Siebenter Gesang

1.
Inzwischen ward, nach sieben heitern Tagen,
Das liebenswürdge Heldenpaar,
Dem jedes Element durch Oberon günstig war,
Ans Ufer von Lepanto hingetragen.
Hier lagen, wie Herr Hüon gleich vernimmt,
Zwei leicht geflügelte Pinassen segelfertig,
Die eine nach Marsiliens Port bestimmt,
Die andre Reisender nach Napoli gewärtig.
2.
Der junge Herr, des Alten Wachsamkeit
Und Mentorblicks ein wenig überdrüssig,
[272]
Ist über diesen Dienst des Zufalls sehr erfreut
Und ungesäumt ihn zu benutzen schlüssig.
»Freund«, spricht er, »Jahr und Tag geht noch vielleicht dahin
Eh mir's gelegen ist mich in Paris zu zeigen:
Du weißt daß ich vorerst nach Rom versprochen bin,
Und dieser Pflicht muß jede andre schweigen.
3.
Indessen liegt mir ob, den Kaiser sehn zu lassen,
Daß ich mein Wort erfüllt. Du bist mein Lehensmann,
Vollbringe du für mich, was ich nicht selber kann;
Besteige flugs die eine der Pinassen,
Die nach Marseille steurt; dann eile sonder Rast
Nach Hof, und übergib, den Kaiser zu versöhnen,
Dies Kästchen mit des Sultans Bart und Zähnen,
Und sag ihm an, was du gesehen hast:
4.
Und daß, so bald ich erst des heilgen Vaters Segen
Zu Rom geholt, mich nichts verhindern soll,
Die Sultanstochter auch zu Füßen ihm zu legen.
Fahr wohl, mein alter Freund! der Wind bläst stark und voll,
Die Anker werden schon gelichtet,
Glück auf die Reis, und, hast du mein Geschäft verrichtet,
So komm und suche mich zu Rom im Lateran;
Wer weiß, wir langen dort vielleicht zusammen an.«
5.
Der treue Alte sieht dem Prinzen in die Augen,
Wiegt seinen grauen Kopf, und nähme gar zu gern
Die Freiheit, seinen jungen Herrn
Mit etwas scharfem Salz für diese List zu laugen.
Doch hält er sich. Das Kästchen, meint er zwar,
Hätt ohne Übelstand noch immer warten mögen,
Bis Hüon selbst im Stande war
Dem Kaiser in Person die Rechnung abzulegen.
6.
Indessen da sein Fürst und Freund darauf beharrt,
Was kann er tun als sich zum Abschied anzuschicken?
Er küßt Amandens Hand, umarmt mit nassen Blicken
Den werten Fürstensohn, den seine Gegenwart
[273]
Noch kaum erfreute, nun begann zu drücken,
Und Tränen tröpfeln ihm in seinen grauen Bart.
»Herr«, ruft er, »bester Herr, Gott laß euch's wohl ergehen,
Und mögen wir uns bald und fröhlich wiedersehen!«
7.
Dem Ritter schlug sein Herz, da zwischen seinem Freund
Und ihm die offne See stets weiter sich verbreitet.
»Was tat ich! ach! wozu hat Raschheit mich verleitet!
Wo hat mit seinem Herrn ein Mann es je gemeint
Wie dieser Mann? Wie hielt er in Gefahren
So treulich bei mir aus! O daß ich es zu spät
Bedacht! Wer hilft mir nun wenn mir der Rat entgeht?
Und wer in Zukunft wird mich vor mir selbst bewahren?«
8.
So ruft er heimlich aus, und schwört sich selber nun
Und schwört es Oberon, (von dem er, ungesehen,
Um seine Stirn das leise geistge Wehen
Zu fühlen glaubt) sein Äußerstes zu tun
Im Kampf der Lieb und Pflicht mit Ehre zu bestehen.
Sorgfältig hält er nun sich von Amanden fern,
Und bringt die Nächte zu, starr nach dem Angelstern,
Die Tage, schwermutsvoll ins Meer hinaus zu sehen.
9.
Die Schöne, die den Mann, dem sie ihr Herz geschenkt,
So ganz verwandelt sieht, ist desto mehr verlegen,
Da sie davon sich keine Ursach denkt.
Doch mehr, aus Zärtlichkeit, von ihrem Unvermögen
Ihn aufzuheitern als an ihrem Stolz gekränkt,
Setzt sie ihm Sanftmut bloß und viel Geduld entgegen.
Das Übel nimmt indes mit jeder Stunde zu,
Und raubet ihm und ihr bei Tag und Nacht die Ruh.
10.
Einst um die Zeit, da schon am sternevollen Himmel
In Thetis Schoß der funkelnde Arktur
Sich senkt' – es schwieg am Bord das lärmende Getümmel,
Und kaum bewegte sich, wie eine Weizenflur
Auf der sich Zephyr wiegt, der Ozean; die Leute
Im Schiffe, allzumal des tiefsten Schlummers Beute,
[274]
Verdünsteten den Wein, der in den Adern rann,
Und selbst am Ruder nickt der sichre Steuermann;
11.
Auch Fatme war zu ihres Fräuleins Füßen
Entschlummert: nur von Deinem Augenlid,
O Hüon, nur von Deinem Busen flieht,
O Rezia, der Schlaf! – Die armen Seelen büßen
Der Liebe süßes Gift. Wie wühlt sein heißer Brand
In ihrem Blut! und ach! nur eine dünne Wand
Trennt sie; sie glauben fast einander zu berühren,
Und nicht ein Seufzer kann sich ungehört verlieren.
12.
Der Ritter, dem der lang verhaltne Drang
Zur Marter wird, dem jede bittre Zähre,
Die seine Grausamkeit Amandens Aug entzwang,
Auf seinem Herzen brennt, er seufzt so laut, so bang,
Als ob's sein letzter Atem wäre.
Sie, die mit Lieb und Scham schon eine Stunde rang,
Kann endlich länger nicht die Lindrung sich versagen,
Zu forschen was ihn quält, und Trost ihm anzutragen.
13.
Im weißen Schlafgewand, dem schönsten Engel gleich,
Tritt sie in sein Gemach, mit zärtlichem Erbarmen
Im keuschen Blick, mit furchtsam offnen Armen.
