Christoph Martin Wieland
Lady Johanna Gray
oder
Der Triumf der Religion
Ein Trauerspiel

[Motto]

– – Frustra leges et inania Jura tuenti

Scire mori sors optima! – –

Personen

[194] Personen.

    • Lady Johanna Gray.

    • Lady Suffolk, Mutter der Johanna.

    • Der Herzog von Suffolk, ihr Vater.

    • Der Herzog von Northumberland, ihr Schwiegervater.

    • Lord Guilford, Gemahl der Johanna.

    • Der Bischof Gardiner.

    • Sidney, Vertraute der Lady Johanna.

    • Offiziers und Leibwache.
    • [194]

1. Akt

1. Szene
Erste Scene.
SIDNEY.
Schon lange hallt das Innre des Palastes
Von klagendem Getön – Des Königs Schicksal,
Dein Schicksal, Albion, wird jetzt entschieden!
Wie bebt mein ahnend Herz! – Doch, seh ich, nicht
Des frommen Suffolk schöne Tochter,
Und Guilfords Braut, die königliche Lady
Johanna Gray, sich nahn? – Ihr thränend Auge
Verkündigt eine böse Botschaft!
LADY JOHANNA GRAY.
Es ist geschehn! – Der König ist nicht mehr!
Mein Freund, mein Bruder Edward! – gute Sidney,
[195] O hilf mir weinen! Weine, gute Sidney!
O! misch' in meine und in Englands Thränen
Die Deinigen – der König ist nicht mehr!
SIDNEY.
Gott! welch ein Schlag! Weh uns! – O Gott! wie schwer
Fällt deine Hand auf uns! – Mit ihm
Sinkt Albions letzte Hoffnung!
LADY JOHANNA.
Einer solchen Tugend
War diese Welt nicht werth! Der Himmel hat
Sein stärkres Recht, an ihn zurückgefodert.
SIDNEY.
Zu froh! Ach! allzufrüh, o theurer Jüngling,
Eilst du zurück, die Himmelsluft zu athmen
Wo du geboren warst – zu früh für uns,
Eh noch die goldnen Tage kamen,
Von denen uns die Morgenröthe schon
Aus deinem hulderfüllten Antlitz strahlte.
Dich flehten unsre ungestümen Seufzer
Dem Himmel ab, dich, unsre letzte Hoffnung!
Zu dir, zu dir rang ein gequältes Volk
[196] Die wunden Arme, seiner Fesseln müde,
Der Tyranney, der Todesscenen müde,
Ermüdet zwischen Furcht und banger Hoffnung
Ein ungewisses Leben fortzuschleppen.
Zu dir hob mitten aus den Flammen
Die leidende Religion ihr Auge
In heissen Thränen auf! – Ach! Edward, Edward
Fliehst du von uns? Eh deines Volkes Glück
Dich mit dem süssen schönsten aller Nahmen,
Dem Nahmen, der im Ohre frommer Fürsten
So lieblich tönt, dem Vaternahmen, krönte?
LADY JOHANNA.
Diess, Freundin, diess durchbohret mir die Seele!
Mein eigner Schmerz, so scharf er ist, verschwindet
Im allgemeinen Elend! – O! mein Vaterland,
Du kennst noch nicht in seinem ganzen Umfang
Den Werth des Guts, das du verloren hast.
O! grosse Thaten, werth des Nachruhms, werth
Von künft'gen Altern nachgeahmt zu werden!
Den Fürsten, die noch ungeboren sind,
Erhabne Muster, hat sein früher Tod,
Der Welt geraubt! Was schön, was edel ist.
Was erst den Menschen, dann den König bildet,
[197] Des dritten Edwards väterlicher Sinn
Zu seinem Volk, und Richards Löwenmuth,
Der kluge Geist des Salomons der Britten,
Das ganze Kor der Schwestertugenden,
Die einst sich Alfreds Brust zum Tempel weihten,
Befruchteten sein Herz. Wie Davids Sohn
Bat er von Gott nicht Macht, nicht Ruhm, nicht Gold,
Er bat um Weisheit, und er ward erhört!
Vergebens bot ihm mit Sirenenlippen
Die Wollust ihre schnöden Süßigkeiten;
Wie Herkules verschmäht' er sie, und wählte
Der Tugend steilen Pfad, den Weg der Helden!
Und o! wie zärtlich war sein fühlend Herz,
Wie scharf sein innres immer waches Ohr,
Der Weisheit leise Warnungen zu hören!
Wie weit verbreitet seine Menschenliebe!
Gefühlvoll für die Leiden seiner Brüder,
Von Sehnsucht glühend Allen wohlzuthun,
Schnell zum Verzeihn, und nur der Bosheit streng,
Wie sanft, wie frey von Stols und eitler Selbstheit,
Der Wahrheit hold, auch wann sie ihn bestrafte – 1
O! mein zu weiches Herz! – O theures Bild,
Ists möglich, bist du alles, was von ihm
Mir übrig ist? O flieh! du täuschest mich
[198] Ihn mir so lebend, so mit jedem Zug
Mit jedem Lächeln seiner holden Augen,
Stets vorzustellen – Theurer Jüngling! Nimmer
Acht Nimmer wenden diese holden Augen,
Auf die Gespielin deiner Kindheit lächeln –
Nie wird mich deiner Stimme süsser Ton
Beym Nahmen rufen! Nimmer werden uns
Bey deines Platons göttlichen Gesprächen
Die Winterstunden zu Minuten werden!
Ists möglich, kannst du mich zurücke lassen?
Mich, deren Seele mit der deinigen
So zart verwebt war! – Ach! Und wo? wo lässt du mich?
Und eilst zu deinen anverwandten Engeln!
SIDNEY.
Gerecht sind deine Klagen, fromme Schöne:
Doch bald wird sie der allgemeine Jammer
Unhörbar machen! – Ach! die schwarze Stunde,
Da Edward starb, ist Englands Todesstunde.
Sein Tod wird ganze Hekatomben würgen!
Die Freyheit stirbt mit ihm, die nun so lange,
Aus Griechenlands und Rom's Ruinen flüchtig,
In Albion sich eine Zuflucht suchte.
Und ach! Was wird die Kirche Gottes werden?
[199] Die kaum errettet aus des Tiegers Rachen, 2
Zu athmen anfing, unter Edwards Schutz
Die erste goldne Zeit der Christen hoffte;
Die Tage hoffte, da das heil'ge Volk
Noch auf dem Pfade seines Meisters ging,
Da Unschuld, Sanftmuth, ungefärbte Liebe
Das Merkmahl war, woran man Christen kannte?
Ach! jede Hoffnung bessrer Zeiten sinkt
In Edwards Grab! Und welche Schreckgestalten
Zeigt uns die Zukunft? Bald, o schrecklicher Gedanke!
Verschlingt die Erde, bebend vor Entsetzen!
Das Blut der Zeugen, das aus Flammen sprudelt,
Maria leiht der priesterlichen Wuth
Den königlichen Arm, Weh uns! was bleibt
Der nackten unbewehrten Unschuld übrig?
Wenn du, o Gott, dich unser nicht erbarmest,
Und Edward aus den Au'n des Lichts herabsteigt,
Der treue Schutzgeist seines Volks zu bleiben!
LADY JOHANNA.
Er wird, er wird es seyn! Kein Mutterherz
Schlägt zärtlicher für ihren ersten Säugling,
Als Edwards Herz für sein geliebtes Volk,
Vor allen trug er die in seiner Brust,
[200] Die nach der Reinigung der Kirche seufzten,
Und an das Werk des Herrn voll Heldenmuths
Die Hand schon angelegt. Nur die Erinnerung
An sie, hielt seine Lust zum Sterben auf.
In dieser Nacht, da schon sein Geist im Eingang
Des Himmels schwebte, naht' ich unbemerkt,
Beym düstern Schein der Lampe, seinem Lager,
Er betete. Sein, thränenvolles Auge
Schien unverwandt zu Gottes Thron entzückt,
Und sagte mehr, als Worte reden können.
Doch brach die Inbrunst seines Herzens oft
In Seufzer aus, die auf den starren Lippen
Zu Worten wurden, und in meine Brust
Wie Pfeile drangen: »Gott, (so hauchte sich
Die heil'ge Seele aus) o Gott nimm mich zu dir!
Nimm meinen Geist aus dieser Welt des Abfalls
Zu dir, und zu den Geistern, die dich lieben,
Und deinen Willen thun. – O! meine Seele
Lechzt lange schon dein Angesicht zu schauen!
Du Vater, weissest es, wie gut mirs wäre,
Bey dir zu seyn! Und doch, um derer willen
Die du erwählt hast, um der Frommen willen,
Die zu dir weinen, lass mich länger leben!
Noch leben, bis das grosse Werk vollbracht ist,
Dein Reich in Englands Grenzen fest zu gründen.
[201] Doch nicht mein Will', o Vater, sondern deiner
Gescheh! 3 Hier schwieg sein Mund, und mir
Zerfloss das Herz in nahmenloser Wehmuth.
SIDNEY.
Des frommen Edwards letztes Seufzen wird
Und kann nicht unerhört zum Himmel steigen.
Zwar Edward starb! Doch Der, zu dem er flehte,
Hat tausend Mittel uns zu retten übrig.
LADY JOHANNA.
Die Wege Gottes sind dem blöden Menschen
Geheimniss; die Gedanken, die er denket,
Sind nicht wie unsre eiteln Traumgedanken.
Nur Wunder, die wir nicht berechtigt sind
Zu fordern, können uns dem offnen Rachen
Des Untergangs entreissen! – Edwards Krone
Fällt nach dem Reichsgesetz, und Heinrichs letztem Willen
Jetzt auf Mariens Haupt. Die Stund' ist da,
Auf welche sie ihr racheschnaubend Herz
So lang vertröstete, die Stund' ist da,
Nach der sich Rom und seine Priester sehnten.
O! was für grauenvolle Scenen
Von Blut und Mord weissagt mein bebend Herz!
[202] Schon lange lechzt ihr Eifer nach dem Blute
Der Heiligen! – Von Mönchen mit gezücktem Stahl,
Von Priestern, die mit räuberischer Faust
Den Donner Gottes schleudern, rings umgeben,
Wird sie, die neue Königin, den Thron
Auf Todtenschädel gründen, und den Himmel
Und Roms erzürntes Haupt mit Menschenopfern
Versöhnen wollen. Bonner, Gardiner,
Und andre, deren tief versteckte Bosheit
Zu Edwards Zeit sich in Verstellung hüllte,
Stehn schon bereit, den Gott der sanften Liebe
In ihrer heuchlerischen Wuth zu rächen.
Ach, Sidney! – Ach! Die Zahl der Wahrheitsfreunde,
Der Redlichen, verliert sich in der Menge
Der falschen Seelen, die von jedem Winde
Wie Rohre wanken, immer fertig sind,
Dem zuzurauschen, den das Glück begünstigt.
O England! O zu früh verwaiste Kirche!
So kürzlich erst gepflanzt, jetzt schon im Keime
Von strenger Glut versengt! O kleine Schar
Der ersten schwachen Säuglinge der Wahrheit!
Für euch bricht mir mein schwesterliches Herz,
Für euch thränt unversiegt mein ahnend Auge!
[203] Der Himmel zürnt den frommen Thränen nicht,
Dem Zoll der Menschlichkeit; er fordert nicht,
Dass wir gefühllos seiner Schläge lächeln.
SIDNEY.
Lord Guilford kommt, Prinzessin, deine Klagen
Und den gerechtsten Schmerz mit dir zu theilen.
Ich geh', der Stadt, die zwischen Furcht und Hoffnung
Erwartend schwebt, ihr Schicksal anzukünden.
2. Szene
Zweite Scene.
LADY JOHANNA.
LORD GUILFORD.
O Guilford! komm! und mische deine Thränen
Den meinigen! – O Freund! wie elend macht
Uns dieser Morgen! – Ach! Wie bald, wie plötzlich,
Wie tief sind wir der schönsten Morgenröthe
Des Glücks entstürzt! – O wie ist um mich her
Die Welt zerstört! Wie schwarz das Licht der Sonne!
Die Sfären stehen! Stumme Todesstille
Ruht auf der Schöpfung! – Guilford, du allein
[204] Bist mir noch übrig (letzter Trost im Elend!)
In deinem Arm mein Leben, ungetadelt
Und ungestört, in Seufzer auszuhauchen.
LORD GUILFORT.
O! du – wo find' ich einen Nahmen.
Der deinem Werth, und meiner Liebe gleicht?
Du schönste, reinste Seele, die sich je
In Engelsbildung dieser Erde, zeigte,
Ersinke nicht den Leiden, die dein zartes Herz
Zerreissen! Zage nicht, du meine Lebens Wonne. Noch
Ist alles nicht verloren; noch ist Hoffnung da.
Dein Vater, dessen fromme Redlichkeit
Und sanfte Gute jedes Herz schon lange
Sich eigen machte, und Northumberland
Das Haupt des Raths, mein Vater; und viel andre
Der edelsten des Reiches, deren Ansehn,
Von Macht und Gunst des Volkes unterstützt,
Mariens Anhang leicht zur Erde drückt,
Die alle leben noch, und leben nur
Zum Schutz der guten Sache! –
LADY JOHANNA.
O Guilford! Hoffe nicht
Auf Menschen, deren Kraft ein Schatten ist,
[205] Ein Traum ihr Leben! Hoffe nicht
Auf Stützen, die vom schwächsten Stosse fallen!
Dort über uns – schau durch die Wolken auf,
Die unserm Blick die sel'ge Ansicht wehren! –
Dort wohnt, von Engeln, die ihr Wink bewegt,
Umringt, dort wohnt die Macht, die uns erretten kann!
Sie schaut auf uns herab! Sie lenkt, sie ordnet alles!
Nur der Gedank' an sie – hält meine Seel' empor,
Dass sie nicht ganz ersinkt!
LORD GUILFORD.
Vertraue nur,
Du schöne Heilige! vertraue du
Der Vorsicht, die du glaubst, und deren Macht und Güte
Gleich unbegrenzt, gleich unaufhaltbar ist.
Sie wird uns rotten! Aber sie gebraucht
Zu ihren unsichtbaren Thaten stets
Die sichtbare Natur, den Lauf der Dinge,
Der Menschen Arm, und Witz und Leidenschaften.
Sie wird die Helden, die dich jetzt zum Heil
Des Vaterlands verbinden, zweifle nicht! –
Mit Klugheit und mit starkem Muth begeistern.
Der Rath versammelt sich. Den Augenblick,
[206] Da ich hierherging, sah ich meinen Vater,
Mit Mienen, die! ein wichtiges Geheimniss
Zu decken schienen, Hand in Hand
Mit deinem Vater zur Versammlung eilen.
Mir ahnet was. Ein zweifelhaft Gerücht
Schleicht leis' am Hof umher, und murmelt heimlich,
Von einem Mund zum andern. – Edward habe,
In seinen letzten Stunden noch bekümmert
Für unser Wohl, ein Testament verlassen,
Wodurch die römischdenkende Maria
Vom Throne ausgeschlossen sey. Ist diess,
So hat des besten Königs früher Tod
Die Aussicht einer bessern Zukunft uns
Nicht ganz geraubt! So kann noch Albion,
So kann die Kirche, die nach Freyheit schmachtet,
So kann dein Guilford, der in dir den Himmel
Der Tugend und der Schönheit mit Entzücken
Sein eigen nennt, noch frey, noch glücklich seyn!
LADY JOHANNA.
Was du mir sagtest, ist mir unbegreiflich.
Wie kann des achten Heinrichs letzter Wille,
Der, wenn der Himmel Edward fordern würde.
Den Thron Marien giebt, vernichtet werden?
[207] Wie kann das Volk, wie kann der Rath der Edeln
Die Heiligkeit theuren Eides brechen,
Wodurch sie sich dem Sterbenden verbanden?
Wie konnte Edward, er, dem die Tugend
Uns achtbar ward, des Vaters Angedenken so
Entehren? – Nein! er konnt' es nicht!
LORD GUILFORD.
Auch mir ist ein Geheimniss was ich seh,
Und was ich hör', und was mein Herz mir weissagt.
Doch bald –

Ein Officier erscheint.
DER OFFICIER.
Lord Guilford, der Senat erwartet dich.
GUILFORD
zum Officier, der wieder sich entfernt.
Gut!
ZU LADY JOHANNA.
Nun wird alles sich uns bald enthüllen.
Jetzt fordert mich die Pflicht. Ich stahl den Augenblick
Nur, Theurste, dich zu sehn, und deinen Muth
[208] Mit einem Strahl von Hoffnung zu beleben.
Jetzt sind Minuten mehr als Tage werth,
An einer einzigen vielleicht
Hängt Englands Schicksal und das unsrige.
Die Feinde schlummern nicht – Ich eile, desto bälder
Zu dir zurückzufliegen – Lebe wohl!
LADY JOHANNA.
Ein guter Engel leite deine Tritte!
3. Szene
Dritte Scene.
LADY JOHANNA
allein.
Indessen, dass die Weisen, dass die Väter
Des Reiches sich zum Heil des Staats berathen,
Was kann ich thun? Ich, deren Herz so feurig
Für Englands Glück, fürs allgemeine Wohl
Der Menschen schlägt! – Was kann ich thun? – Ach England,
Mein mütterliches Land, ich kann nur weinen!
Nur über deiner Noth mich selbst vergessen!
Nur einsam weinen, und, die schwachen Arme
Gen Himmel ringend. Dich um Hülfe flehn,
[209] O du der Engel und der Menschen Vater! –
Komm! stille Ruh, komm süsse Einsamkeit,
Umschatte mich! O, kommt, geliebte Bilder
Von Tod und sanfter Ruh im stillen Grabe,
Und vom Triumf der fesselfreyen Seele,
Die sich dem Staub entschwingt! Nur ihr allein
Besänftigt meinen Schmerz, nur ihr vermögt den Kummer
In schlummerndes Vergessen einzuwiegen!

