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Das Urteil des Paris

ουκ αλλη κρατησει, της Αφροδιτης

αγωνιζομενης ην μη πανυ

ό διαιτητης αμβλυωττη.

Lucian

An Herrn Doctor Z. in B.

Aus dreien Reizenden die Schönste auszuwählen
Fand Aristipp, ein weiser Mann, nicht leicht;
Er guckte lang, und sich an keiner zu verfehlen,
Erwählt er alle drei; unweislich, wie mich deucht.
Der Mann verstand nicht viel von Weiber-Seelen;
Zum mindsten hält sein Grund nicht Stich.
Ein Kenner, ihr, Herr Doctor, oder ich,
Wir hätten uns um Eine doch von Dreien
Durch unsre Wahl verdient gemacht,
Und in der Freundin Arm der andern Zorn verlacht;
Denn, wie's der Philosoph gemacht,
Das war das Mittel sich mit allen zu entzweien.
So hat Prinz Paris einst gedacht,
Als ihm den goldnen Preis der Schönsten zuzusprechen
Ein Götter-Wink zur Pflicht gemacht.
Anstatt den Kopf sich lange zu zerbrechen
Erklärt er sich um eine hübsche Nacht
Für die gefällige Cythere.
Freund Lucian, der Spötter, sagt uns zwar
Von diesem Umstand nichts; doch, wär er auch nicht wahr,
So macht er doch dem Witz des Richters Ehre.
Du kennst und liebst wie ich, mein Z.,
Den feinen Schalk, den Spötter Lucian;
Wer bei ihm gähnt, der schnarchte wohl am Busen
Der Venus selbst, und beim Gesang der Musen,
Daß niemand feiner scherzen kann,
Daß er ein schöner Geist, ein Kenner,
Ein Weltmann war, gesteht ihm jeder ein;
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Doch wünschen Tillemont und andre wackre Männer
Mit gutem Fug, er möchte frömmer sein.
Was uns betrifft, die gern sokratisch lachen,
Uns dient er oft zum wahren Aesculap;
Er treibt uns manchen Wind und manche Grillen ab,
Und weiß die Kunst mit Lächeln oder Lachen
Uns klüger oft, vergnügter stets zu machen:
Und das ist mehr, gesteh's, als Habermann,
Tom von Aquin und Raymund Lullus kann.
Um dich und mich für diesmal zu erbauen,
Erzähl ich dir, den Musen, Freund, und mir,
In Reimen ohne Kunst und weitgesuchte Zier,
Den fabelhaften Streit der schönen Götter-Frauen;
Und wenn die Grazien, sie wissen wohl wofür,
Nach Standes-Pflicht, ein wenig dankbar wären,
So würd ich wenigstens mein Urbild nicht entehren.
Noch flammt der Streit, den Eris angeschürt,
Die Fehde, ohne die Fürst Priam unbezwungen,
Achillens Zorn und Hector unbesungen,
Herr Menelas am Vorhaupt ungeziert,
Und seine schöne Frau zu ihrer größern Ehre
Uns unbekannt geblieben wäre;
Der Zank, der Götter selbst in Hochzeit-Freuden stört,
Und denke nicht um Kleinigkeiten;
Nicht was die Linien im Buch Ye-Kin bedeuten?
Nicht ob dies Fleckchen Land das dritthalb Ziegen nährt,
Dem Junker Hans, dem Junker Jörg gehört?
Wie viele Cherubim mit schön vergoldten Schwingen
Durchs Öhr der feinsten Nadel gingen?
Ob dudeldum, ob dudeldei
Der größte Triller-Schläger sei?
Ob Scaramuz, ob Scapin besser tanze?
Dergleichen Fragen trägt, wie Freund Pedrillo spricht,
Die kleinste Mück auf ihrem Schwanze
Wer weiß wie weit – Göttinnen zanken nicht
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Wie Philosophen und wie Kinder;
Sie machten wohl um nichts so viel Geschrei.
Mein guter Freund, der Streit betraf nicht minder
Als wer die schönste sei?
Um diesen Preis kann man zuviel nicht wagen.
Die Damen schreien nicht allein:
Das Nymphen-Volk aus Flüssen, Meer und Hain,
Das bei der Hochzeit war, will auch nicht müßig sein;
Es mischen sich schon auch die Zofen drein,
Man kratzt sich schon, es ist ganz nah am Schlagen,
Sie kriegen sich bereits bei ihrem blonden Haar
Und kurz, sie lärmten dir, daß es ein Elend war:
Als Vater Zeus, in den sie alle dringen
Um ihm den Ausspruch abzuzwingen,
Sich glücklich einer List besann.
Er spricht: »Man weiß, daß ich, (als dieser Göttin Mann,
Und jener zwo Papa,) nicht gültig sprechen kann;
Denn was auch unsre Priester sagen,
Parteilichkeit steht Göttern gar nicht an.
Zum Richter weiß ich euch nur einen vorzuschlagen
Der tauglich ist; er ist von Ilion,
Ein junger Hirt, jedoch ein Königs-Sohn,
Schön wie der Tag, geübt in Fragen
Von dieser Art, trägt (wie die Leute sagen)
In jedem Spiel das Beste stets davon,
Und hat bei Tag und Nacht, auch ohne Sold und Lohn,
Noch keinen Dienst den Damen abgeschlagen:
Kurz, Kinderchen, das ist ein Mann für euch,
Ihr werdet wider ihn nichts einzuwenden haben;
Er ist ein Sterblicher von ungemeinen Gaben;
Doch redet frei, mir gilt es gleich.«
»Mir auch, (versetzt mit stolzen Augen-Brauen
Saturnia) vor mir mag Momus Richter sein;
Man hat sich, wie mir deucht, vor Tadlern nicht zu scheun;
Fragt diese Damen hier« – »Mir wird's wohl auch nicht grauen«,
Spricht lächelnd Cypria, und dreht
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Sich einem Spiegel zu, der vor ihr über steht;
»Mir kann, hat nur der Richter Herz und Augen,
Ein Hirt soviel als jeder andre taugen.«
Minerva schweigt. »Und du«, spricht drauf der Gott,
»Mein Töchterchen, du schweigest und wirst rot?