Ihm ist, als öffne sich vor ihm das Himmelreich.
Sein Antlitz, kurz zuvor so welk, so totenbleich,
Wird feuerrot; sein Puls, der kaum so träge
Und mutlos schlich, verdoppelt seine Schläge,
Und hüpfet wie ein Fisch im spiegelhellen Teich.
14.
Allein gleich wieder wirft ihn Oberons Wort danieder;
Und da er schon, durch ihre Güte dreist,
An seine Brust sie ziehen will, entreißt
Er schnell sich ihrem Kuß, sich ihrem Busen wieder;
Will fliehn, bleibt wieder stehn, kommt rasch auf sie zurück
In ihre Arme sich zu stürzen,
Und plötzlich starrt er weg, mit wildem rollendem Blick,
Als wünscht' er seine Qual auf einmal abzukürzen.
[275] 15.
Sie sinkt aufs Lager hin, hoch schlägt ihr volles Herz
Durchs weichende Gewand, und stromweis stürzt der Schmerz
Aus ihren schmachtenden vor Liebe schweren Augen.
Er sieht's, und länger hält die Menschheit es nicht aus:
Halb sinnlos nimmt er sie (werd auch das Ärgste draus!)
In seinen Arm, die glühnden Lippen saugen
Mit heißem Durst den Tau der Liebe auf,
Und ganz entfesselt strömt das Herz in vollem Lauf
16.
Auch Rezia, von Lieb und Wonne hingerissen,
Vergißt zu widerstehn, und überläßt, entzückt,
Und wechselsweis ans Herz ihn drückend und gedrückt,
Sich ahnungslos den lang entbehrten Küssen.
Mit vollen Zügen schlürft sein nimmer satter Mund
Ein herzberauschendes wollüstiges Vergessen
Aus ihren Lippen ein; die Sehnsucht wird vermessen,
Und ach! an Hymens Statt krönt Amor ihren Bund.
17.
Stracks schwärzt der Himmel sich, es löschen alle Sterne;
Die Glücklichen! sie werdens nicht gewahr.
Mit sturmbeladnem Flügel braust von ferne
Der fessellosen Winde rohe Schar;
Sie hören's nicht. Umhüllt von finsterm Grimme
Rauscht Oberon vorbei an ihrem Angesicht;
Sie hören's nicht. Schon rollt des Donners drohnde Stimme
Zum dritten Mal, und ach! sie hören's nicht!
18.
Inzwischen bricht mit fürchterlichem Sausen
Ein unerhörter Sturm von allen Seiten los;
Des Erdballs Achse kracht, der Wolken schwarzer Schoß
Gießt Feuerströme aus, das Meer beginnt zu brausen,
Die Wogen türmen sich wie Berge schäumend auf,
Die Pinke schwankt und treibt in ungewissem Lauf,
Der Bootsmann schreit umsonst in sturmbetäubte Ohren,
Laut heult's durchs ganze Schiff: »Weh uns! wir sind verloren!«
19.
Der ungezähmten Winde Wut,
Der ganze Horizont in einen Höllenrachen
[276]
Verwandelt, lauter Glut, des Schiffes stetes Krachen,
Das wechselsweis bald von der tiefsten Flut
Verschlungen scheint, bald, himmelan getrieben,
Auf Wogenspitzen schwebt, die unter ihm zerstieben:
Dies alles, stark genug, die Toten aufzuschrecken,
Mußt endlich unser Paar aus seinem Taumel wecken.
20.
Amanda fährt entseelt aus des Geliebten Armen;
»Gott!« ruft sie aus, »was haben wir getan!«
Der Schuldbewußte fleht den Schutzgeist um Erbarmen,
Um Hülfe, wenigstens nur für Amanden, an: Vergebens!
Oberon ist nun der Unschuld Rächer,
Ist unerbittlich nun in seinem Strafgericht;
Verschwunden sind das Hifthorn und der Becher,
Die Pfänder seiner Huld; er hört, und rettet nicht.
21.
Der Hauptmann ruft indes das ganze Volk zusammen,
Und spricht: »Ihr seht die allgemeine Not;
Mit jedem Pulsschlag wird von Wasser, Wind und Flammen
Dem guten Schiff der Untergang gedroht.
Nie sah ich solchen Sturm! Der Himmel scheint zum Tod
Vielleicht um Eines Schuld, uns alle zu verdammen;
Um Eines Frevlers Schuld, zum Untergang verflucht,
Den unter uns der Blitz des Rächers sucht.
22.
So laßt uns denn durchs Los den Himmel fragen
Was für ein Opfer er verlangt!
Ist einer unter euch dem vor der Wage bangt?
Wo jeder sterben muß hat keiner was zu wagen!«
Er sprach's, und jedermann stimmt in den Vorschlag ein.
Der Priester bringt den Kelch; man wirft die Lose drein;
Rings um ihn her liegt alles auf den Knieen;
Er murmelt ein Gebet, und heißt nun jeden ziehen.
23.
Geheimer Ahnung voll, doch mit entschloßnem Mut,
Naht Hüon sich, den zärtlichsten der Blicke
Auf Rezia gesenkt, die, bang und ohne Blut,
Gleich einem Gipsbild steht. Er zieht, und – o Geschicke!
[277]
O Oberon! – er zieht mit frostger bebender Hand
Das Todeslos. Verstummend schaut die Menge
Auf ihn; er liest, erblaßt, und ohne Widerstand
Ergibt er sich in seines Schicksals Strenge.
24.
»Dein Werk ist dies«, ruft er zu Oberon empor;
»Ich fühl, obwohl ich dich nicht sehe,
Erzürnter Geist, ich fühle deine Nähe!
Weh mir! du warntest mich, du sagtest mir's zuvor,
Gerecht ist dein Gericht! Ich bitte nicht um Gnade,
Als für Amanden nur! Ach! Sie ist ohne Schuld!
Vergib ihr! Mich allein belade
Mit deinem ganzen Zorn, ich trag ihn mit Geduld!
25.
Ihr, die mein Tod erhält, schenkt eine fromme Zähre
Dem Jüngling, den der Sterne Mißgunst trifft!
