Jules Verne
Der Triumph des 19. Jahrhunderts

1.Band

1. Capitel
Erstes Capitel.
Das Morgenroth eines Jahrhunderts der Entdeckungen.

Verminderung der Zahl der Entdeckungen während der Kämpfe der Republik und des Kaiserreichs. – Seetzen's Reisen in Syrien und Palästina. – Haouran und die Umschiffung des Todten Meeres. – Décapole. – Reise durch Arabien. – Burkhardt in Syrien. – Ausflüge in Nubien zu beiden Seiten des Nils. – Pilgerfahrt von Mekka nach Medina. – Die Engländer in Indien. – Webb an den Quellen des Ganges. – Bericht über eine Reise im Pendschab. –

Christie und Pottinger in Sindh. – Dieselben auf dem Wege durch Beludschistan bis nach Persien. – Elphistone in Afghanistan. – Persien nach Gardanne, Ad. Dupré, Morier, Macdonald. – Kinair, Price und Ouseley. – Güldenstädt und Klaproth im Kaukasus. – Lewis und Clarke in den Felsengebirgen. – Raffles in Sumatra und in Java.


Das Ende des 18. und der Anfang des 19. Jahrhunderts weisen eine auffallende Abnahme in der Zahl großer Entdeckungen auf. Wir haben früher [5] gesehen, daß die französische Republik eine Expedition zur Aufsuchung La Pérouse's ausrüstete und Kapitän Baudin seine ergebnißreiche Kreuzfahrt an den Küsten Australiens durchführte. Das sind aber auch die einzigen Gelegenheiten, bei welchen die von den entfesselten Leidenschaften der Menge und durch brudermörderische Kämpfe gelähmte Regierung ihr Interesse für die Erweiterung der Erdkunde an den Tag zu legen vermochte.

Erst später umgab sich Bonaparte in Egypten mit einem Generalstabe von Gelehrten und hervorragenden Künstlern. Damals sammelte man auch die Unterlagen zu jenem großen und schönen Werke, das zum ersten Male eine verläßliche, freilich noch lückenhafte Vorstellung von der Civilisation des Landes der Pharaonen im Alterthum verbreitete. Nachdem aus Bonaparte aber erst Napoleon geworden war, wollte der souveräne Egoist, der seiner Leidenschaft, dem Moloch des Krieges, alles Andere opferte, von Forscherzügen, Reisen und anzustrebenden Entdeckungen nichts mehr hören; das hätte ihm ja Geld und Leute gekostet. Sein Verbrauch an letztern Beiden war schon zu groß, als daß er sich jenen geringen Aufwand noch hätte erlauben können.

Beweis dafür ist es, daß er sogar den letzten Rest des französischen Colonialgebietes in Amerika für einige Millionen den Vereinigten Staaten überließ.

Glücklicher Weise lastete diese Eisenfaust nicht ebenso schwer auf anderen Völkern. Beschäftigte sie auch der Kampf gegen Frankreich, so fanden sich bei ihnen doch noch Freiwillige, welche das Feld der Erdkunde bebauten, die Archäologie auf wirklich wissenschaftlichen Grundlagen errichteten und die ersten linguistischen und ethnographischen Forschungen anstellten.

Der gelehrte Geograph Malte-Brun (ein Däne von Geburt) schildert in einem Aufsatze, den er im Jahre 1817 in den »Nouvelles Annales des Voyages« veröffentlichte, eingehend und treffend den Stand des geographischen Wissens zu Anfang des 19. Jahrhunderts und die zahlreichen »frommen Wünsche« dieses Faches. Er hebt dabei die schon errungenen Fortschritte in der Schifffahrtskunde, der Astronomie und der Linguistik gebührend hervor. Weit entfernt, ihre Entdeckungen zu verheimlichen, wie die Hudsonbay-Compagnie das aus Eifersucht zu thun beliebte, begründet die Indische Compagnie dagegen Akademien, veröffentlicht sie Berichte und unterstützt die Reisenden. Selbst aus dem Kriege sucht man Nutzen zu ziehen, wie z. B. die französische Armee in Egypten das Material zu einem umfangreichen (geographischen) Werke sammelte.

[6] Wir werden später sehen, daß sich aller Völker bald ein löblicher Wetteifer bemächtigte. Ein Land aber vor allen, Deutschland nämlich, war es, das sich zu Anfang des Jahrhunderts durch die wichtigen Entdeckungen seiner Reisenden auszeichnete. Seine ersten Forscher gehen mit so großer Sorgfalt zu Werke und bekunden einen so bestimmten Willen und ein so sicheres Vorgefühl, daß sie den Nachfolgern nur die Bestätigung, höchstens die Weiterführung ihrer Entdeckungen übrig lassen.

Als der Erste derselben ist Ulrich Jasper Seetzen zu betrachten. Geboren im Jahre 1767 zu Sophiengroden in der Herrschaft Jever (Ostfriesland), trat Seetzen, nach Vollendung seiner Studien in Göttingen, zuerst mit einigen Abhandlungen über Statistik und Naturwissenschaften, zu welchen ihn natürliche Neigung hinwies, an die Oeffentlichkeit. Diese Arbeiten erwarben ihm die Aufmerksamkeit der Regierung und veranlaßten seine Ernennung zum Hofrath in der Herrschaft Jever.

Seetzen's Zukunftstraum war, wie auch später der Burkhardt's, eine Reise in Inner-Afrika; er wollte jedoch mit einer Erforschung Palästinas und Syriens beginnen, Länder, auf welche die im Jahre 1805 in London gegründete »Palestine association« auch die öffentliche Aufmerksamkeit hinlenkte. Seetzen wartete diese Anregung nicht ab, sondern reiste, mit zahlreichen Empfehlungen versehen, schon 1802 nach Constantinopel ab.

So viele Pilger und Reisende das Heilige Land und Syrien auch früher durchstreift hatten, so besaß man doch nur sehr unzuverlässige Kundschaft von jenen Gebieten. Die physische Geographie stand noch auf einem zu niedrigen Standpunkte, eigentliche Beobachtungen wurden nicht angestellt, und manche Theile, wie der Libanon und das Todte Meer, waren überhaupt noch nicht erforscht worden. Die vergleichende Geographie existirte noch gar nicht. Es bedurfte der unablässigen Bemühungen der genannten englischen Gesellschaft und der tieferen Kenntnisse der Reisenden, sie in's Leben zu rufen. Der nach verschiedenen Seiten gründlich vorgebildete Seetzen erschien deshalb besonders befähigt, jenes Land zu durchforschen, das, so oft es bereist war, doch noch als neu und kaum bekannt gelten konnte.

Nachdem er durch ganz Anatolien gezogen, gelangte Seetzen im Mai 1804 nach Aleppo. Hier verweilte er, beschäftigt mit dem praktischen Studium der arabischen Sprache, ein ganzes Jahr, fertigte Auszüge aus den Werken der Historiker und Geographen des Morgenlandes, bestimmte astronomisch die Lage[7] Aleppos, widmete sich naturgeschichtlichen Studien, sammelte alte Handschriften und übersetzte eine große Zahl von Volksliedern und Sagen, welche für die eingehende Kenntniß einer Nation ja stets von höchstem Werthe sind.

Im April 1805 reiste Seetzen von Aleppo nach Damaskus ab. Sein erster Zug führte ihn durch die im Südosten jener Stadt gelegenen Bezirke von Haouran und Djolan, welche bisher noch kein Reisender besucht hatte. Dieselben spielten übrigens zur Zeit der Römerherrschaft unter den Namen Auranitis und Gaulonitis in der Geschichte der Israeliten eine hervorragende Rolle. Seetzen war also der Erste, der ihre geographischen Verhältnisse kennen lehrte.

Weiter nahm der kühne Reisende den Libanon und Baalbek in Augenschein, drang südlich über Damaskus vor, stieg nach Judäa hinab und erforschte den östlichen Theil von Hermon (das ist der südlichste Theil des Anti-Libanon), den Jordan und das Todte Meer. Hier war der Sitz der zur Zeit der Juden wohl bekannten Völker, der Ammoniter, Moabiter, Galaditer, Bataneer u. a. m. Der südliche Theil dieser Gegend führte zur Zeit der Besitznahme durch die Römer den Namen Peräa, und hier bestand die berühmte Dekapolis, oder der Bund der zehn Städte. Noch hatte kein europäischer Reisender dieses Gebiet besucht; für Seetzen ein hinreichender Grund, hier seine eigentlichen gelehrten Forschungen zu beginnen.

Seine Freunde in Damaskus versuchten zwar ihm diese Reise zu verleiden, indem sie die Schwierigkeiten und Gefahren des von Beduinen stark besuchten Weges schilderten, doch vermochte nichts, seinen Vorsatz zu erschüttern. Bevor er sich nach der eigentlichen Dekapolis wandte und die Städte-Ruinen dieses Bundes aufsuchte, durchstreifte Seetzen das Ländchen Ladscha, das in Damaskus wegen der Beduinen, die es bewohnten, in sehr üblem, aber daneben auch in dem Rufe stand, wichtige Alterthümer zu bergen.


Jerusalem. (S. 14.)

Am 12. December 1805 brach Seetzen, der sich vorsorglich mit einem Passe des Paschas versehen hatte, mit einem armenischen Führer von Damaskus auf; Letzterer verirrte sich aber schon am ersten Tage, und Seetzen ließ sich durch einen bewaffneten Reiter von Dorf zu Dorf führen.

»Der Theil von Ladscha, den ich gesehen habe, sagt der Reisende in seinem, in den alten »Annales des Voyages« aufbewahrten Berichte, zeigt sich, wie Haouran, mit einem, meist sehr porösen Basalt erfüllt, der an manchen Stellen wirkliche Steinwüsten bildet.[8] Die verfallenen Dörfer liegen gewöhnlich am Abhange von Felsen. Die schwarze Farbe der Basalte, die zusammengestürzten Häuser, Kirchen und Thürme, der gänzliche Mangel an Bäumen und Buschwerk – Alles verleiht diesen Gegenden ein düsteres, melancholisches Aussehen das die Seele mit Grauen erfüllt. Fast in jedem Dorfe findet man entweder griechische Inschriften, Säulen oder andere Ueberreste aus dem Alterthum. (Ich habe unter Anderem eine Inschrift des Kaisers Marc Aurel copirt.) Die Thürflügel sind hier, wie in Haouran, gewöhnlich aus Basalt gefertigt.«

Kaum war Seetzen in dem Dorfe Gerata angekommen und pflegte einige Augenblicke der Ruhe, als ihm eine Anzahl Berittener ankündigte, daß sie [9] beauftragt seien, ihn im Namen des Gouverneurs von Haouran zu verhaften. Ihr Herr, Omar Aga, hatte vernommen, daß der Reisende sich schon im vorhergehenden Jahre im Lande aufgehalten habe, und in der Meinung, daß jener falsche Pässe bei sich führe, befohlen, ihn vorzuführen.

An Widerstand war nicht zu denken. Ohne hierüber besonders zu erschrecken, zog Seetzen, der die ganze Sache nur als einen widrigen Zufall auffaßte, anderthalb Tage durch Haouran, bis er Omar Aga auf der Straße nach Mekka antraf.

Er wurde von diesem wider Erwarten gut empfangen und konnte schon am nächsten Tage wieder weiter reisen; das Zusammentreffen mit mehreren Arabertruppen auf der Straße aber, denen er nur durch seine unerschrockene Haltung Respect einflößte, bewies ihm doch, daß Omar Aga ihn wohl hatte ausplündern lassen wollen.

Nach Damaskus zurückgekehrt, hatte Seetzen große Mühe, einen Führer zu finden, der erbötig gewesen wäre, ihn längs des östlichen Ufers des Jordans und um das Todte Meer zu begleiten. Endlich erklärte sich ein gewisser Yusuf al Milky, von Religion ein Grieche, der schon seit dreißig Jahren mit den arabischen Stämmen Handel getrieben und die Gegenden, welche Seetzen besuchen wollte, durchreist hatte, bereit, auf dessen Wünsche einzugehen.

Am 19. Januar 1806 verließen die beiden Reisen den Damaskus. Als Gepäck führte Seetzen nur einige Bündel mit sich, welche die unentbehrlichsten Bücher, Papier zum Trocknen von Pflanzen und einen Vorrath von Droguen enthielten, den er, um als Arzt, für den man ihn überall hielt, zu gelten, unbedingt besitzen mußte. Er trug dabei die Kleidung eines Scheikh zweiter Classe.

Seetzen durchforschte zuerst die beiden Districte von Rascheia und Hasbela, am Fuße des Berges Hermon, dessen Gipfel damals mit Schnee bedeckt erschien, weil jene von ganz Syrien noch am wenigsten bekannt waren.

An der anderen Seite des genannten Berges besuchte der Reisende zunächst Ascha, ein von Drusen bewohntes Dorf; Rascheia, die Residenz eines Emirs, und Hasbela, wo er bei dem gelehrten Bischof von Szur oder Sceida, an den er einen Empfehlungsbrief besaß, einkehrte. Am meisten erregte die Aufmerksamkeit des Reisenden in diesem Lande eine Asphaltgrube, »deren Product man hier dazu benutzte, die Weinberge vor Insecten zu schützen«.

Von Hasbela wandte sich Seetzen nach Baniaß, dem alten Cäsarea Philippi, jetzt ein elender Flecken von zwanzig Hütten. Fanden sich auch noch Spuren[10] der Umfassungsmauern der ehemaligen Stadt, so war doch nicht das Geringste mehr von dem prächtigen Tempel übrig, den Herodes einst zu Ehren des Augustus errichten ließ.

Der Fluß Baniaß galt bei den Alten als Quelle des Jordan, während der Hasbeny, als weitaus längster Arm jenes Stromes, diesen Namen gewiß weit eher verdient hätte. Seetzen nahm diesen in Augenschein, gleich wie den See Merom oder Samachonitis der Alten.

Hier verließen ihn gleichzeitig seine Maulthiertreiber, die ihm um nichts in der Welt bis zur Brücke von Dschir Behat Jacub gefolgt wären, und sein Führer Yusuf, den er auf der Hauptstraße nach Tiberias schickte, um dort zu warten, während er zu Fuß und in Begleitung eines einzigen Arabers nach der gefürchteten Brücke zu aufbrach.

In Dschir Behat Jacub konnte Seetzen aber Niemand finden, der ihn am östlichen Ufer des Jordan hätte führen sollen, als ein Eingeborner, welcher gehört hatte, daß Jener Arzt sei, ihn bat, seinen an Ophtalmie leidenden, an der Westküste des Tiberiassees wohnenden Scheikh zu besuchen.

Seetzen ließ sich diese Gelegenheit nicht entgehen, sondern willigte sofort ein, denn sie gestattete ihm, den Tiberiassee und den Fluß Wady Szemmak kennen zu lernen, obwohl er dabei Gefahr lief, von seinem Führer geplündert, vielleicht am Ende gar ermordet zu werden. Endlich kam er aber glücklich in Tiberias, dem Tabaria der Araber, an, wo Yusuf ihn schon seit mehreren Tagen erwartete.

»Die Stadt Tiberias, sagt Seetzen, liegt unmittelbar am Ufer des gleichnamigen Sees und ist nach der Landseite zu von einer ansehnlichen Mauer aus behauenem Basalt umschlossen; dennoch verdient sie kaum den Namen einer befestigten Stadt. Kaum irgendwo zeigt sich eine Spur ihres früheren Glanzes, dagegen erkennt man noch die Ruinen der alten Stadt, die sich bis zu den, eine Stunde weiter östlich gelegenen warmen Bädern erstrecken. Der berühmte Djezar Pascha hat über der Hauptquelle einen Badesaal errichten lassen Lägen diese Bäder in Europa, so würden sie wahrscheinlich vielen, daselbst bekannten vorgezogen werden. Das Thal, in welchem der See liegt, begünstigt durch die Concentration der Wärme das Gedeihen der Datteln, Citronen- und Orangenbäume, sowie der Indigopflanze, während das höher gelegene Land die Erzeugnisse der gemäßigten Klimate liefern könnte.«

[11] Westlich von der Südspitze des Sees findet man die Trümmer der alten Stadt Tarichäa. Hier beginnt zwischen zwei Bergzügen die schöne Ebene El Ghor, leider wenig angebaut und durch nomadisirende Araber unsicher gemacht.

Ohne bemerkenswerthen Zwischenfall setzte Seetzen seine Reise durch das Gebiet der Dekapolis weiter fort, nur mußte er sich als Bettler verkleiden, um der Habgier der Eingebornen zu entgehen.

»Ueber das Hemd, so berichtet er, zog ich einen alten Kambas oder Hausrock und darüber ein altes zerrissenes blaues Frauenhemd; den Kopf bedeckte ich mit einem Fetzen und trug ganz abgenutzte Pantoffeln an den Füßen. Ein zerlumpter, über die Schultern geworfener »Abbaje« schützte mich gegen Kälte und Regen, und ein Zweig diente mir als Stock. Mein Führer, ein griechischer Christ, trug ziemlich das nämliche Costüm, und in diesem Aufzuge durchwanderten wir zehn volle Tage das Land, oft aufgehalten durch kalte Regenschauer, welche uns bis auf die Haut durchnäßten. Einen ganzen Tag mußte ich sogar barfuß durch den Schmutz waten, da es unmöglich war, mit Pantoffeln auf dem lehmigen und von Regen durchweichten Boden fortzukommen.«

Draa, das man unsern von hier antrifft, ist nur ein Haufen verlassener Ruinen, ohne eine Spur der Baudenkmäler, denen es früher seine Berühmtheit verdankte.

Der Bezirk von El Botthin, der hierauf folgt, enthält mehrere Tausend im Felsen ausgearbeitete Höhlen, in welchen dessen frühere Bewohner hausten; doch war das auch zu Seetzen's Zeiten zum großen Theile noch der Fall.

Mkes war ehemals eine reiche und bedeutende Stadt, worauf noch die zahlreichen Reste von Säulengängen und Grabdenkmälern hinweisen. Seetzen hält dasselbe für identisch mit Gadara, einer der Städte zweiter Classe im Bunde der Dekapolis.

Wenige Stunden von hier liegen die Ruinen von Abil, dem Abila der Alten. Seetzen vermochte seinen Führer Aoser nicht zu bestimmen, mit dahin zu gehen, da jenen mancherlei über die Araber von Beni Spohar umlaufende Gerüchte zu sehr erschreckten. Er mußte also allein dahin wandern.

»Abil ist gänzlich zerstört und verlassen, berichtet der Reisende; von keinem Hause steht heute ein Stein auf dem andern, aber die Ruinen und Trümmer verrathen noch den früheren Glanz. Man findet hier schöne Ueberreste der alten Umfassungsmauer und eine Menge Wölbungen und Säulen aus [12] Marmor, Basalt und grauem Granit. Außerhalb der Mauern entdeckte ich viele Säulen, darunter zwei von außerordentlicher Größe, was die Vermuthung nahe legt, daß hier ein umfangreicher Tempel gestanden haben möge.«

Von dem Bezirk von El Botthin aus besuchte Seetzen den von Edschinn. Hier fand er bald die Ruinen von Dscherrasch, welche sogar den Vergleich mit denen von Palmyra und Baalbek aushalten.

»Es erscheint ganz unerklärlich, sagt Seetzen, wie diese, früher so berühmte Stadt der Aufmerksamkeit der Alterthumsforscher und Liebhaber hat entgehen können. Sie liegt in einer fruchtbaren und gut bewässerten Ebene. Bevor ich jene betrat, fielen mir mehrere Sarkophage mit recht schönen Basreliefs in die Augen, darunter einer dicht am Wege mit griechischer Inschrift. Die Mauern der Stadt sind zwar völlig verfallen, doch erkennt man noch ihre Ausdehnung, welche drei Viertel bis eine Meile betragen haben mag. Die Mauern selbst bestanden durchweg aus behauenem Marmor. Der Raum innerhalb derselben ist uneben und senkt sich nach einem Flusse zu. Von Privathäusern ist kein einziges erhalten, dagegen fand ich noch mehrere öffentliche Gebäude, welche sich durch sehr schöne Architektur auszeichneten; unter anderen zwei prächtige Amphitheater, vollständig aus Marmor, mit vielen Säulen, Nischen und dergleichen, Alles noch wohl erhalten, einige Paläste und drei Tempel, davon einen mit einem Peristyl aus zwölf Säulen von korinthischer Ordnung, von denen elf noch aufrecht standen. In einem anderen Tempel fand sich eine umgestürzte Säule aus dem schönsten egyptischen Granit. Ich entdeckte auch noch ein recht gut erhaltenes Stadtthor, aus drei mit Pilastern geschmückten Bogen bestehend. Das schönste Baudenkmal, welches ich jedoch fand, war eine lange, von einer anderen gekreuzte Straße, deren beide Seiten je eine Reihe korinthischer Säulen aus Marmor zierte, und welche in der Richtung nach einem halbkreisförmigen, von sechzig jonischen Säulen. eingefaßten Platze lief... Am Kreuzungspunkte der beiden Straßen bemerkte man an den vier daselbst gebildeten Ecken je ein großes Piedestal von bearbeiteten Steinen, die früher offenbar Statuen getragen haben... Noch erkennt man einen Theil des früheren Pflasters aus großen, zugeschnittenen Steinen. Ich zählte etwa zweihundert Säulen, welche noch heute ihr Simswerk trugen; die Zahl der am Boden liegenden ist freilich eine weit größere, denn ich sah eigentlich nur die Hälfte der Stadt, und es dürfte sich wohl in der andern Hälfte, jenseits des Flusses, noch eine Menge merkwürdiger Alterthümer finden.«

[13] Nach Seetzen's Ansicht kann Dscherrasch nur das alte Gerasa sein, eine Stadt, deren Lage in den Karten bis dahin stets unsicher bezeichnet war.

Der Reisende zog hierauf nach Serka, den Bezirk Jabok der hebräischen Geschichtsschreiber, der die Nordgrenze des Landes der Ammoniter bildet, und weiter durch El Belka, ein ehemals blühendes Land, das jetzt vollkommen verwildert und öde liegt, und in dem man nur einen einzigen Flecken, Szalt, das alte Amathusa, findet. Seetzen besuchte ferner Amman, ehedem das berühmte Philadelphia der zehn Städte, noch jetzt ein Fundort seltener Alterthümer; Eleala, eine alte Stadt der Amoriter; Madaba, das zu Moses' Zeiten Madba hieß; den Berg Nebo, Diban, die Landschaft von Karrak, die Heimat der Moabiter; die Ruinen von Robba (Rabbath), der Sitz der früheren Könige des Landes, und er gelangte so nach vielen Mühen und Beschwerden durch ein bergerfülltes Gebiet nach der am Südende des Todten Meeres gelegenen Gegend, welche Gor es Szophia genannt wird.

Unter starker Hitze mußte der Reisende über ausgedehnte Salzwüsten ziehen, welche jeder Bewässerung entbehrten. Am 6. April gelangte Seetzen dann nach Bethlehem und bald darauf nach Jerusalem, gepeinigt zwar von den Qualen entsetzlichen Durstes, aber mit der Befriedigung, Landschaften kennen gelernt zu haben, die noch kein Reisender vor ihm betreten hatte.

Gleichzeitig sammelte er schätzbare Beobachtungen über die Natur des Wassers im Todten Meere, widerlegte so manche darüber verbreitete Fabel, verbesserte verschiedene Irrthümer in den sonst besten Kartenwerken, identificirte mehrere heutige Städte mit solchen des alten Peräa und bestätigte das Vorhandensein zahlreicher Ruinen, welche für den blühenden Zustand dieser Gegend zur Zeit der Römerherrschaft Zeugniß ablegen. Am 25. Juni verließ Seetzen Jerusalem und kehrte auf dem Meere nach Akka (St. Jean d'Acre) zurück.

»Diese Reise bildet einen wirklichen Entdeckungszug,« sagt Vivien de St. Martin in einem Artikel der »Revue Germanique« von 1858.

Seetzen wollte seine Entdeckungen jedoch nicht lückenhaft lassen. Zehn Monate später unternahm er eine zweite Reise um den Asphaltsee und vervollständigte seine früheren Beobachtungen nach vielen Seiten hin.

Später ging der Reisende nach Kairo, wo er zwei volle Jahre verweilte. Ebenda erwarb er die größte Zahl orientalischer Handschriften, welche den Reichthum der Bibliothek von Gotha bilden, und sammelte alle möglichen Nachrichten über das Innere des Landes, von denen er, durch vortrefflichen Instinct [14] geleitet, aber nur diejenigen aufbewahrte, welche die Kennzeichen fast absoluter Verläßlichkeit an sich trugen.

Diese verhältnißmäßige Ruhe, so weit sie auch von eigentlicher Unthätigkeit entfernt war, konnte doch Seetzen's unersättlichen Durst nach weiteren Entdeckungen nicht lange unterdrücken. Im April 1809 verließ er die Hauptstadt Egyptens und begab sich nach Suez und der Halbinsel des Sinai, den er näher besichtigen wollte, bevor er in Arabien eindrang. Im Ganzen sehr wenig bekannt, war Arabien bisher nur von Kaufleuten aus St. Malo besucht worden, die dahin kamen, um »die Bohne von Mekka« einzukaufen. Bis zu Niebuhr's Zeit wurde auch keine wissenschaftliche Expedition ausgesendet, um die Geographie des Landes und die Sitten der Einwohner desselben zu studiren.

Professor Niebuhr, dem zur Erklärung mehrerer Bibelstellen einige Unterlagen fehlten, war die Veranlassung zu dieser Expedition, deren Kosten König Friedrich V. von Dänemark bestritt.

Bestehend aus dem Mathematiker von Haven, dem Naturforscher Forskaal, dem Arzte Doctor Kramer, dem Maler Bauernfeind und dem Genie-Officier Niebuhr, erfüllte diese Gesellschaft strebsamer, gelehrter Männer die auf sie gerichteten Hoffnungen in wahrhaft glänzender Weise.

Von 1762 bis 1764 besuchten sie Egypten, den Berg Sinaï, Djedda, segelten nach Loheia und drangen in das Innere des Glücklichen Arabiens ein, wobei Jeder das Land vom Gesichtspunkte seines Faches aus erforschte. Anstrengungen und Krankheiten lähmten aber die Kräfte der unerschrockenen Reisenden, und bald war Niebuhr nur allein übrig, die von ihm und seinen Gefährten gesammelten Beobachtungen zu ordnen und zu verwerthen. Seine Arbeit stellt eine unerforschliche Fundgrube dar, die man noch heute mit Vortheil ausbeutet.

Man sieht, daß es Seetzen nicht leicht gemacht war, diese Reise seines Vorgängers in Schatten zu stellen. Zur Erreichung dieses Zieles wich er vor keinem Mittel zurück. Nachdem er sich am 21. Juni öffentlich zum Islam bekannt, schiffte er sich in Suez nach Mekka ein, in welcher Stadt er als Pilger Eintritt zu erlangen hoffte. Vor seinem Einzug in die heilige Stadt kam er noch nach Tor und Djedda. Er erstaunte übrigens gewaltig über den Zufluß von Gläubigen und den Charakter dieser Stadt, die für den und von dem Cultus lebte.

Das Ganze, sagt der Reisende, erregte in mir eine so ungewohnte Empfindung, wie ich sie nirgends vorher kennen gelernt hatte.«

[15] Es wäre zwecklos, uns bei dieser Reise und bei dem Ausfluge nach Medina länger aufzuhalten. Wir entlehnen später die Beschreibung der heiligen Orte der knappen und trefflichen Schilderung Burkhardt's. Dazu besaß man lange Zeit von den Arbeiten Seetzen's nur die in den »Annales des Voyages« und in der »Correspondenz« des Barons Zach enthaltenen Auszüge. Erst im Jahre 1858 wurden die Reisetagebücher Seetzen's, und auch da noch lückenhaft, in deutscher Sprache veröffentlicht.

Von Medina kehrte der Reisende nach Mekka zurück, wo er sich eifrig, doch ohne Aufsehen, damit beschäftigte, die Stadt selbst und die Ceremonien des Cultus kennen zu lernen, auch die nöthigen astronomischen Beobachtungen anstellte, um die Lage dieser Hauptstadt des Islams genau zu bestimmen.

Am 23. März 1810 traf Seetzen wieder in Djedda ein und ging von hier aus mit dem Araber, der ihm noch in Mekka als Religionslehrer gedient hatte, zu Schiffe nach Hodeida, einem der bedeutendsten Häfen von Yemen. Nachdem er durch Beith el Fakih, einen Bergdistrict, in dem viel Kaffee gebaut wird, gekommen, und in Doran durch Krankheit nahezu einen Monat zurückgehalten worden war, erreichte Seetzen am 2. Juni Saana, die Hauptstadt von Yemen, die er die schönste Stadt des Morgenlandes nennt. Am 22. Juli reiste er wieder nach Aden und traf im November in Mekka ein, von wo aus man die letzten Briefe von ihm erhalten hat. Nach Yemen zurückgekehrt, wurde er, wie Niebuhr, seiner Sammlungen und Gepäcksstücke unter dem Vorwande beraubt, daß er Thiere sammle, um daraus einen Extract zur Vergiftung der Quellen zu bereiten.

Seetzen wollte sich aber nicht widerspruchslos berauben lassen, er begab sich auf der Stelle nach Saana, wo er bei dem Imam seine Reclamation anzubringen hoffte. Das war im December 1811. Wenige Tage später verbreitete sich das Gerücht von seinem in Taes eingetretenen Tode und kam bald zu den Ohren der Europäer, welche die arabischen Häfen besuchten.

Es ist heute ohne Bedeutung, zu fragen, wem die Schuld seines Todes beizumessen sei, ob dem Imam, oder Denen, die den Forscher ausplünderten, zu bedauern ist es aber, daß ein so gelehrter Reisender, der sich schon in die Sitten und Gebräuche der Araber eingelebt hatte, seine Forschungen nicht weiter fortsetzen konnte und daß der größte Theil seiner Tagebücher und Beobachtungen für immer verloren gegangen ist.


Hier ist auch Dein Grab. (S. 20.)

»Seetzen, sagt Vivien de Saint Martin, war seit Ludovico Barthema (1503) der erste Reisende, der bis [16] Mekka gelangte und die, dem Grabe des Propheten geweihte Stadt Medina gesehen hat.«

Es erhellt daraus, welchen Werth der Bericht dieses unparteiischen, kenntnißreichen und wahrheitsliebenden Reisenden hätte haben müssen.

Eben als ein unerwarteter Tod dem Streben Seetzen's ein Ziel setzte, folgte Burkhardt seiner Fährte und bereitete sich, wie Jener, durch einige Züge in Syrien zu einer weit ausgedehnten und eingehenden Erforschung Arabiens vor.

[17] »Es ist eine Seltenheit in der Geschichte der Wissenschaft, bemerkt Vivien de Saint Martin, zwei Männer von gleich hohem Werthe einander folgen, oder sich gewissermaßen ergänzen zu sehen. Burkhardt schlug nämlich häufig den von Seetzen früher eröffneten Weg ein, und es gelang ihm, lange Zeit durch besonders glückliche Umstände begünstigt, sehr verschiedenartige Züge auszuführen und den schon bekannten Entdeckungen seines Vorgängers manche wichtige und neue hinzuzufügen.«

Obgleich Burkhardt nicht eigentlich Engländer ist, da seine Wiege in Lausanne stand, so ist er doch unbedingt den Reisenden Großbritanniens zuzurechnen, denn er verdankt es nur seinen Beziehungen zu Sir Josef Banks, dem Naturforscher und Begleiter Cook's, dem Grafen Hamilton, Secretär der Afrikanischen Gesellschaft, und der warmen Empfehlung dieser Bei den, daß er in den Stand gesetzt wurde, mit Nutzen zu reisen.

Nach eingehenden Studien, zuerst an den Universitäten zu Leipzig und Göttingen, wo er Blumenbach's Vorlesungen hörte, und später in Cambridge, wo er die arabische Sprache lernte, schiffte sich Burkhardt am 24. Februar 1809 nach dem Orient, und zwar zunächst nach Malta ein. Als Vorbereitung auf die Beschwerden des Lebens eines Reisenden unterzog er sich freiwillig längerem Fasten, ertrug auch den brennendsten Durst und nahm Londoner Pflastersteine als Kopfkissen oder schlief gleich im Staube der Straße.

Um wieviel blieben aber diese knabenhaften Uebungen im Entbehren gegen die Anforderungen zurück, welche an ihn als begeisterten Jünger der Wissenschaft herantraten?

Von London nach Syrien abgereist, wo er sich in der arabischen Sprache vervollkommnen wollte, dachte Burkhardt sich sofort nach Kairo zu begeben und auf dem früher von Hornemann eingeschlagenen Wege nach Fezzan vorzudringen. Wenn er hierher gekommen, wollte er den Umständen überlassen, zu bestimmen, welchem Wege er weiter folgen sollte.

Burkhardt nahm nun den Namen eines Scheich Ibrahim Ibn Abdallah an und gab sich für einen indischen Muselman aus. Um seine Verkleidung glaubhaft erscheinen zu lassen, mußte er wiederholt zur List seine Zuflucht nehmen. Eine nekrologische Notiz in den Annales des Voyages meldet, daß Burkhardt, als man ihn ersucht hatte, indisch zu sprechen, ohne Zögern deutsch gesprochen habe. Ein italienischer Dolmetscher, der ihn im Verdacht hatte, ein Giaur zu sein, ging so weit, ihn am Barte zu zupfen, eine Beleidigung, wie [18] man sie schwerer einem Muselman nicht anthun kann. Burkhardt war so mit Fleisch und Bein in seiner Rolle aufgegangen, daß er auf der Stelle mit einem gewaltigen Faustschlag antwortete, der den verwegenen Dolmetscher zehn Schritte weit hintaumeln ließ, die Lacher auf seine Seite brachte und sie von seiner Echtheit überzeugte.

Vom September 1809 bis zum Februar 1812 verweilte Burkhardt in Aleppo und unterbrach seine Studien der Sprache und Sitten Syriens nur durch eine zehnmonatliche Reise nach Damaskus, Palmyra und nach Haouran – das Land, welches vor ihm nur Seetzen allein besichtigt hatte.

Es wird erzählt, daß Burkhardt bei einem Ausfluge nach Zor, einem nördlich von Aleppo, am Ufer des Euphrat gelegenen Districte, des Gepäcks und der Kleider beraubt wurde. Es blieb ihm nur noch seine Hofe übrig, als ihm die Frau eines Anführers, die keinen Beuteantheil bekommen hatte, auch noch dieses unentbehrliche Kleidungsstück wegnehmen wollte.

»Diese Züge, heißt es in der »Revue Germanique«, lieferten eine Menge Nachrichten über Länder, von denen man außer den unvollständigen Mittheilungen Seetzen's keinerlei Kenntniß besaß. Selbst in häufiger besuchten Gegenden wußte Burkhardt's Beobachtungstalent viel interessante Einzelheiten aufzufinden, die dem gewöhnlichen Reisenden meist entgehen... Dieses werthvolle Material gab später der Oberst Martin William Bake heraus, der sich auch selbst als Reisender, kenntnißreicher Geograph und tiefgebildeter Gelehrter auszeichnete.«

Burkhardt hatte Palmyra und Baalbek, den Abhang des Libanon, das Thal des Orontes, den See Hhuleh und die Quellen des Jordan in Augenschein genommen und dabei zuerst über eine große Anzahl alter Städte berichtet. Seinen Hinweisungen verdanken wir die sichere Bestimmung der Lage des berühmten Apamäa, obwohl er selbst und sein Herausgeber sich über die Bedeutung ihrer eigenen Angaben getäuscht hatten. Endlich sind seine Züge durch Auranitis, selbst nach denen Seetzen's, allseitig reich an geographischen und archäologischen Nachrichten, welche den heutigen Zustand des Landes kennen lehren und helle Streiflichter auf die vergleichende Geographie aller Epochen werfen.

Im Jahre 1812 verließ Burkhardt Damaskus, besuchte das Todte Meer, das Thal von Acaba und den alten Hafen Aziongaber, lauter Gegenden, welche heutzutage ganze Gesellschaften von Engländern, den Murray, Cook oder Bädeker in der Hand, durchstreifen, in die man sich aber damals nur mit Lebensgefahr [19] wagen durfte In einem Seitenthale entdeckte der Reisende die umfänglichen Ruinen von Peträa, der alten Hauptstadt des Steinichten Arabiens, wieder.

Gegen Ende des Jahres befand sich Burkhardt in Kairo. Es schien ihm nicht an der Zeit, sich der eben nach Fezzan ziehenden Karawane anzuschließen. Dagegen zog es ihn weit mehr nach Nubien als dem für Geschichtsschreiber, Geographen und Archäologen weit merkwürdigeren Lande. Seit dem Portugiesen Alvares war diese Wiege der egyptischen Cultur nur von den Franzosen Poncet und Lenoir Duroule, gegen Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts, besucht worden, ferner von Bruce, dessen Bericht so vielfach angezweifelt worden ist, und endlich von Norden, der aber über Derr nicht hinauskam.

Im Jahre 1813 durchforschte Burkhardt das eigentliche Nubien, das Gebiet von Kennour und Mohaß. Dieser Ausflug kostete ihm nur zweiundvierzig Francs, freilich eine bescheidene Summe im Vergleiche zu dem Aufwand, den jetzt die kürzesten Reisen in Afrika verursachen. Burkhardt wußte sich aber auch als Mahlzeit mit einer Handvoll Durrah (Hirse) zu begnügen, und seine ganze Begleitung bestand aus zwei Dromedaren.

Gleichzeitig mit ihm durchstreiften das Land zwei Engländer, die Herren Leph und Swelt, die ihren Weg mit Gold und Geschenken bestreuten und ihren Nachfolgern alle späteren Unternehmungen wesentlich vertheuerten.

Burkhardt überschritt die Katarakten des Nils.

»Unsern von hier, heißt es in dem Berichte, nahe einer Ortschaft mit Namen Djebel Lamule, haben die arabischen Führer die Gewohnheit, von dem, den sie geleiten, eine Extrabelohnung zu beanspruchen. Sie verfahren dabei wie folgt: sie machen Halt, steigen zur Erde herab und errichten aus Sand und Kieselsteinen einen kleinen Haufen, ähnlich dem, den die Nubier auf den Gräbern anzubringen pflegen, das nennen sie »das Grab des Reisenden herstellen«. An diese Demonstration schließt sich eine ziemlich ungestüme Forderung. Als Burkhardt seinen Führer diese Arbeit vornehmen sah, that er ganz ruhig das Gleiche. Dann wendete er sich an jenen mit den Worten: »Hier ist auch Dein Grab und da wir Brüder sind, ist es nicht mehr als billig, daß wir zusammen unter die Erde gebracht werden!« Der Araber mußte unwillkürlich lachen; dann zerstörte man gegenseitig die unheimlichen kleinen Hügel und bestieg in ungestörter Freundschaft die Kameele wieder. Der Araber citirte einen Vers aus dem Koran, welcher sagt: »Kein Sterblicher weiß, wo ihm einst seine Ruhestätte gegraben wird.«

[20] Burkhardt wäre auch gerne nach Dongolah vorgedrungen, er mußte sich aber damit begnügen, verschiedene, übrigens sehr interessante Mittheilungen über das Land und über die Mameluken zu sammeln, die sich nach dem Blutbade jener mächtigen Miliz, der Arnauten, damals die Werkzeuge des Paschas von Egypten, geflüchtet hatten.

Ruinen von Tempeln und alten Städten veranlaßten den Reisenden, wiederholt Halt zu machen; unter diesen gab es keine merkwürdigeren, als die von Ibsambul.

»Vor dem Tempel, so lautet sein Bericht, der unmittelbar am Ufer des Stromes (des Nils) liegt, stehen sechs kolossale Figuren, die vom Boden bis zu den Knieen sechseinhalb Fuß messen; sie stellen Isis und Osiris in verschiedenen Lagen vor... Alle Mauern und Säulenköpfe sind mit Malereien oder hieroglyphischen Skulpturen bedeckt, aus deren Styl Burkhardt auf ein sehr hohes Alter derselben schließt. Alles ist aus dem natürlichen Felsen gemeißelt. Die Gesichter scheinen gelb, die Haare der Figuren schwarz gefärbt zu sein. Gegen zweihundert Yards von diesem Tempel entfernt, findet man die Reste eines noch riesigeren Monuments; es besteht aus vier ungeheuren, fast ganz im Sande vergrabenen Figuren, so daß man nicht unterscheiden kann, ob diese eine stehende oder sitzende Lage haben...«

Wozu sollen wir uns aber bei den Beschreibungen von Denkmälern aufhalten, welche heutzutage genau bekannt, gemessen, gezeichnet, meist auch photographirt sind? Die Reiseberichte aus jener Zeit bieten ja eigentlich nur das Interesse, den Zustand von Ruinen zu schildern und die Veränderungen beurtheilen zu können, welche der Vandalismus der Araber später hervorgebracht hat.

Die von Burkhardt bei diesem ersten Ausfluge durchreiste Strecke umfaßt nur die Uferlandschaften des Nils, also einen sehr schmalen Streifen, und eine Reihe kleiner Thäler, welche sich nach dem Strome zu öffnen. Er schätzt die Bevölkerung dieses Gebietes auf etwa hunderttausend Menschen, die auf einem culturfähigen Erdstreifen von vierhundertfünfzig Meilen Länge und einer Viertelmeile Breite zerstreut wohnen.

»Die Männer hier sind sehr wohl gebaut, stark und muskelkräftig, an Wuchs den Egyptern etwas nachstehend, und ohne Backen- oder Schnurrbart, nur mit einem Anflug von Flaum unter dem Kinn. Ihr Gesicht besitzt einen angenehmen Ausdruck, und sie übertreffen die Egypter entschieden an Muth und Intelligenz. Neugierig und gern über Alles fragend, kennen sie doch den Diebstahl [21] nicht. Zuweilen sammeln sie durch fleißige Arbeit in Egypten ein kleines Vermögen, dagegen mangelt es ihnen völlig an Handels- und Unternehmungsgeist. Die Frauen theilen jene körperlichen Vorzüge; es giebt darunter recht hübsche, und alle sind gut gebaut; ihre Züge sind sehr zart und von wohlthuendem züchtigen Ausdruck.

Denon hat die Nubier offenbar zu gering geschätzt, wenn auch zuzugeben ist, daß ihre Natur von Bezirk zu Bezirk wechselt; da, wo das anbaufähige Terrain von größerer Breite ist, scheinen sie meist wohlgebildet, während in den Gegenden, wo der fruchtbare Boden sich auf einen schmalen Landstrich beschränkt, die Einwohner kraftloser erscheinen und manchmal wirklich wandelnden Skeleten gleichen.«

Das Land seufzte unter dem despotischen Joche der Kachefs, der Abkömmlinge eines Anführers der Bosniaken, die an Egypten nur einen unbedeutenden jährlichen Tribut entrichten. Dennoch dient derselbe ihnen zum Vorwand, die unglücklichen Fellahs auf jede Weise zu unterdrücken. Burkhard erzählt ein Beispiel von der frechen Rücksichtslosigkeit, mit der die Kachefs bei ihren Razzias verfahren.

»Hassan Kachef, sagte er, brauchte Hafer für seine Pferde; er geht deshalb, von vielen Sklaven begleitet, durch die Felder; bei einem hübschen Stück Hafer trifft er den Eigenthümer desselben.

Ihr benutzt Euer Feld sehr schlecht, herrscht er diesen an; Ihr besäet das Feld mit Hafer, wo Ihr vortreffliche Wassermelonen anbauen könntet, welche den doppelten Ertrag liefern würden. Nun, hier habt Ihr Melonenkerne (er giebt dabei dem Bauer eine Handvoll), säet sie auf Euer Feld, und Ihr Sklaven, mäht diesen gewöhnlichen Hafer ab und schafft ihn zu mir.«

Nachdem er bis zum März 1814 der Ruhe gepflegt, unternahm Burkhardt einen neuen Zug, diesmal aber nicht längs der Ufer des Nils, sondern in die eigentliche nubische Wüste. Da er wußte, daß die Armuth die wirksamste Leibwache bildet, schickte der vorsichtige Reisende seinen Diener zurück, verkaufte sein Kameel und schloß sich, nur einen Esel mit sich führend, einer Karawane kleinerer Kaufleute an.

Die Karawane brach nach Daru, einem zur Hälfte von Fellahs, zur Hälfte von Ababden bewohnten Dorfe auf. Ueber die Ersteren hatte der Reisende bittere Klage zu führen, nicht weil sie ihn als Europäer erkannt hätten, sondern weil sie ihn im Gegentheil für einen Türken aus Syrien [22] ansahen, der in der Absicht gekommen wäre, ihnen einen Theil des Sklavenhandels, dessen Monopol sie gewissermaßen besaßen, zu entreißen.

Es wäre nutzlos, hier die Namen der Brunnen, Hügel und Thäler jener Wüsten aufzuzählen. Wir ziehen es vor, nach dem Berichte des Reisenden die physikalischen Verhältnisse der Gegend zu schildern.

Bruce, der hier gewesen war, malt dieselbe mit zu düsteren Farben und übertreibt, um seine Verdienste mehr hervorzuheben, auch die Schwierigkeiten des Weges. Wenn man Burkhardt Glauben schenkt, so wäre dieser sogar minder trostlos, als der Weg von Aleppo nach Bagdad, oder von Damaskus nach Medina. Die nubische Wüste besteht keineswegs aus einer grenzenlosen Sandsteppe, deren tödtliches Einerlei nirgends unterbrochen scheint. Sie enthält da und dort sogar Felsen, manchmal von zwei- bis dreihundert Fuß Höhe, und wohl auch von ausgedehnten Doums-oder Akazienhainen beschattet. Die so durchsichtige Belaubung dieser Bäume bietet freilich nur einen trügerischen Schutz gegen die fast lothrechten Strahlen der Sonne. Daher auch das arabische Sprichwort: »Rechnen auf den Schutz eines Großen und auf den Schatten der Akazie.«

In Ankheyre oder Uadù Berber erreichte die Karawane den Nil, nachdem sie über Schiggre gezogen, wo sich inmitten der Berge die schönsten Quellen finden. Die einzige mit einem Zuge durch diese Wüste verbundene Gefahr liegt darin, den Brunnen von Nedjeym ausgetrocknet zu treffen, und wenn man sich sonst nicht vom Wege verirrt, was mit guten Führern kaum vorkommen kann, so hat man ernsthaftere Hindernisse nicht zu fürchten.

Die Schilderung der Leiden, welche Bruce hier erduldet haben will, muß also wesentlich abgeschwächt werden, obgleich der Bericht des schottischen Reisenden sonst meist der Wahrheit die Ehre giebt.

Die Bewohner des Berberlandes scheinen die Barbarins Bruce's, die Berabras d'Anville's und die Barauras Poncet's zu sein. Ihre Formen sind schön und ihre Gesichtszüge unterscheiden sich wesentlich von denen der Neger. Sie erhalten sich diese Reinheit des Blutes, indem sie nur Töchter ihres Stammes oder eines anderen arabischen Volkes zu Frauen wählen. Die Schilderung, welche Burkhardt von den Sitten und dem Charakter dieses Volkes entwirft, ist zwar recht merkwürdig, aber keineswegs erbaulicher Art.


Porträt von Burkhardt. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

[23]

Nur schwer könnte man eine Idee von der Corruption und Versunkenheit der Bewohner von Berber geben.Als Mittelpunkt lebhaften Handels, als Sammelplatz der Karawanen und als Sklavendepoi vereinigt diese kleine Stadt Alles, um sie zu einem Lieblingsplatz von Banditen zu machen. Die Handelsleute aus Daoron, auf deren Schutz Burkhardt bisher sehr mit Unrecht gezählt hatte, während sie ihn nur auszubeuten suchten, schlossen ihn, als sie Berber verließen, von ihrer Gesellschaft aus, und der Reisende mußte nun Aufnahme bei den Führern und Eseltreibern suchen, die ihm bereitwillig entgegenkamen.

Am 10. April wurde die Karawane, wenig südlich von einem Nebenflusse des Mogrea (dem Mareb Bruce's), durch den Mek von Damer gebrandschatzt.

[24] Letzteres ist ein Fakir-Dorf, welches reinlich und gut erhalten, recht vortheilhaft gegen den Schmutz und die Ruinen von Berber absticht. Diese Fakirs treiben Hexerei in jeder Richtung, von der einfachen Magie bis zur schamlosesten Charlatanerie. Einer derselben, sagt man, hatte sogar ein Lamm in dem Magen eines Mannes blöken lassen, das dieser geraubt und verzehrt hatte. Die höchst unwissenden Völker nehmen derlei für baare Münze, und man muß leider gestehen, daß das nicht wenig zur Erhaltung der Ordnung und Ruhe in der Stadt, wie zum Gedeihen des ganzes Landes beiträgt.


Brodhändlerin von Djeddah. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Von Damer aus gelangte Burkhardt nach Schendy, wo er einen ganzen Monat verweilte, ohne daß Jemand in ihm den Ungläubigen argwöhnte. Unbedeutend zur Zeit der Reise Bruce's, zählte Schendy später nicht weniger als tausend Häuser. Daselbst wurde [25] lebhafter Handel getrieben, bei dem die Durrah (Hirse), Sklaven und Kameele die Stelle der Zahlungsmittel vertraten. Die gesuchtesten Artikel waren Gummi, Elfenbein, Gold in Stangen und Straußenfedern.

Die Zahl der jährlich in Schendy verkauften Sklaven erreichte nach Burkhardt wenigstens fünftausend, davon zweitausendfünfhundert für Arabien, vierhundert für Egypten, tausend für Dongola und die Küsten des Rothen Meeres.

Der Reisende benutzte seinen Aufenthalt nahe der Grenze von Sennaar, um auch über dieses Königreich Kenntnisse zu erwerben. Man erzählt unter anderen Eigenthümlichkeiten, daß der König eines Tages den Gesandten Mehemed Ali's eingeladen habe, einer Musterung seiner Reiterei, die er für unüberwindlich hielt, beizuwohnen; der Gesandte bat ihn darauf, auch einmal das Exerciren der türkischen Artillerie in Augenschein zu nehmen. Bei dem ersten Krachen der kleinen, von Kameelen getragenen Feldgeschütze ergriffen da die Reiterei, das Fußvolk, die Zuschauer, der ganze Hof und der König mit eiligst die Flucht!

Burkhardt verkaufte seinen kleinen Waarenvorrath; der Nergeleien der egyptischen Kaufleute, seiner Reisegesellschafter, überdrüssig, schloß er sich nun an eine Karawane von Suakim in der Absicht an, das bis dahin gänzlich unbekannte Land, welches sich bis über die letzte Stadt Schendy hinaus erstreckte, zu durchstreifen. Von Suakim aus hoffte er sich nach Mekka einschiffen zu können, wo er von den Hadjis für seine weiteren Projecte eine wirksame Unterstützung erwartete.

»Die Hadjis, sagt er, bilden eine geschlossene Körperschaft, und Niemand wagt, ein Mitglied derselben anzugreifen, aus Furcht, sich der Rache aller Uebrigen auszusetzen.«

Die Karawane, der sich Burkhardt anschloß, bestand aus hundertfünfzig Kaufleuten und dreihundert Sklaven. Zweihundert Kameele trugen schwere Lasten Tabak und »Dammur«, das ist ein in Sennaar fabricirter Stoff.

Das erste, unserem Reisenden in die Augen fallende interessantere Object war der Atbara, dessen mit großen Bäumen bedeckte Ufer nach einem Zug durch verlassene Wüsten einen erquickenden Anblick gewährten.

[26] Dem Laufe des Flusses folgte man nun bis zu dem fruchtbaren Bezirke von Taka. Die weiße Haut des Scheich Ibrahim – wir wissen, daß Burkhardt sich diesen Namen beigelegt hatte – entlockte in den meisten Dörfern der weiblichen Bewohnerschaft, welche Araber viel seltener zu Gesicht bekamen, gar manchen Schreckensschrei.

»Eines Tages, erzählt der Reisende, erklärte mir ein Landmädchen, der ich Zwiebeln abgekauft hatte, sie werde mir noch mehr geben, wenn ich ihr meinen entblößten Kopf zeige. Ich verlangte dafür acht Stück, die sie mir sofort einhändigte. Als sie aber, nachdem ich den Turban abgenommen, einen ganz weißen, glatt geschorenen Schädel sah, wich sie voller Entsetzen zurück und erwiderte auf meine im Scherz gestellte Frage, ob sie sich einen Mann mit solchem Kopfe wünschte, unter allen Zeichen des Abscheus, daß sie lieber den häßlichsten, von Darfur hergeschleppten Sklaven wählen würde.«

Kurz vor Goz Radjel bemerkte Burkhardt ein Bauwerk, das man ihm als Kirche oder Tempel bezeichnete, denn das Wort hat diese zwei Bedeutungen. Er ging schon darauf zu, als ihn seine Gefährten zurückriefen.

»Die ganze Umgebung steckt voller Räuber; Du kannst keine hundert Schritte gehen, ohne angefallen zu werden!«

War jenes nun ein egyptischer Tempel oder vielleicht ein aus der axumitischen Herrschaft herrührendes Bauwerk? Darüber vermochte der Reisende keine Gewißheit zu erlangen.

Die Karawane kam endlich nach dem Lande Taka oder El Gasch, eine große, im Juni und Juli von austretenden kleinen Flüssen überschwemmte Ebene, welche durch den abgesetzten Schlamm ungemein fruchtbar wird. So steht auch der hier gewachsene und in Djedda zu Markte gebrachte Durrah im Preise um zwanzig Percent höher als die egyptische Hirse.

Die Bewohner, Hadendoas genannt, sind verrätherisch, diebisch, blutdürstig, und ihre Weiber fast ebenso sittenlos wie die Frauen von Schendy und Berber.

Will man von Taka aus nach Suakim und dem Ufer des Rothen Meeres gehen, so muß man eine Kette von Kalkbergen übersteigen, in der man Granit nur bei Schinterab findet. Der Weg über die Gebirge bietet übrigens keine besonderen Schwierigkeiten. Der Reisende gelangte auch ohne Unfall am 26. Mai nach Suakim.

Burkhardt sollte aber noch keineswegs aller Mühsal enthoben sein. Der Emir und der Aga hatten sich verständigt, ihn zu berauben, und er sah sich [27] schon einer Behandlung wie der geringste Sklave ausgesetzt, als der Anblick der Fermans, die er von Mehemed Ali und Ibrahim Pascha besaß, die Scene vollkommen veränderte. Statt in's Gefängniß zu wandern, wovon er bedroht war, wurde der Reisende nun zu dem Hause des Aga geführt, der ihm Wohnung geben und eine junge Sklavin zum Geschenk machen wollte.

»Diese zwanzig bis zweiundzwanzig Tage dauernde Fahrt zwischen dem Nil und dem Rothen Meere war die erste, welche ein Europäer ausgeführt hat. Ihr verdankte das Abendland die erste verläßliche Kunde über die theils nomadisirenden, theils seßhaften Völkerstämme jener Gegend. Burkhardt's Beobachtungen sind von bleibendem Interesse, so daß es kaum eine lehrreichere und gleichzeitig ansprechendere Lectüre geben dürfte.«

Burkhardt ging am 7. Juli an Bord eines einheimischen Schiffes und erreichte nach elf Tagen Djeddah, das den Hafen Mekkas bildete.

Djeddah ist am Ufer des Meeres erbaut und mit Mauern umgeben, welche, wenn auch gegen Artillerie ohnmächtig, doch hinreichen mögen, die Stadt gegen die Wahabiter zu vertheidigen. Die Letzteren, die sogenannten »Puritaner des Islam«, bilden eine Dissidentensecte, deren Hauptaufgabe in der Zurückführung der mohammedanischen Religion zu ihrer ursprünglichen Einfachheit besteht.

»Eine Batterie, sagt Burkhardt, schützt den Eingang von der Seeseite und beherrscht den ganzen Hafen. Da sieht man auf seiner Laffette ein außergewöhnlich großes Geschütz, welches Kugeln von fünfhundert Pfund Gewicht schleudert und im ganzen arabischen Golf so berühmt ist, daß schon das Ansehen, in dem es steht, Djeddah einen gewissen Schutz verleiht.«

Eine der größten Unannehmlichkeiten der Stadt beruht in ihrem Mangel an Trinkwasser, das aus etwa zwei Meilen entfernten Brunnen herbeigeschafft werden muß. Ohne Gärten, ohne Grün, ohne Dattelpalmen und trotz einer Bevölkerung von zwölf- bis fünfzehntausend Seelen – eine Zahl, die sich zur Zeit der Pilgerfahrten mehr als verdoppelt – bietet Djeddah einen ganz absonderlichen Anblick. Seine Bevölkerung ist keineswegs eine ortseingeborne; sie besteht vielmehr aus Eingebornen von Hadramazt, Yemen, oder aus Indiern von Surate und Bombay, endlich aus Malayen, die, auf Pilgerfahrten hierher gekommen, den Stamm der Stadtbewohner bildeten.

Mitten unter sehr eingehenden Schilderungen der Sitten, Lebensweise, Waarenpreise und der Anzahl der Kaufleute, begegnet man in Burkhardt's Bericht mehr als einer interessanten Anekdote.

[28] Bei Erwähnung der eigenthümlichen Gewohnheiten der Bewohner Djeddahs, sagt der Reisende:

»Fast Jedermann pflegt des Morgens eine Kaffeetasse voll »Ghi«, das ist zerlassene Butter, zu sich zu nehmen. Nachher trinkt man Kaffee, der als hervorragendes Stärkungsmittel angesehen wird, und daran haben sich die Leute von frühester Jugend an so sehr gewöhnt, daß sie sich sehr unwohl fühlen würden, wenn sie diesen Gebrauch aussetzten. Leute aus besseren Ständen begnügen sich, die Tasse flüssiger Butter zu trinken. Die unteren Classen fügen jener aber noch eine halbe Tasse hinzu, die sie durch die Nasenlöcher einsaugen, in der Meinung, dadurch der schlechten Luft den Eintritt in den Körper durch diese Oeffnung zu verschließen.«

Am 24. August verließ der Reisende Djeddah, um sich nach Taïf zu begeben. Der Weg zieht sich durch eine Kette von Bergen, durch Thäler mit romantischen Landschaften und überraschend üppigem Grün dahin. Burkhardt wurde hier für einen englischen Spion gehalten und scharf überwacht. Trotz des scheinbar wohlwollenden Empfangs seitens des Paschas, konnte er sich doch nicht frei bewegen und mußte fast auf alle Beobachtungen verzichten.

Taïf ist, wie es scheint, berühmt durch die Schönheit seiner Gärten; Rosen und Weintrauben werden von hier nach allen Theilen von Hedjaz ausgeführt. Die Stadt betrieb überhaupt beträchtlichen Handel und erfreute sich des besten Gedeihens, bis sie von den Wahabitern geplündert wurde.

Die Ueberwachung, der sich Burkhardt ausgesetzt sah, beschleunigte seine Abreise, und schon am 7. September schlug er den Weg nach Mekka ein. Sehr bewandert im Koran und vertraut mit den Vorschriften des Islam, war Burkhardt vollkommen befähigt, die Rolle eines Pilgers zu spielen. Die erste darauf bezügliche Maßregel seinerseits bestand darin, sich, wie es das Gesetz dem nach Mekka ziehenden Pilger vorschreibt, mit dem »Ihram« zu bekleiden, das sind mehrere Stücke Kattun ohne Naht, deren eines um die Hüften geschlungen, das andere um Hals und Schultern geworfen wird. Des Pilgers erste Pflicht in Mekka ist es, nach dem Tempel zu gehen, selbst bevor er sich um Obdach bekümmert. Burkhardt versah das ebenso wenig wie die Einhaltung aller für diesen Fall bestehenden Riten und Ceremonien, lauter Sachen von speciellem, aber eben deshalb zu beschränktem Interesse, um hier länger dabei zu verweilen.

»Mekka, sagt Burkhardt, darf eine hübsche Stadt genannt werden. Ihre Straßen sind breiter als sonst die Straßen im Morgenlande. Die Häuser sind [29] hoch und aus Steinen gebaut; die zahlreich nach der Straße zu liegenden Fenster verleihen ihnen ein freundlicheres und mehr europäisches Ansehen, als das der Häuser in Egypten und Syrien, welche nach außen zu nur sehr wenig Fenster zeigen... Jedes Haus hat seine Terrasse, deren cementbelegter und etwas geneigter Boden das Wasser durch Rinnen nach der Straße zu abführt. Diese Plattformen sind durch eine Mauer abgeschlossen; im ganzen Orient ist es nämlich für jeden Mann verpönt, sich daselbst zu zeigen; man würde ihn beschuldigen, die Weiber zu belauschen, welche auf der Terrasse den größten Theil ihrer Zeit mit dem Trocknen des Getreides oder der Wäsche und anderen häuslichen Verrichtungen zubringen. Der einzige, öffentliche Platz der Stadt ist der Hof der Moschee. Bäume giebt es nur wenig, kein Garten erquickt das Auge, dagegen ist die Scene während der Pilgerfahrten durch eine Menge wohlversehener Verkaufsstände belebt, die man überall aufgeschlagen sieht. Außer fünf bis sechs umfänglicheren, dem Sherif gehörigen Gebäuden, zwei Medressen oder Gelehrtenschulen, welche aber, jetzt als Kornmagazine dienen, und der Moschee selbst, nebst einigen dazu gehörigen Bauwerken und Schulen, kann sich Mekka keines öffentlichen Gebäudes rühmen und steht hierin gegen andere orientalische Städte von gleichem Umfange wesentlich zurück.«

Die Straßen sind nicht gepflastert, und da man Schleußen hier nicht kennt, so bilden sich gelegentlich Wasserlachen und Schmutztümpel, welche jeder Beschreibung spotten.

Zum Genuß verwendet man nur Regenwasser, denn dasjenige, welches die Senkbrunnen liefern, ist so salzhaltig, daß es fast zu nichts brauchbar erscheint.

Da, wo sich das Thal in der Mitte der Stadt am meisten verbreitert, erhebt sich die Beithu'llah oder El Haram genannte Moschee, ein Bauwerk, das seine Berühmtheit nur dem Umstande verdankt, daß es die heilige Kaaba enthält, denn in anderen Städten des Morgenlandes giebt es mindestens ebenso große und oft weit schönere Moscheen.

Dieselbe liegt auf einem länglichen, nach Osten zu von vierfacher, nach den anderen Seiten von dreifacher Colonnade eingeschlossenen Platze; die Säulen sind unter einander durch Bogenwölbungen verbunden; je vier und vier tragen eine mit Mörtel beworfene und geweißte Kuppel. Einige Säulen bestehen aus weißem Marmor, andere aus Granit oder Porphyr, die meisten aber aus gewöhnlichem, in den Bergen bei Mekka gebrochenem Stein.

[30] Die Kaaba selbst ist so häufig zerstört und wieder hergestellt worden, daß an ihr eigentlich nichts von hohem Alter ist. Sie war übrigens schon vor der Moschee, die sie heute umschließt, vorhanden.

»Die Kaaba selbst, schreibt der Reisende, ist auf einem zwei Fuß hohen und stark geneigten Unterbau angebracht. Mit ihrem platten Dache bietet sie aus gewisser Entfernung ganz das Bild eines Würfels. Die einzige in dieselbe führende, und nur zwei oder dreimal des Jahres geöffnete Pforte befindet sich an der Nordseite und etwa sieben Fuß über der Erde, so daß man nur über eine hölzerne Treppe hinein gelangen kann... An der nordöstlichen Ecke, nahe der Thür, ist der berühmte »schwarze Stein« eingesetzt, der, etwa vier oder fünf Fuß über dem Boden, einen Theil der Wandecke selbst bildet... Die Natur dieses Steines läßt sich nur schwer feststellen, so sehr ist heutzutage die Oberfläche desselben durch die Küsse und Berührungen von nach Millionen zählenden Pilgern abgeschliffen. Die Kaaba hüllt ein großes, schwarzes Stück Seidenstoffes vollständig ein, so daß nur das Dach frei bleibt. Diese Decke oder Vorhang heißt »Kesua«, wird jährlich zur Zeit der Pilgerfahrten erneuert und von Kairo, wo man denselben auf Kosten des Großherrn herstellt. hierher geschafft.«

Bisher besaß man noch keine genaue Beschreibung von Mekka und seinem Heiligthum. Deshalb theilten wir hier einige Auszüge aus dem Originalwerke mit, welche leicht zu vermehren wären, denn es enthält z. B. eine eingehende Schilderung des heiligen Brunnens, Zemzem benannt, dessen Wasser als unfehlbares Heilmittel gegen allerlei Gebrechen gilt, der Pforte des Heils, des Makan-Ibrahim, ein Denkmal mit dem Stein, auf welchem Abraham ausruhte, als er die Kaaba baute, und der noch den Eindruck seiner Kniee zeigt, sowie endlich aller Gebäude, welche die Umfassungsmauer des Tempels einschließt.

Seit der so eingehenden und vollständigen Beschreibung Burkhardt's haben diese Orte ihr Aussehen nicht geändert. Noch immer stimmt die große Menge von Pilgern hier dieselben Lobgesänge an. Nur die Menschen haben gewechselt. An die Darstellung der Festlichkeiten bei den Pilgerfahrten und der religiösen Begeisterung der Gläubigen schließt sich ein anderes Bild, das die Folgen dieser großen Menschenansammlungen, die aus allen Theilen der Erde herbeiströmen, mit sehr düsteren Farben zeichnet.

»Das Ende der Pilgerfahrten, sagt er, giebt der Moschee freilich ein wesentlich anderes Aussehen; Krankheiten und eine große Sterblichkeit, die Folgen der oft unerhörten Beschwerden der Reise, und begünstigt durch den [31] geringen Schutz, den der Ihram bietet, ebenso wie die ungesunden Wohnstätten in Mekka, die schlechte Nahrung, manchmal wohl gar der vollständige Mangel an solcher, füllen den Tempel mit Leichen an, die man dahin schleppt, um der Gebete des Imam theilhaftig zu werden; oder es lassen sich auch viele Kranke hierher, und wenn ihre letzte Stunde naht, unter die Colonnaden bringen, um durch den Anblick der Kaaba geheilt zu werden, oder doch des Trostes zu genießen, ihr Leben an dem heiligen Orte zu beenden. Da sieht man arme, von Hunger und Krankheiten hart mitgenommene Pilger ihren siechen Leib unter den Colonnaden hinschleppen, und wenn ihnen die Kraft ausgeht, die Hand auszustrecken, um ein Almosen zu erbetteln, stellen sie neben eine Matte, auf der sie liegen, einen Napf, um zu empfangen, was das Mitleid ihnen vielleicht spendet. Fühlen sie ihre letzten Augenblicke herannahen, so bedecken sie sich mit ihren zerfetzten Kleidern, und nicht selten vergeht noch ein ganzer Tag, bevor der Tod sie erlöst.«

Wir schließen unsere Citate aus Burkhardt's Arbeit mit dem Urtheile, das er über die Bewohner Mekkas fällt.

»Wenn die eigentlichen Einwohner Mekkas besondere Eigenschaften besitzen, so beschränkt sich das darauf, daß sie zuvorkommend, gastfrei, heiter und stolz sind, aber trinkend, spielend und rauchend die Vorschriften des Koran ganz öffentlich übertreten. Betrug und Meineid gelten bei ihnen kaum noch als Verbrechen, obwohl darüber stets ein großes Geschrei erhoben wird. Jeder ereifert sich über den Verfall der Sitten, aber Keiner geht zur Verbesserung derselben mit gutem Beispiele voran.«

Am 15. Januar 1815 reiste Burkhardt mit einer kleinen Pilgerkarawane zum Besuche des Grabes des Propheten ab. Der Weg nach Medina, wie der zwischen Djeddah und Mekka wird gewöhnlich in der Nacht, also zur ungünstigsten Zeit für Beobachtungen, und im Winter zurückgelegt, wodurch er weit beschwerlicher wird, als er wohl am hellen Tage wäre. Man zieht dabei durch ein mit Gesträuch und Dattelbäumen erfülltes Thal, dessen recht gut angebauter östlicher Ausgang Uadi Fatme heißt, aber mehr unter der einfachen Bezeichnung El Uadi bekannt ist. Etwas weiter hin findet sich das Thal Es Ssafra berühmt durch seine umfangreichen Dattelpflanzungen und als Hauptmarkt für alle benachbarten Volksstämme.


Küste und Boote des Rothen Meeres. (S. 34.)

»Die Dattelpalmenhaine, sagt der Reisende, haben eine Ausdehnung von nahezu vier Meilen; sie gehören theils den Bewohnern von Ssafra, theils den Beduinen der Umgegend, welche zum Begießen des Bodens Taglöhner halten und erst zur Zeit der Fruchtreife selbst dahin kommen. Die Dattelpalmen gehen durch Handel oft von einer Person zur andern über; man [32] verkauft sie einzeln... Der an den Vater, dessen Tochter man heiratet, zu zahlende Preis besteht gewöhnlich in drei Dattelbäumen. Alle sind in tiefem Sande gepflanzt, den man in der Mitte des Thales sammelt und um die Wurzeln der Bäume aufhäuft; derselbe muß jährlich erneuert werden, denn gewöhnlich führen ihn wilde Sturzwässer mit sich fort. Jeder kleine Garten ist mit einer Lehm- oder Steinmauer [33] eingefaßt. Die Besitzer wohnen in Weilern oder einzelnen, unter den Bäumen verstreuten Häusern. Der bedeutendste Bach des Thales entspringt in einem Haine in der Nähe des Marktplatzes, und an seiner Quelle erhebt sich eine kleine Moschee. Einige große Kastanienbäume beschatten diese; ich habe dergleichen in Hedjaz nirgends wieder gesehen...«

Dreizehn Tage brauchte Burkhardt, um von Mekka nach Medina zu gelangen. Diese lange Reise war für ihn aber nicht verloren, denn er sammelte dabei viele Nachrichten über die Araber und die Wahabiter. Wie in Mekka ist es auch hier des Pilgers erste Pflicht, das Grab und die Moschee Mohammed's zu besuchen. Doch sind alle Ceremonien bequemer und kürzer und der Reisende braucht nur eine Viertelstunde, um Alles abzumachen.

Schon der Aufenthalt in Mekka hatte auf Burkhardt ziemlich nachtheilig eingewirkt. In Medina wurde er nun vom kalten Fieber befallen, das erst täglich auf trat, dann unter Hinzutritt von Erbrechen dreitägig wurde. Bei der ungeschickten Hilfe seines Sklaven – »ein armer Teufel, der sich besser zur Abwartung eines Kameels als zur Pflege seines geschwächten hilflosen Herrn eignete« – wäre er bald dahin gekommen, sich nicht mehr von seinem Teppich erheben zu können.

Ueber drei Monate an Medina gefesselt durch ein Fieber, das er dem ungesunden Klima, dem abscheulichen Wasser und den vielen, zur Zeit herrschenden Krankheiten verdankte, mußte Burkhardt auf seinen früheren Plan verzichten, nach dem er durch die Wüste bis Akaba ziehen wollte, um von hier aus auf nächstem Wege Yambo zu erreichen, von wo aus er sich nach Egypten einzuschiffen gedachte.

»Medina ist nach Aleppo, sagt er, die bestgebaute Stadt, die ich im Morgenlande gesehen habe. Sie besteht durchgängig aus Stein; die Häuser sind meist zwei Stockwerke hoch und mit flachem Dache versehen. Da man sie jedoch nicht weißt und der Stein von Natur von bräunlicher Farbe ist, so erhalten sie ein düsteres Aussehen und sind auch oft sehr schmal, das heißt kaum zwei bis drei Schritte breit. Jetzt bietet Medina einen wahrhaft trostlosen Anblick; man läßt die Häuser einfach verfallen. Ihre Besitzer, welche früher durch den Pilgerstrom eine große Einnahme erzielten, sehen diese vermindert, seitdem die Wahabiter den Besuch des Grabes des Propheten, den sie als gewöhnlichen Sterblichen betrachten, verpönt haben. Der größte Schatz Medinas, der diese Stadt auf gleiche Stufe mit Mekka stellt, ist die große Moschee mit dem Grabe [34] Mohammed's... Diese erreicht nicht ganz den Umfang der von Mekka, ist aber etwa nach demselben Plane angelegt. Sie bildet einen geräumigen Hof, von allen Seiten mit Gallerien umgeben und mit einem kleinen Einzelgebäude in der Mitte. Nahe der südöstlichen Ecke befindet sich das berühmte Grab... ein grün angestrichenes Eisengitter umgiebt die Stätte. Letzteres ist von schöner, filigranartiger Arbeit und mit kupfernen Inschriften durchflochten. Die Mauer des Ganzen enthält vier Thore, von denen jedoch drei stets geschlossen bleiben. Leute von Stand haben hier unentgeltlichen Zutritt, Andere können sich denselben von den vornehmsten Eunuchen für etwa fünfzig Piaster erkaufen. Im Innern sieht man noch eine Art Vorhang um das eigentliche Grab, der nur wenige Schritte von demselben absteht...«

Nach einem Geschichtsschreiber Medinas verhüllt jener Vorhang ein viereckiges Bauwerk aus schwarzen, von zwei Säulen getragenen Steinen, das im Innern die Grabstätten Mohammed's und seiner zwei ältesten Schüler, Abu Bekr's und Omar's, enthält. Man sagt auch, daß diese Gräber sehr tief seien und daß der Sarg, der Mohammed's Asche birgt, mit Silber bekleidet sei und eine Marmorplatte trage mit der Inschrift: »Im Namen Gottes, leihe ihm Deine Gnade!«

Die früher in Europa verbreiteten Märchen über das Grab des Propheten, wie z. B. das, wonach dessen Sarg frei in der Luft schweben sollte, sind in Hedjaz selbst unbekannt.

Die Schätze der Moschee sind zum großen Theile von den Wahabitern geraubt worden, doch darf man annehmen, daß ihnen die verschiedenen Wächter des Grabes schon zuvorgekommen sind.

In Burkhardt's Bericht finden sich noch viele interessante Einzelheiten über Medina, dessen Bewohner und Umgebungen und über die gewöhnlichen Wallfahrtsorte. Wir haben demselben nicht zu viel entlehnt, um dem Leser, der die Sitten und Gebräuche der Araber noch eingehender kennen zu lernen wünscht, nicht die Lust an dem Originalwerke zu verleiden.