Doch Jungfern machen's so, wenn von dergleichen Sachen
Die Rede ist, ihr Schweigen gilt für ja.
Wohlan, Merkur steht schon gestiefelt da,
Ihr könnt euch auf die Reise machen;
Doch nehmt die Hüte mit, der Tag ist ziemlich heiß,
Und, wie ihr wißt, macht Sonnenschein nicht weiß.«
Das Reise-Protocoll, und was sie auf der Straßen
Gesehn, gehört, geschwatzt, das will ich dir erlassen.
Man hebt den einen Fuß, man setzt den andern hin,
Und kommt, wie Sancho sagt, dabei doch immer weiter;
Auch kürzt den Weg der aufgeweckte Sinn
Von ihrem schwebenden Begleiter.
Der ganze Chor der Götter wird
Von Glied zu Glied anatomiert;
Man steigt von da zu Faunen und Najaden;
Selbst von den Grazien die im Cocyt sich baden
Wird viel erzählt, vielleicht auch viel erdacht,
Das ihnen nicht die größte Ehre macht:
Doch der Erweisungs-Last will niemand sich beladen.
Inzwischen langt die schöne Caravan
Bei guter Zeit am Fuß des Ida an.
Man weiß, daß Götter nicht wie Deputierte reisen.
Der Berg war hoch, mit Busch und Holz bedeckt,
Und im Gesträuch der krumme Pfad versteckt.
»Hier könnte Venus uns den Weg am besten weisen«,
Fängt Juno an, »des Orts Gelegenheit
Muß ihr noch aus Anchisens Zeit
In frischem Angedenken liegen;
Es hieß, vielleicht zwar nur aus Neid,
Sie sei auf Ida oft zu ihm herab gestiegen,
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Und hab ihm da, nach Nymphen-Art geschürzt,
Als Jägerin, die lange Zeit verkürzt.«
»Dein Spott«, versetzt Idalia mit Lachen,
»Kann, glaube mir, mich niemals böse machen«;
»Man weiß doch wohl – die Damen«, fällt Merkur
Sehr weislich ein, »geruhen sämtlich nur
Mir nachzugehn; das ganze Phryger-Land
Und Ida sonderlich ist mir genau bekannt.
Ich ward, eh Ganymed ein Amt im Himmel fand,
Vom Jupiter so oft hieher gesandt,
Daß ich den Weg im Dunkeln finden wollte.
Ich geh voraus – Schon öffnet sich der Hain;
Der Lage nach deucht mich der Richter sollte
Gar weit nicht mehr – Sehn sie auf jenem Stein,
Dort wo die Ziege grast, den schönen Hirten sitzen?
Vermutlich wird es Paris sein –
Er ist's – Beim Styx! er wird die Ohren spitzen,
Wenn er erfährt, was unsre Absicht ist.
Ich red ihn an – Sei mir gegrüßt;
Du junger Hirt!« – »Ihr auch, mein hübscher Herr;
Was führet euch in diese wilde Höhen?
Und, darf die Frage weiter gehen,
Wer sind die Mädchen dort, die bei der Eiche stehen?
Die sind wohl schön! Beim hohen Jupiter,
So schön hab ich sie nie gesehen.
Die schafften wohl nie viel im Sonnenschein!
Sie sehn mir wahrlich nicht wie unsre Weiber drein,
Sie übertreffen ja die Schwanen selbst an Weiße,
Und ihr Geruch! So wahr ich Paris heiße,
Es müssen Feen sein!«
»Nah zu, mein Freund; du kannst dich glücklich preisen,
Der ganze Ether hat nichts schöners aufzuweisen;
Göttinnen sind's« – »Göttinnen? Nun, beim Pan!
Das dacht ich gleich; ich sah es ihnen an,
Und doch sind diese da die ersten die ich sehe. «
»Versichre dich's, wir kommen aus der Höhe;
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Du siehst Gesichter hier, wie mans im Himmel trägt;
Sie haben nur die Strahlen abgelegt,
Die, wie man weiß, sonst Götter-Köpfe schmücken,
Denn diese könntest du nicht ungestraft erblicken.
Itzt tun sie nichts: Gib nur auf alles acht.
Die Große hier, die über alle raget,
Hat Jupiter vorlängst zur Frau gemacht;
Und gleichwohl sieht der Morgen wenn es taget
Nicht frischer aus; das macht der Götter-Stand;
Man findt nichts blühenders an einem Rosenstocke:
Die andre dort im kriegrischen Gewand
Mit Helm und Speer wird Pallas zubenannt:
Und diese da, im kurzen Unterrocke
Und mit halboffner Brust, die unterm Rand
Des kleinen Huts hervor so schalkhaft nach uns schielet,
Ist, wenn dein Herz sie nicht bereits gefühlet,
Dem Namen nach als Venus dir bekannt.
Du zitterst, Hirt? Sei immer ohne Grauen;
Göttinnen, glaub es dem Merkur,
Sind eine gute Art von Frauen,
Ihr hoher Stolz sitzt in der Miene nur.
Du kennst sie nun: Betrachte sie genau;
Denn Zeus verlangt, nach vorgenommner Schau,
Den Ausspruch, welche von den dreien,
Den einzigen, die keine Probe scheuen,
Die Schönste sei, selbst schöner Hirt, von dir.
Der Preis des Wettstreits ist der goldne Apfel hier.
So sagt die Überschrift: Die Schönste soll mich haben.
Zeus weiß, daß dir hierin an Kenntnis niemand gleicht;
Und kurz, es steht bei dir, die dir die Schönste deucht
Mit diesem Kleinod zu begaben.«
Der junge Hirt zückt, da er dieses hört,
Die Achseln, und versetzt: »Herr Hermes, wie ich höre,
Erweist Gott Jupiter mir gar zu viele Ehre.
Ich bin, beim Pan! nicht so gelehrt,
Zum wenigsten nicht, daß ich's wüßte;
Auch seh ich nicht, woher es kommen müßte:
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Ich bin ein Hirt, der nichts gesehen hat
Als Küh und Ziegen, Fichten, Eichen,
Und Mädchen, die den Kühen ziemlich gleichen;
Dergleichen Fragen sind für Leute in der Stadt.