Nicht schuldlos sterb ich zwar, doch lebt ich stets mit Ehre;
Ein Augenblick, wo ich, berauscht von süßem Gift,
Des Worts vergaß, das ich zu rasch geschworen,
Der Warnung, die zu spät in meinen bangen Ohren
Itzt widerhallt – das allgemeine Los
Der Menschheit, schwach zu sein – ist mein Verbrechen bloß!
26.
Schwer büß ich's nun, doch klaglos! denn, gereuen
Des liebenswürdigen Verbrechens soll mich's nicht!
Ist Lieben Schuld, so mag der Himmel mir verzeihen!
Mein sterbend Herz erkennt nun keine andre Pflicht.
Was kann ich sonst als Liebe dir erstatten,
O du, die mir aus Liebe alles gab?
Nein! diese heilge Glut erstickt kein Wellengrab!
Unsterblich lebt sie fort in deines Hüons Schatten.«
27.
Hier wird das Herz ihm groß; er hält die blasse Hand
Vors Aug, und schweigt. Und wer im Kreise stand,
Verstummt; kein Herz so roh, das nicht bei seinem Falle
Auf einen Augenblick von Mitleid überwalle.
Es war ein Blitz, der im Entstehn verschwand.
Sein Tod ist Sicherheit, ist Leben für sie alle;
[278]
Und da der Himmel selbst zum Opfer ihn ersehn,
»Wer dürfte«, sagen sie, »dem Himmel widerstehn?«
28.
Der Sturm, der, seit dem ersten Augenblicke
Da Hüon sich das Todesurteil sprach,
Besänftigt schien, kam itzt mit neuem Grimm zurücke.
Zersplittert ward der Mast, das Steuer brach.
»Laßt«, schreit das ganze Schiff, »laßt den Verbrecher sterben!«
Der Hauptmann nähert sich dem Ritter: »Junger Mann«,
Spricht er, »du siehst daß dich Verzug nicht retten kann,
Stirb, weil es sein muß, frei, und rett uns vom Verderben!«
29.
Und mit entschloßnem Schritt naht sich der Paladin
Dem Bord des Schiffs. Auf einmal stürzt die Schöne,
Die eine Weile her lebloser Marmor schien,
Gleich einer Rasenden durch alles Volk auf ihn:
Es weht im Sturm ihr Haar wie eines Löwen Mähne;
Mit hoch geschwellter Brust und Augen ohne Träne
Schlingt sie den starken Arm in liebevoller Wut
Um Hüon her, und reißt ihn mit sich in die Flut.
30.
Verzweifelnd will, ihr nach, die treue Fatme springen.
Man hält sie mit Gewalt. Sie sieht die holden Zwei,
So fest umarmt, wie Reben sich umschlingen,
Schnell fortgewälzt nur schwach noch mit den Wogen ringen;
Und da sie nichts mehr sieht, erfüllt ihr Angstgeschrei
Das ganze Schiff. Wer kann ihr wiederbringen
Was sie verliert? Mit ihrer Königin
Ist alles was sie liebt und hofft auf ewig hin.
31.
Indessen hatte kaum die aufgebrachten Wogen
Des Ritters Haupt berührt, so legt, o Wunder! sich
Des Ungewitters Grimm; der Donner schweigt; entflogen
Ist der Orkane Schar; das Meer, so fürchterlich
Kaum aufgebirgt, sinkt wieder bis zur Glätte
Des hellsten Teichs, wallt wie ein Lilienbette:
Das Schiff setzt seinen Weg mit Rudern munter fort,
Und, nur zwei Tage noch, so ruht's im sichern Port.
[279] 32.
Wie aber wird es dir, du holdes Paar, ergehen,
Das, ohne Hoffnung, nun im offnen Meere treibt?
Erschöpft ist ihre Kraft; Besinnen, Hören, Sehen
Verschwunden – das Gefühl von ihrer Liebe bleibt.
So fest umarmt, als wären sie zusammen
Gewachsen, keines mehr sich seiner selbst bewußt,
Doch immer noch im andern atmend, schwammen
Sie, Mund auf Mund, dahin, und Brust an Brust.
33.
Und kannst du, Oberon, sie unbeklagt erbleichen,
Du, einst ihr Freund, ihr Schutz, kannst sie verderben sehn?
Du siehst sie, weinst um sie, – und läßt dich nicht erweichen?
Er wendet sich und flieht – es ist um sie geschehn!
Doch, sorget nicht! Der Ring läßt sie nicht untergehn,
Sie werden unverletzt den nahen Strand erreichen;
Sie schützt der magische geheimnisvolle Ring,
Den Rezia aus Hüons Hand empfing.
34.
Wer diesen Ring besitzt, das allgewaltige Siegel
Des großen Salomon, dem löscht kein Element
Das Lebenslicht; er geht durch Flammen ungebrennt;
Schließt ihn ein Kerker ein, so springen Schloß und Riegel
So bald er sie berührt; und will er von Trident
Im Nu zu Memphis sein, so leiht der Ring ihm Flügel:
Nichts ist was der, der diesen Talisman
Am Finger hat, durch ihn nicht wirken kann.
35.
Er kann den Mond von seiner Stelle rücken;
Auf offnem Markt, im hellsten Sonnenschein,
Hüllt ihn, so bald er will, auch selbst vor Geisterblicken,
Ein unsichtbarer Nebel ein.
Soll jemand vor ihm stehn, er darf den Ring nur drücken,
Es sei, den er erscheinen heißt,
Ein Mensch, ein Tier, ein Schatten oder Geist,
So steht er da, und muß sich seinem Winke bücken.
36.
In Erd und Luft, in Wasser und in Feuer,
Sind ihm die Geister untertan;
[280]
Sein Anblick schreckt und zähmt die wildsten Ungeheuer,
Und selbst der Antichrist muß zitternd ihm sich nahn.
Auch kann durch keine Macht im Himmel noch auf Erden
Dem, der ihn nicht geraubt, der Ring entrissen werden:
Die Allgewalt, die in ihm ist, beschützt
Sich selbst und jede Hand, die ihn mit Recht besitzt.
37.
Dies ist der Ring der dich, Amanda, rettet,
Dich, und den Mann, der, durch der Liebe Band
Und deiner Arme Kraft an deine Brust gekettet,
Unwissend wie, an eines Eilands Strand
Dich und sich selbst, O Wunder! wiederfand.