Am 25. April schloß sich Burkhardt einer Karawane an, die ihn nach Yambo brachte, in welcher Stadt damals die Pest herrschte. Auch der Reisende erlag bald einem Anfalle der Krankheit. Er wurde dabei so schwach, daß er nicht einmal auf das Land überzusiedeln vermochte. An eine Einschiffung war gar nicht zu denken, denn alle segelbereiten Fahrzeuge lagen voll kranker Soldaten. Er mußte also achtzehn Tage in der ungesunden Stadt aushalten, bevor er [35] auf einem kleinen Schiffe Platz fand, das ihn nach Coffeïr und von da nach Egypten führte. Bei der Rückkehr nach Kairo erfuhr Burkhardt das Ableben seines Vaters. Die Constitution des Reisenden war durch die Krankheit schon tief erschüttert, so daß er im Jahre 1816 nicht einmal im Stande war, den Sina (zu besteigen. Naturhistorische Studien, die Ordnung seiner Reisetagebücher und vielfältiger Briefwechsel beschäftigten ihn bis Ausgang 1817, zu welcher Zeit er sich der Karawane nach Fezzan anschließen wollte. Da ergriff ihn ein hitziges Fieber, dem er in wenig Tagen erlag. Seine letzten Worte waren: »Schreibt meiner Mutter, daß mein letzter Gedanke ihr gehört habe.«

Burkhardt war ein Reisender wie er sein soll. Unterrichtet, genau bis zum Kleinlichen, muthig, ausharrend, von offenem entschlossenen Charakter, hat er wirklich kostbare Arbeiten hinterlassen. Der Bericht über seine Reise in Arabien, dessen Inneres er leider nicht besuchen konnte, ist so vollständig, so verläßlich, daß dieses Land durch ihn besser bekannt wurde, als selbst einzelne Theile Europas.

»Niemals, schrieb er in einem Briefe an seine Mutter vom 17. März 1817, habe ich ein Wort über das, was mir vor Augen kam, gesagt, das ich nicht nach allen Seiten hin voll vertreten könnte, denn ich habe mich nicht so vielen Gefahren ausgesetzt, um nur einen Roman zu schreiben...«

Die Forscher, welche jene Länder nach Burkhardt besuchten, sind einstimmig über die Genauigkeit seiner Angaben und in dem Lobe seiner Wahrheitsliebe, seiner Kenntnisse und Scharfsichtigkeit.

»Wenige Reisende nur, sagt die »Revue Germanique«, besaßen in so hohem Grade die seine und schnelle Auffassung, welche ein Geschenk der Natur, aber so selten ist, wie alle hervorragenden Eigenschaften. Er zeichnete sich wirklich durch eine Art Sehergabe aus, die ihm, auch wo er nicht selbst beobachten konnte, stets das Richtige erkennen ließ; auch seine mündlichen Erkundigungen haben im Allgemeinen einen hohen Werth und übertreffen jedenfalls die meisten derartigen Nachrichten. Gediegen nach allen Seiten und durch Nachdenken und fleißiges Studium zeitig geistig gereist (Burkhardt zählte, als der Tod ihn hinraffte, erst dreiunddreißig Jahre), ging er stets gerade auf sein Ziel los und hielt er am rechten Orte an. Seine stets klare Darstellung enthält, man möchte sagen, mehr Thatsachen als Worte, und doch lesen sich seine Berichte mit wunderbarem Reize, so daß man in ihm den Menschen ebenso lieben wie den Gelehrten hochachten lernt.«

[36] Während die biblischen Länder den Gegenstand der Untersuchungen Seetzen's und Burkhardt's bildeten, sollte Indien, das Ursprungsland der meisten europäischen Sprachen, der Mittelpunkt vielfacher Studien werden, welche Linguistik, Literatur und Religion ebenso wie die Geographie umfaßten. Wir beschäftigen uns hier nur mit den zahlreichen Problemen der physischen Geographie, deren Lösung die Kämpfe der Ostindischen Compagnie und die durch sie begünstigten Forschungen allmählich herbeiführen sollten.

In einem früheren Bande schilderten wir die Errichtung der portugiesischen Herrschaft in Indien. Die im Jahre 1599 zwischen Spanien und Portugal abgeschlossene Union hatte den Verfall der portugiesischen Kolonien herbeigeführt, welche in die Hände der Holländer und Engländer fielen. Letztere verliehen das Monopol des Handels mit Indien sehr bald einer Gesellschaft, die eine hervorragende geschichtliche Rolle spielen sollte.

Zu jener Zeit gerade hatte der Großmogul Akbar, der siebente Nachkomme Timur Leng's, auf den Trümmern der Radjput-Staaten in Hindostan und Bengalen ein mächtiges Reich begründet. Dasselbe blühte in Folge der persönlichen Eigenschaften Akbar's, die ihm den Beinamen »Wohlthäter der Menschheit« erwarben, eben im reichsten Glanze. Schah Djaham folgte ganz der väterlichen Tradition; Aureng Zeb aber, ein Enkel Akbar's ließ, von unersättlichem Ehrgeiz getrieben, seine Brüder ermorden, den Vater gefangen setzen und bemächtigte sich der Herrschaft. Während das Mongolenreich sich des tiefsten Friedens erfreute, legte ein geistvoller Abenteurer, Sewadji, den Grund zu dem maharattischen Kaiserreiche. Die religiöse Unduldsamkeit Aureng Zeb's sowie seine arglistige Politik führten zu einer Erhebung der Radjputen und zu einem Kampfe, der, die Hilfsquellen des Reiches verzehrend, dasselbe in seinen Grundvesten erschütterte. Der Tod des großen Usurpators bezeichnet auch den Untergang seines Reiches.

Bisher war es der Indischen Compagnie noch nicht gelungen, den schmalen Landstreifen, den sie längs ihrer Häfen besaß, zu erweitern, sie wußte jedoch die einander widersprechenden Bestrebungen der Nababs und der Rajahs von Hindostan geschickt zu benützen. Immerhin gewann die Englisch-ostindische Compagnie erst nach der Einnahme von Madras durch La Bourdonais, 1746, und während des Kampfes gegen Dupleix merklich an Ausdehnung und Einfluß.

Durch eine hinterlistige, illoyale und wahrhaft gemeine Politik der Gouverneure Clive und Hastings, welche einmal durch Gewalt, ein andermal durch[37] Treubruch und Bestechung auf Kosten ihrer Ehre die Größe ihres Vaterlandes begründeten, besaß die Compagnie zu Ende des letzten Jahrhunderts ein ungeheures, von sechzig Millionen Seelen bevölkertes Gebiet. Es umfaßte dasselbe Bengalen, Behar, nebst den Provinzen Madras, Benares und den Circas im Norden. Nur der Sultan von Mysore, Tippo Saïb, widersteht energisch dem Andringen der Engländer, kann sich aber gegenüber der Coalition, die Oberst Wellesley gegen ihn zu Stande zu bringen gewußt hat, nicht halten. Jetzt ohne nennenswerthe Feinde, beschwichtigt die Compagnie kleinere Widerstandsversuche durch Pensionen und nöthigt unter dem Vorwande, sie beschützen zu wollen, den letzten unabhängigen Rajahs englische Garnisonen auf, welche auf deren Unkosten unterhalten werden.

Man sollte glauben, die englische Herrschaft hätte überall nur den Haß gegen sich entzünden müssen. Mit nichten. Die Compagnie tastete niemals die Rechte des Einzelnen an und erstrebte vorläufig keine Aenderungen in der Religion, den Sitten und Gesetzen der Länder.

So ist es auch nicht zu verwundern, daß Reisende, welche sich in nicht eigentlich unterworfene Gebiete wagten, doch nur wenig gefährdet wurden. Die Indische Compagnie hatte nämlich von der Stunde ab, als die politischen Händel ihr freie Hand ließen, die Erforschung ihres ausgedehnten Gebietes allseitig ermuthigt. Gleichzeitig sandte sie auch Reisende nach den Grenzländern, um über diese verläßliche Auskunft zu erhalten. Im Folgenden wollen wir diese verschiedenen Züge kurz betrachten.

Einer der merkwürdigsten und ältesten ist der Webb's nach den Quellen des Ganges.

Die Kenntnisse, welche man bis dahin über diesen Fluß besaß, waren eben so lückenhaft als einander widersprechend. Deshalb organisirte die Regierung von Bengalen, in richtiger Würdigung der Vortheile, welche eine Untersuchung dieser großen Wasserader der Entwicklung des Handels erschließen mußte, im Jahre 1807 eine Expedition, bestehend aus den Herren Webb, Raper und Hearsay, denen man eine Anzahl Sipahis, Dolmetscher und eingeborne Diener als Begleitung mitgab.

Die Expedition traf am 1. April 1808 in Herduar, einer unbedeutenden Stadt am linken Ufer des Stromes, ein, deren Lage am Eingang dieser reichen Ebene von Hindostan sie jedoch zu einem sehr besuchten Wallfahrtsorte machte. Hier verrichtet man während der heißen Jahreszeit die vorgeschriebenen[38] Reinigungen in den Wellen des heiligen Flusses. Da es nun keine Wallfahrt ohne Ausstellung und Verkauf von Reliquien giebt, so ist Herduar auch der Sitz eines umfänglichen Marktes; man findet hier aber ebenso Pferde, Kameele, als Antimon, Asa foetida, gedörrte Früchte, Shawls, Pfeile, Musselin und Gewebe aus Baumwolle oder Wolle, Erzeugnisse aus dem Pendjab, aus Kabulistan und Kaschmir. Ferner verkaufte man Sklaven von drei bis zu dreißig Jahren für zehn bis fünfhundert Rupien. Diese Messe, auf der sich so verschiedene Physiognomien, Sprachen und Trachten begegnen, bietet wirklich einen höchst merkwürdigen Anblick.

Am 12. April reiste die englische Mission von Gangautri ab und folgte einer mit weißen Maulbeer-und Feigenbäumen besetzten Straße bis Gurudüar. Etwas weiter hinauf traf man auf Wassermühlen von höchst einfacher Construction zu beiden Seiten eines mit Weiden und Himbeersträuchern umsäumten Baches. Der Boden war hier zwar fruchtbar, die Tyrannei der Regierung hinderte die Bewohner aber, aus demselben gehörigen Nutzen zu ziehen. Bald wurde das Land bergiger, doch gediehen noch Pfirsiche, Aprikosen, Nußbäume und andere europäische Baumarten. Nun führte der Weg mitten in höhere Bergketten hinein, die sich an den Himalaya anzuschließen schienen.

Am Fuße eines Hügels fand man bald den Baghirati, der im weiteren Verlaufe den Namen Ganges annimmt. Zur Linken begrenzten den Fluß hohe unfruchtbare Berge, zur Rechten desselben breitete sich ein reiches Thalgelände aus. Bei dem Dorfe Tchivali baute man im Großen den zur Bereitung des Opiums dienenden Mohn; die Bauern dort hatten, wahrscheinlich bedingt durch die Zusammensetzung des Wassers, alle Kröpfe.

In Djoswara überschritt man eine, in dortiger Gegend »Djoula« genannte Seilbrücke von eigenthümlicher, gefährlicher Construction.

»Man treibt auf jeder Seite, erzählt Webb, zwei starke Pfähle, drei Fuß von einander entfernt, in das Uferland ein und verbindet dieselben mit einem Querholze; daran werden ein Dutzend oder noch mehr dicke Seile befestigt und über das Wasser gespannt. Diese bilden zwei Packete mit einem Fuß Zwischenraum; unter ihnen spannt man eine Strickleiter hin, welche mit den oberen Seilen, die als Brustwehr dienen, verknüpft ist. Schwache Aeste, welche zweieinhalb bis drei Fuß auseinander liegen, bilden die Gangbahn der Brücke. Da man beständig befürchtet, dieselben unter der geringsten Last brechen zu sehen, hält Jeder, der das lustige Bauwerk überschreitet, die anderen, sozusagen das [39] Geländer bildenden Stricke unter den Armen. Schon bei dem ersten Schritte, den man auf diesem schwebenden Stege wagt, erschrickt man nicht wenig, denn das Ganze schwankt nicht unbedeutend nach beiden Seiten hin und her, woneben das Brausen des Stromes darunter auch nicht gerade zur Beruhigung beiträgt. Die Brückenbahn ist übrigens so schmal, daß zwei Personen, die einander begegnen, gezwungen sind, sich ganz an die Seite zu drücken, um vorüber zu kommen.«

Die Gesellschaft passirte hierauf Baharat, dessen meisten Häuser seit dem Erdbeben 1803 noch nicht wieder hergestellt waren. Der hier abgehaltene Markt, die Schwierigkeit der Lebensmittelbeschaffung in den höher gelegenen Dörfern und ihre centrale Lage – hier laufen die Straßen von Djemauhi, Kedar Nath und Srinagar zusammen – haben diesem Orte stets eine gewisse Bedeutung gesichert. Von Batheri aus wurde der Weg so schlecht, daß man alles Gepäck zurücklassen mußte. Die Straße verengerte sich zu einem, neben tiefen Abgründen hinlaufenden Fußsteige, auf dem das Gerölle von Kieseln und Felstrümmern bald jedes weitere Fortkommen zur Unmöglichkeit machte.

Devaprayaga liegt am Zusammenfluß des Baghirati und der Analcauda. Der erstgenannte strömt heftig schäumend von Norden herab, der zweite, ruhigere. Wasserlauf ist tiefer und breiter, steigt aber während der Regenzeit bis auf vierzig Fuß über sein gewöhnliches Niveau, die Vereinigung dieser beiden Flüsse nun bildet den Ganges. Diese Oertlichkeit betrachtet man als heilig, und die Brahminen wußten das recht erfolgreich zu benutzen, indem sie kleinere Weiher herstellten, in denen sich die Pilger, natürlich gegen Entgelt, waschen können, ohne in die Gefahr zu kommen, von der Strömung fortgerissen zu werden.

Die Analcauda wurde mittelst einer »Dindla«, das ist etwa eine Schiebebrücke, überschritten.

»Eine solche besteht, heißt es in dem Berichte, aus drei bis vier stärkeren, an den beiden Ufern befestigten Stricken, an welchen mittelst Reisen ein kleiner Kasten von achtzehn Zoll im Quadrat hängt. Der Reisende setzt sich in denselben und wird so an einem Stricke von einem am anderen Ufer aufgestellten Mann hinübergezogen.«


Seilbrücke. (S. 39.)

Am 13. Mai traf die Expedition in Srinagar ein; das erregte die Neugier der Einwohner in so hohem Grade, daß der Magistrat einen Boten an die Engländer mit der Bitte abschickte, diese möchten in der Stadt ein wenig spazieren gehen.

[40] Srinagar, welches Oberst Hardwick schon 1796 besuchte, war durch das Erdbeben von 1803 vollständig zerstört und in demselben Jahre auch von den Gorkhalis erobert worden. Hier traf Webb wieder mit einer Abtheilung seiner Leute zusammen, die er auf der Straße, welche er selbst nicht benutzen konnte, nach Gangautri gesendet hatte. Diese hatten die Quellen des Ganges wirklich besucht.

»Ein großer Felsblock, sagt er, von dessen beiden Seiten das sehr seichte Wasser herabrinnt, zeigte eine entfernte Aehnlichkeit mit dem Körper und dem[41] Maule einer Kuh; aus einer Höhle an der Oberfläche, welches die Phantasie als ein Kuhmaul erkannte und deswegen mit dem gleichbedeutenden Worte»Gaumokhi« bezeichnete, kommt das Wasser des Flusses nach gewöhnlicher Annahme hervor. Weiter kann man unmöglich vordringen; es stellt sich dem ein Berg, steil wie eine Mauer, entgegen. Der Ganges schien unter dem Schnee an dessen Fuße zu entspringen; das Thal erreichte hier sein Ende; noch Niemand hat dasselbe überschritten.«

Auf der Rückreise schlug die Gesellschaft einen anderen Weg ein. Sie besichtigte die Vereinigung des Ganges mit dem Keli Ganga oder Mandacni, einem großen, aus den Bergen von Kerdar herkommenden Fluß, begegnete unterwegs ungeheuren Heerden mit Getreide beladener Ziegen und Schafe, zog durch eine Menge Engpässe und Schluchten, kam durch die Städte Badrinath und Manah und traf unter strenger Kälte und heftigem Schneetreiben am Wasserfalle von Barsu ein.

»Letzterer bildet, sagt Webb, das ersehnte Ziel frommer Pilger, welche hierher wallfahrten, um sich von dem Staubregen des heiligen Wassers benetzen zu lassen. Das Bett der Analcauda schlängelt sich bis zu dem südwestlichen Ende des Thales hin, ist aber von wahrhaften Schneebergen verdeckt, welche sich hier wahrscheinlich seit Jahrhunderten angehäuft haben.«

Webb erzählt auch noch Verschiedenes über die Frauen von Manah. Sie tragen am Halse, in den Ohren und der Nase Zieraten aus Gold und Silber, welche mit ihrer, übrigens recht groben Kleidung gar nicht übereinstimmen. Einzelne Kinder hatten an dem Halse und an den Armen Ringe und Ketten von Silber im Werthe von sechshundert Rupien.

Im Winter liegt diese Stadt, die einen lebhaften Handel mit Thibet treibt, völlig unter dem Schnee vergraben. Die Bewohner ziehen sich dann auch nach benachbarten Städten zurück.

In Badrinath besuchte die Gesellschaft den wegen seiner Heiligkeit weit berühmten Tempel. Der Bau selbst, wie der Anblick, den er bietet, lassen gar nicht ahnen, welche ungeheure Summen seine Unterhaltung verschlingt. Er ist eines der ältesten und verehrtesten Heiligthümer Indiens. Die Abwaschungen nimmt man hier in Bassins mit warmem schwefelhaltigen Wasser vor.

»Es giebt daselbst eine Menge warmer Quellen, sagt der Bericht, alle mit besonderer Benennung und Wirksamkeit, was die Brahminen ohne Zweifel mit großem Vortheil ausnützen. So sieht der arme Pilger, der nach und nach die [42] vorgeschriebenen Waschungen vornimmt, seine Börse freilich in gleichem Grade wie seine Sünden abnehmen, und die zahlreichen Zölle, welche man ihm für diesen Weg zum Paradiese abfordert, müssen ihm wohl den Gedanken nahe legen, daß dieser schmale Weg nicht der mindest kostspielige ist. Der Tempel besitzt siebenhundert, ihm von der Regierung zuerkannte Dörfer, entweder durch Anlehen oder von reichen Privatleuten erkauft, die sie als Opfer darbrachten.

Am 1. Juni befand sich die Expedition in Djosimah. Hier erhielt der als Führer dienende Brahmine von der Regierung in Nepal den Befehl, die Reisenden schnellstens nach den Gebieten der Compagnie zurückzubefördern. Jener erkannte nun, freilich etwas spät, auch selbst, daß diese Besichtigung seitens der Engländer mehr einen politischen als einen geographischen Zweck verfolgt habe. Einen Monat später kehrte Webb nebst seinen Begleitern nach Delhi zurück, nachdem er den Oberlauf des Ganges festgestellt und die Quellen des Baghirati und der Analcauda aufgesucht, das heißt also, nach allen Seiten den von der Compagnie beabsichtigten Zweck erreicht hatte.

Im Jahre 1808 beschloß das englische Gouvernement, eine neue Expedition nach dem Pendjab abgehen zu lassen, das jener Zeit unter der Herrschaft Rendjeit Singh's stand. Der anonyme Bericht über dieselbe, der in den »Annales des Voyages« erschien, enthält mehrere interessante Einzelheiten. Wir theilen also einige Auszüge daraus mit.

Am 6. April traf der englische Officier, dem diese Mission anvertraut war, in Herduar ein, eine Stadt, welche zur Zeit der jährlich abgehaltenen Messe den Sammelplatz von wenigstens einer Million Menschen bildet. In Boria, zwischen der Jumna und dem Seteedje, konnte sich der Reisende der indiscreten Neugier der Weiber, die ihn mit aller Gewalt sehen wollten, nicht entziehen.

»Ihre Blicke und Gesten, sagt der Bericht, drückten die höchste Bewunderung aus. Sie drängten sich, aus vollem Halse lachend, heran; meine Gesichtsfarbe erregte ihre Heiterkeit. Sie richteten eine Menge Fragen an mich, wollten wissen, ob ich keinen Hut trüge, ob ich das Gesicht der Sonne aussetze, ob ich nur unter einem Schutzdache ausginge und auf dem, in meinem Zelte stehenden Tische schlafe. Mein Bett stand übrigens im Zelte an der Seite, doch waren dessen Vorhänge geschlossen. Dann besichtigten sie eingehend die Leinwand des Zeltes und Alles, was sich darin vorfand. Sie hatten Alle recht hübsche Gesichter, mit mildem, angenehmem Ausdrucke; ihr olivenfarbiger Teint contrastirte [43] wohlthuend gegen ihre weißen wohlgeformten Zähne, eine Eigenschaft, welche alle Bewohner des Pendjab gemein haben.«

Der englische Officier besuchte weiter Mustafabad, Mulana und Umballa. Das Land, durch welches er kam, bewohnten meist Shiks, deren Charakter sich durch Wohlthätigkeit, Gastfreundschaft und Wahrheitsliebe recht vortheilhaft auszeichnet. Der Verfasser nennt dieselben die beste Menschenrace in Indien. Die nächsten Stationen bildeten dann Patiata, Makenara, Fegnara, Oudamilla, bis wohin Lord Lake bei der Verfolgung eines Maharattenhäuptlings im Jahre 1805 vorgedrungen war, und endlich Umritsar, welche alle ohne Schwierigkeiten erreicht wurden. Umritsar ist besser gebaut, als die meisten anderen Städte von Hindostan. Es bildet den bedeutendsten Handelsplatz für Shawls und Safran, sowie für andere Waaren aus dem Dekkan.

»Am 14. besuchte ich, erzählt der Reisende, mit weißen Schuhen an den Füßen und unter Beobachtung der gebräuchlichen Ceremonien den Amretsir oder das Becken des Unsterblichkeitstrankes, von dem die Stadt ihren Namen hergeleitet hat. Es besteht aus einem Bassin von etwa hundertfünfunddreißig Schritten Seitenlänge, aus Backsteinen erbaut, in dessen Mitte sich ein hübscher, Gurugowind Singh geweihter Tempel befindet, zu dem man auf einem Dammwege gelangt; derselbe ist äußerlich und im Innern gleichmäßig verziert und der Rajah läßt wiederholt auf eigene Kosten noch neue Zieraten anbringen. An diesem geheiligten Orte liegt unter einem seidenen Himmel das von Guru in Guru-mukthir-Schrift abgefaßte Buch der Gesetze. Der Tempel selbst heißt Hermendel, oder der Wohnsitz Gottes. Den Dienst an demselben besorgen fast achthundert »Akalis« oder Priester, welche sich von den freiwilligen Spenden der den Tempel besuchenden Gläubigen ganz bequeme Häuser erbaut haben. Obwohl die Priester eine unbegrenzte Hochachtung genießen, halten sie sich doch keineswegs frei von Fehlern. Sobald sie Geld haben, verschwenden sie es eben so leicht, wie sie es erwarben. Der Zulauf von schönen Frauen, welche alle Morgen nach dem Tempel ziehen, ist wahrhaft wunderbar. Dieselben übertreffen in der Eleganz ihrer Erscheinung, der Wohlgestalt der Körperform und durch die regelmäßigen Gesichtszüge beiweitem die Frauen der anderen Volksclassen von Hindostan.«

Nach Umritsar besuchte der Officier Lahore. Er war sehr begierig zu sehen, was von dieser ehemals so großen Stadt zu Anfang unseres Jahrhunderts noch übrig wäre.

[44] »Die sehr hohen Mauern, sagt er, sind äußerlich mit allem Luxus des orientalischen Geschmackes verziert, sonst aber ebenso in Verfall wie die Moscheen und Häuser der Stadt. Hier sah man die zerstörende Hand der Zeit, wie in Delhi und Agra. Schon sind die Ruinen von Lahore ebenso umfänglich wie die jener alten Hauptstadt.«

Drei Tage nach seiner Ankunft wurde der Reisende von Rendjeit Singh empfangen, der ihn zuvorkommend aufnahm und sich mit ihm hauptsächlich über militärische Angelegenheiten unterhielt. Der Rajah war damals siebenundzwanzig Jahre alt. Sein Gesicht hätte man hübsch nennen können, wenn ihn die Pocken nicht eines Auges beraubt hätten; sein Auftreten war einfach, leutselig und doch erkannte man in ihm den Herrscher. Nachdem er noch das Grab des Schah Djahan, den Schalamar und andere hervorragende Bauwerke von Lahore in Augenschein genommen, reiste der Officier nach Delhi und nach den Besitzungen der Compagnie zurück. Man verdankte ihm die bessere Kenntniß einer interessanten Landschaft, welche die unersättliche Habgier der englischen Verwaltung bald genug reizen sollte.

Im folgenden Jahr (1809) hatte die Compagnie eine aus den Herren Nicolas Hankey Smith, Henry Ellis, Robert Taylor und Henry Pottinger bestehende Gesandtschaft an die Emire von Sindhy abgeschickt. Die Begleitmannschaft führte der Kapitän Charles Christie.

Die Gesandtschaft ging zu Schiffe bis Keratchi. Der Gouverneur dieses Forts wollte die Ausschiffung nicht gestatten, bevor er nicht Verhaltungsbefehle von den Emiren erhalten hätte. Dadurch entstand ein lästiger Schriftwechsel, in Folge dessen Smith einige verächtliche Redensarten in Bezug auf den Titel und Rang des General-Gouverneurs gegenüber dem der Emire zu Ohren kamen. Der Gouverneur des Forts entschuldigte sich mit seiner Unkenntniß der persischen Sprache und gelobte, um jede Spur von üblem Einvernehmen zu tilgen, die Personen, von welchen jene Beleidigungen ausgingen, nach Belieben des Gesandten hinrichten oder blenden zu lassen. Diese Erklärung genügte den Engländern, welche auf die Bestrafung der Schuldigen verzichteten.

In ihren Briefen schlugen die Emire einen ziemlich verächtlichen Ton an; sie zogen gleichzeitig ein Heer von achttausend Mann zusammen und legten den Engländern alle erdenklichen Hindernisse in den Weg. Nach langen Verhandlungen, die nicht ohne wiederholte Demüthigungen des britischen Stolzes abgingen, erhielten die Gesandten die Erlaubniß, nach Hayderabad weiter zu reisen.

[45] Jenseits Keratchi, dem Hauptausfuhrhafen von Sindhy, erstreckte sich längs des Meeres eine ungeheure Ebene ohne Baum und Strauch. Fünf Tagereisen brauchte man, dieselbe zu durchziehen, um nach der, jener Zeit verlassenen und zerstörten früheren Hauptstadt von Sindhy, nach Tatah, zu gelangen. Früher stand dieselbe durch Kanäle mit dem Sindh, einem gewaltigen Flusse, der an seiner Mündung mehr einem Meeresarme gleicht, in Verbindung, wo Pottinger die genauesten, vollständigsten und nützlichsten Nachrichten sammelte.

Vorher war man schon übereingekommen, daß sich die Gesandtschaft unter irgend welchem plausiblen Grunde theilen und auf verschiedenen Wegen nach Hayderabad ziehen solle, um von der Geographie des Landes so viel als möglich kennen zu lernen. Man gelangte auch glücklich dahin, doch entstanden hier dieselben Schwierigkeiten wegen des Empfanges der Gesandten, die sich den erniedrigenden Anforderungen der Emire nicht fügen wollten.

»Der Abhang, auf dem die Ostseite der Festung von Hayderabad liegt, sagt Pottinger, die Giebel der Häuser und auch die Festungswerke selbst, Alles war mit einer großen Menge Menschen beiderlei Geschlechts bedeckt, die uns durch Zurufe und andere Zeichen ihr Wohlwollen erkennen zu geben suchten. Angekommen an dem Palaste, wo sie absteigen sollten, wurden die Engländer von Ouli Mohammed Khan und mehreren Officieren von hohem Rang empfangen; diese gingen vor uns her nach einer geräumigen offenen Terrasse, an deren Ende die Emire saßen. Da jene Terrasse mit den kostbarsten persischen Teppichen belegt war, entledigten wir uns der Schuhe. Als der Gesandte den ersten Schritt nach den Emiren zu that, erhoben sich alle Drei und blieben stehen, bis er den ihm bestimmten Platz eingenommen hatte; ein gesticktes Tuch, das denselben bedeckte, unterschied ihn von den der anderen Mitglieder der Gesandtschaft. Die Prinzen richteten zuerst an uns sehr höfliche Fragen bezüglich unserer Gesundheit. Sonst verlief die Zusammenkunft wie eine rein ceremonielle Audienz, unter gegenseitigen Complimenten und Höflichkeitsbezeugungen... Die Emire trugen große Mengen kostbarer Steine, außer denen, welche die Griffe und Scheiden ihrer Säbel und Dolche schmückten, und man sah an ihren Gürteln Smaragde und Rubinen von außerordentlicher Größe blitzen. Sie saßen nach dem Alter geordnet, der Aelteste in der Mitte, der zweite zur Rechten, der jüngste zur Linken. Ein Teppich aus weichem Filz bedeckte den Raum und auf demselben lag wieder eine wenigstens daumendicke Matte aus Seide, genau so groß, daß die drei Fürsten darauf Platz hatten.«

[46] Der Bericht schließt mit einer Beschreibung von Hayderabad – eine Festung, welche dem Angriff eines europäischen Feindes wohl kaum Widerstand leisten könnte – und mit verschiedenen Bemerkungen über die Natur der Gesandtschaft, welche zum Theile den Zweck verfolgte, den Franzosen den Eintritt in Sindhy zu verwehren. Sofort nach Abschluß eines dahinzielenden Vertrages kehrten die Engländer nach Bombay zurück.

Dieser Reise verdankte die Compagnie die genauere Kenntniß eines ihrer Grenzländer und gewann dadurch schätzbare Nachrichten über die Hilfsquellen und Erzeugnisse eines Landstriches, den jener große Strom, der Indus der Alten, durchzog, der, aus dem Himalaya entspringend, bequem zur Abfuhr der Naturproducte eines ungeheuren Gebietes dienen mußte. War auch der erreichte Zweck mehr politischer als geographischer Natur, so blieb doch nebenbei der Nutzen für die Wissenschaft nicht aus.

Das Wenige, was man bisher über das Gebiet zwischen Kabulistan, Indien, Persien und das Indische Meer wußte, war ebenso unzuverlässig als lückenhaft.

Sehr befriedigt mit den Erfolgen der Gesandtschaft des Kapitän Christie und des Lieutenant Pottinger, beschloß die Compagnie, den Genannten eine andere nicht minder schwierige Mission anzuvertrauen; sie sollten sich nämlich zu Lande, zuerst durch Beludschistan, zu dem General Malcolm, dem Gesandten am persischen Hofe, begeben und über die zu durchreisenden ausgedehnten Gebiete vollständigere und sicherere Nachrichten einziehen, als man solche bis jetzt besaß.

Durch Beludschistan mit seiner fanatischen Bevölkerung durfte man nicht wagen, in europäischer Kleidung zu reisen. Christie und Pottinger wandten sich deshalb an einen Hindu-Kaufmann, der für die Gouvernements von Bombay und Madras Pferde lieferte, und dieser versah sie mit Empfehlungsbriefen an seine Beauftragten nach Kelat, der Hauptstadt von Beludschistan.

Am 2. Januar 1810 schifften sich die beiden Officiere in Bombay nach Sonminy, dem einzigen Hafen der Provinz Lhossa, ein, woselbst sie, nach kurzem Aufenthalt in Porebender, an der Küste von Guzarate glücklich anlangten.

Das ganze Land, welches die Reisenden nun bis Bela durchzogen, bildete nur einen ungeheuren, mit Dschungeln überwucherten Salzsumpf. Der »Djam« oder Gouverneur dieser Stadt war ziemlich intelligent. Er stellte an die Engländer eine Menge Fragen, aus denen das Streben, sich zu unterrichten, deutlich hervorging, und vertraute dem Häuptling des Bezendjo- Stammes, der zu den Beludschen gehört, die Aufgabe an, die Reisenden nach Kelat zu führen.


Sie saßen nach dem Alter geordnet. (S. 46.)

Die Temperatur hatte sich, gegenüber der in Bombay, auffallend geändert. Pottinger und Christie litten in den Gebirgen ganz außerordentlich von der Kälte, welche soweit ging, daß das Wasser in ihren Schläuchen gefror. »Kelat, sagt Pottinger, die Hauptstadt [47] von Beludschistan – daher ihr Name, denn Kelat bedeutet: »die Stadt« – liegt auf einer Anhöhe im Westen einer wohlangebauten Ebene oder Thalsohle von etwa acht Meilen Länge und drei Meilen Breite. Der größte Theil dieser Landschaft ist von Gärten eingenommen. Die Stadt selbst bildet ein Viereck.


Krieger von Beludschistan. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

[48]

Drei Seiten derselben umschließt eine gegen zwanzig Fuß hohe Lehmmauer mit Bastionen von zweihundert zu zweihundert Schritten, welche ebenso wie die Mauer selbst von Schießscharten für Gewehrfeuer durchlöchert sind... Ich fand keine Gelegenheit, das Innere des Palastes zu besichtigen; äußerlich bietet er nur den Anblick eines ungeordneten Haufens von Lehmhäusern mit flachen, terrassenförmigen Dächern; um das Ganze läuft eine niedrige Mauer mit Brustwehr und Schießscharten. Die Stadt selbst zählt wohl zweitausendfünfhundert Häuser, ziemlich halb so viel mögen die Vorstädte aufweisen. [49] Sie bestehen aus halbgebrannten Ziegelsteinen und Fachwerk und sind mit Lehmmörtel beworfen. Die Straßen sind im Allgemeinen breiter, als man sie sonst in asiatischen Städten findet. Die meisten haben auf beiden Seiten für Fußgänger eine Art Trottoir; in der Mitte läuft ein offener Bach hin, der durch die große Menge Unrath und Abfälle, welche man hineinzuwerfen pflegt, und das sich oft daran anstauende Regenwasser zu einer großen Unbequemlichkeit wird, da dessen Reinigung durch keinerlei Vorschriften geregelt ist. Zur Unsauberkeit und Unreinlichkeit der Stadt trägt auch die Gewohnheit bei, die oberen Etagen der Häuser weit über die unteren nach der Straße zu vorspringen zu lassen, wodurch die unteren Stockwerke immer dunkel und feucht bleiben. Der Bazar von Kelat ist groß und mit Waaren reichlich versehen. Tagtäglich werden hier Fleisch und Küchengewächse verkauft, doch fehlt es auch nicht an Waaren anderer Art, welche alle ziemlich billig zu haben sind.

Die Bevölkerung zerfällt nach Pottinger in zwei deutlich unterschiedene Classen, die Beludschis und Brahuis, welche jede selbst wieder eine Menge einzelner Stämme bilden. Die erste Classe erinnert durch Aussehen und Sprache an die Perser der Neuzeit; die Brahuis dagegen bewahren in ihrem Idiom eine Menge alter Wörter aus der Hindusprache. Zahlreiche Vermischungen beider Classen haben endlich zur Entstehung einer dritten geführt.

Die aus den Bergen von Mekhran stammenden Beludschen sind Tunniten und betrachten als solche die vier ersten Imans als die rechtmäßigen Nachfolger Mohammed's. Sie haben als Hirtenvolk die Fehler und Vorzüge eines solchen. Auf der einen Seite sehr gastfreundlich, sind sie jedoch sehr träg und verbringen ihre Zeit mit Spielen und Rauchen. Gewöhnlich begnügen sie sich mit nur zwei Frauen und entziehen sie, weniger eifersüchtig als andere Muselmanen, nicht so streng dem Blicke der Fremden. Dagegen besitzen sie eine große Anzahl Sklaven beiderlei Geschlechts, die sie jedoch freundlich behandeln. Als vortreffliche Schützen sind sie leidenschaftliche Jäger, dabei sehr muthig, und lieben die Razzias, welche sie als »Tchepaos« bezeichnen. Meist unternehmen diese Raubzüge die Nhernis, der wildeste und räuberischste Stamm der Beludschen.

Die Brahuis haben vielleicht noch ausgesprochener die Nomaden-Natur bewahrt. Die Männer sind erstaunlich thätig und kräftig, gleich abgehärtet gegen die Kälte der Berge wie gegen die versengende Hitze der Ebene. Im Allgemeinen klein von Gestalt, aber eben so kühn, eben so geschickte Schützen und ihr gegebenes Wort hoch haltend, zeigen sie doch weniger Raublust als die Beludschen.

[50] »Ich habe kein anderes asiatisches Volk gesehen, sagt Pottinger, das ihnen ähnlich wäre, denn viele derselben haben braunen Bart und Haare.«

Nach nur kurzem Aufenthalt in Kelat gedachten die Reisenden, die sich noch immer für Pferdehändler ausgaben, ihren Weg fortzusetzen; statt aber der Landstraße von Kandahar nachzugehen, zogen sie durch ein trauriges, unfruchtbares, dünn bevölkertes Land, das der im Sommer fast ganz austrocknende Caïsser bewässert. An der Grenze von Afghanistan kamen sie in eine kleine Stadt, Namens Noschky oder Nouchky.

Hier machten sie mehrere Beludschen, welche ihnen freundschaftlich gesinnt schienen, darauf aufmerksam, daß sie Khorassan und Herat, die Hauptstadt jenes Landes, auf der Straße von Sedjistan nur schwierig würden erreichen können.

»Reist über Kedja und Benpour oder Serhed, empfahl man ihnen, nach Kerman, einem Dorfe an der Ostgrenze von Beludschistan, und zieht von da aus nach Nermanchir hinein!«

Dieser Rathschlag erweckte in Christie und Pottinger sofort den Gedanken zwei verschiedene Wege einzuschlagen. Das widersprach allerdings ihren Instructionen, aber »wir fanden, sagt Pottinger, eine Entschuldigung dafür in den unbestreitbaren Vortheilen einer getheilten Route, die uns jedenfalls mehr geographische und statistische Auskunft liefern mußte, als wenn wir zusammengeblieben wären«.

Christie reiste zuerst auf der Straße nach Douchak ab. Ihm werden wir später folgen.

Wenige Tage nachher erhielt Pottinger von seinem Correspondenten in Kelat brieflich die Nachricht, daß die Emire von Sindhy Leute zu ihrer Verfolgung ausgesendet hätten, da sie trotz ihrer Verkleidung erkannt worden seien, und den Rath, um ihrer eigenen Sicherheit willen bald möglichst aufzubrechen.

Am 25. März schlug also der Lieutenant den Weg nach Seravan, einer kleinen Stadt an der afghanischen Grenze, ein. Unterwegs fand Pottinger eigenthümliche Bauwerke, Gräber oder Altäre, deren Einrichtung man den »Guebern«, das sind Feueranbeter, welche heute Parsis heißen, zuschreibt.

Seravan liegt sechs Meilen von den Seravani-Bergen, inmitten einer unfruchtbaren kahlen Gegend, welche sehr häufig von Dürre, Mangel und Hungersnoth zu leiden hat.

Pottinger besuchte hierauf den Bezirk von Kharan, bekannt durch die Kraft und Behendigkeit seiner Kameele, und zog durch die Wüste, welche die [51] Südspitze von Afghanistan einnimmt. Der Sand derselben ist ungemein sein und kaum fühlbar; er bildet, vom Wind in Bewegung gesetzt, Hügel von zehn bis zwanzig Fuß Höhe mit tiefen Thälern dazwischen. Selbst bei ganz ruhigem Wetter schweben viele seine Theilchen in der Luft, geben dadurch Veranlassung zu oft wunderbaren Spiegelungen und verursachen, indem sie in die Augen, in die Nase und den Mund eindringen, neben intensiver Reizung dieser Theile, einen wahrhaft unerträglichen Durst.

Beim Betreten des Gebietes von Mekhran mußte Pottinger den Charakter eines »Pyrzadeh« oder Heiligen annehmen, da hier eine sehr räuberische Menschenclasse wohnt, unter der er in seiner Eigenschaft als Händler schwerlich unangenehmen Zwischenfällen entgangen wäre.

Auf das Dorf Goul, im Bezirk von Daïzouk, folgen der zerstörte Flecken Asmanabad, dann Hefter und die Stadt Pourrah, wo Pottinger sich genöthigt sah, seine Eigenschaft als »Frangui« zu bekennen, und das zum großen Aerger seines Führers, der seit den zwei Monaten ihres Beisammenseins nicht den geringsten Verdacht geschöpft und dem er wiederholte Proben seiner Rechtgläubigkeit gegeben hatte.

Erschöpft von Anstrengungen und gänzlich ohne Mittel, erreichte Pottinger Benpour, einen schon im Jahre 1809 von dem Sipahikapitän Grant besuchten Ort. Im Vertrauen auf das gute Andenken, welches der genannte Officier hinterlassen, begiebt sich der Reisende zu dem »Serdar«. Dieser aber, statt ihm die nöthigen Mittel zur Fortsetzung seiner Reise zu gewähren und sich mit dem dürftigen Geschenk, das Pottinger ihm bieten konnte, zu begnügen, weiß ihm sogar noch ein paar Pistolen abzunehmen, die ihm bei seinen Wanderungen gewiß von großem Nutzen gewesen wären.

Basman ist die letzte bewohnte Ortschaft von Beludschistan. Hier besucht man eine heiße Schwefelquelle, welche die Beludschen als ausgezeichnetes Heilmittel bei vielerlei Hautkrankheiten ansehen.

Die Grenzen von Persien sind noch keineswegs wissenschaftlich festgestellt. Es existirt vielmehr ein breiter Landstreifen, der nicht etwa als neutral gilt, sondern der Gegenstand fortwährenden Streites und der Schauplatz blutiger Kämpfe ist.

Die kleine Stadt Regan in Nermanchir bietet einen recht hübschen Anblick. Sie besteht aus einem Fort oder vielmehr befestigtem Dorfe mit hohen, gutunterhaltenen und bastionirten Mauern.

[52] Weiter, im eigentlichen Persien, trifft man auf Bemm, eine früher bedeutende Stadt, worauf noch die ausgedehnten Ruinen in der Umgegend hindeuten. Von dem Gouverneur daselbst wurde Pottinger sehr herzlich empfangen.

»Als er in meine Nähe kam, erzählte der Reisende, wandte er sich nach seinen Leuten mit der Frage um, ob ich der Frangui sei. Diese bejahten es; er gab mir darauf mit der Hand ein Zeichen, ihm zu folgen, und sein Blick, der mich von Kopf bis zu den Füßen maß, verrieth das Erstaunen, das ihm meine Erscheinung abnöthigte; mein Aussehen war freilich der Art, daß es seine etwas verächtlichen Blicke wohl entschuldigte. Ich trug ein grobes Beludschihemd und Beinkleider, die ursprünglich weiß gewesen waren. Da ich diese aber sechs Wochen am Leibe hatte, spielte ihre Farbe schon mehr in's Bräunliche und außerdem hingen sie fast in Fetzen um mich herum; hierzu nehme man noch einen blauen Turban, einen alten Strick, der mir als Gürtel diente, und einen großen Stock in der Hand, der mich beim Wandern unterstützte und mir unterwegs die Hunde abwehren half.«

Trotz der zerlumpten Erscheinung der Person, die sich ihm vorstellte, nahm der Gouverneur Pottinger zuvorkommender auf, als man von einem Muselman erwarten konnte. und stellte ihm auch einen Führer nach Kerman zur Verfügung.

Am 3. Mai gelangte der Reisende nach dieser Stadt mit dem Gefühle, den schwersten Theil seines Zuges hinter sich zu haben und jetzt wohl gerettet zu sein.

Kerman ist die Hauptstadt des alten Karamaniens; unter afghanischer Herrschaft war es eine blühende Stadt, wo man Shawls fabricirte, die mit denen von Kaschmir wetteiferten.

Hier war Pottinger Zeuge eines, in jenen Ländern, wo man Menschenleben nicht hoch anschlägt, ziemlich häufigen Schauspieles, das ein Europäer aber niemals ohne Schrecken und Abscheu mit ansehen kann.

»Am 15. Mai, sagt der Reisende, saß der Fürst selbst zu Gericht über einige Leute, welche der Ermordung eines ihrer Diener angeklagt waren. Man kann sich nur schwer eine Vorstellung von der Angst und der Aufregung machen, in der die Bewohner den ganzen Tag über schwebten. Die Thore der Stadt wurden geschlossen, damit Niemand entweichen könne. Ohne vorherige Benachrichtigung wurden Einzelne als Zeugen vorgeladen. Ich sah zwei oder drei solche nach dem Palaste führen, aus deren Zügen die Angst so lebhaft sprach, als seien sie schon selbst zum Tode verurtheilt. Um drei Uhr Nachmittags [53] verkündete der Fürst das Urtheil über die Angeklagten, welche überführt worden waren. Dem Einen stach man die Augen aus, dem Anderen spaltete man die Zunge. Jenen schnitt man zur Strafe die Ohren, die Nase und die Lippen ab; wieder Anderen beide Hände, die Finger oder die Zehen. Ich hörte, daß der Fürst während dieser Verstümmelung der Unglücklichen an demselben Fenster saß, wo ich ihn sah, und ohne das geringste Zeichen von Theilnahme oder Abscheu vor der Scene, die sich vor ihm abspielte, mit aller Ruhe seine Befehle ertheilte.«

Von Kerman wandte sich Pottinger nach Chere Bebig, eine Stadt, welche gleich weit von Yezd, Chiraz und Kerman liegt; dann nach Ispahan, wo er die Freude hatte, seinen Gefährten Christie wieder anzutreffen, und endlich nach Meragha, wo er den General Malcolm fand. Bombay hatten die beiden Reisenden vor sieben Monaten verlassen. Christie hatte seitdem zweitausendzweihundertfünfzig, Pottinger zweitausendvierhundertzwölf Meilen zurückgelegt.

Kehren wir jetzt zurück, um zu sehen, wie es Christie auf seiner gefährlichen Fahrt erging. Im Ganzen besser und bequemer, als er selbst zu hoffen wagte.

Er hatte Noschky am 22. März verlassen und war durch die Bachouty-Berge und ein unangebautes, fast wüstes Land bis zum Ufer des Helmend gezogen, der in den Hamoun-See mündet.

»Der Helmend, sagt Christie in seinem Berichte an die Compagnie, läuft erst an Kandahar vorüber, ändert seine südwestliche Richtung in eine westliche um und tritt, etwa vier Tagereisen weit von Douchak, nach Sedjistan über; erst beschreibt er hier einen Bogen um das Gebirge und bildet darauf einen See. In Pellalek, wo wir uns befanden, ist er gegen eintausendzweihundert Fuß breit und sehr tief; sein Wasser ist sehr schön. Bis auf eine halbe Meile befruchtet er das Land zu beiden Seiten durch seine Ueberschwemmungen; weiterhin, wo die Steppe beginnt, strömt er zwischen hohen Uferwänden. Die Gelände an seiner Seite sind mit üppigen Tamarinden bedeckt und liefern eine treffliche Weide.«

Sedjistan selbst, das an beiden Seiten dieses Stromes liegt, umfaßt nicht mehr als fünfhundert Quadratmeilen. Bewohnt sind davon nur die Ufer des Helmend, dessen Bett sich Jahr für Jahr mehr vertieft.

In Elomdar ließ Christie einen Hindu aufsuchen, an den er empfohlen war. Dieser rieth ihm, seine Beludschen zu entlassen und als Pilger aufzutreten. Wenige Tage später kam er nach Douchak, das auch Djellahabad genannt wird.

[54] »Die Ruinen dieser alten Stadt, erzählt der Reisende, bedecken ein Terrain von derselben Ausdehnung wie Ispahan. Erbaut wurde dieselbe, wie alle Städte in Sedjistan, aus halbgebrannten Ziegeln, die Häuser hatten zwei Stockwerke und Kuppeldächer. Die neue Stadt Djellahabad ist reinlich, hübsch und im Wachsen begriffen; sie zählt etwa zweitausend Häuser und besitzt einen leidlichen Bazar.«

Von Douchak nach Herat kam Christie ohne besondere Beschwerden, nur durfte er gewisse Vorsichtsmaßregeln nicht vernachlässigen, um für einen Pilger gehalten zu werden.

Herat liegt in einem bergumrahmten und von einem Flusse bewässerten Thale, so daß man überall nur Gärten und Weinberge erblickt. Die Stadt bedeckt einen Flächenraum von vier Quadratmeilen und wird von einer durch Thürme verstärkten Mauer mit Wassergräben umschlossen. Große Bazars mit sehr vielen Verkaufsstellen, und die Mechede Djuma oder Freitags-Moschee bilden die vorzüglichsten Bauwerke derselben. Fast keine Stadt möchte so viel öde Plätze und auf der anderen Seite eine so zusammengepferchte Bewohnerschaft aufweisen. Christie schätzt letztere auf hunderttausend Seelen. Sie treibt vielleicht von allen, eingebornen asiatischen Fürsten unterworfenen Städten den ausgedehntesten Handel. Ein Knotenpunkt des Verkehrs zwischen Kabul, Kandahar, Hindostan, Kaschmir und Persien, erzeugt Herat auch selbst sehr gesuchte Waaren und Naturproducte, Safran, Pferde und Asa foetida.

»Letztere Pflanze, sagt Christie, wächst bis zu der Höhe von zwei bis drei Fuß, der Stengel mißt zwei Zoll im Durchmesser; oben läuft derselbe in eine Dolde aus, welche gereist gelb aussieht und einem Blumenkohlkopfe ähnelt. Die Hindus und Beludschen lieben dieselbe sehr; sie verzehren sie tagtäglich, nachdem der Stengel unter glühender Asche geröstet und die Dolde, wie gewöhnlich alle Küchengewächse, gedämpft worden ist; dennoch behält sie stets etwas von ihrem ekelerregenden Geschmack und Geruch bei.«

So wie viele andere asiatische Städte, besitzt Herat sehr schöne öffentliche Gärten, die man damals jedoch nur wegen ihrer, im Bazar zum Verkauf gebrachten Erzeugnisse pflegte.

Nach einmonatlichem Aufenthalte in Herat verließ Christie, als Pferdehändler auftretend, die Stadt wieder, wobei er das Gerücht zu verbreiten wußte, er werde nach einer Pilgerfahrt nach Meched hierher zurückkehren. Zunächst wanderte er nun nach Yezd, durch eine von den Ouzbecks verwüstete [55] Gegend, in der diese auch alle zum Ansammeln des Regenwassers bestimmten Cisternen zerstört hatten.

Yezd ist eine zwar große, aber nur dünn bevölkerte Stadt am Eingang einer Sandwüste. Man nennt sie auch »Dar oul Ebadet« oder den Sitz der Anbetung. Sie ist berühmt wegen der Sicherheit, die hier herrscht und mächtig zum Emporblühen des Handels mit Hindostan, Khorassan, Persien und Bagdad beigetragen hat.

»Der Bazar, sagt Christie, ist sehr groß und mit Waaren reichlich ausgestattet. Ohne die der Guebrer enthält die Stadt zwanzigtausend Häuser; die Wohnstätten der ersteren schätzt man wohl auf viertausend. Die Bewohner sind rührig und arbeitsam, werden leider aber grausam bedrückt.«

Von Yezd nach Ispahan, wo er im Palaste des Emir Oud Daoule abstieg, hatte Christie eine Strecke von hundertsiebenzig Meilen auf recht guter Straße zurückgelegt. Hier fand er zu seiner großen Freude, wie schon oben erwähnt, seinen Gefährten Pottinger wieder; die beiden Officiere hatten alle Ursache, sich gegenseitig zu beglückwünschen über den Ausgang ihrer Mission und die Gunst des Schicksals, die es ihnen ermöglicht hatte, durch sonst so fanatische Länder eine so lange Wegstrecke unangefochten zurückzulegen.

Schon der von uns wiedergegebene Auszug beweist wohl, daß Pottinger's Bericht besonders werthvoll war. Weit verläßlicher als die Arbeiten seiner Vorgänger, hat er eine Menge geschichtlicher Thatsachen, kurze Erzählungen und höchst interessante geographische Schilderungen zur allgemeinen Kenntniß gebracht.

Seit Mitte des 18. Jahrhunderts hat Kabulistan unaufhörlich den Schauplatz mörderischer Bürgerkriege gebildet. Verschiedene Bewerber, die sich mehr oder minder ein Anrecht auf dessen Thron zuschrieben, haben überall mit Feuer und Schwert gewüthet und aus diesem sonst reichen und blühenden Lande eine Wüste gemacht, in der nur die Trümmer verschwundener Städte von einem Gedeihen Zeugniß ablegen, das man als für immer erstorben wähnen sollte.

Gegen 1808 regierte in Kabul Shujau Oul Moulk. England hatte damals, mehr als man vermuthete, durch den Plan Napoleon's, dasselbe in Indien anzugreifen, und durch die Versuche, den Schah von Persien durch seinen Gesandten, den General Gardanne, zu einem Bündniß zu bewegen, beunruhigt, eine Gesandtschaft an den Herrscher von Kabul abgeschickt, um diesen für das Interesse der Compagnie zu gewinnen.

[56] Hierzu wurde Mountstuart Elphistone ausersehen, der uns einen recht interessanten Bericht über seine Mission hinterlassen hat. Ihm verdankt man ganz neue Aufschlüsse über jenes Gebiet und die Volksstämme, welche daselbst hausen. Heute hat sein Buch eine erneute Bedeutung gewonnen, und man liest nur mit um so größerer Aufmerksamkeit die den Kyberiern und anderen Bergbewohnern gewidmeten Abschnitte, während sich daselbst sehr ernste Ereignisse vor unseren Augen abspielen.

[57] Von Delhi im October 1808 abgereist, kam Elphistone nach Canound, wo eine Wüste mit beweglichem Sande beginnt, und betrat darauf den Bezirk Shekhawuttee, der von Radjputen bevölkert ist. Gegen Ende October erreichte die Gesandtschaft Singauna, eine hübsche Stadt, deren Gouverneur ein leidenschaftlicher Opiumraucher war.


Afghanische Kostüme. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

»Es war ein kleiner Mann, sagt der Reisende, dessen große Augen vom unmäßigen Opiumrauchen entzündet schienen. Sein auf beiden Seiten nach den Ohren zu aufgekämmter Bart verlieh ihm ein wildes, abschreckendes Aussehen.«

Djounjounha, dessen Gärten durch einen angenehmen erfrischenden Eindruck inmitten dieser Steppen überraschen, ist dem Rajah von Bikanir nicht unterworfen, dessen Einkünfte eine Million Mark nicht übersteigen. Es erscheint unerklärlich, woher der Fürst diese immerhin beträchtlichen Revenuen aus einem dürren unfruchtbaren Lande schöpfen kann, in dem sich nach allen Richtungen Millionen von Ratten, ganze Heerden von Gazellen und wilden Eseln umhertummeln.

»Der Fußsteg durch die sandigen Berge war sehr schmal, sagt Elphistone gelegentlich der Schilderung des Zuges seiner Karawane, kaum zwei Kameele konnten neben einander gehen. Sobald eines dieser Thiere nur ein wenig vom Wege abwich, sank es in den Sand wie in Schnee ein, so daß das geringste Hinderniß an der Spitze des Zuges die ganze Karawane zum Anhalten zwang. Ebensowenig konnten die Vordersten den Weg fortsetzen, wenn das Ende des Zuges still hielt, und da man fürchten mußte, daß sie sich in Ermanglung eines Führers verirren könnten, so gab man mit Trommeln und Trompeten fortwährend Signale, um jeder Trennung der einzelnen Glieder vorzubeugen.«

Denkt man hierbei nicht an den Marsch einer Armee? Konnten diese kriegerischen Töne und der Glanz der Waffen und Uniformen unter jenem Zuge noch eine friedliche Gesandtschaft vermuthen lassen? Könnte man nicht auf Indien die bekannte Redensart anwenden, welche in Spanien alle fremdartig erscheinenden Sitten und Gebräuche erklären soll, und vonCosas de India sprechen, wie man Cosas de España sagt?

»Der Mangel an Wasser, berichtet der Gesandte weiter, und die schlechte Qualität desjenigen, welches wir trinken mußten, wirkte auf unsere Soldaten und Diener bald sehr verderblich ein. Wenn der Ueberfluß an Wassermelonen zwar geeignet erschien, ihren Durst zu stillen, so ging das doch nicht ohne Nachtheil für die Gesundheit ab. Die meisten Eingebornen aus Indien, welche uns [58] begleiteten, litten an schleichendem Fieber und Anfällen von Dysenterie. Vierzig Mann starben während der ersten Woche unseres Aufenthaltes in Bikanir.«

Von Bikanir kann man dasselbe sagen, was Lafontaine über schwimmende Holzstücke äußerte:

»Von Weitem scheint es etwas zu sein, und in der Nähe ist es nichts.«

Der äußere Eindruck der Stadt ist ein ganz vortheilhafter; im Innern besteht sie aber nur aus ungeordneten Hütten mit Mauern aus »Lehmkleister«. Jener Zeit war das Land von fünf Herren überfallen und die kriegsführenden Parteien schickten einen Boten nach dem andern an den englischen Gesandten ab, um wenn nicht materielle Hilfe, so doch dessen moralische Stütze zu erlangen.

Elphistone wurde von dem Rajah von Bikanir feierlich empfangen.

»Die Hofhaltung desselben, sagt er, unterschied sich wesentlich von allen, die ich jemals in Indien gesehen hatte. Die Männer waren weißer als die Hindus, ähnelten an Gesichtszügen noch den Juden und trugen alle prächtige Turbans. Der Rajah selbst und dessen Angehörige hatten buntfarbige, reich mit Edelsteinen verzierte Mützen auf. Der Rajah stützte sich während der Audienz auf einen stählernen Schild, der in der Mitte aufgetrieben und am Rande mit Rubinen und Diamanten besetzt war. Sehr bald nach unserem Eintritte schlug der Rajah vor, uns der Hitze und der Belästigung durch die Volksmenge zu entziehen... Wir setzten uns nach indischer Sitte auf den Erdboden, und der Rajah begann ein Gespräch, in welchem er unter Anderem äußerte, er sei der Vasall des Herrschers von Delhi, und da Delhi unter englischer Oberhoheit stehe, erkenne er in meiner Person gern die Souveränität meiner Regierung an. Er ließ darauf die Schlüssel des Forts bringen, die er mir anbot, doch schlug ich dieselben aus, da ich nach dieser Richtung keine Machtvollkommenheit hatte. Erst nach langem Hin- und Herreden verstand sich der Rajah dazu, seine Schlüssel zu behalten. Später trat eine Gesellschaft von Bajaderen auf; Tänze und Gesänge hörten dann bis zur Zeit unserer Abreise nicht wieder auf.«

Von Bikanir aus führt der Weg durch eine Wüste, in der die Städte Moujghur und Bahawulpore liegen, wo eine dichtgedrängte Volksmenge die Gesandtschaft erwartete. Der Hyphasus, jener Strom, auf dem sich einst die Flotte Alexander's wiegte, entsprach nicht den Erwartungen, welche jene Erinnerung erregte. Am Tage nach dem Eintreffen daselbst kam Bahaweel Khan, der Gouverneur einer der Ostprovinzen von Kabul, an. Dieser überbrachte dem [59] englischen Gesandten reiche Geschenke, welche er längs des rechten Hyphasususers bis Moultan beförderte. Letztere Stadt ist durch ihre Seidenwebereien weit und breit berühmt. Der Gouverneur derselben war ganz starr vor Schrecken, als ihm die Ankunft der Engländer zu Ohren kam, und berathschlagte mit Anderen, wie er sich zu verhalten haben möchte, wenn jene die Stadt durch einen Ueberfall eroberten oder deren Uebergabe verlangen sollten.

Bald schwand indessen seine Angst, und die Zusammenkunft mit ihm wurde eine recht herzliche. Elphistone's Schilderung derselben scheint zwar etwas übertrieben, ist aber doch merkwürdig genug.

»Der Gouverneur, sagt er, begrüßte Herrn Strachey (den Secretär der Gesandtschaft) auf echt persische Weise. Beide begaben sich nach einem zur Unterhaltung gewählten Zelte, was nicht ohne große Anordnung abging. Das Volk schlug sich rings um sie und Reiter zwängten sich schonungslos durch die Reihen der Fußgänger. Strachey's Pferd wurde fast umgerissen und er hatte die größte Mühe, sich im Gleichgewichte zu halten. Schon in der Nähe des Zeltes hatten sich der Khan und sein Gefolge vom richtigen Wege verirrt und stürzten sich nun so stürmisch auf die Reiterschaar daneben, daß diese kaum im Stande war, eine Schwenkung zu machen, um jenen einen Durchgang zu öffnen. Als die in Unordnung gerathenen Truppen nach dem Zelte eilten, entflohen die Diener des Khans, welche darüber unklar sein mochten, was hier vorging; Alles wurde dabei umgerissen und zur Erde geworfen, so daß uns die Leinwand fast über dem Kopf zusammenfiel. Das Innere füllte sich mit einer tobenden Menge, während auch vollständige Dunkelheit herrschte. Der Gouverneur und zehn seines Gefolges setzten sich nieder, die Anderen blieben unter Waffen. Der Besuch dauerte nur kurze Zeit. Der Gouverneur betete fortwährend inbrünstig seinen Rosenkranz ab und stammelte nur die Worte: »Sie sind willkommen! Hoch willkommen!« Dann meinte er, die große Volksmenge könnte mir wohl lästig fallen, und zog sich zurück.«

Der Bericht klingt amüsant. Es verschlägt ja nicht viel, ob er durchgehends der Wahrheit entspricht. Am 31. December überschritt die Gesandtschaft den Indus und gelangte in ein sorgfältig und zweckmäßig angebautes Land das in keiner Weise an Hindostan erinnerte. Von Engländern, welche sie für Mongolen, Afghanen oder Hindus hielten, hatten die Bewohner noch niemals reden gehört. In der wundersüchtigen Bevölkerung waren auch die seltsamsten Gerüchte in Umlauf.

[60] In Dera mußte man einen ganzen Monat verweilen, um einen »Mehmandar« oder Anführer der Gesandten abzuwarten. Zwei Mann von der Gesellschaft benutzten diese Muße, um den Pic Tukhte Soleiman, das ist der Thron Soliman's, zu besuchen, auf dem der Sage nach die Arche Noah's nach der Sintfluth sitzen geblieben sein soll.

Am 7. Februar erfolgte die Abreise von Dera, von wo aus die Gesandtschaft durch lauter reizende Gegenden bis Peschaver zog, wohin sich der König begeben hatte, denn der Hof residirte sonst nicht in dieser Stadt.

»Am Tage unserer Ankunft, heißt es in dem Berichte, wurde uns das Essen aus der königlichen Küche geliefert. Die Gerichte waren wirklich vortrefflich. Später ließen wir indeß das Fleisch nach unserer Art zubereiten; trotzdem unterließ der König nicht, uns Frühstück, Mittagessen und ein leichtes Abendbrot zu senden, außerdem noch Nahrungsmittel und Futter für zweitausend Mann, zweihundert Kameele und für eine große Anzahl Elephanten. Unser Gefolge war nun lange nicht so zahlreich, dennoch hatte ich die größte Mühe, nach Verlauf eines Monats bei Seiner Majestät eine geringe Beschränkung dieser unnützen Verschwendung durchzusetzen.«

Wie vorauszusehen, zogen sich die Verhandlungen wegen einer Vorstellung bei Hofe lange Zeit hin. Endlich kam es zu einer Einigung, und der Empfang gestaltete sich so herzlich, wie es die diplomatischen Gepflogenheiten nur zuließen. Der König erschien bedeckt mit Diamanten und anderen edlen Steinen; er trug eine goldene Krone und auf einer Armspange glänzte der bekannte »Kohinoor«, der größte existirende Diamant, den jetzt wohl Jeder in Nachbildungen gesehen hat.

»Ich muß gestehen, sagt Elphistone, daß, wenn manche Gegenstände und der ungewöhnliche Reichthum der königlichen Prachtgewänder mein Erstaunen erregte, ich dagegen doch Vieles unter meinen Erwartungen fand. Alles wies weniger auf die gedeihliche Entfaltung eines mächtigen Staatswesens hin, als es den Verfall einer früher blühenden Monarchie verrieth.«

Daneben erwähnt der Gesandte die Habgier, mit der die Officiere des Königs sich auf die von den Engländern dargebrachten Geschenke stürzten, außer mehreren anderen Einzelheiten, die ihn sehr peinlich berührten. Eine zweite Zusammenkunft mit dem Könige ließ bei Elphistone jedoch einen besseren Eindruck zurück.

»Man dürfte schwerlich glauben, sagt er, daß ein morgenländischer Monarch so viel gute Lebensart entwickeln könne, wie dieser König, der, wo er offenbar zu gefallen strebte, doch seine Würde vollkommen zu wahren wußte.«

[61] Die mit Ausnahme der Ostseite umschlossene Ebene von Peschaver wird von drei Armen des Kabulflusses bewässert, welche sich hier untereinander und mit mehreren kleinen Bächen vereinigen. Die Landschaft ist ausnehmend fruchtbar. Auf jedem Schritte sieht man Pflaumen, Pfirsiche, Birnen, Quitten, Granaten und Datteln in Menge. Die Bevölkerung, welche in der von der Gesandtschaft durchzogenen Steppe nur sehr dünn gesäet wohnte, drängte sich hier so sehr zusammen, daß Lieutenant Macartney nicht weniger als zweiunddreißig Dörfer zählte.

Peschaver selbst mag gegen hunderttausend Menschen bergen, welche in dreistöckigen Häusern aus Backsteinen wohnen. Die hervorragendsten Bauwerke der Stadt bilden viele Moscheen, von denen keine besonders merkwürdig erscheint, eine schöne Karawanserei und der Ballahissaur, ein befestigtes Schloß, in dem der König die Gesandtschaft empfing. Die Mischung von Bewohnern verschiedener Racen, die wechselnden Kostüme erzeugen ein jeden Augenblick sich veränderndes Bild, ein wahres menschliches Kaleidoskop, das zum Vergnügen des Fremden geschaffen scheint. Perser, Afghanen, Kyberier, Hazaurchs, Duraner u. s. w., Pferde, Kameele, Dromedare aus Bactriana, Zweifüßler und Vierfüßler – der Naturforscher findet überall Stoff, zu beobachten und zu beschreiben.

Den Hauptreiz der Stadt wie des ganzen Indiens bilden aber ihre Gärten, und die Menge, so wie der Wohlgeruch der Blumen, vorzüglich der Rosen.

Die Lage des Königs war gerade damals keine befriedigende, da dessen Bruder, den er früher durch eine Volkserhebung entthront, die Waffen gegen ihn ergriffen und Kabul erobert hatte. Ein längerer Aufenthalt der Gesandtschaft schien nicht räthlich. Sie schlug also den Weg nach Indien wieder ein und zog über Attock und das durch seine landschaftlichen Reize berühmte Thal von Hussun Abdul. Hier gedachte Elphistone zu warten, bis die Waffen das Schicksal des Thrones von Kabul entschieden haben würden. Er erhielt jedoch Briefe, die seine Rückkehr beschleunigten. Uebrigens hatte das Glück Sjuhau nicht begünstigt; er wurde völlig geschlagen und konnte sich nur durch die Flucht retten. Die Gesandtschaft zog demnach weiter und kam durch das Land der Sikhs, mit einer sehr kräftigen, halbnackten und auch halb wilden Bevölkerung.

»Die Sikhs – welche einige Jahre später furchtbar von sich reden machen sollten – sagt Elphistone, sind groß, mager, aber sehr stark. Sie tragen kaum andere Kleidungsstücke als kurze Hosen, welche nur bis zur Hälfte des Schenkels reichen. Ueber die Schultern werfen sie zuweilen einen Mantel aus Tigerfellen.

[62] Ihre Turbans sind nicht breit, aber sehr hoch und vorn abgeplattet. Das Scheeren des Bartes oder der Haare kennen sie nicht. Ihre Waffen bestehen aus dem Bogen und der Flinte. Vornehmere Leute bedienen sich sehr eleganter Bogen, die sie auch bei jedem freundschaftlichen Besuche mit sich führen. Fast ganz Pendjab ist Rendjet Sing unterthan, der noch 1805 einer der zahlreichen Häuptlinge des Landes war. Zur Zeit unserer Reise hatte er sich die Oberhoheit über alles von den Sikhs bewohnte Land gesichert und den Titel eines Königs angenommen.«

Die weitere Rückreise der Gesandtschaft nach Delhi verlief ohne bemerkenswerthe Zwischenfälle. Dieselbe brachte, außer der Schilderung der unter ihren Augen vorgekommenen Ereignisse, sehr werthvolle Kunde über die Geographie von Afghanistan und Kabulistan, über die klimatischen Verhältnisse und über die Erzeugnisse des Thier- und Pflanzen-und Steinreiches jener ausgedehnten Länder mit heim.

Die Abstammung der Bewohner, die Geschichte, Regierungsweise, Gesetzgebung, die Verhältnisse des weiblichen Geschlechtes, die Religion, Sprache und der Handel werden in ebenso vielen interessanten Capiteln des Elphistone'schen Berichtes erörtert, die auch die besten Journalisten der neuesten Zeit schonungslos geplündert haben, als die letzte englische Expedition nach Afghanistan beschlossen wurde.

Die Arbeit endigt mit einer sehr eingehenden Untersuchung über die Volksstämme Afghanistans und mit einer Zusammenstellung zahlreicher, für jene Zeit besonders werthvoller Urkunden über die Nachbarländer.

Alles in Allem ist Elphistone's Bericht merkwürdig, interessant geschrieben, nach mehr als einer Seite höchst schätzbar und selbst heute noch von hohem Werthe.

Der Eifer der Compagnie erlahmte niemals. Kaum war eine Mission zurückgekehrt, so reiste eine andere nach anderer Richtung und mit veränderten Instructionen ab. Es kam jener darauf an, mit ihrer Umgebung Fühlung zu behalten, über die so wetterwendische Politik der asiatischen Despoten unterrichtet zu bleiben und vorzüglich ein Bündniß der verschiedenen Völker gegen die Usurpatoren ihres mütterlichen Bodens zu verhindern. Im Jahre 1812 veranlaßte ein anderer, übrigens friedlicherer Gedanke die Reise Moorcrofts und des Kapitäns Hearsay nach dem in der Provinz Oundes, einem Theile Klein-Thibets, gelegenen Mansarowar-See.


Eine Gesellschaft von Bajaderen trat auf. (S. 59.)

[63]

Hierbei handelte es sich nur darum, eine Heerde langhaariger Ziegen aus Kaschmir, deren seine Wolle zur Herstellung jener auf der ganzen Erde berühmten Shawls dient, nach Indien überzuführen.


Persische Kostüme. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Daneben ging man noch darauf aus, die Behauptung der Hindus, daß der Ganges jenseits des Himalaya im Mansarowar-See entspringe, zu widerlegen.

Es war eine schwierige und gefahrvolle Aufgabe. Zunächst galt es dabei, nach Nepal einzudringen, dessen Regierung den Eintritt in das Land möglichst zu erschweren pflegte, und nachher auch noch ein anderes Gebiet zu betreten, von dem schon die Einwohner von Nepal, noch viel mehr natürlich die Engländer ausgeschlossen waren, nämlich die genannte Provinz Oundes.

[64] Die Reisenden verkleideten sich zunächst als Hindupilger. Ihr Gefolge bestand aus fünfundzwanzig Personen, unter denen ein Diener sich freiwillig verpflichtet hatte, stets Schritte von vier Fuß Länge zu machen, um auf diese, wenig verläßliche Weise den zurückgelegten Weg zu messen.

Die Herren Moorcroft und Hearsay begaben sich nach Bereily und folgten der von Webb eingehaltenen Richtung bis Djosimath, das sie am 26. Mai 1812[65] verließen. Die letzte Kette des Himalaya überschritten sie unter den größten Schwierigkeiten, in Folge der Seltenheit von Dörfern, des Mangels an Trägern und Nahrungsmitteln und des erbärmlichen Zustandes der Wege jener in so großer Höhe über dem Meere gelegenen Gegenden.

Sie besuchten jedoch Daba, wo sich eine bedeutende Lamanerie befindet, Gortope, Maïsar und die eine Viertelmeile von Tintapouri gelegenen warmen Schwefelquellen.

»Diese entspringen, heißt es in dem, in den »Annales des Voyages« veröffentlichten Originalberichte, aus zwei, etwa sechszölligen Mündungen und einem gegen drei Meilen langen und fast durchweg zehn bis zwölf Fuß über seine Umgebungen emporragenden Kalklager, das durch die Niederschläge entstanden ist, welche das Wasser bei seiner Abkühlung absetzt. Das Wasser selbst steigt vier Zoll über die Fläche in die Höhe. Es ist klar und so warm, daß man die Hand nicht lange hineinhalten kann. Die ganze Umgebung wird von einer dichten Dampfwolke umhüllt. Bei seinem Hinfließen über eine ziemlich horizontale Fläche höhlt das Wasser verschieden geformte Bassins aus, welche sich, je nachdem sich dessen gelöste Bestandtheile darin niederschlagen, später wieder verengern; endlich wächst der Boden derselben so weit empor, daß das Wasser eine neue Vertiefung bildet, die es nun eine gewisse Zeit lang anfüllt. So fließt es immer von einem Bassin zum anderen, bis es in die Ebene gelangt. Der erdige Niederschlag, den es im Anfang, nahe einer der Quellenmündungen hinterläßt, ist so weiß wie der reinste Stuck, weiterhin erscheint er hell-, noch später safrangelb. An der anderen Quelle zeigt er eine rosenrothe, im weiteren Verlaufe dunklere Grundfarbe. In der Kalkablagerung, die schon Jahrhunderte alt zu sein scheint, vermag man überall diese wechselnden Färbungen nachzuweisen.«

Tintapouri, die Residenz eines Lama, bildet schon von altersher einen sehr besuchten Wallfahrtsort der Gläubigen. Dafür zeugt z. B. eine vierhundert Fuß lange, gegen vier Fuß dicke Mauer, welche über und über mit Gebeten und Sprüchen bedeckt ist.

Am 1. August brachen die Reisenden von hier nach dem Mansarowar-See auf und ließen den Ravahnrad-See, der einen Hauptarm des Setledje speisen soll, rechts liegen.

Der Mansarowar-See breitet sich am Fuße ausgedehnter Wiesen aus, welche im Süden gigantische Berge begrenzen. Hier liegt das größte Heiligthum[66] der Hindus, ein Ansehen, das diese Stelle wohl nur ihrer Entfernung von Hindostan, den Beschwerden und Gefahren der Reise hierher und der Nothwendigkeit, Geld und Provisionen selbst bei sich zu führen, zu verdanken scheint.

Aus diesem Gewässer soll, nach der Annahme der Hindus, der Ganges neben dem Setledje und dem Kali entspringen. Ueber das Irrige der ersten Angaben war Moorcroft keinen Augenblick in Zweifel. Um sich von dem Werthe der beiden anderen zu überzeugen, wandelte er längs der hügligen und oft tief eingeschnittenen Ufer des Sees hin und sah dabei zwar viele Wasserläufe in denselben münden, keinen einzigen aber daraus abfließen. Möglicher Weise hat der Mansarowar-See vor dem Erdbeben, das Srinagar zerstörte, einen Abfluß gehabt, doch fand Moorcroft davon keine Spur. Zwischen dem Himalaya und der Callas-Bergkette gelegen, mißt der unregelmäßig gestaltete See gegen fünf Meilen in der Länge und vier in der Breite.

Ein Zweck der Mission war hiermit erreicht; Moorcroft und Hearsay wandten sich also nach Indien zurück, kamen durch Gangri und besuchten auch den Rawahnrad-See. Moorcroft fühlte sich jedoch zu schwach, denselben eingehender zu besichtigen, er kehrte nach Tintapouri, weiterhin nach Daba zurück und hatte bei Ueberschreitung der Ghats, welche Hindostan von Thibet trennen, schwer zu leiden.