2. Akt

1. Szene
Erste Scene.
NORTHUMBERLAND
allein.
Wenn nicht das Schicksal, oder eine Gottheit,
Die nur zu mächtig ist, mein Werk zerstört,
Die Arbeit vieler Jahre; vieler einsam
Durchwachten Nächte, wenn mich Alles nicht
Betriegt, verlässt – so trennt mich nur ein Schritt
Vom höchsten Gipfel, den der Stolz des Menschen
Erstreben kann! – Wie günstig fügt sich alles
Nach meinem Wunsch! – Durch seiner Tochter Band
Mit meinem Sohn, ist Suffolks Ansehn mein!
Das Volk ist mein durch Guilford. Wie bequem
[211] Erblasst der junge Fürst! Sein letzter Wille,
Beschworen von den Mächtigsten des Reichs,
Die, willig oder nicht, mein Ansehn zwang,
Schliesst Heinrichs ältste Tochter von der Krone
Auf ewig aus, und giebt Johannen Gray
Den Königstitel, mir des Scepters Macht!
Mariens Anhang darf, durch diesen Streich
Als wie von einem Donnerkeil getroffen,
Nicht wagen, sein bestürztes Haupt zu zeigen.
Das Volk, das Rom und seine Fesseln hasset,
Nach Freyheit seufzt und vor Marien bebt,
Wird mit Entzückung, wird mit offnen Armen
Die neue Königin von Edwards Hand empfangen,
Die ihm so ähnlich ist, – die er so zärtlich,
Wie seine Schwester liebte, deren Tugend
So viel verspricht! Ja alles, alles stimmt
In meine Absicht ein! – O! Welche Aussicht
Umglänzet mich – Zwar musst' ich sie erkaufen!
Und theu'r erkaufen! – Bedford musste fallen –
Der junge König – Doch, verschliesse dich
In meine Brust, verderbliches Geheimniss,
Und ruh auf ewig da! Ein undurchdringlich Dunkel
Umhüllt mein Werk! – Wer kommt? – Sie ist es selbst!
[212] Wie schön, wie unschuldsvoll! Wie mahlt ihr Antlitz
Ein königliches Herz! Wie werth ist sie
Des Glücks, dass ihr mein Mund entdecken wird!
2. Szene
Zweyte Scene.
Northumberland. Lady Johanna.

NORTHUMBERLAND.
Komm, meine Tochter, lass mich dich umarmen,
Zum letzten Mahl dich mit dem süssen Nahmen,
Begrüssen, der –
LADY.
JOHANNA.
Was sagt mein theurer Lord? –
Zum letzten Mahl? –
NORTHUMBERLAND.
So will die Pflicht es künftig!
Johanna, fasse dich! Vernimm, verehre
Des Himmels Fügungen! – Der letzte Wille
Des guten Fürsten, den der Tod uns raubte,
Der heilge Wille, dessen Feyrlichkeit
[213] Des Rathes Schwüre unverletzlich machen,
Erkläret – dich – zur Königin der Britten.
LADY JOHANNA.
Mich? Mylord! – hör ich recht? Ists Guilfords Vater
Der mit mir spricht? – Ists möglich? Kann er wohl
In dieser ernsten Stunde, da der Himmel
Durch Edwards frühen Tod Brittannien
Das Todesurtheil spricht, – in dieser Stunde,
Da jeder weint, dem in der Brust ein Funke
Von Tugend glüht; da nahmenloses Elend
Auf unsrer Scheitel hängt, kann Guilfords Vater
Mit seiner leidenden Johanna scherzen?
NORTHUMBERLAND.
Mich wundert nicht, das solch ein Wechsel dir
Unglaublich scheint! Dass, nicht dazu bereitet,
Dein überraschtes Herz, von tausend neuen
Empfindungen ergriffen meine Reden
Fur Täuschung hält! Doch ferne sey von mir
In dieser ernsten feyerlichen Stunde,
Die unsern Thränen um dem besten, König,
Die Englands Rettung, die dem Schutz der Kirche
[214] Geheiligt ist gedankenlos zu scherzen!
Nichts ist gewisser, als dass dich der Himmel
Zu dem glorreichen Werk ersehen hat,
Von welchem Edward abgerufen ward.
LADY JOHANNA.
Wie kann ichs glauben, theurer Lord?
NORTHUMBERLAND.
Dein Zweifel
Beleidigt mich: jedoch bald wird dein Vater,
Und Guilford, und der glänzende Senat
Brittanniens, zu deinen Füssen liegend,
Dich überzeugen! – Fasse dich, Johanna!
Sey deiner würdig! Sey des Thrones würdig,
Der grössern Glanz, als er dir geben kann,
Von dir empfängt. Fliesst nicht das reinste Blut
Des königlichen Stamms in deinen Adern?
Wen fordert wohl die Kirche und der Staat,
An Edwards Statt sie zu beglücken,
Als dich, in deren Brust der gleiche Geist
Der Tugend und der Menschenliebe athmet?
LADY JOHANNA.
Wie soll – wie kann ich sagen was ich fühle?
Und hätt' ich Worte, so vertagt die Zunge mir
[215] Sie auszusprechen – O wie konnt in Edwards Herz,
Wie konnt in Eures, Mylord, ein Gedanke
Wie dieser, kommen? – Ich erröth' und zittre
Es euch zu sagen, – Nein, ich fass' es nicht,
Wie eure Klugheit, euer langgeübter
Erfahrner Geist euch so verlassen konnte!
– Doch, ich begreife mich! – Mein theurer Vater,
Verzeihet meiner Jugend und Bestürzung!
Ein brennend heisser tugendhafter Eifer,
Vom Rand des Untergangs sein Vaterland
Zurückzureissen, kann den Weisesten
Zu, einem Anschlag treiben, den die Klugheit,
Bey kälterm Blute, unterdrücken, würde!
Doch, sagt mir, wird das Volk nicht wohlberechtigt zürnen,
Wenn, statt der Erbin, die das Reichsgesetz
Zum Throne ruft, der Enkelin, der Tochter,
Und Schwester seiner Könige, ich, Suffolks Tochter,
Geboren zum Privatstand, zum Gehorchen,
Ihm aufgedrungen würde? – muss nicht Zorn und Unmuth
Auf jeder Stirne glühn? Wird Roms Partey,
So zahlreich und so mächtig wie sie ist,
[216] Unthätig bleiben? Oder kann man glauben,
Die Tochter Heinrichs, die ihr Stand dem Volke
Ehrwürdig macht, ihr Unglück liebenswerth,
Glaubt man, sie werde keine Freunde finden,
Die sich für sie bewaffnen? Und nicht nur
Für sie, für die verletzte Heiligkeit
Der alten Reichgesetzte, die der Britte
Als des Palladion seiner Freyheit ehrt!
Wird Östreichs Macht, vor der der Erdkreis bebt,
Wird Filipp dessen, unbegrenzter Scepter
Die beiden Indien, schreckt, der Bräutigam,
Den das Gerüchte der Prinzessin giebt,
Sich säumen, ihr gekränktes Recht zu schützen?
Was wird dann gegen eine Welt voll Feinde
Ein schwaches unerfahrnes junges Mädchen
Euch helfen können? –
NORTHUMBERLAND.
– Meine theure Tochter!
Ich liess dich ungehindert alles sagen,
Was, wider unser Hoffen, deiner Seele
Erhabne Grossmuth hemmt. Wie konnten wir
Auch nur vermuthen dass, Johanna Grey,
Sie, die ihr Geist, ihr Herz, ihr Edelmuth,
Weit über ihr Geschlecht und zartes Alter
[217] Erhöht, wie konnten wir sie fähig glauben,
Der herrlichsten Bestimmung sich, zu weigern,
Wozu der Himmel Menschen oder Engel.
Berufen kann? – Verbanne diese Kleinmuth!
Schwing über diese weiblichen Gedanken
Dich weg, Johanna! Denke, was dein Herz
Dein Vaterland, dein Glaube von dir fordert.
Geziemts der Tugend wohl, vor Schwierigkeiten,
Die ihrem Laufe trotzen, sich zu scheuen?
War das der Muth, der jene Helden trieb,
Die, unerschreckt durch dräuefide Tyrannen,
Für Freyheit, für den Staat, ihr Leben wagten?
War das der Muth, der in den heiligen Zeugen
Der Wahrheit brannte, der sie fähig machte,
Dem Tod in jeder Schreckgestalt zu lächeln?
Doch meine Tochter! Was dein Edwalrd selbst
Dir sterbend auferlegt, was jetzt durch mich
Der brittische Senat, durch sie das Volk
Dir aufträgt, fordert keinen Heldenmuth,
Kein Opfer! Alle diese Schwierigkeiten,
Die Welt voll Feinde die Gefahren alle,
Sind nur Geschöpfe deiner Fantasie,
Die noch von Edwards Tod erschüttert ist.
Die Zahl der Redlichen, der Patrioten,
Ist grösser als du denkst. Wer Freyheit liebt,
[218] Wer Rom verabscheut, wer die Raubbegierde,
Den Stolz, den Blutdurst seiner Mönche hasst,
(Und, O! wer hasst sie nicht?) die alle sind
Mit uns vereint. Maria ist im Auge
Des Volks nicht Heinrichs ältste Tochter, nein!
Nur eine Sklavin Roms, nur Filipps Braut,
Wem, in der Brust ein brittisch Herze schlägt,
O! dem empört in jeder Ader sich!
Das Blut vom Schalten des Gedanken schon,
Sein freyes Haupt ins abgeworfne Joch
Des stolzen Roms zurück zu schmiegen.
O! glaube mir, die Stadt, das ganze Volk
Wird dich als einen sichtbarn Engel grüssen,
Den uns zum Schutz der Himmel zugesandt.
LADY JOHANNA.
Ach! Wollte Gott, es wär in meiner Macht
Mein Volk zu retten! – Aber diese Macht
Gab mir der Himmel nicht! Er hasst die falsche Weisheit,
Die ungerechte frevelhafte Thaten
Durch einen guten Endzweck adeln will.
Der Thron gehört nicht mir, so lange Heinrichs Töchter
Und Edwards Schwestern leben! –
[219]
NORTHUMBERLAND.
Bist du nicht
Wie sie, von königlichem Blut? – Die Enkelin
Von Heinrichs Schwester? – Hat Marien die, Geburt
Dem besten Prinzen mehr als dich genähert,
So macht dich deine Tugend, deine Güte
Zu Edwards Schwester! – Pflegt' er dich nicht stets
Mit diesem süssen Nahmen zu benennen?
Verdient die stolze, grausame Maria,
In deren Brust nur Gift und Rachsucht kocht;
Bey der die Aussprüch' eines finstern Mönchen
Orakel sind, Sie, die kein Sokrates
Die grosse Pflicht der Fürsten lehrte,
Nur im gemeinen Wohl ihr Glück zu suchen
Und, gleich der Gottheit, weis' und gut zu seyn –
Verdient sie mehr als, du, die Edwards Geist und Herz
Uns wieder giebt, den Nahmen seiner Schwester?
LADY JOHANNA.
Diess Lob, das mir von eines Vaters Lippen
Sonst süss ertönte, kann mich jetzt nicht rühren
[220] Ihr schmäht Marien, meinen kleinen Werth
Durch ihre Schwärze glänzender zu machen?
Es sey! – Doch alles, was euch wider sie
Empört, giebt mir kein Recht an ihre Krone.
Will uns die Vorsicht durch verderbte Fürsten,
Durch Unterdrückung, durch Tyrannen strafen,
So thut sie nichts, als was wir längst verdient,
Sie züchtigt uns durch unsre eignen Laster.
Die Fürsten sind nur schlimm, weil wir es sind!
Die Schmeichler, die verderbten Höflinge,
Die Sklaven sind es, die Tyrannen machen!
NORTHUMBERLAND.
Ach! Meine Tochter! wie betrügest du
Nicht meine Hoffnung nur, des ganzen Rathes,
Des Volkes Hoffnung! – Soll denn eines Mädchens
Unbiegsamkeit – doch nein, du wirst dich fassen!
Ein wenig Zeit, und reifre Überlegung
Wird deine Zweifel heben.

Er sieht sich um, und sieht von ferne Lady Suffolk sich nähern.

Wie erwünscht
Kommt deine Mutter! welch Entzücken schimmert
Aus ihren Augen! Sie empfindet besser
[221] Als du, den Werth der angebotnen Krone
Ihr überlass ich dich –

Er geht ab.
3. Szene
Dritte Scene.
Lady Suffolk. Lady Johanna.

