[67] Achter Abschnitt.
Lucian.
Ich gestehe dir offenherzig, Freund Peregrin, daß in deinem letztern Betragen gegen Diokleen etwas ist, das ich mit deinem Charakter, so wie er sich bis zu dieser Epoche gezeigt hat, nicht recht zusammen reimen kann. Mich dünkt, das feine moralische Gefühl, das dich sonst bei allen Verirrungen deiner Phantasie und deines Herzens nie verließ, müsse durch deinen langen Aufenthalt unter den Christianern ein wenig abgestumpft worden seyn: denn wie wäre es sonst möglich gewesen, daß du eine Freundin, die schon so viel für dich gethan, dir in diesem Augenblick einen so großen Beweis ihrer Theilnehmung und ihres Zutrauens gegeben hatte, auf eine eben so unedle als unzärtliche Art, ohne die geringste Rücksicht auf die Verlegenheiten, in welche sie dadurch gesetzt wurde, hättest verlassen können? Bloß aus Freundschaft für dich, bloß weil sie den Gedanken nicht ertragen konnte, daß du, anstatt ein Mitgenoß der Unternehmungen ihres Bruders, nur ein Werkzeug, und wohl gar ein Opfer derselben seyn solltest, hatte sie dir sein Geheimniß entdeckt, [68] und sich dadurch in den Fall gesetzt, seinen ganzen Unwillen auf sich zu laden, ja vielleicht seinen ganzen Plan scheitern zu machen, wofern sie zu viel auf dich gerechnet haben sollte. Würde sie dieß gewagt haben, wenn sie nicht die größte Meinung von deinem Edelmuth gehegt, dich nicht schlechterdings für unfähig gehalten hätte, ihr Zutrauen so zu belohnen wie du thatest? Und wärest du fähig gewesen so zu handeln, wenn du dich nur einen Augenblick an ihren Platz gesetzt hättest?
Peregrin.
Welch einen warmen Sachwalter diese Zaubrerin an dir gefunden hat, von deren verführerischer Gewalt du dir nur erst jetzt einigen Begriff machen kannst, nachdem es ihr schon bei einer bloß mittelbaren Bekanntschaft gelungen ist, den kalten Lucian, den erklärten Feind aller Täuschungskünste, durch einen einzigen behenden Handgriff auf ihre Seite zu bringen! Mit welcher Leichtigkeit hat sie alle Aufschlüsse, die wir in dem Haine der Venus Urania und auf dem Landgute der edeln Römerin von ihrem wahren Charakter erhalten haben, plötzlich aus deinen Augen gerückt! Aber ich, mein lieber Lucian, ich trug zu tiefe Narben von allem, was ich durch ihren Leichtsinn, ihren Muthwillen, ihre Eitelkeit, ihre eigennützige Gefälligkeit gegen fremde Leidenschaften, gelitten hatte, in meiner Seele; ich hatte zu viele, zu entscheidende Proben, wie hoch sie es in der Mimik gebracht, und wie leicht es ihr sey, die Gestalt, Miene, Sprache und Gebärde jeder schönen Empfindung, jeder Tugend, jeder moralischen Grazie anzunehmen, als daß ich (zumal nach Geständnissen, welche nothwendig einen dem Kerinthus und ihr selbst höchst nachtheiligen [69] Eindruck auf mich machen mußten) so geneigt hätte seyn können, von der anscheinenden Großmuth ihrer Freundschaft auf eine dauernde Art gerührt zu werden. Ich begehre mich nicht zu rechtfertigen, Lucian; ich erzähle dir bloß mit aller Aufrichtigkeit, deren ich in unserm gegenwärtigen Zustande fähig bin, was ich von meiner eigenen Geschichte weiß; und Nachsicht mit meinen Verirrungen ist alles, worauf ich, bei einem Manne wie du, Anspruch machen kann. Ich bin getäuscht worden, und habe andere getäuscht; aber jenes immer unwissend; dieses immer ohne Vorsatz: ich gestehe beides offenherzig; aber am Ende ist es doch nur Gerechtigkeit, wenn ich sage, daß ich zu beidem fast immer durch Anscheinungen verleitet wurde, die so lebhaft auf mich wirkten daß ich sie für Wahrheit hielt. Mich dünkt, ich habe in meiner Erzählung schon erwähnt, daß es mir während der vier Tage, die ich wieder mit Diokleen lebte, nicht wenig kostete, daß ich nicht so offen und gerade gegen sie seyn durfte, als es ihr Betragen gegen mich zu fordern schien. Aber wie konnte ich anders, da ich entschlossen war, mit einem so gefährlichen Menschen, als Kerinthus nun in meinen Augen war, schlechterdings alle Gemeinschaft aufzuheben? Der Abscheu, den ich nach so unerwarteten und aus einem so glaubwürdigen Munde erhaltenen Aufschlüssen gegen ihn gefaßt hatte, war so übermäßig als die Verehrung, von welcher ich, so lang' ich ihn in einer überirdischen Glorie erblickte, für ihn durchdrungen war; er war zu heftig, um in seiner ersten Energie von irgend einer andern Empfindung überwogen zu werden. Und dennoch machte Dioklea meine Entschließung mehr als Einmal [70] wanken! Dennoch würde sie allem Vermuthen nach einen gänzlichen Sieg über mich davon getragen haben, wenn sie in dem kritischen Momente, dessen du dich erinnern wirst, tiefer in mich gedrungen, und mich genöthiget hätte, ihr die wahre Ursache meiner Verlegenheit und meiner Seufzer zu entdecken.
Lucian.
Ich erinnere mich dieses kritischen Augenblicks sehr wohl, lieber Peregrin: aber erlaube mir zu bemerken, daß es nicht Edelmuth und dankbares Gefühl für die außerordentliche Freundschaftsprobe, die sie dir gegeben hatte, sondern etwas ganz anderes war, was ich damals in ihre Gewalt brachte.
Peregrin.
Ich bekenne meine Schuld, und weiß zu meiner Vertheidigung nichts weiter anzuführen als was ich schon gesagt habe. Im Fall eines Zusammenstoßes zweier einander entgegen wirkender Gefühle muß natürlicherweise das schwächere weichen; und dieß geschah im vorliegenden Falle um so mehr, da ich Diokleens Offenherzigkeit gegen mich, in der Stimmung worin mich die Geheimnachrichten von ihrem Bruder gesetzt hatten, bloß als einen feinern Kunstgriff ansah, mich stärker und unauflöslicher in die Unternehmungen eines Ordens zu verwickeln, der schon allein dadurch, daß er im Grunde bloß politische Absichten und Finanzspeculationen zum Zweck hatte, alles Anziehende für mich verlor, und meiner ganzen Sinnesart zuwider war. – Aber es ist Zeit, den Rest meiner Geschichte mit etwas schnellern Schritten fortzusetzen.
Lucian.
Doch nicht schneller, wenn ich bitten darf, als das Interesse, [71] das mir deine Geschichte eingeflößt hat, gestatten kann. Du bliebst zu Laodicea stehen, in Ueberlegungen vertieft, was du nun mit deiner wieder erlangten Freiheit und mit deinen neuen Erfahrungen anfangen wollest. Beide waren, nach deiner Gewohnheit, etwas theuer erkauft!
Peregrin.
Und mußten eben darum auch einen desto größern Werth in meinen Augen haben. Indessen übertreibe ich nichts, wenn ich sage, daß weder der Verlust des größten Theils meines Vermögens, noch die Trennung von Kerinthus, Dioklea und meinen ehemaligen Brüdern, mir das Vergnügen, mich wieder frei zu wissen, verkümmern konnten. Es gehörte, wie du bereits bemerkt haben wirst, zu den Eigenheiten meiner Sinnesart, daß dieselben Gegenstände, welche in dem Zauberlichte, worin sie mir erschienen, meine ganze Seele eingenommen hatten, sobald ich fand oder zu finden glaubte, daß sie das nicht waren wofür ich sie gehalten hatte, nur aus meinen Augen gerückt zu werden brauchten, um sich in wenigen Tagen auch aus meinem innern Gesichtskreise so gänzlich zu verlieren, als ob alles, was zwischen mir und ihnen vorgegangen, ein bloßer Traum gewesen wäre. Ich trennte mich von Kerinthus und seinen Anhängern, nachdem der Sturm des ersten Augenblicks vorüber war, ohne daß es meinem Herzen das Geringste kostete, als von Betrügern oder Betrognen, zwischen welchen und mir von nun an keine Gemeinschaft mehr statt fand; ohne Reue oder Beschämung, und durch das Bewußtseyn befriediget, daß ich, durch die edelsten Beweggründe in meine Verbindung mit ihnen hinein gezogen, der guten Sache, [72] so lange ich sie dafür halten mußte, alles aufgeopfert hatte. Aber noch lebte ein Bild in meiner Seele, das mir zwar unter so vielen Gegenständen, welche unmittelbarer auf mich gewirkt und sich aller meiner Aufmerksamkeit bemächtigt hatten, nach und nach aus dem Andenken gekommen war, aber nun, in der tiefen Einsamkeit, in die ich mich zurückgeworfen sah, durch einen Contrast, der seine Liebenswürdigkeit verdoppelte, auf einmal wieder wie eine himmlische Erscheinung vor meiner Stirne stand; – und dieß war – das Bild der guten, unschuldigen, unverfälschten Familie von Christianern, zu denen mich mein Wegweiser Hegesias ehemals in dem Walde zwischen Pergamus und Pitane verirren ließ. Du kennest mich nun so gut, Lucian, daß ich dir nicht zu sagen brauche, mit welchem Feuer meine Einbildungskraft, in dem abermaligen Schiffbruch, den alle meine Hoffnungen und Wünsche erlitten hatten, nach diesem Brette griff. Meine Partie war auf einmal genommen. Mein großväterliches Erbe, – eine Kleinigkeit gegen das, was die Ordenscasse des Kerinthus verschlungen hatte, aber mehr als hinlänglich einen Menschen von mäßigen Bedürfnissen zu befriedigen – dieses Erbe, welches größtentheils in einem kleinen, nahe bei Parium gelegenen Landgute bestand, war glücklicher Weise noch in meinen Händen. Mein Plan war also, mit dem ersten Schiffe, das nach Cypern und Rhodus befrachtet wäre, abzugehen, von da nach Hause zurückzukehren, die Trümmer meines Vermögens zu Gelde zu machen, und mich dann, wo möglich, unmittelbar mit jenem auserwählten Häuflein ächter Jünger unsers guten Meisters zu vereinigen, um in [73] paradiesischer Unschuld und Abgeschiedenheit von der Welt, Ein Leib, Ein Herz und Eine Seele mit diesen engelähnlichen Sterblichen, im reinsten Genuß des gegenwärtigen und in freudigster Erwartung des zukünftigen Lebens, dieser hohen Eudämonie und göttlichen Befriedigung meines Innersten theilhaftig zu werden, welche schon so lange vergebens das letzte Ziel meiner Wünsche gewesen war.