»Der von den schneebedeckten Bergen von Bouthan herabfallende Wind, heißt es in dem Berichte, ist durchdringend kalt. Der Weg nach jenen Bergen ist aufwärts lang und beschwerlich, der abwärtsführende steil und schlüpfrig, so daß er die größte Vorsicht erheischt. Wir hatten im Allgemeinen viel auszustehen. In Folge der Unachtsamkeit der Treiber waren unsere Ziegen von der Straße abgewichen und grasten am Rande eines Abgrundes, fünfhundert Fuß über demselben. Ein Hirt vertrieb sie von der gefährlichen Stelle, wobei sie einen sehr steilen Abhang hinabliefen. Die letzten der Heerde stießen an verschiedene Steine, welche polternd hinunterstürzten und die vorderen zu beschädigen drohten; es war da wirklich wunderbar mit anzusehen, mit welcher Gewandtheit diese im Laufen doch den herabrollenden Steinen auszuweichen wußten.«

Bald darauf bedrängten Gorkhalis, die sich bisher begnügten, den Reisenden allerlei Hindernisse in den Weg zu legen, diese sehr ernsthaft und versuchten sie aufzuhalten. Einige Zeit hielt die Entschlossenheit der Engländer die wilden Fanatiker noch in gemessener Entfernung; mit deren zunehmender Anzahl wuchs aber auch ihr Muth, so daß sie endlich das Lager der Reisenden überfielen.

[67] »Zwanzig Männer stürzten sich auf mich, erzählt Moorcroft; der Eine packte mich am Halse, stemmte mir das Knie in die Lenden und versuchte mich durch Zusammenschnürung meiner Cravatte zu erwürgen; ein Anderer befestigte mir einen Strick an dem einen Bein und zerrte mich nach rückwärts. Das Gewehr, worauf ich mich stützte, entfiel mir und ich sank zu Boden. Man schleifte mich geknebelt fort, bis ich die Besinnung verlor. Als ich wieder zu mir kam, malte sich auf den Gesichtern der Räuber die wildeste Freude. Aus Furcht, mich noch entwischen zu sehen, hielten mich zwei Soldaten an einem Stricke fest und versetzten mir von Zeit zu Zeit Schläge, wahrscheinlich, um mir meine peinliche Lage in Erinnerung zu bringen. Mr. Hearsay hatte einen so plötzlichen Ueberfall nicht vermuthet; er spülte sich ruhig den Mund aus, als das Getümmel anfing, und hörte meine Hilferufe nicht. Bei dem Mangel an Waffen für Alle konnten unsere Leute nichts Besonderes ausrichten; Einige entflohen, ich weiß nicht wie; Andere wurden eingefangen, ebenso wie Mr. Hearsay. Letzteren knebelte man zwar nicht wie mich, hielt ihn aber an den Armen fest.«

Der Anführer der Räuberbande erklärte nun den Engländern, sie seien ertappt worden, das Land in Verkleidung als Hindu-Pilger bereist zu haben. Einem von Moorcroft als Ziegenhirt engagirten Fakir gelang es inzwischen, mit zwei Schreiben an die englischen Behörden zu entkommen. Letztere unternahmen sofort die nöthigen Schritte, und am 1. November wurden die Reisenden in Freiheit gesetzt. Man suchte sich nicht nur auf alle mögliche Weise zu entschuldigen, sondern lieferte auch alle geraubten Gegenstände wieder aus, und der Rajah von Nepal ertheilte ihnen besondere Erlaubniß, sein Land unbehelligt zu verlassen. Ende gut. Alles gut!

Der Vollständigkeit wegen sind hier noch Fraser's Zug nach dem Himalaya und Hodgson's Erforschung der Gangesquellen im Jahre 1817 zu erwähnen.

Kapitän Webb hatte, wie früher erzählt, den Lauf des genannten Flusses von dem Thale von Dhoum bis Cadjani, in der Nähe von Reital, persönlich besichtigt. Kapitän Hodgson reiste am 28. Mai 1817 von letzterem Orte ab und erreichte drei Tage später die Quellen des Ganges, jenseits Gangautri. Er sah die Ursprungsquelle daselbst unter dem flachen Gewölbe einer enormen Schneemasse von mindestens dreihundert Fuß lothrechter Höhe hervordringen. Sie bildete schon einen recht ansehnlichen Wasserlauf von siebenundzwanzig Fuß Breite bei achtzehn Zoll Tiefe.

[68] Aller Wahrscheinlichkeit nach tritt hier der Ganges zuerst an's Tagelicht. Die weiteren Fragen, wie weit er unter dem halbgefrornen Schnee dahinfließt, ob er nur aus dem Schmelzwasser desselben entsteht oder aus dem Schoße der Erde quillt, hätte Kapitän Hodgson zwar gern erörtert, als er aber trotz Abmahnung der Führer höher zu steigen suchte, versank er bis an den Hals im Schnee und hatte große Mühe, sich wieder herauszuarbeiten. Die Stelle, an welcher der Ganges entspringt, liegt am eigentlichen Himalaya neunzehntausendneunhundert Fuß über dem Meere.

Hodgson stellte auch Nachforschungen über die Quelle der Jumna an. In Djemautri mißt die zwischen zwei perpendiculären Granitwänden gelagerte Schneemasse, aus der jener Fluß hervorbricht, hundertvierzig Fuß in der Breite und mehr als vierzig Fuß im senkrechten Durchmesser. Die Quelle selbst befindet sich am südöstlichen Ende des Himalaya.

Wohl hat sich die Herrschaft der Engländer in Indien auf einen ungeheueren Umfang erweitert, aber eben dieser Umstand birgt auch gewisse Gefahren. Alle jene verschiedenen Völker, von denen manche eine ruhmreiche Vergangenheit hinter sich hatten, wurden nur durch das bekannte politische Princip unterworfen, welches darin besteht, erst zu theilen und dann zu herrschen. Könnten dieselben aber nicht eines Tages ihre gegenseitigen Eifersüchteleien beiseite setzen und sich geschlossen gegen die Engländer wenden?

Die Compagnie verhält sich dieser Aussicht gegenüber immer »kühl bis an's Herz hinan«, und alle ihre Schritte sind nur darauf gerichtet, das bisher so bewährte System in immer größerem Umfange zur Anwendung zu bringen. Gewisse Nachbarstaaten, die noch mächtig genug erscheinen, den Glanz der britischen Herrschaft einigermaßen zu verdunkeln, könnten etwaigen Mißvergnügten als Zufluchtsort dienen und zum Ausgangspunkte gefährlicher Entwickelungen werden. Von allen Grenzstaaten mußte aber vorzüglich Persien am schärfsten überwacht werden, und zwar nicht allein wegen der Nachbarschaft Rußlands, sondern auch, weil Napoleon einen drohenden Gedanken hatte laut werden lassen, an dessen Ausführung ihn nur seine Kriege in Europa hinderten.

Im Jahre 1807 nämlich wurde General Gardanne, der sich seine Epauletten schon in den Feldzügen der Republik verdient und sich später bei Austerlitz, Jena und Eylau ausgezeichnet hatte, zum bevollmächtigten Minister in Persien mit der Aufgabe ernannt, den Schah Feth Ali zu einem Bündniß gegen England und Rußland zu bewegen. Diese Wahl war deshalb eine glückliche zu [69] nennen, weil einer der Vorfahren des General Gardanne schon mit einer ähnlichen Mission am Hofe des Schah betraut gewesen war. Gardanne ging durch Ungarn und über Constantinopel nach Kleinasien; als er aber in Persien eintraf, hatte Abbas Mirza seines Vaters Feth Ali's Thron inne.

Der neue Schah empfing zwar den französischen Gesandten mit Auszeichnung, überhäufte ihn mit Geschenken und verlieh den Katholiken und den französischen Kaufleuten gewisse Privilegien, das war aber auch der ganze Erfolg seiner Sendung, welcher der jener Zeit überwiegende Einfluß des englischen Generals Malcolm entgegenwirkte. Als Gardanne sich von dem Mißlingen aller seiner Versuche überzeugt und jede Hoffnung auf Erfolg aufgegeben hatte, kehrte er im folgenden Jahre nach Frankreich zurück.

Sein Bruder Ange de Gardanne, der ihn als Secretär begleitete, verfaßte einen kurzen Reisebericht, eine Arbeit, welche zwar verschiedene bemerkenswerthe Aufschlüsse über persische Alterthümer enthält, aber von dem durch die Engländer veröffentlichten Werke doch beiweitem übertroffen wurde.

In Verbindung mit Gardanne's Mission steht auch der Bericht eines französischen Consuls, Adrien Dupré, der zu jener Gesandtschaft gehörte. Derselbe erschien unter dem Titel: »Reise nach Persien von 1807–1809 durch Anatolien, Mesopotamien, von Constantinopel bis zum Ausgang des Persischen Golfes und von da nach Irwan, nebst Schilderung der Sitten, Gebräuche und des Handels der Perser, des Hofes von Teheran, und einer kurzen Uebersicht der Völkerstämme Persiens«.

Das Werkchen selbst erfüllt größtentheils, was der Titel verspricht, und liefert zur Geographie und Ethnographie Persiens einen recht schätzenswerthen Beitrag.

Die Engländer, welche sich in jenem Lande weit länger aufhielten als die Franzosen, kamen schon dadurch in die Lage, weit vollständigeres Material zu sammeln und alle ihnen zukommenden Nachrichten gewissenhafter zu sichten.

Die Arbeiten zweier Männer besonders galten lange Zeit als Hauptquellen; an erster Stelle die Berichte James Morier's. Die Muße, welche diesem seine Stellung als Secretär der Gesandtschaft ließ, benutzte er dazu, sich mit den Sitten der Perser auf's eingehendste bekannt zu machen, und daraufhin veröffentlichte er nach der Heimkehr nach England mehrere orientalische Romane, welche durch ihren Reichthum an Bildern, durch die Treue der Schilderung und den ungewohnten Hintergrund einen außerordentlichen Erfolg errangen.

[70] Neben diesen aber ist John Macdonald Kinneyr's großes geographisches Werk über das persische Reich zu erwähnen. Diese epochenmachende Arbeit, welche alle bisher gekannten weit hinter sich ließ, giebt indeß nicht nur Auskunft über die Grenzen des Landes, über dessen Berge, Ströme und klimatische Verhältnisse, sondern behandelt auch ausführlicher die Regierung, Verfassung, Militärkräfte, den Handel, die Erzeugnisse des Thier-, Pflanzen-, und Mineralreiches und die Bevölkerung und Einkünfte des Landes.

Nach einem einleitenden, höchst anschaulichen Gesammtbilde der materiellen und geistigen Hilfsquellen des persischen Reiches, geht Kinneyr zur Beschreibung der verschiedenen Provinzen desselben über, welche sich auf eine Unmenge interessanter Urkunden stützt, die seine Arbeit bis auf die neueste Zeit zur vollständigsten und unparteiischesten aller bisher erschienenen machen.

Kinneyr hatte von 1808 bis 1814 Kleinasien, Armenien und Kurdistan nach den verschiedensten Richtungen durchstreift. Sein Aufenthalt an vielen Orten, und Sendungen, mit denen er betraut wurde, gaben ihm vielfache Gelegenheit, selbst zu sehen und zu vergleichen. Als Kapitän im Dienste der Compagnie, als politischer Agent bei dem Nabab von Carnatic, oder als einfacher Reisender, immer hatte Kinneyr ein wachsames Auge, und manche Ereignisse und Aufstände, deren Ursachen vielen anderen Forschern unbekannt geblieben wären, fanden ihre Erklärung durch seine Vertrautheit mit den Sitten, Gebräuchen und dem Charakter der Orientalen.


Zwei Soldaten hielten mich an einem Stricke fest. (S. 68.).

Zu gleicher Zeit hatte ein anderer Kapitän der Indischen Compagnie, William Price, der im Jahre 1810 der Gesandtschaft Sir Gore Ousely's in Persien als Dolmetscher und Secretär beigegeben war, sich mit der Entzifferung der Keilschrift beschäftigt. Darin hatten sich schon viele Andere versucht, aber nur ganz sonderbare phantastische Resultate erzielt. Wie die aller seiner Zeitgenossen erschienen auch Price's Ansichten sehr gewagt und seine Erklärungen wenig befriedigend; er verstand es aber, ein gewisses Publikum für die Lösung dieses schwierigen Problems zu erwärmen, indem er selbst in Niebuhr's und anderer Orientalisten Fußstapfen trat.

Ihm verdankt man die Schilderung des Zuges der englischen Gesandtschaft an den persischen Hof, neben welcher er auch zwei Abhandlungen über die Alterthümer von Persepolis und Babylon veröffentlichte.

[71] Der Bruder Sir Gore Ousely's, William Ousely, der jenen gleichfalls als Secretär begleitete, hatte seinerseits den Aufenthalt in Teheran zum Studium der persischen Sprache benutzt; auf die Geographie und politische Oekonomie dehnte er dasselbe jedoch nicht aus, sondern beschränkte sich auf Inschriften, Medaillen, Manuscripte, Literatur, mit einem Wort, auf die intellectuelle und materielle Geschichte des Landes. So verdankt man ihm unter Anderem eine Ausgabe Firdusi's und anderer Werke, welche neben den von uns schon erwähnten immerhin beitrugen, die Kenntnisse des Reiches der Schahs nicht unwesentlich zu vervollständigen. Es gab auch noch eine andere, halb asiatische, halb europäische Gegend, welche man jetzt allmählich besser kennen lernte. Wir meinen die Länder des Kaukasus.


Fünf Osseten bildeten meine Begleitung. (S. 76.)

Schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte [72] ein russischer Arzt, Johann Anton Güldenstädt, Astrachan und Kislar am Terek und an der äußersten Grenze russischer Besitzungen besucht; er war nach Georgien gekommen, wo ihn Czar Heraclius mit Auszeichnung empfing; er hatte Tiflis und das Land der Truchmenen gesehen und war bis Imeritien vorgedrungen. Im zweiten Jahre seiner Reisen, 1773, besuchte er die Kabardei, Ost-Kumanien, untersuchte die Ruinen von Madjary, gelangte nach Tscherkask und Azow, suchte die Mündungen des Don auf und beabsichtigte diese ausgedehnte [73] Forschungsfahrt mit Besichtigung der Krim zu beschließen, als er nach St. Petersburg zurückgerufen wurde.

Güldenstädt's Reisen sind von dessen eigener Hand nur unvollständig erschienen, da ihn der Tod mitten in der Arbeit dahinraffte, dagegen wurden dieselben von einem jungen Preußen, Heinrich Julius von Klaproth, der später die nämlichen Gegenden besuchte, in Petersburg herausgegeben.

Geboren in Berlin am 11. October 1783, zeigte Klaproth schon im zartesten Alter ganz erstaunliche Anlagen zum Studium der orientalischen Sprachen. Mit fünfzehn Jahren bereits lernte er ohne fremde Hilfe chinesisch, und sofort nach Vollendung seiner Ausbildung an der Universität zu Halle und in Dresden trat er mit der Herausgabe seines »Asiatischen Magazins« (Weimar 1801 u. flg.) an die Oeffentlichkeit. Durch den Grafen Potocki nach Rußland gezogen, wurde er daselbst als Hilfslehrer für orientalische Sprachen an die Akademie von St. Petersburg berufen.

Klaproth gehörte nicht zu jener sonst so achtenswerthen Classe von Stubengelehrten, welche sich damit begnügen, über ihren Büchern zu brüten. Er betrachtete die Wissenschaft vielmehr von weiterem Gesichtspunkte aus. Für ihn gab es nur den einzigen Weg zur vollkommenen Kenntniß der Sprachen Asiens und der Sitten seiner Bewohner – diese an der Quelle zu erforschen.

Klaproth sachte deshalb um die Erlaubniß nach, den Gesandten Golowkin, der sich durch Asien nach China begeben sollte, begleiten zu dürfen. Gleich nach erhaltener Genehmigung brach der gelehrte Reisende allein nach Sibirien auf, wo er nach und nach bei den Samojeden, Tungusen, Baschkiren, Jakuten, Kirghisen und anderen, die ungeheueren Steppen jenes Landes bevölkernden Stämmen verweilte. Zuletzt kam er nach Jakutsk, wo er mit dem Gesandten Golowkin zusammentraf. Nach kurzem Aufenthalte in Kiachta überschritt dieser am 1. Januar 1806 die chinesische Grenze.

Der Vicekönig der Mongolei muthete dem Gesandten aber allerlei Ceremonien zu, welche dieser für erniedrigend ansah, und als weder der Eine noch der Andere zum Nachgeben zu bewegen war, blieb dem Gesandten nichts übrig, als nach Petersburg umzukehren. Da es nicht in Klaproth's Interesse lag, den von ihm schon zurückgelegten Weg einzuschlagen, und er es natürlich vorzog, andere, ihm noch unbekannte Völkerschaften zu besuchen, so schlug er eine Route durch das südliche Sibirien ein und erwarb sich während dieser zwanzigmonatlichen Reise eine hochwichtige Sammlung Bücher in chinesischer, thibetanischer, [74] mongolischer und der Mandschu-Sprache, die er bei seiner großen Arbeit mit dem Titel »Asia polyglotta« als Unterlagen benützte.

Nach seinem Wiedereintreffen in St. Petersburg zum außerordentlichen Mitgliede der Akademie ernannt, wurde er auf Graf Potocki's Vorschlag mit einer historischen, archäologischen und geographischen Mission nach dem Kaukasus betraut. Ein volles Jahr verbrachte Klaproth, oft gefährdet durch die räuberischen Bewohner jener schwer zugänglichen Gegenden, auf Reisen und besuchte dabei die Landschaften, welche Güldenstädt gegen Ende des vorigen Jahrhunderts durchstreift hatte.

»Tiflis, sagt Klaproth – und seine Beschreibung erscheint merkwürdig, wenn man sie mit der anderer zeitgenössischer Schriftsteller vergleicht – Tiflis, das seinen Namen von den hier befindlichen Thermalquellen entlehnte, besteht eigentlich aus drei Theilen: dem eigentlichen Tiflis oder der alten Stadt, aus Kala, oder der Festung, und aus der Vorstadt Isni. Von dem Kur bewässert, zeigt diese Stadt in der Hälfte ihres Umfanges nur Schutt und Trümmer; ihre Straßen waren so eng, daß ein »Arba«, das ist ein hoch aufgethürmter Wagen, wie man sie häufig auf Bildern aus dem Oriente erblickt, kaum hindurch gelangen konnte, und das gilt nur von den verhältnißmäßig breitesten, durch andere vermochte sich kaum ein einzelner Reiter zu drängen. Die schlecht gebauten Häuser aus Kieseln und mittelst Lehm verbundenen Backsteinen dauerten kaum fünfzehn Jahre aus. Tiflis hatte zwei Marktplätze, doch war hier Alles ausnehmend theuer, Shawls, sowie Seidenstoffe, das heißt die Erzeugnisse der Nachbarländer in Asien, standen hier weitaus höher im Preise als selbst in St. Petersburg.«

Tiflis kann man nicht erwähnen, ohne dabei von dessen warmen Quellen zu sprechen. Wir geben hierüber Klaproth's eigene Worte wieder:

»Die berühmten warmen Bäder waren ehedem prächtig, sind aber jetzt in Verfall, obwohl man noch einige wenige mit marmorbekleideten Wänden findet. Das wenig schwefelhaltige Wasser soll sehr heilkräftig sein. Die Bewohner, vorzüglich die Frauen, benutzen es bis zum Uebermaße; letztere verweilen öfters ganze Tage darin und führen aus diesem Grunde auch ihre Mahlzeiten gleich mit sich.«

Die Hauptnahrung, wenigstens in den Berglandschaften, besteht hier in »Phouri«, das ist ein hartes unschmackhaftes Brot, dessen eigenthümliche Zubereitung unseren sybaritischen Vorstellungen sehr zuwiderläuft.

[75] »Wenn der Teig hinreichend geknetet ist, sagt der Bericht, entzündet man mit sehr trockenem Holze ein helles, lebhaftes Feuer in vier Fuß hohen, zwei Fuß breiten und in den Erdboden versenkten irdenen Gefäßen. Sobald sich eine tüchtige Gluth entwickelt hat, schütteln die Georgierinnen die Hemden und rothseidenen Beinkleider darüber aus, um das Ungeziefer aus ihrer Kleidung hineinfallen zu lassen. Erst nachher wirst man den in etwa zweifaustgroße Stücke getheilten Teig in die Töpfe; sofort wird die Oeffnung mit einem Deckel geschlossen, über den noch Lumpen gehäuft werden, damit keine Wärme entweichen kann und das Brot gut durchbäckt. Dieser Phouri ist nichtsdestoweniger stets schlecht gebacken und sehr schwer verdaulich.«

Nach Beschreibung der Grundlage jeder Mahlzeit der armen Bergbewohner, wollen wir nun mit Klaproth einer fürstlichen Tafel beiwohnen.

»Man breitete vor uns, sagt er, ein langes gestreiftes, eine und eine halbe Elle breites und sehr schmutziges Tischtuch auf, legte jedem Theilnehmer ein drei Spannen langes, zwei breites und kaum zweifingerdickes Weizenbrot vor und brachte nachher eine Menge kleiner Messingschälchen mit Schaffleisch, Reis in Bouillon, gebratenen Hühnchen und in Scheiben geschnittenem Käse. Dem Fürsten und den Georgiern setzte man geräucherten Lachs mit frischen Kräutern vor, weil eben Neumond war. In Georgien weiß man nichts von Löffeln, Gabeln und Messern, man trinkt die Suppe gleich aus der Schüssel, langt das Fleisch mit den Händen zu und zerreißt es mit den Fingern in mundgerechte Stücke. Ist man gegen Jemand sehr freundschaftlich gesinnt, so wirst man ihm wohl ein saftiges Stückchen zu. Die Gerichte werden übrigens auf das Tischtuch aufgetragen. Zum Schlusse der Tafel servirte man Weintrauben und gedörrte Früchte. Während des Essens ging fleißig recht guter, im Lande erzeugter Rothwein herum, der tatarisch »Traktir«, georgisch »Ghwino« heißt, und aus einer sehr flachen, mehr einer Untertasse ähnlichen Silberschale getrunken wurde.«

Wenn dieses Sittengemälde an sich interessant ist, so ist es nicht weniger die Art und Weise, wie Klaproth die verschiedensten Erlebnisse darstellt. Man lese z. B. folgenden Bericht des Reisenden über einen Ausflug nach den Quellen des Terek, deren Lage Güldenstädt zwar genau bestimmt, die er aber selbst nicht gesehen hatte:

»Ich brach von Outsfars Kan am 17. März, an einem schönen, frischen Morgen auf. Fünf Osseten bildeten meine Begleitung. Nach einer halben Stunde[76] Weges begannen wir auf einer steilen beschwerlichen Straße emporzusteigen und kamen so an die Stelle, wo der Outssar Don in den Terek fällt. Von hier aus hatten wir eine Meile noch schlechteren Weg am rechten Ufer des, gewöhnlich kaum zehn Schritt breiten, jetzt aber durch das Schmelzen des Schnees angeschwollenen Flusses. Diese Seite desselben ist übrigens unbewohnt. Weiter bergaufgehend, erreichten wir den Fuß des Khoki oder Istir Khoki. Endlich gelangten wir nach einer Stelle, an der uns große, im Flußbette aufgehäufte Felsblöcke den Uebergang nach dem Dorfe Tsiwratte Kan gestatteten, wo ein Frühstück eingenommen wurde; hier vereinigen sich die einzelnen kleineren Wasserläufe, welche zusammen den Terek bilden. Befriedigt durch die glückliche Erreichung unseres Zieles, goß ich ein Glas Ungarwein in den Fluß und brachte eine zweite Libation dem Genius des Berges dar, aus dem der Terek seine Quellen herleitet. In der Meinung, ich verrichtete eine Ceremonie, betrachteten mich die Osseten dabei mit andächtiger Verwunderung. Ich ließ an die glatte Wand eines großen Schieferfelsens mit rother Farbe das Datum meiner Reise, sowie meinen Namen nebst denen der begleitenden Osseten anschreiben, und begab mich dann noch etwas höher hinauf bis zu dem Dorfe Ressi.«

In seinem Reiseberichte aus dem wir leicht noch weitere Auszüge geben könnten, stellt Klaproth alle Nachrichten und Aufschlüsse zusammen, die er über die Völkerschaften des Kaukasus erhalten konnte, und betont vorzüglich die merkwürdige Aehnlichkeit der georgischen Dialecte mit denen des finnischen und wogulischen (ugrischen) Sprachstammes.

Bezüglich der Lesghier, welche im östlichen Kaukasus wohnen und deren Gebiet Daghestan oder Lezghistan genannt wird, sagt Klaproth, daß man die Bezeichnung Lesghier nur so gebrauchen darf, »wie man sich früher der Namen Scythen oder Tataren bediente, womit nur Bewohner des nördlichen Asiens gemeint waren;« etwas später fügt er hinzu, daß jene keineswegs eine einzige Nation bilden, was schon die große Anzahl gebräuchlicher Dialecte verräth, »welche indessen einer und derselben Quelle zu entstammen scheinen, während sich nur im Laufe der Zeit beträchtliche Abweichungen eingebürgert haben«. Hierin verbirgt sich ein eigenthümlicher Widerspruch: entweder bilden die Lesghier, wenn sie Alle dieselbe Sprache reden, wirklich eine zusammengehörige Nation, oder wenn letzteres nicht der Fall wäre, können sie auch nicht verschiedene Dialecte sprechen, welche aus der nämlichen Quelle herstammen. Nach Klaproth zeigen die lesghischen Wörter viele Uebereinstimmung mit anderen Sprachen des [77] Kaukasus und des nördlicheren Asiens, vorzüglich mit den finnischen und samojedischen Dialecten Sibiriens.

Westlich und nordwestlich von den Lesghiern trifft man die Metzdjeghis oder Tchetchensen, wahrscheinlich die ältesten Bewohner des Kaukasus. Damit stimmt freilich Pallas nicht überein, der jene vielmehr für einen abgesonderten Zweig der Alanen ansieht. Die Sprache der Tchetchensen zeigt viele Aehnlichkeiten und Analogien mit den samojedischen, wogulischen und anderen Sprachen Sibiriens, ja, sogar mit slavischen Dialecten.

Die Tscherkessen oder Cirkassier sind die Sykher der Griechen. Sie bewohnten ehemals den östlichen Kaukasus und die Halbinsel Krim, haben ihren Sitz aber sehr oft gewechselt. Ihre Sprache weicht von den anderen kaukasischen Idiomen wesentlich ab, obgleich die Tscherkessen »gleich den Wogulen und Ostjaken – man erinnert sich, daß die lesghische Sprache und die der Tchetchensen mit jenen sibirischen Idiomen verwandt war – einem und demselben Stamme angehören, der sich in sehr entlegener Zeit in mehrere Zweige theilte, von denen einen wahrscheinlich die Hunnen bilden«. Die Aussprache des Tscherkessen-Idioms ist ungemein schwierig; gewisse Consonanten desselben erfordern einen so starken Kehllaut, daß kein Europäer diesen wiederzugeben vermöchte.

Im Kaukasus findet man ferner die Abazen, welche die Küsten des Schwarzen Meeres, wo sie seit dem Alterthume sitzen, niemals verlassen haben, und die Osseten oder Ossen, die zum Stamme der indogermanischen Völker gehören. Sie nennen ihr Land Ironistan und sich selbst Iron. Klaproth betrachtet sie als sarmatische Meder, nicht nur auf Grund dieses Namens, der ihn an Iran erinnert, sondern auch wegen ihrer Sprache, »welche besser als historische Documente, ja, sogar zweifellos beweist, daß jene mit den Medern und Persern von einerlei Abkunft sind«. Diese Anschauung erscheint uns etwas hypothetisch, da man zu Klaproth's Zeiten die Sprache der Meder noch zu wenig kannte – noch harrten die Keil-Inschriften ja ihrer Enträthselung – um über die Aehnlichkeit des Idioms der Osseten mit jener Sprache urtheilen zu können.

»Hat man in diesem Volke aber, fährt Klaproth fort, die sarmatischen Meder der Alten wieder entdeckt, so überrascht es noch mehr, in ihnen die Alanen wieder zu erkennen, welche den Norden des Kaukasus bewohnten.«

Und weiter:

»Aus allem Vorhergehenden ergiebt sich unzweifelhaft, daß die Osseten, die sich heute selbst Iranen nennen, die Meder sind, welche sich ehedem Iranen[78] nannten, und welche Herodot mit dem Namen Arier bezeichnet. Jene sind also die sarmatischen Meder des Alterthums und gehörten zu der im Kaukasus von den Scythen gegründeten Kolonie. Sie sind die Asen oder Alanen des Mittelalters; sie fallen endlich zusammen mit den Jassen der russischen Chroniken, nach denen ein Theil des Kaukasus als iassische Berge bezeichnet wird.«

Es ist hier nicht der Ort, diese Identificirungen, welche der Kritik manche Handhabe bieten, näher zu beleuchten. Begnügen wir uns, eine andere Bemerkung Klaproths zu verzeichnen, die nämlich, daß die Aussprache des Ossetischen Anklänge mit niederdeutschen und slavischen Dialecten bieten soll.

Was die Georgier betrifft, so unterscheiden sich diese, sowohl durch die Sprache, als durch ihre körperlichen und geistigen Eigenschaften, ganz wesentlich von den Nachbarvölkern. Sie zerfallen in vier Hauptstämme: die Karthulis, Mingrelier, Suanen, die Bewohner der südlichen Alpenregion des Kaukasus, und die Lazen, ein wilder, von Raub und Plünderung lebender Stamm.

Wie man sieht, sind die von Klaproth gesammelten Aufschlüsse sehr beachtenswerth und werfen ein unerwartetes Licht auf die Wanderzüge der alten Völker. Diesen Reisenden unterstützte ein wirklich ungewöhnlicher Scharfblick und ein wunderbares Gedächtniß. Auch der Linguistik hat der gelehrte Berliner schätzenswerthe Dienste geleistet. Betrübend erscheint an dessen Bilde nur, daß die Eigenschaften des Menschen, sein Zartgefühl und die Milde des Charakters, nicht auf gleicher Höhe mit der Gelehrtheit und Findigkeit des Professors stehen.

Wir verlassen nun die Alte Welt und wenden uns zur Schilderung der Forschungsreisen in der jungen Republik der Vereinigten Staaten Nordamerikas.

Sobald die Bundesregierung von den Bedrängnissen des Krieges befreit, sie selbst staatlich anerkannt und gesetzmäßig errichtet war, richtete sich die öffentliche Aufmerksamkeit nach jenen pelzliefernden Ländern, welche nach und nach Engländer, Spanier und Franzosen herbeigelockt hatten. Die Bai von Noatka nebst den benachbarten Küstenstrecken – entdeckt von dem großen Cook, den berühmten Seefahrern Quadra, Vancouver und Marchand – gehörte zum amerikanischen Gebiete. Schon keimte die Monroe-Doctrin, welche später so viel Staub aufwirbeln sollte, in den Köpfen der Staatsmänner jener Zeit.

[79] Entsprechend einem im Congreß gestellten Antrage, wurden der Kapitän Meryweather Lewis und der Lieutenant William Clarke beauftragt, den Missouri von dessen Mündung in den Mississippi bis zur Quelle zu erforschen, die Felsengebirge auf kürzestem und leichtestem Wege zu überschreiten, um eine Verbindung zwischen dem Golf von Mexiko und dem Stillen Ocean einzuleiten. Gleichzeitig sollten jene Officiere mit den Indianern, welche sie möglicherweise träfen, Handelsbeziehungen anzuknüpfen suchen.


Er sah den Missouri in einem einzigen Schwalle herabstürzen. (S. 83.)

Die Expedition bestand aus regulären Soldaten und Freiwilligen und zählte, die Officiere mitgerechnet, im Ganzen dreiundvierzig Mann. Diese führten ein Flußschiff und zwei Piroguen mit sich.


Javanischer Krieger. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Am 14. Mai 1804 verließen die Amerikaner den Wood River, der in den Mississippi fällt, um in den Missouri einzufahren. Nach verschiedenen, in dem von Gaß veröffentlichten Tagebuche eingestreuten Bemerkungen erwarteten die Theilnehmer dieses [80] Zuges sowohl auf natürliche schwere Hindernisse, als auch auf riesengleiche Wilde zu treffen, die einen unbezwinglichen Haß gegen die Weißen hegen sollten.

Während der ersten Tage dieser ungeheueren Bootsfahrt, mit der von früher her nur die Orellana's und La Condamine's auf dem Amazonenstrome [81] zu vergleichen waren, hatten die Amerikaner das Glück, gleichzeitig mit einigen Sioux einem alten Franzosen und ehemaligem canadischen Waldläufer zu begegnen, welcher der Sprache der meisten Stämme im Missourithal mächtig und erbötig war, jene als Dolmetscher zu begleiten.

Nach und nach kamen sie nun an den Nebenflüssen Osaga, Kansas, la Plate oder Shallow River und dem Weißen Fluß vorüber. Dabei trafen sie wiederholt auf Indianer, vorzüglich auf Osagen und Sioux oder Mahas, welche ihnen alle in offenbarem Verfalle erschienen. Von den letzteren hatte ein Stamm so schwer durch die Blattern gelitten, daß die Ueberlebenden, in einem Anfalle von blinder Raserei, ihre von der Krankheit verschont gebliebenen Frauen und Kinder erschlugen und aus dem verpesteten Gebiete entflohen.

Weiterhin fand man die Ricaris oder Rees, die man anfänglich für die rechtlichsten, umgänglichsten und thätigsten von allen bisher Gesehenen hielt. Einige Diebstähle stimmten freilich sehr bald die hohe Vorstellung herab, die man sich von ihrem ehrenwerthen Charakter gemacht hatte. Auffälliger Weise beschäftigte sich dieser Stamm nicht ausschließlich mit der Jagd, sondern erbaute auch Getreide, Erbsen und Tabak.

Anders verhielt es sich mit den, kräftiger als ihre Stammverwandten entwickelten Mandanen. Bei ihnen findet man dieselbe merkwürdige Gewohnheit wie in Polynesien, die Todten nicht zu begraben, sondern sie auf einem Gerüste lange Zeit zur Schau auszustellen.

Clarke's Bericht liefert uns einige Kenntniß von diesem merkwürdigen Volksstamme. Die Mandanen sehen in dem göttlichen Wesen nur die Fähigkeit, zu heilen. Sie erkennen deshalb auch nur zwei Gottheiten an, welche als »der Große Arzt« und »der Geist« bezeichnet werden. Soll man wohl annehmen, daß das Leben für sie eine so überwiegende Bedeutung hat, daß sie Alles anbeten, was jenes zu verlängern im Stande scheint?

Auch ihr Ursprung ist nicht minder interessant. Anfänglich bewohnten sie ein am Ufer eines Sees gelegenes unterirdisches Dorf. Als aber ein Weinstock seine Wurzeln so tief trieb, daß sie bis zu ihnen hinabreichten, gelangten einige Mandanen, an denselben emporkletternd, nach der Oberfläche der Erde. Auf ihre begeisterte Schilderung der ausgedehnten Jagdgebiete und des Reichthums an Wild und Früchten hin, beschloß das dadurch bestochene Volk sofort nach jenen von der Natur so begünstigten Gegenden auszuwandern. Schon hatte die Hälfte des Stammes die Erdoberfläche erreicht, als der Weinstock [82] unter dem Gewicht einer besonders wohlbeleibten Frau nachgab und damit den übrigen Mandanen die Möglichkeit abschnitt, aus der Tiefe emporzuklimmen. Nach diesem Leben erwarten sie auch in jene ursprüngliche unterirdische Heimat zurückzukehren; doch gelangen nur Diejenigen dahin, welche mit reinem Gewissen sterben; die Uebrigen werden in einen großen See gestürzt.

Bei diesem Volksstamme also schlugen unsere Forschungsreisenden am 1. November ihr Winterquartier auf. Sie errichteten sich so bequeme Hütten, wie es ihre verfügbaren Mittel zuließen, und überließen sich, trotz sehr rauher Temperatur, während des ganzen Winters dem Vergnügen der Jagd, die für sie übrigens bald zur Nothwendigkeit geworden war.

Nach dem Wiederaufthauen des Missouri gedachten sie ihren Zug fortzusetzen; als aber das größere Boot mit den bis dahin erbeuteten Häuten und Pelzfellen nach St. Louis abgesendet wurde, fand sich, daß nur noch dreißig Mann entschlossen waren, sich allen Beschwerden bis zur Erreichung ihres Zieles freiwillig zu unterziehen.

Die Reisenden passirten nun bald die Mündung des Yellowstone (Fluß des Gelben Steines), der fast ebenso mächtig ist wie der Missouri, und überzeugten sich von dem Wildreichthum seines Uferlandes.

Grausam war ihre Verlegenheit, als sie an eine Stromgabelung gelangten. Welcher der beiden, ziemlich gleichmächtigen Wasserläufe war nun der Missouri? Kapitän Lewis, der mit einer Anzahl Leute zum Recognosciren abging, folgte dem südlicheren Wasserlaufe und entdeckte in der Ferne bald die völlig mit Schnee bedeckten Felsengebirge. Durch ein gewaltiges Rauschen geleitet, sah er den Missouri sich in einem einzigen Schwalle über Felsenabhänge herabstürzen und dann mehrere Meilen weit ununterbrochene Stromschnellen bilden.

Das Detachement folgte also ebenfalls diesem, tief zwischen Gesteinswänden verlaufenden Arme, der sich so drei bis vier Meilen weit durch die Berge hinwindet. Zuletzt zerfiel der Strom in drei Arme, welche man Jefferson, Madison und Gallatin, also nach den Namen dreier berühmter Staatsmänner Amerikas, taufte.

Bald wurden die letzten Stufen des Gebirges erklommen und die Expedition zog nun dessen nach dem Pacifischen Ocean gerichteten Abhang hinunter. Die Amerikaner führten eine Frau, Sohsonee mit Namen, mit sich, welche in ihrer Jugend von den Indianern des Ostens entführt worden war; diese diente ihnen getreulich als Dolmetscher und erkannte in dem Häuptling eines Stammes, [83] der feindliche Absichten durchblicken ließ, zufällig ihren eigenen Bruder; von Stund' ab wurden die Fremden nun mit größtem Wohlwollen behandelt. Leider war das Land sehr arm; die Einwohner ernährten sich nur von wilden Beeren, Baumrinde und von Thieren, wenn sie, was nur selten vorkam, solche antrafen und einfangen konnten.

Wenig gewöhnt an eine so frugale Kost, mußten die Amerikaner zur Aushilfe ihre eigenen, übrigens sehr heruntergekommenen Pferde verzehren und sich an das Fleisch der Hunde halten, welche die Indianer ihnen verkauften. Diese erhielten deshalb auch den Beinamen der »Hunde-Esser«.

Mit der wieder zunehmenden Temperatur wurden auch die Landesbewohner minder wild, die Lebensmittel aber reichlicher, und als man den Oregon oder Columbiafluß hinabfuhr, lieferte der ergiebige Lachsfang einen recht willkommenen Beitrag dazu. Da, wo der Columbia nach gefährlich zu befahrendem Laufe sich dem Meere nähert, bildet er eine sehr breite Mündung, in welcher schon die Meereswellen mit der Strömung desselben kämpfen. Die Amerikaner liefen mit ihrem gebrechlichen Boote wiederholt Gefahr, verschlungen zu werden, bevor sie das Gestade des Stillen Oceans erreichten.

Befriedigt über die glückliche Erreichung des Zieles ihrer Sendung, überwinterten sie nun hier und schlugen erst nach Wiedereintritt der besseren Jahreszeit den Rückweg nach St. Louis ein, wo sie, nach einer Abwesenheit von zwei Jahren, vier Monaten und zehn Tagen, im Mai 1806 anlangten. Ihrer Berechnung nach hatten sie von letztgenannter Stadt bis zur Oregon-Mündung nicht weniger als eintausenddreihundertachtundsiebzig (englische) Meilen zurückgelegt. Nun war der Anstoß gegeben. Bald folgten weitere Entdeckungszüge in das Innere des neuen Continents, welche nach und nach ganz den Charakter naturwissenschaftlicher Forschungsreisen annahmen und sich von unserem Gebiete geographischer Entdeckungen entfernten. –

Einige Jahre später wurde einer der größten Kolonisatoren, deren England sich rühmen kann, Sir Stamford Raffles, der Leiter jener Expedition, welche sich der holländischen Kolonien bemächtigte, zum Lieutenant-Gouverneur von Java ernannt. Während seiner fünfjährigen Verwaltung führte Raffles die eingreifendsten Reformen durch und schaffte z. B. die Sklaverei gänzlich ab. Seine vielseitige Beschäftigung verhinderte ihn aber trotzdem nicht, das nöthige Material für ein, zwei Quartbände starkes, hochinteressantes und merkwürdiges Werk zu sammeln. Es enthält dasselbe außer der Geschichte Javas eine große [84] Menge Notizen über bisher sehr wenig bekannte Völkerschaften im Innern der Insel, nebst eingehenden Untersuchungen über die Geologie und Naturgeschichte des Landes.

So erscheint es wohl nicht auffallend daß eine Riesenblume, welche nicht selten einen Meter im Durchmesser und zehn Pfund an Gewicht erreicht, »Rafflesia« zu Ehren des Mannes genannt wurde, der zum Bekanntwerden jener großen Insel so viel beitrug.

Raffles war auch der Erste, der weiter in Sumatra, dessen Küstengebiet man bisher allein kannte, eindrang, indem er die von den herkulischen, ackerbautreibenden Passumahs bewohnten Gebiete besuchte, oder im Norden bis Memang Kabu, der berühmten Hauptstadt des Malayenreiches, gelangte, und sich auch von Bencoulen bis Palimbang quer durch die ganze Insel wagte.

Ein bleibendes Gedächtniß erwarb sich Sir Thomas Stamford Raffles aber dadurch daß er die Indische Regierung auf die bevorzugte Lage Singapores hinwies und letzteres zu einem Freihafen umschuf, der sich bald zu außerordentlicher Blüthe entfalten sollte.

2. Capitel
1.
I.

Peddie und Campbell in Sudan. – Ritchie und Lyon in Fezzan. – Denham, Oudney und Clapperton in Fezzan, im Lande der Tibbus. – Der Tchadsee und seine Zuflüsse. – Kouka und die hervorragendsten Städte von Bornu. – Mandara. – Eine Razzia bei den Fellasahs. – Niederlage der Araber und Tod Bou Khaloum's. – Loggoun. – Toole's Tod. – Unterwegs nach Kano. – Doctor Oudney's Tod. – Kano. – Sokatu. – Der Sultan Bello. – Rückehr nach Europa.


Kaum brach die Macht Napoleon's I. und mit ihr das Uebergewicht Frankreichs zusammen, kaum fanden die um den Ehrgeiz eines Einzelnen entstandenen gewaltigen Kämpfe, welche stets die wissenschaftliche Weiterentwicklung der Menschheit hemmen, ein Ende, da erwachten auch schon überall edlere Bestrebungen wieder und es kamen neue, rein wissenschaftliche oder auch Handelszwecken dienende Unternehmungen zu Stande.

[85] In erster Reihe der Mächte, welche Entdeckungsfahrten begünstigen und organisiren, ist wie immer England zu nennen. Diesesmal bildet Central-Afrika, das Land, dessen außerordentliche Reichthümer Hornemann's und Burkhardt's Forschungsreisen ahnen ließen, das Hauptziel seiner Thätigkeit.

Zuerst begegnen wir hier dem Major Peddie, der im Jahre 1816 vom Senegal aus aufbricht und sich nach Kakondy, am Rio Nunez, begiebt. Kaum in genannter Stadt angelangt, erliegt Peddie den Strapazen der Reise und der Ungesundheit des Klimas. Major Campbell übernimmt nach ihm die Führung der Expedition und gelangt über die hohen Bergzüge von Fotou Djallon, verliert dabei aber einen Theil der Lastthiere und auch einige seiner Leute.

Angelangt auf dem Gebiete des »Almamy« – ein Titel, den sich übrigens die meisten. Fürsten in diesem Theile Afrikas beilegen – wird die Expedition in dessen Königreiche zurückgehalten und kann die Erlaubniß zur Rückkehr nur durch Zahlung einer namhaften Contribution erkaufen.

Dieser Rückzug sollte höchst verderblich werden, denn bei demselben mußten nicht allein die Flüsse, deren Uebergang so beschwerlich gewesen war, nochmals überschritten werden, sondern man hatte auch solche Plackereien, Verfolgungen und fortwährende Hindernisse zu erdulden, daß Major Campbell, um dem unleidlichen Zustande ein Ende zu machen, seine Waaren verbrennen, die Gewehre zerbrechen und das Pulver durch Wasser unbrauchbar machen ließ.

Diese Anstrengungen, das Scheitern seiner Hoffnungen, den vollständigen Mißerfolg seiner Bestrebungen konnte Major Campbell nicht ertragen; er starb, gleichzeitig mit ihm mehrere Officiere, an derselben Stelle, wo früher Peddie seinen Tod gefunden hatte. Der Rest der Expedition erreichte unter großen Beschwerden Sierra Leone.

Kurze Zeit darauf unternehmen es Ritchie und Georges Francis Lyon, unter Benutzung des hohen Ansehens, welches das Bombardement von Algier der britischen Flagge errungen, und der Beziehungen, welche der englische Consul in Tripolis mit den einflußreichsten Personen der Regentschaft anzuknüpfen gewußt hatte, dem von Hornemann eingeschlagenen Wege zu folgen und nach dem Centrum Afrikas vorzudringen.

Am 25. März 1819 verließen die Reisenden Tripolis in Begleitung Mohammed el Mukni's, des Beys von Fezzan, der in seinem Gebiete den Titel Sultan annimmt. Geschützt durch den hohen Rang ihres Begleiters, erreichen [86] Ritchie und Lyon Murzuk ohne besondere Hindernisse. Dennoch haben sie der Zug durch die Wüste und die damit verbundenen Entbehrungen so tief erschöpft, daß Ritchie am 20. November stirbt; Lyon lag ebenfalls längere Zeit krank und hatte, wieder genesen, nur damit zu thun, die heimlichen Versuche des Sultans zu vereiteln, der, in der Hoffnung auf den Tod der Reisenden, sich ihres Gepäckes zu bemächtigen strebte. Auch Lyon konnte über die Südgrenzen von Fezzan nicht hinausgelangen; er fand aber hinlänglich Zeit, über die hauptsächlichsten Städte des Reiches und die Sprache der Bewohner werthvolle Aufschlüsse zu sammeln. Daneben verdankt man ihm auch die ersten authentischen Nachrichten über die Tuaregs, die wilden Bewohner der Wüste und deren Religion, Sprache, Lebensweise und sonstige merkwürdige Gewohnheiten.

Kapitän Lyon's Bericht ist außerdem reich an Details über Bornu, Wadai und Sudan, welche, wenn sie auch nicht alle auf eigener Anschauung fußen, doch mit Sorgfalt gewählt sind.

Die bisher erzielten Resultate entsprachen freilich nicht der englischen Habgier, welche ihren Kaufleuten die reichen Märkte des Binnenlandes zu erschließen suchte. In Folge dessen wurde ein der Regierung gemachtes Anerbieten eines Schotten, des Doctor Walter Oudney, den die Reiseberichte Mungo Park's begeistert hatten, ohne Bedenken angenommen. Zur Seite stand ihm ein um drei Jahre älterer Schiffslieutenant, Hugues Clapperton, der sich auf den canadischen Seen vielfach ausgezeichnet, den aber der Friedensschluß von 1815 zur unfreiwilligen Muße verurtheilt hatte, indem er noch dazu auf Halbsold gesetzt wurde. Doctor Oudney's vertrauliche Mittheilungen von seinem Vorhaben bestimmten Clapperton sofort, sich dem abenteuerlichen Zuge anzuschließen. Oudney erwirkte sich vom Ministerium die Unterstützung dieses thatenlustigen Officiers, dessen ausgebreitete Kenntnisse ihm gewiß von großem Vortheile sein mußten. Lord Bathurst erhob keine Schwierigkeiten, und die beiden Freunde schifften sich, nach Entgegennahme specieller Instructionen, nach Tripolis ein, wo sie bald erfuhren, daß ihnen als Chef der Major Dixon Denham beigegeben war.

Geboren zu London am 31. December 1785, war Denham anfangs Gehilfe bei einem Eigenthümer größerer Ländereien. Schon nahm er die Stelle als Vertreter des Besitzers ein, konnte der Beschäftigung aber so wenig Geschmack abgewinnen, daß er, abenteuerlustig von Charakter, lieber in einem Regimente, das nach Spanien abging, Dienste nahm. Bis 1815 kämpfte er mit, dann benutzte er seinen Urlaub, um Frankreich und Italien zu besuchen.

[87] Sein Ehrgeiz verführte Denham, diejenige Laufbahn zu wählen, die ihn, selbst auf die Gefahr des Lebens hin, am schnellsten befriedigen konnte, und so entschloß er sich zu kühnen Forschungsreisen. Die Ausführung folgte bei ihm dem Gedanken auf der Ferse. Er schlug dem Ministerium vor, auf dem Wege, welchen später Laing folgen sollte, nach Timbuctu zu gehen; als er bei dieser Gelegenheit aber vernahm, mit welcher Sendung Lieutenant Clapperton und Doctor Oudney betraut seien, bat er um die Vergünstigung, sich diesen anschließen zu dürfen.


Eine Sklaven-Kafila. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Versehen mit Allem, was er für die Reise als nothwendig betrachtete, und nachdem er einen geschickten Zimmermann, Namens Hillman, engagirt, schifft sich Denham ohne Zaudern nach Malta ein und trifft mit [88] seinen zukünftigen Reisegefährten am 21. November 1821 in Tripolis zusammen.


Leibwache des Scheikh von Bornu. [Facsimile. Alter Kupferstich.] (S. 95.)

Der englische Name hatte gerade zu jener Zeit einen guten Klang und großes Ansehen in den Barbareskenstaaten nicht allein wegen des erfolgreichen Bombardements von Algier, sondern auch, weil der Consul von Großbritannien in Tripolis durch seine gewandte Politik ein recht gutes Einvernehmen mit den höchsten Behörden [89] der Regentschaft herzustellen gewußt hatte. Dieser Einfluß machte sich auch bald über den ersten beschränkten Kreis hinaus geltend. Die Nationalität verschiedener Reisender, der Schutz, den England der Pforte angedeihen ließ, die Gerüchte von seinen Kämpfen und Siegen in Indien, Alles das war, wenn auch lückenhaft, selbst im Innern von Afrika bekannt geworden, und der englische Name, ohne daß man sich Rechenschaft geben konnte, zu hohem Ansehen gestiegen. Nach Aussage des britischen Consuls war der Weg von Tripolis nach Bornu ebenso sicher wie die Straße von London nach Edinburgh. Jetzt schien also der Zeitpunkt gekommen, aus diesen Vortheilen, die sich vielleicht nicht sobald wieder darboten, Nutzen zu ziehen.

Nachdem die drei Reisenden bei dem Bey einen recht wohlwollenden Empfang gefunden und dieser ihnen seine Unterstützung nach allen Seiten zugesagt, beeilten sie sich, Tripolis zu verlassen. Unter dem Schutze der von dem Fürsten gestellten Escorte erreichten sie ohne Schwierigkeit am 22. April 1822 Murzuk, die Hauptstadt von Fezzan. Unterwegs hatte man sie da und dort mit einer wohlwollenden Freude begrüßt, welche fast an Enthusiasmus grenzte.

»In Sokna, erzählt Denham, kam uns der Statthalter entgegen und traf uns auf der Ebene vor der Stadt. Ihn begleiteten die vornehmsten Einwohner derselben, nebst mehreren hundert Bauern, die unsere Pferde umringten und uns vor lauter Luft und Freude die Hände küßten. So zogen wir in die Stadt ein. Unaufhörlich wiederholte die Menge die Worte: »Inglesi! Inglesi!« Und dieser Empfang machte auf uns einen um so angenehmeren Eindruck, als wir die ersten Europäer waren, welche in ihrer gewohnten Kleidung erschienen; ja, ich bin überzeugt, daß wir weit weniger freundlich aufgenommen worden wären, wenn wir etwa als Mohammedaner auftreten und uns zu der Rolle von Heuchlern hätten erniedrigen wollen.«

In Murzuk freilich sollten sich dieselben Plackereien wiederholen, welche Hornemann gelähmt hatten. Jedenfalls erschienen Verhältnisse und Menschen gänzlich verändert. Ohne sich von den Ehrenbezeugungen, die ihnen der Sultan erwies, blenden zu lassen, verlangten die scharfsichtigen Engländer vorzüglich nach der nothwendigen Escorte, um sie nach Bornu zu begleiten.

Man erwiderte ihnen, daß an eine Abreise vor dem kommenden Frühjahre deshalb nicht zu denken sei, weil man die »Kafila« oder Karawane und die Mannschaften, welche sie durch die wüsten Strecken begleiten sollten, nicht eher zusammenbringen könne.

[90] Inzwischen erbot sich ein reicher Kaufmann, Namens Bou Baker Bu Khaloum, ein intimer Freund des Pascha, gegen einige Geschenke alle Schwierigkeiten zu beseitigen. Er übernahm es, die Engländer selbst nach Bornu zu führen, wohin er sich ebenfalls begeben wollte, wenn der Pascha von Tripolis die dazu nothwendige Erlaubniß ertheilte.

Denham, der Bou Khaloum's Versicherungen Glauben schenkte, begriff die Nothwendigkeit dieser einzuholenden Erlaubniß und begab sich nach Tripolis zurück. Da er nur ausweichende Antworten erhielt, drohte er, sich nach England einzuschiffen, wo er über die Hindernisse, welche der Pascha der Erfüllung seiner Mission in den Weg legte, Bericht erstatten würde.

Diese Drohungen verhallten erfolglos; Denham ging wirklich unter Segel und landete eben in Marseille, als ihn ein Bote des Bey einholte, der ihn zurückrief und ihm volle Genugthuung und Bou Khaloum die Erlaubniß, die drei Reisenden zu begleiten, zusicherte.

Am 30. October kam Denham nach Murzuk zurück, wo er seine Gefährten, leider heftig ergriffen vom Fieber und geschwächt von dem abscheulichen Klima des Landes, wieder antraf.

Ueberzeugt, daß ein Luftwechsel ihre erschütterte Gesundheit wieder kräftigen werde, ließ er sie aufbrechen und in kurzen Tagesmärschen vorausreisen. Er selbst verließ Murzuk am 29. November mit einer Karawane von Kaufleuten aus Mesurot, Tripolis, Sokna und Murzuk, deren aus zweihundertzehn Arabern, lauter Krieger aus den aufgeklärtesten und unabhängigsten Stämmen, bestehende Bedeckung Bou Khaloum persönlich befehligte.

Die Expedition schlug den von Lieutenant Lyon gewählten Weg ein und gelangte bald nach Tegherhy, der südlichsten Stadt von Fezzan und der letzten, die man vor dem Eintritt in die Wüste von Bilna antrifft.

»Ich benutzte die Gelegenheit, sagt Denham, das Schloß von Tegherhy abzuzeichnen, das sich am südlichen Rande eines an der Stadt gelegenen Salzsees erhebt. Nach Tegherhy selbst gelangt man durch einen engen, niedrigen und gewölbten Gang, der nach einer zweiten Mauer mit einem Thore führt; diese Mauer ist mit Schießscharten versehen, welche einem Feinde das Vordringen wegen des beschränkten Raumes sehr erschweren müßten. Ueber dem Thore befindet sich noch eine Oeffnung, um Geschosse und Feuerbrände auf die etwaigen Angreifer zu schleudern, wovon die Araber mit Vorliebe Gebrauch machen.

[91] Das Innere der Stadt enthält einen Brunnen mit recht gutem Wasser. Bei hinreichendem Vorrath an Lebensmitteln und Schießbedarf dürfte dieser Platz, wenn er einigermaßen in Stand gesetzt würde, gewiß ernstlichen Widerstand leisten können. Tegherhy selbst hat recht freundliche Umgebungen. Ueberall wachsen Datteln und sprudelt ausgezeichnetes Wasser hervor. Nach Osten zu dehnt sich eine niedrige Hügelreihe aus, Wasserschnepfen, Enten und wilde Gänse tummeln sich auf den Salzteichen der Nachbarschaft.«

Von dieser Stadt aus betraten die Reisenden eine Sandwüste, durch welche man sich nur schwierig zurecht finden würde, wenn der Weg nicht durch Skelete menschlicher und thierischer Körper bezeichnet wäre, die man vorzüglich in der Nähe der Brunnen findet.

»Ein solches Skelet, das wir eines Tages fanden, erzählt Denham, sah noch recht frisch aus, der Bart hing noch am Kinn und auch die Gesichtszüge ließen sich nothdürftig unterscheiden. Da rief plötzlich einer von den Kaufleuten der Kafila (Karawane): das ist mein Sklave! Vor vier Monaten ließ ich ihn hier in der Nähe zurück! – So bringe ihn schnell zu Markte, sagte darauf ein witziger Sklavenhändler, damit Dir Keiner Dein Eigenthum streitig macht!«

In der Wüste giebt es da und dort durch Oasen bezeichnete Haltepunkte, wo sich mehr oder weniger bedeutende Städte angesiedelt haben. Ein solches hervorragendes Rendez-vous bildet z. B. Kischi. Hier wird ein Straßenzoll von Jedem verlangt, der durch das Land reist. Der Sultan der genannten Stadt – man beobachtet wiederholt, daß sich diese Duodez-Herr scher gern den Titel eines Befehlshabers der Gläubigen zulegen – zeichnete sich durch seinen auffallenden Mangel an Reinlichkeit recht unvortheilhaft aus, und ebenso bot sein ganzer Hofstaat, wenn man Denham glauben darf, einen geradezu widerlichen Anblick.

»Er kam in das Zelt Bou Khaloum's, sagt der Reisende, in Begleitung von einem halben Dutzend Tibbous, von denen einige geradezu abschreckend häßlich waren. Ihre Zähne erschienen dunkelbraun, was von dem übermäßigen Tabakgenusse, dem sie mit dem Munde und der Nase fröhnen, herrühren mochte. Ihre Nase sah schon mehr einem an das Gesicht geklebten Fleischklumpen ähnlich; die Nasenlöcher derselben waren so groß, daß sie mit den Fingern ganz tief hinein stoßen konnten. Weder meine Uhr, Boussole, noch eine Spieldose, die ich bei mir führte, erregten ihre Aufmerksamkeit. Die Leute glichen mehr Thieren in Menschengestalt.«

[92] Die Stadt Kirby, die man etwas weiter hin, zwischen einer Kette von Hügeln, welche vierhundert Fuß an Höhe nicht überschreiten, antrifft, liegt in einem »Uadi«, umgeben von zwei Salzseen, die ihre Entstehung aller Wahrscheinlichkeit nach den Aushöhlungen verdanken, welche die Entnahme von Erde zu Bauzwecken zurückließ. In der Mitte dieser Seen erhebt sich, einer Insel gleich, ein kleiner Berg von Kochsalz und kohlensaurem Natron. Das Salz, welches die in dieser Gegend sehr häufigen Uadis liefern, bildet den Gegenstand eines nicht unbedeutenden Handels mit Bornu und Sudan.

Eine erbärmlichere Stadt als Kirby dürfte es wohl kaum geben. »Darin findet man nichts, nicht einmal eine Matte.« Wie kann das auch anders in einem Orte sein, der den unaufhörlichen Razzias der Tuaregs ausgesetzt ist?

Die Karawane zog hierauf durch das Land der Tibbous; es sind das gastfreundliche und friedliche Leute, welche die Brunnen und Cisternen in Stand halten und dafür von den Karawanen eine Entschädigung erhalten. Schnell und kräftig von Natur, im Besitz sehr flüchtiger Pferde, haben sie sich eine außergewöhnliche Fertigkeit im Schleudern der Lanze erworben, welche die stärksten Krieger wohl bis zweihundertvierzig Fuß weit werfen. Bilma ist ihre Hauptstadt und die Residenz ihres Sultans.

»Dieser fand sich, so meldet der Bericht, mit einem zahlreichen Gefolge von Männern und Frauen bei den Fremden ein. Die letzteren waren weit hübscher als die in den kleineren Städten; Einzelne hatten wirklich ganz angenehme Züge und ihre weißen, gut geordneten Zähne contrastirten wunderbar gegen die Schwärze der Haut und der dreieckigen, öltriefenden Haarflechte, welche ihnen auf jeder Seite des Gesichtes herabhing; auch die Korallengehänge an der Nasenscheidewand und große Halsbänder aus Ambra standen ihnen recht gut zu Gesicht. Die Einen hielten einen »Cheiche« oder Fächer aus zarten Pflanzen oder aus Roßhaargesflecht, um die Fliegen abzuwehren, Andere nur einen Baumzweig; Diese trugen Fächer aus Straußenfedern, Jene ein großes Bund Schlüffel; Alle aber führten irgend etwas in der Hand und schwenkten es über dem Kopfe. Ein Stück Stoff von Sudan, das an der linken Schulter befestigt war und die rechte Körperseite frei ließ, bildete ihre ganze Bekleidung; ein anderes kleineres Stück verhüllte den Kopf und fiel von da auf die Schultern herab oder war ganz nach hinten geschlagen. Trotz dieser mangelhaften Kleidung bewahrten sie doch eine sehr züchtige und bescheidene Haltung.«

[93] Eine Meile hinter Bilma, gleich nach einer klaren Quelle, welche die Natur hierher verlegt zu haben scheint, um den Reisenden zur Deckung seines Wasserbedarfs einzuladen, nimmt eine Wüste ihren Anfang, welche man erst nach zehn Tagereisen durchmißt. Früher mochte sich hier ein großer Salzsee ausgebreitet haben.

Am 4. Februar 1828 erreichte die Karawane Lari, eine an der Nordgrenze von Bornu unter 14°40' nördlicher Breite gelegene Stadt.

Die durch die Stärke der Karawane erschreckten Bewohner derselben flohen entsetzt auseinander.

»Die trübe Stimmung aber, welche diese Wahrnehmung in uns erregte, sagt Denham, machte bald einer ganz anderen Empfindung Platz, als wir etwas weiter hin, kaum eine Meile von der Stelle, an der wir uns befanden, den großen See Tchad im Sonnenglanze schimmern sahen. Der für uns so erquickende Anblick erfüllte Alle mit einer solchen Befriedigung, daß ich keine Worte finde, dieselbe zutreffend zu schildern.«

Von Lari an änderte sich das Aussehen des Landes vollständig. Auf die bisherige Sandsteppe folgt nun ein lehmiger, rasenbedeckter Boden, da und dort mit zerstreuten Akazien und anderen Baumarten, unter denen Antilopenheerden weideten oder Hühner von Guinea und Tauben aus der Berberei ihr herrliches Gefieder durch die grünen Blätter schillern ließen. Städte und Dörfer, letztere meist aus kugelförmigen und mit Hirsestroh bedeckten Lehmhütten bestehend, wechselten mit einander ab.

Längs des Tchadsees, dessen Nordspitze sie zuerst berührt hatten, zogen die Reisenden nun weiter nach Süden. Die Ufer dieser großen Wasserfläche bestanden aus schlammigem, schwarzem aber verhältnißmäßig festem Boden. Das Wasser im See steigt zur Winterszeit ziemlich hoch an und fällt während des Sommers; es ist süß, fischreich und von Flußpferden und Schwimmvögeln bevölkert. Nahe der Mitte desselben, im Südosten, liegen mehrere Inseln, auf welchen Biddohmahs hausen, ein räuberischer Stamm, der von der Beute lebt, die er sich vom festen Lande holt.

Die Fremden hatten einen Boten an den Scheikh El Khanemi vorausgesendet, um sich die Erlaubniß zum Betreten seiner Hauptstadt zu erbitten. Bald erschien auch ein Abgesandter desselben, der Bou Khaloum und dessen Begleiter einlud, nach Kouka zu kommen. Unterwegs kam die Karawane durch Beurwha, eine befestigte Stadt, welche bisher allen Angriffen der Tuaregs [94] widerstanden hatte, und überschritt den Yeou, einen großen Fluß, dessen Breite an manchen Stellen wohl hundertfünfzig Faß betrug. Dieser Zufluß des Tchad kommt aus Sudan.

Am südlichen Ufer desselben erhebt sich eine hübsche, mauerumschlossene Stadt, welche gleichfalls Yeou heißt und halb so groß wie Beurwha sein mag.

Bald darauf langte die Kafila an den Mauern von Kouka an und wurde am 17. Februar, nach zweieinhalbstündigem Zuge, von einer bewaffneten Schaar von viertausend Mann empfangen, welche sehr gut einexercirt schienen. Unter denselben befand sich auch eine Abtheilung Neger, die Leibwache des Scheikh, deren Ausrüstung stark an die der alten Ritter erinnerte.

»Sie trugen, sagt Denham, Panzerhemden aus Eisenkettengliedern, welche die Brust bis zum Halse bedeckten, und nach vorn und hinten herabfielen, wodurch sie die Seiten des Pferdes und die Schenkel des Reiters schützten. Als Kopfschmuck führten sie eiserne Helme, und darüber gelbe, weiße oder rothe Turbans, die unter dem Kinn zusammengeknüpft wurden. Auch die Köpfe der Pferde waren durch Platten des nämlichen Metalls verwahrt. Ihre Sättel waren klein und leicht; die Steigbügel aus Zinn und so eng, daß man nur die Fußspitze hineinstecken konnte; als Fußbekleidung diente ihnen übrigens eine mit Krokodilhaut verzierte Ledersandale. Sie ritten wirklich vorzüglich, sprengten in scharfem Galopp bis auf wenige Schritte an uns heran und schwangen in Bou Khaloum's Nähe die Lanzen unter dem Rufe: ›Barca! Barca! Willkommen! Willkommen!‹«

Umgeben von dieser glänzenden Phantasie zogen die Engländer und die Araber in die Stadt ein, wo als Ehrenbezeugung für sie noch ein ähnliches militärisches Schauspiel veranstaltet wurde.

Der Scheikh El Khanemi ließ sich die Fremden bald vorführen. Jener mochte fünfundvierzig Jahre zählen. Er hatte eine ansprechende Erscheinung mit freundlichem, geistvollem und wohlwollendem Gesichtsausdrucke.

Die Engländer händigten ihm die Briefe des Paschas aus. Als der Scheikh dieselben durchlesen, fragte er Denham, was er und seine Gefährten in Bornu zu beginnen gedächten.

»Wir wollen nur das Land sehen, sagte Denham, und uns über dessen Bewohner, Natur und Erzeugnisse unterrichten.


Empfang der Mission. [Facsimile. Alter Kupferstich.] (S. 98.)

– So seid mir willkommen, erwiderte der Scheikh; es soll mir ein Vergnügen sein, Euch Alles zu zeigen. Ich habe für Euch Wohnstätten in der Stadt herstellen lassen; seht sie Euch mit einem meiner Leute an und fürchte nicht, auszusprechen, was Ihr daran etwa auszusetzen habt.«


Ulan des Sultans von Beghermi. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Die Reisenden erhielten bald Erlaubniß, Thier- und Vögelbälge, welche ihnen interessant schienen, zu [95] sammeln und Alles aufzuzeichnen, was der Beobachtung werth schien. So kamen sie in Besitz einer großen Menge schätzenswerther Nachrichten auch über die Nachbarstadt Koukas.

Die letztere, damals die Hauptstadt von Bornu, besaß einen Markt, wo Sklaven, Lämmer, junge Ochsen, Weizen, Reis, Erdnüsse, Feuerbohnen, Indigo und verschiedene andere Landesproducte verhandelt wurden. In den Straßen der Stadt, welche mindestens fünfzehntausend Einwohner zählte, herrscht ein ungemein reges Leben.

[96] Angornu ist ebenfalls eine große, mit Mauern umschlossene Stadt von dreißigtausend Seelen. Sie galt früher als Hauptstadt des Landes. Auch ihr Markt war nicht unbedeutend. Daselbst feilschen oft nicht weniger als hunderttausend fremde Käufer und Verkäufer um den Preis von Fischen, Geflügel, Fleisch, das roh oder gekocht zu Markte gebracht wird, Zinn, Kupfer, Weihrauch [97] und Korallen. Leinwand war hier so billig, daß fast Jeder Hemd und Beinkleider aus diesem Gewebe trug. Die Bettler verfuhren auf eigenthümliche Weise, um Erbarmen zu erwecken; sie besetzen die Zugänge des Marktplatzes, halten ein Stück alter, zerrissener Hofe in der Hand und rufen die Vorübergehenden unter kläglichen Geberden mit den Worten an: »Seht, ich habe nicht einmal Beinkleider!« Die Neuheit dieses Kniffes, das Verlangen nach einem Kleidungsstücke, das in ihren Augen nothwendiger als selbst die Nahrung erscheint, zwang den Reisenden zu lautem Lachen, als er zum ersten Male Zeuge einer solchen Scene war.

Bisher hatten die Engländer nur mit dem Scheikh zu thun gehabt, der, sich mit der ausübenden Gewalt begnügend, dem Sultan die nominelle Oberherrschaft überließ. Dieser Fürst war eine sonderbare Persönlichkeit und ließ sich nur, gleich einem merkwürdigen, gefährlichen Thiere, durch das Gitter einer Art Käfigs aus Rosenholz sehen, der nahe seinem Gartenthore stand. Eine bizarre Mode an diesem Hofe bestand auch darin, daß Alle, die daselbst verkehrten, um elegant zu erscheinen, einen starken Leib haben und sogar künstliche Mittel anwenden mußten, um nur fettleibig zu erscheinen, was sonst doch Jedermann eher für störend hält.

Die raffinirtesten Hofschranzen hatten, wenn sie zu Pferde saßen, einen so stark ausgestopften Bauch, daß dieser vorn über den Sattelknopf herabhing. Außerdem erforderte die Etiquette einen Turban von solcher Weite und so großem Gewichte auf dem Kopfe zu balanciren, daß Die, welche ihn trugen, oft den Kopf zur Seite neigen mußten.

Diese barocken Ausschreitungen erinnerten ungemein an die so häufigen Türken der Maskenbälle. Die Reisenden hatten manchmal alle Mühe, solchen Zerrbildern gegenüber den nöthigen Ernst zu wahren.

Neben diesen feierlich-amüsanten Empfangsceremonien und Erscheinungen machte man aber doch viel interessante Beobachtungen und zog Nachrichten aller Art ein, welche manches frühere Dunkel erhellten.

Denham wäre nun gern so bald als möglich nach Süden zu aufgebrochen. Der Scheikh schlug das aber ab, um die Sicherheit der ihm vom Bey von Tunis empfohlenen Fremdlinge nicht zu gefährden. Seit dem Betreten des Gebietes von Bornu war ja an Bou Khaloum's Verantwortlichkeit die des wohlwollenden Scheikh getreten. Denham's Gesuch wurde aber endlich so dringend, daß er von El Khanemi die Erlaubniß erhielt, Bou Khaloum bei einer »Ghrazzie« [98] oder Razzia zu begleiten, welche dieser gegen die Kaffir oder Ungläubigen unternehmen wollte.

Die Armee des Scheikh und die Araber kamen nun durch Yeddie, eine große, geschlossene Stadt, zwanzig Meilen von Angornu; ferner durch Affagey und noch andere Ortschaften, welche auf dunklem lehmhaltigen Alluvialboden erbaut waren.

In Delow betraten die Araber nachher das Land Mandara, dessen Sultan ihnen mit fünfhundert Reitern entgegenkam.

»Mohammed Becker, sagt Denham von diesem, war von kleiner Gestalt und etwa fünfzig Jahre alt, den Bart hatte er wunderschön – himmelblau gefärbt!«

Es erfolgte eine allgemeine Vorstellung, und der Sultan fragte, sobald er Denham's ansichtig geworden, wer er sei, woher er komme und was er vorhabe, endlich auch, ob er Muselman sei? Auf die Antwort Bou Khaloum's verdrehte der Sultan die Augen und murmelte: »Der Pascha hat also auch Kaffir zu Freunden?«

Dieser Zwischenfall hinterließ einen üblen Eindruck und Denham durfte später nie wieder vor dem Sultan erscheinen.

Die Feinde des Paschas von Bornu und des Sultans von Mandara hießen Felatahs. Ihre zahlreichen Stämme sind bis jenseits Timbuktu verbreitet. Es sind schöne Menschen von tiefer Bronzefarbe, wodurch sie sich deutlich von den Negern unterscheiden, mit denen sie sich übrigens kaum je vermischen. Auch bekennen sie sich zum Islam. Wir werden später auf diese Felatahs, Foulahs, Peuls oder Fans, wie man sie in ganz Sudan nennt, zurückkommen.

Im Süden der Stadt Mora erhebt sich eine Hügelkette, deren höchste Gipfel zweitausendfünfhundert Fuß nicht übersteigen, und die sich, nach Aussage der Eingebornen, dreißig Tagereisen weithin erstreckt.

Denham's Beschreibung dieser Landschaft ist merkwürdig genug, um hier wenigstens das Hervorragendste daraus mitzutheilen.

»Nach allen Seiten, sagt er, begrenzt unseren Blick eine Kette von Bergen, deren Ende man nicht absieht. Hinsichtlich der riesenhaften Dimensionen und der wilden Großartigkeit, halten sie weder einen Vergleich mit den Alpen, den Apenninen oder dem Jura, nicht einmal mit der Sierra Morena aus, messen sich aber mit allen genannten an pittoreskem Aussehen. Vor uns lagen die Spitze des Valmy Savah, Djogghiday Vayah, Moyoung und Memay, deren [99] felsige da und dort mit Dörfern bedeckte Fluren sich von Osten nach Westen hinziehen; der Horza, an Höhe und Schönheit vielleicht der erste von allen, bot mit seinen Schluchten und steilen Abhängen nach Süden zu ein reizendes Landschaftsbild.«

Derkolla, ein Hauptort der Felathas, wurde angegriffen und eingeäschert. Die Araber nahmen nachher Stellung vor Mosfeia, das eine zur Vertheidigung sehr günstige Lage hat und durch Palissaden beschützt ist, welche zahlreichen Bogenschützen als Deckung dienen. Der englische Reisende mußte dem Kampfe beiwohnen. Der erste Anprall der Araber war unwiderstehlich. Der Knall der Feuerwaffen, so wie der Ruf von Bou Khatoums Tapferkeit und Grausamkeit verbreiteten anfänglich eine wahre Panik unter den Felalahs. Wenn die Mandaranen und Bornuesen da den Angriff auf den Hügel kräftig unterstützt hätten, wäre die Stadt sicherlich gefallen.

Als die Belagerten aber das Zögern ihrer Feinde bemerkten, ergriffen sie selbst wieder die Offensive und schickten die Bogenschützen vor, deren vergiftete Pfeile unter den Arabern zahlreiche Opfer forderten. Gerade da wichen die Hilfsmannschaften von Bornu und Mandara schimpflich zurück.