Zwar hat euch hier der Zufall hart gebettet;
Die ganze Insel scheint vulkanischer Ruin,
Und nirgends ruht das Aug auf Laub und frischem Grün.
38.
Doch, dies ist's nicht, was in den taumelnden Minuten
Der ersten Trunkenheit die Wonnevollen rührt.
So unverhofft, so wunderbar den Fluten
Entronnen, unversehrt an trocknes Land geführt,
Gerettet, frei, allein, sich Arm in Arm zu finden,
Dies übermäßig große Glück
Macht alles um sie her aus ihren Augen schwinden:
Doch ruft ihr Zustand bald sie zum Gefühl zurück.
39.
Durchnäßt bis auf die Haut, wie konnten sie vermeiden
Sich ungesäumt am Strande zu entkleiden?
Hoch stand die Sonn und einsam war der Strand
Allein, indes ihr triefendes Gewand
An Felsen hängt, wohin dem Sonnenstrahl entfliehen
Der deine Lilienhaut, Amanda, dörrt und sticht?
Der Sand brennt ihren Fuß, die schroffen Steine glühen
Und ach! kein Baum, kein Busch, der ihr ein Obdach flicht!
40.
Zuletzt entdeckt des Jünglings bangen Augen
Sich eine Felsenkluft. Er faßt Amanden auf
Und fliegt mit ihr dahin, trägt eilends Schilf zu Hauf
Und altes Moos (der Not muß alles taugen)
[281]
Zur Lagerstatt, und wirft dann neben ihr sich hin.
Sie sehn sich seufzend an, und saugen
Eins aus des andern Augen Trost, für jede Not
Die gegenwärtig drückt und in der Zukunft droht.
41.
O Liebe, süßes Labsal aller Leiden
Der Sterblichen, du wonnevoller Rausch
Vermählter Seelen! welche Freuden
Sind deinen gleich? – Wie schrecklich war der Tausch,
Wie rasch der Übergang im Schicksal dieser beiden!
Einst Günstlinge des Glücks, von einem Fürstenthron
Geschleudert, bringen sie das Leben kaum davon,
Das nackte Leben kaum, und sind noch zu beneiden!
42.
Der schimmerreichste Saal, mit Königspracht geschmückt,
Hat nicht den Reiz von dieser wilden Grotte
Für Rezia – und Er, an ihre Brust gedrückt,
Fühlt sich unsterblich, wird zum Gotte
In ihrem Arm. Das halb verfaulte Moos,
Worauf sie ruhn, däucht sie das reichste Bette,
Und duftet lieblicher, als wenn Schasmin und Ros
Und Lilienduft es eingebalsamt hätte.
43.
O daß er enden muß, so gern das Herz ihn nährt,
Der süße Wahn! Zwar unbemerkt sind ihnen
Zwei Stunden schon entschlüpft: doch, die Natur begehrt
Nun andre Kost. Wer wird sie hier bedienen?
Unwirtbar, unbewohnt ist dieser dürre Strand,
Nichts das den Hunger täuscht wird um und um gefunden;
Und ach! ergrimmt zog Oberon die Hand
Von ihnen ab – der Becher ist verschwunden!
44.
Mit unermüdetem Fuß besteigt der junge Mann
Die Klippen rings umher, und schaut so weit er kann:
Ein schreckliches Gemisch von Felsen und von Klüften
Begegnet seinem Blick, wohin er tränend blinkt.
Da lockt kein saftig Grün aus blumenvollen Triften,
Da ist kein Baum, der ihm mit goldnen Früchten winkt!
[282]
Kaum daß noch Heidekraut und dünne Brombeerhecken
Und Disteln hier und da den kahlen Grund verstecken.
45.
»So soll ich«, ruft er aus, und beißt vor wilder Pein
Sich in die Lippen, »ach! so soll ich denn mit leeren
Trostlosen Händen wiederkehren,
Zu ihr, für die mein Leben noch allein
Erhaltenswürdig war? Ich, ihre einzige Stütze,
Ich, der mit jedem Herzensschlag
Ihr angehört, bin nur um einen einzigen Tag
Ihr Leben noch zu fristen ihr nicht nütze!
46.
Verschmachten soll ich dich vor meinen Augen sehn,
Du Wunder der Natur, so liebevoll, so schön!
Verschmachten! Dich, die bloß um meinetwillen
So elend ist! für mich so viel verließ!
Dir, der dein Stern das schönste Los verhieß,
Eh dich des Himmels Zorn in meine Arme stieß,
Dir bleibt (hier fing er an vor Wut und Angst zu brüllen)
Bleibt nicht so viel – den Hunger nur zu stillen!«
47.
Laut schrie er auf in unnennbarem Schmerz;
Dann sank er hin, und lag in fürchterlicher Stille.
Doch endlich fällt ein Strahl von Glauben in sein Herz
Er rafft sich aus des Trübsinns schwarzer Hülle,
Spricht Mut sich ein, und fängt mit neuem Eifer an
Zu suchen. Lang umsonst! Schon schmilzt im Ozean
Der Sonnenrand zu Gold – auf einmal, o Entzücken!
Entdeckt die schönste Frucht sich seinen giergen Blicken.
48.
Halb unter Laub versteckt, halb glühend angestrahlt,
Sah er an breit belaubten Ranken,
Melonen gleich, sie auf die Erde wanken,
Einladend von Geruch, und wunderschön bemalt.
Wie hält er reichlich sich für alle Müh bezahlt!
Er eilt hinzu, und bricht sie; glänzend danken
Zum Himmel seine Augen auf,
Und Freudetrunkenheit beflügelt seinen Lauf.
[283] 49.
Amanden, die drei tödlich lange Stunden
An diesem öden Strand, wo alles Furcht erweckt,
Wo jeder Laut bedroht und selbst die Stille schreckt,
Sich ohne den, der nun ihr Alles ist, befunden,
Ihr war ein Teil der langen Zeit verschwunden,
Zum Lager, wie es hier die Not der Liebe deckt,
Mit ungewohntem Arm vom Ufer ganze Lagen
Von Meergras, Schilf und Moos der Höhle zuzutragen.
50.