Lucian.
Bravo, Peregrin! Deine Imagination thut wieder ihre Schuldigkeit, wie ich sehe; du genießest wieder so überschwänglich viel voraus, und alles in einer so überirdischen Lauterkeit und Vollkommenheit – daß die guten ehrlichen Seelen, von denen du so viel erwartest, schlechterdings in die Unmöglichkeit gesetzt sind, deiner Phantasie genug zu thun, wenn sie auch noch so guten Willen dazu hätten.
Peregrin.
Dießmal ließ das Schicksal, oder meine Wankelmüthigkeit (wenn du nicht etwa lieber einmal meiner Vernunft die Ehre davon geben willst) es nicht zur Probe kommen, welche sehr warscheinlich gerade so ausgefallen seyn dürfte, wie du erwartest. Eine unverhoffte Zusammenkunft mit einem Freunde, den ich seit mehreren Jahren ganz aus den Augen verloren hatte, verrückte mir den Gesichtspunkt, woraus ich diese Dinge noch anzusehen gewohnt war, und das Schicksal vollendete, was jener angefangen hatte.
Während daß ich zu Lindus auf ein Fahrzeug wartete, welches mich nach Mitylene bringen sollte, begegnete mir in einer bedeckten Halle ein Mann, der bei meiner Erblickung [74] eben so verwundert still stehen blieb, als ich bei der seinigen. Zu unsrer beiderseitigen Freude entdeckten wir, ich in ihm den nämlichen Dionysius von Sinope, mit welchem ich zu Ikonium in der Pflanzschule des Kerinthus Bekanntschaft gemacht hatte, er in mir den damaligen Vertrauten und Günstling des Propheten, der auf eine geheime Mission nach Syrien abgeschickt worden war. Der bloße Umstand, daß wir uns so allein zu Lindus wiederfanden, sagte uns, daß wir einander merkwürdige Dinge zu entdecken haben würden. Dionysius war seit kurzem, wie er mir sagte, durch eine Erbschaft nach Lindus gezogen worden, und gefiel sich da so wohl, daß er diese anmuthige Stadt zum Ziel seiner Wanderungen zu setzen Lust hatte.
Und wie machtest du es, fragte ich etwas voreilig, daß du dich und deine Erbschaft aus den Klauen des Propheten Kerinthus in Sicherheit brachtest?
Diese Frage sagt mir viel auf einmal, erwiederte Dionysius; aber wir müssen einen bequemern Ort suchen, uns einander näher zu erklären: und hiermit führte er mich in seine Wohnung, und nöthigte mich, das Gastrecht bei ihm anzunehmen. – Ich habe dir schon gesagt, Lucian, daß dieser junge Mann den Schlüssel zu meinem Kopf und Herzen bei sich trug; denn in der weiten Welt fand sich schwerlich noch ein anderer, der, was die Schwärmerei betrifft, ein vollkommnerer Gegenfüßer von mir gewesen wäre, und doch in allem übrigen mehr mit meiner Gemüthsart sympathisirt hätte als er. Wir wurden also in wenigen Stunden vertraut genug, um nichts Geheimes vor einander zu haben. Dionysius machte [75] den Anfang mich über seine ehemalige Verbindung mit Kerinthus ins Klare zu setzen.
Ich wurde, sagte er, durch einen Zufall mit ihm bekannt. Er schien mir ein Mann von tiefem Inhalt zu seyn, und alles, was ich an ihm sah, fesselte meine Aufmerksamkeit. Auch er schien mich hinwieder als einen Menschen zu betrachten, der die seinige verdiente. Wir näherten uns einander unvermerkt, aber von beiden Seiten so behutsam, daß ich lange nicht recht wußte, was ich aus ihm machen sollte. Da wir einige Tage in Gesellschaft reiseten, so fehlte es uns nicht an Gelegenheit, allein beisammen zu seyn; und so fiel die Unterredung nach und nach auf alles, was für Personen von Erziehung, Weltkenntniß und gesetztem Charakter Interesse hat. Wir sprachen von Politik, von Philosophie, von Religion – immer mit Rücksicht auf den gegenwärtigen Zustand der Dinge. Kerinthus ließ sich über alles wie ein Mann von großem Sinne und festen Grundsätzen vernehmen, aber immer so, daß er viel weniger zu sagen schien als er könnte. Ich glaubte etwas Geheimnißvolles in ihm zu bemerken; aber er schien es zu tragen, wie einer, der zwar nicht sehen lassen will was er trägt, aber doch wohl leiden kann, daß man merke er trage etwas Wichtiges. Dieß schien mir auf mich gezielt zu seyn, und machte mich desto behutsamer; denn es war fest bei mir beschlossen, mich nicht verwickeln zu lassen. Alles was ich von seiner Art zu denken herausbrachte, und worüber er sich allmählich etwas deutlicher erklärte, war: daß die Welt zu einer großen Revolution heran reife; daß wir diesem Zeitpunkte schon wirklich näher wären als man glaubte; daß in den Begriffen[76] und Meinungen der Menschen eine zu große Veränderung vorgegangen sey, als daß die alten Stützen länger halten könnten, welche die politische und moralische Welt seit einigen Jahrtausenden getragen hätten, und daß eine neue, auf die Würde und Bestimmung des Menschen gegründete Ordnung der Dinge nöthig sey, um den fürchterlichen Folgen einer gänzlichen Auflösung der gegenwärtigen Weltverfassung zuvorzukommen. Dieß brachte mich zuweilen auf den Gedanken, daß er vielleicht ein Christianer seyn könnte; aber er affectirte bei allem dem so gar nichts Prophetisches, sprach von allem so schlicht, wie es die Natur der Sache und der begreifliche Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung mit sich brachte, daß ich immer wieder versucht war, ihn für einen bloßen Philosophen zu halten, wiewohl er sich mit ziemlicher Wärme gegen unsere Sectenphilosophie erklärte.
Ist's möglich, unterbrach ich meinen Freund, daß du mir von eben dem Manne sprichst, der mir zu Smyrna zwischen den Felsen des Vorgebirgs als eine Art von Genius erschien; der in meinem Innern las, sich mit einer Art von magischer Gewalt meiner ganzen Seele bemächtigte, und, als er wieder verschwand, mich in Ungewißheit ließ, ob ich ihn für einen neuen Zoroaster, oder für einen Gott halten sollte?
Du siehest, fuhr Dionysius fort, daß der Mann das große Talent hat, jeden nach seiner Weise zu bedienen; eine Gabe, wodurch schon einer der ersten Häupter seiner Secte zu ihrer Ausbreitung so viel beigetragen hatte. Bei dir machte er den Propheten; bei mir den Weisen, den Menschenspäher, [77] den freien, gegen alle gleich wohlgesinnten Weltbürger, dessen Herz, auch wenn es von Eifer für die Rechte der Menschheit, von Verlangen ihrem Elend abgeholfen zu wissen glühte, dennoch immer unter den strengen Befehlen der Vernunft, unter der Leitung eines kalten Kopfes stand. Mehr als Einmal schien es mir zwar, wenn er von der Nothwendigkeit sprach, daß alle aufgeklärten Menschen, die es wohl mit ihren Brüdern meinten, mit vereinigten Kräften auf das einzig Nothwendige arbeiten sollten, als ob er absichtlich wärmer würde, um zu sehen wie und was es auf mich wirkte. Weil ich aber bei dergleichen Aeußerungen allemal in gleichem Verhältnisse kälter und einsylbiger ward, so zog er sich immer unvermerkt wieder in seine gewöhnliche Ruhe zurück, ohne daß ich an seinem Benehmen die mindeste Spur einer fehl geschlagnen Hoffnung wahrnehmen konnte.
So blieben die Sachen zwischen uns, bis es sich, da wir uns wieder trennen sollten, zeigte, daß wir einander unvermerkt interessant genug geworden waren, um zu wünschen es noch mehr zu werden: und da ich bei meinen Reisen keine Zwecke hatte, die ich an dem einen Orte nicht eben so gut als an dem andern verfolgen konnte, so bot ich ihm an, ihn nach Ikonium, dem Ziel seiner Reise, zu begleiten, und er schien es mit sichtbarem Vergnügen anzunehmen. Wir kehrten unterweges zwei- oder dreimal in Häusern ein, wo er das Gastrecht hatte, und mich seinen Freunden als einen ihm sehr werthen Reisegefährten vorstellte. Ich wurde dadurch mit einigen Familien bekannt, die mir ein liebenswürdiger Schlag von Menschen zu seyn schienen, und sich ungemein [78] gefällig gegen mich bezeugten; wiewohl es mir vorkam, als ob meine Gegenwart ihnen einigen Zwang auflege, den sie zu verbergen suchten.
Als wir endlich nur noch eine Tagereise von Ikonium entfernt waren, wußte Kerinthus das Gespräch unvermerkt auf die Christianer zu lenken; schien aber, nach seiner Gewohnheit, vor allen Dingen die Tiefe des Wassers sondiren zu wollen, eh' er sich zu weit hinein wagte. Ich erklärte mich ohne Bedenken: wiewohl ich wenig Kenntniß von dieser Secte hätte, so könnte ich mich doch nicht überreden lassen, daß sie so bösartige und gefährliche Leute seyen, als ihre Feinde behaupteten. – Wie es scheint, sagte er lächelnd, hast du vielleicht noch keinen von ihnen sehr nahe gesehen. – Niemals daß ich wüßte, war meine Antwort. – Aber vielleicht desto mehrere ohne es zu wissen, versetzte er. – Wie so, Kerinthus? – »Du hast auf unsrer letzten Reise dreimal bei Christianern das Gastrecht genossen.« – Ich betrachtete ihn bei diesen Worten mit einem Blick, den er zu verstehen schien – »Und ich bin gewiß, fuhr er fort, daß da schon tausendmal in deinem Leben mit Christianern gesprochen oder Geschäfte gehabt hast, ohne sie dafür anzusehen. Dafür kann ich dir wenigstens bürgen, wenn dir im gemeinen Leben ein stiller, friedfertiger, zuverlässig treuer und guter Mensch, von unbescholtnem Ruf und reinen Sitten, in den Wurf kommt, so kannst du drei gegen eins setzen, er ist ein Christianer.« – Du machst mich begierig, sagte ich, so gute Menschen, und noch begieriger, das was sie zu solchen Menschen macht, genauer kennen zu lernen; und da du, wie ich sehe, selbst einer von [79] ihnen, und vermuthlich ein Mann von Ansehen unter ihnen bist, so kann ich mich mit diesem Verlangen wohl an niemand schicklicher wenden als an dich. – Kerinthus beantwortete dieses Compliment auf eine eben so bescheidene als leutselige Art: er sagte mir, daß auch sie ihre Mysterien hätten, zu welchen zwar, dem ersten Ansehen nach, weniger harte und beschwerliche, aber im Grunde weit strengere Bedingungen erfordert würden als zu den Eleusinischen und andern dieser Art. – Ich antwortete: da ich von einem Manne, wie er, keine Zumuthung, die der Vernunft oder dem Herzen eines Menschen von gutem Willen widerstehen könnte, zu besorgen habe, so sey ich zu allem Uebrigen bereit. Und so wurde denn ausgemacht, daß ich, sobald wir in Ikonium angelangt seyn würden, zur Vorbereitung für den ersten Grad der Weihe zugelassen werden sollte.