Barca Gama, der Anführer der Ersteren, verlor drei Pferde unter dem Leibe. Bou Khaloum wurde verwundet, ebenso wie sein Pferd, und das Denham's ebenfalls; Letzterer selbst erhielt einen Streifschuß in's Gesicht, während noch zwei Pfeile seinen Burnus durchbohrten.

Der Rückzug artet bald zur wilden Flucht aus. Denham's Pferd stürzt und der Reiter, den die Felatahs schon umringen, rafft sich nur mit Mühe wieder auf. Zwei Felatahs weichen vor der Pistole des Engländers zurück, ein dritter erhält einen Schuß in die Schulter.

Denham betrachtete sich als gerettet, als sein Pferd sich zum zweiten Male überschlug und er weit weg und heftig gegen einen Baum geschleudert wurde. Als der Major wieder zu sich kam, war das Pferd verschwunden und er ohne Waffen. Sofort sieht sich Denham, der an beiden Händen und an der rechten Seite verwundet ist, von Feinden umringt und beraubt, während nur die Furcht, seine reiche Kleidung zu zerstören, diese abhielt, ihm den Garaus zu machen.

Inzwischen entsteht ein Streit um die Beute, der Major benutzt die Gelegenheit, unter einem Pferde wegzugleiten und im nahen Gebüsch zu verschwinden. [100] Entblößt und blutend, kommt er nach tollem Laufe am Rande einer Schlucht an, in deren Grund ein Bergstrom herabstürzt.

»Meine Kräfte waren fast zu Ende, sagt er, ich erfaßte die jungen Zweige, welche an dem alten Stamm eines über die Schlucht hinaushängenden Baumes hervorgesproßt waren, um mich bis zum Wasser hinabgleiten zu lassen, da die Uferwand zu steil war. Schon bogen sich die Zweige unter dem Gewicht meines Körpers, als ich dicht unter meiner Hand eine große »Liffa«, die giftigste Schlange der Gegend, aus ihrem Schlupfwinkel hervorgleiten sah, welche sich zum Bisse anschickte. Der Schreck lähmte alle meine Gedanken. Ich ließ die Zweige los und fiel kopfüber in's Wasser. Dieser Fall gab mir jedoch die klarere Besinnung wieder, und drei Bewegungen der Arme führten mich nach dem anderen Ufer, das ich mit großer Schwierigkeit erklomm. Damit war ich nun vor der weiteren Verfolgung durch die Felatahs sicher.«

Zum Glück bemerkte Denham einen Trupp Reiter, denen er sich trotz des Lärmens ringsum verständlich machen konnte. Er legte mit ihnen eine Strecke von siebenunddreißig Meilen ohne jede andere Kleidung als eine schlechte, von Ungeziefer strotzende Decke auf ungesatteltem, magerem Pferde zurück. Was mag er da bei einer Hitze von sechsunddreißig Graden, die seine Wunden nur verschlimmern mußte, gelitten haben!

Fünfunddreißig Araber, darunter deren Führer Bou Khaloum, waren getödtet, fast alle Uebrigen verwundet, die Pferde unbrauchbar gemacht oder verloren gegangen – so endigte die Expedition, von der man sich reiche Beute und eine große Zahl Sklaven versprochen hatte.

Binnen sechs Tagen legte man die hundertachtzig Meilen betragende Wegstrecke von Mora nach Kouka zurück.

Denham fand in letzterer Stadt wieder einen recht freundlichen Empfang seitens El Khanemi's, der ihm für seine verloren gegangene Kleidung ein Kostüm, wie es hier zu Lande üblich war, zustellen ließ.

Kaum hatte sich der Major von seinen Wunden und den vorigen Strapazen erholt, als er schon wieder an einer Expedition theilnahm, die der Scheikhh nach Monga, einem Lande im Westen des Tchadsees, ausführen ließ, dessen Bewohner seine Oberhoheit niemals voll anerkannt und sich in letzter Zeit geweigert hatten, den verfallenen Tribut zu entrichten.

Denham und Doctor Oudney brachen am 28. Mai von Kouka auf, überschritten den Yeou, der zu dieser Jahreszeit fast ganz trocken lag, in der Regenzeit [101] aber gewaltig anzuschwellen pflegt, und besuchten Birnie sowohl wie die Ruinen von Alt-Birnie, der früheren Landeshauptstadt, welche gegen zweihunderttausend Einwohner gezählt haben soll. Nachher kamen sie zu den Trümmern von Gambaru, das sich einst durch prächtige Bauwerke auszeichnete und als Lieblingssitz des früheren Sultans galt, aber von den Felalahs zerstört wurde, ferner nach Kabchary, Bassekur, Bately und nach einer Menge anderer Städte und Dörfer, deren zahlreiche Einwohner ohne Widerstreben die Oberherrschaft des Sultans von Bornu anerkannten.

Der nun eintretende Winter erwies sich den Mitgliedern der Mission sehr ungünstig. Clapperton litt schrecklich an Fieber. Der Zustand des Doctor Oudney, der schon bei der Abreise von England brustleidend war, verschlimmerte sich zusehends. Der Zimmermann Hillman befand sich in trostloser Lage. Nur Denham allein hielt sich aufrecht.

Als die Regenzeit zu Ende ging, reiste Clapperton mit dem Doctor Oudney am 14. December nach Kano ab. Wir werden ihnen bald auf diesem interessanten Theile ihrer Reise folgen.

Sieben Tage später traf ein Fähnrich, Namens Toole, in Kouka ein, der zur Reise von Tripolis bis hierher nur drei Monate und vierzehn Tage gebraucht hatte.

Im Februar 1822 unternahmen Denham und Toole einen Ausflug nach Loggoun, am Südende des Tchadsees. Die ganze Umgebung des Sees und seines Zuflusses, des Chary, ist sumpfig und steht während der Regenzeit unter Wasser; das besonders ungesunde Klima dieser Gegend wurde für den jungen Toole verderblich, denn dieser ging schon am 26. Februar in Angola mit Tode ab; er erreichte ein Alter von nicht ganz zweiundzwanzig Jahren.

Ausdauernd, unerschrocken, dienstwillig, kaltblütig und klug, wie er war, besaß Toole alle Eigenschaften, welche einen tüchtigen Reisenden auszeichnen.

Loggoun war bisher ein sehr unbekanntes Land, durch welches selbst Karawanen seltener zogen und dessen Hauptstadt Kernok gegen fünfzehntausend Einwohner zählte. Es wohnt hier ein schöner Menschenschlag, der die Bornuesen an geistigen Fähigkeiten übertrifft – beides gilt vor Allem von den Frauen – sehr arbeitsam ist und schöne Leinwand nebst anderen guten Geweben fabricirt.

Die unumgängliche Vorstellung beim Sultan schloß, nach dem gewöhnlichen Austausch schöner Redensarten und der Entgegennahme reicher Geschenke, mit [102] folgendem sonderbaren Angebote, das der Sultan dem Reisenden machte: »Wenn Du gekommen bist, um Sklaven zu kaufen, so brauchst Du nicht weiter zu gehen, ich verkaufe Dir solche so billig, wie irgend ein Anderer.« Denham hatte große Mühe. diesem gewerbetreibenden Fürsten verständlich zu machen, daß das nicht der Zweck seiner Reise sei und nur die Liebe zur Wissenschaft seine Schritte geleitet habe.

Am 2. März war Denham wieder in Kouka, wo am 20. Mai der Lieutenant Tyrwhit eintraf, der, reiche Geschenke für den Scheikh mit sich führend, in Bornu als Consul bleiben sollte.

Nach einer letzten Razzia gegen Manu, die Hauptstadt von Kanem, und gegen die Dogganahs, welche früher die Ufer des Fitrisees bewohnten, schlug der Major am 16. August mit Clapperton den Rückweg nach Fezzan ein und kam wieder nach Tripolis, nach einer langen, gefahrvollen Fahrt, deren schon ohnehin beträchtliche Resultate durch Clapperton noch bedeutend vermehrt worden waren.

Wir schalten hier die Erzählungen der Reise-Erlebnisse und Entdeckungen dieses Officiers ein. Nachdem er mit Doctor Oudney am 14. December 1823 nach Kano, einer großen Felatahstadt im Westen des Tchadsees abgereist, war Clapperton dem Laufe des Yeou bis Damasak gefolgt und hatte Alt-Birnie und Bera, am Strande eines durch die Ueberschwemmungen des Yeou entstandenen Sees gelegen, ferner Dagamon und Bekidarfi besucht, die letzteren zwei Städte, welche schon zu Haoussa gehören. Die Bewohner dieses Districts, deren Anzahl vor den Einfällen der Felatahs eine weit höhere war, tragen als Waffen Bogen und Pfeile und treiben mit Tabak, Nüssen, »Gouro«, Antimon, gegerbten Ziegenfellen und Baumwollenzeugen, in Stücken oder verarbeitet, nicht unwichtigen Handel.

Die Karawane verließ bald das Ufer des Yeou oder Gamburou, um sich nach einer waldigen Gegend zu wenden, welche während der Regenzeit gewiß vollständig überschwemmt wird.

Hierauf betraten die Reisenden die Provinz Katagoum, deren Gouverneur sie sehr freundlich und mit der Versicherung empfing, daß ihre Ankunft für ihn ein wahres Fest sei und dem Sultan der Felatahs, der noch niemals Engländer gesehen, nicht weniger erwünscht sein werde. Er versprach ihnen gleichzeitig, daß sie bei ihm, ebenso wie in Kouka, alles irgend Nothwendige finden würden.

[103] Sein größtes Erstaunen erweckte es nur, daß die Reisenden weder Sklaven, noch Pferde oder Silber einkaufen wollten, und von ihm, außer seinem Wohlwollen, nichts begehrten, als die Erlaubniß, Pflanzen sammeln und das Land in Augenschein nehmen zu dürfen.

Katagoum liegt, nach Clapperton's Beobachtungen, unter 12°17'11'' der nördlichen Breite und 12° östlicher Länge von Greenwich. Diese Provinz bildete, vor dem Einfall der Felalahs, die Grenze von Bornu. Sie kann viertausend Reiter und zwanzigtausend mit Bogen, Säbeln und Lanzen bewaffnete Fußsoldaten in's Feld stellen. Ihre Erzeugnisse bestehen aus Getreide und Stieren, welche nebst den Sklaven die hauptsächlichsten Handelsartikel bilden. Die Stadt war die stärkste, welche die Engländer außer Tripolis bisher gesehen hatten. Zwei parallele Mauern mit Thoren darin, welche jeden Abend geschlossen wurden, und drei trockene Gräben, einer im Innern, der andere außerhalb der Umwallung und der dritte zwischen den beiden Mauern von zwanzig Fuß Höhe und unten zehn Fuß Durchmesser, dehnten sich rings um dieselbe aus. Außer einer in Trümmern liegenden Moschee bot diese Stadt keine anderen Bauwerke als Lehmhütten, in welchen etwa sechs- bis siebentausend Seelen wohnten.

Hier sahen die Engländer zum ersten Male die bekannten Kaurimuscheln als Münze dienen. Vorher vertrat einheimische Leinwand oder irgend ein anderer Artikel die Stelle des Tauschmetalls.

Südlich von der Provinz Katagoum liegt das Land Yakoba (Jakoba), welches die Muselmanen mit dem Namen Mouchy bezeichnen. Nach Clapperton's Erkundigungen sollen die Bewohner dieser, von Kalkbergen erfüllten Provinz Menschenfresser sein.


Porträt von Clapperton. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Die Muselmanen lieferten, bei ihrem unüberwindlichen Abscheu vor den Kaffirs, für diese Beschuldigung freilich keine weiteren Beweise, als daß man an den Hausmauern da oder dort Köpfe oder Gliedmaßen von Menschen hängen sah.

Hier in Yakoba soll sich die Quelle des Yeou befinden, der im Sommer fast vollständig austrocknet, dessen Fluthen aber während der Regenzeit, nach Aussage der Eingebornen, je alle sieben Tage anschwellen und ebensolange zurücksinken.

»Am 11. Januar, sagt Clapperton, setzten wir unsere Reise fort, mußten aber schon zu Mittag in Murmur Halt machen. Der Doctor befand sich in einem so verzweifelten Zustande der Schwäche und Erschöpfung, daß ich ihm kaum noch einen Tag Leben zutraute.[104] Seit unserer Abreise aus den Bergen von Obarri verfiel er täglich zusehends mehr, nachdem er sich noch in Fezzan eine Kehlkopfentzündung zugezogen, als er sich, in Schweiß gebadet, einem scharfen Luftzug ausgesetzt hatte.

12. Januar. Der Doctor trank Morgens eine Tasse Kaffee und ich ließ, seinem Wunsche entsprechend, die Kameele beladen. Ich half ihm beim Ankleiden und er verließ, auf seinen Diener gestützt, das Zelt; gerade als wir ihn auf [105] das Kameel setzen wollten, bemerkte ich auf seinen Zügen schon das Herannahen des Todes. Ich ließ ihn natürlich sogleich zurückbringen, nahm an seiner Seite Platz und sah ihn mit einer schmerzlichen Empfindung, für welche ich vergebens passende Worte suchen würde, ohne eine Klage oder schwerere Qualen die treuen Augen schließen. Bei dem Gouverneur kam ich um die Erlaubniß, ihn hier beerdigen zu dürfen, ein, was mir sofort gestattet wurde. Unter einer Mimose, nahe dem einen Thore der Stadt, ließ ich eine Grube ausheben. Nach der landesüblichen Abwaschung des Körpers wurde der Leichnam in Turban-Shawltücher gehüllt, die wir als Geschenke für die Landesfürsten bei uns führten. Unsere Diener trugen ihn, und ich las, bevor wir ihn dem Schoße der Erde übergaben, die Leichengebete der englischen Kirche. Dann ließ ich um das einfache Grab eine Lehmmauer errichten, um dasselbe gegen Raubthiere möglichst zu schützen, und wir schlachteten zwei Lämmer zur Vertheilung unter die Armen der Stadt.«

So endete Doctor Oudney, der Marinearzt, der sich so schöne naturwissenschaftliche Kenntnisse erworben hatte.

Die schreckliche Krankheit, deren Keim er schon von England mitbrachte, hatte ihm nicht gestattet, der Expedition diejenigen Dienste zu leisten, welche die Regierung von ihm erwarten mochte, und doch schonte er niemals seine Kräfte, da er sich während des Reisens besser zu befinden behauptete als während der Ruhe. Wenn er es auch fühlte, daß sein erschöpfter Organismus ihm jede andauernde Arbeit verbot, so wollte er doch wenigstens dem Eifer seiner Gefährten niemals hinderlich werden.

Nach jener traurigen Ceremonie schlug Clapperton wieder den Weg nach Kano ein. Er berührte dabei Digon, eine Stadt inmitten eines wohlangebauten Landes, das zahlreiche Heerden ernährt. Kaloumgona, das schon nicht mehr in der Provinz Katagoum liegt; Zangeia, in der Nähe der Hügelausläufer von Douchi, das, nach den noch vorhandenen Mauerüberresten zu urtheilen, einst ziemlich bedeutend gewesen sein muß; ferner Girkona, dessen Markt fast schöner zu nennen ist als der von Tripolis; Sochwa, das ein hoher aus reinem Thon errichteter Wall umschließt, und langte am 20. Januar glücklich in Kano an. Kano, das Chana Edrisi's und anderer arabischer Geographen, bildet den Hauptverkehrsplatz des Königreiches Haoussa.

»Gleich nach Durchschreitung des Thores, sagte Clapperton, fühlte ich mich ganz auffallend enttäuscht. Gemäß der glänzenden Beschreibung der Araber, [106] rechnete ich hier darauf, eine weit ausgedehnte Stadt zu finden. Dafür standen die Häuser wohl eine Viertelmeile von der Mauer entfernt und da und dort in kleineren Gruppen mit stagnirenden, sumpfigen Lachen dazwischen, zusammengehäuft. Ich hätte mir recht wohl ersparen können, vorher Toilette zu machen (er hatte seine Uniform als Marineofficier angelegt); alle Bewohner, welche ihren gewohnten Geschäften oblagen, ließen mich ruhig vorüberziehen, ohne daß Jemand ein Auge nach mir verwendet hätte.«

Kano, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, ist eine der bedeutendsten Ortschaften von Sudan, liegt unter 12°0' 19'' nördlicher Breite und 9°20' östlicher Länge.

Dieselbe mag dreißig- bis vierzigtausend Einwohner zahlen; deren größere Hälfte freilich aus Sklaven besteht.

Der Marktplatz, im Osten und Westen von einem sumpfigen, mit Rosen bepflanzten Terrain begrenzt, bildet einen Sammelplatz zahlloser Enten, Störche und Geier, welche für die Reinhaltung der Stadt sorgen. Hierher strömen allerlei in Afrika gebräuchliche Nahrungsmittel zusammen, und stets findet man Ochsen-, Schaf-, Ziegen- und manchmal auch Kameelfleisch zum Verkaufe ausgestellt.

»Die Fleischer des Landes, erzählt der Reisende, sind eben so schlau wie die unsrigen; sie wissen durch einige geschickte Schnitte das Fett der Fleischstücke recht sichtbar zu machen und blasen letztere nicht selten auf, oder befestigen gar ein Stück Lammfell auf einer Ziegenkeule.«

Außerdem findet man auch Schreibpapier, Erzeugnisse aus europäischen Fabriken, im Lande verfertigte Scheeren und Messer, Antimon, Zinn, rothe Seide, Armspangen aus Kupfer, Glasspielwaaren, Korallen, Weihrauch, Zinnringe, einzelne Schmuckgegenstände aus Silber, Turban-Shawls, Shirting, Calicot, maurische Kleidungsstücke und allerlei andere Gegenstände auf dem Markte von Kano.

Clapperton kaufte hier einen englischen Baumwollen-Regenschirm, der über Ghadames eingeführt war, für drei Piaster. Er besuchte auch den Sklavenmarkt, wo die armen Leute sehr genau untersucht werden, »ganz mit derselben Sorgfalt, wie die Sanitätsofficiere die Freiwilligen mustern, welche in die Marine eintreten wollen«.

Die Stadt ist sehr ungesund; die Sümpfe, welche fast die eine Hälfte derselben einnehmen, und die Löcher, welche man in den Boden gräbt, um den [107] zum Bauen nöthigen Lehm zu gewinnen, umhüllen dieselbe mit einer Art permanenter Malaria.

In Kano herrscht die Mode, sich Zähne und Lippen mit »Gourgiblumen« und Tabak zu färben, wodurch sie ein blutrothes Aussehen erhalten. Man kaut hier gern Gouro-Nüsse oder verwendet diese auch gepulvert zum Schnupfen, wobei man dem Pulver »Trona« zumischt; ein Gebrauch, der Haoussa nicht eigenthümlich ist, da man demselben auch in Bornu begegnet, wo er nur den Frauen verboten ist. Endlich rauchen die Haoussanen auch einen im Lande gezogenen Tabak.

Am 23. Februar brach Clapperton nach Sokatu auf. Er kam durch ein pittoreskes, gut angebautes Land, dem auf den Hügeln da und dort verstreute Gebüsche fast das Ansehen einer englischen Parkanlage verliehen. Ueberall weideten ganze Heerden schöner weißer oder aschgrauer Rinder.

Die Hauptortschaften, welche Clapperton auf diesem Wege traf, sind: Gadania, eine wenig volkreiche Stadt, deren Bewohner die Felatahs als Sklaven weggeführt und verkauft haben; Doncami, Zirmie, die Hauptstadt von Zambra; Kagaria und Kouara; dabei sah er die Brunnen von Kamoun, wo ihn eine von dem Sultan abgesandte Escorte erwartete.

Sokatu ist die am stärksten bevölkerte Stadt, welche Clapperton in Afrika gesehen hat. Ihre recht gut gebauten Häuser bildeten regelmäßige Straßen, nicht solche Einzelhaufen, wie in den übrigen Städten von Haoussa. Umgeben von einer zwanzig bis dreißig Fuß hohen Mauer mit zwölf Thoren, die man mit Sonnenuntergang sperrte, besaß Sokatu zwei große Moscheen, einen geräumigen Markt und einen ausgedehnten Platz vor der Wohnung des Sultans.

Die Einwohner, meist Felatahs, besitzen viele Sklaven, von denen Diejenigen, welche nicht zu häuslichen Diensten verwendet werden, für Rechnung ihrer Herren verschiedene Geschäfte betreiben; sie sind z. B. Seidenwirker, Maurer, Schmiede, Schuhmacher oder auch Landbauer.

Seinen Wirthen zu Ehren und um ihnen eine hohe Vorstellung von der Macht und dem Reichthum Englands zu geben, wollte Clapperton vor dem Sultan nicht anders als in glänzender Toilette auftreten. Er legte also seidene Strümpfe, weiße Beinkleider und die goldbetreßte Uniform an, zur Vervollständigung seines carnevalistischen Costüms verhüllte er noch den Kopf mit einem schönen Turban und zog türkische Schuhe an. Bello empfing ihn unter zwei Säulen sitzend, welche das Dach einer Strohhütte trugen, die einem [108] englischen Cottagehaus nicht unähnlich aussah. Der Sultan war übrigens ein schöner Mann von etwa fünfundvierzig Jahren und bekleidet mit einem »Tobe« aus blauem Kattun und einem weißen Turban, dessen Shawl-Enden nach türkischer Sitte Nase und Bart verhüllten.

Mit kindlicher Freude nahm Bello die ihm von dem Reisenden dargebrachten Geschenke entgegen. Am meisten Vergnügen machte ihm offenbar eine Uhr, ein Teleskop und ein Thermometer, das er sinnreicher Weise eine »Wärme-Uhr« nannte. Die größte Merkwürdigkeit freilich blieb ihm doch die Person des Reisenden selbst. Er fand kein Ende, sich nach den Sitten, Gebräuchen und Handelsverhältnissen Englands zu erkundigen. Wiederholt gab Bello den Wunsch zu erkennen, mit jener Macht in Handelsbeziehungen zu treten, ersuchte um die Niederlassung eines Consuls und eines englischen Arztes in einem Hafen, den er Raka nannte, und um Uebersendung gewisser Arten von großbritannischen Waaren nach der Seeküste, wo er eine wichtige Handelsstadt, Funda, besäße. Nach mehrfachen Gesprächen über die verschiedenen Religionen in Europa, sowie über manche andere Gegenstände, gab Bello Clapperton die Bücher, Journale und Kleidungsstücke zurück, welche Denham bei Gelegenheit der unglücklichen Razzia, die Bou Khaloum das Leben kostete, abgenommen worden waren.

Am 3. Mai verabschiedete sich der Reisende vom Sultan.

»Unter vielerlei Umständlichkeiten wurde ich endlich bei Bello vorgelassen, der übrigens ganz allein war und mir, unter Versicherung seiner freundschaftlichen Gefühle für unser Volk, sofort einen Brief an den König von England übergab. Er drückte wiederholt den Wunsch aus, mit uns in Verbindung zu bleiben, und bat mich, ihm zu schreiben, wann die englische Expedition (deren Absendung Clapperton versprochen hatte) etwa an seiner Küste eintreffen würde.«

Clapperton schlug denselben Weg, den er auf der Hinreise genommen, wieder ein und erreichte am 8. Juli Kouka, wo er auch den Major Denham antraf. Er brachte ein arabisches Manuscript mit, eine historische und geographische Schilderung des Königreichs Takrur unter der Regierung Mohammed Bello's von Haoussa enthaltend und von Letzterem selbst verfaßt. Er hatte während seines Aufenthaltes in jenem Lande nicht nur sehr schätzenswerthe und vielfache Aufschlüsse über das Thier- und Pflanzenreich in Bornu und Haoussa, sondern auch ein Wörterverzeichniß der Sprachen von Begharmi, Mandara, Bornu, Haoussa und Timbuktu gesammelt. Die Ergebnisse dieser Expedition waren also recht erfreuliche. Zum ersten Male hörte man ein Wort von den [109] Felalahs, deren Identität mit den Fans Clapperton auf seiner zweiten Reise feststellen sollte. Man erfuhr, daß sie in der Mitte und im Westen Afrikas ein gewaltiges Reich gegründet hatten, und daß diese Völkerschaften nicht zur Race der Neger gehörten. Das Studium ihrer Sprache und der Verwandtschaft, welche dieselbe mit anderen nicht afrikanischen Idiomen erkennen läßt, warf ein ganz neues Licht auf die Geschichte der Völkerwanderungen. Endlich kannte man nun auch den Tchadsee, zwar nicht in seinem ganzen Umfange, doch aber zum größten Theile. Man wußte, daß ihm zwei große Flüsse zuströmten, der Yeou, dessen Verlauf zum Theil untersucht war und über dessen Quelle die Eingebornen einige Mittheilungen gemacht hatten; und der Chary, dessen Unterlauf und Ausmündung Denham sorgfältig erforscht hatte. Die Mittheilungen, welche Clapperton von den Eingebornen über den Niger erhielt, waren freilich noch ziemlich verwirrt, ergaben aber doch die Wahrscheinlichkeit, daß derselbe in den Golf von Benin münden werde. Clapperton beabsichtigte übrigens, nach kurzer Rast in England hierher zurückzukehren und von der Atlantischen Küste ausgehend, dem Kouara oder Djoliba, wie der Niger an gewissen Stellen seines Laufes genannt wird, stromaufwärts zu folgen (um den schon lange dauernden Streit über denselben ein Ende zu machen, indem er nachzuweisen hoffte, daß dieser Strom nicht ein und derselbe mit dem Nil sei), seine Entdeckungen mit denen Denham's zu verknüpfen und endlich auf der Diagonale von Tripolis bis zum Golfe von Benin eine Fahrt quer durch ganz Afrika auszuführen.

2.
II.

Zweite Reise Clapperton's. – Ankunft in Badagry. – Yourrida und dessen Hauptstadt Katounga. – Boussa. – Versuche, genaue Kunde von dem Tode Mungo Park's zu erhalten. – Nyffe, Gouari und Zegzeg. – Ankunft in Kano. – Verdrießlichkeiten. – Clapperton's Tod. – Lander's Rückkehr nach der Küste. – Tuckey am Congo. – Bowdich bei den Aschantis. – Mollien an den Quellen des Senegal und des Gambia. – Major Gray. – Caillié in Timbuktu. – Laing an den Quellen des Nigers. – Richard und John Lander an der Mündung des Nigers. – Cailliaud und Letorzee in Egypten, Nubien und in der Oase von Siuah.


Gleich nach seiner Rückkehr nach England beeilte sich Clapperton, dem Lord Bathurst sein Vorhaben zu unterbreiten, demgemäß er sich nach Kouka von Benin aus begeben, das heißt den kürzesten Weg – den vor ihm noch [110] Keiner betreten hatte – folgen und den Niger hinauf von seiner Mündung bis Timbuktu vordringen wollte.

Clapperton erhielt für diese Expedition. deren Führung ihm überlassen wurde, drei Begleiter, den Chirurgen Dickson, den Schiffskapitän Pearce, einen vorzüglichen Zeichner, und den Marinechirurgen Morrison, der in allen Gebieten der Naturwissenschaften gründlich unterrichtet war.

Am 26. November 1825 langte die Expedition im Golfe von Benin an. Dickson, der aus irgend welchem nicht nachweisbaren Grunde gewünscht hatte, allein zu reisen, um sich nach Sokatu zu begeben, wurde in Juidah an's Land gesetzt. Ein Portugiese, Namens Souza, begleitete ihn bis Dahomey mit Columbus, dem früheren Diener Denham's. Siebzehn Tagereisen von dieser Stadt kam Dickson nach Char, später nach Youri, ist aber von da ab verschollen geblieben.

Die andere Gesellschaft war bei dem Beninstrome angelangt, vor dessen Benutzung sie ein englischer Kaufmann, Namens Houtson, eindringlich warnte, da der Beherrscher des Uferlandes einen tiefen Haß gegen die Engländer hege, die seinem einträglichsten Geschäfte, dem Sklavenhandel, unüberwindliche Hindernisse bereiteten.

Seiner Aussage nach empfahl es sich weit mehr, nach Badagry, ein Ort, der von Sokatu nicht weiter entfernt liegt, zu gehen, dessen Fürst, der sich den Reisenden immer gewogen erwiesen hatte, ihm ohne Zweifel Begleitmannschaft bis zur Grenze des Königreichs Yourriba mitgeben würde.

Houtson wohnte schon seit mehreren Jahren im Lande und kannte dessen Sitten und Sprache; Clapperton hielt es also für gerathen, denselben bis Eyes oder Katounga, der Hauptstadt von Yourriba, mitzunehmen.


Die Karawane traf den Boten des Königs von Yourriba. (S. 114.)

Die Expedition brach am 29. November 1825 nach Badagry auf, hielt sich an einem Nebenarme des Lagos, zog dann gegen zwei Meilen weit an dem kleinen Hafen von Gazie hin, der ein Stück nach Dahomey hineinschneidet, und drang an dessen linken Ufer in das Innere des Landes ein. Der Erdboden war ziemlich sumpfig, aber vortrefflich angebaut und mit Yams bedeckt. Alles athmete hier Ueberfluß. Die Neger zeigten sich auch sehr widerwillig zur Arbeit. Es wäre unmöglich, die unzähligen »Palabres« (Unterredungen), die verschiedenen Verhandlungen und Angebote und alle die Hindernisse aufzuzählen, die man überwinden mußte, um sich einige Träger zu verschaffen.

[111] Trotz dieser Schwierigkeiten erreichten die Forscher doch glücklich Djannah, sechzig Meilen von der Küste.

»Hier sahen wir, sagt Clapperton, mehrere Webereien in voller Thätigkeit, oft acht bis zehn in einem Hause, welche eine wirklich geordnete Manufactur bildeten... Die Leute hier fabriciren auch Fayence, ziehen aber das aus Europa stammende dem einheimischen vor, obwohl sie von den verschiedenen Gegenständen keineswegs immer den richtigen Gebrauch machen. Das Gefäß, in welchem der »Cabocir« (Häuptling) uns Trinkwasser anbot, wurde z. B. von Houtson als ein hübsches – Nachtgeschirr wiedererkannt, das er im Vorjahre in Badagry selbst verkauft hatte.«

[112] Alle Theilnehmer der Expedition litten in Folge der dauernden feuchten Hitze und des überhaupt ungesunden Landes heftig vom Fieber. Pearce und Morrison erlagen demselben am 27. September, der Eine bei Clapperton, der Andere in Djannah, bevor sie die Küste erreicht hatten.


Wir zogen langsam dahin. (S. 122.)

In allen Städten, durch welche Clapperton kam, so in Assoudo, mit gegen zehntausend Einwohnern, in Daffou, das etwa fünftausend mehr zählen mag, [113] hatten sich eigenthümliche Gerüchte verbreitet. Ueberall sagte man, er sei gekommen, in den vom Kriege verheerten Ländern den Frieden wieder herzustellen und überhaupt den Gegenden, welche er durchzog, Glück und Wohlstand zu bringen.

In Tchow traf die Karawane einen Boten, den der König von Yourriba derselben mit zahlreichem Gefolge entgegen geschickt hatte, und gelangte nun bald nach Katunga. Diese Stadt »ist umschlossen von einem dichten Haine, der einen etwa drei Meilen langen Gürtel um den Fuß eines felsigen Berges bildet; zum Theile liegt sie zwischen den Bäumen selbst; man dürfte kaum irgendwo ein schöneres Bild zu sehen bekommen«.

In genannter Stadt verweilte Clapperton vom 24. Januar bis zum 7. März 1826. Er stand hier in den besten Beziehungen zu dem Sultan, von dem er sich die Erlaubniß erbat, nach Nyffe oder Toppa zu gehen, um von da aus nach Haoussa oder Bornu zu gelangen. »Nyffe ist durch Bürgerkriege verwüstet, und einer der Thronprätendenten hat die Felalahs zu Hilfe gerufen, erwiderte der Sultan; es empfiehlt sich also nicht, diesen Weg einzuschlagen, während es gerathen erscheint, durch die Provinz Youri zu ziehen!« Clapperton mußte sich dem wohl oder übel fügen.

Seinen Aufenthalt in Katunga hatte er aber benutzt, manche interessante Beobachtungen zu sammeln. Diese Stadt enthält nicht weniger als sieben verschiedene Märkte, auf welchen Yamswurzeln, Körnerfrüchte, Bananen, Feigen, Pflanzenbutter, Coloquintenkörner, Ziegen, Hühner, Schafe, Lämmer, Leinwand und eine Menge landwirthschaftlicher Geräthe zum Verkaufe gebracht werden.

Die Wohnhäuser des Königs und seiner Frauen umgeben zwei große Parks. Die Thore und die Stützpfeiler der Verandas sind mit Schnitzereien verziert, welche entweder eine Boa, die eine Antilope oder ein Schwein tödtet, oder eine Kriegerschaar von Trommlern begleitet darstellen – Sculpturen, welche übrigens gar nicht so schlecht ausgeführt sind.

»Das durchschnittliche Aussehen der Yourribanis, sagt der Reisende, scheint mir die charakteristischen Eigenthümlichkeiten der Neger weit weniger darzubieten, als das aller anderen Völker, die ich gesehen habe; ihre Lippen sind minder dick und die Nase zeigt eine weniger gebogene Linie als die der Neger im Allgemeinen. Die meist recht gut gebauten Männer haben ein offenes Auftreten, was Jedermann in die Augen fällt; die Frauen stehen ihnen in allen Stücken nach, was wohl daher kommen mag, daß sie zu viel der Sonne ausgesetzt sind [114] und die schwersten Anstrengungen ertragen müssen, da sie die Bearbeitung des Bodens besorgen.«

Nicht weit von Katunga überschritt Clapperton den Moussafluß, einen Nebenarm des Kouara, und kam nun nach Kiama, eine der Städte, welche die von Haoussa und Borgu kommende Karawane passirt, wenn sie nach Gandja, an der Grenze von Aschanti, zieht. Sie zählt mindestens dreißigtausend Einwohner, die in Afrika als die verschmitztesten Diebe berüchtigt sind.

»Wenn man einen Straßenräuber oder Mörder sehen will, braucht man nur den ersten besten Bewohner von Borgu zu rufen.«

Als er Kiama verließ, begegnete der Reisende der Karawane von Haoussa. Ochsen, Esel, Pferde, Frauen und Männer, zusammen wohl tausend, marschirten Eines hinter dem Anderen und bildeten eine endlose Linie, welche einen merkwürdigen, höchst bizarren Anblick darbot. Welches buntscheckige Gemisch von den jungen, fast nackt einherlaufenden Mädchen und den unter ihrer Bürde gebeugten Männern bis zu jenen, eben so phantastisch als lächerlich gekleideten Gandjani-Kaufleuten, welche auf erschöpften, bedenklich hinkenden Pferden einherritten!

Clapperton schlug nun den Weg nach Boussa, also nach dem Orte ein, wo Mungo Park auf dem Niger umgekommen war. Ehe er jenes erreichte, mußte er den Oli, einen Nebenfluß des Kouara, überschreiten und Ouaoua, die Hauptstadt der Provinz Borgu, passiren, deren viereckige Mauer wohl eine Einwohnerzahl von achtzehntausend Seelen bergen mochte. Es ist das eine der saubersten und bestgebauten Städte, die man nach Badagry antrifft. Die Straßen sind reinlich, breit, und die kreisrunden Häuser haben ein kugelförmiges Strohdach. Auf dem ganzen Erdboden würde man aber vergeblich eine Stadt suchen, in der die Trunksucht so verbreitet wäre wie hier. Gouverneur, Priester und Laien, Männer und Frauen verzehren Palmenwein, Rum von der Küste und »Bouza« in erstaunlicher Menge. Der letztgenannte Liqueur besteht aus einer Mischung von Dourrah, Honig, Chilipfeffer und der Wurzel eines fetten Krautes, das auch als Viehfutter dient, nebst einer gewissen Quantität Wasser.

»Die Ouaouanis, sagt Clapperton, stehen im Rufe großer Redlichkeit. Sie sind heiter, wohlwollend und gastfrei. Ich habe in Afrika kein Volk getroffen, das so bereitwillig Auskunft über das von ihm bewohnte Land gegeben hätte, und, was besonders hervorgehoben zu werden verdient, ich habe hier auch niemals einen Bettler gesehen. Die Einwohner behaupteten, nicht aus [115] Borgu selbst, sondern von den Haoussanis und Nyffenis abzustammen. Ihre Sprache ist nur ein Dialect von der der Yourribanis, aber die ouaouanischen Frauen sind hübsch, die in Yourriba aber nicht; die Männer sind kräftig und wohlgebaut, doch verrathen ihre Züge das gewohnte wüste Leben. Ihre Religion bildet eine Mischung von Islamismus und Paganismus.«

Auf dem Wege von der Küste her hatte Clapperton auch – und diese Bemerkung erscheint nicht unwichtig – wiederholt heidnische Felatahstämme getroffen, welche dieselbe Mundart, Hautfarbe und überhaupt dasselbe Aussehen hatten wie die muselmanischen Felalahs. Diese gehörten offenbar derselben Race an.

Boussa, wohin der Reisende kam, ist keine eigentliche Stadt; es besteht nur aus verschiedenen Gruppen zerstreuter Häuser, auf einer Insel des Kouara unter 10°14' nördlicher Breite und 6°11'' östlicher Länge von Greenwich. Die Provinz, deren Hauptort es bildet, ist die volkreichste von ganz Borgu. Die Einwohner sind Heiden, ebenso wie der Sultan, obwohl Letzterer Mohammed hieß. Sie ernähren sich von Affen, Hunden, Katzen, Ratten, Fischen, Rind-und Lämmerfleisch.

»Während ich bei dem Sultan verweilte, sagt Clapperton, wurde das Frühstück aufgetragen und ich selbst zur Theilnahme eingeladen; dasselbe bestand aus einer großen gerösteten Wasserratte, die nicht einmal abgezogen war, einer Schüssel recht gut zubereitetem Reis, gedörrtem und in Palmöl gedämpftem Fisch, gebackenen oder gedämpften Alligator-Eiern und endlich aus frischem Wasser aus dem Kouara. Ich aß gedämpften Fisch und Reis, man machte sich aber sehr lustig darüber, daß ich weder den Rattenbraten noch die Alligatoren-Eier versuchen wollte.«

Der Sultan nahm den Reisenden übrigens sehr freundlich auf und meldete ihm auch, daß der Sultan von Youri schon seit sieben Tagen Boote bereit halte, um ihn flußaufwärts bis zu jener Stadt zu bringen. Clapperton antwortete, daß er, da alle Wege zwischen Bornu und Youri durch den Krieg versperrt seien, es vorziehen werde, über Koulfa und Nyffe weiter zu ziehen.

»Du hast recht, sagte der Sultan, und hast wohl daran gethan, zu mir zu kommen; von hier aus magst Du den Weg einschlagen, der Dir der beste dünkt.«

Bei einer späteren Unterredung unterrichtete sich der Reisende über die Europäer, welche vor etwa zwanzig Jahren auf dem Kouara das Leben eingebüßt[116] hatten. Diese Frage schien dem Sultan nicht angenehm zu sein, so daß er nur zögernd antwortete. Er sagte, daß er damals noch zu jung gewesen sei, um sich der Vorfälle genau zu erinnern.

»Ich wünsche ja weiter nichts, fuhr Clapperton fort, als die Bücher und Papiere, die ihnen gehörten, wieder zu erlangen und die Stelle zu sehen, wo sie den Tod fanden.

– Ich besitze nichts, was ihnen gehörte, antwortete der Sultan. Was aber die Stelle betrifft, wo sie starben, so rathe ich Dir, nicht dahin zu gehen; das ist ein verrufener Platz!

– Man sagte mir, es sei noch ein Theil des Bootes zu finden, welches sie trug. Ist das an dem? fragte Clapperton.

– Nein, nein, da bist Du falsch berichtet, erwiderte der Sultan. Schon vor langer Zeit hat das Hochwasser das Letzte weggespült, was etwa noch zwischen den Steinen hing.«

Auf eine erneute Frage Clapperton's nach den Papieren und Tagebüchern Mungo Park's, erklärte der Sultan, daß er nichts davon habe, daß diese Sachen in die Hände mehrerer Gelehrten gekommen seien, er aber, da sie für Clapperton so viel Werth zu haben schienen, nach denselben forschen lassen werde. Nachdem er für dieses Versprechen seinen Dank abgestattet, bat der Reisende um die Erlaubniß, bei bejahrten Leuten in der Stadt, welche ja Zeugen jener Vorfälle gewesen sein mußten, Erkundigungen einziehen zu dürfen. In den Zügen des Sultans malte sich eine offenbare Verlegenheit, und er gab darauf keine Antwort. Es erschien nutzlos, weiter in ihn dringen zu wollen.

»Ich hatte mir mit Erwähnung jener Vorfälle meine weiteren Untersuchungen ungemein erschwert, sagt Clapperton, denn Jedermann wurde verlegen, wenn ich nach Einzelheiten derselben fragte, und sagte: »Das ist früher geschehen, als ich mich erinnern kann.« Oder auch: »Ja, ich bin nicht selbst dabei gewesen!« Die Stelle, wo das Boot angehalten hatte und die unglücklichen Insassen umgekommen waren, bezeichnete man mir nur vorsichtig und ungenau.«

Einige Tage später vernahm Clapperton, daß der letzte Iman, der ein Felatah war, im Besitz der Bücher und Papiere Mungo Park's gewesen sei. Leider hatte dieser Iman Boussa seit einiger Zeit verlassen. In Koulfa endlich empfing der Reisende Nachrichten, welche es ihm außer Zweifel setzten, daß Mungo Park ermordet worden war.

[117] Clapperton konnte, als er Borgu verließ, die Bemerkung nicht unterdrücken, daß man gewöhnlich sehr falsch über dessen Bewohner urtheile, die überall als Räuber und Diebe verleumdet werden. Er für seine Person hatte das ganze Land derselben durchstreift, war allein mit ihnen gereist oder zur Jagd gewesen, und konnte doch keinerlei Klage über sie führen.

Der Reisende wendet sich nun, den Kouara überschreitend und durch Guari und Zegzeg gehend, nach Kano. Bald langte er in Tabra, am May Yarrow, an, wo die Königin-Mutter von Nyffe wohnte; den König selbst sucht er in dem nicht weit von der Stadt entfernten Lager auf. Clapperton's Aussage nach soll das der unverschämteste, verworfenste und habgierigste Spitzbube sein, den man nur finden könne, der Alles, was er sah, für sich beanspruchte und sich durch keine Weigerung abweisen ließ.

»Er hat, sagt der Reisende, den Ruin des Landes herbeigeführt durch seinen maßlosen Ehrgeiz und durch die Anrufung der Felalahs, die ihm zwar zu Hilfe kamen, aber sich von ihm sofort abwenden werden, wenn er ihnen nichts mehr nützen kann. Er ist die Ursache, daß der größte Theil der fleißigen Bevölkerung von Nyffe hingeschlachtet, als Sklaven verkauft worden ist oder dem Lande den Rücken gekehrt hat.«

Durch Krankheit sah sich Clapperton genöthigt, länger als er wollte, in Koulfa zu bleiben; es ist das übrigens eine Stadt mit reger Handelsthätigkeit, am nördlichen Ufer des May Yarrow, welche gegen zwölf- bis fünfzehntausend Einwohner haben mag. Seit zwanzig Jahren den Einfällen der Felalahs ausgesetzt, ist dieselbe binnen sechs Jahren zweimal durch Brand zerstört worden. Clapperton wohnte hier dem Feste des Neumondes bei. An diesem Tage macht und empfängt Jedermann Besuche. Die Frauen tragen ihr Wollenhaar eingeflochten und färben es, ebenso wie die Augenbrauen, mit Indigo. Die Lider werden mit »Khol«, die Lippen gelb und die Zähne roth gemalt; Hände und Füße aber mit Lawsonia (die echte Alkanna) gefärbt. Sie legen bei dieser Gelegenheit die besten und buntesten Kleider an, tragen all' ihren Glasschmuck, nebst Armbändern und Ringen aus Kupfer, Silber, Zinn oder Messing, auch lassen sie das Fest nicht vorübergehen, ohne es im Genusse von »Bouza« den Männern möglichst gleich zu thun und sich an deren Gesängen und Tänzen zu betheiligen.

Von der Provinz Kotong Kora aus betrat der Reisende bald die Provinz Guari. Gleichzeitig mit dem Reste von Haoussa von den Felatahs erobert, [118] hatte Guari sich nach dem Tode Bello's I. erhoben und trotz allen Widerstandes der Felalahs seine Selbstständigkeit zu bewahren gewußt. Die Hauptstadt dieser Provinz, ebenfalls Guari genannt, liegt unter 10°54' nördlicher Breite und 8°1' östlicher Länge von Greenwich.

Mit Fatika erreichte Clapperton nun Zegzeg, ein den Felatahs unterworfenes Gebiet; darauf besuchte er Zariyah, eine merkwürdige Stadt, wo man eigentlich nur Hirsefelder, Küchengärten, Laubholzhaine, Sümpfe und Rasenplätze, aber fast keine Häuser sieht, und doch soll die Bevölkerung die von Kano an Seelenzahl übertreffen, denn sie wird auf vierzig- bis fünfzigtausend, meist Felalahs, geschätzt.

Am 19. September gelangte Clapperton endlich, nach vielen Widerwärtigkeiten und Beschwerden, nach Kano. Vom ersten Tage ab bemerkte er, daß man ihn lieber hätte von Osten her ankommen sehen, denn der Krieg mit Bornu hatte alle Verbindungen mit Fezzan und Tripolis unterbrochen. Während er das Gepäck unter der Obhut seines Dieners Lander zurückließ, machte sich Clapperton ohne Zögern auf den Weg, den Sultan aufzusuchen, der sich, wie er erfuhr, in der Nähe von Sokatu befinden sollte. Die Reise dahin bot leider die größten Schwierigkeiten. Clapperton büßte dabei seine Kameele und Pferde ein und konnte sich zu dem Transport des Wenigen, was er mit sich führte, nur einen kranken Ochsen verschaffen, so daß er und sein Diener selbst Verschiedenes tragen mußten.

Bello empfing Clapperton mit größter Freundlichkeit und sandte ihm Nahrungsmittel und Kameele. Da der Sultan aber eben damit beschäftigt war, die aufrührerische Provinz Gouber zu unterwerfen, konnte er dem Reisenden nicht sobald eine weitere Zusammenkunft bewilligen, um sich mit diesem über die vielerlei Gegenstände zu unterhalten, über welche die englische Regierung Auskunft wünschte.

An der Spitze von fünfzig- bis sechzigtausend Soldaten, von denen neun Zehntel zu Fuß und mit wattirten Rüstungen versehen waren, griff Bello Counia, die Hauptstadt von Gouber, an. Es kam zu einem überaus kläglichen Gefechte und der ganze Krieg endete mit diesem mißlungenen Unternehmen.

Clapperton, der seine Gesundheit erschüttert fühlte, begab sich nach Sokatu und später nach Magoria, wo er den Sultan antraf.

Als er die für ihn bestimmten Geschenke in Empfang genommen, zeigte sich Bello gar nicht mehr so freundlich gesinnt wie vorher. Bald erklärte er [119] sogar, von dem Scheikh El Khanemi einen Brief erhalten zu haben, demzufolge er der Person des Reisenden, der nur ein Spion sei, sich versichern und überhaupt den Engländern mißtrauen sollte, da diese nur darauf ausgingen, erst die Schätze des Landes kennen zu lernen, dann sich daselbst niederzulassen, Parteigänger zu suchen und durch die Unordnungen, welche nothwendig daraus entstehen müßten, unterstützt, Haoussa sich ebenso wie Indien zu unterwerfen.

Alle von Seiten Bello's erhobenen Schwierigkeiten ließen deutlich erkennen, daß er nur die für den Sultan von Bornu bestimmten Geschenke selbst einzuheimsen wünschte. Dazu brauchte er jedoch irgend einen Vorwand; einen solchen glaubte er durch Verbreitung des Gerüchtes gefunden zu haben, daß der Reisende Kanonen und Munition für Kouka mit sich führe. Bello aber könne, so sagte er, mit gutem Gewissen nicht gestatten, daß ein Fremder durch seine Staaten reise, um die unversöhnlichsten Feinde derselben in den Stand zu setzen, diese mit Krieg zu überziehen. Bello suchte Clapperton sogar mit allen Mitteln dazu zu bewegen, ihm den Brief des Lord Bathurst an den Sultan von Bornu vorzulesen.

»Du kannst ihn nehmen, wenn Du willst, entgegnete der Reisende, aber niemals werde ich ihn Dir geben. Zwar ist Dir Alles möglich, da Du die Macht in Händen hast, doch Du wirst Dich durch solches Verfahren nur entehren. Ich für meinen Theil lasse eher das Leben, ehe ich einen mir anvertrauten Brief erbreche. Ich kam zu Dir mit einem Briefe und Geschenken von dem Könige von England, auf das Vertrauen hin, welches Dein Brief vom vergangenen Jahre erweckt hat. Ich hoffe, daß Du Dein Wort nicht deshalb brichst und Deine Versprechen Lügen strafst, nur um zu sehen, was dieser Brief enthält!«

Der Sultan gab ein Zeichen mit der Hand, um den Reisenden zu verabschieden, und dieser zog sich zurück.

Dieser Versuch sollte aber nicht der letzte sein, im Gegentheile trieb man es in der nächsten Zeit noch weiter. Einige Tage nachher verlangte man von Clapperton noch einmal die Auslieferung der für El Khanemi bestimmten Geschenke. Auf seine Weigerung nahm man ihm dieselben einfach ab.

»Ihr verfahrt gegen mich gleich Räubern, rief Clapperton; Ihr brecht sogar Euren Schwur! Kein Volk in der Welt würde sich Aehnliches erlauben. Ihr thätet besser, mir gleich den Kopf abzuschlagen, als so zu handeln; ich fürchte nur, dahin wird es erst kommen, wenn Ihr mich völlig beraubt habt!«

[120] Endlich wollte man ihm auch noch seine Waffen und Munition abnehmen. Clapperton widersetzte sich dem, so gut er konnte. Zuerst entflohen zwar seine erschreckten Diener, kehrten aber bald zurück, bereit, jede Gefahr mit ihrem Herrn, den Alle sehr lieb gewonnen hatten, zu theilen.


Ansicht der Ufer des Congo. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Hiermit schließt Clapperton's Tagebuch. Sechs Monate hatte er sich in Sokatu aufgehalten, ohne irgend welche Forschungen anstellen zu können; ja, es gelang ihm nicht einmal, die Verhandlungen zu Ende zu führen, um derenwillen er von der Küste aus hergekommen war. Die tödtliche Langweile, die [121] Anstrengungen der Reise und verschiedene Anfälle von Krankheiten wirkten mehr und mehr auf ihn ein, so daß sein Zustand bald ein recht bedenklicher wurde, obwohl sich sein Diener Richard Lander, der sich ihm in Sokatu angeschlossen hatte, keine Mühe verdrießen ließ, seine Lage zu verbessern.

Am 12. März 1827 wurde Clapperton von einer Dysenterie ergriffen, welche nichts zu hemmen vermochte und die ihm schnell alle Kräfte raubte. Da es gerade die Zeit des Rhamadan war, konnte Lander nirgends, nicht einmal seitens der anderen Diener, Hilfe und Unterstützung finden. Dazu machte die Krankheit täglich Fortschritte. Zwanzig Tage lang lag Clapperton in gleicher Schwäche darnieder; als er sein Ende herannahen fühlte, ertheilte er Richard Lander, seinem treuen Diener, noch die letzten Verhaltungsmaßregeln und verschied in dessen Armen am 11. April.

»Ich ließ, sagt Lander, den Sultan von dem schmerzlichen Verluste, der mich betroffen, Nachricht geben und kam um die Erlaubniß ein, meinen Herrn nach der Sitte unseres Landes begraben zu dürfen, wobei ich um Bezeichnung der Stelle bat, wo ich seine sterblichen Ueberreste zur Ruhe legen könne. Mein Bote kehrte sehr bald mit der Erlaubniß des Sultans zurück, und zu Mittag des nämlichen Tages schickte mir Bello noch vier Sklaven, um das Grab auszuheben. Ich nahm mir vor, sie der Leiche folgen zu lassen, und legte diese, mit der Flagge von Großbritannien verhüllt, auf mein Kameel. Wir zogen nun langsam dahin bis Djungari, einem etwa fünf Meilen im Südosten von Sokatu auf einem Hügel erbauten Dorfe. Der Leichnam wurde von dem Kameel herabgehoben, zunächst unter einer Hängematte niedergelegt, während die Sklaven die Grube herstellten, und nachher zu dieser hingetragen. Ich schlug ein Gebetbuch auf und erwies dem Todten mit von Schluchzen unterbrochener Stimme die letzten Ehren. Niemand lauschte auf die traurige Vorlesung und erleichterte meinen Schmerz, indem er ihn theilte. Die Sklaven blieben in einiger Entfernung stehen; sie stritten mit einander und machten ein wirklich unanständiges Geräusch. Nach Beendigung der religiösen Ceremonie wurde die Flagge weggezogen und der Kapitän sanft in die Erde versenkt. Und ich, ich weinte bittere Thränen an den leblosen Resten des besten, des unerschrockensten und würdigsten Herrn, den ich je gekannt.«

Die Hitze, die Anstrengungen und der Schmerz griffen den armen Lander so sehr an, daß es ihm zehn Tage lang ganz unmöglich war, seine Hütte zu verlassen.

[122] Bello erkundigte sich wiederholt nach dem Befinden des armen Dieners, doch dieser durchschaute recht wohl den wahren Grund der Theilnahme; offenbar rechnete der Sultan nur darauf, sich der Kisten und Koffer des Reisenden, in denen er viel Gold und Silber vermuthete, zu bemächtigen. Bello erstaunte daher auf's höchste, als er sich überzeugt, daß Lander kaum die nöthigen Mittel besaß, um die Kosten der Reise bis zur Küste zu bestreiten. Freilich erfuhr er niemals, daß Lander eine ihm verbliebene goldene Uhr, außer denen der Kapitäne Pearce und Clapperton, am Leibe verborgen trug.

Alles in Allem sah Lander ein, daß er um jeden Preis und so schnell als möglich nach der Küste zurückkehren müsse. Mit Hilfe einiger geschickt vertheilter Geschenke, gewann er mehrere Rathgeber des Sultans für sich, welche Letzterem vorstellten, daß, wenn der Reisende hier etwa mit Tode abginge, leicht das Gerücht entstehen könne, Bello habe diesen ebenso wie seinen Herrn umbringen lassen. Obwohl Clapperton Lander empfohlen hatte, sich einer Karawane arabischer Kaufleute nach Fezzan anzuschließen, entschloß dieser sich doch, weil er fürchtete, dabei die Papiere und Tagebücher der Expedition einzubüßen, nach der Küste aufzubrechen.

Am 3. Mai verließ Lander endlich Sokatu und wandte sich zunächst nach Kano. Wenn Lander bei diesem ersten Theile seiner Fahrt vor Durst fast um gekommen wäre, so gestaltete sich der zweite dafür desto günstiger, denn der König von Djacoba, mit dem er zusammen reiste, behandelte ihn sehr freundlich und lud ihn sogar ein, auch sein Land zu besuchten. Er erzählte von einem Nachbarvolke, den Nyam Nyams, die ihn im Kampfe gegen den Sultan von Bornu unterstützt und nach jedem Gefechte die erschlagenen feindlichen Krieger weggetragen, gebraten und gegessen hätten. Unseres Wissen ist das, seit Hornemann, das erste Mal, daß dieses Volk, über welches wahrhaft lächerliche Fabeln verbreitet waren, als der Anthropophagie ergeben erwähnt wird.

Lander erreichte Kano am 25. Mai, hielt sich daselbst aber nur ganz kurze Zeit auf und schlug den Weg nach Funda, am Ufer des Niger, ein, dem er bis nach Benin zu folgen gedachte. Dem Reisenden erschien diese Route nach mehreren Seiten hin vortheilhafter. Erstens war der Weg sicherer, dann aber auch noch so wenig bekannt, daß Lander die früheren Entdeckungen seines Herrn noch vermehren zu können hoffte.

Lander besuchte nach und nach Kanfou, Carifo, Gowgie und Gatas, und constatirte, daß deren Bewohner zu der Race von Haoussa gehörten und den [123] Felatahs tributpflichtig waren. Er sah auch Damoy, Drammalik, Coudonia, traf auf einen großen Fluß, der dem Kouara zuströmt, zog durch Kottop, einen bedeuten den Markt für Sklaven und Stiere, sowie durch Coudgi und Dunrora, in der Nähe einer langen, hohen, nach Osten verlaufenden Bergkette.

In Dunrora sprengten, als Lander gerade seine Saumthiere belud, vier Reiter auf von Schaum triefenden Rossen auf den Statthalter zu und zwangen mit dessen Zustimmung den Reisenden, umzukehren und den König von Zegzeg aufzusuchen, der ihrer Aussage nach das größte Verlangen habe, ihn zu sehen. Lander, der so bald als möglich den Niger, von dem er nicht so weit entfernt war und auf dem er bis zum Meere hinabfahren wollte, zu erreichen wünschte, dachte natürlich ganz anders, doch mußte er der Gewalt weichen. Lander's Führer folgten nicht demselben Wege, den dieser von Dunrora her eingehalten hatte, wodurch der Reisende Gelegenheit fand, die von einem der vornehmsten Kriegshelden des Königs von Zegzeg verwaltete Stadt Eggebi zu besichtigen.

Am 25. Juli kam Lander nach Zegzeg. Er wurde dem König sofort vorgeführt, der ihm erklärte, er habe ihn nur deshalb zurückführen lassen, weil in Folge des zwischen Bello und dem Könige von Funda ausgebrochenen Krieges der Letztere nicht säumen würde, ihn umbringen zu lassen, wenn ihm zu Ohren käme, daß er dem Sultan der Felatahs Geschenke überbracht habe. Lander stellte sich, als ob er diesen Gründen Glauben schenkte, durchschaute aber recht wohl, daß nur die Neugier und das Verlangen, selbst einige Geschenke zu erhalten, die Handlungsweise des Königs von Zegzeg bestimmten. Er trug dem klüglich Rechnung, wobei er zur Entschuldigung der Geringfügigkeit seiner Gaben anführte, daß ihm alle seine Waaren geraubt worden seien, und erhielt bald die Erlaubniß zur Abreise. Ouari, Ouombo, Koulfa, Boussa und Ouaoua bezeichnen die Haltestellen auf Lander's Rückreise nach Badagry, wo er am 22. November 1827 eintraf. Zwei Monate später schiffte er sich nach England ein.

Wenn der auf Eröffnung von Handelsbeziehungen gerichtete Hauptzweck der Reise Clapperton's auch durch die neidische Eifersucht der Araber gescheitert war, weil diese Bello's Ansichten durch die Vorstellung umzustimmen wußten, daß ihr Handel durch Eröffnung neuer Wege gänzlich zu Grunde gehen müsse, so gewann doch die Wissenschaft destomehr durch die Arbeiten und Bemühungen des englischen Forschers. Desborough Cooley würdigt diese in seiner Geschichte der Reisen nach Verdienst und zählt die durch die Reisenden jener Zeit erlangten Resultate, welche wir im Vorhergehenden schilderten, im Zusammenhange auf.

[124] »Die Entdeckungen, sagt er unter Anderem, welche man Kapitän Clapperton's Zügen durch das Innere von Afrika verdankt, übertreffen beiweitem, sowohl bezüglich ihrer Gründlichkeit als auch ihres Umfanges, die aller seiner Vorgänger. Kapitän Lyon hatte im Süden als äußersten Punkt den 24. Grad nördlicher Breite erreicht; Major Denham kam, gelegentlich seines Zuges nach Mandara, bis 9°15', fügte also den früheren durch Europäer entdeckten Ländern 143/4 Breitengrade oder neunhundert Meilen hinzu. Hornemann freilich war schon durch die Wüste und im Süden bis Nyffe, unter 10°30' gekommen, doch besitzen wir keinen Bericht über dessen Reise. Park erreichte Silla unter 1°34' westlicher Länge und eintausendeinhundert Meilen von der Mündung der Gamba. Denham und Clapperton endlich erforschten von der Ostküste des Tchadsees (17° der Länge) und bis Sokatu (3°30' der Länge) von Osten nach Westen ein Gebiet von fünfhundert Meilen Länge; nur vierhundert Meilen zwischen Sokatu und Silla blieben also noch unbekannt; auf seiner zweiten Reise erzielte Kapitän Clapperton aber noch zehnmal wichtigere Ergebnisse. Er entdeckte den kürzesten und bequemsten Weg nach den volkreichen Gebieten Central-Afrikas und kann sich rühmen, der erste Reisende gewesen zu sein, der das Festland Afrikas bis Benin durchzog.«

Diesen wohlbegründeten Reflexionen und dieser ehrenvollen Anerkennung haben wir nur Weniges hinzuzufügen.

Die Angaben der arabischen Geographen, und vor Allem die Leon's des Afrikaners, wurden berichtigt und man hat nun ziemlich verläßliche Kenntniß eines großen Theils von Sudan erlangt. Wenn die Lösung des Problems, das die gelehrte Welt schon lange beschäftigte – der Lauf des Nigers – und welches Veranlassung zur Entsendung verschiedener Expeditionen wurde, von denen wir im Weiteren sprechen werden, noch nicht vollständig gelungen war, so konnte man derselben doch binnen Kurzem entgegensehen. Mindestens wußte man schon, daß der Niger, Kouara oder Djoliba, wie man ihn auch nennen mochte, und der Nil zwei verschiedene Flüsse mit ganz bestimmt von einander abgegrenzten Stromgebieten seien. Jedenfalls war damit ein großer Schritt nach vorwärts gethan.

Im Jahre 1816 stritt man noch darüber, ob der unter dem Namen Congo bekannte Strom nicht die Mündung des Niger bilde. Die Entscheidung dieser Frage wurde deshalb einem Marineofficier, der wiederholte Beweise seiner Intelligenz und Unerschrockenheit gegeben hatte, anvertraut. Im Jahre 1805[125] Kriegsgefangener, war Jacques Kingston Tuckey erst 1814 mit ausgewechselt worden. Sobald er von der Organisation einer Expedition zur Erforschung des Zaïre (Congo) hörte, reichte er das Gesuch ein, an derselben theilnehmen zu dürfen, und erhielt sogar den Befehl über diese. Bewährte Officiere und Gelehrte wurden ihm beigegeben.

Am 19. März 1816 segelte Tuckey von England mit der »Congo« und dem Transportschiffe »Dorothea« ab. Am 20. Juni ankerte er bei Malembe an der Mündung des Congo unter 4°39' südlicher Breite. Der König des Landes wurde, wie es scheint, unwillig darüber, daß die Engländer nicht gekommen wären, um Sklaven anzukaufen, und erging sich in beleidigenden Redensarten über die Europäer, welche seinen Handel schädigten.

Am 18. Juli segelte Tuckey mit der »Congo« in die breite Mündung des Zaïre ein; später, als die Höhe der Uferwand die Benutzung von Segeln unthunlich machte, schiffte er sich mit einem Theile seiner Leute auf den Schaluppen und Booten des Schiffes ein.

Vom 10. August ab nöthigten ihn die Schnelligkeit der Strömung und die gewaltigen Felsen, welche da und dort in dem Flußbett zerstreut lagen, bald zu Wasser bald zu Lande weiter zu ziehen. Zehn Tage später ließ man die Boote vor einem Wasserfalle, welcher deren Weitertransport unnöglich machte, überhaupt zurück und reiste nur zu Lande. Dabei nahmen aber die Schwierigkeiten aller Art täglich zu; die Neger weigerten sich, als Lastträger zu dienen, und die Hälfte der Europäer war mehr oder weniger erkrankt. Als er zweihundertachtzig Meilen von der Küste aus zurückgelegt, sah Tuckey sich gezwungen, umzukehren. Schon hatte die Regenzeit begonnen. Die Anzahl der Kranken wuchs immer mehr an. Der über das klägliche Resultat seiner Fahrt betrübte Befehlshaber wurde nun ebenfalls vom Fieber ergriffen und kehrte nur an Bord zurück, um daselbst am 4. October 1816 zu sterben.

Das einzige Ergebniß dieses verunglückten Versuches bestand also in einer genauen Aufnahme des Zaïre und einer Berichtigung der Küstenformation daselbst, welche bisher nur sehr fehlerhaft verzeichnet war.

Unweit der Stelle, wo etwas später Clapperton landen sollte, an der Goldküste nämlich, war 1807 ein tapferes, aber wildes Volk erschienen. Die Aschantis, von denen man nicht weiß, wo sie herkamen, hatten die Fanties überfallen und nach schrecklichen Schlächtereien in den Jahren 1811 bis 1816 ihre Herrschaft auf dem ganzen Gebiete zwischen den Kong-Bergen und dem Meere [126] begründet. Natürlich hatten die Beziehungen der Fanties zu den Engländern, welche einzelne Handels-Etablissements, Comptoire und Factoreien an der Küste besaßen, dadurch eine merkliche Störung erlitten.

Vorzüglich 1816 veranlaßte der König der Aschantis durch Verheerung des Landes der Fanties, in welchem jene errichtet waren, eine wirkliche Hungersnoth in den britischen Forts. Der Gouverneur von Cape Coast wandte sich deshalb auch an seine Regierung mit dem Gesuche, an den barbarischen, wilden Sieger eine Gesandtschaft abzuschicken. Der Ueberbringer dieser Depesche war Thomas Eduard Bowdich, ein junger Mann, der, von unwiderstehlicher Reiselust getrieben, das väterliche Joch abgeschüttelt, dem Handel, seinem ursprünglichen Berufe, entsagt und, nachdem er sich gegen den Willen seiner Familie verheiratet, eine bescheidene Stellung in Cape Coast, wo sein Oheim Vicegouverneur war, angenommen hatte.

Unter Zustimmung zu dem Vorschlage des Gouverneurs von Cape Coast, schickte der Minister Bowdich sofort zurück und betraute diesen selbst mit der Gesandtschaft. Der Gouverneur ernannte jedoch, unter dem Vorwande der zu großen Jugend des Letzteren, zum Anführer der Mission einen Mann, der ihm durch seine langjährige Erfahrung, seine Kenntniß des Landes und der Volkssitten weit geeigneter zur Ausführung dieses wichtigen Vorhabens erschien. Die Zukunft sollte ihm freilich Unrecht geben. Bowdich, welcher der Expedition zugetheilt wurde, übernahm den wissenschaftlichen Theil und besorgte vorzüglich die Beobachtungen der geographischen Länge und Breite.

Frederic James und Bowdich verließen das englische Etablissement am 22 August 1817 und gelangten nach Coumassie, der Hauptstadt der Aschantis, ohne andere Hindernisse, als den bösen Willen der Gepäckträger. Die Verhandlungen, welche den Abschluß einer Art Handelsvertrags und die Eröffnung einer Straße zwischen der Küste und Coumassie bezweckten, wurden mit gewissem Erfolge nur von Bowdich geführt, da James alle Initiative und Festigkeit abging. Die Maßnahmen Bowdich's fanden so ausnahmslose Billigung, daß James zurückberufen wurde.

Es könnte scheinen, als ob die Geographie nur wenig erwarten dürfe von einer diplomatischen Mission nach den früher von Bosman, Loyer, des Marchais und vielen Andern besuchten Ländern, über welche man außerdem auch die Monographie Meredith's und Dalzel's besaß. Der fünfmonatliche Aufenthalt in Coumassie aber, das nur zehn Tagereisen vom Strande des Atlantischen Oceans entfernt liegt, hatte Bowdich Gelegenheit geboten, sich über das Land, die Sitten und Gebräuche und die Institutionen eines der interessantesten Völker Afrikas eingehend zu unterrichten.

[127] Wir geben hier auszugsweise den Bericht über den pomphaften Einzug der Mission in Coumassie wieder. Die ganze Bevölkerung war auf den Füßen und bildete eine Kette, während die Truppenmacht, welche Bowdich auf dreißigtausend Mann schätzte, unter Waffen stand.


Häuptling der Aschantis im Kriegs-Costüm. [Facsimile. Alter Kupferstich]

Vor ihrer Zulassung bei dem Könige waren die Engländer Zeuge eines Schauspiels, das ihnen eine Vorstellung von der Grausamkeit und Wildheit der Aschantis geben mußte.


[128]
Das war bald eine wirkliche Flucht (S. 137.)

Mit auf den Rücken gebundenen Händen, die Wangen von einem Pfeile durchbohrt, das eine Ohr abgeschnitten, das andere nur noch an einem Hautfetzen hängend, der Rücken eingeschlitzt, mit einem durch die Haut über jedem Schulterblatte gestochenen Messer und gezogen an einem Seile, das durch seine Nase geführt war, wurde ein Mann in Begleitung von Trommlern durch die Stadt geschleppt, bevor er – zur Ehre der Engländer geopfert wurde.

[129] »Alles, was wir bisher gesehen, sagt Bowdich, ließ uns ein außerordentliches Schauspiel erwarten, und doch wurden wir von der großartigen Pracht, die man vor uns entfaltete, noch überrascht. Zu unserem Empfange wurde ein Platz von etwa einer Quadratmeile hergerichtet. Der König, seine Zinspflichtigen und Heerführer, befanden sich, umgeben von ihrem Gefolge, am Ende desselben. Vor ihnen waren so zahlreiche Truppen versammelt, daß wir gar nicht hindurch zu kommen glaubten. Die Strahlen der Sonne brachen sich mit einem Glanze, der fast ebenso unerträglich war wie die herrschende Hitze, an dem schweren goldenen Geschmeide, das von allen Seiten her blitzte. Mehr als hundert Musikantengruppen spielten gleichzeitig bei unserer Ankunft und jede ließ die besonderen Weisen des Häuptlings, zu dem sie gehörte, ertönen. Bald war man betäubt durch das Schmettern einer unzähligen Menge von Hörnern und durch das Rasseln von Trommeln; bald durch die spitzen Töne langer, recht gut überein klingender Flöten oder durch ein Instrument nach Art des Dudelsacks, der sich nicht unmelodisch dazwischen hören ließ. Gegen hundert große Sonnenschirme oder »Dais«, jeder hinreichend zum Schutze von mindestens dreißig Personen, wurden von ihren Trägern unaufhörlich hin und hergeschwenkt. Diese waren mit scharlachrother, gelber oder anders-, aber immer grellfarbiger Seide überzogen und am oberen Ende mit Halbmonden, Pelikanen, Elephanten, Säbeln oder anderen Waffen, stets aus massivem Golde, verziert. Auf die Einladung der Boten des Königs, welche große goldene Platten auf der Brust trugen, schritten wir hinter den uns vorgetragenen Rohrstäben 1 und der englischen Flagge voran, dann blieben wir stehen, um jeden der Cabocirs die Hand zu reichen. Alle diese Häuptlinge trugen prächtige Costüme, massiv goldenen Halsschmuck, goldene Spangen am Knie, Schienen von demselben Metalle über den Knöcheln und Armbänder oder Goldstücke von solcher Schwere an der linken Hand, daß sie den Arm auf den Kopf eines Kindes stützen mußten. Endlich hingen an ihren Säbelknöpfen goldene Wolfs- oder Widderköpfe von natürlicher Größe, der Griff bestand wiederum aus demselben Metall und die Klinge war mit Blut befleckt. Ein Mann balancirte auf dem Kopfe eine große Trommel, auf welche zwei ihm Nachfolgende losschlugen. Die Handgelenke der Letzteren waren mit Schellen und Plättchen aus Eisen geschmückt, welche zu dem Wirbeln der Trommeln die Begleitung bildeten. An ihren[130] Lendengürteln hingen Köpfe oder Schenkelknochen von Feinden, die sie im Kampfe erschlagen hatten. Ueber den Großwürdenträgern, welche auf schönen, mit Gold und Elfenbein ausgelegten schwarzen Holzschemeln saßen, wurden ungeheuere Fächer aus Straußenfedern bewegt, und hinter ihnen standen ausgewählt schöne junge Leute, die, auf dem Rücken einen mit Patronen gefüllten Behälter aus Elephantenhaut tragend, lange dänische, mit Gold ausgelegte Flinten in der Hand hielten und um den Gürtel meist weiße Pferdeschweife oder seidene Schärpen gebunden hatten. Die lauten Fanfaren der Hörner, das geradezu betäubende Lärmen der Trommeln und, wenn diese schwiegen, das Rauschen anderer Instrumente verriethen uns, daß wir dem König näher kamen. Schon befanden wir uns mitten unter den höheren Hausofficieren; der oberste Kammerherr, der Officier mit der goldenen Trompete, der Anführer der Boten, der Chef der Hinrichtungen, der Markt-Kapitän, der Wächter des königlichen Grabes und Dirigent aller Musikchöre saßen inmitten ihres Gefolges, alle strahlend in Herrlichkeit als Ausdruck der hohen Würden, welche sie bekleideten. Um die Köche waren große Haufen von Silbergeschirr, Schüsseln, Assietten, Kaffeekannen, Tassen und Vasen jeder Art aufgestapelt. Der Chef der Hinrichtungen, ein Mann von fast riesenhaftem Wuchse, trug eine goldene Axt auf der Brust, und vor ihm stand der Block, auf dem er den Verurtheilten den Kopf abhackte. Dieser war mit Blut- und theilweise mit großen Fettflecken beschmutzt. Die vier Dolmetscher umgab ein Glanz, der dem Aufwande der anderen hohen Officiere in keiner Weise nachstand, und vor ihnen wurden ihre besonderen Zeichen, die zu Bündeln vereinigten Rohrstäbe mit goldenen Knöpfen, emporgehalten. Der Wächter des königlichen Schatzes harmonirte in seinem persönlichen Luxus mit der Stellung, welche er einnahm, und vor ihm standen große Kisten, Waagen und Gewichte aus massivem Golde. Die wenigen Minuten, welche noch vergingen, bevor wir zum Könige selbst kamen, um ihm die Hand zu reichen, gaben uns Gelegenheit, denselben recht bequem zu sehen. Schon sein Aeußeres erregte meine volle Aufmerksamkeit. Es ist stets auffallend, einen Ausdruck von natürlicher Würde an Fürsten zu beobachten, welche wir kurzweg Barbaren zu nennen lieben. Seine Gesichtszüge verriethen ebensoviel Majestät als gute Lebensart, und nie verlor er die einem Monarchen unbedingt zukommende Ruhe. Er schien gegen achtunddreißig Jahre zu zählen und Anlage zum Embonpoint zu haben; die ganze Erscheinung sprach offenbar für einen wohlwollenden Charakter.«

[131] Es folgt hierauf eine mehrere Seiten füllende Beschreibung der Toilette des Königs, der Aufzüge der Anführer, Soldaten, der Volksmenge und des Empfanges, der bis in die Nacht hinein währte.

