[113] An den Leser

Weil man befunden, dass folgende Uberschriffte in so kurtzer Zeit weiter in der Welt herum gewandert, als man sich Anfangs eingebildet, und dabey mit Vergnügen gehöret, dass dieselbe an einem grossen Königlichen Hofe von hohen Personen nicht allein gelesen, sondern auch mit Genehmhaltung gelesen worden; so hat man es der Mühe, und der annoch übergelassenen müssigen Zeit wehrt geachtet, dieselbe nochmals zu übersehen, zu verbessern, und endlich in den besten Stand zu setzen dessen des Verfassers Kräffte fähig gewesen. Die in der vorigen Ausgabe angemerckte Abschneidung des Buchstabs E. am Ende der Wörter, ohne dass ein Selbstlautender Buchstab auf dieselbe folge, hat man mit grossem Fleiss in allen Versen gehoben; und damit die Verbesserung der Mühe wehrt wäre, derselben Verstand auch gemeiniglich zu erhöhen gesuchet: so dass bey dieser Arbeit offtmahls neue Gedanken eingefallen, durch welche man die Zahl der Uberschriffte hin und her merklich vermehret hat. Zudem so sind die zwey letzten Bücher, wie auch die durchgehende Anmerckungen und Erklärungen gantz neue: Als in welchen letztern man den Leser unterweilen so gar auf desVerfassers eigne Unkosten zu erlustigen; unterweilen zu unterrichten; und unterweilen denjenigen, welche nichts [113] ohne Brillen sehen können, den Star von den Augen zu ziehen beschäftiget ist. Was den Nahmen der Uberschriffte betrifft, so siehet ja ein jeder, dass derselbe das Wort Epigrammata nicht allein deutlich ausdrücke; sondern auch zugleich den Ursprung dieser Gedichte, so wie das Lateinische oder vielmehrGrichische Wort, klar vor Augen stelle: und deswegen allen andern vorzuziehen ist.

Die erste dieser Uberschriffte sind zwar Früchte der ersten Jugend; allein man hat diejenige die etwaszu frühe von dem Baum gepflücket worden, mit der Zeit und dem Stroh wie die Mispeln zu ihrer Reife gelangen lassen. Der Anlass aber dieselbe zu schreiben, ist auf folgende Weise gegeben worden. Man hatte von dem berühmten Morhoff, dessen Aufsicht und Unterweisung man war anvertrauet worden, gleich Anfangs gehöret, dass ohngeachtet die Frantzosen, Italiäner und Engländer in den schwersten Stücken der Tichtkunst den alten Römern sehr nahe gekommen; so dass unter den zweyen letztern ungefehr ein Virgilius, und unter den Ersten und Letztern mehr als ein Terentius und Seneca Tragoedus zu finden: so wäre dennoch unter allen kein Martialis in ihrer eignen Sprache anzutreffen. Dass zwar hin und wieder einige Uberschriffte gleichsam in der Irre sich erblicken liessen; dass es aber dennoch mit allen hiesse: dass eine Uberschrifft aufzusetzen, leicht; aber ein Buch davon zu schreiben, sehr schwer sey. Dass dieser Mangel wahrscheinlich von der Beschaffenheit dieser sonst schönen und ausgearbeiteten Sprachen herrühre; als welche es in der Kürtze der Lateinischen nicht gleich thun könten: und dass er dannenhero der Meinung sey, dast es sich in der Deutschen, ihrer vielen Umschweiffe halber, noch viel weniger würde thun lassen.

[114] Wäre man nicht so jung gewesen, so hätte man sich dieses Urtheil, in Betrachtung dass es von einem so gelehrten Mann gefället, ohne Zweifel von dem Versuch abschrecken lassen. Allein man gedachte, dass gleich wie alle nicht alles wissen, und unterweilen auch ein Homerus schlummere; also wäre derwehrte Mann in diesem Stück der edlen Sprache viel zu nahe getreten. Man hielte derowegen dafür, dass man dieselbe nicht besser vertheidigen, und den gemachten Einwurff kräfftiger widerlegen könte; als wenn man einige der bekansten Lateinischen Uberschrifte, welche viel in wenig Worten begriffen, und folgends am schwersten zu verdeutschen schienen, eben so kurtz, so vollständig, und so deutlich, ohne der Sprach und dem Reim einen Zwang anzuthun, übersetzte. Und darauf machte man sich an die, welche Sannazar auf die Stadt Venedig; und ein Ungenannter auf den Louvre gemacht, als welcher man sich anjetzo allein erinnern kan, wie aus folgendem zu ersehen:

Auf die Stadt Venedig

Viderat Hadriacis Venetam Neptunus in undis
Stare urbem, et toto ponere jura mari.
Nunc mihi Tarpejas quantumvis, Jupiter, arces
Objice, et illa tui moenia Martis, ait.
Si Tibrim Oceano praefers, urbem adspice utramque;
Illam homines dices, hanc posuisse Deos.
Neptun sah' in der Flutt der Adriatschen See
Die Stadt Venedig stehn, und ihr Gesetze geben.
Jtzt, sagt' er, Jupiter, magst du Tarpejens Höh'
Und deines Mavors Maur, so hoch du wilst, erheben.
Schau beyde Städt'; hältst du der See die Tieber für:
Die Menschen legten dort den Grund, die Götter hier.

Auf den Louvre

Non orbis gentem, non urbem gens habet ulla,
Urbsve domum, Dominum nec domus ulla parem.
Die Welt hat kein solch Reich, kein Reich hat solcheStadt,
Und keine Stadt solch Hauss, das solchen Herren hat.

[115] Nachgehends brachte man einige seiner eignen Einfälle zu Papier, und unter denen die auf die Susanna, auf Antonius und Cleopatra, und auf die Clelia und Mutius Scevola, welche sogleich in dem ersten Buch dieser Uberschriffte zu finden sind. Es wäre auch vielleicht hiebey geblieben, wenn dieselbe nicht bald darauf einer hohen, und in Ansehn ihrer Tugend so wol als Schönheit unvergleichlichen Person in die Hände gefallen wären. Sintemahl dieselbe nicht allein ein sonderliches Vergnügen aus denselben zu schöpffen schiene; sondern auch Zeit dreyer Jahre welche man an dero Hofe zugebracht, wenig Tage vorbey streichen liess, in welchen sie nicht etwas neues aus den Geistlichen oder weltlichen Geschichten auf die Bahne gebracht, und darüber einige kurtze Poetische Gedanken von dem Verfasser gefodert hätte. Zu dem so flossen demselben wehrender Zeit viel ohne Anfoderung aus der Feder, unter welche denn insonderheit diejenige zu rechnen, welche auf sie selber unter den Nahmen der Amarillis gerichtet sind. Und zuletzt wurde die Anzahl derselben so gross, dass man sie insechs Bücher eintheilete.

Bey Antretung einer Reise nach Frankreich und den herum liegenden Ländern und Königreichen hatte man dieselbe nebst vielen andern Büchern bey seinem wehrten Freunde Herrn Raht Pf– in Verwahrung gelassen: und als man nach Verflissung etlicher Jahre, an dem Englischen Hofe sich aufzuhalten nicht allein Anlass, sondern auch wegen vieler geleisteten Dienste grosse Hoffnung zu grosser Befoderung hatte, so wurde allmählig dasjenige was man inDeutschland hinterlassen vergessen. Es wäre auch nichts davon ohne allen Zweiffel jemals zum Vorschein gekommen, wenn nicht dem Verfasser ein unverhoffter Zufall daselbst, ohne alle gegebene Ursach den Compass verrücket hätte. Dass keine Feinde gefährlicher als die heimliche, und nirgends mehr als zu Hofe sein, [116] erfuhr man damals in der That; und diese Erfahrenheit machte, dass man wiederum an den Ort zurück kehrte, woselbst man seine erste Jahre mit vieler Zufriedenheit zugebracht hatte. Man verwunderte sich gleich Anfangs dass die barmhertzige Motten der hinterlassenen Schrifften so lange verschonet; und weil man unter denselben insonderheit die Uberschriffte unversehret vorgefunden, so hat man erstlich nur einige derselben gleich als zum Versuch in die Welt geschicket: hernachmahls aber wegen vieler müssigen Zeit alle insgesamt übersehen, viele ausgesondert, viele verbessert, und gleich als ob hiedurch der längst entschlaffene Poetische Geist wiederum erwecket worden wäre, viele neue hinzugesetzet, so dass aus den sechs Büchern erstlich acht, und nun gar zehn geworden sind.