Fragt mich, ob diese junge Ziege,
Ob jene schöner sei, das weiß ich auf ein Haar;
Allein von diesen hier tut jede mir Genüge.
Ich nehme wohl Verschiedenheiten wahr,
Als, die ist kleiner, jene größer,
Die hat ein schwarzes, die ein falbes Haar,
Und jene dort ein goldnes gar;
Allein um das gefällt mir keine besser.
Sie sind mir alle schön, und in der Tat
Die Schönste, deucht mich, ist gerade die man hat.
Mir wär es so, ich sag es, daß sie's hören,
Und wenn sie noch was mehr als nur Göttinnen wären.
Mir fällt, mit eurer Gunst, hiebei
Ein Spaß von meinen ein; ihr wißt, im Hirtenstande
Gibt's für die Langeweil oft manche Schäkerei.
Zwo Mädchen, hübsch genug für Grazien vom Lande,
Die schönsten wenigstens in unserm Hirten-Chor,
Begegneten mir jüngst (es war im Rosen-Flor)
In einem hohlen Weg, und hielten mir mit Lachen
Vier runde starke Arme vor,
Als wollten sie den Paß mir streitig machen.
›Du kommst nicht durch‹, sprach eine, ›junger Hirt,
Du mußt erst unsern Zwist entscheiden.
Wir streiten, welche von uns beiden
Die Phyllis sei, die stets von dir besungen wird.
Wir raufen uns beinah um diese Ehre,
Und keine räumt's der andern ein,
Kurz, sie heißt Dorcas, ich Neäre,
Und jede will itzt Phyllis sein.
Was meinest du? Du kannst's am besten wissen.
Du singst so hübsch, daß wir gestehen müssen,
Du hast uns beiden, schöner Hirt,
Den Kopf verrückt, das Herz entführt;
Doch weil das Recht zu deinen Küssen
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Von beiden einer nur gebührt,
So nenn uns dann die Glückliche von beiden!‹
›Die Jungfern treiben, scheint's, hier ihren Spaß mit mir?‹
›Spaß? Glaub es nicht! es könnte mir und ihr
Nicht ernster sein, das schwören beide dir
Bei Amors Mutter zu, und allen ihren Freuden!‹
›So braucht's nicht viel die Frage zu entscheiden;
Ihr seid zwar beide jung und schön,
Und lebhaft wie es scheint: allein, ich muß gestehn,
Ich liebe keine von euch beiden.‹
›Das kann nicht sein; in unsrer ganzen Schar
Ist keine Schönere, das sagen alle Hirten,
Als sie und ich, und wär's nicht wahr,
So ist gewiß, daß sie's nicht sagen würden.
So wahr uns Venus gnädig sei!
Wir lassen dich uns diesmal nicht entgehen,
Und sollten wir bis morgen früh um drei
Mit ausgereckten Armen stehen.
Erkläre dich, es braucht ein Wörtchen nur‹ –
Was sollt ich machen, Herr Merkur?
Sie wußten unvermerkt, die Schlauen! unterm Streiten
In ein Gebüsch mich abzuleiten,
Wo weiches Gras, mit Geißblatt und Jasmin
Dicht überstreut, uns wie gebettet schien.
Was hättet ihr getan? Die Dirnen
Beim Amor! waren hübsch, und eine vorzuziehn
Das hieß die Andre ja erzürnen?«
Mein Hirt war schlau (doch, ohne Prahlerei!)
Und überzeugte sie, daß jede Phyllis sei.
»So, denk ich, ging' es, im Vertrauen
Zu euch gesagt, mit diesen Götter-Frauen:
Es würde jede nach der Reih
Mir als die Reizendste gefallen,
Und also scheint's, das beste sei,
Ich gebe diesen Apfel allen.«
»Das geht nicht an,« versetzt der Maja Sohn,
»Hier kommst du nicht so leicht davon,
[83]
Zeus will, du sollst als Richter sprechen,
Und was er will ist ein Gesetz,
Das ungestraft wir Götter selbst nicht brechen.«
»Nun«, rief Saturnia, »wenn endet das Geschwätz?
Der Richter, scheint's, weiß schlecht zu leben;
Er läßt uns stehn, und schwatzt!« – »Wohlan«, versetzt der Hirt,
»Zeus will, ich muß mich schon ergeben;
Man sagt mir, daß durch Widerstreben
Nicht viel mit ihm gewonnen wird.
Doch müßt ihr mir vorher die Hand drauf geben,
Daß, weil doch Eine nur die Schönste heißen kann,
Der andern keine mich deshalb befeinden wolle;
Sonst dank ich für die Richter-Rolle,
Mich ficht auf solchen Fuß der Ehrgeiz gar nicht an.«
»Wir schwören dir's beim Styx!« – »Wohlan!
So tretet her, und stellt euch an einander,
Den Kopf zurück! So! So! beim großen Pan!
Die Schönste die ich im Scamander
In meinem Leben baden sah,
Wär in Vergleich mit diesen da
Nichts besser als ein kleiner Affe.
Doch, Herr Merkur, ich bitt euch, macht mich klug;
Mir fällt, indem ich sitz und gaffe,
Ein Zweifel ein. Ist's, sagt mir, schon genug,
Sie so gekleidet zu betrachten?
Mich deucht, wenn sie sich leichter machten,
Das Urteil würde sichrer sein.«
»Das steht bei dir; sie werden sich nicht scheun;
Man kann dem Richter nichts verwehren,
Was dienen kann sein Urteil aufzuklären.«
»Nun wohl«, fährt Paris fort, und schneidt ein Amts-Gesicht,
»So sprech ich dann, wozu mich Amt und Pflicht
Ohn Ansehn der Person verbindet:
Weil, wie bekannt, sich zwischen Hals und Fuß
Verschiednes eingehüllt befindet;
Das in Betrachtung kommen muß,
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Und das oft Phöbus selbst durch Raten nicht ergründet,
So zeigt euch alle drei in naturalibus!«
Wie, meinst du, kläng ein solcher Schluß
Im Ohr der meisten unsrer Weiber?
Sie hörten, glaube mir, die Eule lieber schrein.
Das gingen sie in Ewigkeit nicht ein!