Bei Durchlesung dieser staunenerregenden Schilderung Bowdich's fragt man sich unwillkürlich, ob sie nicht das Erzeugniß der gereizten Einbildungskraft des Reisenden sei, so unwahrscheinlich erscheinen uns der an's Wunderbare grenzende Luxus dieses Barbarenhofes, die Menschenopfer, bei welchen zu gewissen Zeiten des Jahres Tausende hingeschlachtet werden, die fremdartigen Sitten dieses kriegerischen, grausamen Volkes und diese Mischung von Civilisation und Barbarismus. Man wäre versucht zu glauben, daß Bowdich Alles gröblich übertrieben habe, wenn die Reisenden, welche ihm folgten, und die Forscher derselben Zeit seine Schilderungen nicht allseitig bestätigt hätten. Man steht erstaunt gegenüber einer solchen, nur auf roher Gewalt begründeten Regierung, verwundert, daß eine solche von so langer Dauer sein konnte!

Unter den kühnen Reisenden, welche ihr Leben zur Erforschung der Erdkunde in die Schanze schlugen, begegnet man nur selten einem Franzosen. Einzelne finden sich aber doch, unter diesen möchten Mollien, Caillié, Cailliaud und Létorzec wohl einer besonderen Erwähnung werth sein.

Gaspard Mollien war der Neffe des Ministers des kaiserlichen Schatzes bei Napoleon I. Mit der »Medusa« abgesegelt, entging er glücklich dem Schiffbruche dieses Fahrzeuges, erreichte auf einem Boote die Küste der Sahara und gelangte längs derselben bis zum Senegal.

Das Unglück, dem Mollien mit genauer Noth entkam, hätte wohl in jedem, minder standhaften Kopfe die Lust an Abenteuern und den Hang zu gefährlichen Reisen unterdrückt. Hier war es nicht so. Kaum hatte der Gouverneur der Kolonie, der Commandant Fleuriau, das Anerbieten des jungen Reisenden, die Quellen der großen Ströme Senegambiens aufzusuchen und vorzüglich die des Djoliba festzustellen, angenommen, als dieser auch schon (von Saint Louis) aufbrach.

Von Diedde am 29. Januar 1818 abreisend, wandte sich Mollien zwischen dem 15. und 16. Breitengrade nach Osten, zog durch das Königreich Domel und drang bis zu den Yolloffs vor. Von dem Wege nach Woulli abweichend, schlug er einen anderen nach Fouta Toro ein und erreichte, trotz des Fanatismus und der Raubsucht der Bewohner, Bondou ohne nennenswerthen Unfall. Drei Tage brauchte er, um durch die Wüste zu ziehen, welche Bondou von den [132] Ländern jenseits des Gambia trennt; dann begab er sich nach Niokolo, eine von halbwilden Peuls und Djallons bewohnte Berggegend.

Von Bandeia aus betrat Mollien dann Fouta Djallon und kam an den nebeneinanderliegenden Quellen des Gambia und des Rio Grande an. Einige Tage später fand er auch die der Faleme. Trotz des Widerstrebens und der Angst seines Führers wagte es Mollien, nach Timbon, der Hauptstadt von Fouta, zu gehen. Die zufällige Abwesenheit des Königs und der meisten Bewohner ersparte ihm ohne Zweifel die Leiden einer Gefangenschaft, welche lange währen konnte, wenn sie nicht durch schreckliche Torturen abgekürzt wurde. Fouta ist eine befestigte Stadt, in der der König Wohnungen besitzt, welche Erdmauern von drei bis vier Fuß Dicke und mindestens fünfzehn Fuß Höhe haben.

Unsern von Timbon begab sich Mollien nach den Quellen des Senegal – das heißt nach Aussage der ihn begleitenden Schwarzen, denn es war ihm unmöglich, astronomische Beobachtungen anzustellen.

Noch sah der Forscher seine Aufgabe nicht für beendigt an, da seinen Geist das wichtige Problem der Quellen des Nigers fortwährend in Spannung hielt. Der klägliche Zustand seiner Gesundheit aber, der Eintritt der Regenzeit, das Anschwellen und Uebertreten der Flüsse und die Angst seiner Führer endlich, welche trotz des Versprechens von Gewehren, Ambra, selbst der Ueberlassung seines Pferdes, es abschlugen, ihn nach Kouranko und Soliman zu begleiten, nöthigten ihn, auf die beabsichtigte Fahrt durch die Kong-Berge zu verzichten und nach Saint Louis zurückzukehren.

Mollien hatte zur besseren Kenntniß einiger von Europäern noch nicht besuchten Theile von Senegambien doch nicht unwesentlich beigetragen.

»Es ist zu bedauern, sagt de la Renaudière, daß Mollien, erschöpft durch Strapazen, kaum im Stande, sich weiter zu schleppen, vollständig entblößt von Allem, und ohne Mittel, verläßliche Beobachtungen vorzunehmen, sich außer Stande sah, die hohe Bergkette zu überschreiten, welche das Zuflußbecken des Senegal von dem des Djoliba scheidet, und er also, gezwungen, den Vorstellungen der Eingebornen nachzugeben, den wichtigsten Theil seiner Mission unausgeführt lassen mußte. Nur gestützt auf die Versicherungen der Neger, glaubt er die Quellen des Rio Grande, der Faleme, des Gambia und Senegal besucht zu haben. Wäre es ihm möglich gewesen, den Lauf dieser Flüsse weiter hinab zu verfolgen, so würden seine Entdeckungen eine wünschenswerthe Verläßlichkeit [133] gewonnen haben, die ihnen jetzt leider abgeht. Jedenfalls weist die Lage der Quelle, welche er als die des Ba Fing oder Senegal bezeichnet, darauf hin, daß sie einem anderen größeren Strome nicht angehören kann; vergleicht man seine Angaben mit denen anderer Reisenden, so gewinnt man noch weiter die Ueberzeugung, daß seine Entdeckung ihn nicht getäuscht hat. Alles deutet darauf hin, daß die beiden Quellen in größerer Höhe entspringen, als man bisher annahm und daß der Djoliba die höchste Ursprungsstelle hat. Das Land selbst erhebt sich in parallelen Terrassen nach Süden und Südosten hin. Mit ihrem Fortschreiten nach Süden nehmen die Berge an Höhe zu und senden ihre höchsten Kämme zwischen dem 8. und 10. Grade nördlicher Breite empor.«

Das sind die interessanten Ergebnisse der Reise Mollien's in der französischen Kolonie am Senegal. Von hier aus trat auch ein anderer Forscher, René Caillié, seine Fahrt an. Geboren im Jahre 1800 im Departement des Deux-Sèvres, genoß Caillié keinen anderen Unterricht als den der Volksschule; die Lectüre des Robinson Crusoë hatte in seinem jungen Geiste aber eine solche Begierde nach Abenteuern erweckt, daß Caillié keine Ruhe fand, bevor er sich nicht, trotz der Unzulänglichkeit seiner Mittel, Karten und Reiseschilderungen erworben hatte. Im Jahre 1816, also noch nicht sechzehn Jahre alt, schiffte er sich auf der Gabarre (Lichterschiff) »la Loire« nach Senegal ein.

Zu jener Zeit organisirte die englische Regierung eben unter dem Befehle des Major Gray eine Expedition in das Innere des Landes. Um dem schrecklichen »Almamy« von Timbu, der Peddie so verderblich geworden war, aus dem Wege zu gehen, benutzten die Engländer den Seeweg bis zum Gambia. Nachdem sie durch Woulli und Gabon gezogen, drang die Expedition in Bondu ein, das Mollien einige Jahre später besuchen sollte, ein Land, dessen Bewohner dem von Fouta Djallon an wildem Fanatismus in keiner Weise nachstanden. Der Almamy hier ging in seiner Frechheit so weit, den Major Gray unter dem Vorwande einer alten, von den englischen Behörden noch nicht ausgeglichenen Schuld fast aller seiner Waaren zu berauben, so daß dieser einen Officier nach Senegal zurücksenden mußte, um sich neue Vorräthe zu beschaffen.

Caillié, der von diesem unglücklichen Anfange nichts wußte, und voraussetzte, daß Major Gray jeden neuen Theilnehmer mit Freuden begrüßen würde, reiste von Saint Louis mit zwei Negern ab und erreichte Goree. Hier riethen ihm aber mehrere Personen, welche sich für ihn interessirten, davon ab, sich jener Expedition anzuschließen, und verschafften ihm eine Anstellung in Guadeloupe [134] Caillié verweilte nur sechs Monate auf dieser Insel, segelte dann wieder nach Bordeaux und kehrte von hier aus nach Senegal zurück.

Ein Officier des Major Gray, Namens Partarien, wollte eben mit den von ihm besorgten Waarenvorräthen zu seinem Schiffe abgehen. Caillié bat, ihn ohne Sold und feste Stellung begleiten zu dürfen. Dieses Angebot wurde ohne Zögern angenommen. Die Karawane bestand aus siebzig Personen, Weißen und Schwarzen, und aus zweiunddreißig reichbeladenen Kameelen. Am 5. Februar 1819 verließ sie Gandiolle in Cayor und zog, bevor sie nach Yoloff kam, durch eine Wüste, wo sie entsetzlich von Durst litt, da man, um alle Waaren fortschaffen zu können, auf die Mitnahme reichlicherer Wasservorräthe verzichtet hatte.

In Boulibaba, einem von Foulah-Hirten bewohnten Dorfe, konnte die Karawane sich erquicken und ihre Wasserschläuche zu einem zweiten Zuge durch die Wüste füllen.

Mit Umgehung von Fouta Toro, dessen Bewohner als wilde Räuber berüchtigt sind, drang Partarien in Bondu ein. Er hätte wohl auch gern Boulibane, die Hauptstadt des Landes und Residenz des Almamy, vermieden; die Weigerung der Eingebornen aber, welche der Karawane weder Getreide noch Wasser liefern wollten, und der bestimmte Befehl des Major Gray, welcher voraussetzte, daß der Almamy nach empfangener Contribution die Karawane unbelästigt ziehen lassen werde, veranlaßten ihn, sich in jene Stadt zu begeben.

Der schreckliche Almamy erzwang sich sofort eine große Menge Geschenke, verweigerte den Engländern aber die Erlaubniß, nach Bakel am Senegal zu ziehen. Sie könnten ja, meinte er, durch seine Staaten und durch Kaarta nach Clego gehen oder auch den Weg über Fouta Toro einschlagen. Von diesen beiden Routen empfahl sich die erste so wenig wie die zweite, denn beide führten durch sehr fanatische Länder. Die Absicht des Almamy ging – so wenigstens meinten die Engländer – dahin, sie berauben und ermorden zu lassen; die Verantwortung dafür aber möglichst von sich abzuwälzen.


René Caillié. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Die Expedition entschloß sich in Folge dessen dafür, sich mit Gewalt einen Weg zu bahnen. Kaum in den Vorbereitungen dazu begriffen, sah sie sich je doch von einer Menge Soldaten umringt, welche die Brunnen besetzten und ihr die Ausführung dieses Vorhabens materiell unmöglich machten. Gleichzeitig ertönte die Kriegstrommel auf allen Seiten. Ein Kampf erschien unmöglich, man mußte sich also auf Unterhandlungen einlassen, oder mit anderen Worten, seine Ohnmacht bekennen. Der Almamy schrieb seine Friedensbedingungen vor, erpreßte von den Engländern neue Geschenke und verlangte, daß sie sich über Fouta Toro zurückzögen.

[135] Zur noch tieferen Verletzung des britischen Stolzes sahen sich die Engländer von einer Truppenmacht begleitet, welche sie hinderte, irgend einen anderen Weg einzuschlagen. Mit hereinbrechender Nacht warfen sie nun, vor den Augen der Foulahs, welche sich derselben zu bemächtigen gedachten, alle ihre Waaren in's Feuer. Trotzdem gestaltete sich der Zug nach Fouta Toro, mitten durch eine feindlich gesinnte Bevölkerung, noch sehr beschwerlich. [136] Unter den nichtigsten Vorwänden wurden Händel gesucht, und man war öfter daran, handgemein zu werden. Lebensmittel und Wasser wurden nur gegen hohe Bezahlung geliefert.

Eines Nachts ließ Partarieu endlich, um die Wachsamkeit der Eingeborenen zu täuschen, nachdem er erklärt hatte, nicht Alles, was er bei sich habe, auf einmal weiter fortbringen zu können, alle Kisten und Kasten mit Steinen füllen; die Zelte blieben stehen, die Feuer in hellem Brand, er selbst aber entwich mit allen seinen Leuten und eilte nach dem Senegal zu.


Caillié überschritt den Ba Fing. (S. 140.)

Der Rückzug artete bald in eine wirkliche Flucht aus. Gepäck, Waffen, Thiere – Alles wurde im Stich [137] gelassen und auf der Straße verstreut. Durch diese Ausflucht und die Schnelligkeit, mit der Alle das Weite zu gewinnen suchten, gelang es, die Niederlassung in Bakel zu erreichen, wo die Franzosen die Trümmer der Expedition mit offenen Armen aufnahmen.

Caillié selbst, der vom Fieber litt, das bald sehr bedrohliche Symptome zeigte, kehrte nach Saint Louis zurück; auch hier machte seine Wiedergenesung so langsame Fortschritte, daß er sich entschließen mußte, nach Frankreich zu gehen. Erst im Jahre 1824 konnte er Senegal wieder aufsuchen. Zu dieser Zeit verwaltete die Kolonie der Baron Roger, ein dem Fortschritt huldigender Mann, der es sich eben so angelegen sein ließ, die Handelsbeziehungen seines Landes wie die geographischen Kenntnisse zu erweitern. Er gewährte auch Caillié die nöthigen Mittel, um sich bei den Bracknas aufzuhalten und dort die arabische Sprache, so wie die kirchlichen Gebräuche der Muselmanen kennen zu lernen.

Das Leben bei diesen mißtrauischen, fanatischen maurischen Hirten bot keine besonderen Annehmlichkeiten. Der Reisende, der schon unglaubliche Mühe hatte, nur sein Tagebuch in Ordnung zu führen, mußte manche List anwenden, um die Erlaubniß zum Besuche der Umgebungen der Stadt zu erhalten. Er wußte dabei aber viel gründliche Beobachtungen zu machen über die Lebensweise der Bracknas, ihre meist aus Milchkost bestehende Nahrung, über ihre Zeltwohnungen, die gegen den Einfluß der Witterung nur sehr unzulänglich schützten, ihre Wanderlieder oder »Gue hues«, über die Mittel, den Frauen jenen Grad von Wohlbeleibtheit zu verschaffen, den sie für das Ideal der Schönheit ansehen, endlich über die Natur des Landes und über die Fruchtbarkeit und die Erzeugnisse des Bodens.

Am merkwürdigsten erschienen jedoch die Aufschlüsse Caillié's über die fünf verschiedenen Kasten, in welche die maurischen Bracknas zerfallen.

Es sind das die »Hassanen« oder Krieger, ebenso faule und schmutzige als unglaublich stolze Leute; die »Marabouts« oder Priester; die »Zenagues« oder Untergebenen der Hassanen, die »Laratines« und die Sklaven.

Die Zenagues bilden eine elende, von allen Anderen, aber vorzüglich von den Hassanen selbst, verachtete Volksclasse, obwohl sie den Letztgenannten einen zwar festgesetzten, aber niemals für ausreichend befundenen Tribut zahlen. Sie sind die eigentlichen Arbeiter, welche sich mit Industrie, Landbau und Viehzucht beschäftigen.

[138] »Trotz aller Bemühungen, sagt Caillié, vermochte ich weder den Ursprung dieser Race zu ergründen, noch konnte ich erfahren, wie Jene dazu gekommen seien, an andere Mauren Tribut zu entrichten. Wenn ich hierüber nachfragte, erhielt ich nur die Antwort, daß Gott es so wolle. Sollten es vielleicht besiegte Volksstämme sein, denen alle Ueberlieferung abhanden gekommen ist? Ich kann das kaum glauben; denn die auf ihre Abkunft gewöhnlich sehr stolzen Mauren vergessen niemals die Namen Derjenigen, welche sich in ihrer Familie auszeichneten, und die, die Mehrzahl der Bevölkerung bildenden und kriegsgeübten Zenagues würden sich gewiß unter einem Nachkommen ihrer alten Häuptlinge erhoben und das Joch der Knechtschaft abgeschüttelt haben.«

Die Laratines sind die Kinder eines Mauren und einer Negersklavin. Obgleich selbst so gut wie Sklaven, werden dieselben doch niemals verkauft und, in besondere Hürden eingepfercht, fast wie Zenagues behandelt. Diejenigen, welche einen Hassanen zum Vater haben, werden Krieger; die Söhne eines Marabout erhalten besseren Unterricht und widmen sich meist derselben Thätigkeit wie ihre Väter. Die Sklaven sind alle Neger. Sie werden schlecht behandelt, dürftig genährt, von ihren Herren ganz nach Belieben mit der Peitsche gezüchtigt und überhaupt auf alle erdenkliche Weise gequält.

Im Mai 1825 war Caillié wieder in Saint Louis zurück. Der Baron Roger befand sich nicht daselbst, und sein Stellvertreter erwies sich ihm nicht besonders freundlich gesinnt. Der Reisende mußte sich mit der Verpflegung der gemeinen Soldaten begnügen und seinen Beschützer abwarten, dem er alle bei den Bracknas gesammelten Beobachtungen überließ; trotzdem sah er sein Angebot weiterer Dienste abgewiesen. Dagegen versprach man ihm eine gewisse Summe, wenn er von einem Zuge nach Timbuktu zurückkehre. Wie konnte er einen solchen aber ausführen, da es ihm an persönlichen Hilfsmitteln völlig fehlte?

Den unermüdlichen Caillié entmuthigte aber auch das noch nicht. Da er bei der Kolonialregierung kein Entgegenkommen und keine Unterstützung fand, ging er nach Sierra Leone, wo der Gouverneur nur deshalb seine Vorschläge abwies, weil er dem Major Laing die Ehre, zuerst nach Timbuktu zu gelangen, nicht rauben lassen wollte.

Durch Ersparnisse während der Leitung einer Indigo-Fabrik erwarb sich Caillié bald die Summe von zweitausend Francs, die ihm hinreichend schien, um bis an's Ende der Welt zu reisen. Schnell verschaffte er sich nun die nöthigen Waaren und schloß sich einigen Mandinguos und »Seracolets«, das [139] heißt reisenden Kaufleuten, welche durch Afrika ziehen, an. Diesen erzählte er unter dem Siegel der Verschwiegenheit, daß er in Egypten von arabischen Eltern geboren, in ganz jungen Jahren nach Frankreich entführt und dann nach Senegal gebracht worden sei, um seines Herrn Handelsgeschäfte zu leiten, der ihn als Belohnung für seine Dienste frei gegeben habe. Er fügte hinzu, daß es sein sehnlichster Wunsch sei, nach Egypten zu gelangen und die mohammedanische Religion wieder anzunehmen.

Von Freetown ausgehend, erreichte Caillié am 22. März 1827 Kakondy, ein Dorf am Rio Nunez, wo er den kurzen Aufenthalt benutzte, einige Erkundigungen über die Landamas und die Nalus einzuziehen. Es sind das zwei den Foulahs von Fouta Djallon unterworfene Völker, welche nicht dem Islam huldigen und in Folge dessen dem Trunke sehr ergeben sind. Sie bewohnen das Uferland des genannten Flusses, ebenso wie die Bagos, ein Götzendiener-Stamm an der Mündung des Rio Nunez. Die lustigen, thätigen und im Anbau des Landes recht geschickten Bagos erzielten reiche Erträgnisse aus ihren Reisernten und durch die Salzgewinnung. Sie haben keinen König, keine andere Religion als einen sinnlosen Götzendienst, werden von je dem Aeltesten des Dorfes regiert und befinden sich dabei gar nicht schlecht.

Am 19. April 1827 reiste Caillié endlich mit nur einem Träger und einem Diener nach Timbuktu ab. Die Foulahs und Djallonkes, deren reiche und fruchtbare Länder er durchzog, hatte er nur zu loben; dann überschritt er den Ba Fing, den größten Nebenfluß des Senegal, nahe seiner Quelle, an einer Stelle, wo er zwar hundertfünfzig Fuß Breite haben mochte, dagegen nur anderthalb Fuß tief war; die Gewalt der Strömung aber und die steilen schwarzen Granitmassen, welche neben seinem Ufer emporstreben, machten diesen Uebergang beschwerlich und gefährlich. Nach neunzehntägigem Aufenthalt in dem Dorfe Cambaya, in welchem der Führer, der ihm bisher gedient hatte, zu Hause war, zog Caillié nach Kankan hinein, durch ein von Flüssen und starken Bächen bewässertes Land, welche dieses eben zu überschwemmen begannen.

Am 30. Mai überschritt Caillié den Tankisso, einen breiten Fluß mit steilen Ufern, der zum Gebiete des Djoliba gehört, welch' letzteren der Reisende am 11. Juni in Couroussa erreichte.

»Er hatte schon so nahe seiner Quelle, berichtet Caillié, eine Breite von neunhundert Fuß und eine Schnelligkeit von zweiundeinhalb Meile in der Stunde.«

[140] Bevor wir dem Forscher nach Kankan folgen, dürfte es an der Stelle sein, seine Bemerkungen über die Foulahs von Fouta kurz zu erwähnen. Es sind das meist große, gutgebaute Leute mit hellbraunem Teint, krausem Haar, hoher Stirn und Adlernase, deren Züge von denen der Europäer nicht sonderlich abweichen. Als fanatische Mohammedaner hegen sie einen tiefen Haß gegen die Christen. Sie reisen nicht umher wie die Mandinguos, sondern lieben ihr Heim und sind entweder geschickte Landbauer oder gewandte Händler. Von Natur kriegerisch und opferwillig für ihr Land, lassen sie, wenn ein Kampf ausbricht, nur die Greise und die Frauen in den Dörfern zurück.

Die Stadt Kankan liegt inmitten einer von Bergen umschlossenen Ebene. Hier trifft man in großer Menge den Bombax (Woll- oder Ceibabaum), den Baobab und den Butterbaum, der auch »Cé« oder, wie Mungo Park schreibt, »Shea« genannt wird. Caillié mußte sich in dieser Stadt achtundzwanzig Tage aufhalten, bevor er Gelegenheit fand, nach Sambatikila zu gelangen; von seinem Wirthe wurde er unverschämt bestohlen und konnte von dem Chef der Stadt auch die Zurückerstattung der geraubten Waaren nicht erlangen.

»Kankan, sagt der Reisende, der Hauptort des gleichnamigen Bezirks, ist eine kleine Stadt, zwei Büchsenschuß weit vom linken Ufer des Milo, eines hübschen Flusses, der von Süden herkommt, und Kissi, wo seine Quelle liegt, bewässert; er strömt nach Nordosten und vereinigt sich, zwei bis drei Tagereisen von Kankan entfernt, mit dem Djoliba. Umgeben von einer schönen, dichten lebenden Hecke, liegt diese Stadt, welche gegen sechstausend Einwohner zählen mag, in einer herrlichen Ebene mit grauem, sehr fruchtbarem Sande. In allen Richtungen sieht man hübsche Dörfer liegen, welche hier auch Ourondes genannt werden; dorthin bringen die Einwohner ihre Sklaven. Diese Einzelwohnstätten verleihen der Gegend einen gewissen Reiz und sind alle mit wohlgepflegten Aeckern umgeben; Yamswurzeln, Mais, Reis, Zwiebeln, Pistazien und Gombo gedeihen hier in Ueberfluß.«

Von Kankan nach Uassulo führte der Weg durch sehr schöne Landschaften unter voller Cultur und meist reich bewässert. Die Bewohner dieses Gebietes erschienen Caillié von besonders sanftem Charakter; sie waren Alle sehr heiter und neugierig und empfingen ihn überaus wohlwollend.

Mehrere Zuflüsse des Djoliba, darunter vorzüglich der Sarano, mußten überschritten werden, bevor man in Sigala Halt machte, wo der Beherrscher von Uassulo, Namens Baramisa, seinen Sitz hatte. Ebenso unreinlich wie seine [141] Unterthanen, schnupfte er sehr stark und rauchte auch viel Tabak. Der Fürst soll an Gold und Sklaven sehr reich sein; seine Unterthanen beschenkten ihn häufig mit Thieren; er hat viele Frauen, die jede eine eigene Hütte bewohnen, wodurch ein kleines Dorf gebildet wird, das von wohlgepflegten Anpflanzungen eingeschlossen ist. An dieser Stelle bekam Caillié zum ersten Male den »Rhamnus lotus«, welchen Mungo Park erwähnt, zu Gesicht.

Von Uassulo aus betrat Caillié nun Foulon, dessen Einwohner, wie die Uassulos, die Mandiguo-Sprache reden, Götzendiener sind oder vielmehr fast gar keinen Cultus haben und sehr schmutzig aussehen. In Sambatikila machte der Reisende dem Almamy seinen Besuch.

»Wir traten, sagt Caillié, in einen Raum, der ihm gleichzeitig als Schlafzimmer und Pferdestall diente. Das Bett des Fürsten befand sich im Hintergrunde desselben; es ragte etwa sechs Zoll über den Boden empor und war mit einem Ochsenfell bedeckt und mit einer Art schmutzigen Vorhangs, zum Abhalten der Muskitos, versehen. Hausgeräthe gab es in der königlichen Wohnung nicht. An Pflöcken in der Wand hingen zwei Pferdesättel; ein großer Strohhut, eine Trommel, welche nur während des Krieges gebraucht wird, einige Spieße, ein Bogen nebst Köcher und Pfeilen bilden den ganzen Schmuck, außer einer Lampe aus einem Stück flachen Eisens, die durch einen aus demselben Metall bestehenden, in den Erdboden gepflanzten Halter getragen wird; man verbrennt darin vegetabilische Butter, welche nicht consistent genug ist, um sie zu Kerzen verarbeiten zu können.«

Der Almamy machte den Reisenden darauf aufmerksam, daß sich eine Gelegenheit, nach Time zu gelangen, böte, von wo aus eine Karawane nach Djenne ziehen werde. Caillié begab sich nun also nach dem Lande der Bambaras und gelangte bald nach dem hübschen, kleinen Dorfe Time, das von mohammedanischen Mandinguos bewohnt und nach Osten zu von einer gegen zweitausend Fuß hohen Bergkette beherrscht wird.

Als Caillié gegen Ende Juli nach diesem Dorfe kam, ahnte er gewiß nicht, wie lange er sich hier aufhalten sollte. Er hatte nämlich am Fuße eine Wunde, die sich durch das lange Marschiren in feuchtem Grase mehr und mehr verschlimmerte. Er entschloß sich also, die Karawane nach Djenne abziehen zu lassen und seine völlige Wiederherstellung in Time abzuwarten. Es erschien ihm in seiner Lage zu gefährlich, durch das Land der Bambaras zu reisen, welche er als Götzendiener kannte und die ihn sicher unterwegs geplündert hätten.

[142] »Diese Bambaras, erzählt der Reisende, haben nur wenige Sklaven, gehen fast nackt, aber stets mit Bogen und Pfeilen bewaffnet. Sie werden von einer großen Anzahl kleiner unabhängiger Fürsten regiert, welche häufig mit einander im Kriege liegen. Es sind, im Vergleich zu den der Religion des Propheten zugethanen Völkern, sehr rohe und wilde Geschöpfe.«

Bis zum 10. November wurde Caillié, dessen Wunde nur langsam heilte, in Time zurückgehalten. Da bot sich ihm eine günstige Gelegenheit, nach Djenne zu gelangen.

»Heftige Schmerzen in der Kinnlade aber, schreibt der Reisende, belehrten mich, daß ich vom Scorbut befallen war, eine abscheuliche Krankheit, welche ich gründlich kennen lernen sollte. Am Gaumen löste sich die Schleimhaut und Knochenstückchen bröckelten darunter los; die Zähne schienen in ihren Alveolen allen Halt zu verlieren; ich litt entsetzlich und fürchtete, mein Gehirn müsse von den Schmerzen in Mitleidenschaft gezogen werden, die ich am Schädel fühlte. Vierzehn Tage lang vermochte ich nicht einen Augenblick Schlaf zu finden.«

Um seine Lage noch peinlicher zu machen, brach Caillié's Wunde von Neuem auf und er wurde von derselben wie vom Scorbut nicht eher befreit, als bis eine alte Negerin, welche vielfache Erfahrung in Behandlung dieser im Lande sehr häufigen Krankheit besaß, seine Pflege übernahm.

Am 9. Januar 1829 endlich verließ Caillié Time und begab sich nach Kimba, einem kleinen Dorfe, wo sich die nach Djenne bestimmten Karawanen zu sammeln pflegen. In der Nähe des letztgenannten Dorfes erhebt sich die, eigentlich unrichtig »Kong« benannte Bergkette, denn bei allen Mandinguos bedeutet dieses Wort eben nichts weiter als »Berg«.

Die Namen der Dörfer, durch welche der Reisende kam, und die Zufälligkeiten unterwegs bieten kein besonderes Interesse. Die Bambaras werden übrigens von den Mandinguos für freche Diebe erklärt, eine Anschuldigung, die sie jedoch nicht mehr trifft als die Ankläger selbst.

Die Frauen der Bambaras tragen alle ein Stückchen dünnes Holz quer durch die Unterlippe, huldigen also genau derselben Mode, welche Cook auch an der Westküste Nordamerikas verbreitet fand, ein Beweis, daß die Menschheit doch immer dieselbe bleibt, unter welcher Breite sie auch leben mag. Die Bambaras bedienen sich der Mandinguo-Sprache, haben aber einen eigenthümlichen, »das Kissur« genannten Dialect, über den der Reisende jedoch etwas Näheres und Verläßlicheres nicht erfahren konnte.

[143] Djenne hieß ehemals das »Goldland«, nicht etwa, weil es dieses Metall selbst geliefert hätte, sondern weil die Händler von Boure und die Mandinguos aus Kong dasselbe häufig hierher brachten.

Die zweieinhalb Meilen im Umfang messende Stadt Djenne ist von einer zehn Fuß hohen Erdmauer umschlossen. Ihre aus lufttrockenen Backsteinen errichteten Häuser sind ebenso groß wie die der Bauern in Europa. Alle haben ein terrassenförmiges Dach und entbehren nach außen der Fenster. Es ist eine geräuschvolle, lebendige Stadt, in der täglich eine Handelskarawane eintrifft. Fremde sieht man hier in Menge. Die Zahl der Einwohner dürfte acht- bis zehntausend betragen. Von Natur fleißig und betriebsam, lassen sie auch ihre Sklaven in allen Handwerken mit arbeiten.

Den eigentlichen Großhandel haben jedoch die Mauren in den Händen. Es vergeht wohl kein Tag, ohne daß diese große Flußschiffe voll Reis, Hirse, Baumwolle, Honig, Pflanzenbutter und andere einheimische Erzeugnisse absenden.

Trotz dieser umfassenden Handelsthätigkeit sah Djenne sein Gedeihen doch ernstlich gefährdet. Der Beherrscher des Landes, Sego Ahmadu, ein blinder Schwärmer, führte jener Zeit gegen die Bambaras von Sego, die er gewaltsam zum Islam bekehren wollte, einen erbitterten Krieg. Dieser Kampf lähmte den Verkehr von Djenne in furchtbarster Weise, da er der Stadt die Verbindung mit Yamina, Sansanding, Bamakon, Boure und dadurch mit weit ausgedehnten Ländergebieten abschnitt. Die Stadt konnte also zu der Zeit, als Caillié sie besuchte, nicht als der Centralpunkt des Handels gelten, während derselbe vielmehr in den drei ersten obengenannten Städten in hoher Blüthe stand.

Die Frauen von Djenne hätten sich doch gegen ihr Geschlecht versündigt, wenn ihnen die Koketterie ganz fremd geblieben wäre. Die eleganten Damen tragen deshalb einen Ring oder irgend einen Glasschmuck an der Nase, während die minder begüterten sich damit begnügen, ein Stück rothe Seide daran zu hängen.

Während des langen Aufenthaltes in Djenne wurde Caillié von den Mauren, denen er die Fabel von seiner Geburt und Entführung durch französische Soldaten in Egypten erzählt hatte, mit Aufmerksamkeiten überhäuft.


Ansicht eines Theiles von Timbuktu. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Am 23. März schiffte der Reisende sich auf dem Niger auf einem Fahrzeuge, dessen Benutzung ihm der, durch das Geschenk eines Regenschirmes gewonnene Sherif gestattet hatte, nach Timbuktu ein. Er führte Empfehlungsbriefe an die hervorragendsten Einwohner der Stadt bei sich.

[144] Caillié kam bei dem hübschen Dorfe Kera vorbei und passirte Taguetia, Sankha-Guibila, Diebe und Isaca, in dessen Nachbarschaft ein von Sego herkommender bedeutender Nebenfluß, welcher in seinem Laufe ungeheure Biegungen bildet, sich mit dem Strome verbindet; er sah ferner Uandacora, Uanga, Corocoïla, Cona und gelangte am 2. April nach der Einmündung in den großen Debo-See.

»Nach allen Himmelsrichtungen sieht man von dem See aus das Land, sagt Caillié, außer im Westen, wo jener sich zu einem wahren Binnenmeere [145] erweitert. Wenn man seiner nördlichen, etwas nach Ostnordost abbiegenden Küste etwa fünfzehn Meilen weit nachgeht, läßt man zur Linken eine große, flache Landzunge, welche mehrere Meilen weit nach Süden zu vorspringt. Sie scheint das Fahrwasser ganz zu schließen und bildet eine Art Meerenge. Jenseits dieses Landstreifens dehnt sich der See nach Westen über Sehweite hinaus. Die eben beschriebene Landzunge theilt den Debo-See also eigentlich in zwei, einen oberen und einen unteren See. Der von Fahrzeugen am meisten befahrene, welcher auch drei Inseln enthält, ist sehr groß; nur nach Osten zu ist er beschränkt und von einer Unzahl ausgedehnter Sümpfe umgeben.«

Nach und nach erblickte der Reisende nun Gabibi, ein Fischerdorf, Didhiover, Tongom, im Lande der Dirimans, das sich weit nach Osten hin ausdehnt, ferner Co, Do, Sa, einen bedeutenden Hafen und Handelsplatz, Barconga, Leleb, Garfolo, Baracondie, Tircy, Talbocoïla, Salacoïla, Cora, Coratu, wo die Tuaregs von allen, den Fluß passirenden Schiffen eine Abgabe erheben, und endlich Cabra, das auf einer Bodenerhebung, die es gegen die Hochfluth des Djoliba schützt, erbaut ist, und das man als Hafen für Timbuktu betrachtet.

Am 20. April landete Caillié und brach nach jener Stadt auf, wo er mit Sonnenuntergang eintraf.

»Ich erblickte also jene Hauptstadt von Sudan, schreibt der Reisende, welche mir so lange Zeit als Ziel meiner Wünsche vorschwebte. Als ich die geheimnißvolle Stadt, den Gegenstand des Strebens aller civilisirten Nationen Europas, betrat, erfüllte mich ein unbeschreibliches Gefühl der Befriedigung. Ich hatte noch niemals eine solche Empfindung gehabt, und meine Freude kannte fast keine Grenzen. Leider durfte ich ihr keinen lauten Ausdruck geben; nur Gott allein vertraute ich, was mich bewegte. Wie viel hatte ich ihm nicht zu verdanken, der mein Unternehmen mit so glücklichem Erfolge krönte! Wie oft hatte er mir sichtbar seine Gnade erwiesen, daß er mich alle Gefahren und unzählige Hindernisse glücklich überwinden ließ! Als ich mich etwas mehr gesammelt hatte, fand ich freilich, daß das Bild vor meinen Augen den früheren Erwartungen keineswegs entsprach. Ich hatte mir von der Größe und dem Reichthum der Stadt ganz andere Vorstellungen gemacht; sie bietet dagegen beim ersten Anblick nichts als das Bild eines Haufens schlechtgebauter Lehmhäuser; nach allen Seiten sieht man ungeheuere Ebenen mit beweglichem, in's Gelbliche spielendem Sande und trostlose Dürre. Der Himmel färbte sich mattroth am Horizonte; ringsum herrscht tiefes Schweigen; kein Vogel läßt seine Stimme [146] ertönen. Immerhin hat es etwas Erhebendes, eine große Stadt mitten in einer Sandwüste zu sehen, und man bewundert unwillkürlich die Arbeit, welcher ihre Gründer sich einst unterzogen haben müssen. Was Timbuktu selbst betrifft, so glaube ich, daß der Strom früher in der Nähe der Stadt vorüberfloß, jetzt ist er von derselben nach Norden zu freilich acht Meilen und in der nämlichen Richtung von Cabra fünf Meilen entfernt.«

Weder so groß, noch so volkreich, wie Caillié sich dasselbe gedacht, fehlt es Timbuktu vor Allem an Lebhaftigkeit. Hier sieht man nicht wie in Djenne täglich Karawanen einziehen. Von einem Zusammenfluß von Fremden, wie in der letztgenannten Stadt, ist hier keine Rede, und der Markt, den man der Hitze wegen erst um drei Uhr abhält, erscheint ziemlich todt.

Timbuktu wird von Kissur-Negern bewohnt, wel che von Charakter recht sanft sind und dem Handel obliegen. Eine Verwaltung giebt es nicht; im Grunde auch keine anerkannte öffentliche Gewalt: jede Stadt, jedes Dorf im Lande hat einen eigenen Herrscher, wie zur Zeit der alten Patriarchen. Viele Mauren, welche in der Stadt Timbuktu leben, treiben Handel und erwerben meist schnell ein nicht unbedeutendes Vermögen, da sie von Adrar, Tafilet, Tuat, Ardamas, Algier, Tunis und Tripolis Waaren zum Wiederverkauf auf Credit erhalten.

Nach Timbuktu wird alles Salz aus den Minen von Tudeyui auf Kameelen hingeschafft. Es kommt in Platten an, welche mittelst schlechter Stricke, die man aus einem, in der Nähe von Tandaye wachsenden Grase verfertigt, verbunden sind.

Der Umfang von Timbuktu, das übrigens ein Dreieck bildet, mag gegen drei Meilen betragen. Die Häuser der Stadt sind groß, aber niedrig und meist aus Backsteinen erbaut. Die Straßen sind breit und reinlich. Man zählt hier sieben Moscheen (neuere Angaben sprechen nur von drei solchen) mit je einem Minaret, von dem aus der Muezzin die Gläubigen zum Gebete ruft. Unter Hinzurechnung der nicht ansäßigen Bevölkerung zählte die Hauptstadt von Sudan doch nur zehn- bis zwölftausend Einwohner.

Inmitten einer ausgedehnten Ebene von beweglichem weißen Sande, besitzt Timbuktu keine anderen natürlichen Hilfsquellen, als die Gewinnung von Salz, da sich der Erdboden zu keiner Cultur eignet. Wenn die Tuaregs einmal die zahlreichen Flottillen, welche von dem unteren Djoliba herkommen, aufhielten, wären die Bewohner sofort dem grausamsten Mangel preisgegeben.

[147] Die unmittelbare Nähe dieser nomadisirenden Stämme und ihre unaufhörlich wiederholten Ansprüche beeinträchtigen alle Handelsthätigkeit ungemein. Timbuktu ist stets voller Leute, welche dahin kommen, um, wie sie sagen, Geschenke zu empfangen, die man freilich richtiger als erzwungene Contributionen bezeichnen könnte. Wenn der Häuptling der Tuaregs in Timbuktu anlangt, wird das als ein öffentliches Unglück angesehen. Gewöhnlich verweilt er zwei Monate in der Stadt, nährt sich nebst seinem Gefolge auf Kosten der Einwohner und geht nicht eher seines Weges, als bis er reichliche Geschenke erhalten hat.

Der Schrecken nur hat die Herrschaft dieser umherirrenden Stämme auch über die benachbarten Völkerschaften verbreitet, welche jene ohne Schonung plündern und aussaugen.

Die Kleidung der Tuaregs weicht allein bezüglich der Kopfbedeckung von der der Araber ab. Tag und Nacht tragen sie ein Stück Baumwollengewebe, das die Augen verhüllt und sie, da es bis auf die Nase herabreicht, um sehen zu können, nöthigt, den Kopf nach rückwärts zu werfen. Dasselbe Gewebe schlingt sich ein- oder zweimal um den Kopf, verhüllt den Bart und reicht bis über das Knie herab. Man sieht von ihnen gewöhnlich weiter nichts als die Nasenspitze.

Vortreffliche Reiter, die sich theils prächtiger Pferde, theils schnellfüßiger Kameele bedienen, sind die Tuaregs mit Lanze, Schild und Dolch bewaffnet. Sie bilden die eigentlichen Wüstenräuber und haben schon unzählige Karawanen beraubt oder gebrandschatzt.

Caillié befand sich kaum vier Tage in Timbuktu, als er von dem bevorstehenden Abzug der Karawane nach Tafilet hörte. Da er wußte, daß vor Ablauf dreier Monate keine andere folgen würde, und immer befürchtete, erkannt zu werden, schloß sich der Reisende dieser Gesellschaft von Kaufleuten an, welche nicht weniger als sechshundert Kameele mit sich führten. Am 4. Mai 1828 reiste Caillié also ab und erreichte, nachdem er durch die Hitze und den Ostwind, der den Wüstensand aufwirbelte, unausstehlich gelitten, fünf Tage später El Arouan, eine Stadt, welche nur als Niederlagsplatz für das Salz von Tudeyni dient, das nach Sansanding am Djoliba ausgeführt wird.

In El Arouan trafen sich die Karawanen von Tafilet, Mogador, Drah, Touat und Tripolis, welche europäische Waaren zuführen, um diese gegen Elfenbein, Gold, Sklaven, Wachs, Honig und Stoffe aus Sudan zu vertauschen. Am 19. Mai 1828 verließ die Karawane El Arouan, um quer durch die [148] Wüste nach Marokko zu ziehen. Die erstickende Hitze, die Qualen des Durstes, Entbehrungen aller Art, die Anstrengung und eine Wunde, die sich der Reisende durch einen unglücklichen Fall vom Kameel zugezogen, waren ihm doch minder empfindlich als die fortwährenden Quälereien und Insulte, welche er ebenso von Seiten der Mauren, wie sogar von den Sklaven zu erdulden hatte. Diese Leute fanden immer einen neuen Vorwand, sich über die Gewohnheiten und die Ungeschicktheit Caillié's lustig zu machen; sie gingen selbst so weit, ihn, wenn er sich umgedreht hatte, zu schlagen oder mit Steinchen zu werfen.

»Die Mauren, erzählt Caillié, sagten zu mir wiederholt in wegwerfendem Tone:»Siehst Du dort den Sklaven? Nun, den würde ich Dir immer noch vorziehen; nun urtheile selbst, wie hoch ich Dich schätze!« Derlei Redensarten begleiteten Andere noch mit hellem Lachen.«

Unter solchen bedrückenden Verhältnissen kam Caillié nach dem Brunnen von Trarzas, wo sich Salz in großer Menge findet, nach denen von Amul Gagim, Amul Taf, El Ekreif, die letzteren beschattet von einem hübschen Dattelwäldchen mit Rosenbüschen und Binsen, endlich nach den von Marabuty und El Harib, dessen Einwohner wahrhaft abstoßend schmutzig erscheinen.

Das Gebiet von El Harib liegt zwischen zwei niedrigen Bergketten, die es von Marokko, dem es tributpflichtig ist, trennen. Seine, in mehrere Stämme getheilten Bewohner beschäftigen sich vorwiegend mit der Aufzucht von Kameelen. Sie könnten sich recht wohl befinden, wenn sie an die Berber nicht einen so hohen Tribut entrichten müßten, während Letztere keine Gelegenheit vorübergehen lassen, sie noch obendrein zu berauben.

Am 12. Juli verließ die Karawane El Harib und betrat, elf Tage später das an majestätischen Datteln reiche Tafilet. In Ghourland kamen die Mauren Caillié zwar recht freundlich entgegen, doch konnte er in deren Häusern keine Aufnahme finden, da die Frauen, welche nur die zur Familie gehörenden Männer sehen dürfen, den indiscreten Blicken eines Fremden ausgesetzt sein könnten.

Caillié besuchte auch den dreimal wöchentlich stattfindenden Markt, der in der Nähe des kleinen Dorfes Boheim, drei Meilen von Ghourland, abgehalten wird, und war nicht wenig erstaunt über die Mannigfaltigkeit der daselbst zum Verkauf gestellten Artikel, wie Gemüse, einheimische Früchte, Kohle, Geflügel, Schafe – Alles fand sich im Ueberfluß. Mit einer Klingel in der Hand, gingen Wasserverkäufer mit ihren gefüllten Schläuchen auf dem Platze umher,[149] um diejenigen, welche trinken wollten, aufmerksam zu machen, denn es herrschte eine wahrhaft unerträgliche Hitze. Nur die Münzen aus Marokko und Spanien hatten Geltung.

Der Bezirk von Tafilet enthält eine große Anzahl größerer Dörfer und kleinerer Städte. Ghourland, El Ekseba, Sosso, Boheim und Ressant, welche der Reisende davon zu Gesichte bekam, mochten jede gegen zwölfhundert, meist Landbau oder Handel betreibende Bewohner zählen.

Der Boden ist hier sehr fruchtbar. Man baut viel Getreide, Gemüse, Datteln, europäische Fruchtarten und Tabak. Starke, schöne Schafe, deren sehr weiße Wolle zur Herstellung hübscher Matten und Decken dient. Ochsen und Kühe, ausgezeichnete Pferde. Esel und sehr viele Maulesel bilden die eigentlichen natürlichen Schätze von Tafilet.

Wie in El Drah, bewohnen auch hier viele Juden manche Dörfer gemeinsam mit Mohammedanern; sie leben äußerlich in sehr dürftigen Verhältnissen, gehen halb nackt und werden fortwährend geschlagen und auf jede Weise insultirt. Scheinbar ernähren sie sich als Trödler, Schuhmacher, Schmiede oder Lastträger, heimlich aber leihen sie den Mauren Geld gegen hohe Zinsen.

Am 2. August setzte die Karawane, ihren Weg fort, und Caillié kam über Asile, Tanneyara, Marca, M-Dayara, Rahaba, El Eyarac, Tamaroc, Aïn Zeland, El Guim, Guigo und Soforo nach Fez, wo er sich nur kurze Zeit aufhielt und dann nach Rabat, das alte Sale, weiter zog. Erschöpft durch diese lange Wanderung, während der er seinen Hunger oft kaum mit einigen Datteln stillen konnte und das Mitleid der Muselmanen in Anspruch nehmen mußte, die ihn oft hartherzig abwiesen, ergriff der Reisende, da er in letzterer Stadt als französischen Consular-Agenten einen Juden, Namens Ismaïl, antraf, der, aus Furcht sich zu compromittiren, es abschlug, ihn auf einer nach Gibraltar segelnden portugiesischen Brigg unterzubringen, mit Begierde eine unerwartete Gelegenheit, die sich ihm nach Tanger darbot. Hier wurde er von dem Viceconsul Delaporte freundlich aufgenommen. Der Genannte behandelte ihn wie einen Sohn, schrieb sofort an den Befehlshaber der französischen Station in Cadix und schiffte ihn, in der Kleidung eines Matrosen, auf der zu seiner Abholung angelangten Corvette ein.

Die Landung eines jungen Franzosen in Marseille, der von Timbuktu heimkehrte, machte in der gelehrten Welt begreiflicher Weise nicht geringes Aufsehen. Einzig und allein durch seinen unerschütterlichen Muth, seine nie ermüdende [150] Ausdauer hatte er eine Unternehmung zu glücklichem Ende geführt, für wel che die geographischen Gesellschaften von London und Paris hohe Preise ausgesetzt hatten. Ganz auf sich selbst angewiesen, ohne Beihilfe der Regierung und außer aller Verbindung mit irgend einer wissenschaftlichen Vereinigung, nur durch die Kraft seines Willens erzwang er sich den Sieg und verbreitete neues Licht über einen großen, bisher fast unbekannten Theil von Afrika!

Cailli« war indeß nicht der erste Europäer, der Timbuktu gesehen hatte. Ein Jahr vor ihm war schon der englische Major Laing bis zu der geheimnißvollen Stadt vorgedrungen, hatte diese Forschung, deren ergreifende Einzelheiten wir im Folgenden schildern werden, aber leider mit dem Leben bezahlen müssen.

Caillié kam glücklich nach Europa zurück und brachte auch das merkwürdige Reisetagebuch mit, dem wir die vorstehenden Mittheilungen entnahmen. Wenn sein Auftreten als Muselman auch Caillié gehindert hatte, astronomische Beobachtungen anzustellen, und er aus demselben Grunde nicht nach Belieben zeichnen und Notizen niederschreiben konnte, so gelang es ihm doch um den Preis seiner scheinbaren Apostasie, jene fanatischen Länder zu bereisen, in denen der christliche Name mit dem Bann belegt ist.

Wie viel interessante Beobachtungen, wie viel verläßliche Einzelheiten verdanken wir ihm! Wie umfassend erweiterte er die Kenntniß vieler afrikanischer Länder! Wenn es Clapperton erst in zwei aufeinanderfolgenden Reisen gelungen war Afrika von Tripolis bis Benin zu durchziehen, so gelangte Caillié – freilich um den Preis welcher Strapazen und Entbehrungen! – in einer einzigen vom Senegal bis Marokko. Endlich war Timbuktu nun bekannt, ebenso wie der neue Weg für Karawanen durch die Wüste Sahara über die Oasen von Tafilet und El Harib.

Wir dürfen wohl annehmen, daß die Unterstützung, welche die Geographische Gesellschaft zu Paris dem Reisenden angedeihen ließ, der Preis von sechszehntausend Francs, den sie ihm ertheilte, das Kreuz der Ehrenlegion, mit dem die Regierung ihn schmückte, der herzliche Empfang seitens aller gelehrten Vereine und der ungeschmälerte Ruhm, der sich an Caillié's Namen knüpfte, den Reisenden für die physischen und moralischen Leiden, die er so standhaft ertrug, einigermaßen entschädigt haben. Er selbst erklärt ja wiederholt in seiner Reisebeschreibung, daß allein das Streben, den Ruhm Frankreichs, seines Vaterlandes, durch neue Entdeckungen zu vermehren, ihm unter den mißlichsten [151] Umständen über die Anfechtungen und Leiden, die ihn unausgesetzt verfolgten, hinweggeholfen habe. Ehre also dem ausdauernden Reisenden, dem aufrichtigen Patrioten und dem großen Entdecker!

Wir haben nun blos noch von der Expedition zu sprechen, bei welcher Alexander Gordon Laing seinen Tod fand. Bevor wir indessen die Schilderung dieser an Wechselfällen überreichen Reise beginnen, welche nur kurz ausfallen kann, da das Tagebuch der Theilnehmer verloren gegangen ist, schicken wir Einiges, sowohl über den Officier, der ihr zum Opfer fiel, als auch über den erfolgreichen Ausflug nach Timanni, Kouranko und Sulimana voraus, bei dem Laing die Quellen des Djoliba entdeckte.

Geboren zu Edinburgh im Jahre 1794, trat Laing im Alter von sechzehn Jahren in die englische Armee ein, in der er sich bald rühmlichst auszeichnete.

Im Jahre 1820 befand er sich, mit Lieutenantsrang und als Adjutant Sir Charles Maccarthys, des Generalgouverneurs von Westafrika, in Sierra Leone. Zu jener Zeit brach ein Krieg aus zwischen Amara, dem Almamy der Mandinguos, und einem von dessen vornehmsten Häuptlingen, Namens Sannassi. Der Handel von Sierra Leone stand schon damals nicht in besonderer Blüthe. Jener Krieg drohte ihm gar den Todesstoß zu versetzen. Maccarthy, der dem abzuhelfen wünschte, entschloß sich zu dem Versuche einer Vermittelung und Versöhnung zwischen den streitenden Parteien. Er gedachte zu dem Zwecke eine Gesandtschaft nach Kambia am Ufer des Scarcies und von da nach Malacury, in das Feldlager der Mandinguos, abzuschicken. Der thatenlustige Charakter Laing's, dessen Gewandtheit und bewährter Muth lenkten die Wahl des Gouverneurs auf ihn, und am 7. Januar 1822 erhielt er die betreffenden Instructionen, welche darauf hinausgingen, den Stand der Industrie des Landes, dessen Topographie zu erkunden und sich womöglich darüber aufzuklären, wie die Bewohner über die Abschaffung der Sklaverei urtheilten.

Eine erste Zusammenkunft mit Yarreddi, dem Anführer der sulimanischen Truppen, welche den Almamy begleiteten, überzeugte ihn, daß die Neger dieser Landschaft nur sehr unbestimmte Vorstellungen von europäischer Civilisation besaßen und nur selten mit Weißen in Berührung gekommen sein konnten.

»Jedes Stück unserer Kleidung, erzählt der Reisende, erregte sein höchstes Erstaunen. Als er mich die Handschuhe ablegen sah, erschrak er sichtlich, legte die Hand über den weit offen stehenden Mund und rief unaufhörlich: »Allah Akbar! (Gott der Gerechte!) er zieht sich die Haut von den Händen!«

[152] Nachdem er sich einigermaßen an unseren Anblick gewöhnt, strich er abwechselnd über das Haar Mackie's (der Laing als Arzt begleitete) und über das meinige, schlug ein lautes Gelächter auf und sagte: »Nein! Nein! Das sind gar keine Menschen!« Wiederholt fragte er meinen Dolmetscher, ob wir wirklich Knochen hätten.«


Laing erblickte den Berg Loma. (S. 158.)

Diese vorläufigen Verhandlungen, bei welchen Laing wahrgenommen hatte, daß viele Sulimas eine Menge Gold und Elfenbein besaßen, bestimmten ihn, dem Gouverneur vorzuschlagen, eine Untersuchung des Landes östlich von der [153] Kolonie vorzunehmen – ein Land, dessen Erzeugnisse und Naturproducte dem Handel von Sierra Leone ein neues Leben verleihen zu können schienen.

Maccarthy billigte Laing's Ansichten und legte diese dem Conseil vor. Man beschloß, daß Laing autorisirt werden solle, das Land der Sulimas zu bereisen und dabei nach Gutdünken denjenigen Weg einzuschlagen, der ihm für die zukünftigen Verbindungen am geeignetsten erschien.

Am 16. April schiffte sich Laing in Sierra Leone auf dem Rockelleslusse ein und gelangte bald nach Rokon, der Hauptstadt von Timanni. Sein Zusammentreffen mit dem Chef dieser Stadt war besonders heiter. Um ihm eine Ehre zu erweisen, ließ Laing, als er ihn in den zu der Verhandlung bestimmten Hof hatte eintreten sehen, eine Salve von zehn Flintenschüssen abgeben. Bei dem Krachen der Gewehre blieb der König erst stehen, wich aber sofort zurück und ergriff die Flucht, nachdem er dem Reisenden nur einen wüthenden Blick zugeworfen hatte. Es kostete viele Mühe, den ängstlichen Fürsten wieder zur Umkehr zu bewegen. Endlich trat er wieder ein, setzte sich auf einen für die Feierlichkeit besonders geschmückten Sessel und fragte den Major:

»Warum ließen Sie schießen?

– Nur Ihnen zur Ehre; in Europa werden alle Fürsten stets mit Kanonendonner empfangen.

– Warum ließen Sie die Gewehre nach der Erde richten?

– Um bei Ihnen jeder falschen Deutung unserer Absichten vorzubeugen.

– Mir sind aber dabei Steine in's Gesicht geflogen. Warum ließen Sie nicht in die Luft schießen?

– Um die Strohdächer Ihrer Häuser nicht in Brand zu setzen.

– Gut, gut, gebt mir einen Rum!«

Nach diesen beruhigenden Erklärungen des Majors gestaltete sich die Zusammenkunft überaus herzlich.

Das Bild dieses Herrschers über einen Theil von Timanni verdient aus mehr als einem Gesichtspunkte hier wiedergegeben zu werden, da in diesem Falle das Sprichwort: Ab uno disce omnes, vollste Anwendung findet.

»Ba Simera zählte neunzig Jahre; er hatte eine buntscheckige, stark gerunzelte Haut, welche eher der eines Alligators als der eines Menschen ähnlich sah; dazu besaß er dunkle, grünliche tiefliegende Augen; einen weißen verworrenen Bart, der bis zwei Fuß unter das Kinn herabreichte. Ebenso wie der König am anderen Flußufer, trug er ein Halsband aus Korallenstücken und Leopardenzähnen; [154] sein Mantel war braun und ebenso schmutzig, wie die Haut; die Beine, geschwollen wie die eines Elephanten, bedeckten baumwollene Hosen, welche ursprünglich weiß gewesen sein mochten, die aber nach mehrjährigem Gebrauche eine grünliche Farbe angenommen hatten. Als Zeichen seiner Würde hielt der Fürst einen Stock in der Hand, an dem Schellen von verschiedener Größe befestigt waren.«

Wie alle seine Vorgänger in Afrika, mußte der Reisende wegen des Durchzugsrechtes und des Lohnes für die Lastträger lange Verhandlungen führen; nur seiner Festigkeit verdankte Gordon Laing die Abminderung der Forderung der Negerkönige. Auf seinem weiteren Wege besuchte der Major dann Toma, wo man noch niemals einen weißen Mann gesehen hatte, Balandeco, Roketchnick, dessen Lage der Reisende zu 8°30' nördlicher Breite und 12°11' westlicher Länge von Greenwich bestimmte, Mabonng, jenseits eines großen Flusses, der nördlich von dem Rockelle verläuft, und Ma Yosso, die bedeutendste Stadt an der Grenze von Timanni.

Der Reisende fand in diesem Lande auch eine eigenthümliche Institution, eine Art Freimaurerbund, den man »die Pourrah« nannte und von dessen Vorhandensein sich Caillié schon an den Ufern des Rio Nunez überzeugt hatte.

»Die Macht desselben, behauptet Laing, übertrifft sogar die der Fürsten der verschiedenen Stämme. All' sein Thun und Treiben ist in Dunkel gehüllt und von tiefem Geheimniß umschleiert. Seine Maßnahmen werden ohne Prüfung von den Behörden gebilligt und seine Urtheilssprüche haben allenthalben rechtliche Geltung. Ich suchte vergeblich den Ursprung und die Veranlassung zu dieser merkwürdigen Vereinigung zu erforschen; allem Anschein nach sind dieselben den heutigen Timanniern, vielleicht den Mitgliedern der Pourrah selbst unbekannt, was in einem Lande, dem jede Ueberlieferung durch Schriften oder Lieder abgeht, ja nicht auffallen kann.«

Timanni soll nach dem, was Laing darüber erfahren konnte, in vier Districte zerfallen, deren Häuptlinge sich alle den Titel eines Königs beilegen.

Der Erdboden ist hier sehr fruchtbar und würde gewiß große Mengen von Reis, Yamswurzeln, sowie Kassavebrot, Erdnüsse und Bananen liefern, wenn die Bewohner nicht gar so träge, gleichgiltig, ausschweifend und habgierig, und vorzüglich nicht so über alle Maßen trunksüchtig wären.

»Meiner Ansicht nach, sagt Laing, würden z. B. Hacken, Dreschflegel, Rechen Schaufeln und andere Geräthe zum gewöhnlichen Gebrauche bei diesem[155] Volke willigen Absatz finden, wenn man sich die Mühe nähme, die Leute über die Verwendung derselben zu belehren. Diese Dinge dürften ihrem und unserem Interesse förderlicher sein, als Gewehre, aufgekrempte Hüte und Scharlachkleider, welche man ihnen jetzt ausschließlich zu liefern pflegt.«

Trotz dieses menschenfreundlichen Wunsches des Reisenden, hat sich hierin doch auch bis heute noch nichts geändert. Die Neger huldigen noch derselben Leidenschaft für starke Liqueure und auch jetzt sieht man ihre Duodezfürsten, welche Hüte, ähnlich den Windbälgen der Accordions, auf dem Kopfe tragen, ohne Hemd, wohl aber mit blauen, mit kupfernen Knöpfen besetzten Röcken geschmückt; ja, diese Kleidung vertritt bei ihnen sogar die Rolle des eigentlichen Festgewandes. Das Gefühl der Mutterliebe scheint bei den Weibern des Landes nicht besonders entwickelt; wenigstens boten dem Reisenden zwei Frauen ihre Kinder zum Verkaufe an und überhäuften ihn mit Schimpfreden, weil er darauf nicht eingehen wollte. Einige Tage später erhob sich sogar ein wahrer Tumult gegen Laing als einen der Weißen, deren Unterdrückung des Sklavenhandels das Gedeihen des Landes empfindlich geschädigt hätte.

Die erste Stadt, der man bei dem Eintritt nach Kouranko begegnet, ist Ma Boum. Wir können nicht umhin, hier beiläufig Major Laing's Empfindungen mitzutheilen, welche der erste Anblick der Thätigkeit ihrer Einwohner in ihm erregte.

»Ich zog bei Sonnenuntergang in die Stadt ein, erzählt er, und erhielt bezüglich der Einwohner derselben sofort einen recht günstigen Eindruck. Jene kamen von der Arbeit zurück; man sah es ihnen an, daß Alle den Tag über thätig gewesen waren. Die Einen hatten die Felder zur bevorstehenden Ernte, welche die bald zu erwartenden Regen noch begünstigen sollte, bearbeitet; Andere trieben Heerden in ihre Umzäunung, von denen jedes Thier durch das glatte, weiche, gute Aussehen dafür zeugte, daß sie sich auf fetten Weiden gütlich gethan hatten. Eben verhallte der letzte Hammerschlag des Schmiedes; der Weber maß das Leinwandstück, das er seit dem Morgen gefertigt, und der Gerber ordnete seine Messer und übrigen gewerblichen Hilfsmittel und barg sie in einem Sacke. Am Eingange der Moschee stand der Muezzin, der mit ernster Stimme und in gemessenen Intervallen sein »Allah Akhbar« wiederholte und die gläubigen Muselmanen zum Abendgebete rief.«

Wenn ein Marilhat oder Henri Regnault dieses Bild zeichneten und dazu eine Landschaft, in der der letzte Sonnenglanz mit dem grünlichen und röthlichen[156] Abendschein verschmilzt, dann könnte man wohl den so oft gebrauchten Titel, »Rückkehr vom Felde«, auch für diese Darstellung als Unterschrift anwenden.

»Dieser Anblick, fährt der Reisende fort, bildete im Verein mit der umgebenden Natur und dem Gefühle, das er erregte, einen recht wohlthuenden Gegensatz im Vergleich mit dem Lärmen und der Verwirrung, die zur nämlichen Stunde gewöhnlich in einer timannischen Stadt herrschen; doch darf man sich vom Schein auch hier nicht blenden lassen, und ich muß zu meinem Leidwesen hinzufügen, daß das Auftreten der Kourankonier die gute Meinung keineswegs bestätigte, welche ich zuerst von ihnen gewonnen hatte.«

Der Reisende begab sich nun nach Koufoula, wo er recht freundlich aufgenommen wurde, zog durch ein schönes Land, dessen Hintergrund die Berge von Kouranko bildeten, und rastete in Simera, wo der Chef der Stadt dem »Guiriot« befahl, die Ankunft des Reisenden durch Gesang zu verherrlichen; die schlecht gebauten und erbärmlich mit Stroh abgedeckten Häuser ließen hier aber überall den Regen durchdringen, so daß Laing nach einem Gewitter, da der Rauch aus den Wohnräumen auch nur durch jene engen Zwischenräume im Dache abziehen konnte, nach seinen eigenen Worten, weit mehr einem halbgereinigten Schornsteinfeger ähnlich aussah, als dem weißen Fremdling des Königs von Simera.

Laing suchte von hier aus die Quelle des Tongotelle, eines Nebenarmes des Rockelle, auf und verließ dann Kouranko, um nach Sulimana weiter zu ziehen.

Kouranko, von dem der Reisende übrigens nur das Grenzgebiet berührte, hat eine bedeutende Ausdehnung und zerfällt in viele kleine Staaten.

Der Sprache und der Kleidung nach ähneln die Bewohner den Mandinguos, sind aber nicht so gut gewachsen und so intelligent wie Letztere. Sie bekennen sich nicht zum Islam, glauben dagegen unerschütterlich an ihre »Grigris«.

Daneben sind sie übrigens fleißig und verstehen zu nähen und zu weben. Den Hauptgegenstand ihres Handels aber bildet das Rosenholz oder »Cham«, das sie nach der Küste schaffen. Die Landeserzeugnisse sind etwa dieselben wie in Timanni.

Komia, unter 9°22' nördlicher Breite, ist von hier aus die erste Stadt von Sulimana. Laing besichtigte Semba, eine reiche und stark bevölkerte Ortschaft, wo ihm Musikanten entgegen kamen, die ihn mit mehr ohrbetäubenden als harmonischen Fanfaren empfingen, und gelangte endlich nach Falaba, der Hauptstadt des Landes.

[157] Der König überhäufte ihn daselbst mit Ehrenbezeugungen. Er hatte z. B. eine große Anzahl Truppen zusammengezogen, über welche er gleichsam Revue abnahm und die er verschiedene Manöver ausführen ließ, während das Rasseln von Trommeln, der schrille Ton der Geigen und anderer landeseigenthümlicher Instrumente das Ohr des Reisenden zermarterten. Dann traten nach einander verschiedene »Guiriots« auf, die sich in Lobgesängen des Königs überboten oder die Ankunft des Reisenden feierten, indem sie die glücklichen Folgen hervorhoben, welche sie von seinem Erscheinen für das Gedeihen des Landes und das Aufblühen des Handels erwarteten.

Laing benutzte den günstigen Augenblick, um sich vom Könige die Erlaubniß zum Besuche der Nigerquellen zu erbitten. Dieser machte nur wiederholte Einwürfe wegen der Gefahren eines solchen Zuges; da der Reisende aber bei seiner Bitte beharrte, ertheilte er ihm, »wenn denn sein Herz so sehr nach dem Wasser lechze«, endlich die Erlaubniß dazu.

Laing war noch nicht zwei Meilen von Falaba entfernt, als die Genehmigung zurückgezogen wurde, und er mußte auf diesen Ausflug, dem er mit Recht hohen Werth beilegte, verzichten.

Einige Tage nachher erhielt er dagegen die Erlaubniß, die Quelle des Rochelle oder Sale Kongo aufzusuchen, von dem man vor ihm nur den Lauf jenseits Rokon ein wenig kannte.

Von dem Gipfel eines Felsens aus erblickte Laing den Berg Loma, den höchsten der großen Kette, zu der er gehörte.

»Man zeigte mir aus der Entfernung, sagt er, die Stelle, wo der Niger entspringt; er schien mit meinem damaligen Standpunkt in gleicher Höhe, das heißt tausendsechshundert Fuß über dem Meere, zu liegen, denn die Quelle des Rochelle, deren Höhe ich eben gemessen hatte, lag schon tausendvierhundert Fuß darüber. Da ich die Lage von Konkodongore und die Höhe, auf der ich mich befand, die erste durch Beobachtung, die letztere durch Schätzung bestimmt hatte, war es mir nicht schwer, die Lage des Loma zu berechnen. Ich werde nicht weit fehl greifen, wenn ich für die Quellen des Niger 9°25' nördlicher Breite 9°45' westlicher Länge annehme.«

Drei Monate lang hatte Major Laing sich in Sulimana aufgehalten und zahlreiche Ausflüge unternommen. Die Landschaft bietet hier einen höchst pittoresken Anblick mit schönen Hügeln, geräumigen Thälern und fruchtbaren Wiesen, welche von dichten Wäldern oder einzelnen Baumgruppen eingefaßt sind. Der[158] Boden giebt reichlichen Ertrag und verlangt nur wenig Bearbeitung; er liefert stets gute Ernten und der Reis gedeiht vortrefflich. Ochsen und Kühe, Schafe, Ziegen, kleineres Geflügel und einige Pferde bilden die Hausthiere der Sulimanas. Von wilden Thieren findet man Elephanten, Büffel, eine Art Antilope, Affen und Leoparden in großer Anzahl.

Falaba, dessen Name von Fala Ba, dem Flusse, an dem die Stadt liegt, herzuleiten ist, mißt etwa anderthalb Meilen in der Länge und eine Meile in der Breite. Die Häuser daselbst stehen, im Vergleich zu denen anderer Städte Afrikas, ziemlich dicht bei einander, und die Stadt mag gegen sechstausend Bewohner zählen.

Ihre Lage als befestigter Platz ist recht gut gewählt. Erbaut auf einer Bodenerhebung inmitten einer, während der Regenzeit gänzlich überschwemmten Ebene, umschließt sie eine Palissade aus sehr hartem Holze, die allen Kriegsmaschinen jener Völker hinreichenden Widerstand leistet.

Wunderbarer Weise scheinen in diesem Lande Männer und Frauen die gewohnten Beschäftigungen geradezu vertauscht zu haben. Mit Ausnahme des Einsäens und der Ernte fallen den Letzteren alle Feldarbeiten zu; sie erbauen die Häuser, betreiben das Maurerhandwerk oder sind Barbiere und Wundärzte; die Männer dagegen besorgen die Milchwirthschaft, melken die Kühe, nähen und reinigen die Wäsche.

Am 17. September brach Laing wieder nach Sierra Leone auf; er brachte vom Könige Geschenke mit und erreichte, nachdem ihn eine große Strecke weit eine zahlreiche Volksmenge das Geleit gegeben hatte, ohne Unfall die englische Niederlassung.

Laing's Zug nach Timanni, Kouranko und Sulimana entbehrt immerhin nicht eines gewissen Werthes. Er eröffnete uns Länder, welche bis dahin noch keines Europäers Fuß betreten hatte, und unterrichtete uns über die Sitten, Erwerbszweige und den Handel der Einwohner ebenso wie über die Naturproducte jener Gegenden. Gleichzeitig wurde der Lauf und die Quelle des Rochelle erforscht und man erhielt zum ersten Male Kunde von der Quelle des Djoliba (Niger). Wenn der Reisende dieselbe auch nicht mit eigenen Augen gesehen, so befand er sich doch nahe genug, um ihre Lage annähernd richtig angeben zu können.

Die Resultate, welche Laing mit dieser Reise erzielt hatte, gaben seinem Eifer für weitere Entdeckungen nur einen verstärkten Anstoß. Er beschloß also,[159] den Versuch zu wagen, bis Timbuktu vorzudringen. Am 17. Juni 1825 schiffte sich der Reisende von Malta nach Tripolis ein und verließ diese Stadt mit einer Karawane, zu welcher auch Hatita, ein Targhi-oder Touaregfürst und Freund des Kapitän Lyon, gehörte, der ihn bis Tuat begleitete. Nachdem er zwei volle Monate in Ghadames verweilt, verließ Laing diese Oase im October und wandte sich nach Inçalah, dessen Lage er viel westlicher bestimmte, als man bisher angenommen hatte. In dieser Oase hielt sich der Major vom November 1825 bis zum Januar 1826 auf, gelangte dann nach Ouadi Touat, wollte von hier aus nach Timbuktu gehen, den Djenne- oder Dibbie-See besuchen, das Land Melli in Augenschein nehmen und dem Laufe des Djoliba bis zu dessen Mündung folgen. Dann gedachte er bis Sokatu zurückzukehren, den Tchad-See zu berühren, und hoffte von hier aus bis zum Nil zu gelangen. Es war, wie man erkennt, ein weit angelegtes Project, dessen Durchführung freilich vielen Gefahren und Wechselfällen begegnen mußte.

Als die Karawane, der sich Laing angeschlossen, Touat verlassen hatte, wurde sie, nach Aussage der Einen von Tuaregs, nach der von Anderen von Berbichen, einem in der Nähe des Djoliba hausenden Stamme, überfallen.

»Laing, den man als Christen erkannte, erzählt Caillié, der diese Nachrichten in Timbuktu sammelte, wurde entsetzlich mißhandelt; man schlug ihn mit Stöcken, bis er scheinbar todt dalag. Ein anderer Christ, ich glaube jedenfalls ein Diener des Majors, wurde wirklich durch Stockhiebe getödtet. Die Mauren aus der Karawane Laing's hoben jedoch dessen Körper auf und es gelang ihrer Sorgfalt, ihn in's Leben zurückzurufen. Sobald er das Bewußtsein wieder erlangt hatte, brachte man ihn auf sein Kameel, wo er festgebunden werden mußte, da er sich vor Schwäche unmöglich halten konnte. Die Räuber hatten ihm so gut wie nichts gelassen; der größte Theil seiner Waaren war ihm entführt worden.«

In Timbuktu am 18. August 1826 angelangt, erholte sich Laing allmählich von seinen Wunden. Die Wiedergenesung ging zwar nur langsam von Statten, doch ließen ihn wenigstens die Bewohner der Stadt in Frieden, was er wohl den von Tripolis mitgebrachten Empfehlungsbriefen und der aufmerksamen Fürsorge seines Wirthes verdankte, der selbst aus Tripolis stammte.

Nach dem, was ein Greis Caillié mittheilte, hatte Laing – ein Umstand, der höchst auffallend erscheint – die europäische Kleidung nicht abgelegt und sich überall als Abgesandten des Königs von England, seines Herrn, erklärt, der Timbuktu besuchen und die in dieser Stadt vermutheten Wunder beschreiben sollte.


Der Berg Kesa. [Facsimile. Alter Kupferstich.] (S. 169.)

»Es scheint, fügt der französische Reisende hinzu, als habe Laing den Plan derselben vor Aller Augen aufgenommen, denn der Maure erzählte mir in seiner naiven und treffenden Ausdrucksweise, daß er die [160] ganze Stadt mit Allem, was darin war, »geschrieben« habe.«

Nachdem er Timbuktu eingehend besichtigt, ging Laing, der alle Ursache hatte, den Tuaregs zu mißtrauen, während der Nacht nach Cabra, um den [161] Djoliba zu besuchen. Statt nach Europa durch die große Wüste zurückzukehren, wollte der Major lieber über Djenne und Sego nach den französischen Besitzungen am Senegal reisen; kaum ließ er darüber aber ein Wort gegen die ihn in Menge begleitenden Foulahs fallen, als diese erklärten, nicht zugeben zu dürfen, daß ein »Nazarener« den Fuß auf ihr Gebiet setze, und sie, wenn er es doch wagen sollte, es ihm schon zu verleiden wissen würden.

Laing mußte also den Weg nach El Arouan einschlagen, wo er eine maurische Karawane zu treffen hoffte, welche Salz nach Sansanding beförderte. Er hatte Timbuktu jedoch kaum seit fünf Tagen mit der Karawane, an der er theilnahm, verlassen, als diese von dem fanatischen Scheikh Hamed ould Habib, dem Häuptling eines Stammes der Zaonats, überfallen wurde. Laing fesselte man sofort unter dem Vorwande, er habe das Gebiet des Stammes ohne Erlaubniß betreten. Zur Sühne sollte er sich zum Islam bekennen, welche Zumuthung der Major auf das Bestimmteste verweigerte. Der Scheikh und seine Helfershelfer beriethen auf der Stelle über die Bestrafung ihres Gefangenen, und dieser wurde von zwei Sklaven erdrosselt, sein Leichnam aber in der Wüste liegen gelassen.

Das war Alles, was Caillié durch Erkundigungen an Ort und Stelle kaum ein Jahr später über den Tod des Major Laing erfahren konnte. Wir haben dem nur Einiges aus dem Jahresberichte der Geographischen Gesellschaft hinzugefügt, denn mit dem Reisenden sind auch seine Reisetagebücher, gleichzeitig mit allen astronomischen Beobachtungen verloren gegangen.