LADY SUFFOLK.
O meine Tochter,
O du, mein Stolz, meine Kleinod, meine Freude!
O komm in meinen Arm! Komm, lass
Mit Inbrunst an mein Mutterherz dich drücken!
Wie glücklich – Aber wie? – Antwortest du
Mit Seufzern nur dem Ausbruch meiner Freude? –
Du weinst, mein Kind? –
LADY JOHANNA.
Ach meine Mutter!
LADY SUFFOLK.
– Wie?
Du weisst Johanna, welch ein glänzend Glück.
Dir angetragen wird, und kannst noch trauern?
[222] Kann Englands Thron, die Majestät der Würde,
Die Sterbliche zu ird'schen Göttern macht,
Ein Hof, ein mächtig Volk zu deinen Füssen,
Kann die Gewalt, Glückselige zu machen,
Und unter allen selbst die glücklichste zu seyn,
Dein Auge nicht entwölken? – Edwards Geist
Ist schon befriedigt! Sein Gedächtniss fordert
Von deiner Liebe keine Thränen mehr!
Komm, überlass, dich ganz den reitzerfüllten Bildern
Der schönsten Zukunft, die er dir, und uns
Durch dich, vermachte! – Ganz gewiss, Johanna,
War es der Engel einer, die das Haupt
Des Sterbenden umschwebten, der ihm, noch
In seiner letzten feyerlichsten Stunde
Des Himmels grossen Rathschluss, in die Lippen hauchte,
Zur Erbin seines Throns dich zu erklären!
LADY JOHANNA.
Warum denn kann ich nicht, wie Ihr, mich freuen?
Warum empört mein bebend Herz sich so
Vor dem was Euch entzückt? – Wie soll ich das,
Was ich empfinde, nennen? Diese Schauer,
[223] Die Ahnungen, die meine Brust erschüttern? –
O Edward, du bist glücklich! –
LADY SUFFOLK.
Ohne Zweifel
Geniesst er jetzt das reine Glück der Engel;
Dir, meine Tochter, ist das höchste Glück
Der Erde zugedacht! Er selbst, dein Edward selbst
Bestimmt' es dir! – Kann der Gedank' allein
Es dir nicht schätzbar machen?
LADY JOHANNA.
Eben diess
Mehrt meine Zweifel! – Konnte der Gerechte,
Der fromme Jüngling, in der letzten Stunde,
Im Angesicht der Engel, an der Pforte
Des offnen Himmels, noch ein Unrecht thun?
Das erste Unrecht seines kurzen Lebens,
Im letzten Augenblick? Wie kann ichs glauben?
Er liebte mich; er pflegte seiner Seelen
Geheimste Wünsch' und stille Sorgen oft
In meinen schwesterlichen Schooss zu schütten.
Warum verbarg er mir doch ein Geheimniss,
Das mich so nah betraf? und ein Geheimniss,
Von solcher Wichtigkeit! von solchen Folgen! –
[224] Und war ich nicht in seiner letzten Nacht,
Bey seinem Lager? Fassten meine Lippen
Nicht seinen letzten heil'gen Seufzer auf?
Wie konnt' er? Doch – itzt fällt mir etwas bey, –
Ich ward einmahl von ihm hinweggerufen, –
Man hielt mich auf, und als ich wiederkam,
So schien sein brechend Auge zärtlicher,
Mit ernsten Blicken, die bedeutend schienen,
Auf mir zu ruhn! Er drückte meine Hand,
Sein Mund versuchte mich noch anzureden;
Allein der Ton verlor sich auf den Lippen
In leises Lispeln! – Ach! So war es diess,
Was du mir sterbend noch endecken wolltest? –
Mein Edward! –
LADY SUFFOLK.
Rufe diese Trauerbilder
Nicht stets zurück! Entfern ihr Angedenken
Aus deinem Geist! O gieb mir meine theure
Johanna wieder, die der Kummer fast
Unkennbar macht! – Wo ist die edle Denkart,
Der königliche Geist, die reife Tugend,
Die in den Augen aller, die dich sahen,
Dich über dein Geschlecht erhoben?
[225] Itzt fordert dich der Ruf des Himmels auf,
Vorm Angesicht der Erde sie zu zeigen.
Sey freudig was er dir gebeut, die Mutter,
Die Retterin, die Königin der Britten!
LADY JOHANNA.
Wie gern versprechen wir doch unsern Wünschen
Des Himmels Beyfall! – Doch! wenn Edward wirklich
Berechtigt war, die Kron auf Heinrichs Schwesterkinder
Zu übertragen, ist die Reihe denn
An mir? – Was müsste meine Mutter seyn,
Eh mir der Thron gebührte?
LADY SUFFOLK.
Deine Mutter!
Und stolzer auf den Titel deiner Mutter,
Als auf den Ruhm, die glänzende Monarchin
Der ganzen Welt zu seyn! – Ia, liebstes Kind!
Mit Lust entsag ich meinem nähern Anspruch,
Mit Freuden wähl ich mir die Dunkelheit,
Nur dich, den holden Liebling meines Herzens
Erhöht zu sehn! Welch ein Triumf für mich,
[226] Dich auf dem Ziel der kühnsten Hoffnungen,
Im schönsten Licht, worin die Tugend sich
Der Erde zeigen kann, von Nazionen
Geliebt, bewundert, angebetet sehn!
Genug für mich, wenn diese Myriaden,
Die du beglücken wirst, die Mutter segnen,
Die dich gebar, die Brust, die dich gesäugt;
Wie wallt mein Herz bey dieser frohen Aussicht
Von Freuden über! –
LADY JOHANNA.
Ach! Das meine schmilzt
Von Wehmuth! – Beste, zärtlichste der Mütter!
Was soll ich thun? – O! warum kann ich nicht –
LADY SUFFOLK.
Nichts mehr, mein Kind! – Ich sehe, wie gerührt du bist –
Ich will dich itzt verlassen – Einsamkeit
Und stille Überlegung wird dich bald
Zu einem Schluss, der deiner werth ist, bringen!
4. Szene
Vierte Scene.
LADY JOHANNA
allein.
Wie klopft mein Herz! Wie taumeln durch mein Haupt
In innerm Streit die zweifelnden Gedanken!
[227] O! Edward, Edward! – Diese Augen sahen
Die deinen brechen! sahn das letzte Lächeln,
Das die beglückte Seel' im Scheiden noch
Auf deinem bleichen Angesicht zurückliess.
Bald folg ich dir! – Was ist mir eine Krone?
Des Hofes Pomp und seine eiteln Freuden?
Der Krone, die dein Haupt itzt unverwelklich schmückt,
Der werth zu seyn, ist alles was ich wünsche! –
Und doch entzückt der reitzende Gedanke
Mein, Innerstes, das Glück so vieler Menschen
Zu machen! – Ach! Wie oft, wie oft war diess,
Der Seufzer meines jugendlichen Herzens!
Um dieses nur, nur um die edle Macht
Den Menschen wohlzuthun, Gott nachzuahmen,
Beneidet' ich das Glück der Könige!
Wie! Sollt es wahr seyn? Riefe mich die Vorsicht
Zu diesem grossen, göttlichen Geschäfte? –
Wie gerne öffnet sich, mein willig Herz
Dem seligen Gedanken! Soll ich glauben,
Was Guilfords Vater, was der Mütter zärtlichste,
Was wie es scheint, die Weisesten und Besten
Des Rathes glauben, Edwards Wille sey
Des Himmels Schluss, den Gott dem Sterbenden
[228] Ins Herz gehaucht? – Zu rasche Hoffnung! Nein!
Du täuschest mich! Ein ungerechter Rath
Kann nicht vom Himmel kommen! – Aber wie?
Verdient die graue Weisheit meiner Väter,
Verdient der majestätische Senat
Brittanniens, die ungerechten Zweifel,
Die ich in ihre reifre Einsicht setze?
Wie, wenn sie besser als ein unerfahrnes Kind,
Was recht ist, wissen, was die grosse Pflicht
Fürs Vaterland und für die Nachwelt fordert? –
Wie ängstigt dieser zweifelhafte Stand
Mein ungewisses Herz! – Wer führet mich
Aus diesem Labyrinth? Wen kann ich fragen? – Alle
Sind wider mich! – O Himmel, leite du
Dein gleitendes Geschöpf! Dein Will' allein
Gebiete meinem Willen! – Soll ich nicht
Der leisen Warnung folgen, die mein Geist
Stets in sich hört, der Stimme des Gewissens,
Die mir verbeut zu thun, was ich als Unrecht fühle?
Ja! Ja! Ich folge dir! Du bist
Die Stimme Gottes! Kein Fantom der Sinnen,
Kein blendendes Gewebe falscher Schlüsse
Soll mich vom ebnen Pfad der Tugend weichen machen!

Sie sieht Suffolk und Guilford kommen.

O Himmel! stärke mich!
5. Szene
[229] Fünfte Scene.
Herzog von Suffolk. Lord Guilford. Johanna.

SUFFOLK.
Ist dein Entschluss
Wie ihn die Pflicht und unsre Liebe wünschet,
So lass, Johanna, deinen alten Vater,
Und Guilford, der dein ganzes Herz verdient,
Die ersten seyn, die das erwünschte Ja
Von deinen Lippen hören! Wie? du zögerst noch?
Hat Guilfords Vater dich nicht rühren können?
Mein Kind, betrüge meine Hoffnung nicht!
Die Rettung deines armen Vaterlands
Sie hängt an deinem Ja! Du kennst, Johanna,
Die dringende Gefahr, worin wir schweben;
Der Staat, die Kirche, alle Frommen seufzen
Nach einer Fürstin, die das grosse Werk,
Das Edwards Frömmigkeit begann, vollende!
LADY JOHANNA.
Erlaube mir, mein Vater, eine Frage!
Ist wirklich sonst kein Weg zu Englands Rettung
Als dieser? –
[230]
SUFFOLK.
Nein! Wofern der Himmel
Nicht Wunder thut, die wir von ihm zu fordern
Kein Recht, noch zu erwarten Hoffnung haben.
Es ist kein andrer Weg zu Englands Rettung!
LADY JOHANNA.
Und war es Edward selbst, der sterbend mich
Zur Königin erklärt'?
SUFFOLK.
Er war es selbst!
LADY JOHANNA.
Er selbst? – So wars in einer bangen Stunde,
Da sein Gemüth vom Todeskampf des Leibes
Entkräftet lag! – Er thats – vielleicht gezwungen.
SUFFOLK.
Ja! von der Liebe seines Volks gezwungen,
Vom Eifer, der in Seiner Engelsbrust
Für Gott und seine Wahrheit brannte!
Von einem Eifer, der die feigen Zweifel
Der falschen Klugheit dieser Welt verschmähte;
Der zwang ihn! – Fühltest du, was er empfand –
[231]
LADY JOHANNA.
O könnt', o könnte doch, mein Blut dich retten,
Mein Vaterland! Wie froh, sollt es für dich
Aus jeder Ader sprudeln! – Du, Allwissender,
Du bist mein Zeuge! –
GUILFORD.
– Erlaube, Theureste,
Erlaube dem, dir deine Seele liebt,
Den rühmlichen Versuch, dich zu erbitten!
Doch nein! dein Guilford hasst, verschmäht den Zweifel
An deiner Grossmuth! Niemahls liebt ich dich
Mit tiefrer Ehrfurcht, niemahls schienst du mir
Bewundernswerther als in dieser grossen Stunde!
Aus Tugend weigerst du dich unsern Wünschen;
Nur eine Heldenseele, wie die deine,
Ist fähig, Kronen auszuschlagen! Aber itzt,
Geliebte, itzt ists grössre Tugend, itzt ists Pflicht
Sie anzunehmen! Lass nicht allzuzarte
Spizfindige Begriffe deinen Geist,
Zum Nachtheil deines reinen Herzens, täuschen;
Was einem ganzen Volke, was den Enkeln
Der Enkel nützt, wie könnten die Gesetze
Es Unrecht nennen? Ist das oberste Gesetz,
[232] Das einzige, das keine Ausnahm zulässt,
Johanna! – ist es nicht des, Volkes Wohlfahrt?
Komm! Überlass dich frey den schönen Trieben
Der Grossmuth, und dem sanften Zug der Liebe
Zum menschlichen Geschlecht! Verdiene
Die Freudenthränen des entzückten Danks
Von Myriaden, die nur dir ihr Leben,
Ihr Glück, und ihre Freyheit schuldig werden!
Wie wird die späte dankerfüllte Nachwelt
Noch mit Entzücken dein Gedächtniss segnen!
Die Mutter, mit dem Säugling an der Brust,
Der fromme Greis, der mit vergnügten Blicken
Die Enkel überzählt, die Gatten, die, wie wir,
Sich lieben, alle werden dich, Johanna,
Die Schöpferin von ihrem Glücke, segnen!
LADY JOHANNA.
Ach! Guilford! Guilford! –
GUILFORD.
Sieh dein Vaterland,
In mir zu deinen Füssen, Theures Mädchen!
Du kennst das Elend das auf alle wartet,
Auf alle, die die Fesseln Roms zerbrachen,
Auf alle Redlichen! – Ach! Kerker, Bande,
[233] Und Schwert und Flammen sind den Heiligen
Gedräut, den unbeweglichen Bekennern
Des Evangeliums! – Die Grausamkeit
Der Priester schont des schwächeren Geschlechts,
Der Kinder nicht! des zarten Säuglings nicht!
Erbarme dich des rahmenlosen Elends,
Das Rach' und Blutdurst deinem Volke dräut!
Erbarme dich –
SUFFOLK.
Soll dein Gemahl, dein Vater,
Dein Vaterland, soll Edward selbst vom Himmel
Vergeblich flehen?
JOHANNA.
Nein! mein theurer Lord!
Steh auf mein Guilford! Kniee nicht vor mir!
Mein Herz ersinket unter der Gewalt
Der Bitten, die von deinem holden Munde
So rührend schallen! – Nehmet mich, mein Vater;
Nimm, Guilford, mich, macht aus Johanna Gray
Was euch gefällt! –
6. Szene
[234] Sechste Scene.
Northumberland. Die vorigen.

NORTHUMBERLAND.
Die Fürsten Albions
Erwarten sehnlich ihre Königin!
Hat Grossmuth endlich über ihre Zweifel
Den Sieg erhalten?
SUFFOLK.
Ja! Sie hat gesiegt.
Sie gab uns noch die Probe des Gehorsams,
Die sie uns schuldig war!
NORTHUMBERLAND.
Hinfür gebührt es uns
In deinen Winken unsre Pflicht zu lesen.
Heil dir, Prinzessin, Heil dir, Enkelin
Von alten Königen, du schönste Blume.
Von Yorks und Lankasters vereintem Stamme!
Durch deren Eifer, unter deren Schutze
Die göttliche Religion der Christen
Ihr leuchtend Angesicht, von ihren Flecken
Gereinigt, siegreich über alle Länder
Erheben soll! Durch deren klugen Scepter
[235] Gesetz und Freyheit, Fleiss und Überfluss
Und Wonne, diese segensreiche Insel
Zur Königin der Erde krönen sollen.
Mein Knie beugt sich zuerst, dir ehrfurchtsvoll
Den Bund der unverletzten Treu zu weihen!
Heil, Ruhm, und Glück der Königin Johanna!
SUFFOLK.
LADY SUFFOLK. GUILFORD.
Heil, Ruhm, und Glück der Königin Johanna!
NORTHUMBERLAND.
Gefällt es dir, Prinzessin, den Senat
Durch deine Gegenwart zu ehren,
Und von den Edelsten der Britten
Den Eid der Treue zu empfangen?
Dann soll das ganze Volk den theuren Nahmen hören,
Der unsern Enkel heilig bleiben wird!
JOHANNA.
Ich folge dir!

Sie bleibt allein.

Geheimnissvolles Schicksal!
Wie spielst du mit den Menschen! – Diese schnelle
Verwandlung – Doch ich schweige! Höre du,
Der du die Unschuld dieses Herzens kennest,
[236] Die heissen Seufzer meiner bangen Seele!
Häuft dieser schwarze Tag das Mäh des Unrechts
Auf Englands Haupt, ist dein gerechter Zorn
Noch nicht versöhnt, und warten neue Plagen,
Sich über dieses, unglücksel'ge Land
Zu stürzen? – Gott! So höre mein Gebet!
Verschone seiner! Lass auf mich allein
Die Strafe fallen! Mich allein, o Gott,
Für mein geliebtes Volk zum Opfer werden!

Geht ab.

