Simplicität und Weltschlingen
Robert belauschte alle leisen Töne, jeden Wechsel der Stimmung in Nannys Wesen; seine Versuche, sie in einer empfänglichern Minute zu überraschen, wurden häufiger, je länger Walthers Entfernung dauerte.
Glücklich hoffte er in einem jener Momente, wo Nannys Herz von Sehnsucht und heftigem Verlangen ermüdet wieder nach einer tröstenden gegenwärtigen Erscheinung, und nach einer lichten Zukunft greifen würde, sich in der Gewalt der Gegenwart dem verbleichenden Zauberbild des Abwesenden unterzuschieben. In einer Lage, wo Nannys Daseyn sich nur durch Hoffnungen und Erinnerungen erhielt, führte sie Robert zuerst in die goldne Welt der Dichtung; neues[333] Leben athmend schwebte sie in der Vergessenheit ihres eigenen schmerzlichen Zustandes in jenen zauberischen Gefilden umher. Er gab ihr die lebendigsten Gemälde der Leidenschaft von den ersten Künstlern entworfen, und stand mit süssem Selbstbehagen neben dem blühenden Mädchen, dessen ganzes Wesen sich in glühenden Träumen aufzulösen schien. Wenn ihr feuchter Blick vom Schimmer der Zärtlichkeit verklärt sich zu ihm erhob, wenn ihre melodische Stimme in ihren zärtesten Beugungen sich dem leisesten und tiefsten Sinn des Dichters anschmiegte; dann wallte ihr sein Busen hoffend und liebend entgegen, und er wähnte, der Augenblick seines Glückes sey gekommen. Aller Plane vergessend fühlte er das rastlose tantalische Streben seines Busens durch einen labenden Moment des Genusses gestillt. Er eilte zu ihren Füßen zu stürzen – aber schon traf ihn Nannys Blick nicht mehr, in der Ferne verloren suchte ihr Auge das Bild des abwesenden Geliebten. Erstarrt fuhr Robert zurück, und wurde auf einmal wieder zum [334] kaltbeobachtenden planvollen Egoisten, dem es nur um seine volle eigne Verklärung zu thun war.
Noch ist die Zeit nicht da, sagte er bei sich selbst; aber nothwendig muß sie kommen! Treibt nicht die Leidenschaft die Kraft des Gemüths empor als eine lodernde Flamme, die den Gegenstand ihres Verlangens aufzehrt? Muß die Flamme nicht seitwärts schlagen, und einen neuen Gegenstand zu ihrer Nahrung ergreifen?
Dem Ritter ging es wie allen, die über menschliche Empfindungen im Abstrakten rechnen wollen, das Resultat ihrer Rechnung paßt auf keinen einzelnen Fall, es paßte wenigstens für jezt nicht auf Nanny.
Bei ihr, wie bei allen Wesen von harmonischen Anlagen, war keine einseitige Bildung möglich. Während sich ihre Fantasie entfaltete, und ihr Herz an der Quelle holder Täuschungen genoß, bildete sich ihr Verstand an der Menge und der Verschiedenheit der Existenzen, die sich ihr im Gewebe der imaginativen Welt darboten; [335] ihre Vernunft reifte durch die lebendige Reizbarkeit ihres Wesens, das seine eigene Beziehung zu allen Lagen und Verhältnissen empfand, zu dem ernsten Treiben, immer die richtigen und wahren zu suchen. Ihr Innres durchlief einen weiten Kreis der Erfahrung, und ihr gerader Sinn fand die Formen des Rechten und Schönen als das Ziel ihrer Wünsche, nachdem sich schon längst ihre schöne Natur in angebohrner Grazie entfaltet hatte.
Roberts Interesse an dem sonderbaren Mädchen wuchs mit jeder neuen unerwarteten Wendung ihres Geistes. Da ihr Scharfsinn und ihr Urtheil neben den üppigen Blüthen ihrer Einbildungskraft reiften, fand er es nöthig, einen andern Weg zu ihrer Bildung und zur Befördederung seiner Wünsche zu erwählen.
