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Wie hirt Erich seines viehes hüt, und ein grosser lew teglich zů im under sein vieh kam, dem aber gar keinen schaden thet, allein wie ein ander zammer hund das halff verhüten.
Es ist gewesen vor vilen und langen jaren jaren in dem künigreich Portugal ein armer man mit nammen Erich, welchen got in seiner armůt mit vil kinden, sön und töchtern, begabet. Dieselbigen kinder aber got mit wunderbarer schöne an die welt kommen ließ, so das gemelten Erichen aller arbeit, angst und armůt gar nit beschweret. Dann sobald er von seiner arbeit des nachtes heym zů hauß kam, legt er von im sein bickel und hawen, nam zů im seine jungen und schönen kinder, schimpffet und schertzet mit freuden mit in, als wann er den gantzen tag keiner arbeit nie gepflegen. Sobald auch seine kinder etwas erwůchsen, begerten sie von im die reichen kauffleut. Die wurden dann gar fleißig und wol bei ihn aufferzogen, und so sie dann zů mannbaren tagen erwachsen, wurden sie gar ehrlich von denselbigen versorgt und außgesteurt; niemant aber wolt dem gůten Erich zů hilff und statten kommen. Das weret so lang, biß sein haußfraw Felicitas (also was ir nam) ires letsten sons genesen thet; dann mit demselben kind kam ir und irem haußwirt groß glück und heyl auff erdtrich.
[267] Erich, der gůt, fromm und getreuw arbeiter, hatt jetz von der gemein im dorff, darauff er saß, das viech angenommen zů hüten, darmit er sein narung dest baß gehaben mocht. In disem seinem hirtenampt begab sich ein seltzam wunder, so dann zůvor von niemans vormals erhört was. Dann als er einesmals bey seinem vieh auff dem feld was und im sein haußfraw Felicitas das morgenbrot auff das feld bracht, sassen sie under einen schattigen baum zůsamen, die hitz der sonnen zů fliehen, assen alda das morgenmal, was sie got berahten hat, mit freuden. Wie sie also sitzen, so fahend seine hund, der er zwen bey im hat, gar grewlich an zů bellen, das füch mit grossem schnauden zůsammenlauffend. Erich, der güt hirt, erwischet seinen hirtenstab, laufft schnell und bald zů dem füch. Als er in mitten under die herdt kompt, so ersicht er ein grausammen grossen leuwen in mitten under seiner härdt, von welchem anblick er nit wenig schrecken empfing. Der leuw aber in gantz mit güte ansehen und mit demütiger geberd empfieng, seinen schwantz auff die erden klopffen gleich einem hund, so sich gegen seinem herren demütig unnd dienstbar beweiset. Davon Erich in sonder verwunderung kam, nit wol gedencken kund, wes er sich halten solt. Also schied der leuw gantz fridsam von ihm, ließ auch das füch gantz unverletzet.
Erich, der gůt hirt, wider zů Felicitas, seiner haußfrawen, keret; die fand er noch under dem baum mit der speiß seinen warten. Als sie in aber so bleich und aller menschlichen farb so gantz beraubt sahe, erschrack sie on massen seer; sie stund bald von der erden auff und sagt: ›O Erich, mein lieber und freundtlicher haußwirt, was gemeynet das schnell verkeren deiner farb under dem angesicht? Ach sag mir durch gott, was dich so angsthafft gemacht hat!‹ Erich der hirt trost sein liebste haußfrawen, so best er mocht, sagt ir damit all ding, so ihm begegnet was mit dem lewen, deß ir die gůt frauw nit wenig wunder nam. Also wider zůsammen nidersassen, das mal zů vollen, so gůt sie das haben mochten, vollendten.
Als es nun umb unnd über den mittentag kommen was, die gůt Felicitas wider heim zů hauß ging, nit gar ferr von irem man kommen was, so begegnet ir der vilgemelt lew, davon [268] sie gar seer und fast übel erschrecken thet. Der leuw aber sich gleicherweiß gantz freundtlich unnd fridsam erzeiget, wie er dann vormals auch gethon hat gegen Erich dem hirten. Sie aber lieff nicht dest weniger zůruck zů ihrem mann, sagt ihm die geschicht von dem lewen. Also behielt sie Erich der hirt bei im biß auff den abent, das die sonn zů genaden gieng. Dann er sorget seines weibs, das sie ein schrecken empfahen, so ihr schedlich sein möcht; dann sie groß schwanger gieng.