Die Erste sind mit mehr Hitze, die neue wie man hoffet, mit mehr Nachdencken; jene mit mehr Witz, diese mit mehr Verstand und Absehen geschrieben worden. Die Historische Uberschriffte gehören meistens der ersten Jugend, die Satyrische meistens denreifern Jahren zu. In jenen hat man die Laster eifrig und gleichsam mit der Peitsche in in der Hand verfolget; in diesen die Thorheit der Welt mit lächelndem Munde aufgezogen. Eine gute Aufferziehung ist schon gnug dasjenige zu erkennen was man hassen; aber was man verspotten soll, dazu gehöret viel Erfahrenheit. Mancher wäre nicht so lächerlich, wenn er nicht so gelehrt; mancher nicht so lasterhafft, wenn er nicht so witzig; mancher nicht so verdrüsslich, wenn er nicht so höfflich wäre. Ein lebendiger Lump, welchen ein trunckner Vater gleichsam unwissend und ohne Empfindung gezeuget; und eine ungesunde Mutter nachgehends desto empfindlicher in die Welt gehudelt, ist mehr Mittleidens als Lachens wehrt. Aber diejenige, die ihre Thorheit ihrer Gebuhrt nicht zu dancken haben; sondern dieselbe mit vieler Arbeit, Mühe und Unkosten in der frembde an sich gebracht, [117] und hernach in ihrer Heymaht so artig wiederum zu Marckt zu bringen wissen, dass es von einem nicht allzu scharf sehenden Auge voret was wollanständliches gehalten, und der Jecken guten Aufferziehung zugeschrieben wird: diejenige, saget man, gebührender massen durch die Hechel zu ziehen, dazu gehöret mehr, als man insgemein mit sich von Hause zu bringen pfleget. Unterdessen so kan man doch mit Grund der Warheit sagen, dass in den Satyrischen Uberschrifften, man selten eine eigentliche Person, und unter denen niemand von einiger Wichtigkeit in Augen gehabt. Wannenhero diejenige, die hierinnen unverhofft ihr eigen Bildnüss finden solten, sich festiglich versichern können: dass sie es nichtwie in einem Gemähld, sondern nur als in einem Spiegel zu Gesicht bekommen, und aus dieser Ursache keinen Zorn wieder den Werckmeister fassen; sondern vielmehr dieses zu seinem Vortheil daraus schliessen können: dass er die im Schwange gehende Laster und Thorheiten seiner Zeit erkant, und dieselbe natürlich vorgestellet habe. Zu dem so sind einige Menschen in ihr eignes ungestaltes Gesicht so sehr verliebet, dass es in ihnen wieder die gesunde Vernunfft wäre, den Spiegel zu zerbrechen, der ihnen dasselbe so deutlich und so öffters fürstellet. Horatius ohngeachtet er seine Satyren zu des Augustus Zeiten geschrieben, da wie alle andern Dinge, also auch die Römische Höffligkeit zu der grösten Vollkommenheit gelanget war; brauchet dennoch in denselben keine Umschweiffe; sondern nennet tadelhafte Leute bey ihrem rechten Nahmen. So dass ihm hierinnen nicht allein Persius und Juvenalis, sondern auch unter den Frantzosen die berühmte Regnier und Boileau gefolget. Nichts destoweniger hat man sich durch sogrosse Vorgänger dennoch nicht verführen lassen wollen; sondern im Gegenteil mit so viel Sittsamkeit geschrieben, dass man auch so gar seine [118] Gegner die den ersten Angriff ohne alle gegebene Ursach gethan, nicht nur nicht bey ihrem Rechten, sondern auch nicht einmahl bey ihrem angenommenen Nahmen genennet: und ihnen also die völlige Freyheit in kurtzer Zeit mit ihren Schrifften vergessen zu werden, gelassen hat.