Die engen Bande der Gewohnheiten und Sitten, die auf diesem von der übrigen Welt isolirten Platz eine eiserne Festigkeit annahmen, waren ihm lästig. Gefährlich schien es ihm für seine Plane, wenn die Ehrfurcht für diese alten [336] Formen auch in Nannys Gemüth herrschend werden sollte. Dem ungeübten Auge, dem leichtbeweglichen Sinn der Jugend ist die Existenz einer gewissen Lebensweise, gewisser Verhältnisse schon eine Autorität, und mit dem allgemein Angenommenen söhnt sich unsre Vorstellungsart unvermerkt aus. So schloß Robert, und faßte den Entschluß, Nanny mit den Sitten einer großen Stadt bekannt zu machen.
Seine Verhältnisse mit Leonoren von L. wurden auf einmal wieder in seinem Gemüth lebendig, da er den Kreis seiner Bekannten durchlief, um eine Führerin beim Eintritt in die Welt für Nanny aufzusuchen. Die Rückerinnerung an seine eigne unbefangene Herzlichkeit in diesem frühern Verhältniß warf vielleicht ein schöneres Licht auf Leonorens Andenken; vielleicht auch nur geleitet von der süßen Behaglichkeit, überall von einer holden entgegenkommenden Empfindung umgeben zu seyn, und in einer wieder angeknüpften Freundschaft noch den Nachklang alter Zaubergesänge zu vernehmen. Genug [337] er schrieb an Leonoren, und äußerte den Wunsch, Nanny ihrer Führung anzuvertrauen.
Robert selbst wollte sie begleiten, in ihrer Nähe bleiben, und jeden neuen Eindruck, den die Welt auf sie machen würde, beobachten, ordnen und motiviren. Die Bande der Sittlichkeit sollten locker aber nicht aufgelöst in ihrem Gemüth werden. Die romantische Treue ihres Herzens sollte erschüttert, aber die Fähigkeit zu derselben rein bewahrt bleiben.
Eine alte unverheurathet gebliebene Base, die ihm ganz ergeben war, und dabei so kurzsichtig als er es wünschen konnte, sollte Nanny des Anstandes wegen folgen. So hatte er schon längst alles vorbereitet, und erwartete nur den Moment, seinen Plan zu eröffnen.
Walthers ungewöhnliches, unbegreifliches Schweigen, riß Nanny aus der still duldenden Heiterkeit, in welcher sie ununterbrochene Geistesbeschäftigungen erhalten hatten. Die gehoffte Freude des Geliebten an ihrer feinern Bildung hatte all ihr Thun mit einem Genusse des Herzens [338] begleitet; in seinem lebendigen Andenken hatte sie immerwährend gearbeitet und gewan delt. Jetzt unterbrach eine dumpfe Besorgniß den Lauf ihrer Gedanken, ermattet sanken die Flügel ihres Geistes, die kein Hauch der Liebe mehr bewegte.
Walther schrieb an seine Eltern, aber ein unterdrückter, verbissener Schmerz war für Nanny in diesen Briefen sichtbar, der ihre Seele mit Unruhe und Angst erfüllte.
Sie schrieb einige Briefe an Walther in sanften Klagen über seine Vergessenheit, und da diese unbeantwortet blieben, verschloß sie ihren tiefen Kummer im eignen Busen.
Robert war der gefälligste Freund, aber ein Vertrauter konnte und wollte er auch vielleicht nicht werden. Walthers Name wurde nie genannt, aber Nannys Gemüthszustand wurde auf das zärteste beobachtet, und manche Rede Roberts enthielt den absichtlich umhüllten Sinn eines Trostes, eines sanften Zusprechens, bei einer erlittenen Kränkung.