Nach einer Vorbereitung von wenigen Wochen erhielt ich diesen ersten Grad; aber dabei blieb es auch, und ich kann mich nicht rühmen, weiter als bis an die Schwelle des innern Vorhofes gekommen zu seyn. Denn wiewohl ich eine Zeit lang ziemlich gute Hoffnung von mir gab, so fand sich doch in der Folge, daß ich weder als Missionar, noch als Märtyrer, noch als geheimer Minister und Vertrauter im Reiche des Kerinthus (welches ich von einem andern Reiche, wovon mir viel Herrliches gesagt wurde, sehr gut zu unterscheiden wußte) zu gebrauchen war: und da ich überdieß noch die Hand fest auf meinem Geldbeutel hielt, und alles was mir gelegentlich von Verachtung des Irdischen, von dem was der Herr bedarf, von der tausendfältigen Frucht, welche alles, was man [80] für seine Sache aufopfere, hier oder dort trage, und was dergleichen mehr war, ans Herz gelegt wurde, weder verstehen wollte noch um nähere Erklärung bat; so konnte ich deutlich genug sehen, daß man nach Verfluß einiger Monate an meiner Erwählung zu verzweifeln anfing, und als ich, dringender Familienangelegenheiten wegen, um meine Entlassung bat, noch froh war, eines beschwerlichen Beobachters los zu werden. Vermuthlich wünschte sich Kerinthus Glück, daß er immer so zurückhaltend und verschlossen gegen mich geblieben war. Indessen hatte er doch in Augenblicken, wo meine Neugier mehr die Miene von Gelehrigkeit und Empfänglichkeit haben mochte, einzelne Lichtstrahlen in meinen Kopf fallen lassen, die sich darin sammelten, und mir zu sehr wahrscheinlichen Vermuthungen über den geheimen Plan dieses talentvollen moralischen Zauberers, wenn ich ihn so nennen kann, verhalfen. In der That wußte er seinen Plan, das eigentliche große Mysterium seines Ordens, in sehr scheinbare moralische Hüllen einzuwickeln, welche, je nachdem die Hoffnung mich noch zu gewinnen stieg oder sank, dünner oder dichter wurden: aber eben diese Kunstgriffe, wie leicht auch seine Hand dabei war, verriethen mir was er verbergen wollte; und je mehr ich ihn zu enträthseln glaubte, desto mehr fand ich mich in der Meinung bestärkt, daß er schwerlich den Mystagogen unter den Christianern spielen würde, wenn es in seiner Willkür stände, auf dem Wege eines Alexanders oder Julius Cäsars zu seinem Ziele zu gelangen.
Dieß, lieber Lucian, war ein Punkt, worüber mein Freund Dionysius sehr authentische Nachrichten von mir zu erwarten [81] hatte. Damit ihm alles desto begreiflicher seyn könnte, sah ich mich genöthigt meine Geschichte vom Ei anzufangen.
Lucian.
Man hat immer viel vor andern Sterblichen voraus, wenn man eine Geschichte wie die deinige zu erzählen hat.
Peregrin.
Einem so ausgemachten Antipoden aller Schwärmerei, wie Dionysius, mußte sie in der That wunderbar genug vorkommen; und doch merkte ich, daß von allen den außerordentlichen Dingen, womit er dadurch bekannt wurde, ich selbst doch das wunderbarste in seinen Augen war. Er schien sich ganz leicht zu erklären, wie man eine Mamilia Quintilla, eine Dioklea, ein Kerinthus oder Hegesias seyn könne: aber wie es möglich sey Peregrinus zu seyn, dieß (wiewohl er zu höflich war, es mir ausdrücklich zu sagen), dieß schien über seinen Begriff zu gehen. Indessen, da er sich doch nicht erwehren konnte an dem seltsamen Schwärmer Antheil zu nehmen, fand er, als ich mit meiner Erzählung zu Ende war, daß es wirklich solcher Erfahrungen bedurft habe, um einen Menschen von dieser Gattung völlig zur Vernunft zu bringen; ein Vortheil, der, seiner Meinung nach, mit allem was er mir gekostet hatte, nicht zu theuer bezahlt war. Du kannst dir also vorstellen, wie der gute Mann erschrak, da er hörte daß er meine Genesung zu voreilig vorausgesetzt habe, und daß ich, weit entfernt endlich den rechten Talisman gegen alle Zaubereien meines bösen Dämons gefunden zu haben, noch immer der alte Enthusiast sey, der sich nur in den Personen geirrt zu haben glaubte, und im Begriff stand, sich in ein neues [82] Abenteuer zu wagen, wobei, seiner Meinung nach, zehn gegen Eins zu setzen war, daß es keinen fröhlichem Ausgang nehmen würde. Ich hingegen hatte, seitdem das Bild meiner liebenswürdigen Johanniten wieder in mir lebendig geworden war, mich in den Gedanken mit ihnen zu leben schon so tief hinein gearbeitet, daß ich nicht begreifen konnte, wie auch der kaltblütigste aller Menschen einem so natürlichen und vernünftigen Projecte seinen Beifall versagen könne. Es muß daran liegen, dachte ich, daß du bei Erzählung deiner Begebenheiten zu schnell über diese hinweg geeilt bist; der gute Dionysius hat keine Vorstellung davon, was für Engel von Menschen es sind, zu denen mein Herz mich so unwiderstehlich hinzieht. Ich bot also alle meine Malerkunst auf, ihm eine Abschilderung von dieser Familie und von der Glückseligkeit, die mich in ihrem Schooß erwarte, zu machen: aber ich trug meine Farben so dick auf, daß mein Gemälde gerade das Gegentheil dessen, was ich beabsichtete, bei ihm wirken mußte.
»Beinahe, sagte er, sollte ich mir ein Gewissen daraus machen, dich von einem so süßen und so unschuldig scheinenden Wahnsinne zu heilen: aber ich sehe, daß deine Phantasie dein Herz abermal zum Besten hat, und daß du bei diesem neuen Lebensplan um so größere Gefahr läufst, weil es vielleicht nicht so leicht seyn dürfte, dich, wenn die Täuschung vorüber seyn wird, von diesen ehrlichen Seelen wieder loszuwinden, als von den Komödianten und Gauklern, deren Spiel du bisher gewesen bist. Ich sehe diesen Ausgang zu gewiß voraus, um eher von dir abzulassen, bis ich dich überzeugt habe, daß dir, nachdem du einmal glücklich genug gewesen bist den [83] Kopf aus der Schlinge zu ziehen, keine andere Wahl übrig bleibt, als alle Gemeinschaft mit den Christianern aufzuheben.
Dein Unglück, lieber Peregrin, fuhr er fort, war bisher, daß du dich immer blindlings von zwei Führern leiten ließest, die dich nothwendig irre führen mußten. Gefühl und Imagination sind sehr angenehme Gefährten, aber gefährliche Wegweiser durch den Labyrinth des Lebens. Du hast dieß nun schon so oft erfahren, daß es wahrlich hohe Zeit ist, es endlich einmal mit einem Führer zu versuchen, der unmöglich irre führen kann. Lass' also, anstatt einem vielleicht betrüglichen Zuge nachzugeben, die Vernunft entscheiden, was für eine Partei du ergreifen sollst. Die Vernunft, glaube mir lieber Peregrin, die Vernunft ist der gute Dämon des Menschen, und die Eudämonie, nach welcher du strebest, ist die Frucht eines nach ihrer Vorschrift geführten Lebens, oder es gibt gar nichts, das diesen Namen verdient, diesseits des Mondes. Ich will jetzt nicht untersuchen, ob du, da du dich einmal so tief mit Kerinthus eingelassen, da deine Fähigkeiten und Vorzüge dich zu einem ansehnlichen Posten in seinem unsichtbaren Reiche bestimmten, und die Freundschaft Diokleens (deren Aufrichtigkeit und Wärme zu bezweifeln, du, so viel ich sehe, keinen Grund hattest) dir unfehlbar das Innerste seines Ordens aufgeschlossen und einen unmittelbaren Antheil an den Vortheilen seiner Unternehmung verschafft haben würde, – ob du, sage ich, nicht klüger gethan hättest, bei ihm auszuharren, und ob nicht gerade das, was dich bewog seine Partei zu verlassen, dich zum Gegentheil hätte bestimmen sollen.
Zwar bin ich so überzeugt als du, daß der außerordentliche [84] Mann, nach welchem die Christianer sich nennen und für dessen Jünger sie sich ausgeben, einen ganz andern Plan hatte, als der ist, an welchem Kerinthus arbeitet. Ganz gewiß war das Reich Gottes, welches er ankündigte, und zu welchem er (nachdem ihm seine Absicht bei den Juden, seinen Stamm- und Glaubensgenossen, fehl geschlagen war) alle Menschen eingeladen wissen wollte, nichts weniger als eine politische Universalmonarchie. Alles müßte mich trügen, oder dieses Reich hatte mit der Theokratie oder Hierarchie, an welcher seine vorgeblichen Anhänger im Verborgnen arbeiten, und womit sie über lang oder kurz die erstaunende Welt überraschen werden, nicht mehr gemein, als sein Geist mit dem ihrigen. Er war ein Enthusiast im erhabensten Sinne dieses ehrwürdigen Wortes, welches durch Vermengung mit Schwärmerei, Fanatismus und Magismus so häufig entheiligt wird: aber seine Lehre war zu einfach, sein Sinn zu lauter, die Vollkommenheit, zu welcher er einlud und die er an sich selbst darstellte, zu rein und groß, als daß es sich nur denken ließe, sie könnte jemals das Antheil von Hunderttausenden und Millionen seyn. Was erfolgte also, und was mußte erfolgen? Eines von beiden: entweder seine reine Theosophie mußte, wie die Weisheit und Tugend (zwei nicht weniger profanirte Wörter!) eines Archytas oder Sokrates, sich immer nur, unsichtbarer Weise, unter den Wenigen erhalten und fortpflanzen, die seines Geistes waren; oder, wenn sie sichtbar werden, zu einer Art von Herrschaft über die menschlichen Gemüther gelangen, und irgend eine wichtige Veränderung in der Welt hervorbringen sollte, so mußte sie sich mit den Meinungen und Leidenschaften der [85] Menschen amalgamieren, und in der Hand ehrgeiziger, planvoller und betriebsamer Menschen zu einer neuen Volksreligion, und als solche zum Mittel eines Zwecks, der nicht der Zweck des ersten Stifters war, kurz, zu dem gemacht werden, was der Glaube und die Mysterien der Christianer in den Händen eines Kerinthus und Hegesias sind.