Was diese Uberschriffte insgemein betrifft, so wird es wol mit denselben wie den meisten andern Sachen in der Welt heissen: Sunt mala mixta bonis. Man ist nicht allezeit gleich aufgereimt, noch im Stande woll zu schreiben, und woll zu urtheilen. Es scheinet auch so gar dass diese Nachlässigkeit den Verfassern zum Vortheil gedeye. Denn in dem sie den Gutten geringere beysetzen, so verursachen diese, dass jene so vielmehr hervorleuchten. Wären die Sterne in in derMilchstrasse nicht so sehr auf einander gehäuffet; so würden so viel Leute nicht zweiflen dass es Sterne wären. Diejenige, welche die Länge und Kürtze nur nach den äusserlichen Zeilen zu messen gewohnet sind, und nicht begreiffen können, dass viel lange Gedichte kurtz, und manche kurtze lang sind; die werden Zweiffels ohne einige dieser Uberschriffte zu lang, und mehr einem Madrigal als einer Uberschrifft gleich zu sein finden. Man bildet sich aber dennoch ein, dass auch eben die, in Lesung derselben nicht einschlaffen werden. Man hätte in der That die meiste derselben viel kürtzer gemacht, wenn man weniger müssige Zeit gehabt hätte; und sind dieselbe gantz nicht wegen der Kürtze der Zeit so lang gerahten, wie Cicero, wo man sich recht besinnet, von einem seiner Briefe saget. Zu dem so bestehen die längste derselben, als die auf Mopsus, Titrauchus, den einfältigen Balbus und dergleichen mehr, nur in einem Vorsatz und Nachsatz; und wird der Leser in dem ersten mit Fleiss so lange aufgehalten, damit die Kitzelung hernach in dem letztern desto empfindlicher sey. Es sind gleichsam kleine [119] Lustspiele, in welchen nach einer langen Verwirrung in dem letzten Aufftritt alles in eine richtige Ordnung gebracht wird.

Etliche derselben sind wider unsre Deutsche Poeten, oder dass man seine Meinung deutlicher ausdrücke, mehr wider die eingeführte Schreib-Ahrt, als die Poeten selbst gerichtet. Man hält davor; und man hoffet es werde dem Verfasser von keinem vernünfftigen Menschen übel gedeutet werden, dass er seine Meinung so frey heraus saget; Man hält davor, dass wir bisshero in unsren Versen mit eitlen und falschen Wörtern zu viel gespielet, und sehr wenig auf das bedacht gewesen, was die Welschen Concetti, dieFrantzosen Pensées, die Engelländer Thoughts, und wir füglich Einfälle nennen können; da doch dieselbe die Seele eines Gedichtes sind. Ja dass auch eben die, welche Sinnreich zu sein gewust, dennoch nicht einenachdrückliche und Männliche Ahrt zu schreiben gehabt haben. In wollflissenden Versen übertreffen wir unstreitig die meisten Ausländer, welches ob es gleich wahr ist, man dennoch so leicht keinem Ausländer sagen wolte. Sintemahl dieselbe aus Unwissenheit unsere Sprache einer Rauhigkeit vor allen andern in Europa beschuldigen. Aber eben diese Liebligkeit kitzelt nur allein das Ohr ohne ins Hertze zu dringen, und betrüget den Leser, welcher durch dieglatten Worte entzücket, der Sache gemeiniglich eben so wenig als der Poet selbst nachdenckt. Es sindBäume, welche auffs beste nur schöne Blüthe, aberkeine Früchte tragen. Unterdessen so scheinet es, dass der Königliche Preussische Hof auch in diesem Stück des Vaterlandes Ehre befodern, und die vor Zeiten so genannte Götter-Sprache von der Verachtung zu retten, und zum wenigsten zu einer Männlichen Sprache machen wolle. Sintemahl sich an demselben einige vornehme Hoffleute hervor gethan, welche Ordnung [120] zu der Erfindung; Verstand und Absehn zur Sinnligkeit; und Nachdruck zur Reinligkeit der Sprache in ihren Gedichten zu setzen gewust.

Es ist in der That unstreitig, dass die, welche nurgrundgelehrt sind, und nebst einem erweckten Geist einen natürlichen Trieb zur Tichtkunst in sich fühlen, dennoch lange nicht so hoch in derselben steigen können, als diejenige, die nebst diesen schönen Eigenschaften entweder selbst von hohem Stande gebohren sind, und eine gleichmässige Aufferziehung gehabt haben; oder mit dergleichen Personen eine lange Zeit umgegangen, und folgends eine vollkommene Wissenschaft der Welt, derer Gebräuche, Sitten und Sprachen sich an Höfen erworben haben.