3. Akt

1. Szene
Erste Scene
Sidney. Lady Johanna.

SIDNEY.
Heil dir Johanna, Du, in welcher Edward
In engelähnlicher Gestalt vom Himmel
Zurück gekommen scheint, sein Volk zu retten.
Die Tugend selbst besteigt mit dir den Thron,
Und würdigt uns für unser Glück zu sorgen.
Dein Anblick heitert jede trübe Stirne
Mit Hoffnung auf, und trocknet unsre Thränen.
[238]
LADY JOHANNA.
O! Meine Schwester! (diesen süssen Nahmen
Wird stets mein unverändert Herz dir geben)
O! Hoffe nicht zu früh: Noch ist es dunkel
Rings um uns her; das Schicksal hat den Ausspruch
Noch nicht gethan! Noch darf ich es nicht wagen,
Der süssen Hoffnung mich zu überlassen,
Die mehr als tausend Königskronen glücklich
Mich machen würde, dieser theuern Hoffnung,
Brittannien befreyt, beglückt zu sehn –
Ach! Dürft ichs! Schreckten nicht geheime Schauer
Und bange Zweifel mein beklemmtes Herz –
Wie glücklich! –
SIDNEY.
Fürchte nichts, du schöne Unschuld!
Dein blosser Anblick könnt' in Tiegerseelen
Des Lammes zahme Sanftmuth hauchen!
Dein Nahm' erhitzt die muthigen Beschützer
Der guten Sach', entnervet deine Feinde!
Und könnte ja die Ungerechtigkeit
Der Menschen dich verlassen – o, so wird
Der Himmel sich zu deinem Schutz eröffnen!
So werden Serafim, zu Tausenden
[239] Von Gott gesandt, sich sichtbar um dich lagern,
Mit jenen Waffen, die den ersten Aufruhr
Im Himmel dämpften, mit dem Donner Gottes
Die Häupter der Rebellen zu zerschmettern!
LADY JOHANNA.
O dürft ich mich mit dieser Freudigkeit,
Mit dieser Kühnheit, welche das Bewusstseyn
Der Unschuld giebt – Und doch – was that ich denn,
Dass mir mein Herz von unbekannten Schrecken –
So ängstlich bebt? – Mein innerster Gedanke
Giebt meinem unbefleckten Willen Zeugniss!
Kein Stolz, kein eitler Wunsch mich über alle
Erhöht zu sehn, kein thörichtes Gefallen
Am Flittergold der falschen Ehre,
Am leeren Schaum der Freuden dieser Welt,
Besiegte mich! Was ich gethan das that ich,
Den Untergang von diesem Volk zu wenden!
Warum erbebst du denn, zu schwaches Herz?
Was zagest du, wie in Verbrecher zagt,
Den das Bewusstseyn seiner Thaten martert?
O süsse Ruh, o heitre, sorgenfreye,
Zufriedne Zeit der unschuldsvollen Kindheit!
O Tag', in stillen, unbereuten Freuden,
[240] Im Schooss der blühenden Natur, mit dir,
Mein Edward, in der heiligen Gesellschaft
Der Weisen Gräciens gelebt, o goldne Tage!
O sanfte Nächt', in ungekränkter Ruh
Und leichten Träumen unbemerkt verschlummert.
Wo seyd ihr hingeflohn? Ach niemahls, niemahls
Mich wieder zu besuchen! – Welch ein Tand
Sind diese Kronen! Ach wie wenig scheut
Der bleiche Gram den königlichen Purpur!
Wie spottet dieses schimmernde Gepränge
Der Sorgen, die in meinem Busen klopfen!
2. Szene
Zweyte Scene.
Die Vorigen. Guilford.

GUILFORD.
Ich komme, meine theurste Königin,
Dir die Versichrung von der festen Treue
Der Stadt zu bringen! Muth und frommer Eifer
Für ihre Königin erhitzt die Bürger,
Beseelt den Rath. Die nie verschlossnen Tempel
Ertönen stets von Seufzern und Gelübden
Für dich, und für den Sieg der guten Sache.
[241] In dieser Stunde, zweifle nicht, Geliebte!
Wird sich, im Angesicht der ganzen Erde,
Der Himmel selbst für dich erklären. –
Bald wird Northumberland im Siegsgepränge
Durch, unsre Thore ziehn, und deine Feinde
Zu deinen Füssen legen!
LADY JOHANNA.
Meine Feinde!
Ach, das ist euer Werk! Ich Unglückselige,
Ich hatte keinen Feind! Mein sanftes Herz
Hat nie des Hasses Regungen empfunden.
Es athmet Huld und allgemeine Güte.
Ich liebt in jedem Menschen einen Bruder!
Ich hatte keine Feinde, bis ihr mich
Zu dieser That verführtet, die euch allen
Vielleicht verderblich ist, die wider mich
Die halbe Welt empört, und meinen Nahmen
Der späten Nachwelt noch zum Abscheu macht.
O wie bethörte mich mein eignes Herz!
Mich selbst, mich klag ich, an. Ich sah die Folgen
Vorher, sie schwebten fürchterlich verbreitet
Vor meiner Stirn, ich fühlt' ein warnend Lispeln
In meiner Brust – und dennoch gab ich nach!
[242]
GUILFORD.
Grossmüthig gabst du unserm Flehen nach.
Dein Vaterland vom Untergang zu retten.
LADY JOHANNA.
O! Schone meiner, Guilford, nenne mir
Diess Wort nicht mehr, das meines Unvermögens
So schmerzlich spottet! Ach! wen kann ich retten?
Was hab ich meinem Vaterland zu geben,
Als Thränen? – Thränen, in das Blut zu mischen
Das jetzt – o Gott! um meinetwillen fliesst!
Ich Unglücksel'ge bins, die über England
Den Jammer häuft! Ich waffne Brüder gegen Brüder.
Und färbe dieses Land mit seiner Kinder Blut –
Und wenn Maria siegt, wenn ihre Rachsucht,
Gereitzt von meinem Frevel, sie zu Wuth
Und grenzenloser Grausamkeit entflammt;
Wenn Ströme Bluts den Zorn versöhnen müssen,
Den ich allein verdien', – o liebster Guilford!
Wie kann ich sie ertragen, diese schwarzen
Entsetzlichen Gedanken? –
[243]
GUILFORD.
Meine Königin!
Was quälest du dein Herz, diess Paradies,
Wo Ruhe nur und Wonne lächeln sollten,
Mit diesen schreckenvollen Träumen?
Nein, nein, du schöne Unschuld! Nein! die Vorsicht
Verlässt dich nicht! Sie kann dich nicht verlassen,
Dich, deren Geist das Bild der Gottheit strahlt!
Ist sie mit dir, wen fürchtest du, Johanna?
Das Glück? – Es ist der Vorsicht unterthan!
Kein blinder Zufall stört den Plan der Weisheit,
Die alles lenkt, die Harmonie, der Dinge!
Ist dir Mariens Anhang fürchterlich?
Verachte diese lasterhafte Rotte
Von Mißvergnügten, welche nur der Umsturz,
Des Vaterlandes glücklich machen kann,
Von Schwärmern und von Mönchen, deren Waffe,
Nur Flüche sind, die in der Luft zerflattern,
Verschmäht vom Himmel, oder auf die Häupter
Der wilden Eifrer selbst zurückgeschleudert!
O fürchte nichts, so lange noch die Tugend
Bewundrer hat, so lange Suffolk lebt,
So lange Pembrok, Mason, Arondel,
[244] Des Adels Häupter, deinen Scepter ehren!
Du sahst ja selbst den kühnen Muth der Männer;
An deren Stirne dein Northumberland
Der kleinen Rotte bebender Rebellen
Entgegen zog, die Sussex aufgewiegelt!
Der Sieg ist Dein, wenn anders noch die Tugend,
Wie einst, den Busen ihrer Söhn' erhitzt.
Er wird nicht blutig seyn. Der blosse Anblick
Der Helden wird die feige Schar entwaffnen.
Die frohe Zeitung kann nichts mehr verziehn.
LADY JOHANNA.
Du hoffst zu freudig, Guilford! weil du liebst.
Die Liebe macht dich kühn! Mich macht sie zittern.
GUILFORD.
Hat denn die Traurigkeit dein zärtlich Herz
So ganz erfüllt, dass für die süsse Hoffnung
Kein Raum mehr ist? – O fühltest du, was ich!
Wie würden schnell des Kummers düstre Wolken
Vom reinen Himmel deiner Seel' entfliehn!
O! Dein Besitz hat mir, mein ganzes Wesen
Zur Lust gestimmt! Was ich empfind' und denke.
O! Jeder Pulsschlag, jeder Athemzug
Ist Freud' und Wonne – Dich, in deren Bildung,
[245] Was nur das Auge liebenswürdig sehen.
Die Seele denken kann, vereinigt ist;
Dich, deren Geist im Sonnenschein der Weisheit
So früh zur schönsten Blüthe reifte,
In deren Brust die Tugend alle Triebe
Zu schwesterlicher Harmonie gestimmt,
Die jeder liebt, der dich erblickt, bewundert,
Wenn er dich hört, verehrt, wenn er dein Leben sieht;
Dich mein zu nennen, ganz für mich geschaffen,
Und mich für dich! In deinen holden Armen
Ein Leben, gleich dem schönsten Frühlingstag
In ungestörter Heiterkeit zu leben –
Wie sollte solch ein Glück mich nicht entzücken?
Und, O! wie ist die Vorsicht meinen Wünschen selbst
Zuvorgekommen Sie, die dich
Auf einen Thron gesetzt, erklärt dadurch
Dass nur die höchste Stufe Deiner würdig sey.
Die göttliche Johanna wird nicht nur
Die Wonne ihres treuen Guilfords seyn!
Sie wird der Stolz, die Freude eines Volkes,
Sie wird ein Wunder allen Völkern seyn.
Sie wird die himmlische Religion
Zu ihrer Rechten setzen, wird den Frieden,
[246] Und sein, Gefolge, Fleiss und Überfluss und Künste
Im milden Schatten ihres Thrones lagern!
Sie wird –
LADY JOHANNA.
O! theurer Guilford! Reitze nicht
Mein allzuwillig Herz, in süsse Träume
Sich einzuwiegen! – Was du hoffst, Geliebter,
Ist allzuviel für dieses Prüfungsleben.
Doch, was mein Schicksal sey, in deinen Armen
Soll auch das Elend, soll der Tod mir selbst
Willkommen seyn! – Ach Guilford, diese Höhen
Des Glücks sind schlüpfrig; sind mit jähen Klippen
Und Tiefen rings umzäunt! O! lebten wir
Fern von des Hofes ungetreuen Freuden,
In unbekannter Einsamkeit! Verbärg'
Ein schlechtes Strohdach unser Glück dem Neide
Der grossen Welt! O lebt ich da mit dir
Von Sorgen frey, und frey von eiteln Wünschen,
Vergnügt mit dem, was die Natur begehrt
Und willig schenkt, durch unsre Liebe glücklich!
Wie freudig wollt ich an den Schäferstab
Den Zepter tauschen, und, statt dieser Perlen,
Mit frischen Rosen meine Locken schmücken.
[247]
GUILFORD.
Du Engelseele, wie entzückst du mich!
Wie würdig zeigt dich diese grosse Denkart
Des Thrones, den du zieren wirst!
Die Hütte würde, wenn sie deinen seltnen Werth
Verbärge, glänzender als diese Wohnung
Der Könige! Durch deine seltne Tugend
Wird dieser Königssitz ein heil'ger Tempel
Des allgemeinen Glückes werden!
LADY JOHANNA.
Vor wenig Stunden war mein höchster Wunsch,
Von Unschuld und von Weisheit stets geleitet,
Mich unbemerkt durch diese Welt zu schleichen;
Mein grösster Stolz, dich, mein Geliebter, glücklich
Zu machen! Niemahls ahnte meinem Herzen,
Auch nur im Traum, was mir begegnet ist.
Der König stirbt; die gleiche Unglücksstunde
Setzt mich auf seinen Thron; ich widersteh' umsonst;
Erschüttert von den Bitten unsrer Väter,
Und des Senates, überlass ich mich
Der fremden Führung; und nun ist ein Schlachtfeld
Der Richter zwischen mir und Edwards Schwester.
[248] Northumberland sicht nun mein Schicksal aus!
Ich falle, wenn er fällt, und siege, wenn er siegt.
O Guilford, welch ein Räthsel ist diess alles
Für meinen Geist! Was wird hoch' aus uns werden? –
Der Himmel weiss es! – In gelassner Demuth
Ergeb ich mich in seinen heil'gen Willen!
GUILFORD.
Wenn mich nicht alles trügt, so wird Ausgang
Dein Räthsel – Still! Wer nähert sich? – Es ist
Dein Vater – Himmel! was verkündigt uns
Sein kummervoller Blick!
3. Szene
Dritte Scene.
Die Vorigen. Suffolk.

SUFFOLK.
Ach meine Kinder!
GUILFORD.
Was ist, mein Vater?
[249]
SUFFOLK
indem er gen Himmel sieht.
Stärke mich! – Mein Sonn!
O Tochter, eines bessern Glückes würdig!
O meine Kinder! Ach, wie soll ichs sagen?
Mein Anblick spricht für mich! O bange Stunde!
LADY JOHANNA.
Das Schrecklichste, was dieser Tag uns brachte,
War Edwards Tod! – Der Schlag hat mich auf alles
Schon vorbereitet.
GUILFORD.
Redet, theurer Lord!
Die Ungewissheit foltert meine Seele.
SUFFOLK.
Dein grosser Vater, er, auf dessen Macht,
Und Muth und Klugheit alle unsre Hoffnung
Sich stützt', er ist –
LADY JOHANNA.
Wie? ist er todt? Erschlagen?
[250]
SUFFOLK.
Er ist verrathen! ganz zu Grund gerichtet,
Und wir mit ihm. Das Heer, an dessen Stirne
Wir ihn gesehen, war ein Schwarm Verräther.
Schon auf dem Wege schmolzen sie zusehens
Von seiner Seite weg. Mit einem kleinen Haufen
Stösst er auf Sussex. Plötzlich fliehen auch
Die Wenigen, die ihm geblieben waren,
Mariens Anhang zu. Die Luft erschallt vom Nahmen
Der neuen Königin, und jauchzend rufen alle:
Maria leb', es stürze der Tyrann!
Er sucht umsonst zu fliehn. Der ungetreue,
Verrätherische Graf von Arondel
Umringt ihn, macht ihn in Mariens Nahmen
Zum Staatsgefangnen, und ist jetzt begriffen,
Ihn im Triumf durch London aufzuführen.
LADY JOHANNA.
Diess, Guilford, wars, was mir mein schaudernd Herz
Vorhergesagt!
[251]
GUILFORD.
Ha! Welch ein Donner schleudert mich vom Himmel
Zum Acheron herab! Bestürzung und Entsetzen
Versteinert mich! Wie? – Alles umgestürzt –
Northumberland verrathen und in Fesseln –
Maria, Siegerin! – Und du, Johanna –
O schrecklicher Gedanke –
LADY JOHANNA.
Fasse dich, mein Guilford,
Und bete schweigend an!
GUILFORD.
Und kannst du diesen Donnerschlag des Schicksals
So ruhig dulden?
LADY JOHANNA.
Soll ich klagen, Guilford,
Dass ich aus einem Morgentraum erwache?
Dass diese Kronen, diese Wolkenbilder
Von Majestät und königlichem Pomp,
Ins Nichts, das sie gebar, zerflossen sind?
Nein, theurer Guilford, nein! Ich klage nicht!
[252] Ihr irrtet euch. Der Himmel hatte mich
Zu dieser glänzenden Bestimmung nicht berufen.
Wozu ihr mich erhob't!
GUILFORD.
O, lege nicht, Johanna,
Dem Schluss der Vorsicht zu, was nur die Wirkung
Der Niederträchtigkeit der Menschen ist!
Gerechter Himmel! Welche Welt ist das?
Ists möglich? Sind denn alle, die ich redlich,
Sind alle die ich unsre Freunde glaubte,
Verräther worden? Ist es Pembrok auch?
Ists Mason auch? Nein! nein! – Die gute Sache
Liegt noch nicht ganz! Es sind noch Tugendhafte!
Ich eile, sie zu suchen! – Alles ist
Noch nicht verloren! Nein! Ein Streich des Unglücks
Soll tapfre Seelen nicht zu Boden schlagen.
LADY JOHANNA.
O Guilford, bleibe! Zeige deine Grösse
Durch männliche Geduld! Dem Himmel widerstreben,
Ist falscher Heldenmuth!
[253]
GUILFORD.
Die Tugend, Königin.
Prallt nicht vor jedem Widerstand zurücke.
Gefahren sind für sie nur stärkre Reitze,
Die Kräfte zu verdoppeln. Halte mich
Nicht auf, Johanna! Alles kann sich noch
Zu deinem Vortheil ändern!

