schreibet. Und eben darüm haben wir euch von der Mahlzeit anher entbohten / uns dieses Brieflein vorzulesen.«

(102) Die Mutter / welcher für Freuden die Trähnen über die Bakken flossen / und die Sprache schier stekken blieb / nahm den Brief mit tiefster Ehrerbietigkeit an. Sie entsiegelte denselben zur Stunde. Sie brach ihn auf / und fand darinnen folgende Worte.


Schreiben an ihre liebe leibliche Mutter / die Fürstliche Hofmeisterin.


Diese Zeilen / liebe Mutter / versichern Euch meiner Gesundheit. Es ist meine eigene Hand / meine eigene Schrift / was ihr sehet. Betrachtet sie nur wohl. Schauet sie nur eigendlich an. Ich war zwar in fremder Gewalt. Aber der Himmel hat mich [351] daraus entwältiget. Ich war zwar nicht weiter / als ein Daume breit ist / vom Tode. Doch dasselbe / das mir den Tod zu dreuen schien / hat mich selbst aus seinen Klauen gerissen. So lebe dan ich / Euch zu liebe / noch. Ich lebe sicher / in unsrem eignen Lande. Ja ich lebe gantz ausser Gefahr / und unter der Aufsicht eines Leuen: der etliche Tage nacheinander mein Geleitsman / mein Wächter / mein Jäger / mein Speisemeister / und getreuester Aufwärter gewesen. Diesen solt ihr sehen /wan ihr mich sehet; welches in vier Tagen ohne Zweifel geschehen wird. Dan er folget mir immer. Er verlesset mich nimmer. Nimmer weichet er von mir. So getreulich nimt er meiner wahr! So fleissig wartet er meiner! Unterdessen lebet wohl / und liebet beharlich dieselbe / welche beharlich zu sein sich verpflichtet


Eure gehorsame Tochter.

Timnate.


(103) Hierauf war man lustig und guhter Dinge. Den Kummer spühlete man mit Weine vom Hertzen. Die Sorgen warden verbannet. Man vergaß aller Betrübnis. Die Traurigkeit bekahm ihren Scheidebrief. Die Freude nahm ihren Platz ein. Das Wohlleben traht an ihre Stelle. Einieder war fröhlich. Doch der Fünffürst am allermeisten: der auch selbst alle zur Fröhligkeit anmahnete. Ja er befahl / allen Hofbediente so viel Weines zu zapfen / als sie trinken könten. Und also brachte man diesen Abend in lauter Lust und Freude zu.

(104) Nach volendetem Freudenmahle zog der Fünffürst den neuen Oberjägermeister auf die Seite. Er begab sich mit ihm allein an ein Fenster. Niemand durfte darbei sein. Niemand solte zuhören / was sie spracheten. Alda war es / da er fragte / was seine Tochter gesaget? Er forschete nach allen und ieden ihren Worten. Er trug verlangen alle ihre Reden zu wissen. Er wolte durchaus / daß er ihm nichts / ja gar nichts / was es auch sei / verschweigen solte.

(105) Weil nun der Oberjägermeister verstund /daß der Fünffürst so gar genau / und so gar scharf nach allem fragete; [352] so täht er ihm auch von allem Eröfnung. Er offenbahrte den gantzen Handel. Er erzehlete gantz ümständlich alle gepflogene Gespräche. Ja er entdekte zugleich alles miteinander / was zwischen seiner Fürstlichen Tochter und ihm / bei der ersten Zusammenkunft / vorgegangen. Auch verschwieg er ihm seine selbsteigene Liebe nicht. Doch hierbei baht er untertähnig üm gnädige Verzeihung / daß er seine Fürstliche Gedanken / durch die Erzehlung solcher seiner so eitelen Liebe beunmüßigte. »Ich tuhe dieses« / waren seine selbsteigene Worte / »nur darüm /und aus keinem andern Triebe / dan dem Willen und Befehle meines Fürsten Gehohrsam zu leisten.«

(106) Diese des Oberjägermeisters Offenhertzigkeit und Bescheidenheit zugleich gefiel dem Fünffürsten über die maße. Ja er priese seine so beständige Liebe. Und hierbei versprach er ihm / alles / was seine Fürstliche Tochter ihm angelobet / selbsten zu volziehen. Er selbsten wolte seiner Liebsten Aussteurer sein. Aus seiner eigenen Schatzkammer solte sie mit einer ansehnlichen Aussteuer versehen werden. Und weil seiner Tochter Wille sei / daß er sie aus ihrer eigenen Hand / gleichals ihre leibliche Tochter / empfangen solte; so wolte er sie hiermit ihr zur Hofmeisterin /und ihn zum Hofmeister bestellet haben.