Wollfliessende Verse zu schreiben ist die geringste obgleich nöhtige Tugend eines Poeten, und verdienet niemand diesen Nahmen, der nicht zugleich die Eigenschafft der Sprache in der er schreibet, undderselben Stärcke zierlich auszudrücken, und dabey mit grosser Sinnligkeit zu schreiben weiss. Die höchste Vollkommenheit der Poesie aber bestehet hierinnen, dass man erstlich die Anständligkeit in allen Dingen genau beobachte; und hernach durch edle und grossmühtige Meinungen die Seele seines Lesers entzücke, und auf solche Weise aus der Poesie etwas göttliches mache.

Woraus den klar zu ersehen, dass alle diese Eigenschafften nur selten in jemand anders als den oberwehnten Personen sich zusammen vereinigen können. Unter den Frantzosen werden die Schäffer-Gedichte des Marggrafen von Racan vor unvergleichlich gehalten, und die Trauerspiele des Racine des vortreflichen Corneille seinen deswegen vorgezogen: weil dieser seine Helden nach den Regeln der Schule und wie sie sein solten; jener aber als ein Hoffmann dieselbe nach der Richtschnur des Hofes, und wie sie in der[121] That gewesen, gebildet hat. Und unter den Englischen Poeten wird der erste Preiss den Grafen von Rochester und Roscommon, und dem heutigen Hertzog von Buckingham und Normanby gegeben, als welcher letztere nebst andern Sinnreichen Gedichten, eine schöne Anweisung zur Tichtkunst so woll als der Graf von Roscommon vor ihm, in Versen geschrieben hat. Wie denn auch des Ritter Denhams Looper-Hügel, und des Ritter Howards Zweykampf der Hirsche vor zwey Meisterstücke in der Englischen Poesie mit grossem Recht gehalten werden.

Doch auf die Unsrige wieder zu kommen, so habenOpitz und Grypf und derselben zwey berühmte Nachfolger Hoffmanswaldau und Lohenstein den grössten Preiss bisshero verdienet. Diese zwey letztern insonderheit werden anitz am meisten gelesen. Sinnreich und lieblich ist der erste; sinnreich und durchdringend der andere. Jenen ist jedermann geneigt; diesen ist jedermann gezwungen zu rühmen. Man findet in der That in den Trauerspielen des letztern unterschiedliche vortrefliche Oerter, und unter denen einige, welche es in Ausdrückung einer Sache den besten alten Poeten gleich thun. Wenn man aber die Wahrheit gestehen darff, so hat er sich auch hierinnen unterweilen, durch seine Hitze so weit verführen lassen, dass er schöne Sachen zur Unzeit angebracht, undprächtige Worte seinem Verstande zum Nachtheil, und gleichsam in einer Poetischen Raserey geschrieben hat. Wer findet nicht folgende Verse in seinem Ibrahim schön?


Und meiner Adern Brunn für dem Krystall nicht rein,
Und Schwanen fleckigt sind, sol ein Gefässe sein,
Darin der geile Hengst den Schaum der Unzucht spritze?

Allein was kan woll ungereimter als eben dieselbe sein, wenn man betrachtet, dass er solche Worte, welche allein von einer wollberittnen und abgenützten [122] Thais mit Fug gesprochen werden können, der Ambre des Mufti Tochter einem unerfahrnen Kinde von zwölff Jahren in den Mund geleget.

Viel ehe könte man die angenehme Sitten eines zu Hofe aufgebrachten Jünglings in einem wilden Tartar; und einen schlauen und durchtriebenen Machiavelli in einem Drescher in der Scheine vorstellen. Unzeitiger Witz ist Unverstand, und die Einfalt hergegen in vielen Gelegenheiten Verwunderungswürdig. Ja es kostet weniger Mühe einen Oedipus wie Seneca, als einen Davus wie Terentius gethan hat, aufzuführen. Gemeine Mahler können das vom Wetter gehärtete Gesicht eines Helden; aber die zarte Schönheit einer Venus kan nur ein Apelles treffen. Man ist gäntzlich der Meinung, dass was die FrantzöscheSchreib-Art zu der heutigen Vollkommenheit gebracht hat, meistentheils daher rühre; dass sobald nicht eingutes Buch ans Licht kommt, dass nicht demselben eine sogenante Critique gleich auf den Fuss nachfolgen solte, worinnen man die von dem Verfasser begangene Fehler sittsamlich, und mit aller Höfligkeit und Ehrerbietung anmercket. Sintemahl dadurch ohne alle Ärgernüss dem Leser der Verstand geöffnet, und der Verfasser in gebührenden Schrancken gehalten wird.