Matt wie sie war, erschöpfte diese Müh
Noch ihre letzte Kraft; es brachen ihr die Knie;
Sie sinkt am Ufer hin, und lechzt mit dürrem Gaumen.
Vom Hunger angenagt, von heißem Durst gequält,
An diesem wilden Ort, wo ihr's an allem fehlt,
Wie angstvoll ist ihr Los! Wo mag ihr Hüon saumen?
Wenn ihn ein Unfall traf, vielleicht ein reißend Tier?
Es nur zu denken, raubt den Rest von Leben ihr!
51.
Die schrecklichsten der Möglichkeiten
Malt ihr die Phantasie mit warmen Farben vor.
Umsonst bemüht sie sich mit ihrer Furcht zu streiten,
Ein Wellenschlag erschreckt ihr unglückahnend Ohr.
Zuletzt, so schwach sie ist, keicht sie mit Müh empor
Auf eines Felsen Stirn, und schaut nach allen Seiten,
Und mit dem letzten Sonnenblick
Entdeckt sie ihn – Er ist's! er kommt zurück!
52.
Auch Er sieht sie die Arme nach ihm breiten,
Und zeigt ihr schon von fern die schöne goldne Frucht.
Von keiner schönern ward, in jenen Kindheitszeiten
Der Welt, das erste Weib im Paradies versucht.
Er hält, wie im Triumph, sie in den letzten Strahlen
Der Sonn empor, die ihre glatte Haut
Mit flammengleichem Rot bemalen,
Indes Amanda kaum den frohen Augen traut.
53.
»So läßt sich unsrer Not der Himmel doch erbarmen!«
Ruft sie, und eine große Träne blinkt
[284]
In ihrem Aug; und eh die Träne sinkt
Ist Hüon schon in ihren offnen Armen.
Ihr schwacher Ton, und daß sie halb entseelt
An seinen Busen schwankt, heißt ihren Retter eilen.
Sie lagern sich; und, weil ein ander Werkzeug fehlt,
Braucht er sein Schwert die schöne Frucht zu teilen.
54.
Hier zittert mir der Griffel aus der Hand!
Kannst du, zu strenger Geist, in solchem Jammerstand
Noch spotten ihrer Not, noch ihre Hoffnung trügen?
Faul, durch und durch, und gallenbitter war
Die schöne Frucht! – Und bleich, wie in den letzten Zügen
Ein Sterbender erbleicht, sieht das getäuschte Paar
Sich trostlos an, die starren Augen offen,
Als hätt aus heitrer Luft ein Donner sie getroffen.
55.
Ein Strom von bittern Tränen stürzt mit Wut
Aus Hüons Aug: von jenen furchtbarn Tränen,
Die aus dem halb gestockten Blut
Verzweiflung preßt, mit Augen voller Glut,
Und gichtrisch zuckendem Mund und grimmvoll klappernden Zähnen.
Amanda, sanft und still, doch mit gebrochnem Mut,
Die Augen ausgelöscht, die Wangen welk, zu Scherben
Die Lippen ausgedörrt – »Laß«, spricht sie, »laß mich sterben!«
56.
Auch Sterben ist an deinem Herzen süß;
Und Dank dem Rächer, der in seinem Grimme,
So streng er ist, doch diesen Trost mir ließ!
Sie sagt's mit schwacher halb erstickter Stimme,
Und sinkt an seine Brust. So sinkt im Sturm zerknickt
Der Lilie welkend Haupt. Von Lieb und Angst verrückt
Springt Hüon auf, und schließt die teure Seele
In seinen Arm, und trägt sie nach der Höhle.
57.
»Ach! Einen Tropfen Wassers nur,
Gerechter Gott!« schreit er, halb ungeduldig,
Halb flehend, auf – »Ich, ich allein, bin schuldig!
Mich treff allein dein Zorn! mir werde die Natur
[285]
Ringsum zum Grab, zum offnen Höllenrachen!
Nur schone Sie! O leit auf einer Quelle Spur
Den dunkeln Fuß! Ein wenig Wassers nur,
Ihr Leben wieder anzufachen!«
58.
Er geht aufs neu zu suchen aus, und schwört,
Sich eher selbst, von Durst und Hunger aufgezehrt,
In diesen Felsen zu begraben,
Eh er mit leerer Hand zur Höhle wiederkehrt.
»Er«, ruft er weinend, »der die jungen Raben
Die zu ihm schrein erbarmend hört,
Er kann sein schönstes Werk nicht hassen,
Er wird gewiß, gewiß, dich nicht verschmachten lassen!«
59.
Kaum sprach er's aus, so kommt's ihm vor
Als hör er wie das Rieseln einer Quelle
Nicht fern von ihm. Er lauscht mit scharfem Ohr;
Es rieselt fort – Entzückt dankt er empor,
Und sucht umher; und, bei der schwachen Helle
Der Dämmerung, entdeckt er bald die Stelle.
In eine Muschel faßt er auf den süßen Tau,
Und eilt zurück, und labt die fast verlechzte Frau.
60.
Gemächlicher des Labsals zu genießen,
Trägt er sie selbst zur nahen Quelle hin.
Es war nur Wasser – doch, dem halb erstorbnen Sinn
Scheint Lebensgeist den Gaum hinab zu fließen,
Däucht jeder Zug herzstärkender als Wein
Und süß wie Milch und sanft wie Öl zu sein;
Es hat die Kraft zu speisen und zu tränken,
Und alles Leiden in Vergessenheit zu senken.
61.
Erquickt, gestärkt, und neuen Glaubens voll
Erstatten sie dem, der zum zweiten Male
Sie nun dem Tod entriß, des Dankes frohen Zoll;
Umarmen sich, und, nach der letzten Schale,
Strickt unvermerkt, am Quell auf kühlem Moos.
Der süße Tröster alles Kummers
[286]
Das Band der müden Glieder los,
Und lieblich ruhn sie aus im weichen Arm des Schlummers.
62.
Kaum spielt die Morgendämmerung
Um Hüons Stirn, so steht er auf, und eilet
Auf neues Forschen aus; wagt manchen kühnen Sprung
Wo den zerrißnen Fels ein jäher Absturz teilet;
Spürt jeden Winkel durch, stets sorgsam daß er ja
Den Rückweg zu Amanden nicht verliere,
Und kummervoll, da er für Menschen und für Tiere
Das Eiland überall ganz unbewohnbar sah.
