[189] Der Harlemmer Koster.
»Es war einmal ein Küster zu Harlem, hieß Lorenz Koster, der ging einmal im Harlemmer Holz spatzieren und schnitt zufällig Buchenäste ab und schnitzte Buchstaben daraus und mit solchen hölzernen Buchstaben setzte er bei seiner Zuhausekunft A b c büchlein für seine kleinen Enkel.
Es war aber der Küster ein erfindungsreicher Kopf und führte diese ersten rohen Versuche der Druckerkunst mit der Zeit immer weiter, nahm Blei, dann Zinn statt Holz, erfand mit Hülfe seines Schwiegersohns die Buchdruckerschwärze und druckte größere Sachen. Nahm auch Druckergesellen in sein Haus und unter andern einen gewissen Faustus aus Deutschland. Dieser schlechte Mensch aber stahl seinem Herrn in der Christnacht Presse, Preßbengel, sämmtliche Lettern, kurz alles Druckergeräth, und flüchtete sich über Amsterdam nach Mainz, wo er auf seinen Namen fortdruckte. Den [190] Koster, als er sah, daß ihm Ehre und Verdienst geraubt, ergriff tiefe Schwermuth, so daß er kurz darauf Todes verblich.«
So berichtet im Wesentlichen Junius in seiner Batavia illustrata, die im Jahr 1588 herauskam; aber ich habe die Stelle abgekürzt, sein Bericht ist viel länger, viel ergötzlicher und gegen das Ende weit kläglicher, als der meinige. Dieser Junius oder de Jonghe, war ein holländischer Alterthümler, ohne Kritik und Schärfe, voll kindischer Faseleien und aufgedunsener lateinischer Phrasen. Er hatte, wie er versichert, obiges Mährchen gehört von seinem alten Lehrer, dessen eisernes Gedächtniß er zu rühmen nicht vergißt; dieser hatte es gehört als Kind, von einem eben so alten Diener des Koster, der Stein und Bein darauf schwor, und regelmäßig bei Erwähnung des Diebstahls in einen Strom von Thränen und Verwünschungen ausbrach.
Daß aber Junius, der seine Batavia bereits gegen das Jahr 1575 bearbeitete, nicht rein aus der Luft gefaselt hat, sieht man aus einer Stelle in Ludovico Guiccardini's descrizione di tutti i Paesi-Bassi, in welcher ebenfalls, unter Harlem, eines solchen Gerüchtes Erwähnung geschieht, selbst von übergebliebenen Denkmälern der Kunst gesprochen wird. Guicciardini's Reisebericht erschien aber [191] bereits im Jahr 1567 zu Antwerpen. – Noch älter ist die Stelle aus der Vorrede einer 1561 zu Harlem edirten Uebersetzung der offic. Ciceron. Koornhart, ihr Verfasser und in selber Person zugleich notorisch erster Drucker zu Harlem, besagt darin, daß die Kunst zu Harlem erfunden, obgleich seine Mitbürger nicht daran glaubten und Harlem seit dem Tode des Erfinders keine Presse gehabt.
Vorhanden war also das Mährchen schon um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts Frühere Spuren finden sich nicht. Alle jene Gelehrte der Niederlande, die zu Anfang und gegen die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts blühten, Erasmus Roterodamus an der Spitze, wissen nichts davon, die Chronik von Holland, die im Jahr 1517 zu Leiden erschien, erzählt ganz einfach: im ersten Jahr, daß Friedrich III. Kaiser ward (1440) ist die Kunst zu drucken erfunden, und zu Alost in Ostflandern, auf dem Leichenstein des Buchdruckers Theodor Martini, der 1472 in die Niederlande kam, steht noch heutigen Tages zu lesen:hier liet begraven Dirk Martens, die de Letterkunst uit Duitsland en Vranckrijk in deze Nederlande heft gebracht.
Allein selbst zur Zeit, als Junius seine Batavia schrieb, muß das Mährchen wenig bekannt und noch weniger geglaubt worden sein. Gleich [192] wie Koornhart beklagt sich auch Junius über den Unglauben seiner Landsleute, die der Stadt Mainz ruhig die Ehre überließen und er könne nicht hoffen, selbst mit der Beredtsamkeit eines Cicero, das gleichsam wie mit Keilen in ihr Herz getriebene Vorurtheil auszureißen.
Allein hierin irrte sich der alte Junius. Ganz Holland lebt gegenwärtig seiner Meinung. Dem Koster sind Bildsäulen errichtet, goldene Inschriften über der Thür (vor dessen angeblicher Wohnung und Druckerei) gesetzt und im Jahr 1823 hat zu Harlem die gesammte Elite des Landes unter Pauken und Trompeten, Reden und Cantaten, Mahlzeiten und Feuerwerken »das vierte Jubeljahr der durch Lorenz Jansohn Koster zu Harlem erfundenen Buchdruckerkunst gefeiert.
Doch höre man zunächst, wie das kam und in welche gelehrte Hände die Altemännersage fiel. Der berühmte Scriverius legte nach Junius die erste Lanze ein für Koster, dann stand der gelehrte Seizius auf, dann warf auch der gelehrte Schrevelius den Mainzern den Fehdehandschuh hin und zuletzt erschien selbst der große Boxhornius in den Schranken. Doch allen Rittern that es Meermannus zuvor. Dieser gelehrte und reiche Patricier von Rotterdam durchreisete halb Europa, stand mit halb Europa in Briefwechsel, verwandte sein halbes [193] Vermögen und sein ganzes Leben, um seinem erdichteten Küster zur Würde einer geschichtlichen Person zu verhelfen und der Harlemmer Sage in den Augen des gelehrten Europa's Grund zu verschaffen. Als die Frucht seines Eifers und seiner Studien gab er im Jahr 1765, in zwei Quartbänden, die origines typographicas heraus, welche Schrift noch gegenwärtig, trotz der neuern und neuesten Abhandlungen von dem Holländer als das neueste Hauptwerk für Koster betrachtet wird. Geschrieben in vortrefflichem Latein mit besonders glücklicher Wahl neuer lateinischer Ausdrücke für die Werkzeuge und Handgriffe einer den Alten völlig unbekannten Kunst, gibt dieses Werk sowohl über die Person des Erfinders, dessen Stand, Herkunft und Familie, als über die Zeit, Art und Geschichte der Erfindung, über die ersten gedruckten Bücher, deren vermuthliche Jahreszahl und welche von Koster selbst und welche von den Kosterschen Erben gedruckt worden, die genaueste und ausführlichste Nachricht; man sieht sein blaues Wunder an den herabgefallenen Genealogien, Zahlen, Citaten und Angaben aller Art, und am Ende muß man eingestehn, daß nie eine Sage, ein Geschwätz, das ungereimt und kümmerlich mehrere Menschenalter hindurch, unter einigen alten Leuten der Stadt sich fortpflanzte, niemals geschickter aus ihrem [194] Nichts herausgegriffen und zu einem nationalen Etwas gemacht worden sei, als das Geschwätz von Koster in Meermann's originibus typographicis. Dennoch muß die spätere Zeit gefühlt haben, daß auch durch diese Schrift das mährchenhafte Dunkel, das auf der Person und Erfindung des harlemmer Küsters ruht, nicht völlig zerstreut worden und da man überdies seit jener Zeit noch manchen schönen Fund gethan, alte namenlose Holzschnitte, alte namenlose Bücher aufgegriffen hatte, so setzte der harlemmer Senat einen Preis aus, und es erschien im Jahr 1819 Herrn Jakob Konings gekrönte Preisschrift über Koster. Da aber Koning, wie es scheint, die Erwartung der holländischen Gelehrten nicht befriedigt und auch in der That bei noch größeren Ansprüchen, die er dem Erfinder hinsichtlich der völligen Vollendung und Ausbildung der Druckerkunst vorbehält, indem er ihn selbst mit Metall gegossenen Typen drucken läßt, was Meermann durch eine wunderliche Bescheidenheit damals noch ablehnte, dennoch sich keiner andern und stärkern Beweisgründe und Beweismittel bedient, als sein Vorgänger (ausgenommen, daß er weit mehr Gewicht legt auf den Ochsenkopf, womit das Papier gestempelt), so sah man mit großer Spannung der neuesten Arbeit[195] eines holländischen Gelehrten entgegen, die, wie ich höre, gegenwärtig auch erschienen ist.