Im Vorhergehenden wurde schon erwähnt, wie es Major Laing gelang, annähernd die Lage der Djoliba-Quelle zu bestimmen. Wir schilderten auch die Versuche Mungo Park's und Clapperton's, den Mittellauf jenes Stromes zu erforschen. Jetzt ist also nur noch von den, zum Zweck der Untersuchung des Unterlaufes und der Mündung desselben ausgeführten Reisen zu berichten. Den ersten und wichtigsten Schritt in dieser Richtung that Richard Lander, der frühere Diener Clapperton's.

Richard Lander und sein Bruder John hatten der englischen Regierung angeboten, sich zur Erforschung des Niger bis zu dessen Ausmündung nach Afrika zu begeben. Jene nahm ohne Zögern das Erbieten an, und die beiden Brüder schifften sich auf einem Kriegsfahrzeuge nach Badagry ein, wo sie am 19. März 1830 landeten. Der Beherrscher des Landes, Adouly, den Richard Lander von früher her in bestem Andenken hatte, war eben sehr traurig gestimmt.

[162] Seine Hauptstadt hatte man niedergebrannt; seine Anführer und besten Soldaten waren im Kampfe gegen die Lagos gefallen und er selbst nur mit genauer Noth dem Feuer entgangen, das sein Haus und seine Reichthümer verzehrte.

Jetzt galt es ihm, seinen Schatz auf's Neue zu füllen; er beschloß das auf Kosten der Reisenden zu thun. Zunächst erhielten diese die Genehmigung zu einem Zuge in das Landesinnere nur gegen Abtretung aller ihrer kostbarsten Waaren. Außerdem mußten sie sich zur Bezahlung für ein Kanonenboot mit hundert Mann, für zwei Fäßchen Rum, zwanzig Barils Pulver und verschiedene andere Waaren verpflichten, obwohl sie wußten, daß der ebenso habgierige wie trunksüchtige Fürst diese niemals liefern würde.

So wie der Herrscher mit dem schlimmsten Beispiele voranging, thaten es ihm dessen Unterthanen möglichst gleich, betrachteten die Engländer als gute Beute und benutzten jede Gelegenheit, sie zu berauben.

Am 31. März endlich konnten Richard und John Lander Badagry verlassen. Sie zogen über Wow, eine bedeutende Stadt, über Bidjie, wo Pearce und Morrison bei der vorhergehenden Expedition krank geworden waren, ferner über Jenna, Chow, Egga, lauter von Clapperton früher besuchte Ortschaften, über Engua, wo Pearce mit Tode abging, Asinara, die erste ihnen begegnende Stadt mit Umfassungsmauern, Bohu, die alte Hauptstadt von Yarriba, Jaguta, Leoguadda, Itcho mit weitberühmtem Markte, und gelangten, geführt von einer, ihnen vom Könige entgegengesandten Begleitmannschaft, am 13. Mai nach Katunga.

Nach herkömmlicher Sitte machten die Reisenden, bevor sie vom Könige empfangen wurden, an einem Baume Halt. Bald begaben sie sich aber, des Wartens müde, nach der Wohnung Ebo's, des Chefs der Eunuchen und der einflußreichsten Persönlichkeit am Hofe des Fürsten. Mansolah, so hieß der Letztere, empfing sie unter einem Höllenlärmen von Cymbeln, Trompeten und Pauken, aber so wohlwollend, daß er Ebo befahl, Jedem den Kopf abschlagen zu lassen, der es wagen würde, die Reisenden zu belästigen.

Da John und Richard Lander aber trotzdem fürchteten, Mansolah werde sie nur bis zum Eintritt der Regenzeit hier aufzuhalten suchen, erwähnten sie, auf Ebo's Rath, dem Könige nichts von ihrer Absicht, den Niger zu erreichen. Sie gaben nur vor, es sei Einer ihrer Landsleute vor zwanzig Jahren in Boussa gestorben, und der König von England habe sie an den Sultan von Yaourie abgesendet, um nach den Papieren des Verschollenen zu suchen.

[163] Obwohl Mansolah die Gebrüder Lander nicht mit derselben Auszeichnung, wie früher Clapperton, behandelte, ließ er sie doch, acht Tage nach ihrer Ankunft, unbehelligt weiter ziehen.

Von der weitläufigen Originalschilderung der Stadt Katunga und von Yarriba überhaupt geben wir hier nur folgenden kurzen Abschnitt wieder:

»Hinsichtlich des Reichthums und der Volksmenge entsprach Katunga keineswegs unseren Erwartungen. Die weite Ebene, in welcher die Stadt liegt, steht, wenn sie auch recht schön zu nennen ist, an Fülle der Vegetation, Fruchtbarkeit und malerischen Fernsichten dem minder gerühmten und doch so herrlichen Lande Bohu gegenüber wesentlich zurück. Der Markt hier ist zwar so leidlich ausgestattet, Alles ist aber ausnehmend theuer. Die niedrigen Volksclassen müssen auf thierische Nahrung so gut wie ganz verzichten, oder sich mit dem widerwärtigen Fleische von Insecten, Reptilien und Würmern begnügen.«

Bei der Sorglosigkeit Mansolah's und dem schwächlichen Kleinmuthe seiner Unterthanen, ist es den Fellans oder Fellatahs gelungen, sich in Yarriba festzusetzen, in den befestigten Städten zu verschanzen und dort die Anerkennung ihrer Oberhoheit zu erzwingen, bis sie sich voraussichtlich einst die Herrschaft über das Land überhaupt anmaßen werden.

Die Gebrüder Lander reisten hierauf über Atoupa, Bumbum, eine Stadt, welche von den Kaufleuten aus Haoussa, Borgou und anderen Ländern, die mit Gonja über Kishi, an der Grenze von Yarriba, Handel treiben, häufig besucht wird, und über Moussa am gleichnamigen Flusse.

Jenseits dieser Stadt trafen sie wieder eine Escorte, welche der Sultan von Borgou ihnen entgegengeschickt hatte.

Der Sultan Yarro empfing die Reisenden mit allen Zeichen von Befriedigung und Wohlwollen und schien vorzüglich erfreut, Richard Lander wiederzusehen.

Obwohl er dem Islam huldigt, nährt dieser Herrscher doch noch immer den alten Aberglauben seiner Vorväter. Fetische und Grigris hingen an seiner Thür und in einer der Hütten stand ein viereckiger Sessel, dessen Vorder- und Rückseite von vier menschlichen, aus Holz geschnittenen Figuren getragen wurden.

Was die Bevölkerung von Borgou angeht, so weicht diese bezüglich der Natur, Sitten und Gewohnheiten von den Yarribanis sehr wesentlich ab.

»Die Letzteren, so heißt es in dem Berichte, sind fast immer unterwegs von einer Stadt zur anderen; die Ersteren verlassen ihre Wohnstätten nie, [164] außer im Kriege oder wenn sie auf Raub ausziehen. Die Einen sind feig, aber großprahlerisch, die Anderen kühn, muthig, unternehmend, voller Energie und befinden sich nur wohl, wenn sie einen Streit auszukämpfen haben. Die Yarribanis erscheinen im Allgemeinen sanft, ruhig, höflich und ehrsam, aber kalt und theilnahmslos; die Borgounis dagegen hochmüthig, stolz, zu eitel, um höflich, und zu scheu, um ehrlich zu sein; sie haben durchweg eine leidenschaftliche Natur, und sind ebenso ungestüm in ihrer Liebe wie unversöhnlich im Hasse.«

Am 17. Juni sahen die Reisenden endlich die Stadt Boussa. Sie erstaunten nicht wenig, dieselbe auf dem Festlande liegend zu finden und nicht auf einer Insel, wie Clapperton angegeben hatte. Von Westen her zogen sie durch das Thor ein und wurden sofort dem Könige und der »Midiki«, das ist der Königin, vorgeführt, welche ihnen versicherten, noch an demselben Morgen das Schicksal Clapperton's beweint zu haben.

Der erste Besuch der Gebrüder Lander galt natürlich dem Niger oder Quorra, der am Fuße der Stadt vorüberfließt.

»Der Anblick des berühmten Flusses, erzählt der Reisende, wirkte auf uns geradezu enttäuschend. Schwarze, zerklüftete Felsen ragen aus der Mitte desselben empor und verursachen an der Oberfläche vielfache Wirbel und einander kreuzende Strömungen. Man versicherte uns, daß der Fluß oberhalb Boussa durch zwei fruchtbare Inseln in drei Arme getheilt sei, dann aber bis Funda ein einziges Bett habe. Hier ist der Niger an keiner Stelle über einen Steinwurf breit. Der Felsblock, auf dem wir uns befanden, liegt oberhalb der Stelle, wo Mungo Park mit seinen Gefährten den Tod fand.«

Richard Lander erkundigte sich anfänglich nur sehr behutsam nach den Büchern und Papieren, welche von Mungo Park's Reise her vielleicht noch vorhanden sein könnten. Ermuthigt durch das Wohlwollen des Königs aber, entschloß er sich, diesen selbst darüber zu befragen. Der Sultan war zu jener Zeit freilich noch zu jung gewesen, um zu wissen, was sich unter der Regierung des vorletzten Herrschers begeben hatte; er bot jedoch Alles auf, die etwaige Hinterlassenschaft des berühmten Reisenden aufzufinden.

»Im Laufe des Nachmittags, schreibt Lander, kam der König zu uns mit einem Manne, der ein Buch auf dem Arme trug, das nach unseres Landsmannes Schiffbruche auf dem Flusse schwimmend angetroffen worden sein sollte. Ein Stück Baumwollenstoff umhüllte dasselbe, und unsere Herzen schlugen lauter, als der Mann denselben langsam abwickelte, denn das Format des Buches ließ [165] darauf schließen, daß es Mungo Park's Tagebuch sein könne. Desto niederschlagender wirkte die Entdeckung, als wir in dem Funde nichts als ein altes nautisches Werk aus dem vorigen Jahrhundert erkannten.«

An eine Wiederauffindung des Tagebuches des Reisenden war nun kaum noch zu denken.

Am 23. Juni verließen die Gebrüder Lander Boussa voller Erkenntlichkeit für den König, der sie reichlich beschenkt und, aus Furcht vor Vergiftungsversuchen, gewarnt hatte, von Niemand Speisen anzunehmen, als von den Gouverneuren der Städte, durch welche sie kämen. Sie gingen nun zu Lande am Niger bis Kagogie hinauf, wo sie sich in einem landesüblichen gebrechlichen Canot einschifften, während ihre Pferde nach Yaourie weiter geführt wurden.

»Wir mochten kaum einige hundert Toisen zurückgelegt haben, sagt Richard Lander, als sich der Fluß allmählich erweiterte; soweit wir sehen konnten, maß derselbe wenigstens zwei Meilen von einem Ufer zum andern. Er bot ganz den Anblick eines breiten, künstlich angelegten Kanals, so umschlossen sein Bett lothrechte, aber nicht sehr hohe Wände, über denen sich üppige Vegetation zeigte. Das an manchen Stellen nur sehr seichte Wasser ist an anderen tief genug, um eine Fregatte zu tragen. Kaum läßt sich ein pittoreskerer Anblick denken, als ihn die Bilder darboten, welche wir während der ersten Stunden erblickten; die beiden Ufer waren buchstäblich von Weilern und Dörfern überdeckt. Ringsum neigten sich mächtige Baumriesen unter der Last ihrer Blätterkronen, deren dunkler Ton, eine Erquickung für die von der Sonne geblendeten Augen, mit dem schillernden Grün der Hügel und Ebenen angenehm contrastirte. Plötzlich aber veränderte sich die Scene. An Stelle des niedrigen, thonigen, geradlinigen Ufers traten schwarze, zerrissene Felsen, und der weite Spiegel, der das Bild des Himmels zurückwarf, wurde durch zahllose Sandbänke in tausend kleine Kanäle getheilt.«

Etwas weiterhin stellte sich dem Strome eine dunkle Felswand so weit entgegen, daß nur eine enge Oeffnung blieb, durch welche sich die schäumende Wassermasse drängte. Oberhalb dieser so gut wie unbefahrbaren Stelle nimmt der Niger seinen ruhigen majestätischen Lauf wieder an.

Nach dreitägiger Fahrt erreichten die Reisenden ein Dorf, wo ihre Leute und Pferde sie erwarteten. Sie zogen nun ohne Aufenthalt durch ein allmählich emporsteigendes Land nach der Stadt Yaourie. Hier wurden die Gebrüder Lander in einer Art Landgut von dem Sultan, einem dicken, schmutzigen und widerlichen [166] Menschen, der das gute Leben zu lieben schien, empfangen. Sehr ungehalten darüber, daß Clapperton ihn nicht besucht und bei der Rückreise auch Richard Lander es vermieden habe, ihm seine Aufwartung zu machen, erwies sich dieser Sultan wirklich empörend habgierig. Er wollte den Reisenden nicht einmal die nöthigsten Provisionen liefern lassen und versuchte, sie durch allerlei Ränke und Schliche möglichst lange zurückzuhalten.

Hierzu nehme man noch, daß in Yaourie alle Lebensmittel sehr theuer waren und Richard Lander an Tauschwaaren nichts mehr besaß als Nadeln, »welche garantirt superfein waren, den Faden nicht zu durchschneiden« – ohne Zweifel deshalb, weil sie überhaupt kein Oehr hatten, um einen Faden durch dasselbe ziehen zu können. So mußten die Reisenden auch diese als werthlos wegwerfen.

Dagegen machten sie ein gutes Geschäft mit mehreren alten Zinnbüchsen, welche Bouillontafeln enthalten hatten, und deren Etiquetten, obwohl sie fettig und schmutzig waren, den Eingebornen ausnehmend gefielen. Einer der Letzteren erzielte an einem Markttage ganz besonders günstige Erfolge, weil er am Kopfe nach vier Seiten hin die Aufschrift trug: »Ausgezeichnete concentrirte Bouillon«.

Da er die Engländer weder nach Nyffe noch nach Bornu ziehen lassen wollte, erklärte der Sultan von Yaourie, daß ihnen nichts übrig bleibe, als nach Boussa zurückzukehren. Richard Lander ersuchte in Folge dessen brieflich sofort den König der letzten Stadt um die Erlaubniß, ein Boot ankaufen zu dürfen, um nach Funda zu fahren, da das Land von Fellans überschwemmt sei, welche Alle schonungslos plünderten.

Am 26. Juli endlich traf ein Bote des Königs von Boussa ein, um sich über das auffallende Verfahren des Sultans von Yaourie und die Gründe zu unterrichten. warum er die Rückkehr der Engländer nach Boussa verzögerte. Nach fünfwöchentlicher Gefangenschaft endlich konnten die Gebrüder Lander die Stadt, welche jetzt fast ganz unter Wasser stand, verlassen.

Sie fuhren nun den Niger bis zu der Einmündung der Cubbie hinauf und begaben sich dann nach Boussa, wo der König, erfreut sie wiederzusehen, sie mit aufrichtiger Herzlichkeit aufnahm. Immerhin wurden sie hier länger, als in ihrer Absicht lag, aufgehalten, theils durch einen Besuch, den sie dem Könige von Wowou abstatten mußten, theils in Folge der Schwierigkeiten, sich eine Barke zu verschaffen. Dazu kam die Verzögerung, welche die vom Könige von Boussa an die Fürsten der am Strome siedelnden Völkerstämme gesendeten Boten [167] erfuhren, und endlich die Anfrage an den »Beken rouah« (das schwarze Wasser), der die Reisenden heil und gesund bis zum Meere zu führen versprach.

Beim Abschiede von dem Könige konnten die beiden Brüder nicht umhin, ihm ihren Dank auszusprechen für sein Wohlwollen, seine Gastfreundschaft und Aufmerksamkeit, seine Beflissenheit, ihre Interessen zu wahren, und für den Schutz, den er ihnen unausgesetzt hatte angedeihen lassen, während sie sich in Allem fast zwei Monate in seiner Hauptstadt aufgehalten hatten. Auch die Eingebornen bedauerten offenbar die Trennung, denn sie warfen sich, als die bei den Lander fortzogen, in die Kniee und riefen mit gen Himmel erhobenen Händen den Schutz ihrer Götter für die Fremdlinge an.

Nun begann die Thalfahrt auf dem Niger. Gleich anfangs mußten die Reisenden bei der kleinen Insel Melalie anhalten, deren Häuptling ihnen eine wohlgenährte Ziege anbot, ein Geschenk, das sie natürlich gern annahmen. Die beiden Lander kamen nachher nach der großen Stadt Congi, dem Songa Clapperton's, ferner nach Inguazilligie, dem Kreuzungspunkte der Wege aller Händler, welche nach Nyffe und den im Nordosten von Borgou gelegenen Ländern ziehen oder von da zurückkehren, und landeten an Patashie, einer großen, reichen, wunderschönen Insel, welche mit Palmenhainen und anderen prächtigen Baumarten bedeckt war.

Da sie sich hier nicht weit von Wowou befanden, sandte Richard Lander einen Boten an den König dieser Stadt, der sich weigerte, das für seine Rechnung erkaufte Boot zu liefern. Der Bote vermochte nichts auszurichten und die Reisenden mußten sich selbst zu dem Fürsten begeben, erhielten aber, wie sich erwarten ließ, ebenfalls nur nichtssagende Ausreden als Antwort. Jetzt blieb ihnen nichts Anderes übrig, als die ihnen in Patashie nur geliehenen Boote zu stehlen. Am 4. October setzten sie nach fortdauernder Verzögerung endlich die Fahrt fort und verloren bei der raschen Strömung bald Lever oder Layaba sammt seinen elenden Einwohnern aus dem Gesichte.

Nahe diesem Orte steigen die Uferwände des Flusses fast lothrecht gegen vierzig Fuß hoch an. Die ohne Hindernisse dahinströmende Wassermasse hält die Richtung genau nach Süden.

Die erste Stadt, welche die beiden Brüder nun trafen, war Bajiebo, eine ausgedehnte Ortschaft, die hinsichtlich der Unsauberkeit, des Lärmens und der dort herrschenden Unordnung kaum ihresgleichen finden dürfte. Dann kamen sie nach dem von Nyffenern bewohnten Litchie und nach Madjie, wo sich der Niger in drei Arme spaltet. [168] Nach Verlauf einiger Minuten, eben als sie eine neue Insel passirten, sahen die Reisenden plötzlich einen zweihunderteinundachtzig Fuß hohen Felsen vor sich, den Kesa oder Kesy, der senkrecht aus dem Wasser emporsteigt. Von den Eingebornen wird derselbe hoch verehrt, weil diese annehmen, daß ein guter Geist jenen als Lieblingswohnstätte erwählt habe.

Ein wenig vor Rabba, bei der Insel Bili, erhielten die Gebrüder Lander den Besuch des Königs »des schwarzen Wassers«, des Herrschers auf der Insel Zangoshie, der ein Canot von außerordentlicher Länge, ungewöhnlicher Sauberkeit [169] und geschmückt mit scharlachrothem Tuch und goldenen Treffen benutzte. Am nämlichen Tage erreichten sie die Stadt Zangoshie, gegenüber von Rabba und nach Sokatu die zweite Stadt der Fellans.


Sie wären fast versenkt worden (S. 171).

Der König in dieser Stadt, Mallam Dendo, war ein Vetter Bello's, ein blinder schwächlicher Greis mit zerrütteter Gesundheit; überzeugt, daß er nur noch wenige Jahre zu leben habe, hatte er keine andere Sorge, als die, den Thron seinem Sohne zu sichern.

Obwohl er Geschenke von ziemlichem Werthe erhalten, zeigte sich Mallam Dendo doch sehr unzufrieden und erklärte, daß er, wenn ihm die Reisenden nicht nützlichere und werthvollere Geschenke machten, ihre Gewehre, Pistolen und Pulver beanspruchen werde, wenn sie von Zangoshie wegreisen wollten.

Richard Lander wußte sich kaum zu helfen, als durch das Angebot der »Tobe« (des Rockes) Mungo Park's, den ihm der König von Boussa hatte aushändigen lassen, was Mallam so außerordentlich entzückte, daß er sich zum Beschützer der Europäer erklärte und Alles aufzubieten versprach, sie bis zum Meere zu schaffen, und sie gleichzeitig mit bunten geflochtenen Gerten, zwei Säcken Reis und einem Bananenzweige beschenkte. Diese Zugabe kam gerade zur rechten Zeit, denn ihr ganzer Vorrath an Tuch, Spiegeln, Scheermessern und Pfeifen war erschöpft, und die Engländer besaßen nichts mehr wie Nadeln und einige silberne Armspangen zur Vertheilung an die Häuptlinge, welche sie längs des Nigers treffen würden.

»Von Zangoshie aus gesehen, sagt Lander, erweckt der Anblick von Rabba die Vorstellung von einer sehr großen, schönen, reinlichen und gut gebauten Stadt, welche nicht zur Vertheidigung eingerichtet, also auch ohne Mauern ist. Sie liegt unregelmäßig am Abhange eines Hügels, dessen Fuß der Niger bespült. An Ausdehnung, Bevölkerung und Reichthümern bildet sie die zweite Stadt der Fellans. Die Einwohner sind ein Gemisch von Fellans, Nyffenen, Ausgewanderten und Sklaven aus verschiedenen Ländern. Sie steht unter der Oberhoheit eines Gouverneurs, der den Titel König oder Sultan führt. Rabba ist berühmt durch sein Getreide, Oel und schönen Honig. Als unsere Leute den Markt daselbst besuchten, schien derselbe reichlich mit Rindvieh, Pferden, Maulthieren, Eseln, Schafen, Ziegen und Geflügel versehen. Von allen Seiten bot man Reis, Getreide, Baumwolle, Tuche, Indigo, Geschirre und Zügel aus gelbem oder rothem Leder, Schuhe, Stiefel und Sandalen an. Zweihundert Sklaven, welche schon am Morgen angeboten wurden, waren auch am Abend nicht [170] verkauft. Als gewerbfleißig ist Rabba zwar nicht bekannt, doch steht die Fabrikation von Matten und Sandalen in hoher Blüthe, während alle anderen Gewerbe in Zangoshie entschieden weiter entwickelt sind.«

Die Regsamkeit und Arbeitslust letztgenannter Stadt macht hier im Lande der Faullenzer einen recht angenehmen Eindruck. Gastfrei und zuvorkommend, sind deren Einwohner durch die Lage ihrer Insel gegen die Uebergriffe der Fellans gesichert; ziemlich unabhängig, erkennen sie keine andere Regierung, als die des Königs des »schwarzen Wassers« an, und auch das nur, weil es in ihrem eigenen Vortheil liegt.

Am 16. October endlich reisten Richard Lander und sein Bruder auf einer erbärmlichen Pirogue, die ihnen der König sehr theuer verkaufte, weiter, nachdem sie sich einige Pagaien, die ihnen Niemand ablassen wollte, gestohlen hatten. Jetzt kamen sie zum ersten Male in die Lage, den Niger ohne fremden Beistand zu beschiffen.

Sie fuhren den Fluß hinunter und vermieden so weit als möglich alle größeren Städte, da sie nicht im Stande gewesen wären, die meist unverschämten Forderungen der betreffenden Gouverneure zu befriedigen.

Bis Egga ging diese friedliche Ruderfahrt ohne Zwischenfall von statten. Nur in einer Nacht, als die Reisenden wegen vieler Ufersümpfe nicht landen konnten und sich vom Strome weiter hinabtreiben lassen mußten, brach ein fürchterliches Unwetter los, während sie von Flußpferdheerden, welche sich auf dem Wasser tummelten, fast versenkt worden wären.

Der Niger strömte, in einer Breite zwischen zwei und acht Meilen, fortwährend nach Osten oder Südosten, und dabei so schnell, daß ihr Boot mit einer Geschwindigkeit von fünf bis sechs Meilen in der Stunde hinabgeführt wurde.

Am 19. October kam Richard Lander an der Einmündung der Cudunia vorüber, welchen Fluß er bei seiner ersten Reise in der Nähe von Cuttup über schritten hatte, und nicht lange darauf gelangte er nach Egga. Er erreichte bald den Landungsplatz, indem er durch eine ausgedehnte, von unzähligen großen und sehr festen Canots besetzte Bucht hinfuhr, welch' letztere, mit verschiedenen Waaren beladen, mit Blut bestrichene und mit Federn geschmückte Vordertheile – ein Zaubermittel und Schutz gegen Diebe – hatten.

Der Chef, dem die Reisenden sofort zugeführt wurden, trug einen langen weißen Bart und würde ganz das ehrwürdige Aussehen eines Patriarchen [171] gehabt haben, wenn er nicht immer wie ein kleines Kind gelacht hätte. Die Einwohner liefen in hellen Haufen zusammen, um die Fremdlinge von so seltsamem Aussehen zu bewundern, und diese mußten drei Mann als Wache vor die Thüre stellen, um die Neugierigen in gebührender Entfernung zu halten.

»Mehrere Bewohner von Egga, sagt Richard Lander, verkaufen Leinwand und Tuch aus Benin und Portugal, was darauf schließen läßt, daß zwischen dieser Stadt und der Küste eine gewisse Verbindung bestehen mag. Die Einwohner sind sehr speculativ, unternehmend und, ununterbrochen auf dem Niger auf- und abfahrend, mit dem Handel beschäftigt. Sie leben gleich in ihren Canots, wo ihnen eine Art kleiner Cajüte oder Schuppen als Wohnung dient. Die Ueberredungskunst der Landesbewohner, deren man sich bei uns nur unter wichtigen Verhältnissen bedient, machte uns zuerst wirklich Spaß; nach und nach wurde ihre Zudringlichkeit aber lästig. Sie verlangten von uns Zaubermittel zur Verhütung von Kriegen und anderen nationalen Unfällen, Talismane, um reich zu werden, solche zur Abwehr der Krokodile, welche zuweilen Menschen raubten, oder auch andere, um täglich reiche Fischzüge zu machen. Der letztere Wunsch wurde gegen uns von dem Chef der Fischer ausgesprochen und unter entsprechenden Gebeten, welche sich nach dem Werthe des Dargebotenen richten, mit einem Geschenke begleitet... Die Neugier des Volkes, uns zu sehen, übersteigt alle Grenzen, so daß wir keinen Schritt aus der Hütte thun können; um frische Luft zu schöpfen, müssen wir stets die Thür offen lassen und in der Hütte umhergehen, die einzige Bewegung, welche uns, gleich wilden Thieren im Käfige, gestattet ist. Die Leute betrachten uns mit stierem, aus Schrecken und Bewunderung gemischtem Ausdrucke, etwa wie man in Europa die Tiger in der Menagerie ansieht. Wenden wir uns nach der Thür zu, so weichen sie erschreckt und heulend zurück, sobald wir aber nach rückwärts gehen, nähern sie sich schweigend und mit größter Vorsicht, so weit ihre Furcht es zuläßt.«

Egga ist eine Stadt von bedeutender Ausdehnung und muß sehr viele Einwohner haben. Wie fast alle am Ufer des Niger erbauten Städte, wird dieselbe alljährlich überschwemmt. Man darf wohl voraussetzen, daß die Eingebornen besondere Gründe haben, ihre Wohnstätten an Stellen zu errichten, die uns ziemlich ungeeignet und gesundheitswidrig erscheinen würden.

Wahrscheinlich sind dieselben aber nur darin zu suchen, daß die Umgebungen hier aus fettem schwarzen Erdreich bestehen, welches ihnen alle zur Lebensnothdurft nöthigen Erzeugnisse ohne große Mühe liefert.

[172] Obwohl der Häuptling von Egga über hundert Jahre alt zu sein schien, so war er doch immer voller Lust und Freude. Die hervorragendsten Persönlichkeiten der Stadt kamen in seiner Hütte zusammen und verbrachten ganze Tage unter fröhlichem Geplauder.

»Diese Gesellschaft Graubärte, erzählt der Reisende, lacht oft so laut aus vollem Herzen und freut sich über lustige Einfälle so außerordentlich, daß man fast stets die Vorübergehenden stehen bleiben und lauschen sieht, aber auch in das von innen heraustönende Gelächter mit einstimmen hört; vom Morgen bis Abend donnerten uns von dorther unaufhörlich Beifallsbezeugungen in's Ohr.«

Eines Tages wollte der alte Häuptling seine Kunst als Sänger und Tänzer zeigen, um die Fremden zu überraschen.

»Trotz der Last seiner Lebensjahre lustig hüpfend und das weiße Haar schüttelnd, heißt es in dem Berichte, machte er unzählige Luftsprünge zum großen Vergnügen der Zuschauer, deren Gelächter, das einzige gebräuchliche Beifallszeichen der Afrikaner, der Eitelkeit des Greises höchlichst schmeicheln mußte, so daß er sogar eine Krücke zu Hilfe nahm, um die Vorstellung fortzusetzen. Er hinkte noch ein wenig hin und her, mußte aber aus Erschöpfung aufhören und sich neben uns auf die Schwelle der Hätte niederlassen. Um alles in der Welt wollte er uns seine Schwäche nicht merken lassen. Keuchend vor Anstrengung, suchte er doch möglichst ruhig Luft zu schöpfen und den pfeifenden Athem zu unterdrücken; er versuchte auch noch einmal zu tanzen und zu singen; die Natur forderte aber ihre Rechte und seine schwache, zitternde Stimme war kaum vernehmbar. Inzwischen setzten andere Sänger und Sängerinnen, Tänzer und Musiker ihr ohrbetäubendes Concert fort, bis wir, müde vom Hören und Sehen, bei einbrechender Nacht sie baten, sich zurückzuziehen, zum großen Leidwesen des lustigen, eitlen Greises.«

Mallam Dendo rieth den Engländern übrigens davon ab, weiter flußabwärts zu reisen. Egga, sagte er, sei die letzte Stadt von Nyffe; die Macht der Fellans reicht nicht weiter, und bis zum Meere hin würden wir nur wilde, barbarische, stets mit einander im Kriege liegende Völkerschaften treffen.

Diese Warnung und die Aussage der Einwohner gegen die beiden Lander, daß sie Gefahr liefen, ermordet oder gefangen genommen und als Sklaven verkauft zu werden, hatten deren Leute so erschreckt, daß sie sich weigerten, wieder auf das Boot zu gehen, und erklärten, nach Cape Coast Castle auf dem [173] früher eingeschlagenen Wege zurückkehren zu wollen. Die beiden Brüder hielten jedoch an ihrem ersten Entschlusse fest, jene gaben nach und am 22. October verließen Alle Egga, von dem sie sich mit drei Flintenschüssen verabschiedeten.

Einige Meilen jenseits desselben flatterte eine Möwe über ihren Köpfen hin und her, ein Zeichen von der Nachbarschaft des Meeres und die fast gewisse Verheißung, daß sie sich dem Ende ihrer mühseligen Reise näherten.

Nach und nach kamen sie an mehreren kleineren, halb unter Wasser stehenden Dörfern und an einer großen Stadt am Fuße eines Berges vorüber, der jene fast zu erdrücken schien; den Namen der Stadt konnten sie nicht erfahren. Ferner kreuzten sie eine ungeheuere Menge Canots, in der Bauart denen von dem Bonny- und dem Calabarflusse entsprechend; die Besatzungen der letzteren sahen mit höchstem Erstaunen die weißen Männer, wagten aber nicht, mit ihnen zu sprechen.

Die niedrigen und auf weite Strecken hin sumpfigen Ufer des Niger wurden bald höher, reicher und fruchtbarer.

Kacunda, wo die Bewohner von Egga Richard Lander Halt zu machen empfohlen hatten, liegt an der Westseite des Stromes. Von einiger Entfernung aus gesehen, bietet dasselbe wirklich einen malerischen Anblick.

Beim Erscheinen der Reisenden geriethen die Einwohner in nicht geringe Aufregung. Ein alter Mallam, das ist ein Priester und Lehrer des Islam, nahm jene aber unter seinen Schutz. Ihm hatten es die beiden Brüder zu verdanken, daß ihnen in der Hauptstadt eines von Nyffe unabhängigen Reiches ein recht guter Empfang zutheil wurde.

Was die Reisenden von dieser Stadt oder vielmehr der Vereinigung von vier Dörfern sehen oder über dieselbe hören konnten, stimmte mit dem überein, was sie schon in Egga erfahren hatten. Richard Lander entschloß sich auch, von hier aus nur des Nachts zu reisen und die vier Flinten und zwei Pistolen, welche ihnen noch verblieben, mit Kugeln und Rehposten laden zu lassen.

Zur größten Verwunderung der Bewohner von Kacunda, welche eine so augenscheinliche Verachtung jeder Gefahr gar nicht begreifen konnten, verließen unsere Forscher die Stadt mit drei schallenden Hochrufen und »legten ihr Schicksal in Gottes Hand«. Mehrere große Städte, an denen sie vorüberkamen, ließen sie sorglich beiseite. Der Lauf des Flusses änderte sich jetzt wiederholt und wandte sich zu einer Reihe hoher Hügel, erst von Süden nach Südosten und dann nach Südwesten.

[174] Am 25. October befanden sich die Engländer an der Einmündung eines großen Flusses. Es war das der Tchadda oder Benoue. Hier erhob sich eine ausgedehnte Stadt, längs der Niger- und der Benoue-Seite, das war Cutumcuraffi.

Endlich, nachdem sie bald in einem Wasserwirbel umgekommen und ihr Boot an einem Felsen zerschellt wäre, entdeckte Richard Lander einen bequemen, unbewohnten Platz am rechten Stromufer, wo er einmal zu landen beschloß.

Diese Stelle war immerhin kurz vorher besucht gewesen, wovon noch die Reste eines Feuers, zerbrochene Kürbisflaschen und auf dem Boden zerstreute Scherben von irdenen Gefäßen zeugten, neben welchen sich auch Schalen von Cocosnüssen und Dauben von einem Pulverfäßchen vorfanden, die man mit freudigem Gefühle auflas, da sie die Gewißheit gaben, daß die Einwohner der Gegend mit den Europäern wenigstens einige Verbindung unterhalten mußten.

Vor drei Leuten aus dem Gefolge Lander's, welche sich in ein benachbartes Dorf begeben hatten, um Feuer zu holen, waren die Frauen erschreckt entflohen. Die ermüdeten Reisenden hatten sich eben auf die Matten gelagert, als sie sich plötzlich von einer Menge fast nackter Männer umringt sahen, welche mit Gewehren, Bogen, Pistolen, Messern und eisernen Lanzen bewaffnet waren.

Die Geistesgegenwart und Kaltblütigkeit der beiden Brüder verhütete allein einen scheinbar unvermeidlichen Kampf, dessen Ausgang nicht zweifelhaft sein konnte. Ihre eigenen Waffen niederlegend, gingen sie auf den Anführer des wüthenden Haufens zu.

Als wir näher kamen, sagt Lander, gaben wir ihm mit den Armen alle erdenkliche Zeichen, um den Wilden und seine Begleiter abzuhalten, auf uns zu schießen. Der Köcher schwankte an seiner Seite, der Bogen war gespannt und ein auf unsere Brust gerichteter Pfeil zitterte, zum Abschießen fertig, als uns nur noch wenige Schritte trennten. Die Vorsehung wandte das drohende Unheil ab, denn eben, als der Häuptling die gespannte Sehne losschnellen wollte, sprang ein dicht neben ihm stehender Mann hinzu und hielt ihm die Arme. Wir standen ihm jetzt Auge in Auge gegenüber und reichten ihm, zitternd wie Espenlaub, die Hand. Der Häuptling sah uns scharf an und – fiel in die Kniee. Sein Gesicht nahm einen gar nicht zu beschreibenden Ausdruck an, in dem sich Furcht und Schrecken mischten und alle guten und bösen Leidenschaften zu kämpfen schienen; endlich ließ er den Kopf auf die Brust herabsinken, ergriff die dargebotene Hand und fing bitterlich an zu weinen.


Viereck-Stuhl des Sultans von Bornu. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Von jetzt ab war die Freundschaft besiegelt, alle feindseligen Gedanken verdrängt und an deren Stelle trat das denkbar beste Einvernehmen.

»Ich glaubte, Ihr wäret aus den Wolken gefallene [175] Kinder des Himmels,« sagte der Häuptling, um seine plötzliche Sinnesänderung zu erklären.

»Es war unser Glück, fügt Lander hinzu, daß unsere weißen Gesichter und unser ruhiges Auftreten diesem wilden Volke solchen Respect einflößten. Eine Minute später wären wir mit mehr Pfeilen gespickt gewesen, als der Igel Stacheln hat.«


Das Canot war über fünfzig Fuß lang. (S. 182.)

[176]

Der Ort, wo sich dieser Auftritt zutrug, ist der berühmte Marktflecken Bocqua, von dem die Reisenden öfter reden gehört hatten und wohin von der Küste her viel Händler kommen, um gegen Waaren von den Weißen die aus Funda, am entgegengesetzten Ufer des Stromes, hierher gebrachten Sklaven einzutauschen.

Hier erhielten die Reisenden nun recht erfreuliche Nachrichten. Das Meer sollte nur zehn Tagemärsche entfernt sein. Die Schifffahrt dahin, fügte der Häuptling von Bocqua hinzu, sei ohne alle Gefahr; nur die Uferbewohner wären [177] »recht schlechte, böse Menschen«. Dem Rathe ihres neugewonnenen Freundes folgend, passirten die Reisenden die schöne und große Stadt Atta, ohne an's Land zu gehen, und gönnten sich erst einige Ruhe in Abbazaca, wo der Niger sich in drei Arme theilt und der Häuptling der Stadt sie durch seine unersättliche Habgier belästigte. Weiter fuhren sie an zwei oder drei Dörfern vorüber, obwohl man ihnen Zeichen machte, an's Ufer zu kommen, wahrscheinlich nur, um die Neugier der Eingebornen zu befriedigen, konnten eine Landung aber bei dem Dorfe Damuggo nicht umgehen, wo ein kleiner Mann in einer Soldatenweste sie in englischer Sprache anrief: »Hollah! He! Engländer, kommt hierher!« Es war das ein Bote des Königs von Bonny, der sich hier aufhielt, um für seinen Herrn Sklaven einzukaufen.

Der Häuptling der Stadt, welcher noch niemals Weiße gesehen hatte, empfing die Reisenden sehr gut, ließ ihnen zu Ehren öffentliche Lustbarkeiten anstellen und hielt sie unter lauter Festlichkeiten bis zum 4. November zurück. Obwohl der um Rath gefragte Fetisch vor Erreichung des Meeres tausend Gefahren prophezeite, stellte dieser Fürst ihnen doch ein anderes Boot, die nöthigen Ruderer und einen Führer zur Verfügung.

Die unheimliche Vorhersage des Fetisch sollte nur zu bald in Erfüllung gehen. John und Richard Lander fuhren Jeder in einem besonderen Boote. Als sie nach einer großen Stadt – wie sie später hörten, Kirri – kamen, wurden sie von langen Kriegscanots angehalten, von denen jedes vierzig Mann in europäischer Kleidung (bis auf den Mangel an Beinkleidern) trug.

An langen Bambusstangen flatterten an denselben englische Flaggen; außerdem waren sie mit Stühlen, Tischen, Flaschen und anderen Gegenständen wunderlich aufgeputzt. Die schwarzen Matrosen führten Jeder eine Flinte und im Vordertheile jedes Bootes befand sich ein langes vier- oder sechspfündiges Geschütz.

Die beiden Brüder führte man nach Kirri, wo über ihr Schicksal Rath gepflogen wurde. Glücklicher Weise sprachen einige Mallams oder mohammedanische Priester zu ihren Gunsten und bewirkten auch die Rückgabe eines Theiles der ihnen geraubten Sachen, von denen die meisten freilich mit dem inzwischen versenkten Boote Richard Lander's untergegangen waren.

»Zu meiner großen Freude, schreibt Richard Lander, entdeckte ich wenigstens die Kiste mit unseren Büchern und eine mit den Tagebüchern meines Bruders wieder; auch der Arzneikasten war noch vorhanden, freilich mit Wasser gefüllt.

[178] Ein großer gestickter Nachtsack, der vorräthige Kleidungsstücke enthielt, war geöffnet und geplündert; wir besaßen nur noch ein einziges Hemd, je ein Paar Beinkleider und einen Rock; mehrere werthvolle Gegenstände blieben verschwunden. Meine Journale, mit Ausnahme eines Notizbuches, in dem ich von Rabba aus einige Beobachtungen aufgezeichnet hatte, waren verloren. Ferner fehlten vier Gewehre, davon eines, das Mungo Park gehört hatte, vier Seitengewehre und zwei Pistolen. Neun Elephantenzähne, gerade die schönsten, welche ich je gesehen, die Geschenke der Könige von Wowou und Boussa, eine Menge Straußenfedern, einige schöne Leopardenfelle, verschiedene Sämereien, alle Knöpfe, Kaurimuscheln unsere Nadeln, die wir nöthiger brauchten als Geld, um dafür Nahrungsmittel zu kaufen, Alles war verschwunden und wie die Leute behaupteten, im Niger versunken.«

Das war in der That ein Schiffbruch am Eingange zum Hafen! Ganz Afrika von Badagry bis Boussa durchzogen zu haben, den Gefahren der Schifffahrt auf dem Niger entgangen zu sein, sich glücklich den Händen so vieler habsüchtiger kleiner Fürsten entzogen zu haben, um sechs Tagereisen vom Meere vielleicht Alles scheitern zu sehen, in die Sklaverei geschafft oder zum Tode verurtheilt zu werden, gerade wo man Europa die wunderbaren Resultate der Reise nach so vielen Strapazen, so vielen überstandenen Gefahren und besiegten Hindernissen zu verkünden hoffte; den Lauf des Niger von Boussa aus erforscht zu haben und so nahe daran, auch seine Mündung kennen zu lernen, im letzten Augenblick sich von erbärmlichen Strompiraten aufgehalten zu sehen, das war doch zu viel, und die beiden Brüder mögen recht bittere Gedanken während jener langandauernden Verhandlungen über sie gehabt haben.

Wurden ihnen die gestohlenen Gegenstände auch zum Theil wieder ausgeliefert und der Neger, der die Feindseligkeiten eröffnet hatte, zur Sühnung seiner That mit dem Tode bestraft, so betrachtete man die beiden Brüder immerhin als Gefangene; sie sollten zu Obie, dem Könige von Eboe, geführt werden, der über ihr Schicksal entscheiden sollte.

Offenbar waren die Räuber selbst hier zu Lande fremd und nur ausgezogen, um zu stehlen und zu plündern. Sie gedachten jedenfalls noch in anderen Ortschaften, wie in Kirri, ihr Handwerk zu treiben, wenn sie nicht mächtige Flottillen antrafen, die sich nicht ohne Gegenwehr plündern ließen. Alle Stämme längs des Nigers zeigten sich übrigens gegen einander höchst mißtrauisch, und kein Handelsgeschäft ward anders als mit den Waffen in der Hand abgeschlossen.

[179] Nach zweitägiger Fahrt kamen die Canots vor Choe an einer Stelle an, wo sich der Strom in drei Flüsse spaltet, die jeder noch sehr groß sind und flache, sumpfige, mit Palmen bedeckte Ufer haben.

Eine Stunde später, am 8. November, rief einer der Leute von der Mannschaft, als er Eboe erblickte: »Das ist meine Heimat!«

Hier erwarteten die Forscher neue Schwierigkeiten. Obie, der König von Eboe, war ein junger Mann von gewecktem intelligenten Aussehen, der die Reisenden freundlich empfing. Seine Kleidung, im Ganzen der des Königs von Yarriba nicht unähnlich, war mit so vielen Korallen verziert, daß man ihn mit Recht hätte den »Korallen-König« nennen können.

Offenbar ging Obie die Erzählung des Ueberfalls, bei dem die Engländer ihre Waaren eingebüßt hatten, recht nahe; leider entsprach die Hilfe seinerseits aber nicht dem Mitleid, das er empfand, und er ließ die Fremden fast Hungers sterben.

»Die Bewohner von Eboe sind, gleich den meisten Afrikanern, ungemein sorgloser Natur und bauen nichts als Yams, Mais und Bananen. Sie besitzen Ziegen und Geflügel, aber wenig Schafe und Rindvieh. Die sehr umfangreiche Stadt liegt in einer offenen Ebene und beherbergt eine zahlreiche Bevölkerung; als Hauptstadt des Königreichs führt sie nur den Namen »das Land Eboe«. Ihr Palmöl wird geschätzt. Sie bildet schon seit langen Jahren den Hauptsklavenmarkt, wo die Eingebornen sich versorgen, welche dieses Geschäft an der Küste zwischen dem Bonny-und dem Calabarflusse betreiben. Zu Hunderten kommen sie dann auf dem Strome hierher und die Meisten bewohnen gleich ihre Canots, welche vor der Stadt angelegt werden. Fast alles Palmöl, welches die Engländer in Bonny und dessen Nachbarschaft kaufen, stammt von hier, ebenso wie die Sklaven, welche spanische, portugiesische und französische Schiffe an der Küste verfrachten. Von verschiedenen Seiten wurde uns mitgetheilt, daß die Bewohner von Eboe Anthropophagen seien, eine Ansicht, welche unter den Stämmen der Nachbarschaft mehr verbreitet ist als unter denen aus dem tieferen Innern des Landes.«

Nach Allem, was den Reisenden zu Ohren kam, erschien es ausgemacht, daß Obie sie nur gegen schweres Lösegeld wieder freilassen werde. Der Fürst gehorchte damit gewiß zum Theile den Einflüsterungen seiner Günstlinge, mehr aber trugen die Habsucht und das Drängen der Bewohner von Bonny und Braß dazu bei, welche sich darüber stritten, wer von ihnen die Fremden in ihr Land zurückbringen sollte.

[180] Ein Sohn des letzten Häuptlings von Bonny, König Peper (Pfeffer), ein gewisser Gun (Flinte), der Bruder des Königs Boy (Junge) und deren Vater Forday, der Braß im Verein mit dem König Jacket (Jacke) regiert, waren die hitzigsten. Sie brachten zum Beweise ihrer Rechtlichkeit Zeugnisse bei, die sie von europäischen Kapitänen, mit denen sie Geschäfte gemacht, erhalten hatten.

Eines dieser Schriftstücke, unterzeichnet James Dow, Kapitän der Brigg »Susanne« aus Liverpool, und datirt vom ersten Flusse in Braß, September 1830, lautete wie folgt:

»Kapitän Dow erklärt hiermit, niemals erbärmlichere Kerle getroffen zu haben, als die Landeseingebornen im Allgemeinen und deren Lootsen im Besonderen.«

In demselben Tone geht es weiter; der Kapitän schildert sie als verächtliche Schurken, welche versucht hätten, sein Fahrzeug an den Klippen der Flußmündung scheitern zu lassen, um sich dessen Fracht zuzueignen. Der König Jacket wird als Erzspitzbube und verschmitzter Dieb dargestellt. Boy allein machte eine rühmliche Ausnahme und verdiente einiges Vertrauen.

Nach endlosen Verhandlungen erklärte Obie, daß er nach Gesetz und Landesgebrauch das Recht habe, die Gebrüder Lander und deren Gefolge als sein Eigenthum zu betrachten; da er aber dieses Vorrecht nicht mißbrauchen wolle, so werde er sich begnügen, dieselben gegen englische Waaren im Werthe von zwanzig Sklaven auszutauschen.

Diese Entscheidung, deren Zurücknahme Lander vergeblich bei Obie durchzusetzen suchte, brachte die Brüder erst in volle Verzweiflung, welche bald einer derartigen Gleichgiltigkeit und Apathie Platz machte, daß sie ganz unfähig wurden, überhaupt etwas zur Wiedererlangung ihrer Freiheit zu unternehmen. Fügt man dieser gedrückten Stimmung noch die physische Schwäche und den Mangel an Nahrung hinzu, so begreift man wohl, wie herabgekommen die beiden Reisenden sich fühlen mochten.

Ohne alle Hilfsmittel, ihrer Nadeln, Kaurimuscheln und Tauschwaaren beraubt, sahen sie sich in die traurige Nothwendigkeit versetzt, ihre Nahrung zu erbetteln.

»Wir hätten aber, schreibt Lander, ebensogut Bäume oder Steine anflehen können; wenigstens hätten wir dabei die Erniedrigung erspart, abgewiesen zu werden. In den meisten Städten und Dörfern von Afrika wurden wir als Halbgötter betrachtet, in Folge dessen allgemein mit Verehrung, mindestens mit [181] Achtung behandelt. Hier aber, ach, welcher Unterschied! wirst man uns mit den verächtlichsten Wesen, mit elenden Sklaven zusammen, und wir sind in diesem unaufgeklärten Lande der Gegenstand des Spottes einer Horde Barbaren.«

Endlich erlöste Boy die Reisenden, indem er sich verpflichtete, Obie das Lösegeld für die beiden Brüder und deren Gefolge zu bezahlen. Er selbst erwies sich sehr bescheiden und verlangte für seine Mühe und die Gefahren des Transports bis Braß nur den Werth von fünfzehn Silberbarren oder fünfzehn Sklaven und ein Tönnchen Rum. Obgleich auch das eigentlich eine sehr hohe Forderung war, so zögerte Lander doch keinen Augenblick, eine Anweisung über sechsunddreißig Barren an Kapitän Lake, den Befehlshaber eines an der Mündung des Braßflusses stationirten englischen Schiffes, zu unterzeichnen.

Das Canot des Königs, auf dem sich die beiden Brüder am 12. November einschifften, trug sechzig Personen, darunter vierzig Ruderer. Es war mit einem Vierpfünder im Vordertheile ausgerüstet, hatte starke Vorräthe an großen Messern, Schießbedarf und Waaren aller Art und war aus einem einzigen Stamme über fünfzig Fuß lang ausgehöhlt.

Die endlosen Felder, welche sich längs der Stromufer hinzogen, sprachen für eine größere Bevölkerung, als es zuerst schien. Das Land war flach, offen, abwechslungsreich und der schwarze Boden erzeugte Bäume und Sträucher in den verschiedensten Farbentönen.

Am 14. November gegen sieben Uhr Abends verließ das Canot den Hauptarm und lief in den Braßfluß ein. Eine Stunde später schon bemerkte Lander zu seiner größten Freude die Wirkung der Fluth.

Etwas weiter hin traf Boy's Canot mit denen Gun's und Forday's zusammen. Der Letztere, ein Greis von ehrwürdigem Aussehen und sehr ärmlich, halb nach einheimischer Mode gekleidet, hatte eine ausgesprochene Vorliebe für Rum, den er in unglaublichen Mengen vertilgte, ohne daß man an seinem Benehmen und seiner Sprache etwas davon bemerkte.

Es war ein eigenthümlicher Zug, der die Engländer bis zur Stadt Braß begleitete.

»Die Canots, sagt Lander, glitten in regelmäßigen Abständen hinter einander her und hatten jedes drei Flaggen aufgezogen. Am Bug des ersten stand König Boy, den Kopf mit langen Federn, welche bei jeder Bewegung des Körpers schwankten, geschmückt, und mit phantastischen, auf schwarzem Grunde weiß erscheinenden Flecken bemalt. Er stützte sich auf zwei ungeheure Lanzen mit [182] Widerhaken, die er von Zeit zu Zeit in den Boden des Canots niederstieß, als wollte er ein wildes, gefährliches Thier zu seinen Füßen tödten. Im Vordertheile des Canots führten Priester verschiedene Tänze auf und machten die tollsten Verrenkungen. Alle waren ebenso bemalt wie der König Boy, und, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, beschäftigte sich Gun, der sich einmal an der Spitze, einmal am Ende des Zuges befand, damit, den imposanten Eindruck der Flottille durch unaufhörliches Feuern mit seiner Kanone zu erhöhen.«

Braß selbst besteht aus zwei Städten, deren eine Forday, die andere dem König Jacket gehört. Vor der Landung nahmen die Priester allerlei mysteriöse Ceremonien vor, welche sich offenbar auf die Weißen bezogen. Ob das Resultat der Fetischbefragung den Fremden günstig ausfiel, mußte das Benehmen der Eingebornen gegen sie darthun.

Als er kaum einen Fuß an's Land gesetzt, bemerkte Lander zu seiner größten Freude einen weißen Mann am Ufer. Es war das der Kapitän eines spanischen Schoners, der am Flusse vor Anker lag.

»Unter allen schmutzigen und widerlichen Ortschaften, heißt es in dem Berichte, möchte wohl keine in der Welt diese übertreffen, oder dem Auge des Fremden einen elenderen Anblick bieten. In dem abscheulichen Braß ist Alles nur Unrath und Schmutz. Hunde, Ziegen und andere Thiere lagern auf den kothigen Straßen; auch jene sehen verhungert aus und wetteifern mit den unglücklichen menschlichen Geschöpfen mit blassen hageren Zügen und häßlichem Aussehen, deren Leib von großen Pusteln bedeckt ist und deren Hütten in Folge von Vernachlässigung und Unreinlichkeit in Trümmer fallen.«

Eine andere Ortschaft, von den Europäern die Stadt der Lootsen genannt, wegen der großen Menge von solchen, die daselbst wohnen, liegt an der Mündung des Flusses Noun oder Nun, siebenzig Meilen von Braß.

Der König Forday erhob dagegen Einspruch, daß die beiden Brüder die Stadt verließen, bevor sie ihm nicht vier Barren Silber ausgeliefert hätten. Es wäre Brauch, sagte er, daß jeder weiße Mann, der nach Braß auf dem Flusse käme diesen Tribut entrichte. Hier galt kein Widerstreben und Lander stellte eine neue Anweisung auf Kapitän Lake aus.

Um diesen Preis erhielt Richard Lander die Erlaubniß, sich auf dem Canot des Königs Boy nach der an der Mündung des Flusses liegenden englischen Brigg zu begeben. Sein Bruder und die übrigen Leute des Gefolges sollten erst nach der Rückkehr des Königs freigegeben werden.

[183] Wie groß war aber, als er auf die Brigg kam, das Erstaunen und die Beschämung Lander's, als er erfuhr, daß Kapitän Lake ihm all' und jede Unterstützung verweigerte! Er übergab ihm deshalb seine Instructionen vom Minister, um ihn zu überzeugen, daß er kein Betrüger sei.


Ansicht des Haupttempels von Sekkeh. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

»Wenn Sie glauben, sagte der Kapitän, es mit einem Schwachkopf oder einem Thoren zu thun zu haben, so täuschen Sie sich! Ich gebe keinen Strohhalm auf Ihr Wort oder Ihre Anweisung! Was kümmert mich der ganze Handel! Der Teufel soll mich holen, wenn ich auch nur einen Heller hergebe!«


Beide nahmen die Grundrisse der wichtigsten Bauwerke auf. (S. 190.)

Fluchend und schwörend stieß Lake gegen die Engländer noch die gröbsten Beleidigungen aus. Betäubt von Schmerz über diese unerwartete Weigerung und das unerklärliche Auftreten eines Landsmannes, ging Lander in das Canot Boy's zurück, ohne zunächst zu wissen, was er beginnen sollte, und bat diesen dann, [184] ihn nach Bonny zu bringen, wo sich eine Menge englische Schiffe befinden mußten. Der König wollte davon aber nichts wissen. Richard Lander blieb also nichts übrig, als einen Versuch zu machen, den Kapitän zu erweichen, den er nun darum bat, zehn Flinten herzugeben, womit sich der König vielleicht begnügen würde.

[185] »Ich habe Ihnen schon erklärt, daß ich nicht einen Feuerstein hergebe, erwiderte Lake, lassen Sie mich also in Ruhe!

– Aber mein Bruder und acht andere Personen sind noch in Braß, fuhr Lander fort, und wenn Sie denn den König bestimmt nicht bezahlen wollen, so bestimmen Sie ihn wenigstens, Jene an Bord kommen zu lassen, sonst wird mein Bruder noch Hungers sterben und Alle werden als Sklaven verkauft, bevor ich durch ein Kriegsschiff Hilfe bekommen kann!

– Wenn Sie Jene an Bord schaffen können, versetzte der Kapitän, will ich nichts dagegen haben; ich wiederhole Ihnen aber daß Sie von mir nicht den Werth eines Zündhütchens dazu erhalten können!«

Endlich gelang es Richard Lander, Boy's Zustimmung zur Abholung seines Bruders und der anderen Leute zu erhalten. Der König wollte dieselben zwar nicht vor Empfang einer Abschlagszahlung losgeben und war nur mit Mühe zu bewegen, von dieser Forderung abzustehen.

Als Kapitän Lake hörte, daß Richard Lander's Gefolge aus kräftigen, zum Ersatz seiner verstorbenen oder durch Fieber geschwächten Matrosen geeigneten Leuten bestand, wurde er etwas zuvorkommender. Es dauerte jedoch nicht lange Zeit, als er erklärte, wenn auch John und die Uebrigen noch nicht da wären, binnen drei Tagen absegeln zu wollen.

Obwohl Richard Lander ihm überzeugend nachwies, daß die Aermsten in diesem Falle als Sklaven verkauft werden würden, so ließ Jener sich doch nicht beeinflussen.

»Desto schlimmer für sie, entgegnete er achselzuckend, ich kann aber nichts dagegen thun und werde auf keinen Fall länger warten!«

Zum Glück ist eine solche Unmenschlichkeit nur selten. Ein solcher Elender, der nicht nur seinesgleichen, sondern sogar Leute, die weit über ihm stehen, in dieser Weise behandelt, verdient wirklich an den Pranger gestellt zu werden.

Am 24. November endlich, da eine starke vom Meere herwehende Brise das Wasser am Ufer gewaltig aufregte und eine Ueberfahrt fast unmöglich machte, kam John Lander an Bord.

Boy hatte ihn mit Vorwürfen und Beleidigungen überhäuft. Nachdem er die beiden Brüder und deren Gefährten mit seinem letzten Gelde von der Sklaverei losgekauft, sie in seinem Canot weggeschafft und – wenn auch sehr unzureichend – ernährt hatte, nachdem ihm soviel Rum und Rindfleisch zugesagt worden war, als er trinken und essen könnte, seinen erhofften Verdienst so verschwinden [186] und sich gleich einem Diebe behandelt zu sehen, das entschuldigt wohl, wenn er darüber unwirsch wurde, und mancher Andere hätte es seinen Gefangenen viel theuerer vergelten lassen, wenn ihm so viele Hoffnungen zunichte wurden und er so viel Geld nutzlos ausgegeben hätte.

Trotzdem entschloß sich Boy, John an Bord der Brigg zurückzuführen. Kapitän Lake empfing den Reisenden ziemlich freundlich, erklärte aber mit aller Bestimmtheit, den König heimzusenden, ohne ihm einen Heller zu verabfolgen.

Dieser ahnte wohl denselben Ausgang; sein hochtrabendes Wesen hatte einem unterwürfigen, fast kriechenden Auftreten Platz gemacht. Man trug ihm ein reichliches Mahl auf, das er kaum berührte.

Trostlos über die Knickerei und das Mißtrauen des Kapitän Lake, suchte Richard Lander, der seinen eingegangenen Verpflichtungen unmöglich nachkommen konnte, alle seine Habseligkeiten durch, wobei er noch fünf silberne Armbänder und einen im Lande verfertigten Säbel, den er aus Yarriba mitgebracht, vorfand, und bot diese Gegenstände dem Könige Boy an, der sie vergnügt annahm.

Endlich ermannte sich der König, seine Reclamation bei dem Kapitän selbst einzubringen. Mit einer wahren Donnerstimme, die man aus diesem schwächlichen Körper kaum zu hören geglaubt hätte, rief dieser jedoch kurzweg:

»Ich will aber nicht!«

Er begleitete diese Worte mit einer solchen Fluth von Schwüren und Flüchen, daß der arme Boy den Rückzug antrat, und da er das Schiff segelfertig sah, eiligst in sein Canot zurückkehrte.

So endigte die Reise der Gebrüder Lander. Noch auf der Rhede liefen sie zwar Gefahr, unterzugehen, das sollte jedoch ihr letzter Unfall sein. Sie kamen nun glücklich nach Fernando Po und nachher an den Calabarfluß; hier schifften sie sich auf der »Carnarvon« nach Rio de Janeiro ein, wo der Commandant der Flottillenstation, Admiral Baker, sie auf einem Transportschiffe unterbrachte.

Am 9. Juni landeten sie in Portsmouth. Nachdem sie einen Reisebericht an Lord Goderich, den Secretär für das Departement der Kolonien, übermittelt, ließen sie es ihre erste Sorge sein, diesem auch das Benehmen des Kapitän Lake zu melden – ein Benehmen, welches das gute Vertrauen der englischen Regierung zu Jenem nicht blos erschütterte, sondern in das gerade Gegentheil umkehrte. Sofort erging der Befehl, die versprochenen Summen, als eine gerechte und begründete Forderung, auszuzahlen.

[187] »So war also – wir thun wohl am besten, hier gleich das Urtheil eines befähigten Kenners, Desborough Cooley's, wiederzugeben, – das geographische Problem, welches Jahrhunderte lang die gelehrte Welt beschäftigt und zu so viel Muthmaßungen Veranlassung gegeben hatte, endgiltig und vollständig gelöst. Der Niger, oder wie ihn die Eingebornen nennen, der Djoliba oder Korra, verbindet sich nicht mit dem Nil, verliert sich nicht im Sande der Wüste oder im Gewässer des Tchadsees; er fällt in vielen Armen in den Ocean, an der Küste des Golfes von Guinea, und zwar an derjenigen Stelle der Küste, welche als Cap Formosa bekannt ist. Der Ruhm dieser, von der Wissenschaft allerdings vorausgeahnten Entdeckungen kommt voll und ganz den Gebrüdern Lander zu. Die weiten Landstrecken, durch welche sie von Yaourie bis zum Meere reisten, waren vor ihrem Zuge noch gänzlich unbekannt gewesen.«

Als Lander's Entdeckungen mit allen Einzelheiten in England bekannt wurden, traten mehrere Kaufleute zusammen, um die Naturschätze jener Länder auszubeuten. Sie rüsteten im Juli 1832 zwei Dampfschiffe, die »Korra« und die »Alburka«, aus, welche unter Führung Laird's, Oldfield's und Richard Lander's den Niger bis Bocqua hinauffuhren. Die Erfolge dieser Expedition waren freilich sehr kläglicher Art. Mit den Eingebornen kam es zu gar keinen Handelsgeschäften und die Mannschaften wurden dazu noch durch das Fieber decimirt. Endlich erhielt auch Richard Lander, der wiederholt flußauf- und abwärtsgefahren war, am 27. Januar 1834 von den Eingebornen eine tödtliche Verwundung, der er am 5. Februar in Fernando Po erlag.

Bezüglich Afrikas haben wir nun blos noch die zahlreichen Forschungszüge anzudeuten, die längs des Nilthales unternommen wurden, und unter denen die Cailliaud's, Russeger's und Rüppel's die bemerkenswerthesten sein möchten.

Friedrich Cailliaud, geboren 1787 zu Nantes, war, nachdem er Holland, Italien, Sicilien, einen Theil von Griechenland und von der europäischen und asiatischen Türkei besucht, im Mai 1815 als Edelsteinhändler nach Egypten gekommen. Seine geologischen und mineralogischen Kenntnisse bereiteten ihm einen ausgezeichneten Empfang bei Mehemed Ali, der ihn sofort mit einer Forschungsreise längs des Nils und in die Wüste betraute.

Dieser erste Ausflug führte zur Entdeckung der Smaragdenminen bei Labarah, welche bereits arabische Autoren erwähnen, die aber schon seit Jahrhunderten aufgelassen sind. Cailliaud fand in Aushöhlungen eines Baumes die Lampen, Hebel, Seile und Instrumente wieder, welche den Arbeitern des Ptolemäus [188] bei der Ausbeutung dieser Minen gedient hatten. In der Nähe jener Steingruben entdeckte der Reisende auch die Trümmer einer kleinen Stadt, aller Wahrscheinlichkeit nach die Wohnung früherer Bergleute. Um gegen seine Entdeckungen keinen Zweifel aufkommen zu lassen, sammelte Cailliaud zehn Pfund Smaragden, die er Mehemed Ali überbrachte.

Ein anderes Resultat der Reise des französischen Forschers war die Wiederauffindung der über Coptos und Berenice führenden Handelsstraße nach Indien.

Vom September 1819 bis Ausgangs 1822 besuchte Cailliaud in Begleitung des früheren Midshipman Letorzec im Osten Egyptens alle bis dahin bekannten Oasen und folgte dem Laufe des Nils bis zum zehnten Breitengrade. Bei seiner ersten Fahrt bis Ouadi Oulfa gekommen, wählte Cailliaud diese Stelle als Ausgangspunkt für die zweite.

Ein zufälliger Umstand begünstigte seine Untersuchungen nicht wenig. Ismaïl Pascha, der Sohn Mehemed Ali's, hatte eben das Commando einer Expedition nach Nubien übernommen, und diesem Heerführer schloß er sich an.

Von Daraou im November 1820 abreisend, kam Cailliaud am 5. Januar des folgenden Jahres nach Dongola und besuchte den Berg Barka in der Landschaft Chaguy, wo sich eine Menge Ruinen von Tempeln, Pyramiden und anderen Bauwerken befanden.

Der Name Merawe, den man dieser Stadt beigelegt, hatte die Vermuthung entstehen lassen, daß man hier die alte Hauptstadt Aethiopiens vor sich habe; Cailliaud bewies das Irrthümliche dieser Ansicht.

Als Mineralog im Gefolge Ismaïl Paschas, um Goldminen aufzusuchen, kam der französische Forscher jenseits Berber bis Chendy. Mit Letorzec bestimmte er die geographische Lage der Einmündung der Atbara (in den Nil) und entdeckte in Assour, unweit des 17. Breitengrades, die umfänglichen Trümmer einer alten Stadt. Das war Meroë.

Zwischen dem 16. und 15. Grade weiter nach Süden ziehend, untersuchte Cailliaud die Einmündung des Bahr el Abiad oder weißen Nils, die Ruinen von Saba, die Mündung des Rahad, das alte Astosaba, besichtigte Sennaar, den Lauf des Gologo, den Bezirk Fazoele und den Tumat, einen Nebenfluß des Nils; endlich erreichte er mit Ismaïl Pascha die zwischen den beiden Armen des Stromes gelegene Landschaft Singue.

Von dieser Seite her war noch kein Reisender dem Aequator so nahe gekommen. Browne hatte unter 16°10', Bruce unter 11° Halt gemacht.

[189] Man verdankt Cailliaud und Letorzec viele Längen- und Breitenbestimmungen, genaue Beobachtungen über die Abweichungen der Magnetnadel, werthvolle Kunde über das Klima, die Temperatur und die Natur des Bodens und gleichzeitig eine höchst interessante Sammlung von Thieren und Pflanzen. Endlich nahmen Beide auch die Grundrisse der wichtigsten, jenseits des zweiten Katarakts gelegenen Bauwerke auf.

Vor diesen Entdeckungen hatten die beiden Franzosen schon einen Ausflug nach der Oase von Siwah unternommen. Gegen Ende des Jahres 1819 reisten sie von Fayum aus mit wenigen Begleitern ab und wandten sich nach der libyschen Wüste. Nach fünfzehn Tagen und nach einem Zusammenstoße mit Arabern gelangten sie nach Siwah, maßen im Tempel des Jupiter Ammon alle einzelnen Theile und bestimmten, wie Browne, dessen astronomische Position. Diese Oase wurde kurz nachher das Ziel einer militärischen Expedition, während der Drovetti weitere, sehr werthvolle Nachrichten als Ergänzung der Resultate Cailliaud's und Letorzec's sammelte.

Von hier aus gingen sie nach der Oase von Falasre, welche noch kein Reisender vor ihnen besucht hatte, nach der von Dakel und nach Khargh, dem Hauptorte der Oase von Theben. Die während dieses Besuches niedergeschriebenen Beobachtungen wurden nach Frankreich an Jomard gesendet, der sie in einem Berichte unter dem Titel »Reise nach der Oase von Siwah« veröffentlichte.

Einige Jahre später verwendete Eduard Rüppel, geboren zu Frankfurt am Main 1794, der schon 1817 in Egypten bis zum ersten Wasserfalle des Nils vorgedrungen war, über sechs Jahre zur Erforschung von Nubien, Sennaar, Kordofan und Abyssinien und ging im Jahre 1824 längs des weißen Nils bis sechzig Meilen jenseits seiner Vereinigung hinauf.

Ein Oesterreicher endlich, der Bergverwalter Josef Russegger, geboren in Salzburg 1802, besuchte von 1836 bis 1838 den Unterlauf des Bahr el Abiad und leitete damit die ausgedehnten und erfolgreichen Untersuchungen ein, welche Mehemed Ali in den genannten Gegenden ausführen ließ.

[190]
Fußnoten

1 Rohrstäbe mit runden goldenen Knöpfen sind das Unterscheidungsmerkmal für die Dolmetscher.

3. Capitel
[191] Drittes Capitel.
Die wissenschaftlichen Bestrebungen im Orient und die Forschungen in Amerika.

Entzifferung der Keilschrift und assyriologische Studien bis zum Jahr 1810. – Das alte Iran und Avesta. – Die Triangulation Indiens und die hindostanischen Forschungen. – Die Erforschung und Messung der Himalayakette. – Die Halbinsel Arabien. – Syrien und Palästina. – Central-Asien und Alexander von Humboldt. – Pike an den Quellen des Mississippi, des Arkansas und des Rothen Flusses (Red River). – Die beiden Expeditionen des Major Long. – Schoolcraft an den Quellen des Mississippi. – Die Erforschung Neu-Mexikos. – Archäologische Reisen in Central-Amerika. – Naturgeschichtliche Untersuchungen in Brasilien. – Spix und Martius; Prinz Maximilian von Wied-Neuwied. – D'Orbigny und die amerikanische Menschenrace.


Sind die Entdeckungen, von denen wir im Folgenden sprechen, auch nicht eigentlich geographischer Natur, so haben sie doch ein so neues Licht über viele alte Kulturzustände verbreitet und das Gebiet der Geschichtskunde so sehr vergrößert, daß wir es uns nicht versagen können, derselben wenigstens kurz Erwähnung zu thun.

Die Erklärung der Keil-Inschriften und die Entzifferung der Hieroglyphen sind Erscheinungen von solcher Folgewichtigkeit und haben uns eine so große Menge bisher unbekannter oder entstellter Thatsachen aus den Meisterwerken der alten Geschichtsschreiber, Diodorus, Ctesias und Herodot, kennen gelehrt, daß es unmöglich ist, diese hochwissenschaftlichen Entdeckungen mit Stillschweigen zu übergehen.

An ihrer Hand machen wir Bekanntschaft mit einer neuen Welt, mit einer sehr vorgeschrittenen Civilisation, und erfahren von Sitten und Gebräuchen, die von den unseren grundverschieden sind. Wie interessant ist es nicht, die Erzählungen des Intendanten eines mächtigen Herrn oder des Gouverneurs einer Provinz in den Händen zu haben und auch Romane zu lesen wie »Setna« und wie die »beiden Brüder«, oder Märchen wie das von dem »auserwählten Prinzen!«

Wenn die großartigen Bauwerke des Alterthums, die prächtigen Tempel, die herrlichen Hypogäen, die schön bearbeiteten Obelisken für uns bisher nur Denkmäler einer verschwundenen Zeit waren, so erzählen sie uns jetzt, wo man die zahlreichen Inschriften derselben zu deuten versteht, von dem Leben der Herrscher, die sie errichteten, und von den Umständen, unter denen sie gegründet wurden.

[191] Wie viele Namen von Völkerschaften, deren die griechischen Historiker nicht erwähnen, welch' große Zahl untergegangener Städte, wie viel merkwürdige Thatsachen hinsichtlich des Kultus, der Kunst, Industrie, des täglichen Lebens, der politischen oder der kriegerischen Ereignisse offenbaren uns nicht die Hieroglyphen und Keil-Inschriften bis in alle Einzelheiten!

Und bezüglich dieser Völker, die wir bisher nur unvollkommen oder oberflächlich kannten, erlangen wir nun einen Einblick in ihr gewöhnliches Leben und eine Vorstellung von ihrer Literatur. Der Tag kann nicht mehr fern sein, an dem wir das Leben der Egypter im 18. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung ebenso gut kennen, wie das unserer Väter des 17. und 18. Jahrhunderts nach Christus.

Carsten Niebuhr hatte aus Persepolis Inschriften in unbekannten Schriftzeichen mitgebracht und dieselben zuerst genau und vollständig copirt. So viel Versuche, sie zu erklären, auch gemacht wurden, sie blieben doch alle erfolglos, bis es dem gelehrten hannover'schen Philologen Grotefend im Jahre 1802 durch eine glückliche Eingebung des Genies gelang, das Geheimniß, welches sie umgab, zu ergründen.

Wie eigenthümlicher Art und wie schwer zu deuten waren aber auch die Keilschriften! Man stelle sich eine Reihe von Nägeln oder spitzigen Pflöcken vor, welche in verschiedener Weise zusammengestellt, linienweise aneinander gereihte Gruppen bildeten. Welchen Werth besaßen diese Gruppen? Stellten sie Töne und articulirte Laute oder ganze Worte vor, wie die Buchstabengruppen unserer Alphabete? Hatten sie dieselbe ideographische Bedeutung wie die Charaktere der chinesischen Schrift? Welche Sprache war überhaupt unter ihnen verborgen? Das sind ebenso viele Fragen als Räthsel, welche der Lösung harrten. Man konnte wohl vermuthen, daß aus Persepolis stammende Inschriften in der Sprache der alten Perser abgefaßt seien; aber Rask, Bopp und Lassen hatten die iranischen Idiome noch nicht studirt und deren Verwandtschaft mit dem Sanskrit noch nicht nachgewiesen.

Es liegt unserem Thema zu fern, hier alle die geistreichen Deductionen, Vermuthungen und Versuche darzulegen, durch welche Grotefend dahin gelangte, in jenen eine alphabetische Schrift zu erkennen und gewisse Gruppen von Namen auszuscheiden, welche er für die des Xerxes und Darius hielt und wodurch er wiederum zur Kenntniß mehrerer Buchstaben kam, durch welche er andere Worte lesen und verstehen lernte. Jedenfalls war die Methode hiermit gefunden. Anderen blieb die Aufgabe, diese zu erweitern und zu vervollkommnen. [192] Mehr als dreißig Jahre verstrichen, bevor diese Studien bemerkbare Fortschritte machten. Der gelehrte Franzose Eugen Burnouf erst sollte sie um einen großen Schritt weiter fördern. Mit Benutzung seiner Kenntnisse des Sanskrit und des Zend gelang ihm der Beweis, daß jene persepolitanischen Inschriften in einem, in Bactrien herrschenden Dialect des Zend abgefaßt waren, den man noch im 6. Jahrhundert unserer Aera sprach und in welchem auch die Bücher Zoroaster's geschrieben sind.


Der zweite Katarakt des Nil. (S. 190.)

Seine Denkschrift hierüber erschien im Jahre 1836. Gleichzeitig kam ein [193] deutscher Gelehrter, Lassen in Bonn, der auch seinerseits denselben Untersuchungen oblag, zu einem ganz entsprechenden Resultate.