Geht ab.
SUFFOLK.
Wohin, zu edler Jüngling, willst du eilen?
Vergeblich suchst du Helden, die dir gleichen,
Vergeblich Freunde! – Ach! Der Unglücksel'ge
Hat keinen Freunde! Er mag sich selig preisen.
Wofern er noch statt Hülfe Mitleid findet!
Doch er ist weg.
LADY JOHANNA.
O Gott verlass ihn nicht!
4. Szene
Vierte Scene.
Suffolk. Lady Johanna.

SUFFOLK.
Ach! mein geliebtes Kind, wie darfs dein Vater wagen,
Sein Aug auf dich zu richten? Dich, vor kurzem
[254] Den Gegenstand, auf dem es mit so süsser
Befriedigung, und stiller Wonne ruhte!
Ach, selbst dein stummer Anblick klagt mich an!
Ich half dich elend machen!
LADY JOHANNA.
Theurer Vater!
Verschonet mich! Nur euer Leiden kann
Mich elend machen! Dieser Wechsel nicht!
SUFFOLK.
Wo war mein Geist? Wo waren meine Sinnen,
Als ich den eiteln Anschlag fassen half,
Von dem jetzt du und wir das Opfer werden?
O mein zu schwaches Herz! Wie konnten mir
Northumberlands ehrgeitzige Entwürfe
Verborgen bleiben! Wie bezauberten
Mich seine Künste! – Ach! sein Stolz allein,
Sein Stolz, jetzt seh ichs, ist die Quelle unser Jammers:
Zu spät sieht mein entnebelt Auge hell!
Es öffnet sich, doch nur des Abgrunds Tiefen
Zu sehn, in welche wir gestürzet sind. –
[255]
LADY JOHANNA.
Ich, theurer Lord, ich seh in unserm Schicksal
Auf die geheime Hand der Vorsicht nur.
Sie, sie regiert mit unbegrenzter Weisheit
Die Sfäre unsrer Thaten; lenket alles
Nach ihrem Plan, und schafft aus Bösem Gutes.
Mein Herz ist ruhiger, es klopft mit sanftern Schlägen,
Ich athme wieder frey, seitdem mein Schicksal
Entschieden ist – Die Vorsicht sey gelobet.
Auch wenn sie uns durch rauhe Wege führt!
Sie sind die kürzesten in eine bessre Welt.
SUFFOLK.
O! diese Tugend, die in solchem Glanze
Sich in der Prüfung zeigt, durchbohrt nur tiefer
Mein väterliches Herz! – O wärst du nicht
Mein treuer Zeuge, der du die Gedanken
Der Geister siehst, dass meine Absicht rein war;
Dass nur der fromme Eifer, deine Kirche
Den Flammen zu entziehn, diess arme Land
Dem Untergang, – mein wankend Herz besiegte:
O! stützte dieses tröstende Bewusstseyn
[256] Nicht meinen Muth – Doch hier kommt deine Mutter,
Johanna! – Wie viel Unglückselige
Hat dieser Tag gemacht! –

Er geht ab.
5. Szene
Fünfte Scene.
Lady Johanna. Lady Suffolk.

LADY SUFFOLK.
Verwünscht sey mein fataler Rath! Verwünscht
Die Zunge, die zu deinem Untergang
So wortreich war! – Johanna! – Ach! mein Kind!
Mir bricht mein Herz –
LADY JOHANNA.
Geliebte theure Mutter –
LADY SUFFOLK.
O! nenne mich mit diesem süssen Nahmen,
Der einst mein Stolz war, nicht! Ich bins nicht würdig –
[257]
LADY JOHANNA.
Nur diess, nur was ihr leidet ängstigt mich!
Wenn ihr nicht elend seyd, so bin ich ruhig.
O! quält mich nicht, die Vorwürf anzuhören,
Die ihr euch selber macht. Ihr wäret schuldlos!
Aus Mitleid gegen mich besänftigt euern Schmerz,
Der mir das Herz zerreisst –
LADY SUFFOLK.
O Himmel, fielen alle deine Blitze
Auf mich allein! – Könnt ich mit meinem Leben
Den holden, Liebling meines Herzens retten!
Dann, dann, Johanna, würde deine Mutter
Sich glücklich halten. –
LADY JOHANNA.
Mutter! mildre deine Zärtlichkeit;
Sie tödtet mich! So ist denn gar kein Weg
Zu unsrer Rettung übrig?
LADY SUFFOLK.
Keiner!
Ach! Keiner! Alles, alles ist verloren.
Ich sah Northumberland in Fesseln, hörte
[258] Des Volkes Hohngelächter, ihn so niedrig,
So klein zu sehn. Sie nannten ihn mit Flüchen
Verräther, Feind, des Vaterlandes, Mörder
Des ehrfurchtswerthen Vormunds unsers Edwards,
Des frommen Sommersets. – Indess hat Sussex schon
Mit seinen Kriegern sich der Stadt bemeistert.
Maria hat den alten Gardiner,
Den Wüthrich, der von außen ein Johannes,
Von innen wilder als Herodes ist,
Voraus geschickt; er führt das grosse Siegel
Des Reichs, und donnert allenthalben schon
Befehle, die nur Jammer profezeien.
LADY JOHANNA.
So fahret wohl, ihr goldnen Hoffnungen
Von Glück und Seligkeit auf dieser Erde!
Mein Vaterland, und du, du kleine Schar
Der Redlichen, der Lehrer und Bekenner
Des Evangeliums! – Euch wird der Himmel retten!
Ja, unsichtbare Macht, die du allgegenwärtig
Die Sfären lenkst, und alles siehst und ordnest;
Du sahst, was meinen tiefen Abscheu brach,
Den aufgedrungnen Scepter anzunehmen.
[259] Schau, jetzt, ich beuge dankvoll meine Knie,
Dass du dein Amt aus meinen schwachen Händen
Zurücke nimmst! Dein ists, die Menschen, die du schufst,
Die Kirche, die du pflanztest, zu erhalten! –
Du wirst es thun! – An mir geschah dein Wille!
6. Szene
Sechste Scene.
Die Vorigen. Guilford.

GUILFORD.
Verwünscht sey diese ungeheure Welt,
Und das Gezücht von Schlangen und Harpyen,
Das sie bewohnt! – Wie? – Sind diess Menschen? – Nein!
Des Abgrunds Rachen hat euch ausgespien,
Verräther! Euer schwarzer Hauch vergiftet
Die milde Luft! – O Sonne, kannst du noch
Dein heilig Licht zu solchen Greueln leihen!
Wie tobt mein feurig Blut! –
LADY JOHANNA.
Mein Guilford!
Was ists?
[260]
LADY SUFFOLK.
Was kann noch ärgers auf uns warten,
Als was wir wissen?
GUILFORD.
Alle diese Freunde,
Johanna, die mit falscher Zunge dir
Vor wenig Stunden noch ihr Leben weihten,
Die schmeichlerische Brut der Höflinge,
Die kaum vor uns ihr schändlich Knie noch beugten,
Und selbst – o Scheusal! – deine Räthe selbst.
Die kaum mit aufgehobnen Händen schwuren,
Dir, dem Gesetz und unserm heil'gen Glauben
Getreu zu bleiben, alle sind Verräther,
Verdammte Heuchler! – Pembrok,– ach! mein Freund,
Mein Pembrok selbst, – von Gardiner betrogen,
Fiel zu Marien ab!
LADY JOHANNA.
Und kannst du, Guilford,
Mir einen Zeitlauf nennen, da die Menschen
Nicht so geartet waren? Glaube mir,
[261] Die schöne Tugend hat zwar viele Schmeichler
Doch wenig treue Freunde! Glück, und Macht,
Und Pomp und Glanz, wenn diese das Gefolge
Der Tugend sind, dann findet sie Verehrer;
Doch fallen diese von ihr ab,
So flieht der Heuchler Schwarm, vergöttert jetzt
Mit gleicher Falschheit das gekrönte Laster,
Und du, o nackte Tugend, bleibst allein.
LADY SUFFOLK.
Den Schmerz, der meine Brust zerreisst,
Hat keine Mutter noch gefühlt! – Mein Mund
Versagt mir Klagen, meine Qual zu lindern,
Meine Auge Thränen.
LADY JOHANNA.
Warum kann ich doch
Die Einzige nicht seyn, die leidet? – Ach! Mein Schicksal
Liegt hart auf mir! – Ich bin dazu verurtheilt,
Die Freude aller, die Natur und Freundschaft
Mir theuer macht, in Jammer zu verkehren.
Doch murre nicht, mein Herz! – Die Leiden, die der Himmel
Uns schickt, sind heilsamer als selbstgewählte Freuden.
[262]
GUILFORD.
Gott! welche schreckliche Verwandlung!
Wo bin ich? – Bin ich Guilford? – Bin ich der,
Der noch vor wenig Stunden, kaum die Engel
Beglückter hielt als sich? – War's nur ein Traum
Als lauter Wonne lauter Hoffnung mich
Umlächelte? – Wozu erwach ich jetzt?
Zu welcher dunkeln grauenvollen Aussicht
In Jammer ohne Mass! – Ein Augenblick
Hat rings um mich die Welt in eine Hölle
Verwandelt! Die ich Menschen glaubte.
Sind Furien und Schreckgespenster worden!
O! dieses blaue himmlische Gewölbe,
Der Thron des Tages, ist ein schwarzer Kerker
In meinen Augen! Diese Frühlingsluft,
Der Blumen reinster Athem, haucht mir Gift!
Mich dünkt, ich steh allein, auf den Ruinen
Der eingesunknen Welt, von todten Schatten
Und Schrecknissen umringt. –
LADY SUFFOLK.
Welch ein Getümmel.
Wer kommt? – O weh uns! Gardiner!
Er ist es selbst. –
7. Szene
[263] Siebente Scene.
Die Vorigen. Bischoff Gardiner. Ein Officier und Soldaten.

GARDINER.
Mit Recht erschreckt euch meine Gegenwart,
Ihr doppelten Verräther, gegen Gott
Und eure Königin! Empfindet jetzt
Der Rache schweren Arm! Die Häupter der Verschwörung,
Northumberland und Suffolk sind in Fesseln!
Maria herrscht. Ihr heiliger Befehl
Spricht jetzt durch meinen Mund! – Man führe schleunig
Dem Tower sie zu! –

Zum Officier.

Mein Herr! euch ist die Sorge
Für die Gefangnen von der Königin
Vertrauet. Euer Leben wird für sie
Die Bürgschaft seyn.

Zu den Soldaten.

Thut eure Pflicht! was zaudert ihr?
LADY SUFFOLK.
Unmenschlicher! – Ach, warum nimmt mein Elend
Mir nicht die Sinnen ganz? –
[264]
GUILFORD.
Zurück, Verruchte!
Erkühnt euch nicht – Ha! Tod und Hölle sey
Dem Ungeheuer, dessen wilde Faust –
GARDINER.
Sinnloser Jüngling! Diese eitle Wuth
Wird weder sie noch dick erretten.
Ergreifet ihn, und diess bethörte Mädchen,
Das, von Geburt bestimmt, die Schleppe
Des königlichen Schmucks Marien nachzutragen,
Sich würdig glaubte, ihren Thron zu füllen.
GUILFORD.
Zertheilt euch Wolken, – Schau empor, Tyrann,
Sieh, wie die Engel über diesen Anblick weinen!

4. Akt

1. Szene
Erste Scene.
Guilford. Lady Johanna.

GUILFORD.
Du schweigst, Johanna! hörest meinen Klagen
Verstummend zu, und ernste Stille ruht
In deinem Blick; nicht Eine Thräne schleicht
Von deinen schönen Wangen. Fühlst du denn
Dein eignes Elend nicht? Du, deren Herz
So schnellt so zärtlich fremde Leiden fühlet!
Wie weintest du auf Edwards Leiche tun?
Und jetzt, da dich ein eisernes Geschick
[266] Vom kaum bestiegnen Thron in diesen Abgrund
Von Jammer stürzt; da dein betäubtes Ohr
Noch von dem Siegsgeschrey der Feinde widerhallt,
Da ihre Wuth nach deinem Leben schnaubt,
Und dieser Pöbel selbst, der kürzlich dich gesegnet,
Mit Flüchen jetzt dein Todesurtheil spricht
Da jedes nähernde Geräusch vielleicht
Der Fusstritt eines Todesboten ist,
Herrscht Seelenruh, und unbewölkte Stille
In deiner Brust, ergiesst sich sichtbarlich
Durch dein Gesicht, und bindet deine Zunge.
LADY JOHANNA.
O Guilford! glaube nicht, ich fühle minder
Als du, den ganzen Umfang unsers Jammers.
Wie könnt ich alles, was mir theuer ist,
Den besten Vater, und die zärtlichste
Der Mütter, wie dich selbst, mein Guilford, dich!
Unglücklich sehn und unempfindlich bleiben?
O! was ich fühle – Aber soll ich noch
Durch Bilder meiner Pein dein Elend häufen?
Mein Mund ist stumm, mein Auge leer an Thränen;
Doch hier, hier, Guilford, bebt von nahmenlosen Leiden
Die bange Seel' und ächzt zum Himmel auf!
[267]
GUILFORD.
Durch diese düstre schreckenvolle Nacht,
Die uns so schnell den schönsten Tag entzog,
Durch dieses Kerkers Todesschatten selbst,
Dringt noch ein Strahl von Hoffnung in mein Herz.
Du wirst nicht sterben, göttliche Johanna!
Nein, nein, der Himmel, der so liebenswürdig,
So würdig der Unsterblichkeit dich schuf,
Erschuf dich nicht, um in der ersten Blüthe
Zerstört zu werden! Nein! Er sandte nicht
So viel Vortrefflichkeit in dir herab,
Der Welt so schnell sich wieder zu entziehen –
Du wirst noch leben, und den Menschen lange
Der schönsten Tugend schönstes Urbild seyn!
Und ich? In deinem Arm ist mir das Leben
Ein Paradies, und selbst der Tod willkommen!
LADY JOHANNA.
Wie gerne wünscht' ich deinen Hoffnungen
Des Himmels Beyfall. Aber – ach! Geliebter,
Du schmeichelst dir zu viel. Die Zeit der süssen Träume,
Der unschuldsvollen reitzenden Bezaubrung
Der jugendlichen Liebe ist vorbey!
[268] Die Hoffnung, die dir lächelt, ist ein Traum,
Ein eitler Traum, womit dein liebend Herz
Sich selber täuscht. Die Erde lädt uns nichts
Zu hoffen übrig. Komm, mein theurer Guilford,
Die Zeit erfordert ernstere Gedanken;
Nichts bleibt uns übrig, als uns zu gewöhnen,
Den Untergang der reizendsten Entwürfe
Von Glück und Liebe, jede süsse Hoffnung
Im Keim erstickt, des Lebens beste Freuden
Zerstört zu sehn! – Des Elends bangsten Scenen,
Und allem, was die menschliche Natur
Mit Angst erfüllt, was uns in jeder Ader
Das Blut erstarren, jede Nerve zucken macht,
Mit unbewegtem Auge ins Gesicht zu schauen,
Diess, Guilford, ists, was wir jetzt lernen müssen!
GUILFORD.
O sage mir, du Heldin, sage mir,
Welch eine Kraft erhöht dein sanftes Herz;
Zu dieser wundervollen Grösse?
LADY JOHANNA.
Der Glaube, Guilford, den die göttliche Religion
In unsrer Brust entzündt; das grosse Beyspiel,
[269] Das unser Meister gab; die frohe Zukunft,
Die er versprach; o diese helle Aussicht
In jene grenzenlosen Seligkeiten,
In Freuden, die kein Schmerz verbittert,
Kein Ende kürzt: Diess unterstützt den Muth
Der redlichen sich selbst bewussten Unschuld;
Diess macht den Märtyrer der Flammen lächeln,
Und hebt die Seele, (ob der Leib von Staube
Sie gleich noch fesselt,) über jede Schwachheit
Der irdischen Natur empor.
GUILFORD.
O! Du, vom Himmel mir zum Genius
Geschenkt, du sichtbars Ebenbild der Tugend,
Wie mächtig fühl' ich diesen Augenblick
Die Stärke deines Beyspiels! – Welch ein Muth
Ergiesst aus deinem seelenvollen Auge
Sich in mein Herz, und schwellet meine Triebe!
O Tugend, o Religion der Christen,
Wie schön seyd ihr! Zu welcher Engelsgrösse
Erhebet ihr den Sohn des Staubs, den Menschen!
Wie fühl ich eure Schönheit! Wie entflieht
Vor euerm Glanz der Kummer und die Klage –
[270]
LADY JOHANNA.
Mein Guilford, hörst du nichts? Mir war, ich hörte
Von fern die Stimme meines Vaters! – ach!
Wie kann die kranke Fantasie sich täuschen! Ist er nicht
In Fesseln? – Himmel! welch ein Wunder!
Er ist es selbst!
2. Szene
Zweite Scene.
Der Herzog von Suffolk. Die Vorigen.