Ob nun gleich dieses der untadelhaffte Zweck, wie einiger hier befindlichen Uberschriffte, also auch etlicher Oerter dieser Vorrede ist: so hat man sich den noch nicht verwundert, dass sie solche Leute in den Harnisch gejaget, welche in der Poesie von nichts als einem Lohenstein und Hoffmanswaldau wissen; und weil sie in denselben ohne Unterschied alles mit Verwunderung lesen, mit Zorn und einem Poetischen Ambts-Eyfer diejenige ansehen, welche in denselben etwas zu tadeln sich unterstehen. Solche Leute wissen oder bedencken nicht, dass Homerus und Virgilius selber wegen vieler Dinge von vielen grossen [123] und berühmten Leuten sind getadelt worden. Denn zu geschweigen dass sie angemercket: dass Virgilius seinen Helden gar zu wehmühtig, gar zu ruhmredtig, und gar zu erschrocken in einem Ungewitter; und endlich in dem zehnten Buch seiner Aeneis gar einen alten Ritter vorgestellet habe, der, wie vormals Achilles im Homerus, seinem Graul als einem vernünfftigen Thiere mit diesen Worten zuspricht:


Rhoebe diu, res si qua mortalibus ulla est,
Viximus etc.

Dieses alles zu geschweigen, so ist es ja bekant, dass Longinus in seiner Schrifft von der Hoheit der Rede, eines der grösten Schätze die uns das Alterthum hinterlassen, gar kein Bedencken getragen den Homerus der grösten Thorheit die ein Mensch begehen kan zu beschuldigen, und den Grund seiner Gedichte mit zwey Worten herumzustossen, wenn er saget: Dass Homerus alle seine Helden zu Götter, und alle seine Götter zu lasterhafften Menschen gemacht habe. Wie nun bisshero sich noch niemand durch dieses Urteil beleidigt gefunden; also ist man versichert, es werde sich kein Mensch, wenn er gleichLohenstein und Hoffmanswaldau vor einen andren Homerus und Virgilius hielte, sich über einige Anmerckungen die man über derer Schriften, und zwar mit aller Höfligkeit und geziemender Ehrerweisung gemacht, mit recht erzürnen können. Es haben diese zwey berühmte Männer zwar das ihrige mit grossem Lob; aber doch noch lange nicht so viel gethan dass ihre Nachfolger, so wie Alexander über seines Vaters Siege, Ursach zu seufftzen haben solten, dass ihnen nichts mehr zu thun übergelassen worden sey. Des Herrn von Hoffmanswaldaus Gedichte werden wegen seiner Helden-Briefe, mehr als des Herrn von Lohensteins gelesen. Weswegen man zum Versuch den ersten derselben [124] durchgegangen, und darüber einige Anmerckungen gemacht hat. Wer dergleichen über des Herrn von Lohensteins Schrifften machen wolte, der würde Zeug genug zu seiner Arbeit finden. Es ist derselbe, man gestehet es gerne, ein grösserer Poet als der erste. Der vom Horatius in einem Poeten erfoderte, und von hohen Sachen klingende Mund lässet sich mit Vergnügung in hundert Oertern seiner Schriften hören. Allein dieses ist auch unstreitig, dass wie man in ihm vielmehr zu rühmen, also auch vielmehr zu tadeln, als in dem ersten, finde.


Zinober krönte Milch auf ihren Zucker-Ballen.