(107) Zu allen diesen Gnadenbezeugungen fügte der Fünffürst noch diese. Sobald seine Fürstliche Tochter / sprach er / in seiner und seiner Liebsten Begleitung / an seinen Hof gelanget / solte / straks bei dem ersten Freudenmahle / sein Verlöbnis / in seiner und aller anwesenden Gegenwart / geschehen. Auch solte sein Schlos / alda seine Hochzeit zu halten / ihm offen stehen. Ja er wolte diese Hochzeit ihnen selbst ausrichten. Alles / was darzu erfordert würde / solten sie aus seiner Fürstlichen Küche zu gewarten haben.

(108) Hierauf rief der Fünffürst einem Diener. Diesem befahl er der Hofmeisterin zu sagen / daß sie straks etliche Kleider / Hemden / und anders Weibergerähte / das zum Frauenschmukke gehöret / aus des Frauenzimmers Kleiderkammer zu ihm brächte. Hieraus solte der Oberjägermeister von allen / drei der besten Stükke / die seiner Liebsten gerecht weren / [353] ihr solche mitzubringen / auslesen. Also trug der Fünffürst Sorge für alles. So sorgfältig war er für seiner Fürstlichen Tochter erstbestelte Hofmeisterin; damit sie / gleichals einer solchen Hofjungfrau geziemet /gezieret und geschmükt genug aufziehen möchte.

(109) Als nun der Oberjägermeister / dem Fürstlichen Befehle zur folge / solchen Kleiderschmuk besichtigte; da fing der Fünffürst mit ihm an zu schertzen. »Weil ich wil« / sprach er lächlende / »daß deine Liebste dir auf das beste gefalle / so suche für sie den besten Schmuk aus. Wehle für sie das Schönste / das dich am schönsten zu sein dünket: damit sie dadurch in deinen Augen auch selbst die Schönste / die Liebste werde / wan sie etwan dir eine solche zu sein sonsten noch nicht völlig genug scheinen möchte.«

(110) Unterdessen hatte sich das Getümmel aus dem gantzen Schlosse verlohren. Aus allen Oertern war das unheimliche Wesen weg. Hingegen hatte das Stilschweigen sich überal eingefunden. Die Heimligkeit war durch und durch eingeschlichen. Man hörete nichts Lautes mehr. In allen Gemächern ward es gantz stil. Nicht ein einiges Gereusche vernahm man. Kein Klang von irgend einem Dinge ward gehöret. Alle Menschen lagen schon in der Nachtruhe. Iederman war zu Bette. Das gantze Hofgesinde schlief. Nur die Hofmeisterin / mit einer Kammerdienerin / und zween Edelknaben / die aufwarteten / waren noch wakker /als der Fünffürst sich in seine Schlafkammer begab; nachdem er dem Oberjägermeister zu seiner Reise Glük gewünschet.

(111) Dieser ward endlich auch in sein Zimmer geführet; da er zu schlafen vermeinte. Aber es kahm kein Schlaf in seine Augen. Die übermäßige Freude hielt ihn stähts wakker. Die Erinnerung der vielfältigen Ehren / damit ihn der Fünfürst überschüttet / lies ihn nicht ruhen. Seine Gedanken flatterten hin und her. Seine Gemühtstriften bewegeten sich / als eines Uhrwerks Unruhe. Sie warden nimmer stil. Sie verunruhigten alle Sinnen. Sie trieben den Schlaf aus. Auch den geringsten Schlummer liessen sie nicht zu.

(112) Das Ubermaß der Ehren würkt übermäßige Freude: [354] doch gemeiniglich nur bei denen / die gantz keiner Ehre gewohnet; die aus dem niedrigsten Staubwinkel den höchsten Ehrengüpfel auf einen Schwung ersteigen. Hingegen freuen sich andere / die stähts im Ehrenstande gestanden / denen die Ehre nichts ungewöhnliches / nichts neues / selbst über den höchsten und plötzlichsten Zuwachs derselben nur mäßig.

(113) Unser Oberjägermeister war im allerniedrigsten Stande gubohren. Unter verächtlichen Wüstlingen / die kaum wusten / was Ehre zu sagen / war er erzogen. Und ob er schon eine Zeit lang / als ein Jägerknecht / in Fürstlichen Diensten gelebet; ob er schon die Ehre / durch den Umgang mit Höflingen /in etwas kennen gelernet: so hatte doch diese Kunde seines Fürsten Ungnade / dadurch er von den Höflingen wieder unter seine Wüstlinge gerahten / schier zur Unkunde gemacht. Darüm war es auch kein Wunder /daß er itzund / da ihn der Fünffürst / nach verloschener Ungnade / mit überschwänglich großen Gnaden und Ehren so plötzlich und so unvermuhtlich überheufte / solche so heftige Freudenbewägungen /daß er weder ruhen / noch schlafen konte / durch alle seine Sinnen empfand.