Wie viel Antheil aber auch Regiersucht und Eigennutz an der Unternehmung dieser Männer haben mögen, so ist doch nicht zu läugnen, daß etwas Großes in dem Gedanken ist, die Menschheit zugleich von den Ketten des Aberglaubens und des Despotismus zu befreien, und alle Völker der Erde, durch einen Glauben, der die moralische Natur des Menschen reinigt und veredelt, sie zu Kindern Eines Vaters, zu Mitgenossen gleicher Rechte, zu Erben eben derselben Hoffnung macht, in eine einzige Brüdergemeine zu versammeln. Mag doch diese Idee, in ihrer höchsten Vollkommenheit gedacht, unerreichbar seyn! Aber würden auch Jahrtausende dazu erfordert, um ihr von Stufe zu Stufe näher zu kommen, und müßte gleich das Gute, das für die Menschheit dadurch gewonnen würde, mit tausend vorübergehenden Uebeln erkauft werden: immer bliebe der, der den Grund zu einer solchen Revolution gelegt hätte, ein Wohlthäter des menschlichen Geschlechts. Ich müßte mich sehr irren, oder Kerinthus betrachtet sich selbst in diesem Lichte. Und, wiewohl man den keinen Schwärmer nennen kann, der so künstliche Maschinen mit so viel Klugheit und mit so feinen Handgriffen zu Ausführung eines Werks, wovon er selbst die Seele ist, zu verbinden weiß; wiewohl der Gebrauch wunderbarer Mittel und einer Art von moralischer Magie ihm sogar [86] das Ansehen eines Betrügers geben; so wollte ich doch nicht behaupten, es sey unmöglich, daß er, von der Schönheit und Größe seines Plans begeistert, sich selbst über die Mittel täusche, und alles für recht und gut halte, was zu einem so herrlichen Ziele führe; und dieß um so mehr, je scheinbarer der Gedanke ist, daß durch eine solche Anwendung das, was in einem andern Zusammenhang der Dinge böse seyn würde, insofern als das Gute dadurch befördert wird, sich wirklich in etwas Gutes verwandelt, und also aufhört zu seyn was es war. Ich erinnere mich, von Kerinthus etwas diesem Aehnliches gehört zu haben; und wenn die Alexander und Cäsarn, wie zu vermuthen ist, Augenblicke hatten, wo eine unfreiwillige innere Gewalt sie nöthigte einem Richter in ihrem eigenen Busen Rechenschaft zu geben, so waren es ohne Zweifel Sophismen dieser Art, wodurch sie ihn zu bestechen suchten.«
Wie es aber auch damit beschaffen seyn mag, immer macht es dem Genie des Kerinthus in meinen Augen Ehre, daß er (aller Wahrscheinlichkeit nach) der erste war, der in dem Glauben einer bisher so verachteten Secte das Mittel und Werkzeug fand, die größte aller Revolutionen zu bewirken. Es ist sehr möglich, oder vielmehr es ist sehr wahrscheinlich, daß er mit seiner Unternehmung scheitern wird. Er betreibt sie zu lebhaft, und, als einer der die Früchte seiner Arbeit selbst genießen möchte, zu eilfertig; die Welt ist zu einer so großen Katastrophe noch nicht reif. Aber ich bin gewiß, wenn auch Kerinthus unterliegt, das von ihm angefangene Werk wird von andern Händen im Verborgenen fortgeführt: und vielleicht in weniger als zweihundert Jahren werden unsre Nachkommen erstaunen, eine [87] in ihren Anfängen so unscheinbare und nichts geachtete Verbrüderung auf einmal ihr Haupt erheben, die alte Religion und Verfassung verschwinden, und die Theokratie des Kerinthus, vielleicht unter einem andern Namen und mit einer andern Außenseite, aber ihrem Geist und ihren Grundsätzen nach eben dieselbe, der Welt Gesetze geben zu sehen. Ob diese sich viel besser dabei befinden wird, will ich dahin gestellt seyn lassen. Ich meines Orts gestehe, daß ich kein Freund von den Theokratien bin, in welchen man die Gottheit die Rolle eines morgenländischen Schachs spielen läßt, während Menschen, unter dem Namen seiner Satrapen und Wessire, sich seiner Allgewalt so wohl oder so übel bedienen, als es ihre Fähigkeiten, Leidenschaften, Schwachheiten und Laster erlauben oder fordern.
»Ich weiß nur von Einer Theokratie, gegen welche keine Einwendung zu machen ist, weil sie weder Unrecht haben noch von irgend einer Macht aufgehalten werden kann; in welcher wir alle unsere Rolle spielen, ohne weder den Plan noch den Ausgang des Stücks zu kennen; in deren Plan alles, was ist und lebt, eingeflochten ist, alles von unbekannten Ursachen zu unbekannten Zwecken in ewiger Bewegung erhalten wird, alles zugleich Mittel und Zweck, Ursache und Wirkung ist, und der erste Beweger von allem ewig unsichtbar hinter der Scene bleibt.
In dieser Theokratie, mein lieber Peregrin, bin ich was ich bin, wirke was ich kann, und leide was ich muß: von allen andern Autokratien, Demokratien, Aristokratien und Theokratien halte ich mich so fern als möglich. Ich verachte mich selbst nicht so sehr, daß ich von der Willkür eines andern abhangen [88] möchte, so lang' es in der meinigen steht frei zu seyn: aber ich bin auch nicht stolz oder eitel genug, um über meines gleichen herrschen zu wollen.
Aufrichtig zu reden, ist bei einer solchen Sinnesart gewöhnlich eine gute Portion Trägheit und Liebe zum seligen Leben der Götter im Himmel, dem goldnen Müßiggang; eine Liebhaberei, wovon ich mich selbst nicht frei sprechen will, und woraus du dir leicht erklären kannst, warum ich keine Lust hatte, mich mit dem hoch strebenden Kerinthus auf das gefahrvolle Meer weit aussehender, mühsamer, und vielleicht undenkbarer Abenteuer einzuschiffen.
Du, Peregrin, hast keine Entschuldigungen dieser Art: aber, wie geschickt du dich auch während deiner Verbindung mit Kerinthus und Hegesias gezeigt hast, in ihrem Operationsplan eine der thätigsten Rollen zu spielen, so begreife ich doch, wie dir durch die Entdeckung, daß, was du für Ernst hieltest, nur Spiel sey, die Lust dazu vergehen konnte. Aber, o mein Freund! du, dem es so innig zuwider ist andere zu betrügen oder von andern betrogen zu werden, warum wolltest du dich von neuem in Gefahr begeben, der Betrogne eines magischen Gauklers zu seyn, der in deinem eignen Busen sitzt? Die Farben, womit er dir die Seligkeit vormalt, die im Schooße der vermeintlichen Engel auf dem Meierhofe bei Pitane deiner warten soll, sind Zauberfarben; das Licht, worin du diese guten Menschen siehst, ist Zauberlicht. Eine Zeit lang würdest du dich in das Paradies der Morgenländer versetzt glauben, und unter deinen Idealen von Unschuld und Liebe in den seligsten Gefühlen zerfließen. Aber sobald Zeit und Gewohnheit [89] die erste Blüthe des Genusses abgestreift hätte, würden diese Engel unvermerkt zu armen, einfältigen Menschen herabsinken, mit denen du, außer einiger Gleichförmigkeit in Gesinnungen des Herzens, wenig oder nichts gemein haben könntest. Du bist von Jugend an gewohnt mit Personen von gebildetem Geiste zu leben, bist selbst viel zu sehr entwickelt, als daß du es, bei einer wenig oder bloß mechanisch beschäftigten Lebensart, unter so schlichten und einförmigen Landleuten in die Länge aushalten könntest. Ihr Unvermögen, das wirklich für dich zu seyn, was dir deine Phantasie in ihrem Namen versprach, würde dich zuletzt übellaunig machen: und wäre es einmal dahin gekommen, so würde nicht nur das, was du an ihnen liebst, viel von seinem Werth und Reitz verlieren; es würden auch Unvollkommenheiten zum Vorschein kommen, die du ehemals nicht gesehen hattest, und die nun in deiner umgestimmten Einbildung (eben so gewiß wie ehemals das Schöne und Gute) größer erscheinen würden als sie sind. Was die natürliche Folge von diesem allen seyn müßte, brauche ich dir nicht zu sagen: aber ob es dann so leicht, oder nicht wohl gar unmöglich seyn dürfte, die Verbindungen, welche du in der ersten Schwärmerei des Herzens mit diesen guten Leuten eingegangen wärest, wieder aufzuheben, ist eine Frage, deren Beantwortung du nicht auf den Erfolg ankommen lassen darfst. Wenn also mein Rath etwas über dich vermöchte, so folgtest du meinem Beispiel, und brächest, nachdem du dich doch einmal durch einen Sprung aus dem Fenster von dem Propheten Kerinthus losgemacht hast, alle fernere Gemeinschaft mit den Christianern ab. Das was du suchest, lieber Peregrin, ist weder hier noch dort,[90] weder bei dieser noch bei jener Partei oder Secte: es ist in dir selbst oder es ist nirgends.«
Verzeihe, Freund Lucian, wenn ich vielleicht in Anführung dieser Rede meines klugen und wohlmeinenden Wirthes zu weitläufig gewesen bin, wiewohl ich nur das Wesentlichste, dessen ich mich erinnere, ausgezogen habe. Aber ich hielt es für nöthig, weil diese Vorstellungen, und die Gewalt, die sein Geist unvermerkt über den meinigen erhielt, in den acht Tagen, welche ich bei ihm zubrachte, eine Veränderung in mir bewirkten, die in der Geschichte meines Lebens Epoche macht. Denn es gelang ihm nicht nur, mir das neue Project, worauf sich meine Phantasie geworfen hatte, gänzlich auszureden; sondern er war es auch, der die Entschließung in mir veranlaßte, sobald ich meine häuslichen Angelegenheiten zu Parium ins Reine gebracht haben würde, zu dem weisen Agathobulus nach Aegypten zu reisen, und in vertrauterem Umgang mit diesem Manne (welchen er mir als einen sehr vortrefflichen Menschen und als das Muster eines ächten Cynikers beschrieb) mich in der einzigen Lebensweise vollkommen zu machen, wobei ich, vermöge der Selbstkenntniß wozu mir die Erfahrung verholfen hatte, glücklich zu seyn hoffen konnte.