Man kann sich nun leicht vorstellen, daß auf der andern Seite die Mainzer und Straßburger, die sich herkömmlich in Guttenbergs Besitz getheilt, auch sogar um denselben in Streit gerathen waren, bei dem Lärm, den die Holländer von Koster machten, nicht ganz ruhig blieben. Aehnliche, obgleich stärkere und gegründetere Besorgnisse fühlten wohl jene Wirthe zu Harlem, deren Nachbarin durch ein neues Wirthshausschild und zwei aus Leibeskräften blasende Trompeter, ihr älteres aber verfallenes Wirthshaus wieder in Flor zu bringen gedachte. Stießen doch auch Seiz und Meermann und wie sie hießen, so laut in die Trompete der Fama, daß es selbst über den Canal erscholl und manche alte Anhänger von Mainz harlemitisch gesinnt wurden. Begnüge ich mich aber, nur zwei deutsche Streiter aus dem großen Haufen namhaft zu machen; die Literatur über diesen Gegenstand, in lateinischer, deutscher, holländischer, französischer und englischer Sprache, ist bereits schon so mächtig angeschwollen, daß sie keine unansehnliche Bibliothek bildet; gesichtet freilich, bleibt auch hier nur ein kleiner Rest, der in Betracht kommt. Ich erwähne also nur Schöpflin und v. Heineken, – die [196] allerneueste Mainzer Schrift ist mir so unbekannt, wie die allerneueste Harlemmer. Schöpflin in seinen vindiciis typographicis. Straßburg, 1760, 4. verbreitete über die Person des deutschen Erfinders, dessen Schicksale, Freunde, Feinde, Bestrebungen, Leistungen das erste vollständige Licht; ein ehrlicher deutscher Advocat, der bei seiner guten Sache sich aller Ränke und Kniffe enthielt und das Eigenthumsrecht seines Clienten auf streng gerichtlichem Wege darthut. Von Heineken in den Nachrichten von Künstlern und Kunstsachen (Leipz. 1769) gab eine Kritik der Meermannschen Schrift, die nebst Bemerkungen über den angeblichen Lorenz Jansohn Koster und die Ungereimtheit der Diebstahlsgeschichte eine auch sonst lesenswerthe Abhandlung über die Erfindung, Figuren in Holz zu schneiden und über die ersten in Holz geschnittenen und gedruckten Bücher enthält. Man muß nämlich wissen, daß die Kosterianer ihrem Lorenz Jansohn nicht nur die Erfindung der Druckerkunst, sondern der noch weit ältern Holzschneidekunst zuschrieben und ihm daher alle ältesten Holzschnitte, die sich ohne Angabe des Künstlers und der Jahreszahl in Europa vorfanden, eben so andächtig und gläubig unterlegten, wie sie jenes mährchenhafte Werk beweglicher Letterkunst, jenes Buch, das Rabbi Joseph Hakkohen mit der Jahreszahl 1428 zu Venedig [197] gesehn haben wollte, für unbezweifelt Kosterianisch ausgaben. Was die Holzschneidekunst betrifft, so hat schon Heineken ihnen so gute Aufklärungen zufließen lassen, daß es in der That nicht seine Schuld ist, wenn die Holländer noch immer bei ihrer Meinung verharren. Und auch hinsichtlich jenes venetianischen Buches gab er ihnen, abgesehen von dem Einfall, ihrem Koster schlankhin ein Buch anzueignen, das sich zu Venedig fand, wenigstens einen sehr glücklichen Wink an die Hand. Hat der Rabbi, sagt er, das Buch wirklich gesehen und war dasselbe wirklich ein mit beweglichen Lettern gedrucktes Buch, so wird es ein französisches gewesen sein, auf dessen Titel er die Jahreszahl 1488 mit lateinischen Zahlen, IIIIXXVIII. nach französischer Art vermerkt fand und irrthümlich 1428 stattquatre vingt huit herausstudirte.
Doch es war vergebliche Mühe, die Holländer in einem so schmeichelhaften Glauben zu stören. Gegenwärtig, das wird der Leser aus dem Angeführten ersehen haben, können sie sogar mit Ehren nicht mehr zurück. Daß der Koster gelebt, die Buchdruckerkunst erfunden und durch Faust oder Gutenberg bestohlen worden, das fragt sich nicht mehr, wie ehemals, das ist seit dem Nationalfest im Jahr 1823 über alle Frage hinaus, und in [198] seiner Gewißheit als patriotischer Glaubensartikel durch nichts zu erschüttern.
Mir kommt bei dieser Gelegenheit der Schweizer Tell ins Gedächtniß. Tell, in der Republik der Berge, ist eine eben so mythische Person wie Koster in der Republik der Sümpfe, Beide gleichen sich auch darin, daß sie allem Anschein nach Quiproquo's und Copien wirklicher historischer Personen sind und unterscheiden sich vielleicht nur durch den kleinen Umstand, daß ganz Europa den Schweizerhirten, seiner sonstigen poetischen Verdienste wegen, von Herzen gern als wahr und wirklich anerkennt. Welche Macht in der Welt könnte aber auch den Schweizern ihren Tell entreißen, nun, da er einmal als Erfinder des Apfelschusses und Geßlers Mörder in den Volksglauben und die Volkslieder eingedrungen ist. Was gewänne man, den Schweizern vorzurücken, Tell's Person und That sei so unerweislich als unerwiesen, sei weder durch gleichzeitige Schriftsteller, Geschicht- und Chronikenschreiber erwähnt, noch durch irgend einen Schein von historischem Zeugniß beglaubigt, vielmehr, es stehe diese Person und That mit den kleinsten Nebenumständen leibhaftig vorgebildet und beschrieben im Saxo Grammatikus, der hundert Jahr früher im Rothschilder Kloster auf Seeland eine dänische Geschichte verfaßt, [199] und es sei der ganze Schweizer Tell eben kein andrer, als der fühnische Bogenschütze Palnatoke, und dieser der wahre Erfinder des Apfelschusses, wie später, in große Begebenheiten verwickelt, einer der vornehmsten Aufrührer und Tyrannenmörder aus Rache und persönlichem Haß 1. Werden die Schweizer darum ihren Tell fahren lassen, werden sie jemals eingestehen, die Sage von ihrem Helden sei nur, wie die Sage von Koster, aus einem andern Lande durch das Geschwätz alter Männer in ihre Berge verpflanzt und durch einen Junius der Schweiz später in die Landeschroniken eingeschwärzt? Mit nichten. Sie führen den Zweifler vor Tell's Capelle, zeigen ihm seine Armbrust, sein Wohnhaus, andere heilige Reliquien und gegen solche demonstratio ad oculos muß jeder Zweifel verstummen.