Bald waren nun die Inschriften, welche man besaß, alle gelesen, das Alphabet erklärt bis auf eine kleine Anzahl von Zeichen, über deren Bedeutung noch keine völlige Uebereinstimmung herrschte.

Immerhin besaß man jetzt nur einen Grund, das eigentliche Gebäude war damit noch lange nicht errichtet. Man hatte nämlich gefunden, daß die persepolitanischen Inschriften sich in drei parallelen Reihen wiederholten. Sollte das auf einer dreifachen Wiedergabe derselben Inschrift in den drei Hauptidiomen des akhemenidschen Reiches, das heißt in persischer, medischer und assyrischer oder babylonischer Sprache beruhen? Diese Annahme hatte viel für sich; durch die Erklärung einer der Inschriften gewann man jedoch einen Vergleichungspunkt und konnte darauf weiter schließen, wie Champollion seiner Zeit bezüglich des Steines von Rosette, der in griechischer Mundart zweimal dasselbe in der Volks- und der Hieroglyphenschrift enthielt.

In jenen beiden anderen Inschriften erkannte man die assyro-chaldäische Sprache, welche, ebenso wie die hebräische, die himjaritische und die arabische, zu der semitischen Sprachenfamilie gehören, und ein drittes Idiom, das man das medische nannte und mit dem türkischen und tatarischen in Beziehung brachte. Mit der Weiterverfolgung dieser Untersuchungen würden wir indeß zu sehr in andere Gebiete übergreifen. Dieser Aufgabe widmeten sich, um nur die berühmtesten Namen zu nennen, der dänische Gelehrte Westergaard, die Deutschen W. v. Humboldt, Schlegel, Bopp, die Franzosen de Saulcy und Oppert, die Engländer Norris und Rawlinson. Wir kommen später hierauf noch einmal zurück.

Die Erforschung des Sanskrit, die Untersuchungen über die brahmanische Literatur, von denen später die Rede sein wird, hatten eine wissenschaftliche Regsamkeit erweckt, welche in gleichem Maße zunahm, wie die Studien an Klarheit und Tiefe gewannen. Ungeheuere, von den Orientalisten als Iran bezeichnete Ländergebiete, welche Persien, Afghanistan und Beludschistan umfaßten, waren lange Zeit, bevor Ninive und Babylon in der Geschichte auftraten, der Sitz einer vorgeschrittenen Civilisation gewesen, mit der der Name Zoroaster's als Eroberer, Gesetzgeber und Gründer einer neuen Religion eng verknüpft ist. Seine, zur Zeit der muselmanischen Eroberung verfolgten und aus ihrem alten Vaterlande, wo sie den alten Cultus treu bewahrten, vertriebenen Schüler flüchteten sich, unter dem Namen Parsis, nach dem nordwestlichen Indien.

[194] Gegen Ende des letzten Jahrhunderts hatte ein Franzose, Namens Anquetil-Duperron, nach Europa eine, in der Sprache Zoroaster's abgefaßte, genaue Abschrift der religiösen Bücher der Parsis mitgebracht. Er übersetzte dieselben auch, und sechzig Jahre hindurch schöpften alle Gelehrten aus dieser Quelle alle Kenntniß, die sie von der Religion und der Philologie in Iran besaßen. Diese Bücher sind bekannt unter dem Namen Zend-Avesta, ein Wort, das die Bezeichnung der Sprache, des Zend, mit Avesta, dem Titel des Werkes, verbindet.

Gegenüber den Fortschritten der Sanskritstudien bedurfte dieser Theil der Sprachwissenschaft jetzt einer Erneuerung und Behandlung nach den strengeren neueren Methoden. Der dänische Philosoph Rask, im Jahre 1826, und nach ihm Eugen Burnouf, gestützt auf seine tiefe Kenntniß des Sanskrit und mit Hilfe einer in letzter Zeit in Indien aufgefundenen Sanskritübersetzung, hatten zuerst das Studium des Zend von Neuem aufgenommen. Im Jahre 1834 veröffentlichte Burnouf das epochemachende Werk über die Yaena (ein religiöses Buch der Parsis). Die daraus hervorleuchtende Aehnlichkeit des archäischen Sanskrit und des Zend führten zu der Annahme eines gleichen Ursprungs beider Sprachen und bewiesen die Verwandtschaft, um nicht zu sagen die Einheit der Völker, welche sie redeten. Ursprünglich haben beide Völker dieselben Namen für ihre Gottheiten, dieselben Traditionen, ohne die Uebereinstimmung der Sitten zu erwähnen, ja sogar dieselbe Bezeichnung für sich selbst, da sie in allen Schriften Beide Arier genannt werden. Es ist wohl überflüssig, auf die Wichtigkeit dieser Entdeckung, welche über den so lange Zeit gänzlich unbekannten Ursprung unserer Geschichte ein unerwartetes Licht verbreitete, besonders aufmerksam zu machen.

Mit Ausgang des 18. Jahrhunderts, das heißt seit der Zeit, wo die Engländer in Indien dauernd Faß gefaßt hatten, wurde die physikalische Untersuchung des Landes mit Allem, was einigermaßen mit ihm in Verbindung stand, eifrig betrieben. Sie war der Ethnologie und den verwandten Wissenszweigen, welche ein sichereres Terrain und ruhigere Zeiten zum Gedeihen brauchen, naturgemäß vorangeeilt. Die Aufklärung in jener Hinsicht erschien ja auch für die Regierung, das heißt für die Verwaltung ebenso wie für die commercielle Ausbeutung, in erster Linie von Bedeutung. So hatte z. B. der Marquis von Wellesley, der damalige Gouverneur der Compagnie, in richtiger Erkennung des Werthes einer verläßlichen Karte der englischen Besitzungen, schon im Jahre 1801 den Brigadier der Infanterie, Wilhelm Lambton, mit der Aufnahme eines trigonometrischen, die Ost- und Westküste Indiens mit dem Observatorium in Madras verknüpfenden [195] Netzes beauftragt. Lambton beschränkte sich jedoch nicht auf diese Aufgabe, sondern bestimmte auch genau einen Meridianbogen zwischen dem Cap Comorin und dem Dorfe Takoor Kera, fünfzehn Meilen südöstlich von Ellichpoor. Die Amplitude dieses Bogens umfaßte also mehr als zwölf Grade. Mit Hilfe seiner wohlunterrichteten Officiere, unter denen der Oberst Everest einer besonderen Erwähnung verdient, hätte die indische Regierung schon im Jahre 1840 den Abschluß der Arbeiten ihrer Ingenieure erleben können, wenn die Annexionen weiterer Gebiete die Beendigung derselben nicht immer weiter verschoben hätten. Fast gleichzeitig erwachte auch ein reges Interesse für die Literatur Indiens.

In London erschien im Jahre 1776 zum ersten Male übersetzt der »Codex der Gentoos« (das heißt Hindus), ein Auszug aus den wichtigsten Gesetzbüchern der Eingebornen.

Neun Jahre später wurde von Sir William Jones in Calcutta die Asiatische Gesellschaft gegründet, deren regelmäßige Veröffentlichungen, die Asiatic Researches, alle wissenschaftlichen Forschungen über Indien enthielten.

Bald nachher, im Jahre 1789, gab Jones seine Uebersetzung des Dramas Sakuntala, jenes herrliche, gefühlvolle und zarte Musterstück der Hindu-Literatur heraus. Grammatiken und Wörterbücher des Sanskrit erschienen in rascher Folge. Im britischen Indien erwachte ein förmlicher Wetteifer, der gewiß auch nach Europa übergestrahlt wäre, wenn die Continentalsperre nicht die Einführung fremder Bücher verhindert hätte. Jener Zeit studirte ein gefangener Engländer, Hamilton, die orientalischen Manuscripte der Pariser Bibliothek und gab mit Friedrich Schlegel Anleitung zur Erlernung des Sanskrit, das man nun nicht mehr an Ort und Stelle zu studiren brauchte.

Schlegel hatte Lassen als Schüler; er widmete sich mit ihm dem Studium der Literatur und der Alterthümer Indiens, der kritischen Untersuchung, Veröffentlichung und Uebersetzung der Texte. Inzwischen beschäftigte er sich auch eifrig mit der Sprache, bearbeitete seine, Allen zugänglichen Grammatiken und gelangte zu der überraschenden, jetzt aber allgemein anerkannten Schlußfolgerung: der Verwandtschaft der indo-europäischen Sprachstämme.

Man überzeugte sich bald, daß die Vedas – jene in hohem Ansehen stehende und deshalb von Einschaltungen verschont gebliebene Gesetzessammlung – in einem alten und sehr reinen Idiom geschrieben waren, dem alle sprachlichen Neuerungen fremd waren und dessen durchgehende Aehnlichkeit mit dem Zend erkennen ließ, daß diese heiligen Bücher aus der Zeit vor der Trennung [196] der arianischen Familie in zwei Zweige herstammten. Darauf studirte man die zwei Epopöen der brahmanischen Epoche, welche auf die Zeit der Vedas folgte, den Mahabharata und den Ramayana, ebenso wie die Paranas. Die Gelehrten vermochten nun auch, Dank einer tieferen Kenntniß der Sprache und der Mythen des Landes, annähernd die Zeit der Entstehung jener Gedichte zu bestimmen, die unzähligen späteren Interpolationen zu bezeichnen, und auszuscheiden, was in diesen herrlichen Allegorien auf Geschichte und Geographie Bezug hatte.

Durch geduldige und gewissenhafte Forschungen gelangte man zu der Erkenntniß, daß die keltische, griechische, lateinische, germanische, slavische und persische Sprache alle ein und denselben Ursprung haben, deren gemeinschaftliche Mutter keine andere ist als das Sanskrit. Wenn die Sprache aber dieselbe ist, muß auch das Volk dasselbe sein. Man erklärt die Verschiedenheiten, welche die Idiome jetzt zeigen, durch successive Abzweigungen von dem Urvolk, für welche sich auch die Zeit annähernd feststellen läßt durch die größere oder geringere Verwandtschaft jener Sprachen mit dem Sanskrit oder durch die Natur der diesem entliehenen Wörter, welche an sich selbst, je nach dem Fortschritte der Civilisation, verschieden sein mußten.

Gleichzeitig gewann man eine klare und umfassende Vorstellung von der Lebensweise, welche die Väter der indo-europäischen Race geführt, und von den Veränderungen, welche diese durch die Civilisation allmählich erfuhr. Die Vedas zeigen uns, daß die selbe noch nicht überall in Indien Fuß gefaßt hatte, sondern vorzüglich auf das Pendjab und Kabulistan beschränkt blieb. Diese Gedichte schildern die Kämpfe gegen die Urbevölkerung von Hindostan, deren Widerstand um so hartnäckiger war, als die Sieger sie bei ihrer Kasteneintheilung in die unterste und verächtlichste verwiesen. Man erfährt aus den Vedas alle Einzelheiten des Hirten- und Patriarchenlebens der Arier, wird vertraut mit der stillen, wenig abwechslungsreichen Familienexistenz und fragt sich, ob der hitzige Wettstreit unserer Tage den unschuldigen Lebensgenuß, den der Mangel an Bedürfnissen unseren Vätern gewährte, aufzuwiegen vermag.

Begreiflicher Weise können wir nicht länger bei diesem Gegenstande verweilen; der Leser wird aus dem Wenigen, was wir hier darüber sagten, die hohe Bedeutung jener Studien für die Geschichte, Ethnographie und Linguistik erkennen. Wir verweisen wegen weiterer Aufschlüsse auf die Specialwerke der Orientalisten und auf die ausgezeichneten Handbücher der alten Geschichte von Robiou, Lenormant und Maspero. Alle Bereicherungen, welche die verschiedenen [197] Zweige der hier einschlägigen Wissenschaften bis zum Jahre 1820 erfuhren, wurden mit Sachkenntniß und Unparteilichkeit von Walter Hamilton zusammengefaßt in dessen großer Arbeit unter dem Titel: »Geographische, statistische und historische Beschreibung Hindostans und seiner Nachbarländer«. Es gehört dieselbe zu den literarischen Erscheinungen, welche, indem sie sozusagen eine Etappe der Wissenschaft markiren, den Grad ihrer zu gewisser Zeit erreichten Entwicklung zuverlässig kennzeichnen.

Neben dieser flüchtigen Andeutung der auf das intellectuelle und sociale Leben der Hindus bezüglichen Arbeiten, verdienen eine Erwähnung auch die Studien, welche die physikalische Kenntniß des Landes förderten.

Eines der überraschendsten Ergebnisse der Reise Webb's und Moorcroft's war die außerordentliche Höhe, welche die Genannten den Bergen des Himalaya zuschrieben. Nach Schätzung der Reisenden sollten diese mindestens die höchsten Spitzen der Anden erreichen. Oberst Colebrook's Berechnungen ergaben für die Bergkette zweiundzwanzigtausend Fuß, und auch diese Rechnung schien noch hinter der Wahrheit zurückzubleiben. Webb seinerseits hatte einen der bemerkenswerthesten Gipfel der Kette, den Jamunavatari, gemessen und für denselben eine Höhe von zwanzigtausend Fuß über dem Plateau, auf welchem er sich befand und das selbst die Ebene um fünftausend Fuß überragte, herausgefunden. Unbefriedigt von einer Messung, die er selbst nur für approximativ ansah, maß Webb später mit aller mathematischen Genauigkeit den Dhawalagiri oder »Weißen Berg« und fand, daß dessen höchster Gipfel siebenundzwanzigtausendfünfhundert Fuß (achttausendeinhundertvierundfünfzig Meter) emporstieg.

Was an der Himalaya-Kette am meisten in die Augen fällt, ist jene Aufeinanderfolge von Bergen, jene Reihe von Projectionen, welche eine immer die andere überragen. Das erweckt eine lebhaftere Vorstellung von ihrer Höhe, als der Anblick eines isolirten Kegels, der aus einer Ebene emporsteigt, um seinen schroffen Gipfel in den Wolken zu verbergen.

Webb's und Colebrook's Rechnungen wurden bald durch mathematische Beobachtungen des Oberst Crawford bestätigt, der acht der höchsten Gipfel des Himalaya gemessen hatte. Seiner Messung nach wäre der höchste unter ihnen der Chumulari, nahe den Grenzen von Bouthan und Thibet, dessen Spitze sich gegen dreißigtausend Fuß (achttausendachthundertdreiundachtzig Meter) über das Meer erheben soll. Obschon diese Resultate mit einander übereinstimmten und nicht wohl anzunehmen war, daß alle Beobachter sich gleichmäßig getäuscht hätten, erweckten[198] dieselben doch die Verwunderung der gelehrten Welt. Der Haupteinwurf, den man erhob, bestand darin, daß die Schneegrenze etwa dreizehntausend Fuß über dem Meere liegen müsse. Danach erschien es unmöglich, daß die Berge des Himalaya noch mit riesigen Fichtenwäldern bedeckt sein könnten, wie das doch alle Forscher anzuführen beliebten.

Und doch gab die Erfahrung der Theorie Unrecht. Bei Gelegenheit einer zweiten Reise stieg Webb bis zum Niti Gaut, dem höchsten Gebirgsrücken der Erde, hinauf, dessen Höhe er zu sechzehntausendachthundertvierzig Fuß bestimmte. Hier aber fand Webb nicht nur keinen Schnee, sondern auch die ihn noch um dreihundert Fuß übersteigenden Felsen zeigten während des Sommers davon nichts. Hier, wo auf den jähen Abhängen schon die Athmung schwierig wird, grünten vielmehr noch prächtige Wälder von Fichten, Cypressen, Cedern und Weiden.

»Webb, sagt Desborough Cooley, schreibt die auffallend hohe Lage der Grenze des ewigen Schnees in den Himalaya-Bergen der großen Erhebung des Bodens zu, von dem aus deren letzte Gipfel aufsteigen. Da die Hauptursache der Wärme unserer Atmosphäre in der Rückstrahlung von der Oberfläche der Erde zu suchen ist, so liegt es auf der Hand, daß die größere oder geringere Entfernung und die Ausdehnung umgebender Ebenen von größtem Einflusse auf die Temperatur eines hochgelegenen Punktes sein müsse. Diese Betrachtungen scheinen uns hinreichend die Einwürfe mancher Gelehrten bezüglich der Höhe der Himalaya-Berge zu widerlegen, welche also als die höchste Bergkette der ganzen Erde anzusehen sind.«

Hier ist noch eines Ausfluges nach den von Webb und Moorcroft schon besuchten Gegenden Erwähnung zu thun. Der betreffende Reisende, Fraser, besaß freilich weder die nöthigen Instrumente, noch hinreichende Kenntnisse, um die hohen Berggipfel zu messen, zwischen denen er hinzog; dafür war ihm ein lebhaftes Gefühl eigen und sein interessanter Bericht deshalb doppelt unterhaltend. Er besuchte die Quelle der Jumna, und obschon er sich in einer Höhe von fünfundzwanzigtausend Fuß befand, traf er doch überall auf Dörfer, welche malerisch an schneebedeckten Bergwänden hingen. Fraser begab sich auch nach Gangoutri, trotz des Widerspruchs seiner Führer, welche ihm den Weg als außerordentlich gefährlich schilderten, weil daselbst ein pestilenzialischer Wind wehe, der jeden sich dahin wagenden Reisenden der Sinne beraube. Der kühne Wanderer war entzückt über die Großartigkeit und Schönheit der Landschaften, welche er auffand [199] und fühlte sich durch wirklich künstlerische Genüsse belohnt für die deshalb ausgestandenen Strapazen.

»Die Himalaya-Kette, sagt Fraser, zeigt einen ganz eigenthümlichen Charakter, was jeder Reisende, der sie einmal gesehen, bezeugen wird. Sie ähnelt wirklich keiner anderen Bergkette, denn ihre Gipfel von phantastischer Form, ihre Nadeln von wunderbarer Höhe rufen, von hohem Standpunkte aus gesehen, bei dem Fremden, dessen Blicke sie auf sich ziehen, ein solches Erstaunen hervor, daß er sich von einem trügerischen Spiegelbilde getäuscht glaubt.«

Wir vertauschen nun die Ganges-Halbinsel mit der arabischen, um die Ergebnisse einiger interessanten Züge durch dieselbe zu verzeichnen. In erster Linie gehört da hierher die Reise des Kapitän Sadlier von der indischen Armee. Im August 1819 von dem Gouverneur von Bombay mit einer Mission an den gegen die Wahabiten kriegführenden Ibrahim Pascha betraut, durchzog dieser Officier die ganze Halbinsel von dem Hafen El Katif am Persischen Golf bis nach Yambo am Rothen Meere.

Der Bericht über diese merkwürdige Reise nach Arabien, welche bisher noch kein Europäer ausgeführt hatte, ist leider nicht besonders veröffentlicht worden, sondern in einem fast unauffindbaren Werke, denTransactions of the Literary Society of Bombay, vergraben geblieben.

Fast zur nämlichen Zeit, von 1821 bis 1826, ließ die englische Regierung durch die Schiffskapitäne Moresby und Haines hydrographische Arbeiten zum Zwecke einer vollständigen Aufnahme der Küsten von Arabien ausführen. Dieselben sollten zur Unterlage der ersten verläßlichen Karte dienen, welche bis dahin von jener Halbinsel mangelte.

Der Vollständigkeit wegen erwähnen wir hier noch die beiden Züge zweier französischer Naturforscher, Aucher Eloy's nach Oman, und Emil Botta's nach Yemen, sowie die Arbeiten eines französischen Consuls in Djedda, Fulgence Fresnel's, über die Idiome und Alterthümer Arabiens. Der Letztere, der seine Briefe über die Geschichte der Araber vor der Zeit des Islam im Jahre 1836 herausgab, war der Erste, der die himjaritische oder homeritische Sprache studirte und erkannte, daß dieselbe mit den alten hebräischen und syrischen Dialecten mehr Aehnlichkeiten aufwies als mit dem heutigen Arabischen.

Zu Anfang dieses Bandes schilderten wir Seetzen's und Burckhardt's Forschungen und archäologische und geschichtliche Studien in Syrien und Palästina. Hier haben wir nun noch Einiges über eine kleinere Reise nachzutragen, deren Ergebnisse vorzüglich die physikalische Geographie berühren. Es betrifft die Fahrt des bayrischen Naturforschers Heinrich Schubert.

[200] Ein strenger Katholik und begeisterter Gelehrter, fühlte Schubert sich von den melancholischen Landschaften des heiligen Landes mit seinen wunderbaren Legenden und von den sonnenbeglänzten Ufern des geheimnißvollen Nils mit dessen historischen Erinnerungen mächtig angezogen. In seinem Berichte findet man gleichzeitig die tiefen Eindrücke des Gläubigen und die wissenschaftliche Voreingenommenheit des Naturforschers wieder.


Malerisch an schneebedeckten Bergwänden hängende Dörfer. (S. 199.)

Im Jahre 1837 betrat Schubert, nachdem er Unter-Egypten und die Halbinsel Sinaï durchstreift, das heilige Land. Zwei Freunde, ein Arzt, Doctor Erdl, und ein Maler, Martin Bernatz, begleiteten den gelehrten bayrischen Reisenden.

In El Akabah am Rothen Meere gelandet, begab [201] sich die Gesellschaft mit einer kleinen, arabischen Karawane nach El Khalil, dem alten Hebron. Den Weg, den sie benutzten, hatte noch keines Europäers Fuß betreten. Es war das ein breites, flaches Thal, das am Todten Meere endigte und diesem früher als Ausläufer nach dem Rothen Meere gedient zu haben schien. Burckhardt und manche Andere, welche dasselbe nur einmal gesehen hatten, huldigten ganz derselben Ansicht und schrieben die Unterbrechung dieses Ausflusses einer Hebung des Bodens zu. Die von den Reisenden gemessenen Höhen sollten das Irrige dieser Hypothese erweisen.

Geht man nämlich von dem aelanischen Golf (das ist von Akabah) aus, so steigt der Weg zwei bis drei Tage lang bis zu einer Stelle, welche die Araber den »Sattel« nennen, und fällt von hier aus nach dem Todten Meere zu ab. Dieser Scheitelpunkt liegt gegen siebenhundert Meter über dem Meere. Das fand wenigstens im folgenden Jahre ein französischer Reisender, der Graf de Bertou, der dieselbe Gegend besuchte.

Auf dem Wege nach dem Asphaltsee hinunter nahmen Schubert und seine Gefährten wiederholte barometrische Messungen vor und waren nicht wenig erstaunt, als sie ihr Instrument plötzlich einundneunzig Fuß »unter« dem Rothen Meere und weiterhin immer eine tiefere Niveaulage des Landes anzeigen sahen.

Zuerst dachten sie bei dieser Wahrnehmung natürlich an einen Beobachtungsfehler, überzeugten sich aber doch bald von deren Richtigkeit und erkannten daraus, daß der Asphaltsee niemals habe nach dem Rothen Meere abfließen können, einfach deshalb, weil das Niveau des ersteren weit unter dem des letzteren liegt.

Diese Senkung des Todten Meeres ist noch auffallender, wenn man sich von Jerusalem nach Jericho begiebt. Dabei kommt man durch ein langes Thal mit starkem Gefälle, das wegen der bergigen Hochflächen von Judäa, Peräa und Haouran – die letzteren erheben sich bis zu dreitausend Fuß über den Meeresspiegel – noch bedeutender erscheint.

Der Anblick der Umgebung und die Angaben der Instrumente widersprachen aber so sehr den bisherigen landläufigen Anschauungen, daß Erdl und Schubert [202] den erhaltenen Resultaten immer noch mißtrauten und sie auf einen Fehler ihres Barometers und vielleicht eine unbemerkbare plötzliche Störung in der Atmosphäre bezogen. Während der Rückreise nach Jerusalem erreichte das Barometer indeß wieder dieselbe mittlere Höhe, welche es vor ihrer Abfahrt nach Jericho angegeben hatte. Man mußte also wohl oder übel annehmen, daß das Todte Meer sechshundert Fuß unter dem Mittelmeere liege, eine Zahl, welche spätere Beobachter noch als um die Hälfte zu klein nachgewiesen haben.

Offenbar war hiermit eine glückliche Berichtigung gewonnen, welche vorzüglich dadurch folgenreich werden sollte, daß sie die Aufmerksamkeit gelehrter Kreise einer Erscheinung zuwandte, deren thatsächliches Vorhandensein spätere Forschungen bald bestätigen sollte.

Gleichzeitig gewann nun auch die physikalische Erforschung des Beckens des Todten Meeres ebenso an Umfang wie an Gründlichkeit. Zwei amerikanischen Missionären, Edward Robinson und Eli Smith, verdankte die biblische Geographie 1838 eine ganz neue Anregung. Sie bildeten die Pionniere jener Phalanx von Reisenden, Naturforschern, Geschichtschreibern, Archäologen und Ingenieuren, welche, theils unter den Auspicien der englischen Gesellschaft, theils auch neben dieser, das Land der Patriarchen nach allen Seiten untersuchen, verläßliche Specialkarten desselben ausarbeiten und die mannigfachsten Entdeckungen machen sollte, die über jene alten Völkerschaften und einander ablösenden Besitzer des berühmten Landes am Ende des Mittelmeeres neues und helles Licht verbreiteten.

Aber nicht nur diese, durch die Erinnerungen, welche sie in jedem Christenherzen erweckt, so besonders interessante Gegend allein wurde das Studienziel der Gelehrten und Reisenden; ganz Kleinasien vielmehr sollte jetzt der Wißbegierde der gelehrten Welt die in seinem Schoße verborgenen Schätze offenbaren. Reisende durchstreiften dasselbe nach allen Richtungen. Parrot besuchte Armenien; Dubois de Montpéreux wanderte im Jahre 1839 durch den Kaukasus; Eichwald erforschte 1825 und 1826, die Ufer des Kaspischen Meeres; Alexander von Humboldt endlich vervollständigte, Dank der edlen Opferwilligkeit des russischen Kaisers Nikolaus, in Asien und im Uralgebirge seine allgemein physikalischen und geographischen Beobachtungen, die er so muthvoll in der Neuen Welt begonnen. In Begleitung des Mineralogen Gustav Rose, des Naturforschers Ehrenberg, der sich schon durch seine Reisen in Ober-Egypten und Nubien einen Namen gemacht hatte, ferner des Barons Helmersen, eines Genie-Officiers, durchzog Humboldt Sibirien, besuchte die Gold- und Platingruben des Ural und [203] erforschte die Steppen in der Umgebung des Kaspischen Meeres und der Altaï-Kette bis zur Grenze von China. Diese Gelehrten hatten die Arbeiten unter einander getheilt; Humboldt widmete sich den astronomischen, physikalischen, magnetischen und allgemein naturwissenschaftlichen Beobachtungen; Rose dagegen führte das Reise-Tagebuch, welches von 1837 bis 1842 zuerst in Deutschland veröffentlicht wurde.

Die wissenschaftlichen Ergebnisse dieser, übrigens ungemein schnellen Reise – in neun Monaten wurde dabei eine Wegstrecke von elftausendfünfhundert Meilen (gleich siebzehntausendfünfhundertsechsundzwanzig Kilometer) zurückgelegt – waren höchst beträchtlich.

In einer vorläufigen Broschüre, welche 1838 in Paris erschien, verbreitete sich Humboldt nur über die Klimatologie und Geologie Asiens; dieser fragmentarischen Arbeit folgte im Jahre 1843 aber das meisterhafte Hauptwerk unter dem Titel »Central-Asien«.

»Er hat in demselben, sagt La Roquette, die wichtigsten wissenschaftlichen Ergebnisse seiner asiatischen Reise systematisch geordnet niedergelegt und sich höchst geistvollen Untersuchungen über die Gestaltung des Landes und der Berge in der Tatarei gewidmet; vorzüglich behandelt er darin die weite Bodendepression, welche sich vom Norden Europas bis zum Centrum Asiens und bis jenseits des Kaspischen Meeres und des Aralsees hinzieht.«

Wir verlassen nun Asien, um uns den verschiedenen Expeditionen zuzuwenden, die in der Neuen Welt seit Anfang dieses Jahrhunderts einander folgten. Zur Zeit, als Lewis und Clarke das nördliche Amerika von den Vereinigten Staaten bis zum Stillen Ocean durchzogen, hatte ein junger Officier, der Lieutenant Zabulon Montgomery Pike, von der Regierung im Jahre 1807 den Auftrag erhalten, die Quellen des Mississippi zu erforschen. Er sollte dabei gleichzeitig mit den ihm begegnenden Indianern freundschaftliche Beziehungen anzuknüpfen suchen.

Von dem ersten Häuptlinge des mächtigen Sioux-Stammes wohlwollend empfangen und beschenkt mit einer Friedenspfeife – ein Talisman, der ihm den Schutz aller verwandten Stämme sicherte – ging Pike den Mississippi hinauf und kam am Chippeway und dem St. Peters-Strome, zwei bedeutenden Zuflüssen jener mächtigen Wasserader, vorüber. Stromaufwärts von der Mündung des letzteren aber, bis zu den Katarakten von Saint Antoine, fand er das Bett des Mississippi durch eine ununterbrochene Reihe von Wasserfällen und Stromschnellen [204] gesperrt. Unter dem fünfundvierzigsten Breitengrade angelangt, mußten Pike und seine Gefährten ihre Boote verlassen und die Reise mittelst Schlitten fortsetzen. Zur Unbill eines besonders strengen Winters gesellten sich bald die Qualen des Hungers. Nichts vermochte jedoch die unerschrockenen Forscher aufzuhalten, welche, indem sie unbeirrt dem bis auf dreihundert Ruthen verschmälerten Mississippi folgten, im Februar am Blutegel-See eintrafen, wo sie in einem Lager von Trappern und Pelzjägern aus Montreal mit größter Freude aufgenommen wurden.

Nachdem er noch den Rothe-Cedernsee besucht, kehrte Pike nach Port Louis zurück. Seine beschwerliche und gefahrenreiche Fahrt hatte nicht weniger als neun Monate gedauert und war, obwohl deren eigentliches Ziel unerreicht blieb, doch nicht ohne Früchte für die Wissenschaft.

Die Geschicklichkeit, Kaltblütigkeit und der Muth Pike's konnten nicht unbeachtet bleiben, und die Regierung betraute ihn, nach vorheriger Erhebung in den Majorsgrad, mit der Führung einer neuen Expedition.

Diesmal war ihm aufgegeben, die weiten Gebiete zwischen dem Mississippi und den Felsengebirgen zu erforschen und die Quellen des Arkansas und des Rothen Flusses aufzusuchen. Mit dreiundzwanzig Personen fuhr Pike den Arkansas hinauf, ein schöner Strom, der bis zu seinem Quellengebirge hin, das heißt über zweitausend Meilen weit, schiffbar ist, außer im Hochsommer, wo vielfache Sandbänke sein Bett erfüllen.

Während der langen Wasserfahrt brach inzwischen der Winter herein, Beschwerden aller Art, wie sie Pike schon bei seiner ersten Reise zu erdulden hatte, erneuerten sich nun in verdoppelter Strenge. Wild fand sich so wenig, daß die Gesellschaft einmal vier Tage lang der Nahrung gänzlich entbehren mußte. Mehreren erfroren die Füße, ein Unfall, der natürlich auch den gesund Gebliebenen noch weitere Hindernisse bereitete. Nachdem der Major die Quelle des Arkansas erreicht, wendete er sich nach Süden hinab, wo er auf einen schönen Wasserlauf traf, den er für den Rothen Fluß hielt.

Es war das jedoch der Rio del Norte, der in Colorado, einer damals spanischen Provinz, entspringt und in den Golf von Mexiko mündet.

Von den Schwierigkeiten her, welche Humboldt zu überwinden hatte, um die Erlaubniß zur Bereisung der spanischen Besitzungen zu erlangen, weiß man, mit wie scheelen Augen jenes Volk es ansah, wenn Fremdlinge dessen Gebiet betraten. Bald wurde Pike denn auch von einer Abtheilung spanischer Soldaten[205] umringt und sammt seinen Leuten nach Santa-Fé als Gefangener abgeführt. Der Anblick, den ihre zerrissenen Kleider und abgemagerten Gesichter boten, sprach nicht zu Gunsten der Amerikaner, welche die Spanier erst für Wilde hielten. Nach Aufklärung dieses Irrthums wurden Pike und seine Gefährten jedoch durch die inneren Provinzen nach Louisiana geschafft, wo sie am 1. Juli 1807 in Natchitotches eintrafen.

Der verfehlte Ausgang dieser Expedition lähmte zeitweilig den Eifer der Regierung, nicht aber den einzelner Personen, wie Kaufleute und Jäger, welche täglich mehr im Lande auftauchten. Viele drangen selbst Schritt für Schritt durch ganz Amerika, von Canada bis zum Pacifischen Ocean. Unter diesen einzelnen Reisenden verdient besonders Daniel Williams Harmon hervorgehoben zu werden, der, ein Theilhaber der Compagnie des Nordwestens, zwischen dem 47. und 58. Grad nördlicher Breite reisend, den Huron-, den Oberen-, den Regen-, Holz-, Manitoba-, Winnipeg-, Athabaska- und den Großen Bärensee besuchte und auch bis zum Pacifischen Ocean kam.

Die Pelzhändlergesellschaft von Astoria, eine Niederlassung an der Mündung des Columbia, leistete ebenfalls viel zur Erforschung der Felsengebirge.

Vier Mitglieder dieser Gesellschaft waren von Astoria in Juni 1812 aufgebrochen, den Columbia hinausgezogen, hatten die Felsengebirge überschritten und langten, nach Auffindung einer der Quellflüsse des Platte, auf dem sie bis zum Missouri durch ein, von Niemand vor ihnen besuchtes Gebiet hinabfuhren, am 30. Mai 1813 in St. Louis an.

Im Jahre 1811 war eine neue, aus sechzig Mann bestehende Expedition den Missouri hinauf bis zu den Ansiedelungen der Ricaras vorgedrungen, welche, nachdem sie die härtesten Entbehrungen erduldet und wegen Nahrungsmangels mehrere Leute verloren hatte, gegen Anfang 1812 Astoria erreichte.

Diese Reisen ergaben als Resultat nicht allein die topographische Erforschung des Landes; sie führten daneben auch zu ebenso merkwürdigen als unerwarteten Entdeckungen. So stieß man im Ohiothale von Illinois bis Mexiko auf Ruinen von befestigten Werken mit Wällen und Gräben, von denen manche ein Terrain von fünf bis sechs Acres einnahmen. Es ist ein schwieriges Problem, das noch immer seiner Lösung harrt, zu sagen, welchem Volke diese Arbeiten zuzuschreiben sind, die von einer, der der heutigen Indianer weit überlegenen Civilisation zeugen. Schon bedauern Historiker und Philologen in gleichem Maße das Verschwinden von Indianerstämmen, die bisher nur sehr oberflächliche Beachtung [206] fanden, wobei das Studium der Sprachen derselben gänzlich vernachlässigt wurde. Vielleicht hätte gerade die bessere Kenntniß dieser Idiome im Vergleich mit denen der Alten Welt über den Ursprung jener nomadisirenden Horden ein unerwartetes Licht verbreitet.

Gleichzeitig begann man damals das Studium der Flora und Geologie des Landes, ein Wissenszweig, der späteren Forschern noch so wunderbare Ueberraschungen bereiten sollte.

Für die Regierung der Vereinigten Staaten war es zu wichtig, die weiteren Gebiete zwischen diesen und dem Pacifischen Ocean schnell und verläßlich kennen zu lernen, als daß dieselbe mit der Entsendung einer neuen Expedition hätte längere Zeit zögern können.

So beauftragte der Staatssecretär des Krieges im Jahre 1819 den Major Long, das Land zwischen dem Mississippi und den Felsengebirgen zu bereisen, den Lauf des Missouri und seiner bedeutenderen Zuflüsse zu erforschen, durch astronomische Beobachtung die Lage der wichtigsten Punkte festzustellen, sich über die Indianerstämme des Landes zu unterrichten und Alles zu beschreiben, was das äußere Ansehen des Bodens oder die Erzeugnisse der drei Naturreiche Merkwürdiges bieten sollten.

Von Pittsburg am 5. Mai 1819 mit dem Dampfboote »Der Ingenieur des Westens« ausgehend, erreichte die Expedition am 30. desselben Monats die Vereinigung des Ohio mit dem Mississippi, den sie bis Saint Louis hinauffuhr.

Am 29. Juni wurde die Mündung des Missouri erreicht. Während des Juli durchstreifte Say, ein Theilnehmer der Expedition, mit geologischen Untersuchungen beschäftigt, das Land bis zum Fort Osage hin, wo ihn das Schiff erwartete. Major Long benutzte den Aufenthalt an dieser Stelle, um eine Abtheilung seiner Leute zur Besichtigung des Terrains zwischen dem Kansas und dem Plattestrom (Nebraska-river) auszusenden; dieses Detachement wurde aber angegriffen und beraubt und mußte, nach Verlust aller Pferde, unverrichteter Sache umkehren.

Nachdem an der Kuh-Insel eine Verstärkung von fünfzehn Mann Soldaten eingetroffen, gelangte die Gesellschaft am 19. September nach dem Fort Lisa, nahe den Council Bluffs, wo sie ihr Winterquartier aufschlug. Hier überfiel die Amerikaner der Scorbut, durch den sie, bei dem Mangel aller zweckmäßigen Heilmittel, hundert Mann, das heißt nahezu den dritten Theil ihrer Effectivstärke verloren.


Circassier. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Major Long, der sich inzwischen auf einem Boote nach Washington begeben hatte, brachte von da die Ordre mit, die Reise auf dem Missouri fortzusetzen, nach den Quellen des Plattestromes vorzudringen und auf dem Arkansas und dem Rothen Flusse nach dem Mississippi zu segeln.

[207]
Sie verstehen es vortrefflich, die wilden »Mustangs« einzufangen. (S. 210.)

Am 6. Juni verließen die Forscher also das Cantonnement der Ingenieurs, wie sie ihr Winterquartier getauft hatten, und zogen über hundert Meilen im Thale des Platte hinab, ein Stück Land mit üppigen Wiesen und ungeheuren Heerden von Bisons und Damwild, die ihnen Nahrungsmittel im Ueberfluß lieferten. [208] Auf diese endlosen Prairien, deren Monotonie nicht ein einziger Hügel unterbricht, folgt eine Sandwüste, die sich gegen vierhundert Meilen weit in sanfter Steigung bis zu den Felsengebirgen hinzieht. Durchschnitten von steilen Klüften, von Cañons und Abgründen, in deren Tiefe unter magerem, vereinzeltem Buschwerk ein dürftiger Bach dahinmurmelt, erzeugt diese Einöde keine anderen Gewächse als Cacteen mit scharfen, gefährlichen Stacheln.

[209] Am 6. Juli hatte die Expedition den Fuß der Felsengebirge erreicht. Doctor James erstieg einen schroffen Gipfel derselben, den er nach seinem Namen nannte und der bis elftausendfünfhundert Fuß über das Meer emporragte.

»Von diesem Gipfel aus, schreibt der Botaniker, schweift der Blick nach Nord- und Südwesten zu über zahllose, schneebedeckte Berge, von denen die entferntesten bis zum Fuße weiß erscheinen. Unmittelbar uns zu Füßen und nach Westen hin lag das enge Thal des Arkansas, dessen Lauf wir nach Nordwesten zu über sechzig Meilen weit übersehen konnten. Den Nordabhang des Berges verhüllten ungeheure Massen von Eis und Schnee; nach Osten zu breitete sich die weite Ebene aus, welche in der Entfernung scheinbar höher und höher anstieg, bis sie am Horizonte mit dem Himmel in einer Linie verschmolz.«

Von hier aus trennte sich die Expedition nun in zwei Theile. Der eine sollte, unter Leitung des Major Long, die Quelle des Rothen Flusses aufsuchen, der andere, unter Führung des Kapitän Bell, den Arkansas bis zum Port Smith hinabziehen. Am 24. Juli gingen die beiden Detachements von einander. Das erstere hielt, getäuscht durch die Angaben einiger Kaskaias-Indianer und die Unzuverlässigkeit der Karten, den Canada für den Rothen Fluß und ward den Irrthum auch vor dessen Vereinigung mit dem Arkansas nicht gewahr. Diese Kaskaias nehmen unter den Wilden vielleicht die niedrigste Stufe ein; als geschickte Reiter verstehen sie sich aber vortrefflich darauf, mit dem Lasso die wilden »Mustangs«, das sind Pferde, welche von den durch die Spanier in Mexiko eingeführten herstammen, einzufangen.

Von dem zweiten Detachement entwichen vier Soldaten, die neben einer Menge werthvoller Gegenstände aller Art auch die Reise-Tagebücher Say's und des Lieutenant Swift mitnahmen.

Beide Abtheilungen litten übrigens furchtbar an Nahrungsmangel in den weiten Sandwüsten, wo die Flüsse nur salzig-schlammiges Wasser führen.

Die Expedition brachte nach Washington etwa sechzig Felle wilder Thiere, mehrere Tausend Insecten, darunter fünfhundert neue Arten, ein Herbarium mit vier- bis fünfhundert bisher unbekannten Pflanzen, viele Landschaftsbilder, und die Vorarbeiten zu einer Karte der durchreisten Gegenden mit heim.

Dem Major Long wurde im Jahre 1828 die Leitung einer neuen Expedition anvertraut. Mit dieser verließ er Philadelphia im April, begab sich nach dem Ohio und segelte durch den gleichnamigen Staat, durch Indiana und Illinois. Nach dem Mississippi gelangt, folgte er diesem bis zur Mündung des Saint [210] Pierre, den vor ihm schon Carver, nach ihm der Baron La Hontan besuchte. Long befuhr diesen bis zur Quelle, fand dabei den Travers-See auf, erreichte den Winnipeg-See, besichtigte den gleichnamigen Fluß, nahm den Holz- und den Regen-See in Augenschein und gelangte nach der Hochebene, welche die Wasserscheide zwischen der Hudson- und der Saint Laurent-Bai bildet. Endlich kam er über den Kalten See und den Hunde-Fluß nach dem Oberen See.

Obwohl canadische Waldläufer, Trapper und Jäger diese Gegenden schon lange durchstreift hatten, war es doch das erste Mal, daß eine officielle Expedition sie mit dem Zwecke, eine Karte derselben aufzunehmen, besuchte. Die Reisenden erstaunten über die Schönheit der von dem Winnipeg bewässerten Landschaften. Das durch Stromschnellen und pittoreske Wasserfälle häufig unterbrochene Bett dieses Flusses windet sich zwischen steilen, waldbedeckten Felsenmauern hin. Die wunderbaren Reize des Landes entzückten die Reisenden desto mehr, als sie bisher nur durch einförmige Ebenen und Savannen gezogen waren.

Die seit der Fahrt Montgomery Pike's aufgegebene Untersuchung des Mississippi wurde durch General Caß, den Gouverneur von Michigan, im Jahre 1820 wieder aufgenommen. Ende Mai von Detroit mit einem Gefolge von zwanzig früheren Waldläufern ausgehend, erreichte er, nach einem Besuche des Huron-, Oberen und Sandy-Sees, den Oberlauf des Mississippi. Hier mußte seine Mannschaft rasten, während er selbst die Erforschung des Stromes mittelst Bootes fortsetzte. Fünfhundert Meilen weit fand er eine zwar schnelle, aber ziemlich freie Strömung; von da aus aber füllten etwa zwölf Meilen weit ausgedehnte Stromschnellen das Bett bis zu dem Falle von Peckgama.

Oberhalb des letzteren wand sich der Strom in langsamerem Laufe durch endlose Savannen bis zum Blutegel-See hin. Nachdem er den Winnipeg-See erreicht, entdeckte Caß am 21. Juli auch noch einen bisher unbekannten See, der seinen Namen erhielt; bei seinen geringen Vorräthen an Lebensmitteln und Munition verzichtete er jedoch darauf, mit der wenigen Begleitmannschaft noch weiter vorzudringen. Man war zwar in die Nähe der Mississippiquelle gekommen, hatte diese selbst aber nicht erreicht. Der verbreitetsten Annahme nach entsprang der Strom aus einem kleinen, sechzig Meilen von dem Caß-See entfernt liegenden See, dem sogenannten Hirschkuh-See. Erst im Jahre 1832 aber, als General Caß Staatssecretär des Krieges war, nahm man die endliche Lösung dieses wichtigen Problems wieder in die Hand. Damals wurde die Leitung einer aus dreißig Personen bestehenden Expedition, darunter zehn Soldaten, ein mit den [211] hydrographischen Aufnahmen betrauter Officier, ein Arzt, ein Geolog, ein Dolmetscher und ein Missionär, dem Reisenden Schoolcraft übergeben, der im Vorjahre das Land der Chippeways, im Nordwesten des Oberen Sees, erforscht hatte.

Schoolcraft brach am 7. Juni 1832 von Sainte Marie auf, besuchte die am Oberen See siedelnden Stämme und segelte darauf in den Saint Louis ein. Bis zum Mississippi hatte Schoolcraft von hier aus noch fünfhundert Meilen zurückzulegen. Wegen vieler Stromschnellen und enger Schluchten nahm diese Fahrt zehn Tage in Anspruch. Am 3. Juli erreichte die Expedition die Factorei eines Kaufmanns, Namens Aitkin, am Ufer desselben Stromes, und feierte am folgenden Tag das Fest der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten.

Zwei Tage später befand sich Schoolcraft am Peckgama-Falle und lagerte daselbst neben der Eichen-Spitze. Der Fluß beschrieb hier viele Krümmungen in den Savannen; die Führer der Expedition schlugen je doch Fußstege ein, welche den Weg bedeutend abkürzten. Darauf fuhr Schoolcraft über den Crosse-(Krummstab-) und Winnipeg-See und erreichte am 10. Juli den Caß-See, über den vorher noch kein Reisender hinausgekommen war.

Eine Gesellschaft Chippeways führte die Reisenden nach ihrem Lager, das sie auf einer Insel des Sees hatten. Ueberzeugt von den friedlichen Gesinnungen der Wilden, ließ der Befehlshaber hier einen Theil seiner Begleiter zurück und reiste in Begleitung des Lieutenants Allen, des Doctor Houghton, eines Missionärs und mehrerer Wilden in einer Pirogue ab.

Die Fahrt ging über den Tascodiac- und den Travers-See. Ein wenig oberhalb des letzteren theilt sich der Mississippi in zwei Arme oder bildet eine Gabel. Der Wegweiser führte Schoolcraft auf dem östlichen weiter und über den Marquette-, den Lasalle- und den Kubbakunna-See nach der Einmündung der Naiwa, des Hauptzuflusses dieses Gabelzweiges, der aus einem See voller Schlangen mit kupferfarbenen Köpfen entspringt. Nachdem sie noch den kleinen Ufawa-See passirt, gelangte die Expedition nach dem Itasca-See, aus dem der itascanische oder westliche Zweig des Mississippi seinen Ursprung nimmt.

Der Itasca- oder Hirschkuh-See – wie ihn die Franzosen nannten – hat nur eine Ausdehnung von sieben bis acht Meilen und ist von Hügeln umgeben, welche dunkler Fichtenwald beschattet. Er soll, nach Schoolcraft, tausendfünfhundert Fuß über dem Meere liegen, doch ist auf diese und ähnliche Angaben nicht viel Werth zu legen, da sie nicht auf Messungen durch geeignete Instrumente beruhen. Auf dem Rückwege nach dem Caß-See folgte die Expedition dem westlichen [212] Flußarme und besichtigte die wichtigsten Nebenflüsse desselben. Schoolcraft selbst unterrichtete sich über die diese Gegenden bewohnenden Indianer, mit denen er Verträge abschloß.

Alles in Allem war das von der Regierung vorgeschriebene Ziel erreicht und der Mississippi hiermit von der Ausmündung in das Meer ab bis zu seiner Quelle erforscht. Die Expedition brachte vielfache, interessante Aufschlüsse über die Lebensweise. Sitten, Geschichte und Sprache der Eingebornen mit heim; auch die Naturwissenschaft wurde durch Auffindung vieler neuer oder wenig bekannter Species bereichert.

Die Thatenlust des amerikanischen Volkes begnügte sich aber nicht mit jenen officiellen Expeditionen. Durch die neu aufgeschlossenen Gegenden streiften bald zahlreiche Trapper, welche freilich zum größten Theil wegen Mangels an Vorbildung der Wissenschaft keine nennenswerthen Dienste leisteten. Eine Ausnahme hiervon macht Jacques Pattie, der einen Bericht seiner Erlebnisse und Fahrten in dem Gebiete zwischen Neu-Mexiko und Neu-Kalifornien veröffentlicht hat. Längs des Rio Gila bis zu dessen Mündung hinabziehend, besuchte Pattie zahlreiche, fast noch unbekannte Volksstämme, wie die Jotans, die Eiotaros, Papawars, Mokees, Yumas, Mohawas, die Nabahos u. a., mit denen man nur selten in Berührung gekommen war. An den Ufern des Rio Eiotario entdeckte er Ueberbleibsel von uralten Bauwerken, Mauerresten, Gräben und irdenen Geschirren, in den Berggegenden aber Kupfer-, Blei- und Silbergruben.

Ein merkwürdiges Reisetagebuch verdankt man auch dem Doctor Willard, der während seines dreijährigen Aufenthaltes in Neu-Mexiko den Rio del Norte von dessen Quelle bis zur Mündung besuchte.

Endlich erforschten der Kapitän Wyeth und sein Bruder im Jahre 1831 Oregon nebst den benachbarten Theilen der Felsengebirge.

Seit Humboldt's Reise nach Mexiko folgen sich die Forscher in Central-Amerika auf dem Fuße. Schon 1787 hatte Bernasconi die heute berühmten Ruinen von Palenque aufgefunden; Antonio Del Rio lieferte 1822 eine eingehende Beschreibung derselben, die er auch mit einigen Zeichnungen Friedrich Waldeck's, des späteren Erforschers dieser todten Stadt, schmückte.

Der Kapitän Wilhelm Dupaix und der Zeichner Castañeda hatten von 1805 bis 1807 drei Reisen nach Chiapa und Palenque ausgeführt. Die Ergebnisse ihrer Forschungen erschienen 1830 in einem prachtvollen Werke, zu welchem Augustine Aglio auf Kosten des Lord Kingsborough die Illustrationen lieferte.

[213] Von 1832 ab verweilte endlich Waldeck zwei volle Jahre in Palenque, stellte daselbst Nachgrabungen an, nahm die Aufrisse und Durchschnitte vorgefundener Baudenkmäler auf, bemühte sich, die noch unerklärten Hieroglyphen, welche jene bedecken, getreu wiederzugeben, und sammelte eine Menge vollkommen neuer Aufschlüsse sowohl im Gebiete der Naturwissenschaften, als auch bezüglich der Sitten der Ureinwohner.

Hier verdient auch noch der Oberst Don Juan Galindo, der Erforscher von Palenque, Utatlan, Copan und anderer, tief in den Tropenwäldern verborgener Städte, ehrenvolle Erwähnung.

Nach dem langandauernden Aufenthalte Humboldt's im äquinoctialen Amerika wurde der Aufschwung, den seine Forschungen dem Studium der Erdkunde verleihen zu sollen schienen, durch die Kämpfe zwischen den spanischen Kolonien und deren Hauptstadt auffallend gehemmt. Kaum bildeten sich aus dem Wirrwarr aber nur scheinbar beständigere Zustände heraus, als auch schon unerschrockene Reisende in jene bisher unbekannte Welt vordrangen, welche die ängstliche Eifersucht der Spanier der Erforschung durch die Gelehrten stets verschlossen hatte.

Naturforscher und Ingenieure durchstreifen Mittel-und Südamerika oder siedeln sich daselbst dauernd an. Von 1817 bis 1820 senden, nach vorhergehender Verständigung, die Regierungen von Oesterreich und Bayern eine wissenschaftliche Expedition nach Brasilien, deren Führung sie den Doctoren Spix und Martius anvertrauen, welche zahlreiche Aufschlüsse über die Pflanzenwelt, die Ethnographie, Statistik und Geographie jener so wenig bekannten Gebiete zu erlangen wissen und Martius schreibt über die Flora des Landes ein wahrhaft epochemachendes Werk, das, herausgegeben auf Kosten der österreichischen und bayerischen Regierungen, als Musterleistung in diesem Fache gilt.

Gleichzeitig bringen Special-Zeitschriften, wie Malte-Brun's Annales de voyages und das Bulletin de la Société de Géographie alle ihnen zugehenden Mittheilungen, vorzüglich über Brasilien und die Provinz Minas Geraës, zur öffentlichen Kenntniß.

In derselben Zeit widmete sich ferner ein hoher preußischer Officier, der Generalmajor Prinz von Wied-Neuwied, dem der Friede von 1815 hinlängliche Muße gewährte, dem Studium der Naturwissenschaften, der Geographie und der Geschichte. In Verbindung mit den Naturforschern Freireiß und Sellow unternahm er eine Forschungsreise nach dem Innern von Brasilien und beschäftigte [214] sich dabei hauptsächlich mit der Naturkunde und Zoologie des Landes. Die Resultate derselben sind niedergelegt in seiner »Reise nach Brasilien in den Jahren 1815–17«, sowie in den »Abbildungen zur Naturgeschichte Brasiliens« und den »Beiträgen zur Naturgeschichte von Brasilien«.

Einige Jahre später, 1836, erhielt Alcide d'Orbigny, ein zwar noch junger, aber schon berühmter Naturforscher, von der Akademie der Wissenschaften in Paris den Auftrag, eine naturwissenschaftliche Reise durch Südamerika zu unternehmen. Acht volle Jahre durchstreifte d'Orbigny in Folge dessen Brasilien, Uruguay, Argentina, Patagonien, Chile, Bolivia und Peru.

»Eine solche Reise, äußert sich Damour in seiner Rede bei Bestattung d'Orbigny's (1857), eine solche Reise durch viele, an Erzeugnissen, Klima, Bodenbeschaffenheit und Landessitten so verschiedene Ländergebiete bietet bei jedem Schritte neue Gefahren. Mit seiner kräftigen Constitution und seinem rastlosen Eifer überwand d'Orbigny zahllose Schwierigkeiten, welche wohl manchen anderen Reisenden bald zurückgeschreckt hätten. In den kalten Landstrichen Patagoniens angelangt, sah er sich sogar, inmitten der dort stets miteinander im Kriege liegenden Völkerschaften, gezwungen, unter dem Stamme, dessen Gastfreundschaft er genoß, am Kampfe theilzunehmen. Zum Glück neigte sich der Sieg auf die Seite, wo er stand, so daß er seinen Zug bald fortzusetzen vermochte.«

Die Ergebnisse so ausgedehnter Forschungen nahmen, um veröffentlichungsfähig zu werden, dreizehn Jahre mühevoller Arbeit in Anspruch. Dieses Werk, welches die Gebiete fast aller wissenschaftlichen Fächer berührt, läßt Alles weit hinter sich, was bisher über Südamerika publicirt worden ist. Geschichte, Archäologie. Zoologie und Botanik nehmen darin ihren Ehrenplatz ein; der weitaus wichtigste Theil des Werkes ist der (eigentlich im Anschluß an die anderen) erschienene »l'Homme américain« Der Reisende hat darin alle von ihm selbst gesammelten Unterlagen zusammengestellt und die ihm aus zweiter Hand zugehenden kritisch gesichtet, welche über den physiologischen Charakter, die Sitten, Sprachen und Religionen in Südamerika Aufschluß geben. Ein Werk von so anerkanntem Werthe dürfte genügen, den Namen dieses französischen Gelehrten zu verewigen, und gereicht auch der Nation, die ihn zu ihren Kindern zählt, zur hohen Ehre.


Ende des ersten Bandes. [215]

2.Band

1. Capitel
Erstes Capitel.
Erdumsegler aus verschiedenen Nationen.

Der Pelzhandel in Rußland. – Krusenstern erhält das Commando einer Expedition. – Nuka-Hiwa. – Nagasaki. – Erforschung der Küste von Japan. – Jesso. – Die Aïnos. – Saghalien. – Rückkehr nach Europa. – Otto von Kotzebue. – Auf der Osterinsel. – Penrhyn. – Der Radak-Archipel. – Rückkehr nach Rußland. – Zweite Reise. – Veränderte Verhältnisse auf Tahiti und den Sandwichs-Inseln. – Die Reise Beechey's. – Die Osterinsel. – Pitcairu und die Meuterer von der »Bounty«. – Der Pomotu-Archipel. – Tahiti und die Sandwichs-Inseln – Die Bonin-Inseln (Bonin-Sima). – Lütke. – Die Quebradas von Valparaiso. – Die heilige Woche in Chile. – Neu-Archangel. – Die Kalochen. – Unalachka. – Der Archipel der Karolinen. – Die Piroguen der Bewohner desselben. – Guaham, eine unbewohnte Insel. – Schönheit und Furchtbarkeit von Bonin-Sima. – Die Tschuktschen, deren Sitten und Gaukler. – Rückkehr nach Rußland.


Mit dem Anfange des 19. Jahrhunderts treten auch die Russen in die Reihe der erdumsegelnden Nationen ein. Bisher beschränkte sich das Feld ihrer Thätigkeit nur auf Asien, wo sich von ihren Seefahrern Behring, Tchirikoff, Spangberg, Laxman, Krenitzin und Sarytchess auszeichneten. Der Letztgenannte nahm auch hervorragenden Antheil an der Reise des Engländers Billings, welche freilich den von ihr mit Recht gehegten Erwartungen keineswegs entsprach, obwohl sie zehn volle Jahre in Anspruch nahm und ungeheuere Kosten verschlang.

Adam Johann von Krusenstern kommt die Ehre zu, als erster Russe im Auftrage der Regierung die Erde zu rein wissenschaftlichen Zwecken umsegelt zu haben.

Geboren im Jahre 1770, trat Krusenstern 1793 in die englische Marine. Gestählt durch diese rauhe Schule, welche damals die erfahrensten Seeleute der ganzen Erde zählte, kehrte er, ausgerüstet mit trefflichen Fachkenntnissen und erfüllt von dem Gedanken, welche Rolle Rußland im östlichen Asien zu spielen habe, nach seinem Vaterlande zurück.

[216] Während eines zweijährigen Aufenthalts in Canton, 1798 und 1799, hatte Krusenstern beobachtet, welch' umfassende Erfolge englische Kaufleute mit dem Verkaufe von Pelzwaaren erzielten, die sie von der Nordwestküste des russischen Amerika zuführten.

Dieser Handel kam erst seit Cook's dritter Reise auf, und die Engländer hatten schon ungeheuere Vortheile und Schätze zum Schaden der Russen gewonnen, welche die Märkte Chinas bisher nur auf dem Landwege versorgten.

Im Jahre 1785 hatte zwar schon ein Russe, Namens Chelikoff, eine Gesellschaft begründet, welche, bei ihrem nicht ungünstigen Sitze auf der Insel Kodiak, in gleicher Entfernung von Amerika, Kamtschatka und den Alëuten-Inseln, zu recht ansehnlicher Entwicklung gelangte. Die Regierung überzeugte sich bald, daß sie aus jenen, bis jetzt mehr als stiefmütterlich behandelten Gebieten recht beträchtliche Vortheile gewinnen könne, und schickte deshalb nach Kamtschatka, auf dem langen Wege durch Sibirien, sowohl Mannschaften, als auch Provisionen und geeignetes Material ab.

Krusenstern durchschaute schnell die Unzulänglichkeit dieser Hilfsmittel, die Unerfahrenheit der Lootsen und die Unzuverlässigkeit der benutzten Seekarten, deren Fehlerhaftigkeit jährlich den Verlust mehrerer Schiffe herbeiführte, ohne der Nachtheile zu erwähnen, die ein zwei Jahre in Anspruch nehmender Transport der Pelzwaaren bis Ochotsk und von hier nach Kiachta mit sich bringen mußte.

Die besten Ideen sind immer die einfachsten und auf diese verfällt man gewöhnlich erst zuletzt. So war auch Krusenstern der Erste, der die gebieterische Nothwendigkeit darlegte, von den Alëuten, dem Productionsorte, aus direct auf dem Meere nach Canton, als dem frequentesten Markte, zu gehen.

Nach seiner Heimkehr nach Rußland bemühte sich Krusenstern sofort, den Grafen Koucheleff, den Marineminister, für seine Anschauungen zu gewinnen; die Antwort aber, welche er von dem Genannten erhielt, vernichtete einstweilen alle seine Hoffnungen. Erst nach dem Regierungsantritt Alexander's I. fand er, als Admiral Mordvinoff das Portefeuille der Marine übernommen hatte, die gewünschte Unterstützung.

Auf die Empfehlung Graf Romanoff's hin wurde Krusenstern sogar vom Kaiser beauftragt, seine vorgeschlagenen Pläne selbst zur Ausführung zu bringen. Am 7. August 1802 erhielt er in Folge dessen den Oberbefehl über zwei, zur Erforschung der Nordwestküste Amerikas bestimmte Schiffe.

[217] Wenn nun auch der Chef der beabsichtigten Expedition ernannt war, so fehlte es doch noch gänzlich an der dazu nöthigen Mannschaft, und auch die geeigneten Fahrzeuge waren im russischen Reiche nirgends aufzufinden. Selbst in Hamburg suchte man nach solchen vergebens. Erst in London vermochten sich der Kapitän Lisianskoï, Krusenstern's späterer zweiter Officier, und der Schiffsbauer Kasoumoff zwei Fahrzeuge zu verschaffen, welche den an dieselben zu stellenden Anforderungen einigermaßen entsprachen. Diese beiden Fahrzeuge wurden die »Nadiejeda« und die »Newa« getauft.

Inzwischen beschloß die Regierung, diese Gelegen heit zu benutzen, um einen Gesandten, Herrn von Besanoff, mit zahlreichem Gefolge und prächtigen, für den Souverän des Landes bestimmten Geschenken nach Japan abzuschicken.

Am 4. August verließen die beiden Fahrzeuge, vollständig beladen und mit hundertvierunddreißig Mann an Bord, die Rhede von Kronstadt. Sie nahmen in Kopenhagen und in Falmouth einen kurzen Aufenthalt, um einen Theil des in Hamburg eingekauften Vorrathes an gepökeltem Fleisch zu ersetzen und die »Nadiejeda«, deren Fugen sich bei einem schweren Unwetter in der Nordsee etwas geöffnet hatten, frisch zu kalfatern.

Nach kurzer Rast bei den Kanarischen Inseln suchte Krusenstern, ebenso vergeblich wie La Pérouse, die Insel Ascension, über deren Existenz nun schon seit dreihundert Jahren sehr abweichende Ansichten herrschten. Dann lief er das Cap Frio an, dessen Lage er, wie sehr er es auch wünschte, nicht genau bestimmen konnte, da die Angaben darüber und die neuesten Karten zwischen 23°6' und 22°34' variirten. Nachdem er die Küste von Brasilien in Sicht bekommen, segelte er durch den, von La Pérouse mit Unrecht als gefährlich bezeichneten Weg zwischen den Inseln Gal und Alvarado und lief am 21. December 1803 im Hafen von St. Katharina ein.

Die Nothwendigkeit, den Groß- und den Fockmast der »Newa« auszuwechseln, hielt Krusenstern fünf Wochen lang an dieser Insel zurück, wo er übrigens von Seite der portugiesischen Behörden mit großer Zuvorkommenheit empfangen und behandelt wurde.

Erst am 4. Februar konnten die beiden Schiffe ihre unterbrochene Reise fortsetzen. Sie waren nun in Stand gesetzt, den großen Gefahren der Südsee zu trotzen und um das Cap Horn, den Schrecken der Seefahrer, zu segeln.

Hatte sich die Witterung bis zur Höhe von Staatenland recht günstig erhalten, so folgten nun auf ungemein heftige Windstöße mit Hagel- und Schneeböen,[218] dichte Nebel mit außerordentlichen Wellen und hohler See, wobei die Schiffe hart arbeiteten. Während eines solchen Nebels verloren sich die beiden Schiffe am 24. März, oberhalb der westlichen Mündung der Magellanstraße, außer Sicht und trafen auch erst in Nuka-Hiwa wieder zusammen.

Krusenstern verzichtete darauf, die Osterinsel anzulaufen, wandte sich vielmehr nach dem Archipel der Marquisen (Markesas-Inseln) oder Mendoeinen, bestimmte die Lage der Inseln Fatugu und Uahuga, welche Ingraham, ein amerikanischer Kapitän, Washington genannt und im Jahre 1791, wenige Wochen vor dem Kapitän Marchand, der sie »die Inseln der Revolution« taufte, entdeckt hatte. Er bekam Hiwa-Hoa, das ist Mendana's Dominica, in Sicht und traf auf Nuka-Hiwa einen Engländer, Namens Roberts, und einen Franzosen, Cabri, die ihm durch ihre Kenntniß der Landessprache sehr ersprießliche Dienste leisteten.

Was er über seine daselbst gemachten Erfahrungen berichtet, bietet kein besonderes Interesse oder fällt zusammen mit dem, was man schon seit Cook's Reisen wußte; es beschränkt sich auf die grenzenlose und doch unbewußte Schamlosigkeit der Frauen, den engen Kreis der landwirthschaftlichen Kenntnisse der Eingebornen und auf deren Begierde zur Erlangung eiserner Werkzeuge.

Sonst findet man kaum eine Beobachtung angemerkt, die nicht schon von früheren Reisenden gemacht worden wäre, außer der über das Vorhandensein mehrerer Vereinigungen oder Gesellschaften, die den König oder dessen Verwandte, Priester oder ausgezeichnete Krieger als specielle Oberherren unter der Bedingung anerkennen, daß jene ihre Unterthanen in Zeiten des Mangels ernähren. Dieses Verhältniß erinnert, unserer Ansicht nach, an die unter den Clans von Schottland und den Indianerstämmen Amerikas vielfach herrschende »Hörigkeit«. Krusenstern ist dagegen anderer Meinung und spricht sich darüber mit folgenden Worten aus:

»Die Mitglieder dieser Gesellschaften erkennen sich an besonderen, auf ihren Körper tätowirten Abzeichen. Die zur Gesellschaft des Königs gehörigen, sechsundzwanzig an Zahl, haben ein sechs Zoll langes und vier Zoll breites Viereck auf der Brust. Diesen hatte sich auch Roberts angeschlossen. Er versicherte mir, daß es ihm nie eingefallen wäre, der Gesellschaft beizutreten, wenn ihn nicht der Hunger dazu getrieben hätte. Seine Abneigung schien mir jedoch einen Widerspruch zu enthalten, da nicht allein Diejenigen, welche eine solche Gesellschaft bilden, jeder Sorge wegen Beschaffung ihrer Nahrung enthoben sind, sondern die Bewohner der Insel es als eine Auszeichnung betrachten, wenn ihnen der [219] Beitritt gestattet wird. Ich kam daher auf die Vermuthung, daß diese Ehre doch vielleicht nur durch einen theilweisen Verlust der Freiheit erkauft wird.«

Bei einer Besichtigung der Umgebungen von Anna Maria wurde der Tchitchagoss-Hafen entdeckt, dessen Einfahrt zwar nicht ungefährlich, dessen Bassin aber so vollständig von Landmassen umschlossen ist, daß wohl auch die heftigsten Stürme das Wasser darin nicht aufzuregen vermöchten.

Als Krusenstern sich auf Nuka-Hiwa befand, stand die Menschenfresserei noch in voller Blüthe, doch bemerkt er ausdrücklich, niemals Zeuge einer solchen Scene gewesen zu sein.

Alles in Allem wurde Krusenstern ziemlich freundlich von einem Könige empfangen, der bei diesem, den abscheulichsten Lastern ergebenen Volke von Cannibalen allerdings keiner großen Autorität zu genießen schien.

Er gesteht indeß, daß er von den Einwohnern einen gar nicht ungünstigen Eindruck mit hinweggenommen haben würde, wenn ihn nicht die glaubhaften und unparteiischen Schilderungen der erwähnten beiden Europäer eines Anderen belehrt hätten.

»Wir haben betreffs der Nuka-Hiwier, sagt der russische Reisende, eigentlich nur erfreuliche Erfahrungen gemacht; beim Tauschhandel mit uns verfuhren sie stets ehrlich und vertrauensvoll und lieferten ihre Cocosnüsse sogar eher ab, als sie unser Eisen erhielten. Brauchten wir Holz oder Wasser, so waren sie immer zu helfen bereit. Nur selten hatten wir uns über einen erlittenen Diebstahl zu beklagen, obgleich gerade dieses Laster auf allen Inseln des Großen Oceans ungemein verbreitet ist. Immer heiter und zufrieden, schien die Gutmüthigkeit ihrem Gesichte wirklich eingeprägt zu sein... Die beiden Europäer, die wir auf Nuka-Hiwa trafen und welche mehrere Jahre auf dieser Insel verlebt hatten, stimmten dagegen völlig überein, daß die Bewohner höchst verdorben, barbarisch und, die Frauen nicht ausgenommen, im weitesten Sinne des Wortes Cannibalen seien; daß der Ausdruck von Fröhlichkeit und Milde, der uns so bestochen hatte, ihrem Charakter keineswegs entspreche, und nur die Furcht vor unseren Waffen nebst der Aussicht auf Gewinn sie vermocht habe, ihre wilden Triebe zu zügeln. Die Europäer schilderten uns als Augenzeugen manche Einzelheiten der entsetzlichen Scenen, welche sich unter diesem Volke und während eines Krieges fast täglich abspielen. Sie erzählten, mit welcher Gier die Barbaren über ihre Opfer herfielen, diesen den Kopf vom Rumpfe trennten, das Blut aus einer am Schädel gemachten Oeffnung aussaugten und dann ihre entsetzliche Mahlzeit abhielten.

[220] Ich wollte zuerst nicht an diese Greuel glauben und hielt die betreffenden Berichte für maßlos übertrieben. Was ich hier wiedergebe, gründet sich jedoch auf die Aussagen jener beiden Europäer, welche mehrere Jahre lang nicht allein Zeugen solch' abscheulicher Scenen waren, sondern dabei sogar mitwirken mußten. Uebrigens standen beide Männer einander persönlich bitter verfeindet gegenüber, und wenn sie sich uns gegenüber auch gegenseitig möglichst zu verleumden strebten, so stimmten sie doch über jenen Punkt vollkommen überein. Den Schilderungen derselben entsprachen verschiedene Anzeichen, die wir während unseres kurzen Aufenthaltes selbst beobachteten. Fast jeden Tag boten uns die Nuka-Hiwier eine Anzahl Schädel zum Verkaufe an; ihre Waffen waren alle mit Haaren geschmückt; ebenso liebten sie, die meisten Hausgeräthe mit menschlichen Gebeinen zu verzieren, und gaben durch nicht mißzuverstehende Pantomimen ihre Vorliebe für Menschenfleisch zu erkennen.«

Dieses Bild ist gewiß etwas zu sehr grau in Grau gemalt. Zwischen dem Optimismus Cook's und Forster's und den Aussagen der beiden Europäer, von denen Einer, ein früherer Deserteur, nicht besonders glaubwürdig erscheint, dürfte die Wahrheit wohl in der Mitte liegen.

Und haben wir vor Erreichung der heutigen raffinirten Civilisation nicht dieselben Entwicklungsphasen durchgemacht? Die Sitten unserer Ahnen werden in der Steinzeit z. B. nicht hoch über denen der heutigen Wilden in Oceanien gestanden haben.

Wir dürfen es den dortigen Vertretern des Menschengeschlechtes also keineswegs zum besonderen Vorwurfe machen, daß sie sich auch bis jetzt zu keinem höheren Standpunkte emporschwangen. Eine zusammengehörige Nation haben sie nie gebildet. In einem ungeheueren Ocean verstreut, in zahlreiche kleine Stämme zerfallen, ohne Kenntniß des Landbaues oder der Bedeutung mineralischer Bodenschätze, fast ohne Verbindung unter sich und, in Folge des Klimas, unter dem sie leben, ohne entwickelte Bedürfnisse, mußten dieselben wohl stationär bleiben und gelangten höchstens nach wenigen Seiten hin zu einigen Anfängen von Kunst oder Industrie. Und den noch haben ihre Stoffe, Geräthe, Canots, Netze u. A. m. oft genug die Bewunderung der Reisenden erregt.

Am 18. Mai verließen die »Nadiejeda« und die »Newa« Nuka-Hiwa wieder und segelten nach den Sandwichs-Inseln, wo Krusenstern halten wollte, um sich frischen Proviant zu verschaffen, was in Nuka-Hiwa, wo er nur sieben Schweine auftreiben konnte, nicht möglich gewesen war.

[221] Seine Erwartungen gingen freilich nicht in Erfüllung. Die Eingebornen von Owyhee oder Hawaï führten den vor der Südwestküste der Insel aufgebraßt liegenden Schiffen nur sehr wenig Proviant zu und wollten, was sie hatten, nur gegen Tuch ausliefern, ein Tauschmittel, welches Krusenstern völlig abging. Er steuerte also unverzüglich auf Kamtschatka und Japan zu, ließ aber die »Newa« vor dem Dorfe Karakakua zurück, wo Kapitän Lisianskoï sich noch verproviantiren zu können hoffte.

Am 14. Juli lief die »Nadiejeda« im Hafen von St. Peter und Paul (Petropawlowsk), der Hauptstadt von Kamtschatka, ein, wo die Mannschaft neben frischen Nahrungsmitteln endlich auch die wohlverdiente Ruhe fand. Am 30. August stachen die Russen wieder in See.

Unter fortwährenden dichten Nebeln und stürmischer Witterung suchte Krusenstern vergeblich nach einigen Inseln, welche auf einer, an Bord der von Anson weggenommenen spanischen Gallion aufgefundenen Karte verzeichnet standen, und deren Vorhandensein verschiedene Kartographen einmal bestätigten und dann wieder ableugneten, die aber z. B. in dem Reise-Atlas La Billardière's Aufnahme gefunden hatten.

Der Seefahrer passirte nachher die Van Diemens-Straße, zwischen der großen Insel Kiusiu und Tanega Sima, deren Lage bisher nur ungenau bestimmt war, und während er auch die des Liu-Kieu-Archipels berichtigte, den die Engländer nördlich von der Van-Diemens-Straße, die Franzosen aber viel weiter nach Süden verlegten, nahm er das Küstengebiet der Provinz Satsuma auf und benannte dessen hervorragende Punkte.