»Wärest du, sagte mir Dionysius kurz zuvor ehe wir von einander schieden, wärest du ein weniger ungewöhnlicher Mensch, Peregrin, so würde ich dir vorgeschlagen haben, ob du nicht bei mir zu Lindus bleiben, und an dem kleinen Handel, womit ich mich (um nicht ganz müßig zu gehen) beschäftige, Antheil nehmen wollest. Aber du bist nun einmal [91] nicht dazu gemacht, auf irgend einem gebahnten Wege durchs Leben zu ziehen, und es wäre vergeblich, zu erwarten daß du hierin jemals deine Natur ändern werdest. Ich sehe zwei Grundzüge in deinem Charakter, die dich unvermeidlich bestimmen, so lange du lebst, und viel leicht (setzte er lachend hinzu) in deinem Tode selbst, außerordentlich zu seyn. Du strebest nach einem Lebensgenuß, den nur innere Vollkommenheit geben kann; und wiewohl du, durch den Zauber einer unaufhörlich geschäftigen Einbildungskraft, dein bisheriges Leben in lauter Verblendung und Täuschung zugebracht hast, so kenne ich doch wenige, und vielleicht niemand, der die Wahrheit so leidenschaftlich liebt wie du, und für den es ein größeres Bedürfniß wäre, sich in ihrem Besitz zu glauben. Für einen solchen Menschen ist meines Erachtens nur Ein Mittel sich zu retten. Er muß sich von allen Banden der bürgerlichen Gesellschaft sowohl als von allen besondern Verbindungen gänzlich loswickeln, und, um allenthalben, immer und im höchst möglichen Grade unabhängig zu seyn, sich schlechterdings auf die unentbehrlichsten Bedürfnisse des Körpers einschränken, und gegen allen äußerlichen Reiz von Vergnügen und Schmerz, so wie gegen die Urtheile der Menschen, ihren Beifall oder Tadel, ihre Verehrung oder Verachtung, gleichgültig zu werden suchen. Auf diesem Wege wird er unfehlbar mit allem, was lebt und ist, in das reinste Verhältniß kommen, und, frei von Wahn und Leidenschaft, in ungestörtem Selbstgenuß und unumschränktem Wohlwollen, sich selbst in allem und alles in sich selbst fühlend, der göttlichen Natur so gleichförmig werden, als [92] die menschliche dessen fähig ist. Es steht mir wohl nicht zu, dich zu einer Lebensweise aufzumuntern, zu welcher ich selbst weder Lust noch Fähigkeit habe: aber, wenn dich die Schwierigkeiten des Weges, worauf es deines gleichen vielleicht zu dieser Vollkommenheit bringen können, nicht abschrecken, so bin ich versichert, daß es das Vernünftigste ist, was du in deiner Lage und mit einer Sinnesart, wie die deinige, unternehmen kannst.«
Wie du siehest, Lucian, war es weder mehr noch weniger als das Ideal, das du in deinem Cyniker aufgestellt hast, was, nach der Meinung meines Freundes Dionysius, die wahre Bestimmung des ehemaligen Günstlings der Mamilien und Diokleen seyn sollte. Seltsam genug! aber vielleicht noch seltsamer, daß dem Günstling der Mamilien und Diokleen nichts einfacher und einleuchtender schien als dieser Gedanke. Er schmiegte sich so schön an meine eigensten und innigsten Lieblingsideen an, paßte so gut zu meinen Umständen, und die Ausführung war so ganz in meiner Gewalt! – Ueberdieß schien mir dieser reine, hohe Cynismus von dem ursprünglichen Institut der Christianer so wenig in irgend einem wesentlichen Punkte verschieden zu seyn, daß er, auch in dieser Rücksicht, die einzige Partei war, die ich, ohne meinem Gefühl zu widerstreben, ergreifen konnte. Denn wiewohl mich Dionysius, in einer besondern Unterredung über die Person des Stifters jenes Instituts, von seiner Meinung zu überreden suchte, daß er (abgezogen, was vernünftigerweise nur als poetische Auschmückung seiner Geschichte zu betrachten sey) mit allen andern[93] eminenten Weisen, deren beinahe jedes namhafte Volk in der Welt sich wenigstens Eines rühmen könne, in eben dieselbige Linie zu stellen sey: so war doch etwas in seinem individuellen Charakter, das er mir vor allen übrigen voraus zu haben schien, und das mir durch die Anhänglichkeit, die ich selbst für ihn empfand, – ich, der ihn weder gesehen noch gehört hatte, die unbeschreibliche Liebe begreiflich machte, womit diejenigen, die mit ihm gelebt hatten, bis an ihren Tod an ihm hingen. Du siehest also, Freund Lucian, daß der Cynismus, zu welchem ich von diesem Augenblick an so leicht überging als man einen Rock mit einem andern vertauscht, im Grunde eine ziemlich christianische Miene hatte; und ich möchte nicht dafür stehen, daß es nicht abermals ein unversehener Streich meiner Einbildungskraft war, die Sokraten, Diogenen und Epikteten mit einem so schönen Ideal zu gruppiren, und durch das Licht, das von ihm auf sie zurückfiel, sie desto würdiger zu machen, von dieser Zeit an meine Helden zu seyn.
Lucian.
Du bedarfst bei mir keiner Entschuldigung deiner Apostasie, Peregrin; aber ich begreife, daß du damals einiger Entschuldigung bei dir selbst nöthig haben konntest.
Peregrin.
Weniger als du glaubst. Denn in der That ward ich durch diesen Uebergang zu einem Cynismus, worin ich aller Wahrscheinlichkeit nach das einzige Exemplar in der Welt war, keiner meiner vorigen Gesinnungen ungetreu; und, die gnostische Geisterlehre des Kerinthus ausgenommen, blieb in [94] meinem innern Mikrokosmos alles wie es war. Aber auch jene Träumereien waren schon lange zuvor, ohne eine Spur in meinem Kopfe zurück zu lassen, in dem nämlichen Augenblicke verschwunden, da ich erfuhr, daß mein Prophet derselbe Mann sey, der vor einigen Jahren mit einer Bande Isispriester in der Welt herumgezogen war. Alles, was sich also (wenn ich anders eine Stimme über mich selbst habe) von der Sache mit Wahrheit sagen läßt, ist dieß: daß mein Christianismus das reinigende Mittel war, durch welches ich gehen mußte, um des hohen Cynismus fähig zu werden, zu welchem ich mich von dieser Epoche an eben so warm und aufrichtig, wie vormals zu meinen magischen, erotischen und theosophischen Schwärmereien, bis zu meinem letzten Augenblick bekannte.
Dionysius, der zu Mitylene Geschäfte hatte, begleitete mich bis dahin. Wir schieden als Freunde, die sich wiederzusehen hofften; und diese Hoffnung wurde in der Folge mehr als Einmal erfüllt.
Wie ich nach Parium zurückkam, fand ich überall eine sehr kalte Aufnahme. Ich erklärte mir die Sache anfangs als etwas ganz Natürliches, aus der Verachtung, welche die Einwohner einer Handelsstadt gegen einen Mitbürger fühlen mußten, der ein großes Vermögen, in einer Zeit, worin der geringste von ihnen es duplirt und tripliert haben würde, so heilloserweise durchgebracht hatte. Aber es fand sich bald, daß mein Credit in Parium noch viel schlimmer war als ich mir einbildete. Meine Verwandten, deren Erbitterung gegen [95] mich durch den Ausgang ihrer zu Antiochien angebrachten Klage auf den höchsten Grad gestiegen war, hatten unter der Hand, durch allerlei heimliche Kunstgriffe, unter das Volk gebracht: man habe Anzeigen, daß es mit dem plötzlichen Tode meines Vaters nicht richtig zugegangen sey. Bald darauf hieß es: man sey der Sache näher auf die Spur gekommen; man sprach von einem Sklaven, den ich vor meiner Entfernung von Parium frei gelassen, und der bald darauf verschwunden war. Endlich flüsterte man einander in die Ohren: es wäre leider nur zu gewiß, daß Peregrin selbst der Thäter sey. Unvermerkt wurde davon als von einer ausgemachten Sache gesprochen, wovon die Familie die Beweise in den Händen hätte; und man nannte schon einen Tag, da die Klage gegen mich öffentlich angebracht werden sollte. Jetzt wollte jedermann so klug gewesen seyn, etwas von der Sache geahndet zu haben; jedermann hatte, als mein Vater todt war und begraben wurde, und bei Eröffnung des Testaments, und bei zwanzig andern Gelegenheiten irgend einen verdächtigen Umstand wahrgenommen; und nun klärte sich's auf, warum ich ohne irgend eine begreifliche Ursache mich selbst aus Parium verbannt hatte, und als ein von den Furien hin und her getriebener Vatermörder in der Welt herumgeirret war.
Als mir diese Gerüchte endlich zu Ohren kamen, errieth ich, ohne ein Oedipus zu seyn, sehr leicht, aus welcher Quelle sie geflossen, und was meine Intestaterben damit zu gewinnen hofften. Sie wußten sehr wohl, daß sie nicht beweisen konnten was nicht geschehen war: aber sie kannten die [96] Wirksamkeit dreister Verleumdung bei einem ohnehin schon gegen mich eingenommenen Volke, und sie glaubten auch mich zu kennen. Kurz, sie zweifelten nicht, ich würde aus Verdruß und Unwillen über eine so wenig verschuldete Aufnahme bald wieder davon gehen, und sie dadurch berechtigen, zu sagen: die Furcht vor der Anklage und vor der Strafe, welcher ich nicht anders hätte entgehen können, habe mich zur Flucht getrieben. Sie würden dann (wie sehr wahrscheinlich zu vermuthen war) dem Abwesenden wirklich den Proceß gemacht, und, da sie in Parium einen großen Anhang hatten, meine ewige Landesverweisung und die Einziehung meines noch übrigen Vermögens ohne Mühe ausgewirkt haben.
Ich hatte diesen geheimen Anschlag kaum errathen, als mir plötzlich ein Mittel, ihn auf einmal zu Wasser zu machen, einfiel, welches, so einfach es auch in meinen Augen war, schwerlich einem andern Parianer an meinem Platze in den Sinn gekommen wäre. Ich erschien bei der ersten öffentlichen Volksversammlung im ganzen Costume eines Cynikers, bestieg den Redestuhl, und hielt eine Anrede an meine Mitbürger, worin ich ihnen mit Wenigem von meiner zweimaligen langen Abwesenheit Rechenschaft gab, und, nach einer öffentlichen Profession meiner Grundsätze und des Plans meines künftigen Lebens erklärte: da ich künftig nur sehr wenig bedürfen und Parium ungesäumt verlassen würde, um zu dem weisen Agathobulus nach Alexandrien zu reisen, so glaubte ich von meinem väterlichen Hause und von dem Landgute meines Großvaters keinen edlern Gebrauch machen zu können, als indem ich, wie hiermit geschehe, meinen geliebten Mitbürgern, dem Volke [97] von Parium, eine mündliche und in gehöriger Form schriftlich beurkundete Schenkung davon machte.