Eben so handgreiflich beweisen die Harlemmer für Koster. Hier, sagen sie, hier auf dem Markt, neben der großen Kirche hat Koster gewohnt und gedruckt, hier auf dem Stadthause siehst du seine [200] ersten Drucke, hier die silberne Kiste mit den ersten Buchstaben aus Holz, hier das älteste Buch, »der Spiegel unsrer Seligkeit,« das mit jenen hölzernen Buchstaben gedruckt worden, und, zweifelst du noch, so begib dich nach der Wohnung des Herrn Enschede zu Harlem, dort hängt Kosters altes Bild an der Wand, das sind die Züge des großen Mannes.
Dagegen läßt sich wenig sagen und erwiedern, besonders wenn man an der Wirthstafel zu Harlem sitzt. Mit holländischen Gelehrten läßt sich über gewisse Gegenstände überall nicht gut disputiren, weil es ihnen schon vermöge des Innungswesens, in dessen Fesseln die Gelehrsamkeit hier zu Lande noch eingezwängt ist, an geistiger Freiheit und Unbefangenheit mangelt. Noch weniger konnte es mir beifallen, mit irgend einem Holländer über Koster und Gutenberg in gelehrten Streit mich einzulassen; und schon deswegen nicht, weil ich fürchten müßte, meine eigene Unbefangenheit dabei zuzusetzen. Gutenberg ist in ihren Augen ein gemeiner Dieb – er, der Wohlthäter der Menschheit, der Stolz unsers Landes, der Märtyrer eines genievollen Gedankens, im Leben verläumdet, verfeindet, verarmt, um die Früchte seiner Arbeiten und Mühen gebracht, als Greis das Gnadenbrod eines gutmüthigen Fürsten essend, vergessen [201] und im herznagenden Kummer, gleich dem Entdecker Amerika's, in die Grube gefahren, nach seinem Tode, im Angesicht Europa's, das sein Angedenken, wie er's verdiente, in schuldiger Ehrfurcht hielt, entehrt und beschmutzt mit dem Kothe eines Mährchens, das seinen Ursprung aus Morästen nicht verläugnet! Gutenberg, ein Dieb, ein gemeiner Abenteurer und Ehrenräuber – schon der bloße Gedanke jagt mir in der Seele der Mijnheers Schamröthe auf die Wangen; was würde und was könnte ich ihnen sagen, äußerten sie denselben in meiner Gegenwart. Schämt euch, müßte ich sagen, schämt euch! Ihr bringt eine abgeschmackte, völlig aus dem Wind gegriffene kindisch faselnde, mit groben Widersprüchen und Ungereimtheiten überladene, durch nichts bisher erwiesene, durch nichts künftighin zu beweisende plattholländische Diebsbeschuldigung gegen einen Mann vor, dessen Genius weit über eure Begriffe und Erfahrungen hinausliegt und dessen Erfindung ihr unter euren einheimischen nur die Erfindung der eingepökelten Heringe durch Willem Beukelsohn, und der gläsernen Treib-, und Schwitzkasten durch einen Bürger von Harlem an die Seite zu stellen habt. – –
Gutenberg nämlich und nicht Faust, ist, seit und nach Meerman's Schrift, in den Augen der [202] Kosterianer der wahre Dieb. Begreiflich. Man hatte erst später in Erfahrung gebracht, daß nicht Faust, sondern Gutenberg der wahre Erfinder sei, bekanntlich hatte Ersterer eine lange Zeit den Namen dafür. Meermann benutzte die neuentdeckte Wahrheit, um eine neue Lüge darauf zu pfropfen, er machte aus dem einen historischen Gutenberg deren zwei, der eine stiehlt und entdeckt dem Andern das Geheimniß der Kunst, um welches dieser vergebens sich abgemüht.
Wie, wird der Leser rufen, so aufs Geradewohl, so ohne weitere Beglaubigung, ohne thatsächliche Beweismittel? Versteht sich, mein lieber Leser, ohne dies und das; es war Meermann nur um irgend einen Dieb zu thun, der mit Vornamen Johannes hieß und für – den Erfinder der Buchdruckerkunst galt. Doch über diese kleine Fiction wird man sich nicht sehr verwundern, wenn man das Gewebe der Fictionen und Lügen kennen lernt, mit dem die holländischen Gelehrten Koster's Lorbeerkranz übersponnen haben. Feine Lügen und grobe Lügen, Falsa aller Art, Wortverdrehungen, kleine Kniffe u.s.w. sind im Verlauf des Kosterschen Processes nach und nach so planmäßig zum Vorschein gekommen; daß ich behaupten möchte, die Geschichte desselben sei leider national merkwürdig, und schon in dieser Hinsicht [203] eines genauern Studiums werth. Mir wenigstens ist daraus klar geworden, daß der Handelsgeist der Holländer selbst auf dem Gebiete der Wissenschaft sich nicht verläugnet, daß er jenen trüben Egoismus auch dorthin mit sich führt, wo ihm der Eintritt durch einen edleren Geist, der allein das Recht besitzt, dort zu walten, strenge untersagt sein sollte. Auch hier stoße ich wieder auf den alten faulen Fleck, auch hier auf jene ehrbare gewissensruhige Gewissenlosigkeit, sobald und so oft nur ihr Interesse mit dem Interesse anderer Personen und Nationen in Berührung kommt. Ich sehe auch hier, wie sie um jeden Preis das Monopol an sich zu reißen streben. Ich denke an die Holländer, die in Ostindien die alten Besitzer, die Portugiesen beschwärzten, um des Alleinhandels mit Pfeffer und Kaffeebohnen sich zu bemächtigen, es sind dieselben, die Gutenberg beschwärzen, um Monopolisten einer Erfindung zu sein, die doch, nach ihrem eigenen Geständniß, nur eine todtgeborne Frucht für Harlem und Holland war. Und wie sie per fas und nefas jeden neuentdeckten Handelszweig in Flor zu bringen, jede frisch angestochene Quelle der Reichthümer höchst ergiebig zu machen verstanden, so wundere ich mich auch hier nicht über den Wucher, den sie mit dem Mährchen von Koster getrieben, über die fünftausend[204] Procent, die sie daraus gezogen, über den Reichthum an Kosterschen Documenten, Büchern, Holzschnitten, silbernen Kästchen, Gemälden, Bildsäulen, Stammtafeln, Inschriften, goldnen, silbernen, zinnenen und hölzernen Lügen; obgleich ich keinem ehrlichen Mann verdenke, wenn er beim Anblick aller dieser erstaunenswerthen Sachen gläubig oder ungläubig die Hände über den Kopf zusammenschlägt.