[339]Die Ueberlegenheit, die Robert gerade in dieser Lage über Nanny hatte, war groß, und sein Einfluß auf ihre Entschließungen entscheidend. Mit dem geschärften Takt eines gereizten Begehrens folgte er jeder Wallung in ihrem Herzen, und sein eigner kalter von fremdem Schmerz unerschütterter Busen, riß ihn nie zur Selbstvergessenheit hin. Die Gewalt seiner glühenden Fantasie beherrschte den Kreis ihrer Empfindungen, und wie der brausende Fittig des Sturms in den zarten Blättern der Pflanzen wüthet, so regte er Schmerz und Sorge in den feinen Blüthen ihres Herzens auf.
Die lebhafteste Ungeduld wurde endlich Nannys herrschendes Gefühl, und das Verlangen von diesem Zustande befreit zu seyn, machte ihr den Entwurf zur Reise mit Robert annehmlich, sogar erwünscht.
Roberts Wesen hielt Nanny, ohnerachtet der näheren Bekanntschaft, noch immer in einem sonderbaren Staunen; er blieb für sie eine wechselnde Erscheinung, und wie seine eigne Natur [340] in allen Formen einer bildenden Imagination, der das Vermögen zur schönen Form fehlt, umherschwankte, so schwankten auch die Umrisse seines Bildes in Nannys Gemüth.
Vertrauen, das aus einer stillen, immerwährenden Anneigung der Gemüther entsteht, konnte sie zu der wechselnden Gestalt nie fassen, und mit einer Art von Furcht, gleich als vor einer Geistererscheinung, die uns unbekannte Organe unseres Wesens hervorruft, und vor der unsre ganze Natur erzittert, bebte sie selbst in seinen edelsten Stimmungen vor ihm zurück. Nur die Sehnsucht nach dem Geliebten, der Unfrieden ihres Busens, den alle Qualen der Ungewißheit über Walthers Schweigen bewegten, bestimmte sie zum Entschluß, sich Roberts Führung anzuvertrauen. Walthern erblickte sie am Ziele der Reise. Robert selbst schien oft auf die Vereinigung mit seinem Neffen hinzudeuten, ob er sich gleich nicht bestimmt darüber erklärte. Walthers Vater lächelte gegen Nanny, als man ihm den Entwurf zur Reise vorlegte, und sagte: [341] Du wirst ihm doch wegen seines Schweigens nicht allzuhart zürnen? Die Mutter schwieg, und lächelte schlau auf Robert.
Nannys Eltern waren beide, jedoch in ungleichem Maaße, über den Zustand ihrer Tochter geängstigt. Die zartfühlende Mutter ahnete in Walthers Schweigen eine Mißstimmung des Gemüths, die das Unglück ihres Kindes machen könnte; Nannys verborgenster Seufzer klang in ihrem Busenwieder. Der Vater, froh und heiter vertrauend, ungeschmeidig sich in die zarten Nüancen weiblicher Gefühle zu beugen, legte nur manchmal tiefsinnig seine Hand an Nannys bleiche Wangen, und fragte dann heftig: »Mädchen was ist dir?« Wenn die Mutter gegen ihn ihre Besorgnisse über Walthers Schweigen aussprach, schüttelte er sinnig lächelnd das Haupt, und sagte: Ihr Weiber wollt auch immer, man soll an nichts denken als an euch! Walther kann dem Mädchen sein Wort nicht brechen! Wenn er's könnte, – setzte er nach langem Schweigen hinzu – fürchterliche Falten zogen sich auf der [342] heitern Stirn zusammen, seine ganze Natur schien sich gegen den giftigen Verdacht aufzuregen, und Aufruhr und Verderben anzukünden, wenn sie aus den gewohnten Ufern des Vertrauens einst schäumend überströmen sollte.
Nanny's Geschwister, das ganze Haus folgte ihrem veränderten Zustand mit sanfter Theilnahme, so sehr sie ihr Gemüth auch jedem liebend forschenden Auge zu verbergen strebte. Ein doppelter Eifer schien sie bei allen Hausgeschäften zu beleben; mit sanfter Gefälligkeit hatte sie immer jede Bitte der Geschwister vernommen, und wo möglich erfüllt, jezt kam sie mit zärterem Sinn selbst jedem Wunsche zuvor. Der Ausdruck des Leidens ihrer ganzen Gestalt entging den liebenden, immer zuerst auf sie gerichteten Blicken ihrer Hausgenossen nicht.