Die Wirkung, welche diese Handlung auf die untern Volksclassen that, denen nach meiner Verordnung die Einkünfte jener Grundstücke vornehmlich zu gut kommen sollten, hat dein Ungenannter (der sich in allen unbedeutenden Dingen immer genau an die Wahrheit hält) so richtig beschrieben, daß ich nichts weiter davon zu sagen brauche. Ich war nun auf einmal an meinen Verwandten gerochen, und bei meinen Mitbürgern gerechtfertigt. Aber während die Lüfte von Lobpreisungen und Segnungen des edeln, großmüthigen und weisen Peregrinus erschallten, schlich ich mich aus dem Getümmel fort, und verließ Parium mit den Empfindungen, die seine Einwohner werth waren, auf immer.
Ein kleiner Meierhof in Bithynien, und einige böse Schuldforderungen aus der väterlichen Verlassenschaft, welche ich noch in Taurien einzutreiben hatte, wenn ich die Reisekosten daran wagen wollte, machten nun den ganzen Rest meines ehemaligen Vermögens aus. Das Gütchen warf etwas über vierhundert Drachmen jährlich ab. Ich machte also den Ueberschlag, daß mein Einkommen, insofern meine tägliche Ausgabe die Summe von vier Obolen 10 nicht überstiege, zu den unentbehrlichsten Bedürfnissen meines thierischen Theils hinreichen würde, und damit hielt ich mich für reich genug. Hatte Sokrates jemals mehr, oder Antisthenes und Diogenes nur so viel gehabt? Nur der Schmutz – mit deiner Erlaubniß, Lucian –
[98] Lucian (lachend).
Was für ein Gedächtniß du hast, Peregrin! Wie? du erinnerst dich noch der ziemlich schmutzigen Tunica, worin ich dich in meiner Erzählung vor dem Scheiterhaufen paradiren ließ?
Peregrin.
Wäre sie zufälliger Weise (wie es sich doch auch hätte fügen können) just schneeweiß gewesen, so würdest du es mir, in der Laune worin du damals warst, zur Hoffart ausgedeutet haben. – Der Schmutz also – war das einzige, worüber ich mit dem Cynismus capitulierte; ich wollte, im Nothfall, lieber thierischer essen, um etwas menschlicher gekleidet zu seyn. Ich machte mir also zum Gesetz, das Wasser nicht zu sparen, da ich es doch beinahe überall, so gut als die freie Luft, umsonst haben konnte. Indessen gestehe ich gern ein, daß ich keinen Anspruch an den Titel eines eleganten Cynikers machte. Ich vertauschte nun den Namen Peregrinus, den ich unter den Christianern geführt hatte, wieder mit dem Namen meines Großvaters Proteus, und schickte mich zu meiner Reise nach Aegypten an, über welcher, da ich sie zu Fuße machte, und überall, wo die Natur meinem Geiste oder gute Menschen meinem Herzen Nahrung gaben, verweilte, beinahe ein ganzes Jahr verstrich.
Aber, ehe ich zu meinem Aufenthalt bei Agathobulus komme, muß ich noch mit zwei Worten berichtigen, was der Ungenannte zu Elis von dem vergeblichen und schimpflichen Processe sagt, den ich mit den Parianern wegen der bewußten Schenkung vor dem Kaiser geführt haben sollte. Es ist, wie [99] an allen seinen Anekdoten, etwas Wahres auch an dieser, aber mit so viel Unwahrheit vermischt, als er nöthig hatte, damit eine an sich sehr unschuldige Handlung mich bei seinen Zuhörern zugleich lächerlich und verächtlich machen müßte. Die Sache verhielt sich so.
Es waren einige Jahre verstrichen, ehe meine Verwandten zu Parium erfuhren, daß ich das vorerwähnte kleine Gütchen in Bithynien, woraus ich meinen nothdürftigen Unterhalt zog, aus dem allgemeinen Schiffbruche meines Vermögens gerettet hätte. Der Streich, den ich ihrer Bosheit durch die mehr erwähnte Schenkung gespielt hatte, war zu empfindlich, als daß sie nicht jede Gelegenheit, sich deßwegen zu rächen, mit Begierde hätten ergreifen sollen. Sie zeigten also die gemachte Entdeckung dem Volk an, und behaupteten: da ich mir in der Schenkung, die ich der Stadt Parium von meinen noch übrigen liegenden Gründen gemacht, nichts ausdrücklich vorbehalten hätte; so wäre unstreitig auch der Bithynische Meierhof darunter begriffen, und die Stadt wäre nicht nur vollkommen berechtiget denselben als ihr Eigenthum anzusprechen, sondern auch den Ersatz der seit mehrern Jahren von mir bezogenen Nutznießung zurückzufordern. Die Parianer ließen sich dieß wohlgefallen, und fanden bei dem Statthalter von Bithynien so gutes Gehör, daß sie ohne weitere Untersuchung in augenblicklichen Besitz gesetzt wurden. Ich befand mich damals noch zu Alexandrien, und erfuhr diesen Vorgang nicht eher als durch das Ausbleiben meines kleinen Einkommens, welches mir jährlich durch die Vermittelung eines alten Freundes zu Smyrna (eines ehemaligen Freigelassnen meines Vaters) [100] zugeflossen war. Die Verlegenheiten, in welche ich dadurch gesetzt wurde, nöthigten mich an die Parianer zu schreiben, und ihnen mit allem nur möglichen Glimpf vorzustellen: wenn ich mich auch in der Schenkungsurkunde unvorsichtiger Weise so ausgedrückt hätte, daß sie meinen eignen Buchstaben gegen mich geltend machen könnten; so forderte doch die Billigkeit von ihnen zu bedenken, daß es unmöglich meine Meinung habe seyn können, mich selbst zu ihrem Vortheil sogar des Unentbehrlichsten, was ich zum Leben nöthig hätte, zu berauben. Weil aber diese Vorstellungen ohne Wirkung blieben, wandte sich mein Smyrnischer Freund, wiewohl er keinen Auftrag dazu von mir hatte, aus bloßem Mitleiden in meinem Namen unmittelbar an den Kaiser: aber alles was er auch bei diesem mit vielem Bitten und Betreiben ausrichtete, war, daß das strenge Recht den Sieg erhielt, und Supplicant mit seinem unstatthaften Begehren zur Ruhe verwiesen wurde.
Dieser Handel brachte mich dahin, meine tägliche Ausgabe vor der Hand von vier Obolen auf zwei zu beschränken; bis es bald genug so weit mit mir kam, daß ich mich, um meinen Unterhalt von niemand als eine Wohlthat zu erbetteln, entschließen mußte, täglich in den Hafen herabzusteigen, und durch einige Stunden harter Arbeit so viel zu verdienen, daß ich dem Hunger wehren konnte. Ich hatte diese Lebensart bereits eine geraume Zeit, zu großem Vortheil meiner Gesundheit, getrieben, als ein ganz unvermutheter Zufall mich mit einem Cyprischen Kaufmanne zusammenbrachte, welchem ich vor mehr als zehen Jahren, in einer Verlegenheit, worein er, an einem Orte wo ihn niemand kannte, gerathen [101] war, auf die bloße Bürgschaft seiner Physiognomie, oder vielmehr ohne jemals auf Wiedererstattung zu rechnen, fünftausend Drachmen geliehen hatte. Wiewohl dieß keine erhebliche Summe war, so war doch der Dienst, den ich dem Cyprier dadurch leistete, damals von der äußersten Wichtigkeit für ihn; und da ich darauf bestand, ihm meinen Namen zu verbergen, so bestand er nicht weniger hartnäckig darauf, daß ich ihm versprechen mußte, wenn er jemals so glücklich wäre mich wiederzufinden, so wollte ich mich nicht weigern das Doppelte von ihm anzunehmen. Wie wenig ließ ich mir damals einfallen, daß ich diesen Mann in meinem Leben wiedersehen würde! Und nun liefen wir einander, nach eilf oder zwölf Jahren, unverhofft am Ufer von Alexandrien in die Hände, und glücklicherweise mußte es sich fügen, daß die Physiognomie des Cypriers die Wahrheit gesagt hatte. Seine Hände, mich wiederzufinden war so groß, als ob er alle sechs Zauberringe deines Timolaus 11 auf einmal gefunden hätte; aber sein Erstaunen war es nicht weniger, mich in Umständen zu sehen, worin mancher andere sich erlaubt hätte, einen ehemaligen Wohlthäter nicht wieder zu erkennen. Der Cyprier verkannte mich nicht. Er sagte mir, er wäre ein sehr reicher Mann; aber die Hälfte seines Vermögens würde nicht hinreichend seyn, ihn seiner Verbindlichkeit gegen mich zu entbinden: – kurz, er nöthigte mich auf die edelste Art, nun auch an meiner Seite die Bedingung, unter welcher er meine Wohlthat angenommen, zu erfüllen, und die Summe, die ihn gerettet hatte, doppelt von ihm zurückzunehmen. Ueberdieß sagte er mir auch seinen Namen und den Ort seines [102] gewöhnlichen Aufenthalts, und drang mir das Versprechen ab, wenn ich mich jemals wieder in Noth befände, ihm vor allen andern Freunden, die ich haben könnte, den Vorzug zu gönnen. Ich sagte es ihm zu, machte aber nie Gebrauch davon. Mit zehntausend Drachmen war ich nun, für einen cynischen Philosophen, ein Crösus. Ich überrechnete, wie weit ich damit reichen würde , wenn ich meine tägliche Ausgabe auf vier bis fünf Obolen festsetzte; und da ich nicht gesonnen war länger als bis zum sechzigsten Jahre zu leben, so fand sich, daß ich ohne irgend einen außerordentlichen Zufall meinen wackern Cyprier nicht weiter nöthig haben würde.