Ich sage, ich wundere mich so wenig darüber, als ich daran glaube. Ich finde es aber sehr begreiflich, daß selbst kluge und vorurtheils freie Leute durch den ersten Schein und die Dreistigkeit des Betruges sich bestechen lassen, etwas dahinter zu sehn, was ich und Andere nicht dahinter sehn. Insbesondere aber sind englische Gelehrte, eines seltsamen Umstandes wegen, den ich in der Folge berühren werde, geneigt, dem Harlemmer Küster, wenn auch nicht die gänzliche Vollendung der Kunst und den Druck mit metallgegossenen Typen, doch die Erfindung der hölzeren, also die ersten Anfänge der Kunst zuzuschreiben. Allein, die dieser Meinung sind, verwechseln offenbar theils den Abdruck von ganzen holzschnittlichen Tafeln mit dem Druck einzelner beweglicher Lettern aus Holz, theils lassen sis sich durch das Vorgeben der Kosterianer verführen, [205] gewisse alte holzschriftliche Bücher für mit beweglichen Lettern gedruckte oder wirklich gedruckte für weit frühern Ursprungs zu halten. Der alte Donatus hat hauptsächlich viel Lärm verursacht, obgleich, wie man hören wird, ganz unschuldiger Weise. Derselbe war eine im Mittelalter stark gebrauchte Mönchsgrammatik, ein kurzer Katechismus der lateinischen Sprache in Frage und Antworten, dem der ältere Donatus zu Grunde lag; Gutenberg, Faust und Schöffer haben ihn mehrmals abgedruckt. Nun bemerkte schon Accursius handschriftlich zu der Mainzer Ausgabe des Donat von 1450, daß dieses Buch schon früher von holzschnittlichen Tafeln in Holland abgedruckt, die Druckerkunst selbst aber zu Mainz erfunden worden. Dasselbe sagt die Chronik von Kölln vom Jahr 1499 mit den Worten eines gewissen Ulrich Zell, Item, lautet die Stelle, wiewol die Kunst zu Mainz erfunden, auf die Weise, wie sie nun gemeiniglich im Gebrauch ist, so ist doch die erste Verbildung (prima imago) erfunden in Holland aus den Donaten, welche daselbst vor der Zeit gedruckt sind. Einen solchen Donat kannte auch Josef Scaliger in confutat. fabulae Burdonum; er nennt ihn fixis tabellis impressum. – Daß Ulrich Zell vom Alter deutscher Holzschnitte und holzschnittlicher Werke wenig Kenntniß hatte, beweist er dadurch, [206] daß er einmal den Donat als das älteste Werk dieser Art ansieht, und zweitens, denselben unbedingt den Holländern zuschreibt. Was das Erstere betrifft, so ist z.B. die ars memorandi notabilis per figuras Evangelistarum (vom Anfang so genannt) die außer grotesken Figuren von Engel, Ochse, Löwe und Adler einen abgesonderten Text enthält, ohne Frage bei weitem älter, als der holzschnittliche Donatus. Was das Zweite betrifft, so ist den Kennern hinlänglich bekannt, daß fast kein alter Holzschnitt, wie später kein gedrucktes Buch in Deutschland herauskam, das nicht in Holland und Belgien nachgeschnitten und nachgedruckt wurde. Solcher Holzschnitte und Drucke, untermischt mit deutschen Originalen bemächtigte sich der Harlemmer Senat, wo er sie fand, und legte sie, wie Guckuckseier, der Kosterschen Officin unter, in seiner Einfalt ganz unbesorgt wegen der Verschiedenheit der Manieren, die sich auf den ersten Blick Kennern und Nichtkennern verräth. Da sieht man ein Exemplar der biblia pauperum, jenes uralten deutschen Kunstwerkes, das die Sage dem Ansgarius von Bremen zuschreibt, und das, merkwürdig genug, in mehrern Bildern, die Idee und selbst die Worte der Bildhauerarbeiten im alten Dom zu Bremen darstellt. Auch die Franzosen haben diese Bibel der Armen nachgeschnitten, [207] allein trotz dem Stempel der französischen Lilien auf dem Papier gründen sie keine unrechtmäßigen Ansprüche auf dieselbe, wie sie überhaupt nicht in Abrede stehen, daß in Deutschland die Wiege der Holzschneidekunst und der von ihr ausgehenden, der Erfindung nach genialeren, der Ausübung nach aber weit weniger künstlichen Druckerkunst zu suchen 2. Diese Nachschnitte sind gemeiniglich aus viel späterer Zeit, deren Spuren sie dann auch an sich tragen. So findet sich ebenfalls zu Harlem die altdeutsche providentia Virginis Mariae aus dem Hohenliede, mit Sinnbildern und Zetteln in lateinischer Schrift – lange dürre Figuren, gleich den Bildhauerarbeiten in mehrern altdeutschen Kirchen; dieses Werk führt auf dem ersten Blatt einen Titel, deutlicher Beweis, daß es nicht der alten Holzschneidekunst angehört. [208] Ein anderes, die ars moriendi, zu Wolfenbüttel mit vier und zwanzig Blättern, zu Harlem mit funfzehn, weicht so augenfällig in der Manier von den übrigen ab, daß Meermann selbst es nicht läugnen kann. Er hilft sich aber damit, daß er sagt, dasselbe rühre allerdings von einem andern Formenschneider her, sei aber von Koster mit Lettern versehn. Am Ende des letzten Blattes fand Heineken ein großes lateinischesK (Koster) abgedruckt. Einfältiger Betrug! Aus Versehn des Binders ist zufällig das letzte Blatt das erste und das erste das letzte. Von einem andern zum Theil ganz, zum Theil nur zur Hälfte älterer holzschnittlichen Werke wird gleich die Rede sein, es heißt speculum salvationis, ist in viele Sprachen übersetzt und so gewiß ursprünglich die Arbeit eines deutschen Holzschneiders, als der Text einen deutschen Mönch von Augsburg zum Verfasser hat.
Gesetzt aber auch, es wäre der erwähnte holländische Donat ausnahmsweise kein ursprünglich deutsches Werk, so ist es damit noch kein mit beweglichen Lettern gedrucktes, sondern bleibt ein von ganzen Holztafeln abgedruckter Donat, wie sowohl die angeführten Zeugnisse des Accursius, des Ulrich Zell und Scaliger, als die zu Harlem aufgezeigten Donate darthun. Allein, was folgerte Meermann aus den einfachen Worten des Ulrich [209] Zell? Man höre und staune. Ulrich Zell hat offen eingestanden, daß der Mainzer Donat von 1450 mit den der Kosterschen Officin gestohlenen Lettern gedruckt worden, indem er bekennt, die erste Verbildung der Kunst stamme aus den Donaten, die in Holland vor der Zeit gedruckt worden; ex Donatis, nämlich aus den Typen, deren Koster sich zum Drucke des Harlemmer Donat bediente. Aus dieser Erklärung des Mijnheern sieht man deutlich, wie der Heißhunger nach Beweisen, nach Nahrung für eine Chimäre so groß war, daß er mit dem lustigsten Unsinn, mit der verdrehtesten und windschiefesten Interpretation vorlieb nahm. Heutzutage noch gilt die Stelle der Köllner Chronik den Kosterianern für einen der äußern Hauptbeweise ihrer Sache, der Harlemmer Donat als Kosters ältestes Druckwerk.