Die Eltern und Freunde sahen in Roberts Reiseplan eine willkommene, höchst nothwendige Zerstreuung für Nanny, und willigten mit Freuden ein. Robert wurde in der ganzen Familie wie Walthers zweiter Vater angesehen, und [343] Nanny's Eltern fanden sogar einen untrüglichen Beweis von der Treue des Neffen in dieser Sorgfalt des Oheims für ihre Tochter. Jeder verbarg seine Trauer beim Abschied, um den Abreisenden den Anblick theilnehmender Freude an einem bevorstehenden Vergnügen zu zeigen.
Nanny lag beim Abschied von dumpfen Ahnungen gepreßt an der Brust ihrer Mutter, und konnte sich nicht losreißen. Das Geschrei der kleinen Geschwister, die nach dem Eindruck des Augenblicks gehorsam, ihren Schmerz über den Verlust der Schwester laut äußerten, löste ihre Angst in lindernde Thränen auf. Sie hob eins nach dem andern an ihren Busen, und versuchte sie zu trösten, als Robert erschien, sie zum Wagen zu führen.
Er versprach den Eltern, die treueste Sorge für sie zu tragen, und in der sonderbaren Gewalt, mit welcher er immer auf seinen Kreis wirkte, wagte man in seiner Gegenwart nicht, etwas zu fürchten, wenigstens nicht, sich seine Gefühle zu gestehen.
[344] Mit sanftem Schonen überließ er, während den ersten Stunden der Reise, Nanny den wechselnden Erscheinungen, die in ihrem Gemüth auf- und abwogten.
Zum erstenmal verließ sie das Haus ihrer Eltern, und die weite Welt, die oft so glänzend und heiter vor ihrer Einbildung gelegen, lag jezt wie mit einem schwarzen Schleier umhüllt vor ihr da. Walthers Bild stellte sich oft in lichten Zügen vor sie hin, aber augenblicklich zog sich der Schleier auch über dasselbe her.
Ihr Auge hieng sehnend an dem väterlichen Hause, und so lang sich sein Dach nicht hinter den vordringenden waldigen Hügeln verlor, so lange glänzte ihr Auge in milden Thränen. Ich kenne die Schmerzen, die ich dort empfand, sagte sie sich selbst, der Schmerz, der mir aus jener schauerlichen Ferne entgegendringt, den hat mein Herz noch nicht zu ermessen gelernt!
Nach einigen Stunden klagte sie sich selbst über die Weichheit an, mit der sie sich ihren dunkeln Gefühlen hingegeben; sie fand sich der [345] Undankbarkeit gegen Robert schuldig, der zu ihrer Bildung, zu ihrem Vergnügen diese Reise unternommen, ihr sanftes Auge flehte um seine Verzeihung.
Robert hatte während der ganzen Reise die sanfte Gefälligkeit, die zarten Aufmerksamkeiten für Nanny, die die Frauen immer empfinden und verstehen, selbst ohne durch die Gewohnheit des feinen Umgangs darauf geleitet zu seyn. Nannys Unbefangenheit kannte nichts von der Kunst, den Schein des Argen zu meiden, da sie das Arge selbst nicht kannte. Sie war so entfernt, Robert unter irgend einer andern Beziehung zu denken, als der, des Vaters, des Freundes ihres Geliebten, daß sie ihm nur mit der zarten Achtsamkeit begegnen konnte, die Walther selbst gegen ihn zeigen würde. Oft überwand sie sogar das geheime Wider streben ihres Gemüths gegen Robert, durch die Vorstellung dieses Verhältnisses; es freute sie nach allen Beziehungen, in die sie die Verbindung mit Walthern setzen würde, schon jetzt zu handeln. Wenn sie Robert [346] zuweilen liebe Nichte nannte, flog ein beglückender Traum der Zukunft durch ihren Busen, und eine holde Röthe über ihre Wangen.