Der weise Agathobulus, dessen Ruf mich nach Alexandrien zog, erfüllte zwar die Vorstellung nicht ganz, die ich mir auf das Wort meines Freundes Dionysius von ihm gemacht hatte: und daran waren beide allerdings gleich unschuldig; denn welcher Sterbliche hätte einer Einbildungskraft wie die meinige ein Genüge thun können? Indessen war er doch unter den Lehrern der damaligen Alexandrinischen Schule der einzige, der mir einige Anhänglichkeit an seine Person einflößte. Agathobulus ist mit gleich wenigem Rechte bald unter die Epikuräer, bald unter die Cyniker gezählt worden; denn er war im Grunde keiner Secte zugethan. Er schien das Ideal des Weisen, welches er sich selbst zum Kanon vorsetzte, aus dem, was ihm an mehrern Einzelnen das Schönste dünkte, wie Zeuxis seine Helena, zusammengesetzt zu haben; und, wenn er ja mit einem von den Alten verglichen werden müßte, so hätte man ihn einen Aristipp in Gestalt eines Stoikers nennen [103] können. So wie man ehemals von Sokrates sagte, daß er die Philosophie vom Himmel herabgerufen, und sie mit den Menschen umzugehen und an den mannichfaltigen Verhältnissen ihres häuslichen und bürgerlichen Lebens Antheil zu nehmen gelehrt habe: so konnte man von Agathobulus sagen, er habe die Lebensweisheit des Diogenes in die gute Gesellschaft eingeführt, und, indem er die Strenge ihrer Maximen auf eine ihm eigene Art mit Urbanität und Grazie zu mildern wußte, Wahrheiten und Tugenden, welche sich gewöhnlich in den Cirkeln der Glücksgünstlinge weder hören noch sehen lassen können ohne überlästig oder lächerlich zu seyn, selbst dieser am meisten verfeinerten, und eben darum verderbtesten Classe von Menschen ehrwürdig oder wenigstens erträglich gemacht. Da er ohne Leidenschaften war, und sich von Jugend an der strengsten Ausübung der stoischen und cynischen Grundsätze ohne Mühe unterworfen hatte, so war es ihm ein Leichtes geworden, seine Sitten unter den Weltleuten rein zu erhalten. Er stand von der üppigsten Tafel eines Römischen Ritters so nüchtern auf als von einem Sokratischen Mahle, und die reizendste Gaditanische Tänzerin ließ seine Sinne so ruhig als eine sechzigjährige Vestalin. Kurz, Agathobulus lebte die Weisheit die er lehrte, weil sie ihm eben so leicht auszuüben war als das Athemhohlen und Verdauen einem gesunden Menschen; und eben diese Leichtigkeit, die von der prunkvolle Gravität und steifen Pedanterie seiner meisten Professionsverwandten so stark abstach, war die Ursache, warum die vornehmsten Römer und Griechen zu Alexandrien sich in die Wette beeiferten, ihn zum Tischgesellschafter zu haben. Wie die Eitelkeit[104] der Menschen aus allem, sogar aus dem, was ihr zur Beschämung dienen sollte, Nahrung zu ziehen weiß, so schienen besonders die Römischen Magnaten, die in dieser Hauptstadt Aegyptens sehr zahlreich waren, ihre Toleranz gegen manche an sich selbst unangenehme Wahrheiten, welche sie bei Gelegenheit von dem Philosophen hören mußten, sich selbst zu keinem geringen Verdienst anzurechnen; aber sie glaubten auch dadurch das Aeußerste gethan zu haben, was sich von ihres gleichen erwarten lasse, und hielten sich durch diese Duldsamkeit ihrer an lauter Schmeichelei und Beifall gewöhnten Ohren aller Verbindlichkeit überhoben, in ihren Urtheilen oder Handlungen auf besagte Wahrheiten die mindeste Rücksicht zu nehmen. Der gute Agathobulus, wenn seine Gefälligkeit gegen die Großen anders so uneigennützig war als sie es in der That zu seyn schien, verfehlte also seines Zwecks gerade durch das, was er für das einzige Mittel hielt dieser Classe von Menschen beizukommen. Man ließ ihm seine Philosophie hingehen, weil der Witz und die Laune, womit er sie würzte, seine Grillenfängerei (wie sie es nannten) unterhaltend machte; aber um aller Wahrheiten willen, die er ihnen täglich und oft mit großer Freimüthigkeit predigte, geschah nicht eine einzige Thorheit, Ungerechtigkeit und Schelmerei weniger in Alexandrien.
Die zweideutige Figur, welche Agathobulus unter diesen Umständen machte, bestärkte mich nicht wenig in dem Gedanken, daß die Philosophie, wenn sie unter so verdorbnen Menschen, als unsre Zeitgenossen waren, wenigstens ihre eigne Würde behaupten wolle, anstatt das Geringste von der Strenge und Austerität der Heroen des cynischen Ordens nachzulassen, sie [105] vielmehr, wo möglich, noch weiter treiben, und den bloßen Gedanken verschmähen müsse, den Schleier der Grazien oder den Gürtel der Venus zu entlehnen, um sich zu einer gefälligen Gesellschafterin dieser Menschen zu machen, deren strenge Richterin und unerbittliche Zuchtmeisterin zu seyn sie berufen sey. Solche Betrachtungen konnten in einem Menschen meiner Art nicht lange müßig liegen. Die Erfahrungen, durch welche ich in der ersten Hälfte meines Lebens gegangen war, hatten mein Gemüth zu einer Art von Misanthropie gestimmt, deren in der That nur solche Menschen fähig sind, die, indem sie einem jeden mit Liebe, Zutrauen und Wohlwollen entgegen kamen, entweder allenthalben abgewiesen und zurückgestoßen wurden, oder, so oft sie sich den lockendsten Einladungen der Sympathie, den verführendsten Anscheinungen von Aufrichtigkeit und Wahrheit überließen, sich am Ende so grausam getäuscht und betrogen sahen, wie dieß in den wichtigsten Verbindungen meines vergangnen Lebens mein Fall gewesen war. Ich glaubte die Menschen zu hassen; aber im Grunde war es doch nur der Antheil den ich an ihnen nahm, war es doch nur die Liebe zur Menschheit, was mich zum Entschluß brachte, im ganzen Rest meines Lebens einen Weg einzuschlagen, der, anstatt mich für alles was ich von den Menschen gelitten hatte zu rächen, zu nichts führen konnte als mich selbst, ohne Gewinn für mich oder andere, zum Gegenstand ihres Hasses zu machen. Denn wo anders hin hätte mich die Entschließung führen sollen, mit freiwilliger Uebernahme alles Ungemachs, das daraus erfolgen könnte, den herrschenden Maximen und Sitten meiner Zeit offene Fehde anzukündigen, und alle meine Reden [106] und Handlungen zu einer immer währenden lebendigen Satyre auf die Thorheiten und Laster der Menschen um mich her, und vornehmlich auf diejenigen zu machen, denen alle übrigen zu gefallen und zu schmeicheln beflissen waren?
Lucian.
In der That ist die heroische Entschließung, sein Leben in einem unaufhörlichen Kriege mit den Thorheiten und Lastern, oder, was noch gefährlicher ist, mit den Narren und Schelmen seines Zeitalters zuzubringen, kein sonderliches Mittel sich beliebt zu machen, und ich könnte dir davon ein Lied aus eigener Erfahrung singen. Indessen kommt es auch hierin, wie in allen Dingen, auf ein wenig mehr oder minder, und vornehmlich auf die Sinnesart und innere Stimmung desjenigen an, der sich dieser gefährlichen Profession widmet. Ich gebe zu, daß es Fälle gibt, wo die wärmste Liebe zur Menschheit in eine Art von Abscheu vor den Menschen, die uns umgeben, umschlagen kann. Aber ich zweifle sehr, ob dieß so leicht ohne Beimischung irgend einer sauren Leidenschaft von der eigennützigen Art geschehe; und bei genauerer Untersuchung wird sich wohl meistens finden, daß es gekränkte Eigenliebe, nicht Liebe zur Menschheit ist, was diejenigen, die in der Jugend immer mit Uebermaß liebten, im Alter zu Misanthropen macht. Ich glaube dir nicht Unrecht zu thun, Freund Peregrin, wenn ich annehme, daß es auch dir so ergangen sey, und daß an dem Heldenmuthe, womit du die Thorheiten und Laster deiner Zeitgenossen bekämpftest, ein wenig Bitterkeit und versteckte Rachbegierde Antheil gehabt habe. Doch gestehe ich gern, daß ich mir an einem zu Selbsttäuschungen so außerordentlich [107] aufgelegten Sterblichen, auch ohnedieß, sehr gut erklären kann, wie der bloße Gedanke, allein gegen das ganze Menschengeschlecht zu stehen, und, als ein neuer moralischer Hercules, sich durch Bekämpfung der sittlichen Ungeheuer, von denen du die Welt verwüstet und geängstiget sahest, den Weg zu den Göttern zu eröffnen, wie dieser Gedanke den Mann, dem bereits zwei große Versuche, sich über die gewöhnliche Menschheit emporzuschwingen, so übel mißlungen waren, zum irrenden Ritter der cynischen Tugend machen konnte.
Peregrin.
Ich habe mich dir nun einmal Preis gegeben, Lucian, und nach allen Bekenntnissen, die ich bereits abgelegt, würde eine Apologie für die, so ich noch zu thun habe, sehr überflüssig seyn. Warum sollte ich dir also nicht unverhohlen gestehen, daß die seltsame Idee – oder Grille (wenn du sie lieber so nennen willst), die sich meiner Imagination von früher Jugend an bemächtigt hatte und durch meine Verbindung mit den Christianern nur anders gestaltet, nicht verdrängt worden war, die Einbildung, oder, wie ich in ganzem Ernste glaubte, das innige Bewußtseyn meiner dämonischen Natur (welches mich unter keinen Umständen gänzlich verlassen, und dann, wenn ich mich am tiefsten niedergedrückt fühlte, immer am stärksten empor gehoben hatte), um diese Zeit wieder mit neuer Lebhaftigkeit erwachte; daß ich mich kraft derselben wirklich berufen fühlte, in einem geistigen und moralischen Sinne meinem Zeitalter das zu seyn, was der Thebanische Hercules dem seinigen gewesen war, und daß dieß von nun an die herrschende Vorstellung ward, die mich durch mein übriges [108] Leben führte, und mich zuletzt mit dem Gedanken begeisterte, es auf Herculische Art zu Olympia in den Flammen zu endigen?