Nur das gedruckte speculum salvationis nostrae streitet sich in ihren Augen mit demselben um den Ruhm des Alters. Von diesem Werk zeigt man zu Harlem mehrere Ausgaben, in lateinischer und holländischer Sprache. Manier und Inhalt des speculi oder Spiegels unsers Heils stimmen mit der biblia pauperum überein, nur daß die Armenbibel aus ganzen Figuren besteht und der Spiegel oben Vignetten und unten den Text in zwei Spalten enthält. Die eine lateinische [210] und die eine holländische Ausgabe zu Harlem sind nach dem Urtheil der Kenner ganz mit beweglichen Lettern gedruckt, eine zweite lateinische zeigt dagegen 43 Blätter auf diese Art, und 20 Blätter von hölzernen Tafeln abgedruckt. Vignetten und Text bieten bei dieser Ausgabe eine auffallende Verschiedenheit dar, denn die Vignetten sehn grau und blaß, die Buchstaben schwarz aus. Da nun auf allen angeblich Kosterschen Büchern Jahreszahl eben so wenig als Drucker und Druckort angegeben, so läßt sich nur aus Gründen der Wahrscheinlichkeit die Frage abthun, ob diese seltsame Ausgabe des speculi oder die andere lateinische die ältere sei. Was ist aber wahrscheinlicher, als daß ein Buch, dessen erste Folioseiten von ganzen Holztafeln abgedruckt sind, wenigstens diesem Theil nach, einer frühern Zeit angehört, als ein anderes desselben Inhalts, das völlig mit beweglichen Lettern gedruckt ist? Dennoch halten die Kosterianer das ganze Werk für jünger, finden sogar in jenem seltsamen Umstande den klarsten Beweis dafür, daß Lorenz vom Johannes bestohlen worden, indem sie die Entstehung des Werkes in jene Zeit setzen, als die Kostersche Presse über die Grenze gewandert und die Druckerei verödet war. Nach Koning ist dasselbe Kosters letztes Werk, nach Meermann aber hatte Koster[211] sich schon zu Tode gegrämt und rührt dasselbe von den Erben her; nach Beiden war Ungeduld die Ursache, die Koster oder die Erben antrieb, ganze Folioseiten mit unsäglicher Mühe in Holz zu schneiden, statt, als Inhaber und sogar erste Entdecker des Geheimnisses, mit geringer Mühe eine kleine Anzahl Typen einzeln wieder auszuschneiden. Welche Narrheit sie da dem Küster und dessen Familie aufbürden! Sie hätten eben so gut behaupten können, der Koster habe gleich, nachdem er die Buchdruckerkunst erfunden, auf frischer That zwanzig Folioseiten Buchstaben in starre hölzerne Tafeln eingeschnitten, vor Ungeduld nämlich und um sich den Druck eines Werkes mit beweglichen Lettern zu erleichtern. Wollte Koster, wollte die Familie, nach dem Diebstahl, der ihnen Ehre und Verdienst zu rauben drohte, der Welt durch den Abdruck von Holztafeln in aller Eile den Beweis liefern, daß die Kunst der Buchdruckerei keine Mainzer, sondern eine Harlemmer Erfindung sei, und daß man die Sache zu Harlem eben so gut und noch besser verstehe, als zu Mainz? Und das war der erste Gedanke, auf den der vom harten Schlage betäubte Kopf des Erfinders verfiel, Buchstaben in Holztafeln zu schneiden, sich wieder in die Wiege der Kunst zu legen, während er wußte, daß seine geflügelten Lettern in alle [212] Welt ausgehen würden. Hatte er auch keinen Freund, der ihm zurief, Koster, du bist ein Thor, geh und schneide Buchstaben, so eilig als möglich, und laß die Bretter liegen, so hätten wenigstens dessen spätere Anhänger und Bewunderer, wie Koning, ihn auf seine alten Tage vor der Narrheit schützen und, treu der Altenmännersage, der auch Meermann folgte, ihn durch einen schnellen Tod hinwegraffen sollen.
Freilich, eine Ungereimtheit mehr oder weniger im Leben Koster's, darauf kommt es nicht an bei der Menge, die allein das Mährchen von der Diebstahlsgeschichte enthält. Der Dieb, der nur ganz einfach das Geheimniß in die Tasche zu stecken brauchte, beladet sich mit Centnerlasten von Typen und andern Gegenständen, woran zwei Pferde hinlänglich zu schleppen gehabt, macht sich heimlich, unbemerkt, wie mit einer Federspule, aus dem Hause, aus der Stadt, aus dem Lande. Koster läßt ihm nicht nachsetzen, nicht einholen und ergreifen, er läßt ihn in Mainz ankommen, drucken, drucken mit gestohlenen Typen, die Erfindung der Kunst sich zuschreiben, sich und Andern den Verdienst, die Ehre zuwenden, und sitzt daheim zu Harlem, verzehrt sich in Gram, verwünscht den Elenden und denkt nicht daran, daß die freie Reichsstadt Mainz, die blühendste, kunstreichste, geachtetste [213] der deutschen Handelsstädte am Rhein, christliche Gesetze und Obrigkeiten hat, die geraubtes Gut nicht straflos im Besitz frecher Räuber lassen, sondern von Kaisers- und Rechtswegen über demsuum cuique zu wachen, seit Alters festgestellt sind. In allem diesem ist kein Verstand. Der Harlemmer Küster beträgt sich wie ein junges Mädchen, dem ein nächtlicher Dieb Ehre und Unschuld geraubt; des Abends legt er sich als Erfinder zu Bett, des Morgens ist ihm die Erfindung gestohlen, und nun denkt er, hin ist hin, verloren ist verloren, und benetzt mit bittern Thränen die zerrißnen Blätter seines Lorbeerkranzes und es fehlt nur noch, daß er sich fürchtet, die Stadt würde mit Fingern auf ihn weisen. Und die Stadt, seine Freunde, der Senat, nichts rührt und rüppelt sich in Harlem, kein Schrei, keine Klage erhebt sich, Keinem liegt der Ruhm und die Ehre eines geachteten Bürgers, der Stadt selbst, und des ganzen Landes nur so viel am Herzen, um den kleinsten Schritt zu thun, gerichtliche Verfolgung einzuleiten, den Erfinder, dessen Familie – war das noch nöthig – zu beschwören, zum Ruhm und Besten der Stadt, zu eigenem Ruhm und Besten, die Früchte einer so glänzenden und einträglichen Erfindung nicht muthlos aufzugeben, und nur zunächst mit den ersten neuen [214] Lettern vor ganz Europa dem Dieb ins Angesicht drucken zu lassen, daß er ein Dieb und Betrüger sei. Nichts von alledem. Die Kosterianer lassen, wie gesagt, bald Koster selbst, bald die Familie noch einige Zeit nach dem Diebstahl mit neuen Lettern fortdrucken, zeigen auch