Sie sollten ihre heilgen Leiber
Vor Männer-Augen so entweihn?
Sich kritisch untersuchen lassen,
Ob nichts zu groß, ob nichts zu klein,
Zu lang, zu kurz? Ob alle Teile fein
Symmetrisch in einander passen,
Durch gute Nachbarschaft einander Reize leihn
Schön an sich selbst, im ganzen schöner sei'n?
Ob auch ihr Fell durchaus so rein,
So glatt und weiß wie ihre Hände?
Kein schwarzer Fleck, kein stechend Bein
Den weichen Alabaster schände;
Und kurz im ganzen Werk, von Anfang bis zu Ende,
Der Kunst gemäß, auch alles edel, frei,
Untadelich, und rund und lieblich sei?
Das täten sie (doch red ich nicht von allen)
Dem Amor selbst nicht zum Gefallen.
Auch mein ich diese nicht, die ihrem eignen Mann,
(Dem sie wohl mehr als das erlauben müssen)
Aus überzärtlichem Gewissen
Sich um den Thron von Astracan
Nicht Irokesisch sehen ließen.
Man weiß, wie gütig sie hingegen sich bemühn
Ein eitles, flüchtiges, einseitiges Ergötzen
Das sie dem einen Sinn entziehn,
Bei ausgelöschtem Licht dem andern zu ersetzen.
So denkt vom reizenden Geschlecht
Der größte Teil, und denkt vermutlich recht.
Wie Phryne West und Ost zum Kampf herauszuladen,
Und bei Olympia vor einer halben Welt
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Zum Ruhm des Vaterlands sich im Triumph zu baden,
Dem allgemeinen Aug, Pelasgern und Nomaden,
In freier Luft zum Urteil ausgestellt:
Ist, glaubet mir, Herr Doctor, eine Wette
Wozu vom Frienisberg bis an den großen Belt
Den Mut vielleicht nicht Eine Dame hätte;
Und stammte sie vom großen Roland ab,
Ja gar von Wilhelm Tell, der euch die Freiheit gab.
Warum? – das wissen sie! – Doch bei den Götter-Frauen
Fand Paris mehr Entschlossenheit;
Sie zeigten ihm ein edles Selbst-Vertrauen,
Und keine Spur von Furchtsamkeit.
Nur Pallas schlägt die Augen züchtig nieder,
Wie Jungfern ziemt; sie sträubt sich lange noch,
Da Juno selbst gehorcht, und hofft, man laß ihr doch
Zum wenigsten ein Röckchen und ihr Mieder.
Ein Röckchen? Ja, das wäre fein!
Des Richters Ernst geht keine Clauseln ein.
»Nur hurtig! zieht euch ab! was sein soll, muß geschehen! «
Ruft Hermes: »mich darf keine scheun;
Ich will und muß bescheiden sein,
Und werd indes bei Seite gehen.«
Kaum ist er weg, so steht schon Cypria,
Voll Zuversicht in diesem Streit zu siegen,
In jenem schönen Aufzug da,
Worin sie sich (das lächelnde Vergnügen
Der lüsternen Natur) dem leichten Schaum entwand,
Sich selbst zum erstenmal voll süßen Wunders fand,
Und im Triumph auf einem Muschel-Wagen,
An Paphos reizendes Gestad
Von frohen Zephyrn hingetragen,
In erstem Jugendglanz die neue Welt betrat:
So steht sie da, halb abgewandt
Wie zu Florenz, und deckt mit einer Hand,
Errötend, in sich selbst geschmieget,
Die holde Brust, die kaum zu decken ist,
[86]
Und mit der andern – was ihr wißt.
Die Zauberin! Wie ungezwungen lüget
Ihr schamhaft Aug! Und wie behutsam wird
Dafür gesorgt, daß Paris nichts verliert!
»Da bin ich nun, Herr Richter, seht mich an,
Und sagt mir, wie ich euch in dieser Tracht gefalle?
Sie ist bequem, doch kleidet sie nicht alle.
Aufs mindste seht ihr, daß Vulkan
Mit seiner Frau sich schon behelfen kann.
Ich habe, wie du siehst, den Arm so hübsch als eine,
Auch Rosen-Finger wie Auror,
Ein Haar wie Gold, ein kleines rundes Ohr,
Kein spitzig Knie, und keine krumme Beine:
Die Augen könnten größer sein;
Die wird wohl, ich gesteh es ein,
Kein Dichter Ochsen-Augen nennen;
Doch diesen Ruhm kann Venus andern gönnen;
Die meinen sind doch nicht zu klein,
Nicht ohne Glanz, und ob sie reden können« –
»Davon kann Mars,« fiel Juno spöttisch ein,
»Und mancher Hirt und mancher Waldgott sprechen« –
»Madam«, sagt Cypria, »ich will nicht böse sein,
Sonst könnte Ganymed für diesen Spott mich rächen.«
»Genug hievon! – Ist Pallas fertig? – Nun,
Ihr beide hier, ihr macht entsetzlich lange;
Das Mieder ab! Man hat noch mehr zu tun,
Wo nicht, beim Pan! so komm ich selbst und fange
Zu ziehen an« – »habt nur auf diese acht«,
Spricht Pallas, »diese hier die immer blinzt und lacht;
Wollt ihr, daß augenblicks der ganze Reiz verschwinde
Der, wie ihr meint, aus ihren Augen blitzt?
Gut! Nehmt ihr nur die zauberische Binde
Womit sie ihren Busen stützt.«
»Frau Eisenfresserin, das widerlegt sich leicht«,
Sagt Cypria, »hier liegt die Zauber-Binde!
Und gleicht schon dies an Umfang und Gewicht
Dem stolzen Wuchs von euerm Busen nicht,
[87]
So weiß es sich doch, wie ihr seht,
Durch innre Elastizität
Auch ungestützt im Gleichgewicht zu halten.
Doch sagt, was hindert euch, die breite Majestät
Von eurer Stirn uns zu entfalten?
Wozu der Helm, der euch die Augen deckt,
Hier gar nichts nützt, und nur den Richter schreckt?