Ein so hoher Beruf schien mir eine ganz besondere Vorbereitung zu erheischen. Denn, wiewohl ich bei den Christianern mehrere Jahre lang ein sehr strenges Leben geführt hatte, so warnte mich doch das, was mir mit Schwester Theodosien im Gefängniß zu Antiochia begegnet war, zu stark vor der Möglichkeit eines Rückfalls; und ich sah mich, auch außer diesem, bei der neu erwählten Lebensweise so manchen Anfechtungen anderer Leidenschaften ausgesetzt, daß ich, um dem Dämon in mir eine unbeschränkte Gewalt über den Menschen, an welchen er noch gebunden war, zu verschaffen, es schlechterdings bis zu der vollkommensten Apathie bringen mußte, deren ein eingefleischter Genius nur immer fähig ist. Ich mußte nicht nur Mangel an allen Bequemlichkeiten und, im Nothfalle, selbst an den Bedürfnissen des Lebens, Frost und Hitze, Hunger, Durst und alle Arten körperlicher Schmerzen so leicht ertragen können, als ob es nicht ich, sondern ein andrer wäre, der sie litte; ich mußte nicht nur gegen alle Reize der Sinnenlust und gegen alle Arten von Verführung so unempfindlich seyn als ein Marmorbild; ich mußte es auch gegen die empfindlichste aller Beleidigungen, gegen die Verachtung der Menschen seyn. Alles dieß erforderte vielfältige und langwierige Uebungen, – Uebungen, welche mir (da es zu meinem Plan gehörte, bei manchen derselben keine Zeugen zu scheuen) von vielen den Namen eines Narren und Wahnsinnigen zuzogen, und zu dem, was dein Ungenannter von [109] Elis (wiewohl mit ziemlicher Ueberladung) davon erzählte, einen sehr natürlichen Anlaß gaben.
Ich zweifle sehr ob irgend einer von den heiligen Faunen und Satyrn, von welchen die Thebaide bald nach unsern Zeiten bevölkert wurde, seinen Witz zu Erfindung neuer Uebungen dieser Art eifriger angestrengt haben könne als ich. Wirst du es mir wohl glauben, wenn ich dir sage: daß ich – um auf allen Fall gewiß zu seyn, daß ich auch die Probe, worauf die schöne Phryne die Weisheit des Platonischen Xenokrates gestellt haben soll, rühmlich bestehen könnte – die Selbstpeinigung so weit trieb, eine der reizendsten Hetären in Alexandrien eine ganze Nacht durch neben mir liegen zu lassen, und daß ich wirklich so viel Gewalt über mich und sie behielt, daß sie sich auch nicht des kleinsten Sieges über meine Enthaltsamkeit zu rühmen hatte?
Lucian.
Bravo, Freund Peregrin! Robert von Arbrissel 12 ist also nicht nur nicht der erste, der dieses gefährliche Experiment glücklich überstanden hat: er muß dir den Vorzug auch deßwegen lassen, weil er es zwischen zwei jungen zuchtvollen Klosterschwestern anstellte; welches ohne Vergleichung leichter war, als neben einer einzigen Priesterin der Venus Pandemos.
Peregrin.
Ich erwähnte dieser Anekdote bloß als einer Probe, wie Ernst es mir mit meinen Uebungen war, und wie sauer ich es mir werden ließ, meinem Vorbilde – dem von Epiktet hinterlassenen Ideal eines ächten und vollkommnen Cynikers –
[110] Zug für Zug gleichförmig zu werden. Alle diese Sonderbarkeiten zogen mir zwar, wie gesagt, unter einem so verfeinerten und üppigen Volke wie die Einwohner von Alexandria waren, einen sehr zweideutigen Ruf zu; aber es fanden sich doch auch mehrere, die den Charakter einer hohen und beinahe mehr als menschlichen Weisheit darin zu sehen glaubten, und von mir als einem neuen Sokrates, Antisthenes und Epiktetus sprachen. Auch fehlte es mir (wiewohl Agathobulus selbst sich einige Spöttereien, die von Mund zu Mund in der Stadt herumgingen, gegen mich erlaubt hatte) nicht an Schülern, die von dem Enthusiasmus, womit ich ihnen von der Würde, Freiheit und Eudämonie eines nach den strengsten Grundsätzen des wahren Cynismus geführten Lebens sprach, um so mehr überwältiget wurden, da sie bei mir eine Uebereinstimmung zwischen Lehre und Ausübung wahrnahmen, welche an der prunklosen Weisheit des von allen Extremen gleich weit entfernten Agathobulus nicht so stark in die Augen fiel.
Ich hatte bereits über zehen Jahre (einige Reisen in Oberägypten und zu den Aethiopischen Gymnosophisten abgerechnet) in dieser Lebensart zu Alexandrien zugebracht, als ich mit einem jungen Römer von Rang und großem Vermögen, Namens Cejonius, bekannt wurde, der an meiner Person und an meinen Reden außerordentlich viel Geschmack zu finden schien, und, nach langem Widerstand, endlich von mir erhielt, daß ich ihn nach der Hauptstadt der Welt begleitete; welcher es, wie er sagte, seit dem berühmten Demetrius 13 (dem Freunde eines Pätus 14 und Seneca) an einem Manne gefehlt habe, der mitten in diesem unendlichen Strudel von [111] prachtvoller Sklaverei Aufwartungen und Gastmählern, Sykophanten, Schmeichlern, Giftmischern, Erbschleichern und falschen Freunden (wie er die Stadt Rom mit den Worten deines Nigrinus 15 schilderte), den Muth hätte, einem jeden die Wahrheit zu sagen, und, unter dem buntesten Gewühl und Gedränge aller Arten von Thoren, Gecken und Narren, das Leben eines Weisen zu leben.
Ich kann es ruhig deiner eigenen Schätzung überlassen, lieber Lucian, wie viel Antheil meine Eitelkeit – eine Schwachheit, von welcher ich mich darum nicht frei sprechen möchte, weil ich mir ihres Einflusses auf meine Entschließung nicht bewußt war – an meiner Gefälligkeit gegen das unabweisliche Anhalten meines jungen Römers hatte. Der Zauberspiegel in meinem Kopfe, worin ich alles sah, und so oft falsch sah was die gemeinsten Menschen mit bloßer Hülfe ihrer Leibesaugen richtig sehen, stellte mir freilich, ungeachtet der wenig geschmeichelten Abschilderungen, die mir mein edler Freund von der Königin des Erdkreises machte, alles ganz anders vor, als ich es in der Folge aus Erfahrung kennen lernte. Ich könnte jetzt noch über mich selbst lachen, wenn ich mich erinnere, mit was für Hoffnungen ich meinen jungen Führer nach Italien begleitete, und wie ich albern genug war, mir einzubilden, daß Peregrinus Proteus von Parium nicht ein Jahr zu Rom gelebt haben werde, ohne eine mächtige Umgestaltung in den Sitten und der Denkart der ausgearteten Quiriten hervorgebracht zu haben. Aber ein Kopf wie der meinige konnte auch nur durch unangenehme Gefühle überführt werden, daß er sich selbst immer zu viel zutraue, und [112] von andern immer mehr erwarte als sie leisten wollten oder konnten.
Das erste, worin ich mich häßlich betrogen fand, war der Charakter des jungen Römers, dem ich mich anvertraut hatte. Die frühzeitige Cultur, welche seinesgleichen zu erhalten pflegen, gab ihm, sobald er wollte, einen Anschein von Reife, von dem ich mich um so leichter hintergehen ließ, weil in der Anhänglichkeit, die er mir zeigte, wirklich etwas Persönliches war. Ich schmeichelte mir, einen jungen Mann von so glücklichen Anlagen nach und nach völlig gewinnen zu können, und, da er sowohl durch sein großes Vermögen als durch die Verwandtschaft seines Hauses mit dem kaiserlichen zu den ersten Stellen im Reiche berufen war, ihn zum Werkzeuge der großen Reformation zu machen, von welcher ich mir in meiner Einsamkeit zu Alexandrien einen schönen Plan geträumt hatte, dessen Realisirung lediglich von der einzigen kleinen Bedingung abhing, den regierenden Theil der Welt in Weise und den gehorchenden in Patrioten zu verwandeln.
Lucian.
Ein artiges kleines Project!
Peregrin.
Unglücklicherweise hatte mein edler Römer, der mich zu Alexandrien mit so vielem Vergnügen über Staats- und Sittenverbesserung und über alles, was in dieses Fach (worüber sich so schöne Dinge sagen lassen) einschlug, declamiren hörte, keinen Begriff davon, daß solche Discurse einen andern Gebrauch und Zweck haben könnten, als in müßigen Stunden zu einer leidlichen Unterhaltung zu dienen. Ueberdieß lebte [113] er zu Rom in einem solchen Wirbel von Zerstreuungen, daß ich ihn, außer dem Tafelzimmer, sehr selten und immer nur auf Augenblicke zu sprechen bekam. Kurz, es zeigte sich in wenig Wochen, daß er, indem er einen Griechischen Philosophen in seinem Hause unterhielt, sich eigentlich nur einer damals herrschenden Mode fügen wollte, und daß seine Wahl bloß darum auf mich gefallen war, weil er auf seinen Reisen keinen andern gefunden hatte, der ihm besser anstand, und mit dem er sich zu Rom mehr Ehre machen zu können glaubte. Denn der Contrast, den mein Aeußerliches mit meinem cynischen Aufzug machte, konnte für eine Art von Seltenheit gelten; und der junge Herr schien sich nicht wenig darauf einzubilden, einen Hausphilosophen zu besitzen, von welchem jedermann gestehen mußte, daß er einer Büste des Pythagoras, die in seiner Bibliothek parodirte, so ähnlich sehe, als ob sie von ihm abgeformt wäre. Ich habe dir, lieber Lucian, schon zu viel gebeichtet, das meiner Klugheit nicht zur Ehre gereicht, um dir zu verschweigen, daß es eine ziemliche Zeit währte, bis ich über mein Verhältniß mit dem edeln Cejonius im Klaren war: aber von dem Augenblick an, da ich es war, hörte auch, meiner alten Gewohnheit nach, alle Gemeinschaft zwischen uns auf. Ich verließ sein Haus auf der Stelle, und, nicht zufrieden, ihm selbst, mit aller Bitterkeit der gedemüthigten Eigenliebe, sehr derbe Wahrheiten ins Gesicht gesagt zu haben, glaubte ich der Philosophie noch die Genugthuung schuldig zu seyn, öffentlich gegen ihn und die edle Römische Jugend, die ich in seinem Hause kennen gelernt hatte, in einem sehr heftigen Tone loszuziehen. Ein Betragen, [114] wodurch ich meinen gewesenen hohen Freund zu bittern Klagen über meine Undankbarkeit berechtigte, und den ersten Grund zu mancherlei Unannehmlichkeiten legte, die ich während meines Aufenthalts in Rom zu erdulden hatte. Ohne Zweifel würden die Folgen der Unklugheit, die ich bei dieser Gelegenheit zu Tage legte, noch verdrießlicher für mich gewesen seyn, wenn Cejonius und sein Anhang sich nicht vor dem erklärten Thronfolger, dem Cäsar Marcus Aurelius, gescheuet hätten, unter dessen unmittelbarem Schutze gewissermaßen alle Philosophen des stoischen und cynischen Ordens standen, und unter dessen Hausgenossen ich einige warme Freunde hatte.