Fünfter Auftritt.
Mephistopheles, Eduard, Vorige.
Mephistopheles hält den Knaben mit seiner Hand, und bleibt etwelche Schritte entfernt.
MEPHISTOPHELES.
Faust, die Zeit unsers Bundes ist geendet. Wenige Stunden sind dir noch übrig. Umsonst suchst du dich mir zuentreissen. Du bist die Beute der Hölle. Hier ist meine Geißel! – Zittre!
Helena und Faust fallen ihm zu Füssen.
HELENA.
Mein Sohn!
FAUST.
Schone den unschuldigen Knaben!
HELENA.
Barmherzigkeit!
THEODOR.
Unser Sohn, Mutter, ist schon verlobten. Kom, laß uns diese Wohnung der Hölle fliehen.
ELISABETH.
Ich unglückliche Mutter! Sie gehn.
FAUST.
Meine Eltern! – Sie verlassen mich! – Wartet! – Höret mich an! – Mephistopheles gieb mir Zeit zur Ueberlegung – Gleich erschein ich wieder – Mein Vater! Geht ab.
HELENA.
Du, wer du immer bist, sieh meine Thränen, erhöre die Seufzer einer Mutter. Verschone meine Geliebten, und gieb mir meinen [59] Sohn wieder! Welch ein Recht hast du auf uns?
MEPHISTOPHELES.
Faust ist mein Sklave. Er hat sich mir verkauft.
HELENA.
Ich zittre! – Gnade!
MEPHISTOPHELES.
Du kannst dich, deinen Freund, und deinen Sohn retten.
HELENA.
Ich kann sie retten? Sprich, wodurch kann ich sie retten?
MEPHISTOPHELES.
Theodor ist mein Feind, geh, nimm diesen Dolch, räche mich! – Ich schenke dir für diese That alles was du liebst.
HELENA.
Ich bebe vor Schrecken zurück – Wie bin ich erniedert! Verführer, wen sprichst du? So tief bin ich im Laster gefallen! Meine Hand ward noch niemals mit Menschenblute befleckt. Du willst mich zu einer Mörderinn brandmarken? – Geh, entweich du kömmst aus der Hölle. Dein Ton verräth dich.
MEPHISTOPHELES.
Weih welche Gewissenszweifel wandeln dich an? Ist dein Herz vom Verbrechen rein? Hast du dir nichts vorzuwerfen? Thörin ist ein Laster nicht wie das andere? Was liegt daran, ob du mit einem oder mit tausend Verbrechen die Erde verlässest? – Schwaches Weib, deine Seele ist zu klein, als das sie sich zu höherer Einstcht erheben könnte.
HELENA.
Ich bin schwach wie unsere Stammutter: aber ich verachte deine giftige Sprache, die nach der Hölle riecht.
[60]MEPHISTOPHELES.
Einen Greisen zu erwürgen, trägst du Bedenken. Du begehst eine Wohlthat. Raub ihm sieche, und elende Tage. Wie lang soll er noch mit gekrümten Rücken auf dieser verfluchten Erde kriechen?
HELENA.
Warum soll ich unschuldiges Blut vergießen?
MEPHISTOPHELES.
Unschuldig? Ist der unschuldig, der mich beleidiget hat?
HELENA.
So räche dich selbst.
MEPHISTOPHELES.
Dieser Feind ist nicht in meiner Macht; aber in deiner. Menschen können sich einander schaden; wir können die Menschen nur durch sich selbst stürzen. Wir führen unsere Rathschläge durch euch aus. Wir wafnen einen wieder den andern. Wollen wir Kriege erregen; so geben wir den Großen verschiedene Meinungen; wir blasen den Erobern Ehrgeitz ein; dann erwürgen sie Myriaden um einen Spanne elende Erde. Wollen wir Völker zerstören; so fachen wir den Religionseifer an; Dann waffnet sich Bruder wieder Bruder. Der Vater durchbohrt die Brust des Sohnes. Die Mutter zerfleischt ihre Tochter. Das sind unsere Siege. Da lächelt, da frohlocket die ganze Hölle. Wir entschließen, und ihr führet aus. Geh, verbanne alle Zweifel. Ich will euch alle glücklich ma chen. Du, Faust, dein Sohn sollet meine Freunde seyn. Ihr könnet eure Tage im Schooße des Vergnügens zubringen. Kein. Mangel, keine [61] Krankheit, keine Sorge soll eure Liebe unterbrechen. Ich will euer Schutzgott, euer Vater seyn; aber ich fodre Gehorsam. Mit einem bischen Blut könnt ihr alle diese Glückseeligkeit erkaufen. Gil, vollzleh meinen Befehl! – Wo nicht, so zittre, für dich, für deinen Freund, für deinen Sohn! – Entschließ! – Nimm diesen Dolch, er ist mit Stärke, und Tod bewafnet – Zittre nicht!
HELENA.
Ach!
MEPHISTOPHELES.
Ich lasse dich. Sobald die Dämmerung diesen Pallast verfinstert, werde ich dir die Beute überliefern. Dein Sohn bleibt meine Geißel. Geht ab.
HELENA.
Ich trage dieß höllische Mordeisen in meinen Händen! – Wie zittert meine Hand! – Welche schwarze Wetter sind rings um mich! – Mein schwacher Geist verliert sich – Was seh ich – Die Blitze leuchten; die Donner brüllen; die entfässelten Winde heulen; die Erdklöße erheben sich; Himmel und Wasser sind vermischet; die Erde dräut mich zu verschlingen; der Sturmwind reisset mich fort! – Wo bin ich? – Ha, ich bin allein! Er ist fort der Verführer – Mein. Sohn, mein Freund, wo seyd ihr? Kommt mir zu Hilfe, unterstützet mich, ich falle! – Was seh ich – Man reisset sie fort! – Ja, die Hölle speyt hungrige Tyger aus – Sie eilen auf uns zu – Mein Geliebter, mein Sohn! – Haltet ein! – Es fließt schon ihr Blut – [62] Ha, ich eile, ich rette euch – Er soll sterben! – Wo geh ich hin? – Helena, wo bist du? deine Seele verliert sich – Ich bin entkräftet – Ich Elende, was soll ich entschlißen? Mein Herz ist getheilt. Ich will, ich muß sie retten. Stirb, stirb! – Grausame, sieh diesen armen Greisen, wie er dich anlächelt, wie er dich segnet, wie er dich anspricht: Tochter, warum tödtest du mich? Nein, leb, ich kann dich nicht beleidigen – So stirbt dein Sohn, so ist dein Freund das Schlachtopfer der Hölle. Ihr Blut, ihr theures Blut ruht auf dir. Meine Seele schwimmet auf einem Meere von Zweifeln. Wer kömmt? Ich zittre! –