LADY JOHANNA.
O theurer Vater!
Sprich, welch ein Engel hat dich aus dem Kerker
Zu uns geführt?
SUFFOLK.
Die Vorsicht, die dich liebt
Die Schützerin der Unschuld, meine Tochter!
Die führet mich zu dir. Sie brach die Fesseln,
[271] Schloss meinen Kerker auf, und brachte mich zu dir.
Ein Strahl vom Himmel hat Mariens Herz
Für uns gerührt. Sie schenkte mir die Freyheit.
Und ein Gerüchte, welches mein Begegniss
Glaubwürdig macht, verspricht mir, meine Kinder,
Euch bald aus diesen grauenvollen Mauern
Erlöst zu sehn. Nur diese Hoffnung macht
Mir meine Freyheit werth.
GUILFORD.
Was sagt mein theurer Vater?
O Suffolk! Ehrenvoller Greis! Dein Antlitz
Ist meinem Blick das Antlitz eines Engels!
O Wunder! Darf ichs glauben? oder öffnet sich
Mein Herz zu schnell dem ungewissen Schimmer
Des bessern Glücks? – Ja, Vorsicht, uns geziemt
Von deiner Güte stets das Beste zu erwarten.
SUFFOLK.
Ich hörte, Gardiner, der alte Bischoff
Von Winchester; sey von der Königin
Zu dir geschickt, Johanna, ihren Willen
Dir anzukünden –
[272]
JOHANNA.
Was seit Edwards Tode mir
Begegnet ist, füllt meine Seele
Mit Zweifel, Furcht und innerlicher Ahnung;
Der Himmel hat zu neuen Prüfungen
Vielleicht mich ausersehn, von ihm allein,
Erwart ich Kraft, die Probe wohl zu halten!
GUILFORD.
Lass, Theureste, lass deines Vaters Freyheit,
Diess unverhoffte Wunder jener Macht,
Die unsichtbar den Lauf der Dinge lenket,
Lass dieses mindstens dein zu ängstlich Herz
Mit frohern Ahnungen erheitern.
Noch können wir, Johanna, glücklich werden.
Noch kann mich deine Liebe glücklicher,
Als der Besitz von tausend Kronen machen.
Ja! Himmel! Sende nur mein ruhmlos Leben
In dunkle Niedrigkeit; bestimme mich,
Nach harter Arbeit mit beschwitzten Händen
Mein Brot zu essen – lass mir diese nur,
Die beste Gabe, die ich von dir bitten,
Und deine Güte mir gewähren konnte!
An ihrer Seite wird mein frohes Leben
Auch in der ärmsten Hütte paradiesisch.
[273] So wie des ersten neuerschaffen Paares
In Edens schöner Einsamkeit, verfliessen!
SUFFOLK.
Ach Guilford! Ach Johanna! Wenn ich euch,
Mit dieser schnellen Wiederkehr von Hoffnung
Nur nicht zu früh geschmeichelt habe! –
Ein Rückfall wäre tödtlich – Aber hier
Ist Gardiner bereits –
3. Szene
Dritte Scene.
Gardiner. Die Vorigen.

GARDINER.
Ich komme nicht Prinzessin, deine Wunden
Noch durch Verweise tiefer, aufzureissen.
Du strebtest lüstern nach versagten Höhen:
Dein Fall ist deine Strafe! – Doch Maria,
Nach deren Krone du die kühne Hand
Verräthrisch ausgestreckt. Sie, welcher die Geburt
Ein unverletzlich Recht zum Zepter gab,
Will jetzt durch Proben ihrer Grossmuth zeigen,
Dass eine königliche Seele
Das reinste Blut von Yorks und Lankasters
[274] Vereintem Stamm in ihrer Brust belebt.
Sie will durch ihre Tugenden allein
Sich würdiger als du des Trones zeigen.
Sie giebt dein Leben, Lady, deine Freyheit,
Dein Glück und Ihre Huld in deine Macht.
Du strebtest frevelhaft nach ihrem Throne;
Sie schenkt dir mehr als einen Thron, – das Leben!
JOHANNA.
Ihr würdet, Mylord, diese hohe Sprache
Nicht mit mir reden, wenn des Glückes Gunst
Mich an Mariens, Sie an meine Stelle
Gesetzet hätte! – Doch ich spreche mich
Von meiner Schuld nicht frey; ich fordre keine Gnade.
Brittanniens Gesetz verdammet mich.
Hier bin ich! willig, seine Heiligkeit
Mit meinem Blute zu versöhnen!
Mir ist genug, dass über uns im Himmel
Ein Richter ist, der mich nach meinem Herzen richtet!
SUFFOLK.
Ach! Meine Tochter! Dieser edle Stolz
Der sich bewussten Tugend ist zwar schön,
[275] Ist deiner werth – allein, bedenke, dass die Rede
Von deinem Leben ist – ach! Denk an deine Mutter,
– An Guilford, – denk an deinen alten Vater!
Komm, folge, wirf mit uns dick zu den Füssen
Der Königin –
GARDINER.
Sie will den Anfang ihrer Herrschaft
Mit Wohlthun machen. Deine zarte Jugend,
Prinzessin, deine Schönheit, die Verdienste,
Die ein gerechter allgemeiner Ruhm
An dir bewundert, schmelzen ihre Seele
Zu sanftem Mitleid. Auch in deinen Adern
Fliesst Ihr verwandtes, königliches Blut.
Die Königin, die itzo dir vergiebt,
Hofft ihrer Liebe dich einst werth zu finden.
Dein frühes Alter war zu unerfahren,
Northumberlands Entwürfe durchzuschauen,
Du wardst getäuschet, Lady! Dein Vergehen
Verdient Verzeihung! Diese edle Unschuld,
Die dein Gesicht umlächelt, spricht für dich!
Maria will sich nur durch Grossmuth rächen.
Lass keinen missverstandnen Stolz die Wirkung
Der königlichen Gnade dir entziehen.
[276] Die Fürstin will nicht, dass du für dein Leben
Ihr danken sollst! grossmüthig stellt sie es
In deine eigne Macht.
GUILFORD.
O lies in meinen Augen,
Johanna, was in diesem Augenblicke
Mein Herz dir sagt! – Ich finde keine Worte –
JOHANNA.
Wie kann mein Leben, Mylord, wie ihr sprecht,
In meiner Willkühr stehn? – Ich fasse noch
Den Sinn der räthselhaften Worte nicht.
GARDINER.
So höre dann. Die erste grosse Sorge
Der frommen Königin, seit Edwards Tod
Sie auf den väterlichen Thron erhoben,
Ist, ihr verirrtes, ihr betrognes Volk
Dem mütterlichen Schooss der alten Kirche
Zurück zu geben. Sie erkennt anbetend
Den Finger Gottes in der plötzlichen Verändrung
Des Zustands unsers Reichs. – Der junge Fürst,
Der als ein Säugling mit der Muttermilch
Des Irrthums tödtlich Gift schon eingesogen,
[277] Den Cranmers täuschende Beredtsamkeit
Und graues Ansehn und verstellte Heiligkeit –
LADY JOHANNA
für sich.
O Gott! Gieb mir Geduld! – Was muss mein Ohr erdulden!
GARDINER
fortfahrend.
Noch tiefer in den Labyrinth verstrickte,
Der in den Abgrund führt – ach! Dieser Edward,
Hat, einem Raubthier gleich, die Kirche Gottes
Durchwählt, beraubt, zerstört. Die stillen Wohnungen
Der Gottgeweihten, die der Welt entsagen,
Sind eingestürzt, die Priester ausgetrieben,
Die milden Stiftungen aus frömmern Zeiten,
Ein Raub der schnöden Üppigkeit des Höflings.
O Schand'! O Greuel! Ketzerische Füsse
Entweihen ungescheut die Heiligkeit des Altars!
Der Ketzerey, der frechen Lästrung Stimme
Hallt ungestraft in unsern Tempeln wieder,
Und täuscht das leichtbetrogne Volk! – So tief,
So tief war Albion, so nah zur Hölle
Hinab gesunken: als die Hand des Gottes,
Der seine Kirch' auf einen Felsen gründete,
[278] Den auch der Hölle Wüthen nicht erschüttert,
Durch einen schnellen unverhoften Schlag
Den Feind des Glaubens plötzlich weggerafft!
Maria herrscht! Die Gottesfurcht bestieg
Mit ihr den Thron. Ein heilger Eifer flammt
In ihrer frommen Brust, von allen Greueln
Diess, Land zu säubern, und die Last des Fluches
Von ihrem armen Volke abzuwälzen.
Sind sanft're Heilungsmittel ohne Frucht,
So mag Brittannien durchs Feu'r gereinigt werden!
Die Häresie, die schon ihr Schlangenhaupt dem Himmel
Entgegen thürmt, muss ausgerottet seyn!
Marien grau't, auf einem Thron zu sitzen,
Den noch der Bannstral schwärzt, in einem Reich zu herrschen,
Das mit dem Himmel noch nicht ausgesöhnt ist.
Sie eilt, den racheschwangern Blitzen
Des Donnergottes noch zuvor zu kommen!
Doch soll die Sanftrauth alle ihre Künste
Zuerst versuchen, eh der Eifer sich
Mit Strenge waffnet. Den Verführern nur
Dräut sein gezücktes Schwert. Doch die Verführten,
Die ihre Einfallt oder ihr Geschlecht
Und zartes Alter schützt, soll Reu und Wiederkehr
[279] Mit Gott und mit der Kirche auszusöhnen
Genugsam seyn! – Du hast es nun gehört,
Prinzessin, was von dir erwartet wird!
Dein Beyspiel ist es, – welches Tausende
Verirrter nach sich ziehen, und mit dir
Zugleich erretten wird! Dein Beyspiel fordert
Die Königin, und deine Wiederkehr
Die Kirche! Schau, sie streckt voll Zärtlichkeit
Die Arme nach dir aus, sie öffnet lockend
Dir ihren mütterlichen Busen! Schau, ich selbst
Ernied're mich, Verweis' und Dräuungen
In Bitten zu verwandeln! – Mitleid,
Und ungewohnte Regungen erweichen
Mein Herz für dich! – Bedenke dich, Prinzessin!
Dein Heil, dein Leben schwebt auf deinen Lippen!
JOHANNA.
Und denkt ihr, Mylord, dass des Todes Anblick
So schrecklich sey? –
GARDINER.
Mich dünkt, Prinzessin,
Wem zwischen Leben oder Tod die Wahl
Gelassen ist, der sollte wenig Zeit
Sich zu entschliessen brauchen.
[280]
JOHANNA.
Meine Wahl
Ist schon getroffen! – Dank in meinem Namen
Der Königin für eine Huld, die mir
Zu theuer angeboten wird – Das Leben,
Wornach ich dürste, kann der Tod nur geben.
– Ich sollte Gott, ich sollte Dich verläugnen,
Dich, mein Erlöser! Und dein Evangelium,
Die Wahrheit, die du selbst mit deinem Blut versiegelt!
Dir, und der heiligen Gemeine
Der Auserwählten, die in frommer Demuth
Dir folgen – sollt ich untreu werden?
O Schande! – Und warum? Ein Leben zu verlängern,
Worin ich fern von deinem Anblick schmachte?
Verschonet meiner, Mylord! – Treibet nicht
Die müdgemarterte Geduld zum Murren!
Verschont mein Ohr, Versuchungen zu hören,
Wovon der blosse Schall mir Greuel ist!
GARDINER.
Was hör ich? Wie? Ist das die Dankbarkeit,
Womit das Übermass der königlichen Grossmuth
Empfangen wird? Ist das die Antwort, Lady,
[281] Die ich der Königin von deinen stolzen Lippen
Zurücke bringen soll? –
JOHANNA.
Auf euern Antrag
Ist keine andre möglich! – Saget mir,
Mein liebster Vater, sage mir, mein Guilford,
Ist eine andre möglich? –
GUILFORD.
Ach Johanna!
Wie sehnlich wünscht' ich –
JOHANNA.
Still! Mein Guilford! Lass mich
Nichts weiter hören! – Mylord! Mein Entschluss
Befremdet euch? – Ihr kennt mein Herz nicht! Nie,
Nie fühlt ich nur das mindeste Verlangen
Nach Macht und Purpur! Edwards Tod
Erweckt' in mir nur brennende Begierden
Ihm nachzufolgen, und bey dem zu seyn,
Den meine Seele liebt! – Der Himmel weiss,
Was wider meine Neigung, die sich stets
Dagegen sträubte, mich bewogen hat
[282] Den Schritt zu thun, der durch die weise Leitung
Der Vorsicht, nun zum Ziele meiner Hoffnung
Mich bringen wird! – Ich wollte das vollenden,
Was Edward angefangen. Doch der Schluss
Des unerforschten Schicksals hält den Fortgang
Des grossen Werks noch auf. Maria herrscht!
Der Aberglaube sitzt an ihrer Seite,
Ihr sanftres Herz mit fremder Grausamkeit,
Und einem Eifer, der den Gott der Liebe
Mit Menschenblut versöhnen will, zu füllen.
Was soll mir nun das Leben? Soll ich mich
Durch Übelthaten zu dem bangen Anblick
Der schreckenvollen Scenen aufbehalten,
Die eu're heilge Wuth mir angekündigt?
O Nein! gesegnet sey der Tod! der Führer
In eine besre Welt! Gesegnet sey
Der Mund, der ihn mir angekündigt hat!
GARDINER.
Du triumfierst, zu früh, Verkehrte! Wenn dich ja
Die Lust zu sterben so ergriffen hat,
So stirb! Doch wisse! Deines alten Vaters
Und Guilfords Leben sind an dein's gebunden!
Dein Tod ist ihrer! – Sieh! Ich biete dir noch einmahl
[283] Den Schooss der Kirche und dein Leben an!
Sprich nein, so sprichst du dir und deinem Vater
Und deinem Bräutigam das Todesurtheil!
Bedenke dich!