Das Fräulein darf ja seine Augen zeigen,
Wenn sie Homer schon Katzen-Augen nennt?«
»Die Zeit wird hier mit Sticheln sehr verschwendt,
Allein die Klügste pflegt zu schweigen;
Hier liegt mein Helm!« – »dies Röckchen noch, mein Kind!«
Ruft Paris, »aber fein geschwind! –
So recht! So recht! So seh ich Mädchen gerne!
Beim hohen Zeus! sie funkeln wie die Sterne!
Wie reizend alles ist! wie glatt! wie fein!
Wie voll! wie rund! hier möcht ich gleich vom Zehen
Bis an den Kopf ein einzigs Auge sein!
Sie blenden mich, ich darf nicht länger sehen,
Beim Element! ich würde gar zum Stein.
Doch nein! ich will, ich will so lange sehen,
Bis mir die Sinnen gar vergehen;
Ein solcher Anblick ist es wert!
So wahr ich Paris bin! er nährt,
Er labet Leib und Seel: ich wollt euch, ohne Essen,
Sie hundert Jahre vor mir sehn;
Und in Entzückung schwebend stehn,
Und Speis und Trank und Schlaf dabei vergessen.
Allein was fang ich nun, beim Pan!
Mit meinem Richter-Amt und diesem Apfel an?
Wem geb ich ihn? Bei meinem Amts-Gewissen!
Ich kann, je mehr ich schau, je minder mich entschließen.
Mein wollust-trunkner Blick verirrt,
Geblendet, taumelnd und verwirrt,
In einer See von Reiz und Wonne.
Die Große dort glänzt wie die helle Sonne,
Vom Haupt zum Fuß dem schärfsten Blick
[88]
Untadelich, und ganz aus einem Stück;
Zu königlich, um einen schlechtern Mann
Als Jupitern, der donnern kann,
An diese stolze Brust zu drücken:
Der Jungfer hier ist auch nichts vorzurücken;
Beim Amor! hätte sie mir nicht
So was – was weiß ich's? im Gesicht,
Das halb erschreckt, sie könnte mich entzücken.
Doch dieser Lächelnden ist gar nicht zu entgehn!
Man hielte sie, so obenhin besehn,
Für minder schön; allein beim zweiten Blicke
Ist euer Herz schon weg, ihr wißt nicht wie,
Und holt mir's, wenn ihr könnt, zurücke!
Mir ist, vom Ansehn schon, ich fühle sie
So groß sie ist, bis in den Finger-Spitzen;
Was wär es erst – vom sechsten Sinn!«
»Nun«, ruft mit Ungeduld die Himmels-Königin,
»Was sollen hier die Selbst-Gespräche nützen?
Der Ausspruch muß nunmehr geschehn.
Ihr werdet doch, wenn's euch beliebt, nicht wollen,
Daß wir so lang in diesem Anzug stehn,
Bis ihr euch müd an uns gesehn,
Und daß wir hier den Schnuppen holen sollen?
Es macht hier kühl« – »Frau Göttin, nur Geduld!
Man kann sich doch nicht übereilen;
Und müßtet ihr bis in die Nacht verweilen,
So seid so gut, und gebt euch selbst die Schuld.
Wer hieß euch um den Vorzug streiten,
Und mich zum Richter ausersehn?
Mein Platz, ich will euch's nur gestehn,
Hat seine Ungemächlichkeiten.
Bei euerm Sohn, Frau Venus, dessen Pfahl
Die Gärten schützt und meine junge Ziegen,
Ein übermäßiges Vergnügen
Von dieser Art wird uns zuletzt zur Qual.
Mehr sag ich nicht; man soll gescheiten Leuten,
Dem Sprüchwort nach, nicht mit dem Schlegel deuten.
[89]
Genug, mir tut die Wahl zu weh,
So lang ich euch beisammen seh,
Es soll mir eine nun sich nach der andern zeigen.
Seht wie ihr euch indes die Zeit vertreibt;
Ihr tretet ab, und diese Göttin bleibt;
Doch müßt ihr euch nicht gar zu weit versteigen.«
Die Damen gehn den Antrag ein,
Cythere macht mit einem Seiten-Blicke
Der nicht zur Erde fiel, sich tiefer in den Hain,
Und überläßt den Sieg der Tugend und dem Glücke.
Wieviel der kleine Umstand tut,
Nicht ganz allein (denn das ist niemals gut)
Doch ohne Zeugen sein, ist nicht genug zu sagen.
Er macht der feigsten Agnes Mut,
Und Schäfern, die sonst blaß und stumm den Hut
In beiden Händen drehn, an ihren Fingern nagen,
Mit offnem Mund kaum halbe Silben wagen,
Und wenn die Sylvien sich gleich fast heiser fragen
Was ihnen fehlt' und durch ihr Lächeln sagen:
»Wie? blöder Hirt? was hält dich noch zurück?
Verspricht dir denn mein nachsichtvoller Blick
Nicht alles zu verzeihn? – sich noch mit Zweifeln plagen;«
Selbst dieser Blöden schwachen Mut
Verkehrt er oft in ungestüme Wut,
Und heißt sie plötzlich alles wagen:
Er stärkt das Haupt, er gibt den Augen Glut
Und Munterkeit den Lebensgeistern,
Den schwächsten Armen Kraft Heldinnen zu bemeistern,
Und selbst den Weisen Fleisch und Blut.
Saturnia, die mit verschränkten Armen
Euch kurz zuvor wie eine Säule stund,
Ist kaum allein (erratet mir den Grund)
So sieht der Hirt den Marmor schon erwarmen,
Den schönen Mund, die Wangen frischer blühn,
Die weiße Brust, die Alabaster schien,
[90]
Mit Rosen sich auf einmal überziehn,
Und sanft, wie leicht bewegte Wellen
Wenn buhlerisch um Amphitritens Brust
Der Zephyr spielt, sich jede Muskel schwellen.
»Ihr Götter! (rief der Hirt vor Lust,
Da sie so plötzlich sich beseelte)
Itzt merk ich erst was eurer Schönheit fehlte!
Ich fühlt es wohl, und wußte doch nicht was?