Ist ein Vers welcher nebst unzehlig dergleichen andern in seinen Gedichten gefunden wird, und durch welchen er zwey schöne Brüste bezeichnen wollen. Nun betrachte man die wunderbare Wörter die hier in eine Reihe gedränget sind. Zinober, Milch, Zucker, Ballen, und gekrönet. Hätte sich nicht Saffran zu Milch und Zucker besser als Zinober gereimet? Hätte man nicht besser gethan, wenn man Zucker-Kasten vor Zucker-Ballen gesetzt hätte, weil der Zucker ja nicht wie andre Kauffmanns-Waaren in Ballen sondern in Kasten aus West-Indien gebracht wird? Und endlich, dass man das Wort gekrönet auch an den Mann bringe, so könten hinfüro alle Dichterlinge die in dergleichen Redens-Ahrten verliebet sind, einengekrönten Zucker-Ballen zu ihrem Zeichen aushencken. Wären aller unserer Poeten Gedichte diesem Verse, oder alle Verse des Herrn von Lohensteins diesem gleich; so könte man es dem Ehrwürdigen Vater Bouhours nicht verdencken, dass er uns nicht mehr Witz als dem Mossckowitern zuerkennet habe. Unterdessen so gehet man so weit nicht um dem Herrn von Lohenstein zu nahe zu treten. Man vergisset gerneseine Fehler, wegen seiner anderwärtigen herrlichen Tugenden. [125] Man hat es nur mit denen zu thun, die dessen Tugenden nicht erkennen, und sich allein an dessen Fehler halten, dieselbe zu ihrer Richtschnur im schreiben setzen, und wenn sich jemand findet der aus keinem Neid des Poeten, sondern bloss allein zu Befoderung der Deutschen Poesie dieselbe anmercket; sich gleich thörichter Weise einbilden, als hätte man einem König nach der Krohne gegriffen. Glaubet man in der That dass die Poesie mit der Zauberkunst eine gleiche Grundfeste habe? Und bildet man sich ein, dass man den Unverstand so wie das Fieber mitnichtsbedeutenden Worten und Zeichen vertreiben könne? Kan man nicht begreiffen, dass die schönsten Worte lächerlich sind, wenn sie übel zusammen gesetzet; hergegen wenn sie woll angebracht werden, die gemeinsten für treflich sind? Weiss man nicht dass ein künstliches Gepräge in Kupffer viel höher geschätzet wird, als mancher ungeheurer Kopf auf Gold und silberner Müntze? Und dass keiner so thöricht sey, welcher nicht lieber sein Gemähld aufschlechte ungebleichte Leinwand durch einen Europeer, als durch einen Chinesen auf ein feines Porcellänes Gefässe machen liess? Den Stein der Weisen, welchen so viel Chymisten vergeblich suchen, habengeschickte Redner und Poeten allein in Besitz. Sintemahl dieselbe aus den verächtlichsten Dingen Gold machen; und Gold aus des Ennius Unflaht selbsten ziehen können.

Nicht weniger hat man sich verwundert, dass unsreTichter so viel Schönheit in Marmor-Brüsten, undWangen von Alabast gefunden, und dass so gar alle an diese Steine gestossen haben. Es ist in der That ein falscher Entwurf der Dinge die sie uns vor Augen stellen wollen, als durch welchen sie auch überdem derselben Wehrt verringern, indem sie denselben zusteigern suchen. Wenn der Poete von Marmor-Brüsten und Wangen von Alabast spricht, so ist [126] man sich auch einiger Perlen-Thränen von ihm vermuhten. Denn man bildet sich ein, dass seine Buhlschafft imSarge liege, und dass er von derselben ausgehaunen Seule auf ihrem Grabmahl rede. Oder wo dem also nicht ist, so weiss man nicht zu sagen, ob er mehr in die harte Metaphora, oder seine noch härtere Buhlschafft verliebet sey. Denn gefället ihm keine Einheimische, und muss es nohtwendig eine frembde Metaphorische Nympfe sein, warum bleibet er nicht bey den Lilien und Rosen? Warum lässet er nicht lieber seine Muse in dem Garten, als in dem Bergwerck arbeiten? Gedencket er es sey unser Frauenzimmer annoch so einfältig, dass es sich durch seine falsche Steine werde gewinnen lassen, so betrüget er sich. Die meiste derselben bilden sich wie des Hudibras Wittwe ein: es sey der Poete nicht in den falschen Achat ihrer Augen, sondern in die wahre Diamanten ihrer Ohren; nicht in die Perlen ihres Mundes, sondern in den Perlenschnur ihres Halses; nicht in dasGold ihrer Haare, sondern in die Ducaten die in ihrem Kasten liegen, verliebet. Man erinnert sich eines Ortes im Horatio, woselbst derselbe auch zugleich seiner Buhlschafft und des Marmors, aber gantz nicht auf die Weise unsrer Poeten gedencket. Er sagt nicht, dass ihre Wangen von Marmor sind, sondern dass dieselbe eine hellern Glantz als der feinste Marmor von sich werffen. Der Ort ist so schön, und zeiget zugleich auch so klärlich an, worinn die wahre Zierlichkeit der Wörter bestehe, dass man denselben hier bey zu tragen und zu übersetzen woll der Mühe wehrt geachtet hat.