(114) Hierzu kahm auch endlich die Liebe. Diese trieb ihm den Schlaf vollend aus den Augen. Durch diese ward er noch vielmehr verunruhiget. Das sehnliche Verlangen seine Liebste zu ümarmen hielt ihn fort und fort wakker. Sie selbsten / oder vielmehr ihr Bildnis schwebete stähts in seinen Sinnen. Bald lies er sich bedünken ihre flinkernden Augen ihm winken zu sehen. Bald kahm ihm vor aus ihrem schönen Munde / dessen Rosen mitten im Schnee blüheten / sein Wilkommen zu hören. Bald schien ihm ihr Arm üm seinen Hals geschlagen / und ihr Mund auf dem seinigen zu liegen. Aus allen diesen Schattenwerken / welche die Einbildung ihm vorstellete / wiewohl sie nur als überzukkerte Traumbilder waren / entstund dan ein unruhiges stähtiges Wachen.

(115) Undalso war es ihm nicht müglich zu schlafen. Die gantze Nacht durch blieb er wakker. Nur gegen Morgen fing er ein wenig an zu schlummern. Aber bei diesem schlummern trieb die Einbildung ihr Affenspiel in ihm nicht weniger / als [355] da er wachete. Ja er rief im schlummer selbst / »Nun ist sie mein / Nun ist sie mein« / so überlaut aus / daß es der Fünffürst /der eben in seine Kammer traht / hörete. Dieser märkte von stunden an / daß der Treumende / mit solchen Worten / auf die Besitzung seiner Liebsten zielete. Darüm fing er auch zum Ermunterten alsobald an. »Sei nur noch ein wenig zu frieden: sie sol gewis dein sein.«

(116) Der Oberjägermeister erröhtete sich hierüber. Er schähmete sich / daß der Traum seine so verliebte Gedanken verrahten. Aber der Fünffürst geriet straks auf andere Reden. Er begehrte / daß er sich mit der Reise ja nicht seumete. So wohl her / als hin solte man eilen; damit er seine Tochter bald zu sehen bekähme. Ja er fügte hinzu: sofern er / einiger Stahtsangelegenheiten wegen / nicht müste bei Hofe bleiben; so würde sein Verlangen ihn mitzuziehen selbst anstrengen. Und hiermit begab er sich wieder aus dem Zimmer / dem Oberjägermeister sich straks anzukleiden Gelegenheit zu geben.

(117) Unterdessen hatten sich die Reiter aufzusitzen gantz färtig gemacht. Der Stahtswagen / darauf das Fürstliche Freulein fahren solte / stund schon angespannet. Auch war die Tafel das Frühmahl zu halten albereit gedekket / als der Oberjägermeister in den Speisesaal traht. Alhier ging alles mit der hast zu. Auf Befehl des Fünffürsten / muste geeilet sein. Mit Geschwindigkeit warden die Speisen aufgetragen. Man seumete sich an der Tafel nicht lange. Schier im hui war alles gesehen.

(118) Hierauf begaben sich alle Reiter zu Pferde. Auch setzte sich der Oberjägermeister / auf Befehl des Fünffürsten / in den Stahtswagen: neben dem etliche Schützen herlieffen. Ein Rüstwagen / mit Reusigem Zeuge beladen / folgete straks. Also ging die Reise geschwinde fort. Die Maulesel und Pferde fühleten das Futter / das man ihnen in vergangener Nacht mit milder Hand gereichet; und lieffen so tapfer / daß man / sie fortzutreiben / weder Stachel / noch Spohren /weder Peitsche / noch Spisruhte bedorfte.

(119) Der Oberjägermeister befand sich zwar im Stahtswagen gantz allein. Niemand saß bei ihm. Er hatte keine Geselschaft. [356] Aber dieses währete nur einen Augenblik. Er blieb in solcher Einigkeit nicht lange. Bald befand er sich selb zweien. Ohne seine Liebste zu sein gestattete die Liebe nicht. Seine verliebte Gedanken eileten straks nach ihr zu. Sie stöhreten gleichsam ihre Ruhe. Ja sie hohleten sie selbst aus ihrer Schlafkammer / aus ihrem Bette / da sie noch ruhete. Er muste sie bei sich haben. Sie muste neben ihm im Stahtswagen sitzen.

(120) Alhier war es auch / da sie die Einbildung /wie sie leibete und lebete / seinen Augen vorstellete. Also war ihm schier anders nicht bewust / als daß sie selbst seine Gefährtin sei. Er wähnete nicht anders /als daß sie ihm selbsten Geselschaft hielte. In dieser so süßen / wiewohl falschen Einbildung befand er sich schier die gantze Reise durch. Bald erschien sie ihm in ihrer gewöhnlichen Tracht. Bald prangete sie /vor seinen Augen / in eben dem Kleiderschmukke /damit sie der Fünffürst beschenket.