Ein lebhaftes Verlangen bildet sich größtentheils in der Region der Illusionen, und führt auch in diese immerwährend wieder zurück. So fein Robert beobachtete, so verschob doch jezt die Eitelkeit seinen Gesichtspunkt. Er freuete sich der sanften Wallungen der Hoffnung in Nannys Busen, und deutete sie im ununterbrochenen Zusammenseyn der Reise nicht selten für sich.
Ein Zufall nährte diesen Wahn.
Am Ende der dritten Tagreise waren sie von dem Ort ihrer Bestimmung nur wenige Stunden entfernt, als sich Robert von einem heftigen krampfhaften Kopfweh befallen sah, welchem er oft unterworfen war, und das schleunige Hülfe forderte. Nanny hatte den Ritter oft besucht, wenn er an diesem Zufall gelitten, und kannte die Mittel und die Pflege, die das Uebel heischte. Sie erlaubte ihm nicht, weiter zu fahren, und drang in ihn, in einem einsamen Hause im Walde [347] zu übernachten, das wenig für Fremde eingerichtet war, und im Sommer nur zu einem Lustplatz diente, nach welchem man aus der Stadt eine Spazierfahrt anstellte. Was von kleinen Bequemlichkeiten zu haben war, drang Nanny Roberten auf. Die Muhme war zu ermüdet, um den geringsten Beistand zu leisten. Nanny sah, wie alle energische Seelen, immer nur auf das nächste und dringendste. Robert war ihrer Pflege allein überlassen, und sie betrug sich gegen ihn wie eine zärtliche Tochter. Sie brachte die Nacht neben seinem Zimmer zu, und wollte ihn keiner fremden Wartung überlassen, da ihre Reisegesellschaft vom Schlaf übermannt da lag. Die Art, mit welcher Robert ihre Sorgfalt aufnahm, der leidenschaftliche Ausdruck seines Dankes für ihre zarte Sorgfalt, seine unverwandten Blicke auf sie, erregten die Aufmerksamkeit der neugierigen Wirthin, die, wie gewöhnlich, immer darauf ausging, die Verhältnisse ihrer Gäste zu entdecken. Mit hundert Fragen bestürmte sie Nanny, die ohne darauf zu achten, in der [348] lebhaften Beschäftigung mit Roberts Wartung nichts als die Wahrheit antwortete, daß sie weder Tochter noch Gattin, noch Schwester, noch nahe Anverwandtin Roberts wäre. Die Folgen, die ein gemeines Weib aus diesen Antworten zog, waren natürlich nicht zu Nannys Vortheil. Die Unschuld und der stille Adel in Nannys Betragen hatte so wenig die Farbe einer berechneten Zurückhaltung, daß ihre hohe Natursprache einem verdorbenen Herzen nicht mehr verständlich war.
Roberten entgiengen die lauschenden Blicke des Weibes nicht, noch weniger konnte seiner Weltkenntniß die Meinung, die sie von Nanny fassen mußte, räthselhaft bleiben, ein Wort von ihm hätte sie widerlegen können, aber er war verloren in Nannys freundlicher Sorge um ihn, der seine Wünsche die höhere Farbe des leidenschaftlichen Antheils gaben. Gern fand er in noch einem menschlichen Wesen außer sich einen Spiegel seines Glücks, es dünkte ihm gewisser zu werden. In diesem fantastischen Genuß der [349] Eitelkeit verloren, blieb er unachtsam auf Nannys Namen, auf ihre Ruhe, die ein feindseliger Dämon oft unwürdigen Zeugen, und unbedeutend scheinenden Zufällen unterwarf.
In den weichen Stimmungen der Kränklichkeit und Sorge kamen Robert und Nanny in St... an.
Madam H.., dieselbe Freundin Leonorens, die wir schon kennen, empfieng Beide mit Vergnügen; sie schien bezaubert von Nannys Schönheit, und sagte Roberten die feinsten Schmeicheleien über seine Wahl. Nanny und ihre Begleiterin blieben in ihrer eigenen Wohnung: Robert bezog ein Haus in der Nachbarschaft.