Ich stund erstaunt und blieb doch kalt wie Erde:
Nun seh ich's wohl; beim Pan! es war nur das;
Itzt sorg ich nur, daß ich zu feurig werde.«
»Du siehest«, spricht die Göttin, »hier
Beglückter Sterblicher, was außer Zeus und dir
Seitdem die Sphären sich in ihren Angeln drehen,
Kein Sterblicher, kein Gott, so unverhüllt gesehen.
Sei stolz, o Prinz! von diesem Augenblick
Ist nichts zu groß für deine Ruhmbegierde!
Der Juno Gunst verspricht dir jedes Glück,
Den Thron der Welt, ja selbst die Götter-Würde.«
»Den Thron der Welt? Frau Göttin, wenn ihr's mir
Nicht übel nehmt, mich reizt ein Thron nur wenig.
Was mangelt mir zum frohen Leben hier;
Hier bin ich frei, und das ist mehr als König.
Ich merk euch schon, (denn albern bin ich nicht)
Ihr denkt dadurch den Apfel zu erlangen;
Allein, für eins, so hab ich meine Pflicht,
Und dann – so könntet ihr – sie sind doch fortgegangen,
Nicht wahr? – ich sehe nichts – wohlan,
Ihr könntet – seht mich nur recht an –
Mit einem Wort mich weit gewisser fangen.
Ihr seid sehr schön, bei meiner Treu! So schön,
Daß man – ihr wißt schon was man möchte;
Mehr sag ich nicht; Frau Jupitrin, ich dächte,
So klug ihr seid, ihr solltet mich verstehn.«
[91]
Hier schweigt er, und erklärt durchs Feuer seiner Blicke
Was sie vielleicht im Antrag dunkel fand.
Wer suchte wohl bei Hirten solche Tücke?
Sagt was ihr wollt, ein Amt gibt gleich Verstand.
Die Göttin stutzt; es galt sich hier besinnen.
Zephise, sprich, was hättest du getan?
Wenn läßt man Nebenbuhlerinnen
Was man für sich so wohlfeil haben kann?
Es würde, glaube mir, hier mancher Tugend bange,
Die sich wer weiß wie notfest glaubt:
Und dann, so zeigt mir eine Schlange,
(Und hätte sie ein Jungfern-Haupt
Und Hals und Brust so schön wie Melusine)
Die Even selbst nur halb so reizend schiene,
Als es in Manns-Gestalt mit langem blonden Haar
Saturniens Versucher war?
»Nun, Göttin«, spricht der Hirt, »bei unsern Schäferinnen
Heißt Schweigen, ja; ich denke dieser Brauch
Ist in der andern Welt, wo ihr daheim seid, auch.
Die Zeit vergeht, was nützt so viel Besinnen?
Komm, Schöne, komm, ich will nicht geizig sein;
Drei Küsse nur, dem roten Mäulchen einen,
Und auf die Backen zween, so ist der Apfel dein.
Das ist doch wohlfeil, sollt ich meinen?
Du gibst mir wohl noch selber einen drein.«
»Ich?« spricht Saturnia, von dieser Bauren-Sprache
Geärgert, wie man denken kann:
»Wie? sieht mich dein verwegner Wahn
Für eine deiner Dirnen an?
Erzittre, Staub, vor einer Göttin Rache!«
»He! Sachte, wenn man bitten darf,
(Fällt Paris ein) potz Wetter! nicht so scharf,
Ein Kuß ist wohl so eine große Sache!
Es ist der Mühe wert, beim Pan!
[92]
Daß man um nichts ein solches Wesen mache!
Es kommt mir wahrlich auch auf einen Kuß nicht an!
Gestrenge Frau, wir sind sehr leicht zu scheiden;
Wollt ihr, wohl gut; wo nicht, so muß ich's leiden,
Ich habe doch das meinige getan.
In vollem Ernst, Frau Königin der Feen,
Die Frau ist hübsch, das kann ein Blinder sehen,
Doch hält ihr liebliches Gesicht
Die Probe des Erzürnens nicht.
Sie macht, wenn ihr was an der Leber kriecht,
(Zu euch gesagt) verzweifelte Grimassen.
Doch still hievon! Madam kann wieder gehn –
Sie wollte mich bei meiner Schwäche fassen;
Allein ein Richter soll nicht auf Geschenke sehn.
Es wird was Rechtens ist geschehn!
Wir wollen nun die Blonde kommen lassen.«
Er ruft wohl siebenmal, bis Pallas sich bequemt
Aus ihrem Busch hervorzusteigen;
Das gute Fräulein war beschämt
Sich einer Mannsperson im Bad-Habit zu zeigen.
Auch schien er, in der Tat, ihr gar nicht anzustehn.
Man mußte sie im Harn'sch, mit Helm und Lanze
Beim Ritter-Spiel, beim kriegerischen Tanze,
Und im Contusch, dem Zeus Manschetten nähn,
Marlin durchziehn und Handschuh wirken sehn;
Da sah man sie in ihrem vollen Glanze!
Allein zur Kunst der schlauen Buhlerei,
Zur Kunst aus hinterlistgen Blicken
Zum Herzen-Fang ein Zaubernetz zu stricken,
Zu losem Scherz und holder Tändelei
Besaß Miß Pallas kein Geschicke.
Wir wünschen ihr zu ihrer Unschuld Glücke;
Doch hätt ein bißgen Freundlichkeit
Und was wir sonst an Mädchen Seele nennen,
Für diesesmal ihr wenig schaden können.
[93]
»Nun, Jungfer, wie? was soll die Schüchternheit?
(Spricht unser Hirt, und nimmt sich ungescheut
Die Freiheit sie beim runden Kinn zu fassen)
So groß und strotzend wie ihr seid,
Wär mir's an euerm Platz nicht leid,
Mich neben jeder sehn zu lassen.
Die Augen auf!« – »Zurück, Verwegner! (schreit
Tritonia) der Herr Geschworne bleibe
Mir unbeschwert drei Schritte stets vom Leibe;
Und merke sich den kleinen Unterscheid
Von einer Tochter Zeus und einem Hirten-Weibe.