63.
Ihn führt zuletzt südostwärts von der Höhle
Ein krummer Pfad in eine kleine Bucht;
Und im Gebüsch, das eine Felsenkehle
Umkränzt, entdeckt sich ihm, beschwert mit reifer Frucht,
Ein Dattelbaum. So leicht, wie, auf der Flucht
Zum Himmel, eine arme Seele
Die aus des Fegfeurs Pein und strenger Glut entrann,
Klimmt er den Baum hinauf als stieg' er himmelan;
64.
Und bricht der süßen Frucht so viel in seine Taschen
Sich fassen ließ, springt dann herab und fliegt,
Als gält's ein Reh in vollem Lauf zu haschen,
Das holde Weib, das stets in seinem Sinne liegt,
So wie sie munter wird, damit zu überraschen.
Noch lag sie, als er kam, schön in sich selbst geschmiegt,
In sanftem Schlaf; ihr glühn wie Rosen ihre Wangen,
Und kaum hält ihr Gewand den Busen halb gefangen.
65.
Entzückt in süßes Schaun, den reinsten Liebsgenuß,
Steht Hüon da, als wie der Genius
Der schönen Schläferin; betrachtet,
Auf sie herab gebückt, mit liebevollem Geiz
Das engelgleiche Bild, den immer neuen Reiz;
Dies ist, die, ihm zu Lieb, ein Glück für nichts geachtet,
Dem, wer's erreichen mag, sonst alles, unbedingt,
Was teur und heilig ist zum frohen Opfer bringt!
[287] 66.
»Um einen Thron hat Liebe dich betrogen!
Und, ach! wofür? – Du, auf dem weichen Schoß
Der Asiatschen Pracht wollüstig auferzogen,
Liegst nun auf hartem Fels, der weite Himmelsbogen
Dein Baldachin, dein Bett ein wenig Moos;
Vor Wittrung unbeschützt und jedem Zufall bloß,
Noch glücklich, hier, wo Disteln kaum bekleiben,
Mit etwas wilder Frucht den Hunger zu betäuben!
67.
Und Ich – der, in des Schicksals strenger Acht,
Mit meinem Unglück, was mir nähert, anzustecken
Verurteilt bin – anstatt vor Unfall dich zu decken,
Ich habe dich in diese Not gebracht!
So lohn ich dir was du für mich gegeben,
Für mich gewagt? Ich Unglückselger, nun
Dein Alles in der Welt, was kann ich für dich tun,
Dem selbst nichts übrig blieb als dieses nackte Leben?«
68.
Dies quälende Gefühl wird unfreiwillig laut,
Und weckt aus ihrem Schlaf die anmutsvolle Braut.
Das erste was sie sieht, ist Hüon, der, mit Blicken
In denen Freud und Liebestrunkenheit
Den tiefern Gram nur halb erdrücken,
In ihren Schoß des Palmbaums Früchte streut.
Die magre Kost und eine Muschelschale
Voll Wassers macht die Not zu einem Göttermahle.
69.
Zum Göttermahl! Denn ruhet nicht ihr Haupt
An Hüons Brust? Hat Er sie nicht gebrochen,
Die süße Frucht' nicht Er des Schlummers sich beraubt,
Und ihr zu Lieb so manche Kluft durchkrochen,
So rechnet ihm die Liebe alles an,
Und schätzt nur das gering, was sie für ihn getan.
Die Wolken zu zerstreun, die seine Stirn umdunkeln,
Läßt sie ihr schönes Aug ihm lauter Freude funkeln.
70.
Er fühlt den Überschwang von Lieb und Edelmut
In ihrem zärtlichen Betragen;
[288]
Und mit beträntem Aug und Wangen ganz in Glut
Sinkt er an ihren Arm. »O sollt ich nicht verzagen«,
Ruft er, »mich selbst nicht hassen, nicht
Verwünschen jeden Stern, der auf die Nacht geschimmert
Die mir das Leben gab, verwünschen jenes Licht
Als ich im Mutterarm zum ersten Mal gewimmert?
71.
Dich, bestes Weib, durch mich, durch mein Vergehn,
Von jedem Glück herab gestürzt zu sehn,
Von jedem Glück, das dir zu Bagdad lachte,
Von jedem Glück, das ich dich hoffen machte
In meinem väterlichen Land!
Erniedrigt – dich! – zu diesem dürftigen Stand!
Und noch zu sehn, wie du dies alles ohne Klagen
Erträgst – Es ist zu viel! Ich kann es nicht ertragen!«
72.
Ihn sieht mit einem Blick, worin der Himmel sich
Ihm öffnet, voll von dem, was kaum ihr Busen fasset,
Amanda an: »Laß«, spricht sie, »Hüon, mich
Aus dem geliebten Mund was meine Seele hasset
Nie wieder hören! Klage dich
Nicht selber an, nicht den, der was uns drücket
Uns nur zur Prüfung, nicht zur Strafe zugeschicket;
Er prüft nur die er liebt, und liebet väterlich.
73.
Was uns seit jenem Traum, der Wiege unsrer Liebe,
Begegnet ist, ist's nicht Beweis hiervon?
Nenn, wie du willst, den Stifter unsrer Triebe,
Vorsehung, Schicksal, Oberon,
Genug, ein Wunder hat dich mir, mich dir gegeben!
Ein Wunder unser Bund, ein Wunder unser Leben!
Wer führt' aus Bagdad unversehrt Uns aus?
Wer hat der Flut, die uns verschlang, gewehrt?
74.
Und als wir, sterbend schon, so unverhofft den Wogen
Entrannen, sprich, wer anders als die Macht
Die uns beschützt, hat uns bisher bedacht?
Aus ihrer Brust hab ich's gesogen,
[289]
Das Wasser, das in dieser bangen Nacht
Mein kaum noch glimmend Licht von neuem angefacht!
Gewiß auch dieses Mal, das unser Leben fristet,
Hat eine heimliche wohltätge Hand gerüstet!
75.
Wofür, wenn unser Untergehn
Beschlossen ist, wofür wär alles dies geschehn?