Urit me Glycerae nitor
Splendentis Pario marmore purius;
Urit me grata protervitas,
Et vultus nimium lubricus adspici.
In me tota ruens Venus
Cyprum deseruit – –
Glycerens Schönheit macht mich brünstiglich verliebt,
Die einen reinern Glantz als Marmor von sich giebt

[127]
Ihr' holde Widerspenstigkeit,
Ihr schlüpfrig Auge selbst, das keinen Anblick leidt;
Die gantze Venus senckt sich in mein lodernd Hertz',
Und Cypern wird zu einer Wüsteney – –

Wie man nun aber in den Satyrischen Uberschrifften selten eine eigentliche Person in Augen gehabt, und durchgehends niemand an seine Ehre noch guten Nahmen gegriffen; also hat man auch die kleine Lob-Gedichte, welche meistentheils in Gemählden bestehen, mit solcher Sittsamkeit geschrieben, dass man sich nicht einmahl unterstanden, dieselbe mit den vortreflichen Nahmen derer, auf die sie gemachet sind,zu beehren. So dass wo dieselbe bloss aus ihren Gemählden erkennet werden, dieses ein gewisses Zeichen ist, dass man ihnen keine falsche Farben angestrichen; und wo man dieselbe daraus nicht erkennet, sich keiner von ihnen zu beschweren haben wird, dass man sie mit einem ungeschickten Pinsel verunehret habe. Uberdem so ist es eine Ahrt hinter dem Rücken, und nicht ins Gesichte zu rühmen; und wird niemand gezwungen, sich selber aus seinem Gemählde zu erkennen. Man hat unterschiedliche mahl gehöret, dass dieselbe nicht vor die schlechste dieser Gedichte gehalten würden, und gestehet man gerne, dass die rühmliche Meldung der auf den König von Gross-Britannien gemachten Uberschrifft, welche man unversehens im Mercure Historique et Politique des Monahts Oktober 1699 gefunden, da man doch gedachte, dass dieselbe nicht mehr als in eines Freundes Hand gekommen wäre, nicht eine der geringsten Ursachen gewesen, die dem Verfasser alle andre ans Licht zu geben, das Hertz gemachet hat.

Zum Beschluss so hat man nur noch dieses zu erinnern, dass keine dieser Uberschriffte aus einer andern Sprache übersetzet sind, und dass man seinem besten Wissen nach, auch niemand etwas abgeborget habe. Man hat geschrieben, um zu sehen, ob manselbst [128] dem Leser gefallen könne; und nicht, ob ihmein andrer schon gefallen habe. Zu dem so dencket mancher, dass er einem andern einen schönen Edelstein entwendet, da es doch in der That nur ein Böhmischer Diamant ist. Denn wer das Beste in den besten Büchern so gleich erkennen kan, der hat nicht nöhtig, dass er sich seine Federn von einem andern schneiden lasse. Ist endlich die Poesie eine Raserey, so ist des Verfassers seine eine der kürtzsten; als welcher zwar einige Verse den Müssiggang zu vertreiben schreiben, aber daraus garnicht ein Handwerck machen wollen; sich allezeit desjenigen erinnernde, was der Spanische Graf d'Orgaz zu einem seiner Freunde in gleicher Gelegenheit sagte: Tengo por necio, al que no sabe hazer una copla; y por loco, al que haze dos.

[129]

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TextGrid Repository (2012). Wernicke, Christian. Gedichte. Überschrifften in zehn Büchern. An den Leser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-A0F8-8