Madame H.. schien das völligste Einverständniß zwischen den neu Angekommenen als etwas Bekanntes und Angenommenes zu betrachten, obgleich Nannys Unbefangenheit sie nicht selten in Verlegenheit und Verwirrung über die Natur jenes Verhältnisses sezte.
Nanny fühlte eine Unbehaglichkeit in ihrer ganzen Lage, die sie sich selbst nicht zu erklären [350] vermochte. Sie fühlte sich zum erstenmal fremd in der Welt, und ihr ofner Sinn mußte sich verschließen lernen. Ueberall vernahm sie die leisen Tritte der Arglist und des Verdachtes um sich her, ohne einen Zweck des geheimnißvollen Treibens zu erkennen. Sie fühlte sich von Schlingen umfangen, ohne die Hand wahrzunehmen, die sie gelegt; ihr unschuldiges Herz konnte Roberts böse Absichten nicht verstehen, und warf sich selbst die Ahnungen der Tücke und Falschheit vor, die es bei seinem Anblick oft schaudernd ergriffen.
Die Hoffnung auf Walthern hielt sie allein zurück, nicht sogleich in den ersten Tagen wieder nach ihrer Heimath zu begehren. Walthers Garnison war nur eine kleine Tagreise von S. entfernt. Robert ließ einige Winke fallen, als erwartete er seinen Vetter. Dieses beruhigte Nanny über Walthers sonst so unerklärliches Schweigen; sie träumte zuweilen sogar von einer holden Ueberraschung, die ihr Liebe und Freundschaft bereitet hätten.
Wie freute sie sich, ihren Geliebten, dafür [351] geschmückt mit allen Künsten der feinern Welt zu überraschen! In süßer Liebesthorheit brachte sie manchen Augenblick am Putztisch hin, um die gefälligste Form der Kleidung zu wählen, in welcher sie zuerst vor ihm erscheinen wollte, sie saß mit ihrer Guitarre, um die Lieder aufzusuchen, die die reinsten und vollsten Töne der Stimme enthielten.
Saß sie im Gesellschaftszimmer, so jagte jeder Laut eines Ankommenden, jedes Klopfen an der Thüre ein Erröthen über ihre Wangen, und wenn dann wieder ein Tag hingegangen war, ohne die geliebte Erscheinung, wenn der Abend mit der wärmeren Glut der Einbildung, mit seinen Traumbildern und Ahnungen herabgesunken war, dan eilte sie von der Gesellschaft hinweg in ihr einsames Zimmer, und ihr Wesen, das in Sehnsucht aus einander gieng, vereinte sich wieder in den holden Traum der Liebe. Sie sah noch einmal die lange Straße im Glanz des Mondes hinauf, und strebte, wie eine Zauberin, die auf und ab wandelnden Gestalten in den [352] Kreis ihrer Wünsche zu bannen. Er ist es! sagte sie oft, wenn in der Mondesdämmerung die ersten schwankenden Umrisse einer neuen Gestalt erschienen. Wenn sie sich nun näherte, und in fremden Formen das holde Bild ihres innern Sinnes zerrann, dann schlug sie das Fenster zu, und sagte: nun will ich auch heute nicht mehr hoffen! Aber der zunächst ankommende Wagen stürzte diesen Entschluß um, und die fieberhafte Spannung des Erwartens wechselte immerwährend in ihrem Wesen mit dem Schmerz der hoffnungslosen Sehnsucht.
Robert sah sie lieber in dieser weichen, der Fluth aller Gefühle hingegebenen Stimmung, als im Zustand klarer heitrer Besonnenheit. Bald nährte er ihre Hofnungen durch einige flüchtige Worte über Walthers Ankunft, bald tödtete er sie wieder durch sein Schweigen, durch einen hingeworfenen Zweifel an seinen Neffen. Grausam spielte er mit dem treuen, liebevollsten Herzen!
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