Mir sagt's mein Herz, ich glaub's, und fühle was ich glaube,
Die Hand, die uns durch dieses Dunkel führt,
Läßt uns dem Elend nicht zum Raube.
Und wenn die Hoffnung auch den Ankergrund verliert,
So laß uns fest an diesem Glauben halten;
Ein einzger Augenblick kann alles umgestalten!
76.
Doch, laß das Ärgste sein! Sie ziehe ganz sich ab,
Die Wunderhand, die uns bisher umgab;
Laß sein, daß Jahr um Jahr sich ohne Hülf erneue,
Und deine liebende getreue
Amande finde hier auf diesem Strand ihr Grab;
Fern sei es, daß mich je, was ich getan, gereue!
Und läge noch die freie Wahl vor mir,
Mit frohem Mut ins Elend folgt ich dir!
77.
Mir kostet's nichts von allem mich zu scheiden
Was ich besaß; mein Herz und deine Lieb ersetzt
Mir alles; und, so tief das Glück herab mich setzt, Bleibst
Du mir nur, so werd ich keine neiden
Die sich durch Gold und Purpur glücklich schätzt.
Nur, daß Du leidest, ist Amandens wahres Leiden!
Ein trüber Blick, ein Ach, das dir entfährt,
Ist was mir tausendfach die eigne Not erschwert.
78.
Sprich nicht von dem was ich für dich gegeben,
Für dich getan! Ich tat was mir mein Herz gebot,
Tat's für mich selbst, der zehenfacher Tod
Nicht bittrer ist als ohne dich zu leben.
Was unser Schicksal ist, hilft deine Liebe mir,
Hilft meine Liebe dir ertragen;
[290]
So schwer es sei, so unerträglich – hier
Ist meine Hand! – ich will's mit Freuden tragen.
79.
Mit jedem Auf- und Niedergehn
Der Sonne soll mein Fleiß sich mit dem deinen gatten;
Mein Arm ist stark; er soll, dir beizustehn
In jeder Arbeit, nie ermatten!
Die Liebe, die ihn regt, wird seine Kraft erhöhn,
Wird den geringsten Dienst mit Munterkeit erstatten.
So lang ich dir zum Trost, zum Glück genugsam bin,
Tauscht ich mein schönes Los mit keiner Königin.«
80.
So sprach das beste Weib, und drückt mit keuschen Lippen
Das Siegel ihres Worts auf den geliebten Mund;
Und mit dem Kuß verwandeln sich die Klippen
Um Hüon her; der rauhe Felsengrund
Steht wieder zum Elysium umgebildet,
Verweht ist jede Spur der nackten Dürftigkeit;
Das Ufer scheint mit Perlen überstreut,
Ein Marmorsaal die Gruft, der Felsen übergüldet.
81.
Von neuem Mut fühlt er sein Herz geschwellt.
Ein Weib wie dies ist mehr als eine Welt.
Mit hoher himmelatmender Wonne
Drückt er dies volle Herz an ihre offne Brust,
Ruft Erd und Meer, und dich, allsehende Sonne,
Zu Zeugen seines Schwurs: »Ich schwör's auf diese Brust,
Den heiligen Altar der Unschuld und der Treue,
Vertilgt mich«, ruft er aus, »wenn ich mein Herz entweihe!
82.
Wenn je dies Herz, worin dein Name brennt,
Der Tugend untreu wird, und deinen Wert verkennt,
Dich je, so lang dies Prüfungsfeuer währet,
Durch Kleinmut quält, durch Zagheit sich entehret,
Je lässig wird, geliebtes Weib, für dich
Das Äußerste zu leiden und zu wagen:
Dann, Sonne, waffne dich mit Blitzen gegen mich,
Und möge Meer und Land die Zuflucht mir versagen!«
[291] 83.
Er sprach's, und ihn belohnt mit einem neuen Kuß
Das engelgleiche Weib. Sie freun sich ihrer Liebe,
Und stärken wechselsweis einander im Entschluß,
So hart des Schicksals Herr auch ihre Tugend übe,
Mit festem Mut und eiserner Geduld
Auf beßre Tage sich zu sparen,
Und blindlings zu vertraun der allgewaltigen Huld,
Von der sie schon so oft den stillen Schutz erfahren.
84.
Von beiden wurde noch desselben Tags die Bucht,
Die ihren Palmbaum trug, mit großem Fleiß durchsucht,
Und fünf bis sechs von gleicher Art gefunden,
Die hier und da voll goldner Trauben stunden.
Das frohe Paar, hierin den Kindern gleich,
Dünkt mit dem kleinen Schatz sich unermeßlich reich;
Bei süßem Scherz und fröhlichem Durchwandern
Des Palmentals verfliegt ein Abend nach dem andern.
85.
Allein der Vorrat schwand; ein Jahr, ein Jahr mit Blei
An Füßen, braucht's ihn wieder zu ersetzen,
Und, ach! mit jedem Tag wird ihr Bedürfnis neu.
Arm kann die Liebe sich bei Wenig glücklich schätzen,
Bedarf nichts außer sich, als was Natur bedarf
Den Lebensfaden fortzuspinnen;
Doch, fehlt auch dies, dann nagt der Mangel doppelt scharf,
Und die allmächtigste Bezaubrung muß zerrinnen.
86.
Mit Wurzeln, die allein der Hunger eßbar macht,
Sind sie oft manchen Tag genötigt sich zu nähren.
Oft, wenn, vom Suchen matt, der junge Mann bei Nacht
Zur Höhle wiederkehrt, ist eine Hand voll Beeren,
Ein Mewen-Ei, geraubt im steilen Nest,
Ein halb verzehrter Fisch, vom giergen Wasserraben
Erbeutet, alles, was das Glück ihn finden läßt,
Sie, die sein Elend teilt, im Drang der Not zu laben.
87.
Doch dieser Mangel ist's nicht einzig der sie kränkt.
Es fehlt bei Tag und Nacht an tausend kleinen Dingen,
[292]
An deren Wert man im Besitz nicht denkt,
Wiewohl wir, ohne sie, mit tausend Nöten ringen.
Und dann, so leicht bekleidet wie sie sind,
Wo sollen sie vor Regen, Sturm und Wind,
Vor jedem Ungemach des Wetters sicher bleiben
Und wie des Winters Frost fünf Monden von sich treiben;
88.