Zů abens fůr er heym mit seinem füch, sagt die verlauffen geschicht ettlichen seinen nachbauwren, welche ihm das zů einem schertz und nicht für ein warheyt auffnamen. So wolt der gůt mann auch keins wegs nit streitten, ließ also hingohn und schwig hinfurbaß zůr sach. Sein frauw aber wolt nit mehr zů feld; dann sie dermassen erschrecket was, so das sie in sorgen stund, es wird ir an der frucht schaden, so sie underm hertzen trůg. Nit minder besorgt sich auch ir gemahel Erich; dann im unverborgen, das sein haußfraw jetzund nehig was. Darumb bat er gott teglich mit gantzem fleiß, er solt seinem weib einen frölichen anblick bescheren.
Nun was das geschrey von dem leuwen jetzund weit außgeschollen; dann er kam teglichs zů Erichen dem hirten, gieng under seinem füch so heimlich und nit anderst, dann die hund zů thůn pflegen, so von jungen auff bey dem füch erzogen werden. Also pfleget gemelter lew des füchs zů hůten. So es dann abent ward, gieng er mit gemachsammen dritten sonder schaden wider zů wald. Diß geschrey kam für den könig; der verbott inn seinem gantzen königreich, das niemans disem zammen lewen schaden zůfügen solt bey verlierung seiner gnaden. Also kamen gar vil reicher burger unnd kauffleut von allen orten, disen leuwen zů sehen, welcher teglich bey dem hirten Erichen funden ward. Als man nu gemeinglich die frombkeyt des lewen innen worden was, kam das volck teglich, brachten im fleisch und ander speiß, so das er gantz wol gefůrt ward. Zůletst, als er semlicher freundtschafft von dem volck empfand, ward er so heimlich, das er alle nacht mit Erichen dem hirten heim zů hauß zog und lag des nachtes bey seinen hunden vor dem hauß, als wann er das wolt helffen bewaren. Des morgens zog er wider mit Erichen und seinem [269] viech zů fäld. Diß weret so lang, das die fraw gantz nach zů irer geburt hat, die dann jetzund schon deß lewens kein schühens mehr nam.
Nun was ein kauffman in der stat, der was fast reich und hat nit mer dann ein einiges kind, so im sein haußfraw newlich geboren, welche zůvor mehr dann zwelff jar stil gestanden was; deßgleich war ir ein unfal an der geburt widerfaren, das sie in grossen sorgen stund irs leibs und lebens; so sagt man ihr auch für gewiß, das sie keines kindes mehr schwanger werden möcht. Derselbig kauffman kam teglich auß der statt mit andrer seiner geselschafft, damit er diß abenthewr gnůgsamlichen erkunden möcht; er bracht auch alwegen dem lewen sein speiß mit im.
Eines tags begab es sich, das er abermals kam und fand Felicitas bey ihrem man auff dem feld; sie saß bey dem lewen, der hatte sein haupt in ihrer schoß. Das nam den kauffman seer wunder, zůvor als er sah, das die fraw mit schwangerem leib do saß. Der lew erkant den kauffman geschwind; dann er im zů vilmal speiß bracht hat; darumb er sich dann gar freundtlich gegen im beweisen thet. Hermanus (also hieß der kauffman) ging zů hirt Erichen, befragt in aller sach, wie lang es sein möcht, das gemelter lew also geselschafft bei im gesucht het, auch wie lang sein haußfraw kinds schwanger gewesen; des alles in hirt Erich mit kurtzen einfaltigen worten grüntlich berichtet. Herman der kauffman sagt: ›Mein lieber hirt Erich, ich bitt dich, so sichs begeb, das dir gott ein frucht bescheret, du wöllest mich nit verschmahen und zů einem gefatteren annemen. Dargegen versprich ich dir, das kind als mein eygen fleysch und blůt zů erziehen und neben meinen natürlichen son in gleicher lieb, fleiß und lernung, deßgleichen mit kleidung, speiß und tranck underhalten. So im dann got sein tag erstrecket, so das er zů manbaren jaren kompt, wil ich in mit einer rühlichen ehsteur begaben, es sey gleich ein knab oder ein tochter. Ich will auch zů dem allem dich und dein weib dermassen versehen, das ihr ewer narung mit besserer rhů überkommen und haben solt dann bißher.‹
Dise zůsag und trost nam Erich der hirt mit grossen [270] freuden und danck an. Also gesegnet sie Hermanus der kauffmann, reit wider in die stat, sagt seinem weib alle sach, deß sie mit grossen freuden bewilliget und mit verlangen der zeit erwartet.