Ich sehe wohl, zu viele Höflichkeit
Ist euer Fehler nicht – doch, (setzt sie gleich gelinder
Hinzu) soll diese Kleinigkeit
Uns nicht entzwein; wir bleiben dir nicht minder
In Gnaden zugetan, und wenn nach Recht und Pflicht
Dein Mund zu meinem Vorteil spricht,
So soll die Welt, mit schimmernden Tropheen
Bis an des reichen Ganges Strand
Durch dich bedeckt, von Cäsarn und Pompeen,
Vom Schweden Carl, vom Guelfen Ferdinand,
Und Friedrich selbst in dir das Urbild sehen.«
»Im Ernst? (lacht Paris überlaut)
Das sind mir reizende Versprechen!
Die Jungfer denkt damit mich zu bestechen,
Allein mir ist ganz wohl in meiner Haut,
Und Händelsucht war niemals mein Gebrechen.
Ihr meint, weil ich ein Fürsten-Söhnchen sei,
So müsse mich's gar sehr nach Wunden jücken?
Ihr irrt; ich würde mich, mein Treu!
Geradeso zum Kriege schicken,
Wie dort mein Geiß-Bock zur Schalmei.
Bei Nägel-Kriegen, ja, da bin ich auch dabei,
Wo wir statt Lorbeern Küsse pflücken;
Da, wo der Feind in Busch und Grotten flieht,
Sich lächelnd wehrt, den Sieg zur Lust verzieht,
[94]
Und, wenn er alle Kraft zum Widerstand vereinigt,
Dadurch nur seinen Fall beschleunigt;
Wo Täubchen, denen sonst bei einem Mücken-Stich
Vor Todes-Furcht die Farb entwich,
Den gähen Tod mit wallendem Entzücken
Und offnem Arm an ihren Busen drücken;
In diesen Krieg, der wenig Witwen macht,
Da laß ich mich gleich ohne Handgeld werben:
Allein im Ernst, und wo man nach der Schlacht
Nicht wieder von sich selbst erwacht,
Um einen Lorbeerkranz zu sterben;
Da dank ich! Sprecht mir nichts davon!
Ich hasse nichts so sehr wie Schwerter und wie Spieße;
Auch kenn ich manchen Königs-Sohn
Der eh er sich, wär's um die Kaiser-Cron,
In einen Panzer stecken ließe,
Die Kunkel selbst, beim Pan! willkommen hieße.
Soviel zur Nachricht, junge Frau!
Indes ist euch die Hoffnung nicht benommen,
Mir gilt die Eule was der Pfau,
Ich bin für niemand eingenommen.
Geht immer, sagt, ich hab euch wohl besehn,
Und legt die Waffen an, die euch so niedlich stehn;
Ich bin vergnügt; laßt mir die Kleine kommen!«
Sie kommt, die Lust der Welt, des Himmels schönste Zier,
Und unsichtbar die Grazien mit ihr.
Dem Hirten ist's, da er sie wieder siehet,
Als säh er sie zum ersten Mal.
Ihr erster Blick erspart ihm schon die Wahl,
Das Herz entscheidt; ein einzigs Lächeln ziehet,
Noch eh er sich besinnen kann,
Und fesselt ihn an ihren Busen an.
Sie spricht zu ihm: »Du siehst, ich könnte schweigen,
Mein schöner Hirt; ich siege nicht durch List;
Die Schönheit lobt sich selbst, sie braucht sich nur zu zeigen;
Man weiß, daß du ein Kenner bist,
[95]
Und guten Tänzern ist gut geigen.
Doch, was ich sagen will, betrifft dich selbst, nicht mich.
Schön wie Apoll, wie kann, ich bitte dich,
Dir dieser wilde Ort gefallen?
Sei wie du bist der Schönste unter allen
Im Phryger-Land, sei ein Endymion,
Sei ein Narciß, was hast du hier davon?
Du denkst doch nicht, daß deine Herden
Von deinem Anschaun fetter werden?
Die Mädchen hier, wie man's im Walde findt,
Empfinden nichts; die fühlen wie die Ziegen!
Die Liebe ist für sie Bedürfnis, nicht Vergnügen;
Sie sehn den Mann in dir, und sind fürs andre blind;
Ein Satyr oder du, wenn sie das Liebes-Fieber
Ergriffen hat, je tölpischer je lieber!
Den Hof, die Stadt, wo deinesgleichen sind,
Die solltest du zum Schauplatz dir erwählen.
Dort ist die Lieb ein Spiel, ein süßer Scherz:
Die Schönsten würden sich dein Herz
Einander in die Wette stehlen:
Und wenn du wolltest, wißt ich dir
Ein junges Mädchen zuzuweisen,
Die, ohne sie zuviel zu preisen,
In jedem Reiz, in jeder Schönheit mir
In keinem Stücke weicht« – »beim Pan, die möcht ich sehen,
(Ruft Paris aus) das kann nicht sein! wie ihr!
Ihr wollt mir, hör ich wohl, ein kleines Näschen drehen,
Wo käme mir noch eine Venus her,
So schön wie ihr?« – »Du sagst vielleicht noch mehr,
Wenn du sie siehst« – »das glaubt nicht, Frau Cythere,
Und wenn sie würklich schöner wäre
So ließ ich's keinem Priester nicht.
Sie hätte mir so schöne lange Locken
Vom feinsten Gold und weich wie seidne Flocken?« –
»Vollkommen so! « – »ein solch Oval-Gesicht,
So feine Züg und alles lauter Schlangen
Und Wellen-Linien? So sanfte Rosen-Wangen,
Und um und um mit Grazien behangen,
[96]
Wie eure?« – »Ja!« – »das sollte mich verlangen!
Ein kleines Maul, das so verführisch lacht,
Und wenn es lacht, nach Küssen lüstern macht?
Und ihre schwarzen Augenbrauen
Die flössen ihr so fein und sanftverloren hin?
Und solch ein Aug und solche Blicke drin,
Die einem durch die Seele schauen?
In jedem Backen und im Kinn
Ein Grübchen, wo ein Amor lächelt;
Und Arme, die Auror nicht schöner haben kann,
Und eine Hand wie Marzipan,
Und Hüften« – »Still!« – »wie frischer Schnee, und fächelt,
So schön wie hier, in ihrer Lilien-Brust
Die Wollust selbst, der Geist der Jugend-Lust?«
»In diesem Stück«, erwidert sie mit Lachen,
»Kann mir Helene noch den Vorzug streitig machen.«
»Ihr flößt mir fast ein wenig Neugier ein.