Er geht ab.
4. Szene
Vierte Scene.
JOHANNA.
O Guilford! O mein Vater!
O welche Prüfung! – Ach! – Gerechter Himmel!
Sind diese stillen Seufzer, die ich unablässig
Für Sie zu dir geschickt, ach! sind sie alle
Vergeblich, unerhört? – O! Der du mir
Das Leben gabst, o du, mit dem ich es
Zu theilen hoffte, euer Leben ist
Unendlich kostbarer als meines! Könnt ich es
Mit meinem Blut, erkaufen, o wie wollt ich
Mich glücklich preisen! – Meine Seele nur,
Nur mein unsterblich Theil ist mir noch theurer
Als euer Leben! – Nein! Ihr fordert nicht,
Erwartet nicht, dass ich –
SUFFOLK.
O Tochter, deine Tugend,
Dein Werth entzückt und ängstigt mich zugleich!
[284] Du zwingest mich, den bangen Mund zu öffnen,
Der lieber, gleich dem Marmorbild der Trauer
Auf einem Grabmahl, ewiglich verstummte!
Ach mein geliebtes Kind! Sieh, ich bin alt,
Das schwache Leben, das mir die Natur
Noch Stundenweise vorgezählet hätte,
Hat keinen Reitz als dich! Das Beil kann mir
Nur wenig Tage rauben. Ach Johanna!
Für dich, für dich allein zerfliest mein Auge
In väterlichen Zähren – Du sollst sterben? –
Du, Liebling meiner Seele, sollst du sterben?
Gewaltsam, vor der Zeit, im Frühling deiner Jahre
Vernichtet worden? – O mein Kind, die Qualen,
Womit der schwarze schreckliche Gedanke
Mein Herz zerreisst, kann nur dein Vater fühlen.
Vor kurzem priesen mich noch alle Lippen
Den glücklichsten der Väter, und ich war's!
Ach! dacht ich jemahls, wenn dich meine Arme
Umschlossen hielten; wenn mein thränend Auge
Mit stummem Dank von dir zum Himmel aufsah,
Konnt ich es denken, dass dein Elend einst
Den Wunsch aus meiner Seele zwingen würde,
Dass, – ach! – Der süsse Vaternahme mich
Aus deinem Munde nie entzücket hätte!
[285]
GUILFORD.
Vergieb dem Übermass der unaussprechlichen
Gedrängten Schmerzen, die mein Herz bestürmen,
Mein Herz, das einzig dich zu lieben, athmet!
Du solltest sterben? Schönste Zier der Schöpfung!
Die kalte Hand des ungerechten Todes
Soll vor der Zeit dich pflücken! – Diese Augen,
Wo in der Farbe des entwölkten Himmels
Der schönste Geist sich spiegelt, sollen sich
Auf ewig schliessen! Diese keuschen Wangen,
So blühend, wie die Rosen, die am Haupte
Der Engel duften, soll der Tod entfärben!
Ach! dieser holde Mund sich nimmer wieder
Zu Reden öffnen, die mir süsser sind
Als Sterbenden – Johanna! Höre mich!
Wo wendest du dein himmlisch Auge hin? –
JOHANNA.
O Guilford, Guilford!
Sind das die edeln muthigen Gedanken,
Womit der Christ sich zu der letzten Grösse
Im Tod erhebt? – Vergiss mich, oder liebe
Mich so, wie einer dessen reine Seele
Sich jetzt entkörpern soll! – Mein Vater, mein Gemahl!
[286] Der Tod ist nicht, wie sich der Aberglaube,
Nicht wie die Seelen, die zu tief im Schlamme
Der Sinnlichkeit versunken sind, nicht wie
Des Lasters bebendes Gewissen
Ihn mahlt! Er ist ein Übergang ins Leben!
Nur tun zu sterben wurden wir geboren!
Er raubt uns nichts als unsre Sterblichkeit,
Die Quelle unsrer Leiden! – Lasst uns sterben!
Was kann der Christ, der Tugendhafte sich
Und denen, die er liebet, bessers wünschen,
Als schön zu sterben?
SUFFOLK.
Jetzt, mein theures Kind,
Bereite dich zum letzten Streich des Unglücks!
Sieh! deine Mutter kommt.
5. Szene
Fünfte Scene.
Lady Suffolk. Die Vorigen.

LADY JOHANNA
gen Himmel schauend.
O stärke mich! –
[287]
LADY SUFFOLK.
Ich lag und weint', und flehte zu den Füssen
Der Königin, als Gardiner hereintrat,
Und deine Antwort brachte! – O mein Kind,
Mein theures Kind! Wie donnerten die Worte
Von seinem Mund in mein erstarrtes Herz! –
Und willst du sterben? – Aber – ach! Bedenke,
Dass mein Verhängniss mir den Trost versagt,
Mit dir zu sterben! – Ach! die grausame Maria
Zwingt mich zum Leben! Himmel! Welch ein Leben,
Wenn Du, wenn Guilford, wenn dein Vater, alle
Rings um mich her gefallen sind! – Johanna,
Schau her! O wende deine holden Blicke
Auf deine Mutter! Kannst du die, die dich
Mit Schmerz gebar, die dich in ihren Armen,
An ihrer Brust erzog, die dich den Stolz,
Die Wonne ihres frohen Lebens nannte,
O! Kannst du, kannst du sie so elend machen?
Sieh mich zu deinen Füssen! Lass mich nicht
Vergebens flehn! Erbarme dich, Johanna,
Der unglückseligsten der Mütter! – Lebe!
Ach! lebe, dass ich nicht das Licht verfluchen müsse –
[288]
LADY JOHANNA.
O meine Mutter! – O das ist zu viel!
Mein Herz erliegt im innerlichen Kampfe –
Es bricht –

Sie sinkt beinahe ohnmächtig in ihrer Mutter Arme, und wird auf einen Lehnstuhl gebracht.
LADY SUFFOLK.
O Gott! Sie stirbt, sie stirbt! O Engelsseele!
Verweile noch –
SUFFOLK.
Du siehest Ihren Kampf!
Die folgt der Lehre, die ihr Meister gab,
Und liebt nur Gott noch mehr als Eltern und Gemahl.
Ach! Könnte sie, ihr – zärtlichs frommes Herz
Verzöge keinen Augenblick, uns alle
Durch ein erfreuend Ja aufs neue zu beleben!
O flieh, Geliebte! deine Gegenwart
Erschöpfet nur den schwachen Rest vom Leben,
Der noch in ihren Aderen glimmt.
LADY SUFFOLK.
Ich gehe,
Die Königin um meinen Tod zu flehen.
6. Szene
[289] Sechste Scene.
Die Vorigen.

GUILFORD.
– Johanna! Engel! Welchen noch
Auf kurze Zeit die Sichtbarkeit umschleyert,
Hörst du mich nicht? Eröffne deine Augen!
Sie strahlen eine Kraft in meine Seele,
Die mich zu dir erhebt –
SUFFOLK.
Sie lebet wieder auf,
Die Farbe kommt den bleichen Rippen wieder,
Sie schaut umher –
LADY JOHANNA.
Wo ist sie? Wo ist meine Mutter?
SUFFOLK.
Sie ging hinweg, den Himmel im Verborgnen
Um Trost zu flehn.
LADY JOHANNA.
Sie wird ihn auch erhalten!
7. Szene
[290] Siebente Scene.
Gardiner. Die Vorigen.

GARDINER.
Dein Vater, Guilford, dieser einst so stolze
Gefürchtete Tyrann, Northumberland,
Ist nicht mehr! –
GUILFORD.
Himmel! Jeder Augenblick
In dieser schwarzen Stunde ist
Ein neuer Ruf zum Tode!
GARDINER.
Die Gesetze,
Das Vaterland, Maria, und Ihr selbst,
Sind nun gerochen! Er verrieth sie alle!
Ja, Euch verrteth er! Er bekannte selbst
Vor seinem Ende, dass ein unbezähmter
Verruchter Stolz ihn zum Verräther
An Edward und Johanna Gray gemacht:
Dass, nicht der Eifer für den neuen Gottesdienst,
Nur die Begier mit deiner Hand, Johanna,
Den Königstab zu führen, ihn getrieben,
[291] Dem jungen Edward, als er mit dem Tode
Schon rang, den letzten ungerechten Willen
Doch abzuzwingen, der die Königin
Des Rechts, das ihr der Himmel gab, beraubte.
Voll Seelenangst verflucht' er seine Ränke,
Und sein Verbrechen, dessen Schlangenbisse
Ihm nicht erlaubten, wie ein Held zu sterben.
Und dennoch hinterliess er euch ein Beyspiel,
Das würdig ist, von euch befolgt zu werden.
Vor allem Volk entsagt' er mit Verwünschung
Dem neuen Glauben, und gestand voll Reue,
Dass nur der Eigennutz ihn wider sein Gewissen
Zu Edwards Zeit in Heucheley verlarvt!
Er starb versöhnt mit unsrer heil'gen Mutter,
Der Kirche –
GUILFORD.
Ha! Was hör ich? Zu verwegner Bischoff!
Kannst du so grausam seyn, und unser Elend
Noch durch Entehrung meines Vaters häufen?
Des Himmels Zorn vergelte dir –
GARDINER.
Halt ein
Zu rascher Jüngling! Was ich sage, hat
[292] Das ganze Volk gehört, von dessen Flüchen
Verfolgt, die Seele des Verbrechers angstvoll
Dem Leib entflog.
GUILFORD.
Lass ab! Lass ab, o Schicksal!
Mein blutend Herz steckt voll von deinen Pfeilen!
Komm, meine Freundin, siehe mich bereit
Mit dir zu sterben! O mir graut, mir ekelt
Vor diesem Leben! Meine Seele lechzt
Mit Ungeduld der Todesstund' entgegen:
Wie einer, den des Mittags strengste Glut
Auf dürrem Sand gesengt, nach einer Quelle lechzet.
Mein Vater! – Ach mein Vater! Muss ich noch
Im Tod erröthen, dass ich – Meine Seele schauert,
Den schrecklichen Gedanken auszudenken!
GARDINER.
Und ist nun, Lady, dein Entschluss gefasst?
Du hast dich zu bedenken nur
Noch wenig Augenblicke! – Soll ich dich
Von neuem Hehn, dein Leben nicht zu hassen?
Der Zorn der Königin ist durch die Strafe
Northumberlands versöhnt, und fordert weiter
[293] Kein Opfer mehr! Sey weise! Wirf dich eilig
In ihrer Grossmuth Arme –
LADY JOHANNA.
O! Wenn ihr anders meiner Noth nicht spottet,
So lasst mich kniend, Mylord, euer Mitleid
Für eine Unglückselige erbitten,
Die stets in Unschuld lebt', und keinen Menschen
Vor diesem schwarzen Tag beleidigt hat!
Lasst euch erweichen! Fleht die Königin,
Für Guilford und für meinen Vater, mich
Allein zum Opfer anzunehmen!
O Mylord! Auch ihr hattet einen Vater!
Erbarmt euch meiner! Lasst mich nicht die Schuld
An seinem Tod' mit in die Grube nehmen!
GARDINER.
Hartnäckiges, selbst unerbittlichs Weib,
Du flehst umsonst! – Sie sterben unvermeidlich
Wofern du nicht –
LADY JOHANNA.
O! So vergebet mir,
Mein Vater, mein Gemahl! Vergieb mir, theure Mutter,
[294] Und fluche nicht dem Tag, der mich gebar!
Ihr wisst, mit welcher heissen Zärtlichkeit
Ich euch geliebt – Doch unbegrenzte Liebe
Bin ich nur Gott, nur meinem Schöpfer schuldig! –
Lasst uns wie Christen sterben!
GARDINER.
Kerkermeister,
Soldaten! Auf! Herbey! Führt die Gefangnen
Hinweg! Sorgt, dass sie abgesondert
Verschlossen werden, und sich ohne meine
Bewilligung nicht sehn! – Und ihr, bereitet euch
Zum nahen Tode! –

Er geht ab.
8. Szene
Achte Scene.
Johanna. Suffolk. Guilford.

GUILFORD.
O Grausamkeit!
LADY JOHANNA.
Gott Lob! die Vorbereitung ist geschehn!
Ich lebte nur, um glücklich einst zu sterben!
[295]
SUFFOLK.
Und müssen wir denn scheiden, meine Tochter? –
GUILFORD.
Uns niemahls –
LADY JOHANNA.
Nein! uns bald in jener bessern Welt,
Dort unter jenen goldnen Sternen, wieder
Zu sehn, und zu umarmen, und voll Wonne,
Im himmlischen Triumf, aus unseres Gottes Hand
Die Siegeskrone zu empfangen!