(121) In dieser stahtlichen Kleidung schien sie ihm siebenmahl schöner / und siebenmahl lieblicher / ja siebenmahl lieber / als in voriger / zu sein. Daher nahm auch seine Liebe / sooft er sie hierinnen erblikte / mehr und mehr zu. Ja sie ward gleichsam dermaßen geschwängert / daß sie in ihm / solcher seiner Liebsten Lieblichkeit zu genüßen / ein unerträgliches Verlangen gebahr. So viel vermag ein zierliches Kleid /ein schöner Schmuk; zuvoraus an einem wohlgestalteten Weibsbilde! Hingegen macht ein zerrissener altfränkischer Küttel zuweilen auch die lieblichste Schönheit häslich / die anmuhtigste Liebligkeit unanmuhtig / und verstellet die gantze sonst fürtreflich-schöne Leibesgestalt dermaßen / daß sie ihr selbsten gantz unähnlich wird.

(122) Inzwischen nahete der Oberjägermeister seiner Heimat ie mehr und mehr. Aber ie näher er kahm /ie heftiger er brante. Seine Begierden / die Liebste zu sprächen / wolten ihm kaum gestatten vor seines Vaters Behausung / da das Fürstliche Freulein sich eben befand / abzusitzen. Doch der Wohlstand und seine Pflicht vereischten nichts anders. Er muste derjenigen / üm deren willen er abgesandt war / am ersten aufwarten. Er muste bei ihr den anvertrauten Fürstlichen Befehl am allerersten [357] ablegen. Dieser Fürstliche Befehl muste nohtwendig vor- und seine Liebe nach-gehen.

(123) Gleichwohl war dieses Freulein so gühtig /daß es den Verliebten nicht lange von seiner Liebsten abhalten wolte. Darüm setzte es sich von stunden an in den Stahtswagen / und befahl ihm seinen Sitz alda auch wieder zu nehmen. Also fuhren sie / durch des Oberjägermeisters Eltern / Brüder / und schier alle Nachbahren begleitet / nach seiner Liebsten Behausung zu. Diese kam ihnen / mit Vater und Mutter /straks entgegen gelauffen. Aber sie ward zum höchsten bestürtzt / als sie ihren Liebsten in so überausprächtigen Stahtskleidern / und darzu mit einer so mächtigen Anzahl der auserlesensten Reiter begleitet /aufziehen sahe. Ja sie meinte schier zu treumen / da sie vernahm / daß er / eben als ein Landesfürst / solchei so köstlichen Reiterei geboht sich in der nähe zu lägern / und auf seinen weiteren Befehl in Bereitschaft zu bleiben.

(124) Uber eine solche uhrplötzliche Verwandelung bekahm sie vielerlei wunderliche Gedanken. Er schien ihr nun nicht mehr ihr Liebster zu sein. Darüm durfte sie ihm auch nicht einmahl nahen / viel weniger ihn anreden. Ja sie stund stähts / als eine betrübte Verlaßene / hintenaus. Ihm näher zu trähten war sie nicht kühne genug. Aber als er seine Gesantschaft bei dem Fürstlichen Freulein volzogen / und sich selbst /mit einem Leibschützen / der drei überaus köstliche Frauenkleider trug / nach ihr zu begab; da konte sie /indem sie sich von einem so stahtlichen Höflinge Liebste genent zu werden hörete / vor großen Freuden eine lange Weile nicht antworten.

(125) Weil er ihr nun Zeit laßen wolte sich wieder zu besinnen; so redete er anfänglich / vor aller ümstehenden Ohren / gantz allein. Er gab ihr zu verstehen /daß der Fünffürst selbst gegen sie beide so gnädig sich erbohten / daß ihr Verlöbnis / ja ihre Hochzeit selbst / auf seinem Schlosse / so bald sie alda angelanget / solte gehalten werden. Er wolte selbst ihr Hochzeitgast sein. Ja er wolte die Braut / als ihr Vater / mit einer stahtlichen Morgengabe begnadigen / auch alle Kosten / die auf ihre Hochzeit liefen / selbst tragen.