mehrere Bücher auf, die dieser Zeit angehören sollen; allein es ist keins darunter, das in der Vorrede oder sonst irgendwo nur mit einer Sylbe der fatalen Katastrophe im Drama der Erfindung gedenkt. Nicht spurloser hätte eine Perrücke aus dem Kleiderschrank eines Harlemmer Bürgermeisters verschwinden können. Ein alter Diener faselt davon, ein alter Schulmeister erinnert sich dessen aus der Kindheit und nach anderthalb Jahrhunderten übersetzt ein holländischer Alterthümler die lamentable Geschichte ins Latein. Hätten die Erfinder des Mährchens nur so viel Schlauheit gehabt, daß sie den Koster und dessen Erfindung ins Dunkel des Geheimnisses gehüllt, und denselben als einen zurückgezogenen Schwarzkünstler abgemalt hätten. Nein, er ist ein bekannter Mann, ein achtbarer Bürger, ein Beamter der Stadt, hat ein Haus, eine große Druckerei am Markt, besoldet mehrere Druckergesellen, druckt einen Haufen Bücher, verdient Geld, macht Aufsehn, viel Aufsehn, so daß selbst der König von England von ihm hört und [215] einen Spion nach Harlem schickt, u.s.w., und in einer einzigen Nacht wird eines solchen Mannes Ehre und Ruhm auf dem breiten Rücken eines Diebes aus dem Harlemmer Thor getragen und der Dieb wandert wohlgemuth nach Mainz und lacht ins Fäustchen, wie der Teufel, als er Peter Schlemihls Schatten in die Tasche gesteckt hatte. Nicht einmal nach dem Rathhaus geht der Mann und läßt die Geschichte ad acta nehmen, thut es sich, seiner Familie, seinen Nachkommen nicht zu lieb, ein gerichtliches Instrument bei den Vätern der Stadt zu deponiren, worin die glorreiche und zugleich tragische Geschichte der durch ihn zu Harlem erfundenen Buchdruckerkunst, beglaubigt durch eine Anzahl erster Drucke, bescheinigt und erhärtet durch eidliche Aussagen seines Schwiegersohns, seiner Gesellen und Freunde, wie durch eigene, für die Nachwelt zu lesen gestanden. Alles das thut der Mann nicht, sondern legt sich hin und stirbt
post Christum natum
man weiß nicht mehr das datum. Man weiß auch nicht das Jahr, in dem er gestorben; eben so wenig das Jahr, in dem er geboren, eben so wenig wie irgend ein Jahr aus dessen Leben, in dem er Dies oder Jenes gethan oder erlitten, die Erfindung vervollkommt, ein Buch gedruckt, ein Kind bekommen, [216] Gevatter gestanden, Küster oder Rathsherr geworden, einen Proceß geführt 3 und dergleichen mehr.
Wohl verstanden, man weiß es nicht; allein dessenungeachtet fehlt es den Kosterianern nicht an Jahreszahlen zur geschichtlichen Ausstaffirung ihres Mährchens; im Gegentheil, sie haben durchgängig mehr Zahlen, als sie brauchen, übercomplete Jahrszahlen, die man sonst auch wohl widersprechende nennt, und in der historischen Kritik als verdächtig betrachtet. Im vorigen Jahrhundert feierte z.B. die Stadt Harlem Kosters drittes Jubiläum im Jahr 1740, in diesem Jahrhundert 1823. Im vorigen Jahrhundert hatte Koster demnach die Buchdruckerkunst im Jahr 1440 erfunden, in diesem erfindet er dieselbe bereits 1423. Warum gerade 23, das soll ich schweigen; auf der alten Tafel über Kosters Hausthüre las man 1429, früher 1440; denn Scriverius überredete den Harlemmer [217] Senat zur Annahme der ersteren Jahreszahl, weil Rabbi Hackohen, wie schon gesagt, ein gedrucktes Buch von 1429 zu Venedig gesehen. Die Väter der Stadt waren schlimm genug daran, sie wußten von nichts, und sollten dennoch auctoritate Senatus Harlemensis das wahre Jahr der Erfindung sanctioniren. Die Buchdrucker von Harlem, die Koster ein Standbild aus ihrer Tasche errichteten, setzten das Jahr 1430 darunter, das Harlemmer Collegium medicum bescheidete sich dagegen, geheimnißvoll den Finger auf den Mund zu legen, sie setzten dem Erfinder ebenfalls ein Monument, schrieben aber keine Zahl darauf 4.
So sieht es aus mit den Jahrszahlen, deren sich die Kosterianer bedienen, um ihr Mährchen [218] auf dem Boden der Geschichte festzunieten. Aehnliche und noch ärgere Varianten liefern die Nachrichten über die Person des Erfinders selbst. Zunächst kommt es einem sehr ergötzlich vor, wie mit dem wachsenden Mährchen auch diese Person an Ehren und Aemtern wächst und zunimmt. In der ursprünglichen Sage und bei Junius ist er nur ein Küster, allein schon Seiz nimmt den Küster in den Senat auf, und Meermann gibt zu verstehen, daß er wohl gar Bürgermeister gewesen; das nicht genug, er leitet dessen Geschlecht von den Brederode's ab, indem er den Vater oder Großvater zum Bastard macht. Küster bleibt er dessenungeachtet, ja er heißt nur deswegen Koster, weil das Küsteramt in seiner Familie erblich war. Ob es aber in Holland und jedem andern christlichen Lande ein erhörter Fall, daß ein Rathsherr oder Bürgermeister zugleich das geistliche Küsteramt bekleidet, darüber geben diese Herren keine weitere Auskunft. Sie begnügen sich damit, zu sagen, das Küsteramt zu Harlem sei ehemals sehr ehrenvoll gewesen und gar nicht zu verwechseln mit dem Küsteramt von heute. Allein damit wird der Stein des Anstoßes nicht aus dem Wege gehoben, und ich muß es den Gelehrten, die von der Gemeindeverfassung des Mittelalters genauere [219] Kenntnisse haben als ich, überlassen, ob sich ähnliche Beispiele vorfinden. Aus Harlemmer Kirchen- und Stadtbüchern ist von der Person eines Küsters oder Rathsherrn, oder gar Küsters und Rathsherrn, der Koster hieß, keine Nachweisung erfolgt. Sie findet sich also nicht darin. Allein auch in diesem Falle, welche Kluft zwischen einem Harlemmer Küster und dem Erfinder der Buchdruckerkunst. Kein Zeitgenosse weiß etwas von ihm, und der Harlemmer Küster unterscheidet sich durch nichts von jedem an dern dunkeln Küster und Rathsherrn der Harlemmer Vorzeit, als daß man dessen Namen und Stand benutzte, um ein albernes Mährchen daran zu knüpfen. Zwischen dem Helden dieses Mährchens und dem Harlemmer Küster ist durchaus kein geschichtliches Band sichtbar; ein solches existirt nur in der Phantasie der Kosterianer.