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5. Akt

1. Szene
Erste Scene.
Lady Suffolk. Sidney.

LADY SUFFOLK.
Welch eine Nacht war das! O theure Sidney!
Da liebst Johannen auch, du warest ihrer Kindheit.
Gespielin, auch dein Herz zerfliesst in Wehmuth!
Urtheile nun, aus dem, was du empfindest,
Vom Leiden einer Mutter! Einst die glücklichste
Von allen, preis' ich die jetzt selig, welche nie
Ihr neugebornes Kind an ihren Busen drückte,
Nie von des Säuglings holden Lippen
Den süssen Mutternahmen lallen hörte!
[297] O Sidney! Was für eine Nacht war das!
Wie langsam schlichen, Schreckgespenstern gleich,
Die schwarzen Stunden neben mir vorüber!
Ich musste Sie verlassen. Meine Klagen,
Mein Ungestüm hätt' ihre sanfte Seele
Zu sehr verwundet. Ach! Ich musste sie
Verlassen – und, o Gott! in welcher Lage!
Nur diese Nacht, nur wenig Stunden trennten
Sie noch vom Tode! Wie zermarterten
Die grausamen Gedanken meine Seele!
Verzweifelnd, trostlos irrt ich in den Zimmern
Des einsamen Palasts umher, als wie
Von Furien gejagt – Ich klagt', ich schrie,
Ich winselte; dann schwieg ich halb entseelt,
Und sass verstummend da, und rang die müden Arme,
Und sah gen Himmel auf, und konnte nicht mehr weinen.
Bald wälzt ich mich im Staub, und flehte wimmernd
Der Engel Mitleid an; bald fordert' ich
Mit ungestüm vom Himmel Wunderwerke.
Dann, warf ich mich entkräftet von der Wuth
Der Schmerzen auf mein Lager, suchte Ruh,
Und seufzte, dass ich sie nicht finden konnte.
[298] Und da zuletzt der Schlummer sich mitleidig
Auf meine wunden Augenlieder senkte,
So störten Träume, – fürchterliche Träume,
Die kurze Ruhe – Doch was quäl' ich dich
Umsonst mit diesen Bildern – Sage mir,
O Sidney, sage mir, wie hat Johanna
Die Nacht durchlebt?
SIDNEY.
Wie eine, die den Tod
Für einen Engel hält, der sie ins bessre Leben
Hinüber tragen soll –
LADY SUFFOLK.
Solch eine Grösse wirkt in edeln Seelen
Der Christen Glaube! – Wie beschämt sie mich!
SIDNEY.
Zwar blieb ihr zärtlich Herz nicht immer in der gleichen
Erhabnen Fassung; nicht von sanften Klagen
Ihr Mund, ihr Auge nicht von Thränen leer!
Doch wars nur ihre Mutter, nur ihr Vater,
Nur Guilford, nur ihr Volk, um die sie klagte.
Als sie allein sich in dein Kerker sah,
[299] Den eine dunkle Lampe kaum ein wenig
Erheiterte, da sprach sie ernsthaft lächelnd:
O Sidney! Dieses Zimmer schickt sich besser
Zum Zustand meiner Seele, als die goldnen
Geschmückten Zimmer, die wir jüngst bewohnten.
Willkommen, Kerker! Und ihr schweren Fessel
Willkommen! Euch zu tragen, hat die Unschuld
Sich nie geschämt! – Jetzt sah sie schweigend nieder,
Und schien zu staunen. Endlich rief sie aus:
Und bin ich nun allein? – Wo ist mein Vater?
Wo ist mein Guilford? – Ach! Wie hart, wie grausam,
Im Tod uns noch zu trennen! – Doch Geduld!
Bald werden wir uns wieder sehn, um nimmer
Getrennt zu werden! – Da sie dieses sprach,
Fiel eine Thrän' aus ihren aufgehabnen
Stillheitern Augen. Lange schwieg sie drauf,
In himmlische Gedanken, wie es schien,
Vertieft, bis sie mich weinen sah. – Was weinst du,
Geliebte, sprach sie, weine nicht um mich!
Bald werd' ich glücklich seyn! Ihr, die ich hinter mir
Zurücke lasse, ihr verdienet mehr
Als ich beweint zu werden! Nur für euch
[300] Seufzt meine Seele! – Welche Prüfungen
Erwarten euch! Doch seyd getrost! der Himmel
Hat Allmacht, unsrer Schwäche Kraft zu geben.
In solchen Reden, deren süsser Ton
Mein Ohr noch jetzt umsäuselt, schlich
Sich eine Stunde nach der andern weg!
Zuletzt besuchte noch der letzte Schlummer
Den matten Leib. Sie lag und lächelte
Im sanften Schlaf, als schwebten himmlische Gesichte
Um ihren Geist –
LADY SUFFOLK.
O Sidney! Es ist Balsam
Für mein zerrissnes Herz in deiner rührenden
Erzählung – Mich verlangt, die Heilige zu sehen –
Sie ist es! Ja! Sie ist zu heilig, länger.
Die Tochter einer Sterblichen zu seyn!
Schläft sie noch, Sidney?
SIDNEY.
Sehet hier sie selbst!

Der mittlere Vorhang wird aufgezogen, und entdeckt das Gefängniss, worin sich Lady Johanna befindet.
2. Szene
[301] Zweyte Scene.
LADY JOHANNA
welche ihre Mutter noch nicht gewahr wird.
Der Tag bricht an, die Stunde nähert sich!
Zum letzten Mahl, o Sonne, sieht mein Auge
Dein süsses Licht! Bald wird mein Ohr die Stimme
Der Freundschaft nicht mehr hören, bald mein Mund
Zum letzten Mahl zu Segnungen sich öffnen! –
Und ist es denn gewiss? und werd' ich heute,
Von diesem Leib enthüllt, das wahre Leben
Der reinen Geister leben? Bin ich wirklich
Der Seligkeit so nah? – O meine Feinde!
Ihr liebet mich, da ihr mich hassen wollet!
Ihr wollt mich strafen, und ihr macht mich glücklich!
Ihr brecht den Kerker ab, worin
Mein königlicher Geist vielleicht noch lange
Nach seiner angebornen Freyheit
Geschmachet hätt'! – Empfanget meinen Segen
Für eure Wohltat!
[302]
LADY SUFFOLK.
sich nähernd.
Schönste aller Seelen,
Die je die Sterblichkeit umhüllte,
Wie viel verliert mit dir –
LADY JOHANNA.
Was hör ich? Welche Stimme?
O! Meine Mutter!
LADY SUFFOLK.
Theuerste Johanna!
O! Glänzte nicht aus deinem Auge schon
Der Engel, der sich bald enthüllen soll, hervor,
Wie könnt ich diesen Augenblick ertragen!
LADY JOHANNA.
Vortrefflichste der Mütter, möchtest du
In meine Seele blicken können!
Der Tod hat keine Bitterkeit für mich,
Als diese, dass er mich aus deinen Armen reisset.
LADY SUFFOLK.
Warum will mir Maria nicht erlauben,
Mit dir zu sterben? Ach! was zwingt man mich,
Diess ohne dich verhasste Licht noch länger
[303] Zu sehn? – Beweine mich, Johanna, wein'
Um deine Mutter, die ihr zürnend Schicksal
Dich überleben heisst. Was ist für mich das Leben?
Was soll mein Auge sehn? Was soll ich hören?
Du warst das liebste, was mein Auge sah;
Das süsseste, war je mein Ohr entzückte,
War deine Stimme. Jeder neue Anblick
Der blühenden Entfaltung deiner Jugend,
Gab mir die Freuden meiner Jugend wieder!
Ach! Wenn das Grab dich deckt, dann schmachtet nur
Die Hälfte noch von mir. Mit dir stirbt mein Vergnügen,
Mein Stolz, mein Ruhm! Was bleibt mir übrig,
Als jeden Abend, jeden dunkeln Morgen,
Dein Grab mit meinen Thränen zu begiessen!
Und wenn mein Arm den kalten Grund umfassen,
Wo deine Asche ruht –
LADY JOHANNA.
O theure Mutter!
Erweiche nicht mein zärtlich Herz zu sehr!
Erinnre mich an nichts, was meine Lust
Zum Sterben hemmen könnt'! – Ich bin dem Tode
[304] Geheiligt! – Zwinge nicht in dieser Feyerstunde
Noch einen Seufzer, – der mein Herz entweihte,
Aus meiner Brust! –
SIDNEY.
O Himmel! – theurste Lady!
Dein Guilford kommt!
3. Szene
Dritte Scene.
Die Vorigen. Guilford

LADY JOHANNA.
Ists möglich? Bin ich noch
So glücklich, eh ich sterbe, dich zu sehen!
Mein Guilford! welch ein Trost für mich.
In deinen Mienen diese stille Grösse
Und Seelenruh zu sehn?
GUILFORD.
Wen würde nicht dein Beyspiel,
Du Göttliche, dir nachzueifern, reitzen?
Du, Freundin! lehrtest mich, im Frühling meines Lebens
[305] Dem Tode kühn ins Angesicht zu schauen!
Du wecktest meine Seele zum Gefühl,
Der Würde, die ihr Ursprung und ihr Ziel
Ihr geben soll! – Ich seh vor meinen Augen
Die schönsten Hoffnungen wie Wolkenbilder schwinden.
Du lehrest mich, sie mit Geduld verschwinden
Zu sehn! – Ich hofft' in deinem Arm zu leben.
Jetzt scheint mirs Seligkeit, mit dir zu sterben!
JOHANNA.
Das, was wir hier in dieser Schattenwelt
Das Leben nennen, ist kein wahres Leben!
Sprich, dünkt dir nicht die ganze wundervolle
Geschichte dieser Tag' ein Traum? – Wir träumten
Von Glück, von Macht, von königlichen Scenen,
Von Welten, die zu unsern Füssen rollten,
Von Götterfreuden – und als wir erwachten,
Schloss uns ein Kerker ein! Auch, das ist Traum!
Ein düstrer Traum, der einem heitern folget!
Bald werden wir erwachen! Und – O Guilford!
Zu welchem Glück! – O könnt' ich dir beschreiben
Was schon davon mein ahnend Herz empfindet!
[306]
GUILFORD.
Du, bist schon reif zum Himmel! Schon zu heilig
Für diese Welt! Nur Engel sind zum Umgang
Mit dir schickt! – Ach! Warum kann ich nicht
Mit gleichem Flug mich neben, dir erheben?
Mich zeucht die irdische Natur
Noch allzumächtig nieder! – Ach Johanna!
Wenn nur die Grausamkeit des alten Bischoffs
Mich zu der Marter nicht verdammt, dich sterben
Zu sehn – o schrecklich, schrecklicher Gedanke!
Wenn ich ihn denke, bebt mein ganzes Wesen!
Mein Blut erstarrt in jeder kalten Ader,
Die Erde schwanket unter mir, der Himmel
Dräut über mir zu fallen –
JOHANNA.
Schrecket dich
Die Art des Todes? Wär' ich minder todt,
Wenn eine Krankheit mich nach langer Marter
Entseelen würd'? O Guilford! dieser Tod,
Der uns bevorsteht, kann die Unschuld nicht entehren:
Diess selige Bewusstseyn macht die Ketten
[307] An meiner Hand so leicht, als wären sie von Rosen.
Kränkt dichs, dass dieser Leib verwesen soll?
Er wird verklärt, unsterblich auferstehn!
Wir schlummern kurze Zeit, und werden bald
Zu himmlischen Umarmungen erwachen!
4. Szene
Vierte Scene.
Die Vorigen. Ein Officier.

DER OFFICIER ZU GUILFORD.
Verzeihet, Mylord! – Ach! Mein Mund vermag
Nicht auszusprechen, was ich sagen soll!
GUILFORD.
Nun bin ich glücklich! Himmel, habe Dank!
Der Tod ruft mich zuerst!
LADY SUFFOLK.
O Sidney, führe mich von dieser Scene!
Ich bin zu schwach sie auszuhalten –
[308]
LADY JOHANNA.
Nur noch das letzte Lebewohl, nur noch
Den letzten Dank, mit diesem Kuss der Liebe!

Sie umarmt Lady Suffolk.
GUILFORD.
Nur noch von diesen mütterlichen Lippen
Den letzten Segen, zärtlichste der Mutter!
LADY SUFFOLK.
Der Himmel thut schon über euch sich auf!
O segnet mich! – Mich, die ihr hier im Elend
Zurücke lasst. – O meine – meine Tochter –
Und du mein Sohn! lasst eure letzten Seufzer
Für mich zum Himmel flehn! –

Lady Suffolk geht ab.
GUILFORD.
Nun bin ich glücklich!
Ich eile vor dir her! Umarme mich, Geliebte!
Aus diesen Armen schwingt sich nun mein Geist
Den Serafinen zu, die, im Triumfe
Dich einzuholen, aus des Himmels Pforten
Zu Myriaden strömen, und, mit Thränen
[309] Der himmlischen Entzückung, deinen Tod
Betrachten werden! – Dort, in ihren Armen
Erwart ich dich! – Du weinst! du Göttliche! –
Bald bin ichs werth mit solcher Zärtlichkeit
Von dir geliebt zu seyn!
LADY JOHANNA.
Die Thränen, die ich weine,
Sind lauter Wonne! – Nur noch Augenblicke
So folg ich dir!

Guilford geht mit dem Officier ab.
5. Szene
Fünfte Scene.
JOHANNA
allein.
O Glaube der Unsterblichkeit,
Was wär ich ohne dich! In welchem Abgrund
Von Jammer würde sich die hoffnungslose Seele
Verzweifelnd wälzen – trennte das Verhängniss
Die Liebenden auf ewig, würd ich dich,
Mein Guilford, niemahls, niemahls wieder finden!
– O Tod! dann wärest du das schrecklichste
Von allen Übeln! Aber nein! die Seele
Lebt unvergänglich! Das Verhängniss trennt
[310] Die Frommen nicht auf ewig! – Ja, Geliebter,
Wir finden uns in einem Leben wieder,
Wo keine Noth uns mehr erreichen kann!
Wo nur der Überschwang der grenzenlosen Wonne
Das Herz in Dank und Freudenthränen schmelzt.
Auf! Triumfiere, meine Seele! – Schau!
Der Himmel thut sich auf! – O welch ein Licht! –
Welch liebliches, entzückendes Gewimmel
Von seel'gen Geistern! – Welche Harmonie
Entzückt mein Ohr! – Wo bin ich? – Schon
Vom Leib entkleidet? Schon –
Was für ein Augenblick war das! – Ich sah
Und hörte schon, was in der Menschen Sprache
Unnennbar ist! –
6. Szene
Sechste Scene.
Sidney. Johanna.

SIDNEY.
O theuerste Prinzessin!
Es ist vorbey! Ich sah ihn – sterben!
So stirbt ein Held! Wie war er deiner würdig!
Wir alle, die ihn sterben sahn, wir standen
[311] Von Wehmuth und Erstaunen, an den Boden
Geheftet, starr, leblosen Bildern gleich!
Jetzt bringen sie den Leichnam des Erwürgten
Hierher! Die grausame Maria will
Durch seinen Anblick noch dein Marterthum vollenden!
LADY JOHANNA.
Sie irret sich! Diess ist die letzte Wohlthat,
Die meine Feinde mir erweisen können.

Mann bringt den Leichnam des Guilford.

Und ist denn dieses
Mein Guilford? Nein! Betrognes Aug'! Es ist
Die Hülse nur des tugendhaften Geistes,
Den jetzt der Himmel hat! – Sie wird einst auferstehen!
Ja diese Augen werden einst verklärt
Mir wieder lächeln! Himmlische Begeistrung
Wird diesen blassen starren Mund eröffnen!
O! Nimm noch diesen letzten heil'gen Kuss
Der frommen Liebe! – Wie! Hat selbst der Tod
Nicht Macht, sein edles Antlitz zu entstellen?
Nicht Macht, diess holde Lächeln auszulöschen,
Das noch die Seel' auf seinem Mund zurück liess?
Vergieb, o seel'ger Geist, vergieb der Thräne
[312] Die noch auf diese kalten Wangen sinkt.
Dem letzten Zoll der unvollkommenen Liebe! –
Nun ist mein Lauf vollbracht! Das Mass der Leiden
Ist voll! Ich kann nichts mehr verlieren! –
Was hör ich? – Ja! die Geister meiner theuern
Verstorbnen rufen mir! – Mein Edward
Ruft seiner Schwester, Guilford seiner Gattin!
Ich folge, ich folge! Komm, willkommner Tod!
O komm, und gieb mich ihren Armen wieder!
Fußnoten

1 Johanna wird mit jedem Zuge, den Sie in ihrem Enthusiasmus zum Bilde ihres geliebten Edwards hinzu setzt, immer weicher; ihre immer steigende Rührung muss auch in ihrer Stimme immer merklicher werden, bis endlich die letzten Worte von einer Bewegung, welche sie nicht mehr zurückhalten kann, beinahe erstickt werden. Diess muss im Deklamieren, dieser Stelle mit aller, dem eigenen Karakter dieser jungen Prinzessin gemässen Wahrheit ausgedruckt werden, oder die Ausrufung – O mein zu weiches Herz! hätte keinen Sinn. – Der Verf. erinnert sich noch immer und rechnet es unter die süssesten Erinnerungen aus seiner Jugend, mit welchem Gefühl, welcher Innigkeit, welcher ganz Natur scheinenden Kunst Madame Ackermann, die würdige Mutter unsers grossen Schröders, auch diese Stelle, so wie überhaupt die ganze Rolle der Johanna, und besonders die letzte Scene des ganzen Stücks durch ihre zuletzt bis zur täuschendsten Begeisterung steigende Deklamazion und, Akzion darstellte. Doch hiervon an einem andern Orte!

2 Heinrichs des VIIIten, der bekannter Massen, in den letzten Jahren seiner Regierung die Katholischen eben so heftig als die Reformierten verfolgte.

3 Diese ganze Stelle, so wie überhaupt die Karakter der Personen und alle historischen Umstände, sind aus Burnets Geschichte der Englischen Reformazion genommen; für deren völlige Unpartheylichkeit der Verfasser nicht gut seyn möchte.

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