(126) Hierauf wendete sich der Oberjägermeister wieder [358] nach dem Fürstlichen Freulein zu: »Mein gnädiges Freulein sol auch wissen« / sprach er / mit großer Ehrerbietigkeit / »daß ihr Fürstlicher Herr Vater meine Liebste zu Ihrer Hofmeisterin zu bestellen gnädiges Belieben getragen. Zu dem Ende schikt er ihr auch allen diesen köstlichen Kleiderschmuk; damit sie / ihrer Gnädigen Fürstin zu Ehren / prächtig genug /und als einer solchen fürnehmen Hofmeisterin zustehet / aufziehen möchte.«

(127) Nachdem er dieses gesagt / nahm er gemeldten Kleiderschmuk / und übergab ihn / im Nahmen des Fünffürsten / seiner Liebsten: welche kaum gleuben durfte / daß alles dieses / was sie sahe / und was sie gehöret / wahrhaftig also sei. Hierbei täht er zugleich Erinnerung: Sie solte nun hingehen / ihrem Fürstlichen Freulein für alle die hohe Gnade / damit der Fünffürst / auf ihr gnädiges Ansuchen / sie beiderseits besäligen wollen / untertähnigsten Dank zu sagen. Und dieses verrichtete sie auch zur Stunde /mit tiefster Ehrerbietigkeit.

(128) Nunmehr war allen kund und offenbahr / daß die schöne Timnatterin / die man bisnochzu für die Göttin Onke gehalten / ihres Landes-Fürsten Freulein Tochter sei. Hatten diese Wüstlinge sie vorhin / als eine Göttin / geehret / so ehreten sie dieselbe nun noch vielmehr. Einieder erwiese sich als ein gehohrsamer Untertahner. Iederman war geschäftig Futter für die Maulesel und Pferde zu hohlen. Man trug so viel zu / daß es alles nicht konte verbraucht werden.

(129) Weil das Fürstliche Freulein sahe / daß sie alle miteinander ihre Gaben / aus eigenem Antriebe /so willig brachten / so versprach sie ihnen bei ihrem Herrn Vater auszuwürken / daß sie hinfort von allen Schatzungen / Schössen / und Zöllen solten befreiet sein: iedoch mit dem Bedinge / daß sie / zur Erkäntnis solcher Gnadengewogenheit / ihren müglichsten Fleis anwenden solten ihre Landereien / und Heuser bester massen anzubauen. Zu dem Ende gab sie ihnen ihren Würt straks zum Richter; der zugleich die Aufsicht haben solte / damit alles wohl und richtig zuginge.

(130) Gleichesfals verhies ihnen der Oberjägermeister Sorge für sie / als seine Verwanten und Landesleute / zu tragen / daß [359] sie nicht etwan ein Fürstlicher Bedienter mit einiger Uberlast belegte. Ja er gab ihnen / auf Befehl des Fünffürsten / ein Fas vol Weines / welches man zu dem Ende mitgeführet / zum besten. Diese trinkbare Wahre kam selten oder gar nicht vor ihre Gurgel. Sie war in ihren Kellern ein gantz fremder Gast. Kaum einer / oder der andere wuste vom Weine zu sagen. Vielen war unbekant / was für ein Getränke der Wein sei. Gleichwohl hielten sie ihn alle / da sie ihn nur etwas gekostet / für das köstlichste Nas.

(131) Auf guhtfinden des Oberjägermeisters hatte man gemeldtes Weinfas in seines Vaters Haus schrohten laßen. Dieser solte der Ausspender sein. Er solte den Wein / mit gleichem Maße / nach und nach unter sie austeilen. Einer solte soviel bekommen / als der andere. Wolten sie dan Lust halben / in gemeiner Zeche / miteinander trinken / das möchten sie tuhn. Aber sie solten nicht alzuviel auf einmahl zu sich nehmen; damit sie keine tolle Köpfe bekähmen / und nicht etwan Schlägereien / oder dergleichen Boßheit verübeten.

(132) Als ihnen dieses vorgehalten ward / kahm es etlichen wunderlich vor / daß der Wein / der nur ein süßes Wasser sei / solche Kraft / tolle Köpfe zu machen / haben solte. Ja sie konten es nicht gleuben. Aber als einieder etwan nur ein Maß getrunken; da verspühreten sie seine Würkung schon. Sie begunten zu taumeln. Sie konten kaum mehr auf den Füssen stehen. Etliche stolperten auf ebener Erde. Andere fielen gar über einen Hauffen. Denen / die noch fest stunden / schien gleichwohl für ihren Augen eine fünstere Wolke zu schweben. Sie konten kaum mehr sehen. Nährlich kenneten sie ihren nächsten Saufbruder. So hatte sie solches süße Wasser verblendet!

(133) Weil man diese Zeche / vor dem Hause des neuen Richters / unter dem blauen Himmel hielt; so sahe die junge Fürstin solche Lust mit an. Sie ergetzte sich über die kurtzweiligen Zecher / die vielleicht noch niemahls bezecht gewesen / über die maße: doch niemahls mehr / als wan sie tantzeten / und Luftsprünge zu machen begunten. Dieses stund ihnen so seltsam / so werklich an / daß der ernsthaftigste Sauerling sich nicht enthalten können zu lachen. Auch lachte die junge Fürstin [360] so viel / als sie vielleicht die gantze Zeit ihres Lebens nicht getahn: zuvoraus wan sie sahe / daß die alberne Tropfen den Nebel / den sie vor ihr Gesichte gefallen zu sein wähneten / mit so kurtzweiligen Gebährden abwischen oder wegtreiben wolten.