Wie thätig aber diese sich erweist, sieht man eben aus den verschiedenen Recensionen des Mährchens, wie dasselbe von Junius erzählt wird. Jeder spätere Kosterianer nahm sich die Freiheit, daran zuzusetzen und wegzulassen, was ihm gut dünkte. Und wie naiv sie unter einander von ihren Einfällen sprechen. Junius und Scriver lassen, [220] wie oben erwähnt, den Koster nach dem Diebstahl so muthlos werden, daß er die Druckerei völlig aufgibt und sich todt ärgert. Nollem, sagte darauf Meermann, nollem Scriverio nostro, nollem aliis hoc excidisset; ich wollte, es wäre unserm Scriverio und Andern dieses nicht entfahren. Es hatten sich nämlich zu Meermann's Zeit die auf Kosters Namen zusammengerafften Bücher bereits so stark vermehrt, daß es räthlich schien, zur Erklärung der verschiedenartigen Drucke und jenes halb gedruckten, halb geschnittenen Werkes verschiedene Epochen der Druckerkunst anzunehmen. Deren machte Meerman drei, worin ihm die heutigen Kosterianer nachfolgen. Die erste von Erfindung der Kunst bis auf den Diebstahl, die zweite vom Diebstahl bis auf Kosters Tod, die dritte von Kosters Tode bis zum Stillstande der Druckerei unter Kosters Erben. Sie unterscheiden also Bücher, die von Koster selbst vor und nach dem Diebstahl gedruckt, und Bücher, die nach dem Tode des Erfinders von den Erben gedruckt worden. Die fortdruckenden Erben sind also erst spätere Erfindung, Junius, Scriver, selbst Koornhert, der erste Drucker von Harlem, kennen dieselben nicht. Wann und warum die Erben, die erst im Jahre 1724 ausgestorben sein sollen, den Druck [221] aufgegeben, warum Martini und alle übrigen Drucker, die in holländischen Städten in der Folge sich niederließen, aus Deutschland oder Frankreich kamen, und keiner sich rühmte, die Kunst zu Harlem erlernt zu haben, darüber, wie über Hundert andere Fragen, bleiben Meermann und Koning die Antwort schuldig.
Eine andere Art von Varianten und Phantasiestücken der Kosterianer sind die Gemälde und steinernen Bildnisse, »die den großen Mann vorstellen.« Diese Art hat mich am meisten unterhalten. Man erinnere sich des Scriverius, auf dessen Anstiften der Harlemmer Senat die Jahrszahl über Kosters Hausthür verändern ließ. Derselbe bewog die Väter der Stadt, Kosters Bildniß über die Thür zu setzen, damit Jeder männiglich an solchem Anblick sich erbauen möge. Das Bild ward in der That ausgearbeitet, und zwar nach dem Kupferstich, der Scriver's Quartanten, Lorbeerkranz betitelt, auf der Vorderseite verziert, die Zeichnung des Blattes ist von van Kampen, der Stich von Jan van de Velde und – die Erfindung von »unserm Scriverio« selber. Ex ingenio, sagt Meermann, hat Skriverius dies Bild entwerfen lassen. Muß man nicht lächeln über die [222] Geniestreiche der alten Perrücken in us und ius, die ex ingenio die Züge des Erfinders der Buchdruckerkunst erfinden, in Kupfer stechen und durch den Senat der Stadt Harlem in Stein hauen lassen?
Umsonst aber ist Meermann nicht so offenherzig. Das Bild vor »dem Lorbeerkranze« sieht dem Bilde vor »den origines« ungefähr so ähnlich, wie ein Lorbeerblatt einem Kohlblatt; mit andern Worten, das Portrait, das Meermann in Kupfer stechen ließ und seinem eigenen Werke vorhängte, sieht dem Portrait von Scrivers Erfindung in keinem Zuge ähnlich. Das Portrait, das Meermann als das echte empfiehlt, ist allerdings nicht ex ingenio, sondern abgezeichnet nach einem Oelgemälde im Besitze der Familie Enschede zu Harlem. Der Himmel weiß, welchen alten Mijnheer dies Gemälde vorstellt; die Familie Enschede glaubt, daß es Koster, den Erfinder der Buchdruckerkunst, vorstellt. Der Käufer will es erstanden haben aus der Nachlassenschaft der Kosterschen Familie und hielt es für eine Arbeit von Albert de Oudewater, oder Gerhard von Harlem, Malern aus der Mitte des funfzehnten Jahrhunderts, also Zeitgenossen des fraglichen Koster. Allein wie sehr der gute Mann [223] in dieser Hinsicht sich irrte, ist für Jeden, der das Gemälde gesehen und sich etwas auf die verschiedenen Epochen der Malerei versteht, außer Zweifel. Dies Gemälde ist so augenscheinlich aus späterer Zeit, daß auch Meermann, der ein geschmackvoller Kunstkenner war, dies nicht abläugnen konnte; und er versetzt dasselbe in die Zeiten von Hans Holbein und Lukas Kranach. Da nun Niemand die Aehnlichkeit oder Unähnlichkeit eines Bildes mit einer unbekannten Person weder bejahen, noch verneinen kann, so fragt es sich, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit ein Bild, funfzig Jahr nach dem Tode einer solchen Person gemalt, die, nebenher gesagt, höchst wahrscheinlich nicht gelebt hat, dieser Person als dessen Original beigelegt wird. Die Kostersche Familie hätte auf jeden Fall nur die Copie einer Copie besessen und eine an sich unsichere Familientradition, hier noch bedenklicher, da sie, im Fall des wirklichen Vorhandenseins, ihren Ursprung, wie es zu gehen pflegt, aus der Sage genommen haben mochte, wäre noch unsicherer geworden, da sich die doppelte Geschichte vom Bilde eines Bildes hineinmengte.
Allein, wer sagt, daß dieses Gemälde wirklich im Besitz der Familie Koster war? Der Käufer, [224] Herr Enschede, hat es freilich gesagt und Meermann hat es wiederholt. Könnte man den Leuten nur über den Weg trauen. Derselbe Meermann hat auch gesagt und behauptet, eine gewisse Bücherkiste, die im sechzehnten Jahrhundert im Haag in öffentlicher Versteigerung ausgeboten, und durch den Harlemmer Senat für die Summe von dreihundert Gulden angekauft worden, aus der Nachlassenschaft der Kosterschen Erben stamme 5. Letzteres wäre in der That ein nicht unwichtiger Umstand, wäre es nicht eine Unwahrheit. Denn, mehr Glauben als Meermann verdient der Kaufschein, der sich noch heutigen Tages im Archiv des Harlemmer Stadthauses befindet.« In diesem ist nicht von der Nachlassenschaft der Kosterschen Erben, sondern von der einer ganz andern Familie die Rede.
Wahrlich, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, ich glaube nicht an das Vorgeben der Kosterianer, nicht an Koster, nicht einmal an den Küster [225] geschweige an den Erfinder der Buchdruckerkunst 6, ich glaube eben so wenig an dessen Person, wie an dessen Bildniß vor Scrivers und Meermanns Schriften und wie an das lateinische K, von welchem oben die Rede war. Ich glaube nicht an die silberne Kiste, zu welcher allein der Harlemmer Senat den Schlüssel besitzt; nicht als wollte ich ihr Vorhandensein läugnen, sie steht wirklich da, aber man versteht mich und ich glaube nicht daran.