Schon ist der Bäume Schmuck der spätern Jahrszeit Raub,
Schon klappert zwischen dürrem Laub
Der rauhe Wind, und graue Nebel hüllen
Der Sonne kraftberaubtes Licht,
Vermischen Luft und Meer, und ungestümer brüllen
Die Wellen am Gestad, das kaum ihr Wüten bricht;
Oft, wenn sie grimmbeschäumt den harten Fesseln zürnen,
Spritzt der zerstäubte Strom bis an der Felsen Stirnen.
89.
Die Not treibt unser Paar aus ihrer stillen Bucht
Nun höher ins Gebirg. Doch, wo sie hin sich wenden,
Umringet sie von allen Enden
Des dürren Hungers Bild, und sperret ihre Flucht.
Ein Umstand kommt dazu, der sie mit süßen Schmerzen
Und banger Lust in diesem Jammerstand
Bald ängstigt, bald entzückt – Amanda trägt das Pfand
Von Hüons Liebe schon drei Monden unterm Herzen.
90.
Oft, wenn sie vor ihm steht, drückt sie des Gatten
Hand Stillschweigend an die Brust, und lächelnd hält sie Tränen
Zurück im ernsten Aug. Ein neues zartres Band
Webt zwischen ihnen sich. Sie fühlt ein stilles Sehnen
Voll neuer Ahnungen den Mutterbusen dehnen;
Was Innigers als was sie je empfand,
Ein dunkles Vorgefühl der mütterlichen Triebe,
Durchglüht, durchschaudert sie, und heiligt ihre Liebe.
91.
Dies süße Liebespfand ist ihr ein Pfand zugleich,
Sie werde nicht von Dem verlassen werden,
Der was er schafft in seinem großen Reich
Als Vater liebt. Gern trägt sie die Beschwerden
[293]
Des ungewohnten Stands, verbirgt behutsam sie
Vor Hüons Blick, und zeigt ihm ihren Kummer nie,
Läßt lauter Hoffnung ihn im heitern Auge schauen,
Und nährt in seiner Brust das schmachtende Vertrauen.
92.
Zwar er vergaß des hohen Schwures nicht,
Den er dem Himmel und Amanden zugeschworen:
Doch desto tiefer liegt das drückende Gewicht;
Denn Sorgen ist nun doppelt seine Pflicht.
Bedarf es mehr sein Herz mit Dolchen zu durchbohren,
Als dieses rührende Gesicht?
Zeigt die gehoffte Hülf in kurzer Zeit sich nicht,
So ist sein Weib, sein Kind, zugleich mit ihm verloren.
93.
Schon viele Wochen lang verstrich
Kein Tag, an dem er nicht wohl zwanzigmal den Rücken
Der Felsengruft bestieg, ins Meer hinaus zu blicken,
Sein letzter Trost! Allein, vergebens stumpft' er sich
Die Augen ab, im Schoß der grenzenlosen Höhen
Mit angestrengtem Blick ein Fahrzeug zu erspähen;
Die Sonne kam, die Sonne wich,
Leer war das Meer, kein Fahrzeug ließ sich sehen.
94.
Itzt blieb ein einzigs noch. Es schien unmöglich zwar,
Doch, was ist dem der um sein Alles kämpfet
Unmöglich? Würde jedes Haar
Auf seinem Kopf ein Tod, sein Mut blieb ungedämpfet.
Von diesem Fels, worauf ihn Oberon verbannt,
War eine Seite noch ihm gänzlich unbekannt;
Ein fürchterlich Gemisch von Klippen und Ruinen
Beschützte sie, die unersteiglich schienen.
95.
Itzt, da die Not ihm an die Seele dringt,
Itzt scheinen sie ihm leicht erstiegne Hügel;
Und wären's Alpen auch, so hat die Liebe Flügel.
Vielleicht, daß ihm das Wagestück gelingt,
Daß sein hartnäckger Mut durch alle diese wilde
Verschanzung der Natur sich einen Weg erzwingt,
[294]
Der ihn in fruchtbare Gefilde,
Vielleicht zu freundlichen mitleidgen Wesen bringt.
96.
Amanden eine Last von Sorgen zu ersparen
Verbirgt er ihr das Ärgste der Gefahren,
In die er sich, zu ihrer beider Heil, Begeben will.
Sie selbst trägt ihren Teil Von Leiden still.
Sie sprachen nichts beim Scheiden,
Als, lebe wohl! so voll gepreßt war beiden
Das Herz; doch zeigt sein Aug ihr eine Zuversicht,
Die wie ein Sonnenstrahl durch ihren Kummer bricht.
97.
Da steht er nun am Fuß der aufgebirgten Zacken!
Sie liegen vor ihm da wie Trümmern einer Welt:
Ein Chaos ausgebrannter Schlacken,
In die ein Feuerberg zuletzt zusammen fällt,
Mit Felsen untermischt, die, tausendfach gebrochen,
In wilder ungeheurer Pracht,
Bald tief bis ins Gebiet der alten finstern Nacht
Herunter dräun, bald in die Wolken pochen.
98.
Hier bahnet nur Verzweiflung einen Weg!
Oft muß er Felsen an sich mit den Händen winden,
Oft, zwischen schwindlig tiefen Schlünden,
Macht er, den Gemsen gleich, die Klippen sich zum Steg
Bald auf dem schmalsten Pfad verrammeln Felsenstücke
Ihm Weg und Licht, er muß, so müd er ist, zurücke,
Bald wehrt allein ein Strauch, den mit zerrißner Hand
Er fallend noch ergreift, den Sturz von einer Wand.
99.
Wenn seine Kraft ihn schier verlassen will,
Ruft die entflohnen Lebensgeister
Amandens Bild zurück. Schwer atmend steht er still,
Und denkt an Sie, und fühlt sich neuer Kräfte Meister.
Es bleibt nicht unbelohnt, dies echte Heldenherz!
Allmählich ebnet sich der Pfad vor seinen Tritten,
Und gegen das, was er bereits erstritten,
Ist, was zu kämpfen ihm noch übrig ist, nur Scherz.

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TextGrid Repository (2012). Wieland, Christoph Martin. Verserzählungen. Oberon. Siebenter Gesang. Siebenter Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A64B-2