Helene nennt ihr sie? – Ich laß es mir gefallen!
Und doch – nur halb so schön als ihr zu sein,
Muß Götterblut in ihren Adern wallen.«
»Du irrest nicht«, erwidert Paphia,
Die der gelungnen List und ihres Siegs sich freute:
»Sie ist mein Schwesterchen, doch von der linken Seite,
Vom Zeus, der ihrer Frau Mama
Zu lieb ein hübsches Fell von einem Schwan sich borgte,
Und seinen Vorteil einst bei ihr im Bad ersah.
Frau Leda wußte nicht wie ihr dabei geschah,
Und sah dem Schwan, von dem sie nichts besorgte,
Und seinem Scherz, in unschuldvoller Ruh,
Nicht ohne Lust, mit süßem Wunder zu;
Doch bald hernach ward wider alles Hoffen
Das gute Ding, von Tyndar, ihrem Mann,
Beim Eier-Legen angetroffen.
Er merkte gleich, daß das der Schwan getan.
Er kratzte hinterm Ohr, allein was konnt er machen?
Das klügste war zu bösem Spiel zu lachen.
Das Eier-Paar ward mit Gepräng und Pracht
[97]
Von Jovis Priesterschaft im Tempel aufgemacht.
Im ersten fanden sie zween wunderschöne Knaben,
Und aus dem andern kroch das schönste Mädchen aus.
Herr Tyndar machte sich noch viele Ehre draus
Den größten Gott so nah zum Freund zu haben,
Und alles endte sich mit einem Kindbett-Schmaus.
Nach fünfzehn oder sechzehn Lenzen
War Ledas Töchterchen das Wunder von Mycen.
Bald macht' ihr Ruhm sich weitre Grenzen;
Die Dichter finden schon mich selber minder schön,
Und schwören, daß die Sterne heller glänzen
Seitdem sie ihnen Licht aus ihren Augen leiht:
Kurz, Lenchens Ruhm erschallet weit und breit.
Man sieht um sie die Schönen und die Erben,
Vom festen Land und von den Inseln werben –
Doch alles dies und was noch mehr geschah,
Verschlägt uns nichts; genug, Helen ist da,
Macht ihrem Vater Schwan viel Ehre,
Ist weiß und rot als wie ein wächsern Bild,
Ist jung und reizend wie Cythere,
Und dein, mein Prinz, sobald du willt.«
»Beim Pan, (ruft Paris aus) wenn's hier nur wollen gilt,
So wollt ich, daß sie schon in meinem Bette wäre!
Versprechen, Frau, ist wie man sagt nicht schwer,
Wenn nur das Halten leichter wäre!
Ich zweifle« – »Zweifle nicht, und trau Cytheren mehr,
Ich und mein Sohn, wir können alles machen,
Und haben, glaube mir, wohl ungereimtre Sachen
Als das zu Stand gebracht. Die Frage ist
Hier ganz allein, ob du entschlossen bist
Um sie nach Sparta hinzureisen'
Den Weg soll dir mein kleiner Amor weisen:
Er ist so klein er ist, so schlau.
Was wetten wir, du kommst mit ihr zurücke?
Nur frisch gewagt! Auf mich hin und dein Glücke!
Ein feiges Herz freit keine schöne Frau.«
[98]
»Der Vorschlag, Göttin, läßt sich hören«,
Versetzt der Hirt der lächelnden Cytheren;
»Wenn sie nur halb so reizend ist als ihr,
So ist, wer sie besitzt ein Jupiter auf Erden.
Allein das macht's nicht aus; was soll indessen hier
Aus diesem goldnen Apfel werden?«
»Dem Apfel? Gut, mein Kind, den gibst du mir.
Bekommst du nicht das schönste Weib dafür?«
»Frau Göttin, frei vom Herzen weg zu reden,
Ich gäbe gleich um einen Kuß von dir
Die ganze Welt mit allen ihren Leden;
Wenn gleich aus jedem Vogel-Ei,
Vom Colibri zum Hühner-Weih,
Ein Mädchen wie ein Engel schlüpfte,
Und ungelockt auf meine Schultern hüpfte.
Wenn je das Schwanen-Mädchen mir
Gefallen kann, so lieb ich dich in ihr.
Mit einem Wort – doch, wollt ihr mir's vergeben?
Nehmt alles hin, sogar mein junges Leben,
Wenn ihr nur diese Nacht, nur bis zum Hahnen-Schrei,
Euch überreden wollt, daß ich Anchises sei.
Wie sollt ich nicht den Glücklichen beneiden?
Er war ein Hirt! und, Götter! dieser Hain
War einst, ist noch ein Zeuge seiner Freuden:
Sprecht, soll er's nicht auch von den meinen sein?«
Die Göttin findt den Wunsch so ziemlich unbescheiden;
Sie meint, sie seh ihn zürnend an,
Doch weil ihr reizend Aug nicht sauer sehen kann,
So wird ein Lächeln draus, das ihn so wenig schrecket,
Daß er nur feuriger entdecket,
Was Venus selbst nicht ohne Röte hört.
Sie hätte sich, den Regeln treu zu bleiben,
Wie sich's geziemt, gern längre Zeit gewehrt;
Doch Ort und Zeit verbot ein langes Sträuben.
Der Jüngling fleht, und sie so weit zu treiben
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Als man ein Mädchen treiben kann,
Das nicht von Marmor ist, fängt er zu weinen an.
Das mußte seine Wirkung haben;
Wer könnte da noch grausam sein?
»Nun, Göttin, sprich mein Urteil – nur kein Nein!«
Sie beut dem ungestümen Knaben
Die schöne Hand, und sagt nicht nein.
Der Schlaue will noch mehr Gewißheit haben:
»Beim Styx, mein Täubchen?« – »Sei's! willt du nun ruhig sein?«
»Hier, Göttin, nimm! der Preis ist dein!«

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TextGrid Repository (2012). Wieland, Christoph Martin. Verserzählungen. Comische Erzählungen. Das Urteil des Paris. Das Urteil des Paris. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A6A1-B