Am wenigsten glaube ich an das verläumderische Mährchen vom Diebstahl. Die Holländer, die dasselbe ausgesprengt, mögen es mit ihrem Gewissen, [226] die Ausländer, die dasselbe nachsprechen, mögen es mit ihrem Verstande ausmachen; sind aber Deutsche darunter, so wünsche ich ihnen nichts angelegentlicher, als durch Straßburger oder Mainzer Druckergesellen mit Hülfe eines echten alten Gutenbergischen Preßbengels eines Bessern belehrt zu werden.
Das ist mein kurzes Glaubensbekenntniß in der Sache zwischen Koster und Gutenberg, zwischen einem Gespenst der Sage, das auf dem dunkeln Chor der Harlemmer Kirche umwandelt, und dem lichtverklärten deutschen Genius, dessen Name im Tempel des Ruhms zugleich mit dem Namen aller großen Männer der Vergangenheit wiedertönt.
Ich könnte hier diesen Aufsatz schließen, das Capitel ist ohnehin schon länger gerathen, als es anfänglich meine Absicht war. Allein ich vermuthe, manchem aufmerksamen Leser hat bisher eine Frage auf den Lippen geschwebt, die er gegen mich äußern würde, im Fall wir persönlich zusammenträfen. Ich meine, sie ist diese: wie in aller Welt hat sich nur das Gerücht von Koster und dem Diebstahle zu Harlem gebildet, kann man [227] demselben nicht auf die Spur kommen, dessen erste Quelle nicht entdecken?
Ich glaube ja, und, irre ich nicht, so ist die Quelle eben so schmutzig, wie der Ausfluß.
Man höre. Es ist bekannt, daß ein gewisser Johann Schott, eines bekannten Straßburger Buchdruckers, mit Namen Mentel, Tochterenkel, nach dem Tode Gutenberg's, das falsche Gerücht versprengte, als sei Mentel zu Straßburg der Erfinder der Buchdruckerkunst und Lehrmeister des Johann Gutenberg gewesen; Letzterer habe Mentel bestohlen, sich nach Mainz geflüchtet und mit den gestohlenen Typen sein erstes Werk gedruckt. Dies Gerücht erregte Anfangs Aufsehen, schlief aber eben so bald wieder ein. Mentel selbst, obgleich er ein aufgeblasener Mensch war, sich famosissimus nannte und vom Kaiser sich in den Adelstand erheben ließ, hat dergleichen niemals behauptet. Nun gab es vielleicht zur Zeit des Johann Schott einen Harlemmer, der das Geheimniß der Druckerkunst, das allmählig durch die vielen Arbeiter, die aus Mainz und Straßburg in verschiedene Städte Deutschlands, Frankreichs und Italiens auswanderten, aufhörte, ein Geheimniß im strengen Sinne des Wortes zu sein, sei es nun [228] an der Quelle selbst, oder zu Harlem an den aus Deutschland dahin verschlagenen Büchern 7, theoretisch oder praktisch in Erfahrung gebracht und, mit kleinen und wenig kostspieligen Versuchen sich begnügend, selbst geschnittene hölzerne Buchstaben zu mancherlei Kleinigkeiten abdruckte. Großes Aufsehen macht der Mann nicht, aber es kennt ihn dieser und jener, und nach dessen Hinscheiden fällt einem Gevatter ein, ihm die Ehre der Erfindung zuzuschreiben und das Straßburger Geschwätz von Mentel und Gutenberg zu einem Harlemmer Geschwätz von – (der Name Koster tauchte erst später auf), und Faust zu machen. Da hat man den Ursprung des Mährchen, wie er möglich war. Dazu bedenke man noch, daß Junius des Erfinders Schwiegersohn als Gehülfen und Vervollkommnerer der Buchdruckerkunst angiebt, Faust aber bekanntlich den Peter Schöffer zum Schwiegersohne nahm, weil dieser ihm in derselben Eiegenschaft nützlich ward 8; und ich hoffe, man wird meine Vermuthung wenigstens nicht ungereimt finden.
[229] Was werden aber die Kosterianer dazu sagen, wenn ich jene über den Canal aus England schwimmende Sage, die Meermann als Hauptbeweis für Koster und Harlem so begierig auffischte, nur als Bestätigung dessen betrachte, was ich so eben meine Vermuthung nannte? Und doch scheint mir nichts klarer zu sein. Man urtheile. Der Engländer Atkyns erzählt in seinem Buche, growth of printing. Lond., 1664, von einer Handschrift auf der Lambethischen Bibliothek zu Oxford, worin es heiße: der König Heinrich der sechste habe von der Erfindung der Buchdruckerkunst zuHarlem durch John Cutenberg gehört und in Folge dessen einen verschmitzten Kerl dorthin gesandt, damit derselbe in den Besitz des Geheimnisses sich setzen und damit nach England zur Ueberpflanzung der Kunst zurückkehren möge; dieser habe einen Arbeiter des John Cutenberg bestochen und durch solchen, der Corsellis geheißen, sei die Kunst wirklich nach England und zwar zunächst nach Oxford entführt. Die ganze Stelle ist noch weitläufiger und trägt eben so viele Spuren des Fabelhaften an sich, wie die Stelle im Junius, allein es schwirrt doch durch den Wirwarr ein Ton der Wahrheit, ein Name hindurch, Johann Gutenbergs, des Erfinders der Buchdruckerkunst. Sonst [230] ersieht man daraus, daß die Harlemmer Sage vom Diebstahl selbst ein Echo der Straßburger, schon früh als zweites Echo von Oxford widerhallte; obgleich nicht rein, sondern von der Gewinnsucht der Oxforder Buchhändler aufgefangen und verändert. Um dies zu verstehen, muß man wissen, daß die Oxforder Buchhändler mit den übrigen Buchhändlern von England über vermeintliche Privilegien einen Proceß führten. Daher muß der Dieb nach Oxford entfliehen, und König Heinrich, persönlich der Anstifter des Diebstahls, muß ihm Privilegien zum Geschenk machen. Die Wahrheit ist, daß England seine ersten Drucker aus den Niederlanden erhielt. Dies geschah einige Zeit später, als die Niederlande selbst ihre ersten Drucker aus Deutschland und Frankreich bezogen, und es sind eben die Gesellen und Lehrlinge dieser Leute, die sich nach England begaben.
Da hast du, lieber Leser, die Historie des Mährchens, wovon ich am Schlusse des vorigen Capitels äußerte, dasselbe sei noch unglaublicher, als das Mährchen von Sprengung eiserner Ketten durch Harlemmer Sägeschiffe. Wahrlich, wer die Buchdruckerkunst erfunden, hat stärkere Ketten gesprengt, als die Hafenkette von Damietta, des [231] Aberglaubens und der Feudalherrschaft diamantene Kette, die der kühnen Seglerin Europa den Zugang zum Hafen des Lichts und der Vernunft versperrte.
Ende des ersten Theils.