(134) Inzwischen hatte sich die Sonne zur rüste begeben. Der Mohn war / mit seinen Sternen / auf die Wache gezogen. Die einbrächende Nacht schien allen lebendigen Geschöpfen den Schlaf anzukündigen. Der Oberjägermeister befand sich verpflichtet von seiner Liebsten zu scheiden: die nunmehr ihr Amt / dem Fürstlichen Freulein / welches bereit stund nach Bette zu gehen / als Hofmeisterin aufzuwarten / verrichten muste. Einieder legte sich an seinen Ort. Die Bezechten selbst / denen die Köpfe niederwärts sunken / krochen zu Lager. Also verlohr sich das Getümmel. Iederman begunte zu schlafen. Es ward überal stille.

(135) Aber diese Stille währete nicht lange. In fünf Stunden war alles wieder wakker. Einieder verlies /mit der Sonne zugleich / sein Bette. Die junge Fürstin selbst kahm schier dem Tage vor. Sie war schon bei der Hand / als sich die gantze Nachbarschaft vor ihrer Tühre versamlete Sie zu begleiten. Der Oberjägermeister befahl seinen Reisigen sich zu rüsten. Diese hielten auch schon in Bereitschaft / als der Fürstliche Stahtswagen ankahm. Hierein verfügte sich das Fürstliche Freulein alsobald. Die Hofmeisterin nahm ihren Sitz gegenüber. Aus Ehrerbietigkeit gegen das Freulein entzog sich der Oberjägermeister ihrer Geselschaft. Er wolte zu Pferde reisen. Auf dem Fürstlichen Stahtswagen zu sitzen trug er bedenken.

(136) Sobald das Freulein solches märkte / rief es ihm zu: er solte bei seiner Liebsten sitzen. Er solte sich für Ihr nicht scheuen. Seine Gegenwart sei Ihr nicht zuwider. Zwei durch Liebe vereinigte Hertzen müste man nicht enteinigen. Sie könte keines Weges gestatten / daß ihre Gegenwart sie trennete. Das Geheimnis ihrer Liebe sei Ihr ja schon bewust. Warüm er sich dan entzöge Sie wissen zu laßen / was sie schon wüste. Zur Unzeit schüchtern zu sein stünde keinem Verliebten zu. Ihr verliebtes Spielen und Schertzen könte Sie wohl leiden. Es sei Ihr keines Weges verdrüßlich. Vielmehr hette sie ihre Lust[361] [363] daran. Und diese Lust / verhofte Sie / würde weder seine Liebste / noch er ihren Augen misgönnen.

(137) Durch diese Worte lies sich dan der Oberjägermeister bewägen dasselbe zu tuhn / was er so gar gern täht. Er weigerte sich nicht länger. Er gehorchte seiner Gebieterin. Er folgete dem Willen des Freuleins. Er setzte sich neben seine Liebste. Und sobald er sich niedergelaßen / rührete sich / auf seinen Wink / die gantze Reiterei. Auch bewegte sich / nach geschehenem letzten Abschiedsrufe / der Fürstliche Stahtswagen. Ja der Leue / des Freuleins getreuer Gefährte / folgete zugleich seiner Aertztin / seiner Gebieterin. Nie verlies sie sein Auge. Neben dem Stahtswagen lief er allezeit her. So lief dan der halbgezähmte Wildling aus seiner Wildnis / vollend ein Zähmling zu werden. So schied der Wüstling aus seiner Wüstenei / damit er ein Höfling würde.

(138) Nachdem die bisher gewesene Nachbahrn der Fürstin Sie bis auf die Grentzen ihrer Einöde begleitet / da schieden sie von Ihr. Der neue Richter führete das Abschiedswort. Er bedankte sich / im Nahmen aller /für die hohe Fürstliche Gnade / welche sie ihnen erwiesen / und noch zu erweisen so gnädig sich erbohten. Er baht mit ihrer geringschätzigen Aufwartung vorlieb zu nehmen / und der selbstangebohtenen Gnade / dasselbe / was sie einig und allein wünschten / bei Ihrem Fürstlichen Herrn Vater auszuwürken /nicht zu vergessen. Sie wolten Ihr darfür ewig mit Guht' und Bluhte verpflichtet bleiben. Endlich war sein Wunsch / daß ihre fernere Reise glüklich / und ihre Zukunft bei Hofe allen und ieden erfreulich sein möchte.

(139) Hierauf kehreten diese Wüstlinge wieder nach ihren Wohnungen zu / und das Fürstliche Geleite hastete sich den Hof des Fünffürsten bei Zeiten zu erreichen. Weil man aber für guht ansahe sich zu entnüchtern / und die Maulesel und Pferde / damit sie üm so viel hurtiger fortlauffen möchten / etwas ruhen und füttern zu laßen; so befahl der Oberjägermeister vor dem nächstgelegenem Würtshause stil zu halten. Alda ward das Freulein / dem die Hofmeisterin folgete /straks in einen Saal geführet. Unterdessen machte der Oberjägermeister Anstalt [363] zum Frühstükke. Die Tafel ward gedekket / und die kalte Küche vom Rüstwagen gebracht.

(140) Sobald die Speisen aufgetischt waren / begab sich das Freulein / mit dem Oberjägermeister / und seiner Liebsten / sitzen. Aber sie hatten kaum zu essen begonnen / da musten sie schon wieder aufhören. Sie hatten den ersten Bissen kaum in den Mund gestekt / da ward ihnen alles das übrige schon versaltzet. Der Würt / welcher zu Ziklak gewesen /brachte mit: das Volk Israels sei / mit zwei mächtigen Kriegsheeren zu Felde gezogen. Simson hette mit dem einen in der Filister Land schon einen Einbruch getahn. Er streufte schon / in der nähe / mit sängen und brennen / mit rauben und morden / herüm.

(141) Diese Zeitung machte das Freulein überaus bestürtzt. Der Oberjägermeister selbst wuste nicht /was man tuhn solte. Er konte leichtlich gedenken /daß so ein tapferer Held / als Simson sei / sich nicht lange zörgen und zupfen liesse: daß er / auf den Ruf von der mächtigen Kriegsrüstung der Filistischen Fürsten wider ihn / und sein Volk / nicht würde geschlafen haben. Und daher stund er in großen Sorgen /wie er das Fürstliche Freulein am besten in Sicherheit bringen möchte. Aber er lies sich dessen nichts märken. Er stellete sich / als ginge solche Zeitung ihn nichts an: als gleubte er nicht / was man sagte. Unterdessen befahl er gleichwohl / man solte zum Aufbruche straks alles färtig machen. Man solte sich nicht seumen. Die itzige Beschaffenheit ihrer Reise litte keinen Verzug.

(142) Ja er schikte / gewissere Kundschaft einzuhohlen / drei Reiter / mit flüchtigen Pferden / voran. Diesen befahl er alle Menschen / die ihnen begegneten / solches Rufes wegen zu fragen. Auch solten sie sich erkundigen / wo der Feind / und wie stark er sei? Sobald sie etwas / das sie für gewis hielten / es sei guhtes / oder böses / erfahren / solte sich ein Reiter geschwinde zurük begeben / und ihm solches ansagen. Und hierauf gab er ein Zeichen zum Aufbruche /der auch alsobald geschahe.

(143) Man war nunmehr aus der wüsten Bersabischen Einöde schon heraus. Man hatte diese gefährliche Wildnis / darinnen [364] Abrahams Dienstmagd und Beiweib / die Hagar / mit ihrem kleinenIsmael / in tausend ängsten / vor Zeiten herümgeirret / verlaßen. Man sahe dieses erschrökliche sorgliche Raubnest der Buschklöpper hinter dem Rükken liegen. Auch war man schon über den Flus Besor hinüber / und auf einer zimlich breiten offenen Fläche; da man weit genug üm sich zu sehen vermochte. Dieses war dan ihr bester Trost. Dieses gab ihnen eine guhte Hofnung der befahreten Gefahr zu entgehen.

(144) Und also suchte man sich aller sorglichen Gedanken zu entschlagen. Also setzte man die fernere Reise zimlich behertzt und unbekümmert fort. Selbst das Fürstliche Freulein war itzund / da ihm der Oberjägermeister alle diese so angenehme Betrachtungen zu Gemühte geführet / ungleich muhtiger / ungleich lustiger / als vorhin. Ja niemand hatte das geringste Vermuhten mehr / daß ihnen etwan ein Unglük von irgend einer feindlichen Hand aufstoßen würde. Das Gerüchte von Simsons Streiffereien war in aller Gemühtern so gar vereitelt / daß sie es nur für ein nichtiges Mährlein hielten.

(145) Auch war es gewislich anders nichts / als ein eiteles Mährlein / als ein leeres Weibergeschwätze /bei dem Spinwokken ersonnen / bei der Kunkel erdichtet. Es war in Wahrheit falsch / und / mit Züchten zu reden / erlogen. Und daß es also sei / berichteten die auf Kundschaft ausgeschikten Reiter. Diese kahmen alle zugleich in einer Stunde wieder. Sie brachten mit / daß sie von zween Ohren- und Augen-zeugen /die zu Zarea gewesen / vernommen: Simson hette sich zwar auf den ersten Ruf / daß die Filister /ihn zu befeden und anzufallen / in Bereitschaft stünden / zur Gegenwehre gerüstet. Aber sobald er wieder Zeitung erhalten / daß man solches feindliche Vorhaben geändert / da hette sich Simson / der itzund /bei bejahrterem Alter / weit anders / als frevendliche Kriege zu beginnen / gesinnet / auch straks wieder zur Ruhe begeben.

(146) Auf hiesigen fröhlichen Bericht / und weil die Helfte der Reise schon abgelegt war / hielt man /nach des Freuleins Befehle / die neulich gestöhrte Fütterung zu wiederhohlen / bei dem nächsten Bauerhause stil. Dieses war zwar durch den [365] Eintrit einer so fürtreflichen Fürstlichen Schönheit besäliget zu werden / viel zu unansehnlich / viel zu häslich. Gleichwohl lag es in einer überaus schönen und lustigen Gegend. Auch war der Würt ein munterer / fröhlicher /und hübscher alter Man / und die Würtin eine sehr guhtahrtige bescheidene Frau: die darbei noch jung /und von Leibesgestalt nicht häslich; ob sie sich schon sonsten / durch den Zufal einer Geschwulst / im Angesichte so sehr übel zugerichtet befand / daß man sie nicht unfüglich erschrökschön nennen mögen.

(147) Alhier war es / da das Freulein abtraht. In diesem Hütlein kehrete sie ein. Bei diesen guhten Leutchen / die auch so guht waren / daß sie Ihr alles einreumeten / trug Sie belieben ihr Mahl zu halten. Man brachte die kalte Küche getragen. Man legte das Tafeltuch auf. Man setzte die Speisen / und sich selbst darbei nieder. War das Zimmer klein und änge /so war die Essenslust üm so viel grösser. Waren die Speisen schon nicht köstlich / so schmäkten sie doch köstlich guht. Der Hunger war alhier der beste Koch. Dieser macht auch den kleinsten verächtlichsten Winkel gleichsam zum herlichsten Speisesaale.

(148) Weil der Würt so gar guht war / so wolte das Freulein / er solte mit zur Tafel sitzen. Aber er weigerte sich dessen. Seine Pflicht / sprach er / erforderte vielmehr Ihr aufzuwarten / als diese Grobheit zu begehen. Er sei zwar ein einfältiger Bauer; doch so gar einfältig keines Weges / daß er seinen Obern mit gebührlicher Ehre zu begegnen nicht wüste. Es sey ihm Gnade genug / daß Sie sein armes Hütlein / durch ihren Eintrit / würdigen wollen. Es sey ihm Ehre genug / daß er / darinnen ihrer ansehnlichen Gegenwart zu genüßen / so hoch besäliget worden. Eine solche Ehre sei ihm noch nie widerfahren. Darüm müste man sie üm so viel weniger misbrauchen.

(149) Das Freulein war über diese des Bauren Höfligkeit überaus verwundert. Sie hette nimmermehr gedacht / daß unter einem groben Baurenkleide solche so höfliche Bescheidenheit verborgen gelegen / wan sie sich nicht selbsten geeusert. Und darüm ward sie bewogen / ihn noch vielmehr / zu nöhtigen. Ja Sie zog ihn endlich selbst bei der Hand zur Tafel. [366] Er muste sich setzen. Er muste selbst neben Ihr sich niederlaßen. Und dieses täht Sie darüm / damit sie üm so viel besser mit ihm sprachen könte: damit er üm so viel kühner und offenhertziger würde / sich mit Ihr in einiges Lustgespräche / das sie anzufangen gesonnen /einzulaßen.

(150) Nachdem man sich nun / in Geselschaft dieses Baurenhöflings / nach Vergnügen ergetzet / da stund man von der Tafel auf. Das Freulein nahm von ihm und seiner Frauen Abschied / mit Versicherung ihnen einige Gnade bei ihrem Herrn Vater auszuwürken. Ja sie fügte hinzu: Sie wolte bald wiederkommen / und noch einen Gast mitbringen. Unterdessen solte man Sorge tragen nur einiges Obst / das guht und ungemein sei / gegen die Zeit im Vorrahte zu haben. Die übrigen esbahre Wahren / mit dem Getränke / wolte Sie selbst mitbringen. Und hiermit begab man sich wieder auf den Weg / die übrige Reise zu volenden.

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TextGrid Repository (2012). Zesen, Philipp von. Romane. Simson. Das 8. Buch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AE91-B