»Der Anblick dieses Theiles von Satsuma ist wirklich entzückend, sagt Krusenstern. Da wir in geringer Entfernung längs der Küste hinsegelten, vermochten wir die pittoresken Landschaftsbilder, welche dieselbe bot, recht gut zu sehen. Je nach dem Vorschreiten des Schiffes folgten sie sich in reicher Abwechslung. Die Insel erscheint als eine Anhäufung steil aufstrebender Berggipfel, von denen einige in Form einer Pyramide, andere in der von Kuppeln oder Kugeln ausgehen, hinter denen sich ein Wall von noch höheren Bergen aufthürmt. Wenn die Natur schon diese Insel mit verschwenderischen Reizen schmückte, so hat der Fleiß der Japaner diese eher noch vermehrt. Ueberall erstaunt das Auge über die üppigsten Naturbilder. Wir hätten das wahrscheinlich weniger bemerkt, wenn sich der bearbeitete Boden nur bis in die der Küste benachbarten Thäler erstreckte; hier aber sind nicht allein die Berge bis zu ihrem Gipfel angebaut, [222] sondern auch die Felsen am Ufer selbst erscheinen mit Feldern und Anpflanzungen bedeckt, die mit der braunen dunkleren Färbung ihrer Unterlage einen eigenthümlichen, dem Auge ungewohnten Contrast bilden. Ebenso verwunderten wir uns nicht wenig über eine Allee von großen Bäumen, die über Berge und durch Thäler über Sehweite hinaus an der Küste verlief. In gewissen Abständen enthielt dieselbe noch besondere kleine Bosquets, welche offenbar als Ruhepunkte für die Fußreisenden dienen, zu deren Frommen die ganze Anlage jedenfalls bestimmt ist. Eine derartige Vorsorge für Reisende möchte sich außerhalb Japans wohl schwerlich wiederfinden, denn wir sahen eine solche Allee von Nangasaki aus und eine andere noch auf der Insel Meac Sima.«

Kaum ankerte die »Nadiejeda« im Hafeneingange von Nangasaki, als auch schon mehrere »Damïos« an Bord derselben kamen, um jedes weitere Eindringen derselben zu verbieten.

Obwohl die Russen die Politik der Isolirung kannten welcher die japanische Regierung huldigte, so erwarteten sie doch, in Anbetracht des an Bord befindlichen Gesandten einer benachbarten, mächtigen Nation, wenigstens einen minder abstoßenden Empfang. Sie hatten wohl auch auf einige Freiheit der Bewegung gehofft, um über dieses so wenig bekannte Land weitere Auskunft zu erlangen, da das einzige Volk, welches hier Zulassung gefunden hatte, es sich zum Gesetze gemacht zu haben schien, darüber Schweigen zu beobachten.

Ihre Hoffnung aber sollte gänzlich zu Schanden werden.

Weit entfernt, dieselbe Freiheit zu genießen wie die Holländer, wurden sie während der ganzen Dauer ihres Aufenthaltes mit scharfer, fast beleidigender Aufmerksamkeit überwacht und gleich Gefangenen behandelt.

Wenn der Gesandte auch Erlaubniß erhielt, sich mit seiner bewaffneten Leibgarde an's Land zu begeben, ein Zugeständniß, welches bisher unerhört war, so durften die Matrosen sich doch nicht von dem Boote entfernen. Als man ihnen endlich zu landen gestattete, umgab man den Platz, auf dem sie sich ergehen durften, mit hohen Palissaden und ließ diesen auch noch besonders überwachen.

Ein Verbot, über Batavia nach Europa zu schreiben, ein Verbot, sich mit holländischen Kapitänen zu unterhalten, ein Verbot an den Gesandten, sein Haus nicht zu verlassen, ein Verbot... dieses Wort kennzeichnet kurz genug den wenig herzlichen Empfang seitens der Japanesen. Krusenstern benutzte den langen Aufenthalt an diesem Platze, um sein Schiff gänzlich abzutakeln und gründlich auszubessern.


Ansicht der Pyramide von Xochicaleo. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Er war damit fast zu Ende, als ihm die Ankunft eines [223] kaiserlichen Gesandten von so hoher Würde angemeldet wurde, »daß jener die Augen zu den Füßen Seiner kaiserlichen Majestät zu erheben wagen durfte«.

Dieser führte sich damit ein, daß er die Geschenke des Gesandten ausschlug, weil der Kaiser anderen Falles genöthigt wäre, eine Gesandtschaft mit Gegengeschenken abzuschicken, was der Landessitte nicht entspreche; gleichzeitig brachte er die gemessene Weisung, daß kein Schiff sich wieder in einem japanischen Hafen zeigen solle, und das für alle Russen giltige Verbot, unbedingt nichts einzukaufen; er erklärte dazu, daß alles zur Ausbesserung des Schiffes gelieferte Material, sowie die empfangenen Nahrungsmittel durch den Kaiser von Japan bezahlt werden würden. [224] Gleichzeitig überzeugte er sich, ob die Reparaturen der »Nadiejeda« bald vollendet wären. Krusenstern verstand die hierunter versteckte Andeutung und beeilte sich, bald abzusegeln.

Einen solchen Bescheid zu erhalten, war allerdings der Mühe nicht werth gewesen, darauf vom October bis zum April zu warten. Gerade ein Hauptzweck der Regierung, den russischen Schiffen Zutritt zu japanischen Häfen zu vermitteln, [225] war hiermit vollständig gescheitert. Diese engherzige, eifersüchtige Politik Japans diente freilich nur dazu, das Aufblühen des Landes um ein halbes Jahrhundert zu verzögern.


Neuseeländer. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Am 17. April lichtete die »Nadiejeda« die Anker und begann nun eine sehr erfolgreiche hydrographische Reise. Vor Krusenstern hatte nur La Pérouse die Meere zwischen Japan und dem Continent befahren. Der russische Seefahrer beabsichtigte denn auch, seine Untersuchungen mit denen seines Vorgängers zu verknüpfen und die Lücken auszufüllen, welche jener bezüglich der Geographie genannter Meere aus Mangel an Zeit noch übrig gelassen hatte.

»Mein Plan, sagt Krusenstern, ging dahin, die Südwest- und Nordwestküsten Japans zu untersuchen, die Lage der Straße von Sangar genau zu bestimmen – eine Straße übrigens, welcher die Karten Arrowsmith's, in dem »Piloten der Südsee«, und die in La Pérouse's Reise-Atlas eine Breite von hundert Meilen zutheilen, während sie nach japanischen Angaben nur eine Meile breit sein sollte; ferner die Westküste von Jesso aufzunehmen, womöglich die Insel Karafuto wiederzufinden, welche sich nach dem Vorgang einer japanischen Karte auch auf manchen neueren Seekarten zwischen Jesso und Saghalien angezeigt findet, obgleich ich selbst an deren Vorhandensein zweifle; diese neue Meerenge zu vermessen und die Insel Saghalien vom Cap Crillon bis zur Nordwestküste aufzunehmen, von wo aus ich, falls sich ein guter Hafen finden sollte, meine Schaluppe auszusenden gedachte, um über die noch etwas problematische Fahrstraße zwischen der Tatarei und Saghalien Aufschluß zu erhalten; endlich zu versuchen, ob ich auch durch eine nördlich von der Boussolen-Straße gelegene Meerenge zwischen den Kurilen hindurchsegeln könnte.«

Dieser so vielseitige Plan gelangte durch Krusenstern wirklich ziemlich in allen Theilen zur Ausführung. Nur von der Erforschung der Westküste von Japan, der Meerenge von Sangar, sowie der schmalen Straße, in welche der Sund von Tarakaï ausmündet, mußte er absehen und die Lösung dieser wichtigen Fragen, wenn auch wider Willen, seinen Nachfolgern überlassen.

Krusenstern segelte in die Meerenge von Korea ein, constatirte in der Länge der Insel Tsus eine Differenz von sechsunddreißig Minuten zwischen seiner Messung und der La Pérouse's – eine Differenz, welche Dagelet in seinen Correctionstafeln aufgenommen hat.

Der russische Forscher stimmte dagegen mit dem französischen Seefahrer vollkommen darin überein, daß die Magnetnadel in jenen Gegenden auffallend[226] wenig abweiche. Da man die richtige Position der Meerenge von Sangar zwischen Jesso und Nipon noch immer nicht kannte, bemühte sich Krusenstern, diese festzustellen. Demnach maß die nördliche Mündung derselben zwischen dem Cap Sangar, unter 41°16' 30'' nördlicher Breite und 219°46' östlicher Länge und dem Cap Nadiejeda, unter 41°25' 10'' der Breite und 219°50' 30'' der Länge, nur neun Meilen in der Breite. La Pérouse, der jene nicht selbst maß, theilt ihr dagegen, gestützt auf eine Karte des holländischen Reisenden Vries, eine solche von hundertzehn Meilen zu. Gewiß eine nicht unwichtige Berichtigung.

Krusenstern fuhr nicht in jene Straße weiter ein. Er trachtete danach, das Vorhandensein einer gewissen Insel, Karafuta, Tchoka oder Chicha nachzuweisen, welche nach einer im Jahre 1802 in Petersburg erschienenen Karte, die nach einer anderen, von dem Japaner Koday nach Rußland mitgebrachten bearbeitet war, zwischen Jesso und Saghalien liegen sollte. Er segelte also in kurzer Entfernung von der Küste von Jesso hinauf, benannte deren wichtigste Punkte und verweilte einige Tage nahe der Nordspitze dieser Insel, am Eingang zu der La Pérouse-Straße.

Hier erfuhr er von den Japanern, daß Saghalien und Karafuto eine und dieselbe Insel sei.

Als er am 10. Mai 1805 an Jesso landete, erstaunte Krusenstern nicht wenig, die Vegetation noch ungemein wenig entwickelt zu finden. Die Bäume standen noch blätterlos, da und dort glänzte wohl auch gar noch eine dichte Schneedecke, und der Reisende meinte, daß er bis Archangel werde hinaussegeln müssen, um ein so strenges Klima wiederzufinden. Eine Erklärung für diese Erscheinung erhielt man erst weit später mit dem Bekanntwerden der kalten Strömung, welche, von der Behringsstraße ausgehend, längs Kamtschatka, den Kurilen und Jesso hin verläuft.

Während des kurzen Aufenthaltes, den Krusenstern hier und den er in Saghalien nahm, lernte er auch die Aïnos kennen, ein Volk, das den Japanern keineswegs ähnelt – wenigstens nicht denen, welche die Berührung mit Chinesen allmählich etwas verändert hatte – und das wahrscheinlich im Besitz von ganz Jesso war, bevor jene sich daselbst niederließen.

»Ihr Wuchs, Gesichtsausdruck, ihre Sprache und Tracht, erzählt der Reisende, Alles zeugt dafür, daß sie (mit denen von Saghalien) gemeinschaftlichen Ursprung haben und nur ein einziges Volk bilden. Das erklärt auch, warum der Kapitän des Schiffes »Le Castricum«, der die La Pérouse-Straße verfehlt hatte, in Aniva und in Atkis glauben konnte, daß er sich noch auf der [227] nämlichen Insel befände. Die Aïnos haben im Allgemeinen dieselbe Größe, welche zwischen fünf Fuß zwei Zoll und fünf Fuß vier Zoll schwankt, sie zeichnen sich durch dunkelbraunen, fast schwarzen Teint, dichten, buschigen Bart und schwarze, starre, aber schlichte und nach hinten herabhängende Haare aus. Die Frauen dieses Stammes sind häßlich, ihre Gesichtsfarbe ebenso dunkel wie die der Männer, die schwarzen Haare tragen sie über die Stirne hineingekämmt, die Lippen erscheinen blau gemalt und die Hände tätowirt, was in Verbindung mit einer meist sehr schmutzigen Kleidung ihren Liebreiz nicht besonders zu erhöhen vermag. Ich muß denselben jedoch die Anerkennung zollen, daß sie ziemlich klug und bescheiden sind. Der hervorstechendste Charakterzug ist ihre Sanftmuth; sie bekundet sich in jeder Handlung und spricht aus allen ihren Zügen. Die Kleidung der Aïnos besteht meist aus Hunde- oder Robbenfellen. Doch sah ich zuweilen Einzelne in anderer Ausstattung, mit einem weiten, über den anderen Kleidern getragenen Hemd, das sich von den »Parkis« der Kamtschadalen kaum unterscheidet. Die Bewohner von Aniva tragen durchgehends Pelzwerk; selbst ihre Stiefeln waren aus Seehundsfellen hergestellt; auch die Frauen gingen in der nämlichen Kleidung.«

Nach Durchseglung der La Pérouse-Straße ankerte Krusenstern in der Bai von Aniva an der Insel Saghalien. Fische gab es hier in solcher Menge, daß zwei japanische Handelshäuser nicht weniger als vierhundert Aïnos mit dem Reinigen und Trocknen derselben beschäftigten. Man fing sie gar nicht mit Netzen, sondern schöpfte sie während der Ebbe gleich mit Eimern aus dem Wasser.

Nachdem er noch den Golf Patience untersucht, den der Holländer Vries nur zum Theil besichtigt hatte und in dessen Grunde ein Fluß ausmündet, der den Namen Newa erhielt, unterbrach Krusenstern seine Erforschung von Saghalien, um sich nach den Kurilen zu begeben, deren Lage bisher nur ungenau bestimmt war, dann kehrte er am 5. Juni 1805 nach Petropawlowsk zurück, wo er den Gesandten und dessen Gefolge an's Land setzte.

Im Juli nahm Krusenstern, der die Meerenge der Nadiejeda zwischen Matoua und Rachoua, das sind zwei zu der Kurilengruppe gehörende Inseln, durchschifft hatte, seine Untersuchung der Ostküste Saghaliens in der Nähe des Golfs Patience wieder auf. Die Umgebungen desselben mit ihren von Buschwerk und niedrigen Bäumen bedeckten Hügeln und dem dichtbewachsenen Strande boten einen sehr pittoresken Anblick. Aus dem Innern des Landes ragte eine einförmige Linie hoher Berge empor.

[228] Der Seefahrer folgte dieser öden Küste, welche in der ganzen Länge keinen Hafen bietet, bis zu den Caps Maria und Elisabeth. Zwischen den letztgenannten schneidet eine Bucht tief in's Land, in deren Grund sich ein kleines, aus siebenunddreißig Häusern bestehendes Dorf vorfand, das einzige, welches die Russen seit ihrer Abfahrt aus der Bai Providence zu Gesicht bekommen hatten. Dasselbe war nicht von Aïnos, sondern von Tataren bewohnt, wovon man sich einige Tage später überzeugte.

Krusenstern drang nun in den Kanal ein, der Saghalien von der Tatarei scheidet; kaum fünf Meilen von dessen Eingange zeigte die Sonde aber plötzlich nur noch sechs Faden Wasser. An ein weiteres Vordringen war unter diesen Umständen nicht zu denken. Es erging also sofort der Befehl zum Gegenbrassen, während ein Boot abgesendet wurde, um die beiden Ufer zu besichtigen und die Mitte des Kanals zu untersuchen, bis dieser nur noch drei Faden Wasser zeigen würde. Dasselbe hatte gegen eine heftige Strömung zu kämpfen, welche die Fahrt sehr beschwerlich machte und deren Ursache man in dem Amurflusse vermuthete, der unweit von hier ausmündete.

Da der Gouverneur von Kamtschatka Krusenstern jedoch gewarnt hatte, sich der unter chinesischer Herrschaft stehenden Küste der Tatarei zu sehr zu nähern, um nicht das Mißtrauen jener Macht zu erwecken, konnte jener seine Untersuchung leider nicht weiter führen; er kehrte vielmehr, die Kurilen noch einmal durchschneidend, nach Petropawlowsk zurück.

Der Commandant benutzte den Aufenthalt in diesem Hafen zur nothwendigen Ausbesserung seines Schiffes und veranlaßte die Wiederherstellung der Denkmäler des Capitän Clerke, des Nachfolgers Cook's bei dessen letzter Erdumseglung, sowie Delisle's und La Croyère's, des französischen Astronomen und Begleiters Behring's im Jahre 1741.

Krusenstern erhielt auf dieser letzten Station einen eigenhändigen Brief des Kaisers von Rußland, der ihm, unter Bezeigung der allerhöchsten Anerkennung für seine Arbeiten, den St. Anna-Orden übersandte.

Am 4. October 1805 begab sich die »Nadiejeda« endlich wieder auf den Weg nach Europa und untersuchte dabei die Meerestheile, in denen nach den Karten die zweifelhaften Inseln Rica de Plata, Guadalupas, Malabrigos, St. Sebastian de Lobos und San Juan liegen sollten.

Krusenstern lief dabei die Farellon-Inseln der Anson'schen Seekarte an, welche heutzutage die Namen St. Alexander, St. Augustin und Volcanos führen [229] und südlich von Bonin Sima liegen. Nach Durchseglung des Kanals von Formosa landete er dann, am 21. November, im Hafen von Macao.

Hier verwunderte er sich nicht wenig, die »Newa« nicht vorzufinden, welche seiner Anordnung gemäß von Kodiak eine zum Einkaufe von chinesischen Waaren bestimmte Ladung Pelzwerk bringen sollte. Krusenstern beschloß also, das Fahrzeug abzuwarten.

Macao bot dem Reisenden den Anblick einer verfallenen Größe.

»Man sieht daselbst, heißt es in dem Berichte, große Plätze, umrahmt mit prächtigen Häusern innerhalb weiter Höfe und prächtiger Gärten, die meist aber leer stehen, da sich die portugiesische Einwohnerschaft stark vermindert hat. Die Hauptgebäude sind von holländischen und englischen»Logen« eingenommen. Macao zählt vielleicht fünfzehntausend Bewohner, der Mehrzahl nach Chinesen, denn auf der Straße wenigstens sieht man, außer Geistlichen und Kirchendienern, nur selten einen Europäer.«

»Wir haben mehr Priester als Soldaten!« sagte mir ein Bürger von Macao. Dieser Scherz ist buchstäblich wahr. Die Zahl der Soldaten erreicht kaum hundert fünfzig Mann, darunter keinen einzigen Europäer; es sind vielmehr lauter Mestizen aus Macao und Goa; selbst europäische Officiere befinden sich nicht darunter. Es möchte wohl sehr schwierig werden, vier große Forts mit diesem schwachen Häuflein zu vertheidigen. Seine Schwäche gestattet es den von Natur unverschämten Chinesen, sich ohne Scheu Alles zu erlauben.«

Als die »Nadiejeda« schon die Anker wieder lichten wollte, erschien die »Newa«. Es war das am 3. December. Krusenstern segelte nun mit derselben nach Whampoa, wo er seine Pelzladung vortheilhaft verkaufte, freilich erst nach unzähligen Schwierigkeiten, die nur durch seine feste, aber maßvolle Haltung und durch die Fürsprache englischer Kaufleute beseitigt wurden.

Am 9. Februar 1806 lichteten die beiden Fahrzeuge wieder die Anker und passirten vereinigt die Sunda-Straße. Jenseits der Weihnachtsinseln wurden sie jedoch bei nebligem Wetter wieder getrennt und fanden sich erst am Schlusse der ganzen Fahrt wieder. Am 4. Mai ankerte die »Nadiejeda« in der Bai von St. Helena, nachdem sie von der Sunda-Straße aus sechsundfünfzig und von Macao aus neunundsiebenzig Tage unter Segel gewesen war.

»Ich kenne, sagt Krusenstern, keinen geeigneteren Halteplatz als St. Helena, um nach einer langen Fahrt einmal auszuruhen. Die Rhede ist sehr sicher und bei jedem Wetter bequemer als z. B. die Tafel- und die Simons-Bai am Cap.

[230] Wenn man sich in der Nähe des Landes hält, bietet die Einfahrt keine Schwierigkeiten; dabei ist der Weg bis in die offene See sehr kurz. Man findet hier Lebensmittel aller Art, vorzüglich ausgezeichnete Küchengewächse. In kaum drei Tagen vermag man sich mit allem Nothwendigen zu versorgen.«

Am 21. April segelte Krusenstern zwischen den Shetlands-Inseln und den Orkaden hindurch, um den Kanal (zwischen England und Frankreich) zu vermeiden, wo er in Gefahr kam, französischen Kreuzern in die Hände zu fallen, und kehrte nach glücklicher Fahrt am 7. August 1806 nach Kronstadt zurück.

Ohne sich gerade den wichtigsten Reisen, wie denen Cook's oder La Pérouse's anzureihen, entbehrt doch auch die Krusenstern's keineswegs eines gewissen Interesses. Man verdankt diesem Forscher zwar keine bedeutungsvolle neuere Entdeckung, er bestätigte und berichtigte aber doch die seiner großen Vorgänger.

Den Reisenden des 19. Jahrhunderts, welche jetzt in die Weite hinaus ziehen, bleibt ja bei dem so fortgeschrittenen Wissen unserer Tage überhaupt nur diese Rolle übrig.

Krusenstern hatte bei seiner Reise um die Erde auch den Sohn des berühmten Bühnendichters Kotzebue mit an Bord gehabt. Der junge Otto Kotzebue, damals noch Seecadett, avancirte darauf ziemlich schnell. Er war Schiffslieutenant, als ihm 1815 das Commando einer ganz neuen Brigg, der »Rurik«, anvertraut wurde, welche siebenundzwanzig Mann Besatzung nebst zwei Kanonen zählte und auf Kosten des Grafen Romantzoff ausgerüstet war. Sein Auftrag damit lautete dahin, die noch weniger bekannten Gebiete von Oceanien zu erforschen und eine Durchfahrt durch das Eismeer zu versuchen.

Kotzebue verließ den Hafen von Kronstadt am 15. Juli 1815, ankerte in Kopenhagen und in Plymouth, und segelte nach sehr beschwerlicher Fahrt am 22. Januar 1816 nach Doublirung des Cap Horn in den Pacifischen Ocean ein. Er rastete hier zuerst bei Talcahuano an der Küste von Chile, stach wieder in See, bekam die wüste Insel Salas y Gomez in Sicht und steuerte nun auf die Osterinsel zu, wo er einen ebenso freundlichen Empfang zu finden hoffte, wie seine Vorgänger Cook und La Pérouse.

Kaum hatten die Russen jedoch, inmitten einer dichten Menge von Eingebornen, die ihnen Früchte und Wurzeln anboten, den Fuß an's Land gesetzt, als sie sich mit einer solchen Frechheit bestohlen sahen, daß sie zu ihrer Vertheidigung von den Waffen Gebrauch machen und sich eiligst wieder einschiffen mußten, um dem Hagel von Steinen zu entgehen, mit dem die Wilden sie überschütteten.


Typus der Aïnos. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Die einzige Beobachtung, welche sie während jenes kurzen Besuches machen konnten, bestand in der Wahrnehmung, daß eine große Menge jener gigantischen Steinfiguren, deren Cook und La Pérouse Erwähnung thun, jetzt größtentheils zerstört und umgestürzt worden war.


Bei dem Knalle des Gewehres. (S. 234.)

Am 16. April gelangte der russische Kapitän nach Schouten's Insel der Hunde, welche er die »Zweifelhafte Insel« nannte, um auf den Unterschied in der Breitenlage hinzudeuten, den er zwischen den Angaben früherer Seefahrer und seinen eigenen Messungen [231] constatirte. Nach Kotzebue läge dieselbe unter 14°50' südlicher Breite und 138°47' westlicher Länge. [232] Im Laufe der nächsten Tage entdeckte er die wüste Insel Romantzoff – so genannt zu Ehren des Patrons der Expedition – ferner die Insel Spiridoff mit einer Lagune inmitten des Landes (das ist die Insel Oura vom Pomotu-Archipel) und darauf die Kette der Vliegen-Eilande und die nicht minder ausgedehnte der Krusenstern-Inseln.

Am 28. April befand sich die »Rurik« in der Nähe der für die Bauman's-Inseln angegebenen Position. Er suchte diese jedoch vergeblich. Wahrscheinlich hatte er dieselbe Gruppe schon unbewußt früher in Sicht gehabt.

[233] Als er den gefährlichen Archipel der Pomotus verlassen, steuerte Kotzebue nach einer Inselgruppe, welche Sever im Jahre 1788 gesehen, aber nicht angelaufen hatte, und die jener damals die »Penrhyn-Inseln« taufte. Für den Mittelpunkt dieser, den Pomotu-Inseln ähnlichen, sehr niedrigen, aber bewohnten Eilande bestimmte der Seefahrer die Lage unter 9°1 ' 35'' südlicher Breite und 157°44' 32'' westlicher Länge.

Bei dem Erscheinen des Schiffes stieß eine beträchtliche Flottille vom Ufer ab. Die Eingebornen, welche dieselbe besetzt hatten, ruderten mit Palmenzweigen in den Händen unter abgemessenem Schlage der Pagaien heran, während eine Menge Sänger eine ernste, fast melancholische Weise anstimmten. Um sich gegen jede Ueberrumplung sicherzustellen, ließ Kotzebue alle Piroguen nur an einer Seite seines Schiffes anfahren, und mit Hilfe von Seilen entwickelte sich bald ein lebhafter Tauschhandel. Die Eingebornen hatten gegen Eisenstücke freilich nichts als Angelhaken aus Perlmutter zu bieten. Sie gingen bis auf einen Schurz vollständig nackt, waren aber recht gut gebaut und von martialischem Aussehen.

Traten sie schon zuerst sehr lebhaft und geräuschvoll auf, so nahmen die Wilden nach und nach sogar eine drohende Haltung an. Sie suchten ihre Diebereien gar nicht zu verhehlen und antworteten auf deshalb erhobene Reclamationen durch ganz unzweideutige Herausforderungen. Sie schwangen z. B. die Lanzen über den Köpfen, stießen ein entsetzliches Geschrei aus und suchten sich scheinbar gegenseitig zum Angriff anzureizen.

Als Kotzebue den Augenblick gekommen glaubte, dieser feindseligen Haltung entgegenzutreten, ließ er einen blinden Schuß abgeben. Im Augenblick waren alle Canots leer; bei dem Knall des Gewehres hatten sich die Insassen der Boote auf Einen Schlag in's Wasser gestürzt. Bald sah man ihre Köpfe wieder emportauchen und sie nahmen nun, durch jenen Wink etwas zahmer gemacht, den Tauschhandel ruhiger wieder auf. Bei diesem Volke, das Kotzebue mit dem auf Nuka-Hiwa wohnenden Stamme vergleicht, schienen Nägel und Eisenstücke in hohem Werthe zu stehen. Wenn sich die Eingebornen nicht tätowirten, so trugen sie dafür am ganzen Körper breite Narben zur Schau.

Eine auffällige Gewohnheit derselben, welche man auf den oceanischen Inseln bisher noch nicht wahrgenommen hatte, bestand darin, die Nägel möglichst lang wachsen zu lassen, und die der Anführer in den Piroguen überragten die Finger manchmal um ganze drei Zoll.

[234] Sechsunddreißig Boote mit dreihundertsechzig Mann besetzt umschwärmten jetzt das Schiff. Kotzebue sagte sich, daß eine Landung in Rücksicht auf seine schwachen Kräfte eine Unklugheit sei, und ging deshalb wieder unter Segel, ohne weitere Kunde über diese wilden und kampflustigen Insulaner einziehen zu können.

Auf dem weiteren Wege nach Kamtschatka bekam der Seefahrer zwei, durch eine Kette von Korallenriffen verbundene Inseln in Sicht. Er gab denselben die Namen Kutusoff und Suwarow, bestimmte deren Lage und nahm sich vor, dieselben wieder aufzusuchen. Die Einwohner derselben näherten sich der »Rurik« auf leicht beweglichen Piroguen wagten aber trotz der dringlichen Einladung der Russen nicht, an Bord zu kommen. Sie betrachteten das Schiff mit großer Verwunderung, unterhielten sich mit einer Lebhaftigkeit, welche auf ihre Intelligenz zu schließen erlaubte, und warfen Pandanusfrüchte und Cocosnüsse auf das Verdeck.

Ihre schwarzen, schlichten Haare, in denen sie da und dort eine Blume angebracht hatten, die am Halse hängenden Zieraten, die Kleidung aus gewebten Stoffen, welche bis zu den Waden herabfiel, und vor Allem ihr offenes, freundliches Auftreten unterschieden diese Leute, die zu dem Marshalls-Archipel gehörten, wesentlich von den Bewohnern der Penrhyn-Inseln.

Am 19. Juni lief die »Rurik« in Neu-Archangel ein und deren Mannschaft verwendete volle achtundzwanzig Tage zur Ausbesserung des Schiffes.

Am 15. Juli ging Kotzebue wieder unter Segel und landete fünf Tage später an der Behrings-Insel, deren Nordspitze zu 55°17'18'' nördlicher Breite und 194°6' 37'' westlicher Länge bestimmt wurde.

Die Eingebornen, welche Kotzebue auf dieser Insel traf, trugen, gleich denen der amerikanischen Seite, Kleidung aus Robbenhaut und Seehunds-Eingeweiden. Ihre Lanzen waren mit spitzen Zähnen von Amphibien versehen. Ihre Nahrung bestand aus Walfisch- oder Robbenfleisch, das sie in Erdvertiefungen aufbewahrten. Die aus Leder bestehenden, höchst unreinlichen Hütten derselben verbreiteten einen abscheulichen Geruch von ranzigem Oel. Auch die Boote waren mit Leder überzogen, und endlich besaßen sie viele, von Hunden gezogene Schlitten.

Ihre Art, sich zu begrüßen, ist besonders merkwürdig: sie reiben sich nämlich gegenseitig die Nasen und darauf streicht Jeder mit der Hand am Leib herunter, als habe er einen recht schmackhaften Bissen genossen; wollen [235] sie aber Jemand einen Beweis außerordentlicher Zuneigung geben, so spucken sie in die Hand und salben das Gesicht des Freundes mit dem Speichel ein.

An der amerikanischen Küste nach Norden weiter fahrend, gelangte der Kapitän nach der Bai Chichmareff, der Insel Saritcheff und entdeckte endlich einen tiefen Golf, von dem man bisher keine Ahnung hatte. In demselben hoffte Kotzebue einen Kanal zu finden, durch den er nach den Polarmeeren vordringen könne, doch ging diese Erwartung nicht in Erfüllung. Dem Golfe gab der Seefahrer seinen eigenen Namen, dem Cap am Eingange desselben aber den Krusenstern's.

In Folge der ungünstigen Jahreszeit mußte die »Rurik« am 6. September nach Unalachka zurückkehren; später hielt sie sich einige Tage in San Francisco auf und segelte dann nach den Sandwichs-Inseln, wo wichtige Messungen vorgenommen und merkwürdige Beobachtungen verschiedener Art gemacht wurden.

Von diesem Archipel aus wandte sich Kotzebue nach den von ihm einige Monate früher entdeckten Inseln Suwarow und Kutusoff. Am 1. Januar 1817 bekam er die Insel Miadi in Sicht, der er den Namen die »Neujahrs-Insel« gab. Vier Tage später entdeckte er eine Reihe niedriger bewaldeter, von Korallenriffen umgebener Eilande, welche das Schiff nur mit Mühe passiren konnte.

Anfangs entflohen die Bewohner derselben, als sie des Lieutenant Schischmareff ansichtig wurden, kamen aber bald mit einem Zweige in der Hand zurück und riefen unablässig das Wort »Aïdara« (Freund). Der Officier wiederholte das Wort und beschenkte sie mit einigen Nägeln, für welche die Russen die Halsbänder und Blumen, mit denen die Eingebornen Hals und Kopf geschmückt hatten, als Gegengeschenke erhielten.

Dieser Austausch von Freundlichkeiten bestimmte auch den Rest der Insulaner, sich sehen zu lassen. Während des ganzen Aufenthaltes der Russen in diesem Archipel dauerten diese guten Beziehungen und gegenseitigen Besuche fort. Einer der Eingebornen, Namens Rarik, empfing die Russen besonders herzlich und sagte ihnen, daß seine Insel, ebenso wie die ganze Kette von Eilanden und Atolls, Otdia heiße.

Um sich für den wohlwollenden Empfang seitens der Wilden erkenntlich zu beweisen, ließ Kotzebue einen Hahn und eine Henne zurück und steckte in einen Garten, den er hatte herrichten lassen, viele Sämereien verschiedener Art, in der Hoffnung, daß dieselben hier zur Reife kommen würden; er machte seine [236] Rechnung freilich ohne die Ratten, welche auf der Insel in Schaaren hausten und seine Anpflanzungen zerstörten. Nachdem Kotzebue durch einen Häuptling. Namens Languediak, erfahren, daß diese Inselgruppe nebst ihrer dünn gesäeten Bevölkerung nur sehr neuen Ursprungs sein könne, stach er am 6. April neuerdings in See und gab dem Archipel den Namen Romantzoff's.

Am nächsten Tage vertauschte er den Namen von fünfzehn Eilanden, auf welchen nur drei Personen angetroffen wurden, indem er sie an Stelle der früheren Bezeichnung »Eregup« die »Tchitschakoff-Eilande« taufte. Später fand Kotzebue auf den Kawen-Inseln seitens des »Tamons« oder Häuptlings einen wirklich enthusiastischen Empfang. Jedermann hier bemühte sich, die neuen Ankömmlinge zu ehren, die Einen durch ihr Schweigen – wie es z. B. die Etiquette der Könige des Landes verbot, die an sie gerichteten Fragen zu beantworten, die Anderen durch ihre Tänze, ihr Geschrei oder durch lustige Gesänge, in welchen der Name »Totabu« (Kotzebue) häufig wiederkehrte. Der Häuptling selbst, der Kotzebue in einem Canot abholte, trug diesen auf den Schultern an's Land da man nicht bis an's Ufer fahren konnte.

An der Aur-Gruppe bemerkte der Seefahrer unter den vielen Eingebornen, welche an Bord gekommen waren, zwei Männer, deren Tätowirung und Physiognomie sie als Fremde kennzeichneten. Einer derselben, Namens Kadon, gefiel vorzüglich dem Commandanten, der ihm einige Eisenstücke schenkte. Kotzebue wunderte sich, jenen darüber nicht dieselbe Freude ausdrücken zu sehen wie seine Begleiter. Noch der nämliche Abend sollte darüber Aufklärung geben.

Als alle Eingebornen sich anschickten, die »Rurik« zu verlassen, bat Kadon inständigst, für immer dableiben zu dürfen, so daß der Commandant, obwohl ungern, seinem Wunsche nachgeben mußte.

»Kadou wandte sich, sagt Kotzebue, zu seinen Kameraden, die ihn in ihren Piroguen erwarteten, und erklärte ihnen seine Absicht, an Bord des Schiffes zu verbleiben. Erstaunt über diesen Entschluß, suchten die Eingebornen ihn vergeblich davon abzubringen. Zuletzt trat sein Landsmann Edok noch einmal zu ihm heran, unterhandelte erst lange Zeit mit ihm in ernstem Tone und suchte ihn endlich, da er damit nichts zu erreichen schien, mit Gewalt fortzuziehen; Kadou stieß den Freund aber entschlossen zurück und die Piroguen entfernten sich langsam. Er brachte die Nacht in meiner Nähe zu, hocherfreut über die Ehre, neben dem Tamon des Schiffes zu schlafen, und gab deutlich seine Befriedigung über den gefaßten Beschluß zu er kennen.«

[237] Geboren auf Jouli, einer der Carolinen, dreihundert Meilen von der Insel, die er zuletzt bewohnte, war Kadou mit Edok und zwei anderen Landsleuten beim Fischfange von einem heftigen Sturme überfallen worden. »Acht« Monate lang irrten die Unglücklichen, ein Spiel der Winde und Strömungen, auf dem bald ruhigen, bald stürmisch erregten Meere umher. Während dieser Zeit hatte es ihnen zwar nie an Fischen gefehlt, dagegen hatten sie von Durst oft entsetzlich zu leiden. Wenn ihr Vorrath an Regenwasser, mit dem sie übrigens sehr sparsam umgingen, erschöpft war, konnten sie sich nicht anders als dadurch helfen, daß sie tief in's Meer hinabtauchten, um vom Grunde ein weniger salziges Wasser herauszuholen, wozu sie eine ausgehöhlte und mit enger Oeffnung versehene Cocosnuß mit hinunternahmen. Endlich in Sicht der Aur-Inseln gelangt, konnte selbst der Anblick des Landes und die Aussicht auf das Ende ihrer Leiden sie kaum mehr aufrecht erhalten.

Als die Einwohner von Aur die eisernen Geräthe sahen, welche sich in der Pirogue der Fremdlinge befanden, wollten sie diese erst ermorden, um sich ihrer Schätze zu bemächtigen; der Tamon aber nahm jene unter seinen Schutz.

Seitdem waren nun drei Jahre verflossen, und die Caroliner hatten, in Folge ihrer größeren Kenntnisse, unter den Bewohnern der Insel es zu einem gewissen Ansehen und zu hervorragender Stellung gebracht.

Als die »Rurik« sich näherte, befand sich Kadon eben fern von der Küste im Walde. Sofort wurde nach ihm geschickt, denn er galt für einen großen Reisenden und konnte vielleicht sagen, welches Ungethüm auf die Insel zukomme. Kadou, der europäische Schiffe schon früher gesehen, hatte seine Freunde dann auch bestimmt, den Fremden entgegen zu fahren und sie freundlich zu empfangen.

Das waren die Abenteuer Kadon's. Er blieb auf dem Schiffe, bezeichnete auch die anderen Inseln des Archipels und erleichterte den Russen sehr wesentlich den Verkehr mit anderen Eingebornen.

Bekleidet mit einem gelben Mantel, den Kopf gleich einem Galeerensklaven mit einer rothen Mütze bedeckt, blickte Kadou nun etwas hochmüthig auf seine früheren Freunde herab und schien dieselben gar nicht mehr zu kennen. Nur bei dem Besuche eines ehrwürdigen Greises, Tigedien mit Namen, der sich durch einen prächtigen Bart auszeichnete, verstand sich Kadou dazu, die Handhabung des Segelwerkes und überhaupt Alles, was sich auf dem Schiffe befand, zu erklären. Wie so viele Europäer ersetzte er durch sicheres Auftreten den Mangel an Wissen und war auf keine Frage um die Antwort verlegen.

[238] Als er um Auskunft wegen eines kleinen Behälters ersucht wurde, aus dem ein Matrose etwas schwärzliches Pulver nahm und in die Nase einsog, gab Kadon sofort die ungeheuerlichsten Erzählungen darüber zum Besten und näherte den Behälter, um einen unwiderlegbaren Beweis zu liefern, auch seiner Nase. Sofort warf er denselben aber weit von sich und begann so entsetzlich zu niesen und zu schreien, daß seine Freunde entsetzt nach allen Richtungen auseinanderstoben; nach überstandener Krisis aber wußte er der fatalen Geschichte dennoch einen für ihn günstigen Anstrich zu verleihen.

Kadon lieferte Kotzebue weitere Kundschaft über die Inselgruppe, bei welcher sich die Russen, mit Aufnahmen und Messungen beschäftigt, nun schon während eines ganzen Monats aufhielten. Alle diese Inseln standen unter der Botmäßigkeit eines einzigen Tamon, Namens Lamary, und hießen bei den Eingebornen Radak. Dumont d'Urville nannte sie einige Jahre später die Marshalls-Inseln. Nach Kadou's Aussage lag westlich und parallel mit jenen eine andere Reihe von Eilanden, Atolls und Rissen, welche Ralik genannt wurden.

Kotzebue fand keine Zeit mehr, diese zu besuchen, sondern wandte sich nach Norden und erreichte am 24. April Unalachka, wo er die schweren Beschädigungen ausbessern ließ, welche die »Rurik« durch zwei heftige Stürme erlitten hatte. Als er hier einige »Baïdaren«, das sind mit Häuten bespannte Boote, und fünfzehn an die Seefahrt im Polarmeer gewöhnte Alëuten an Bord genommen, begann der Commandant die Untersuchung der Behrings-Straße von Neuem.

Kotzebue litt an heftigen Schmerzen in der Brust, seitdem er bei Umschiffung des Cap Horn durch eine gewaltige Welle umgeworfen und über Bord geschleudert worden war, was ihm ohne Zweifel das Leben gekostet hätte, wenn es ihm nicht gelungen wäre, sich an einem Seile zu halten. Sein Zustand verschlimmerte sich jedoch weiter, so daß er sich am 10. Juli, als er die Insel St. Laurent anlief, gezwungen sah, auf eine weitere Fortsetzung der Fahrt zu verzichten.

Am 1. October ging die »Rurik« noch einmal auf kurze Zeit bei den Sandwichs-Inseln vor Anker, nahm verschiedene Sämereien und Thiere ein und landete nachher unter den freudigsten Kundgebungen der Eingebornen wieder in Otdia. Vorzüglich entzückt zeigten diese sich darüber, daß die Russen einige Katzen mitbrachten, durch die sie von der Unzahl Ratten, welche auf der Insel hausten und die Pflanzungen verheerten, befreit zu werden hofften Gleichzeitig feierten sie die Rückkehr Kadous, dem die Russen eine Menge Geräthe und Waffen überließen, wodurch er zum reichsten Manne des ganzen Archipels wurde.

[239] Am 4. November verließ die »Rurik« die Radak-Inseln und blieb, nach einem kurzen Besuche des Legiep-Archipels, bis zum Ende desselben Monates bei Guaham, einer der Mariannen, liegen. Ein mehrwöchentlicher Aufenthalt in Manilla gab dem Commandanten Gelegenheit, vielfache Kundschaft über die Philippinen einzuziehen, worauf wir später noch zurückkommen.

Nachdem sie glücklich mehrere Stürme in der Nähe des Caps der Guten Hoffnung überstanden, warf die »Rurik« am 3. November in der Newa, gerade vor dem Palaste des Grafen Romantzoff, Anker.

Die kühnen Seefahrer hatten die drei Jahre, welche ihre Seefahrt dauerte, wohl auszunutzen gewußt. Sie waren trotz ihrer geringen Zahl und der Schwäche ihres Fahrzeuges nicht davor zurückgeschreckt, sich auf die gefährlichsten Meere, in unbekannte Archipele, nach dem Eise des Pols und in die Gluth der Tropenzone zu wagen. Verdankte man ihnen nicht unwichtige geographische Entdeckungen, so kommt den vielen Berichtigungen früherer falscher Angaben ein noch ungleich höherer Werth zu. Zweitausendfünfhundert Pflanzenarten, darunter ein Drittel ganz neue, und vielfache Beiträge zur Kenntniß der Sprachen, der Ethnographie, der Religion und der Sitten der von ihnen besuchten Volksstämme – das verdient gewiß den Namen einer reichen Ernte, die ebenso für den Eifer, das Geschick und das Wissen des Kapitäns, wie für die Unerschrockenheit und Ausdauer der Mannschaft ein rühmliches Zeugniß ablegt.

Als die russische Regierung sich dann im Jahre 1823 entschloß, nach Kamtschatka Truppen zu senden, um dem Schleichhandel, der in ihren Besitzungen an der Nordwestküste Amerikas blühte, ein Ende zu machen, wurde das Commando der Expedition dem bewährten Kotzebue anvertraut. Man überließ ihm die Fregatte »Predpriatie« und stellte es ihm völlig frei, für die Hin- wie für die Rückfahrt denjenigen Weg einzuschlagen, der ihm zur Erreichung jenes Zweckes am geeignetsten dünkte.

Hatte Kotzebue als Seecadett früher mit Krusenstern eine Reise um die Welt gemacht, so gab ihm dieser jetzt seinen jüngsten Sohn als Begleiter mit, und Möller, der damalige Marineminister, folgte diesem Beispiele.

Die Expedition verließ Kronstadt am 15. August 1823, lief Rio de Janeiro an, segelte am 15. Januar 1824 um das Cap Horn, wandte sich nach dem Pomotu-Archipel, wobei die Insel Predpriatie entdeckt ward, lief hierauf die Inseln Araktschejef, Romantzoff, Carlshoff und Palliser an und ging am 14. März auf der Rhede von Matavaï auf Tahiti vor Anker.

[240] Seitdem Cook in diesem Archipel gewesen war, hatten die Sitten und Lebensgewohnheiten der Bewohner eine völlige Umgestaltung erfahren.


Das Innere eines Hauses zu Radak. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Schon 1799 waren auf Tahiti Missionäre eingetroffen und hatten sich daselbst zehn Jahre lang aufgehalten, ohne nur einen einzigen Eingebornen bekehren zu können, ja, man muß leider zugeben, es war ihnen nicht einmal gelungen, die Achtung der Einwohnerschaft zu erringen.

Als sie durch Unruhen, welche Tahiti zu jener Zeit erschütterten, gezwungen wurden, auf Eimeo und anderen Inseln des Archipels Zuflucht zu suchen, konnten [241] sie sich bald besserer Erfolge rühmen. Im Jahre 1817 rief Pomare, der König von Tahiti, die Missionäre zurück, trat ihnen bei Matavaï ein Stück Land ab und bekehrte sich selbst, was viele der hervorragenden Einwohner bestimmte, seinem Beispiele zu folgen.

Kotzebue überzeugte sich zwar von dieser Umwandlung, zweifelte aber doch sehr daran, daß europäische Gewohnheiten in Tahiti festen Fuß fassen würden.

Auf den Kanonenschuß, der die Ankunft der Russen verkündete, stieß ein Boot unter tahitischer Flagge vom Ufer und ein Lootse führte die »Predpriatie« sehr geschickt nach einem sicheren Ankerplatze.

Am nächsten Tage, einem Sonntage, erstaunten die Russen über die weihevolle Ruhe, die auf der ganzen Insel herrschte. Das feierliche Schweigen wurde nur durch Loblieder und Psalmen unterbrochen, welche die Eingebornen in ihren Hütten sangen.

Die Kirche, ein einfaches, reinliches Gebäude von regelmäßiger Form und bedeckt von Rosengezweig, zu dem eine lange und breite Allee von Cocospalmen hinführte, war von einer aufmerksamen, andächtigen Menge gefüllt, die Männer auf der einen, die Frauen auf der anderen Seite, und Alle mit einem Gebetbuche in der Hand. Die Stimmen der Neubekehrten begleiteten den Gesang der Missionäre, öfter freilich mit mehr gutem Willen, als im richtigen Zusammenklang und Takt.

Machte die Frömmigkeit der Insulaner auch einen erbaulichen Eindruck, so wirkte doch das Costüm der merkwürdigen Gläubigen einigermaßen störend und zerstreuend auf den Zuschauer. Während ein schwarzer Rock oder eine englische Uniformweste die ganze Bekleidung der Einen bildete, trugen Andere wieder nur einen Brustlatz, ein Hemd oder ein paar Beinkleider. Die Reichsten unter ihnen erschienen zwar in Tuchmänteln, von dem Gebrauche von Schuhen oder Strümpfen hatten aber Alle, Reiche und Arme, als unnütz, gänzlich abgesehen.

Auch die Frauen waren nicht weniger seltsam ausstaffirt; einige von ihnen trugen ein weißes oder gestreiftes Mannshemd, andere nur ein einfaches Stück Leinen, Alle aber hatten europäische Hüte auf dem Kopfe. Wenn die Frauen der Ariis als höchsten Luxus gar ein farbiges Oberkleid anhatten, so bildete ein solches dann überhaupt das einzige Kleidungsstück.

Am folgenden Montag vollzog sich eine großartige Ceremonie. Die Regentin und die königliche Familie statteten Kotzebue ihren Besuch ab. Den hohen [242] Persönlichkeiten ging ein Ceremonienmeister voraus, ein wahrer Narr, der nichts als eine rothe Weste trug, während die Tätowirung seiner Beine etwa eine gestreifte Hofe darstellte; der Rücken desselben zeigte einen Viertelkreis mit sehr genauen Abtheilungen, und er begleitete seine Capriolen, Verrenkungen, Grimassen und Schwenkungen mit dem drolligsten Ernste.

Auf dem Arme der Regentin ruhte der kleine Pomare III. An ihrer Seite schritt die Schwester des Königs, ein hübsches Mädchen von etwa zehn Jahren. War das königliche Baby auch wie seine Angehörigen in europäischer Weise gekleidet, so fehlten ihm die Schuhe doch ebenso, wie dem Aermsten seiner Unterthanen. Auf Bitten der Minister und der Großen von Tahiti ließ ihm Kotzebue ein Paar Stiefeln anfertigen, die es bei der Krönung tragen sollte.

Was gab es da für Jubel und Vergnügen, was für begehrliche Blicke nach allen den Kleinigkeiten, die unter die Damen des Hofes vertheilt wurden! Welche Kämpfe um eine unechte Tresse, deren kleinste Stücke sich jene aus den Händen rissen!

»War es wohl eine besonders wichtige Angelegenheit, welche so viel Männer, die uns Früchte und Schweine in Ueberfluß anboten, nach dem Deck der Fregatte verlockte? O nein, das waren nur die Ehemänner der unglücklichen Tahitierinnen, welche bei der Vertheilung jener unechten goldenen Tresse nicht zugegen sein konnten, jenes Prachtstückes, das für die Naturkinder einen bedeutend größeren Werth zu haben schien als für Europäerinnen ein ganzer Diamantschmuck.«

Nach Verlauf von sechs Tagen beschloß Kotzebue, dieses merkwürdige Land, in dem Civilisation und Barbarei so friedlich neben einander bestanden, zu verlassen und nach dem, durch die Niedermetzlung der Mannschaft La Pérouse's berüchtigten Samoa-Archipel zu steuern.

Welch' ein Unterschied gegenüber den Einwohnern von Tahiti! Wild und grausam, mißtrauisch und unfreundlich, machten die Bewohner der Insel Rose sogar Miene, das Deck der »Predpriatie« zu erklettern. Als einer den entblößten Arm eines Matrosen sah, gab er durch unzweideutige Zeichen sein Verlangen zu verstehen, dieses derbe und voraussichtlich saftige Fleisch zu kosten.

Je mehr sich die Anzahl ihrer Piroguen vergrößerte, desto mehr wuchs auch die Frechheit der Eingebornen. Sie konnten zuletzt nur durch Gewalt zurückgedrängt werden, und die Fregatte setzte schleunigst ihre Fahrt fort, um sich vor den zudringlichen und unverschämten Wilden zu sichern.

[243] An Oiolava, den Inseln Plate und Pola, welche ebenso einen Theil des Archipels der Schifferinseln bilden, fuhr Kotzebue ohne Aufenthalt vorüber und segelte nach den Radak-Inseln, wo er schon bei seiner ersten Reise einen so freundschaftlichen Empfang gefunden hatte.

Der Anblick des großen Schiffes flößte aber den Einwohnern eine solche Furcht ein, daß sie haufenweise in ihre Boote sprangen oder weiter in's Innere entflohen, während am Strande nur eine gewisse Zahl zurückblieb, welche mit Palmenzweigen in den Händen den Fremden entgegenzog und sie um Frieden und Schonung bat.

Da sprang Kotzebue mit dem Arzte Eschscholtz in eine Schaluppe, ruderte schnell nach dem Ufer und rief wiederholt: »Totabu aïdara« (Kotzebue, Freund!) Das verfehlte seine Wirkung nicht. Wenn die Eingebornen die Russen früher um Schonung anflehten, so stießen sie nun ein helles Freudengeschrei aus, eilten den alten Freunden entgegen und verbreiteten die Botschaft von Kotzebue's Wiederkehr schnell unter ihren Landsleuten.

Der Commandant hörte mit Vergnügen, daß Kadon noch in Aur unter dem Schutze Lamary's lebe, dessen Wohlwollen er sich durch die Abtretung der Hälfte seiner, von den Russen erhaltenen Schätze erkauft hatte.

Von den Thieren, welche Kotzebue früher auf Otdia zurückließ, lebten nur noch die inzwischen wild gewordenen Katzen, denen es aber bisher noch nicht gelungen war, die Ratten auszurotten, von denen es auf der Insel wimmelte.

Der Commandant verweilte einige Tage bei seinen Freunden, die ihn durch dramatische Vorstellungen zu ergötzen suchten, und segelte am 6. Mai nach der, bei seiner ersten Fahrt nur oberflächlich untersuchten Legiep-Gruppe ab. Nachdem er die Aufnahme derselben vollendet, beabsichtigte Kotzebue, die Untersuchung der Radak-Inseln wieder aufzunehmen; die ungünstige Witterung legte dem aber so große Hindernisse in den Weg, daß er sich genöthigt sah, nach Kamtschatka abzusegeln.

Vom 7. Juni bis 20. Juli genoß die Mannschaft hier der wohlverdienten Ruhe. Dann ging er wieder in See und am 7. August vor Neu-Archangel an der amerikanischen Küste vor Anker.

Die Fregatte aber, welche die »Predpriatie« an dieser Station ablösen sollte, befand sich noch daselbst und mußte auch bis zum 1. März des folgenden Jahres dableiben. Kotzebue benutzte diese Zeit, um noch einmal den Sandwichs-Archipel zu besuchen, wo er, im December 1824, bei Waihou vor Anker ging.

[244] Der Hafen von Rono-Rourou oder Honolulu ist der sicherste des ganzen Archipels. Hier liefen auch schon zahlreiche Schiffe ein und die Insel Waihon war auf bestem Wege, sich zur wichtigsten der ganzen Gruppe zu erheben und Hawaï oder Owyhee von der früheren Stellung herabzudrücken. Die Stadt hatte schon ein halb europäisches Ansehen gewonnen; an Stelle der primitiven Hütten waren steinerne Häuser emporgewachsen; regelrecht angelegte Straßen mit Läden. Cafés, Branntweinschänken, welche von den Matrosen der Walfischfahrer und Pelzhändler stark besucht wurden, ferner ein mit Kanonen ausgerüstetes Festungswerk bezeugten die schnelle Veränderung aller Verhältnisse und Sitten der Eingebornen.

Fünfzig Jahre waren seit Entdeckung der meisten oceanischen Inseln verflossen, und fast überall hatte sich, wie auf den Sandwichs-Inseln, ein schneller, auffallender Wechsel vollzogen.

»Der Pelzhandel, sagt Desborough Cooley, ein Handel, der auf der Nordwestküste Amerikas betrieben wird, hat auf dem Sandwichs-Archipel eine erstaunliche Umwandlung zuwege gebracht, da gerade diese Inseln für die damit beschäftigten Schiffe einen willkommenen Schutz und Ruheplatz gewähren. Die Händler pflegen hier den Winter über zu verweilen, ihre Fahrzeuge auszubessern und mit allem Nothwendigen zu versehen; mit dem Sommer kehren sie dann nach der Küste Amerikas zurück, um ihre Ladung zu vervollständigen. Für das, was sie lieferten, tauschten die Insulaner meist eiserne Geräthe, am liebsten aber Gewehre ein, und die Händler beeilten sich, ohne die mögliche Folge zu bedenken, ihren Wünschen entgegenzukommen. Feuerwaffen und Schießbedarf wurden als das beliebteste Tauschmittel in großen Mengen nach den Sandwichs-Inseln geschafft. Die Bewohner derselben wurden den Fremden auch bald gefährlich; sie bemächigten sich mehrerer kleiner Schiffe und entwickelten eine unerwartete, anfangs mit barbarischer Wildheit gepaarte Energie, welche indeß eine vorwiegende Neigung zu socialen Verbesserungen erkennen ließ. Zu dieser Zeit trat einer jener außerordentlichen Männer auf, welche niemals fehlen, wenn sich große Ereignisse vorbereiten, und führte die von Europäern begonnene Umwälzung vollends zu Ende. Kamea Mea (Kamehameha), ein Häuptling, der sich schon bei dem letzten, unheilvollen Besuche Cooks bemerkbar gemacht hatte, riß die königliche Gewalt an sich, unterwarf die benachbarten Inseln an der Spitze einer Armee von sechszehntausend Mann und strebte, seine Eroberungen zur Durchführung seiner weitaussehenden fortschrittlichen Pläne auszunutzen. Er kannte die Ueberlegenheit [245] der Europäer und setzte seinen Stolz darein, es ihnen möglichst gleich zu thun. Schon im Jahre 1796 schickte der Usurpator, als Kapitän Broughton die Insel anlief, zu diesem mit der Frage, ob er einen Anspruch auf den Salut seiner Artillerie habe. Im Jahre 1817 soll er eine Armee von siebentausend mit Flinten bewaffneter Soldaten besessen haben, unter denen sich mindestens fünfzig Europäer befanden. Begann Kamea Mea auch seine Laufbahn mit Blutvergießen und Usurpation, so endete er doch geliebt und bewundert von seinen Unterthanen, die ihn als überirdisches Wesen verehrten und seinen Tod mit aufrichtigeren Thränen beweinten, als vielleicht jemals auf den Sarg eines Monarchen gefallen sind.«

So war der Zustand der Dinge, als die russische Expedition vor Waihon eintraf. Der junge König Rio-Rio befand sich mit seiner Gattin in England und die Regierung der Insel wurde einstweilen von der Königin-Mutter Kaahou Manon geführt.

Kotzebue machte, da Letztere, ebenso wie der erste Minister, auf einer benachbarten Insel weilte, einer anderen Gemahlin Kamea Mea's seinen Besuch.

»Das Zimmer, sagte der Reisende, war nach europäischer Art mit Stühlen, Tischen und großen Spiegeln ausgestattet, den Fußboden bedeckten schöne Matten, auf welcher Nomo Hana, die nicht über vierzig Jahre zu zählen schien, nachlässig ausgestreckt lag; sie maß gewiß fünf Fuß acht Zoll in der Länge und mindestens vier Fuß im Umfang. Ihre schwarzen Haare waren sorgfältig auf einem wirklich ballonrunden Kopfe aufgesteckt. Ihre platte Nase und vorspringenden Lippen verliehen dem Gesichte zwar keinen besonderen Reiz, doch fehlte diesem nicht der Ausdruck wohlwollender Freundlichkeit.«

Die »gute Dame« erinnerte sich, Kotzebue vor zehn Jahren gesehen zu haben. Sie empfing ihn auch sehr zuvorkommend, konnte von ihrem Gatten aber kein Wort sprechen, ohne daß ihr die Thränen in die Augen traten – ein Schmerz, der uns wirklich vom Herzen zu kommen schien. Um den Todestag des Fürsten immer vor Augen zu haben, hatte sie sich auf ihrem Arme die einfache Inschrift: »6. Mai 1819« tätowiren lassen.

Als eifrige Christin, gleich der großen Mehrzahl der Bevölkerung, führte die Königin Kotzebue nach der Kirche, einem schmucklosen geräumigen Gebäude, ohne eine solche gedrängte Volksmenge wie in Tahiti. Nomo Hana erschien recht intelligent, konnte lesen und bildete sich vorzüglich viel auf ihre Fertigkeit im Schreiben ein, dieser Kunst, »welche uns die Entfernten näher bringt«. Um dem [246] Befehlshaber gleichzeitig mit einem Beweise ihrer Zuneigung auch einen solchen ihrer Kenntnisse zu geben, sandte sie ihm durch einen besonderen Boten eine vor mehreren Wochen von ihr vollendete Epistel.

Die anderen Damen bemühten sich, es ihr gleich zu thun, und Kotzebue sah sich bald von einer solchen Menge von Sendschreiben überfluthet, daß er, um dieser Schreibwuth ein Ziel zu setzen, sich nicht anders helfen konnte, als die Anker zu lichten und das Weite zu suchen.

Vor der Abfahrt empfing er die Königin Nomo Hana, welche in Gala erschien, noch einmal an Bord. Ihr Costüm bestand dabei aus einem prachtvollen pfirsichfarbenen Seidenkleid mit breiter schwarzer Stickerei, ein Kleid, das freilich für eine europäische Figur angefertigt sein mochte und ihr also viel zu kurz und zu eng war. So blieben z. B. nicht nur ihre Füße sichtbar, Füße, gegen welche diejenigen Karl's des Großen noch Chinesenfüßchen gewesen wären, und die in ein paar tüchtigen Männerstiefeln staken, sondern zum Theile auch die braunen, dicken, nackten Beine, welche schon mehr an Balkonsäulen erinnerten. Ein Halsband von rothen und gelben Federn, eine Guirlande von natürlichen Blumen, die den Nacken umschloß, und ein mit künstlichen Blumen verzierter italienischer Strohhut vervollständigten diese kostbare und lächerliche Toilette.

Nomo Hana besah sich das Schiff, ließ sich Alles erklären und betrat zuletzt, müde von dem Anblick all' dieser Wunderdinge, das Zimmer des Befehlshabers, wo man für sie eine reich besetzte Tafel hergerichtet hatte. Die Königin sank auf ein Canapee nieder – das zierliche Möbel konnte so viele Majestät nicht vertragen und brach unter dem Gewichte einer Fürstin zusammen, deren Embonpoint gewiß nicht wenig dazu beigetragen hatte, sie zu diesem Range zu erheben.


Ansicht von Tahiti.

Von dieser Station aus kehrte Kotzebue nach Neu-Archangel zurück, wo er bis zum 30. Juli 1825 rastete. Dann besuchte er noch einmal die Sandwichs-Inseln, kurz nachdem Admiral Byron die sterblichen Ueberreste des Königs und der Königin hierher zurückgebracht hatte. Auf dem Archipel herrschte Ruhe und Frieden, die sein Gedeihen sichtlich förderten; die Missionäre hatten an Einfluß gewonnen, so daß sogar die Erziehung des neuen kleinen Königs dem Missionär Bingham anvertraut wurde. Die Eingebornen zeigten sich tief ergriffen von den Ehren, welche England dem verstorbenen Fürstenpaare erwiesen hatte, und der Tag schien nicht mehr fern zu sein, wo europäische Gewohnheiten gänzlich an Stelle der ursprünglichen Sitten treten würden.

[247] Nachdem er in Waihon seinen Vorrath an Proviant ergänzt, segelte der Reisende nach den Radak-Inseln, dann an den Pescadoren, welche die Nordspitze jener Reihe einnehmen, vorüber, entdeckte unsern davon die Eschscholtz-Gruppe und landete am 25. October bei Guaham. Nach mehrmonatlichem Aufenthalte, während dessen er mit Eingebornen der Philippinen in vielfachem Verkehre stand und sehr werthvolles Material bezüglich der Geographie und Naturgeschichte genannter Inseln ansammelte, segelte er, am 23. Januar 1826 wieder von Manilla ab. Eben war ein neuer spanischer Statthalter mit ansehnlicher Truppenmacht daselbst eingetroffen, welche der damals herrschenden Bewegung so schnell und gründlich ein Ziel zu setzen wußte, daß die Bevölkerung den Gedanken einer Trennung von Spanien gänzlich aufgab.

[248] Am 10. Juli 1826 traf die »Predpriatie« wieder in Kronstadt ein. Während ihrer dreijährigen Fahrt hatte sie die Nordwestküsten Amerikas, die Alëuten, Kamtschatka und das Ochotzkische Meer besucht, einen großen Theil der Radak-Inseln genau aufgenommen und verläßliche Nachrichten über die Veränderungen gesammelt, welche sich bei verschiedenen oceanischen Volksstämmen vollzogen.


Officier des Königs der Sandwichs-Inseln. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Der [249] eifrigen Thätigkeit Chamisso's und des Professors Eschscholtz verdankt man werthvolle Bereicherungen der Naturgeschichte, welche dieser unter Anderem in einer Beschreibung von nicht weniger als zweitausend Thieren veröffentlichte; daneben waren auch sehr merkwürdige Beobachtungen über die Korallenriffe der Südsee gemacht worden.

Die englische Regierung hatte sich das Studium des wichtigsten Problems, dessen Lösung so lange auf sich warten ließ – nämlich die Auffindung einer Nordwest-Passage – sehr angelegen sein lassen. Während Parry zu Lande und Franklin zu Wasser versuchen sollten, die Behrings-Straße zu erreichen, erhielt der Kapitän Frederik William Beechey den Auftrag, durch die nämliche Straße so weit als möglich längs der Nordküste Amerikas vorzudringen, um jene Reisenden aufzunehmen, denen er, wahrscheinlich von Anstrengungen und Entbehrungen erschöpft, begegnen mußte.

Mit dem Schiffe »The Blossom«, das am 19. Mai 1825 in Spithead die Anker lichtete, lief Beechey zuerst Rio de Janeiro an, versorgte sich hier mit Vorräthen aller Art, doubtirte dann das Cap Horn und fuhr am 26. September in den Stillen Ocean ein. Nach kurzem Verweilen an der Küste von Chile hatte er die Osterinsel besucht, wo er genau dieselben unliebsamen Erfahrungen machen mußte, wie Kotzebue bei seiner ersten Reise. Beim Eintreffen fand er denselben scheinbar freundlichen Empfang seitens der Eingebornen, welche schwimmend nach der »Blossom« kamen oder die armseligen Erzeugnisse ihrer Insel in Piroguen herbeischafften; dann aber, als die Engländer gelandet waren, wurden sie mit Stöcken und Steinwürfen überfallen, so daß sie sich gezwungen sahen, von den Feuerwaffen rücksichtslosen Gebrauch zu machen.

Am 4. December bekam Beechey eine mit dichter Vegetation bedeckte Insel in Sicht. Es war das ein damals viel besprochenes Eiland, weil daselbst die Nachkommen der letzten Meuterer von der »Bounty« wiedergefunden wurden, die das genannte Schiff in Folge eines Ereignisses, welches die öffentliche Meinung in England lebhaft beschäftigte, verlassen hatten.

Im Jahre 1781 war der Schiffslieutenant Bligh, einer der Officiere, die sich schon unter Cook ausgezeichnet hatten, zum Befehlshaber der »Bounty« ernannt und beauftragt worden, in Tahiti Brotfruchtbäume und andere Pflanzen einzunehmen und diese nach den Antillen, welche die Engländer gewöhnlich Westindien nannten, überzuführen. Nach Umschiffung des Cap Horn hatte Bligh an den Küsten Tasmaniens geankert und die Bai von Matavaï angelaufen, [250] wo er ebenso wie in Namouka, einer der Tonga-Inseln, eine Ladung Brotfruchtbäume einnahm.

Bisher war seine Fahrt ohne bemerkenswerthe Zwischenfälle verlaufen und Alles sprach für eine glückliche Beendigung derselben. Der hochfahrende Charakter und das etwas rohe und despotische Auftreten des Kapitäns aber hatten diesem fast seine ganze Mannschaft verfeindet, so daß ein Complot gegen ihn angezettelt ward, das am 28. April vor Sonnenaufgang in der Gegend von Tofoua zum Ausbruche kam.

Von den Meuterern noch im Bette überrumpelt, gebunden und gefesselt, so daß er sich unmöglich vertheidigen konnte, wurde Bligh im bloßen Hemd nach dem Verdeck geschafft, dort unter dem Vorsitze des Lieutenant Fletcher Christian eine Art Gericht über ihn abgehalten und er mit achtzehn treu gebliebenen Leuten in einer Schaluppe mit nur geringem Mundvorrath einfach in's Meer ausgesetzt. Nachdem er von Hunger und Durst entsetzlich gelitten, die schrecklichsten Stürme ausgehalten hatte und dem Zahn der wilden Ureinwohner von Tofoua glücklich entgangen war, erreichte Bligh die Insel Timor, wo er wohlwollend aufgenommen wurde.

»Ich ließ die Leute an's Land gehen, sagt Bligh; einige derselben waren so von Kräften gekommen, daß sie kaum einen Fuß vor den anderen setzen konnten; wir selbst waren wirklich nur noch sozusagen Haut und Knochen, überall mit Geschwüren bedeckt und unsere Kleidung hing nur noch in Fetzen um uns herum. Freude und Dankbarkeit gegen Gott preßten uns die Thränen aus den Augen und die Bewohner von Timor betrachteten uns schweigend mit Blicken, welche ebenso Entsetzen, wie Erstaunen und Mitleid erkennen ließen. So haben wir mit Hilfe der Vorsehung alles Mißgeschick, alle Schwierigkeiten einer höchst gefahrvollen Reise überstanden!«

Gefahrvoll war jene Reise gewiß zu nennen, denn sie dauerte nicht weniger als einundvierzig Tage, und das auf völlig unbekannten Meeren, in einem nicht einmal überdeckten Boote; mit ganz unzulänglichen Nahrungsmitteln und unter wahrhaft unerhörten Leiden und Entbehrungen wurden dabei tausendfünfhundert Meilen zurückgelegt, während die umherirrenden Unglücklichen doch nur den Verlust eines einzigen Matrosen zu beklagen hatten, der schon zu Anfang der Fahrt von Eingebornen auf Tofoua ermordet wurde.

Die Geschichte der Meuterer selbst ist höchst merkwürdig und bietet des Lehrreichen mancherlei.

[251] Diese waren nämlich nach Tahiti gesegelt, das ihnen die günstigsten Existenzbedingungen zu bieten schien, und wo sie mehrere Leute zurückgelassen hatten, welche sich bei der Meuterei nicht thätlich betheiligten. Christian war dann wieder in See gegangen, bei welcher Fahrt ihm acht Matrosen, zehn Einwohner von Tahiti und Toubouaï und wohl ein Dutzend Tahitierinnen folgten.

Später hatte man von diesen nie wieder eine Silbe vernommen.

Die auf Tahiti Zurückgebliebenen waren 1791 gefangen genommen worden, durch den Kapitän der »Pandora«, Edward's mit Namen, den die englische Regierung zur Aufsuchung der Flüchtlinge und zu deren Zurückführung nach England ausgesendet hatte. Die»Pandora« scheiterte aber an einer Klippe in der Meerenge Entreprise, wobei vier der Empörer und fünfunddreißig Matrosen des Schiffes ihren Tod fanden. Von den zehn Mann, welche mit den Schiffbrüchigen der »Pandora« nach England zurückkamen, wurden nur drei zum Tode verurtheilt.

Nun verliefen zwanzig volle Jahre, ohne daß man über das Schicksal Christian's und der Uebrigen, die er mitgenommen, die geringste Aufklärung erhielt.

Da lief im Jahre 1808 ein amerikanisches Kauffahrteischiff Pitcairn an, um der Robbenjagd nachzugehen. Der Commandant desselben hielt die Insel für unbewohnt; zu seinem größten Erstaunen sah er aber drei junge Leute in einem Boote heranrudern, welche ganz gut englisch sprachen. Der Kapitän richtete mehrere Fragen an sie und erfuhr denn, daß ihre Väter unter dem Befehle des Lieutenants Bligh gedient hatten.

Die Irrfahrt des Letzteren war damals aller Welt bekannt und in Mußestunden auf dem Verdecke der Schiffe jeder Nation wiederholt erzählt worden. Der amerikanische Kapitän bemühte sich also, über diese eigenthümliche Thatsache Näheres zu erfahren, da sie ihm die Erinnerung an das Verschwinden der Meuterer von der »Bounty« wieder wachrief.

Beim Betreten des Landes begegnete er einem Engländer, Namens Smith, der noch selbst zur Besatzung der »Bounty« gehört hatte, und erhielt von demselben folgende Auskunft:

Als Christian von Tahiti wegfuhr, steuerte er direct nach Pitcairn, dessen isolirte Lage im Süden der Pomotu-Inseln ihm schon früher aufgefallen war und jetzt seinen Zwecken am Besten zu entsprechen schien. Nachdem Alles, was die »Bounty« enthielt, an's Land geschafft und von dem Schiffe Alles entfernt [252] worden war, was uns vielleicht nützen konnte, verbrannte man das Fahrzeug, nicht allein um jede Spur desselben zu vertilgen, sondern um auch jeden späteren Fluchtversuch Einzelner von vornherein zu vereiteln.

Anfangs fürchtete man nach verschiedenen Anzeichen, daß die Insel bewohnt sein könne, überzeugte sich aber bald von dem Gegentheile. Man errichtete also Hütten und machte da und dort den Boden urbar. Die Engländer behandelten dabei jene Wilden, welche ihnen freiwillig gefolgt waren, nicht anders denn als Sklaven. Immerhin vergingen zwei Jahre ohne nennenswerthe Streitigkeiten. Da schmiedeten die Eingebornen aber ein Complot gegen die Weißen, das Letzteren nur durch eine Tahitierin verrathen wurde, und zwei der Ersteren bezahlten diesen mißglückten Versuch mit dem Leben.

Weitere zwei Jahre herrschte nun Ruhe und Friede; dann aber lehnten sich die Wilden von Neuem auf und ermordeten fünf Engländer, darunter Christian selbst. Auf der anderen Seite ermordeten die Frauen, welche den Tod der Engländer betrauerten, nun die überlebenden Tahitier.

Die Entdeckung einer Pflanze, aus der sich eine Art Branntwein gewinnen ließ, veranlaßte später den Tod eines der übrig gebliebenen vier Engländer; ein zweiter wurde von seinen eigenen Gefährten ermordet, der dritte starb an einer Krankheit und ein gewisser Smith, der den Namen Adams annahm, lebte nun allein unter einer Bevölkerung von zehn Frauen und neunzehn Kindern, welche meist erst sieben bis acht Jahre zählten.

Dieser Mann, der über das geschehene Unrecht mehrfach nachgedacht und den die Reue darüber völlig umgewandelt hatte, mußte nun die Pflichten und Obliegenheiten eines Vaters, Priesters, Beamten und Königs gleichzeitig auf sich nehmen. Durch Gerechtigkeit und Festigkeit wußte er sich auch einen allmächtigen Einfluß auf diese eigenthümliche Einwohnerschaft zu erwerben und zu erhalten.

Der sonderbare Moralprediger, der in seiner Jugend jedes Gesetz verachtet und dem nichts auf der Welt heilig gewesen, lehrte nun die Frömmigkeit, Liebe und Eintracht, stiftete gesetzliche Ehen zwischen den Kindern verschiedener Familien, und die kleine Ansiedlung gedieh vortrefflich unter der sanften und doch sicheren Führung jenes erst in späteren Tagen bekehrten Sünders.

In diesem Zustande fand Beechey die Colonie Pitcairn, als er daselbst landete. Sehr freundlich aufgenommen von einer Bevölkerung, deren Tugenden ihn an das goldene Zeitalter erinnerten, verweilte er hier achtzehn Tage lang. Das Dorf, welches die Insulaner bewohnten, bestand aus hübschen, sauberen [253] Hütten und war von Pandanen und Cocospalmen eingefaßt; die Felder zeugten von fleißiger Cultur und die Einwohner hatten sich unter Adam's Anleitung mit wahrhaft erstaunlicher Geschicklichkeit alle nöthigen Geräthe selbst angefertigt. Meist von angenehmen, sanften Gesichtszügen, hatten diese Mestizen alle einen recht wohlgebauten Körper und strotzten von außergewöhnlicher Kraft.

Nach Pitcairn besuchte Beechey die Inseln Crescent, Gambier, Hood, Clermont-Tonnerre, Serles, Withsunday, Queen Charlotte, Techaï, der Lanciers, welche alle zum Pomotu-Archipel gehören, sowie ein Eiland, das er Byam-Martin nannte.

Hier fand der Seefahrer einen Wilden, Tou-Wari, den ein Sturm hierher verschlagen hatte. Derselbe war in Begleitung von hundertfünfzig Mann in drei Piroguen von Anaa abgefahren, um Pomare III, der eben den Thron bestiegen hatte, ehrfurchtsvoll zu begrüßen, aber durch heftige, westliche Winde weit aus seinem Kurse gedrängt worden. Nach diesen wehten wechselnde Winde, und die Mundvorräthe der Verirrten gingen bald so weit zu Ende, daß sie sich entschließen mußten, die Leichen ihrer schon gestorbenen Kameraden zu verzehren. Endlich hatte Tou-Wari die Insel Barrow in der Mitte des Gefährlichen Archipels erreicht, wo er sich, so gut es anging, mit Proviant versorgte; darauf wieder in See gegangen, war seine Pirogue doch bald in der Nähe von Byam-Martin gesunken und er genöthigt gewesen, auf diesem Eilande zu bleiben.

Beechey gab den Bitten Tou-Wari's nach und nahm diesen nebst Frau und Kindern an Bord, um Alle nach Tahiti zurückzubringen. Rein aus Zufall, wie man das sonst nur in Romanen zu lesen gewöhnt ist, hielt Beechey am nächsten Tage bei Heïou an, wo Tou-Wari seinen Bruder fand, der ihn schon seit langer Zeit für todt gehalten hatte. Nachdem sich ihre erste Ueberraschung und Erregtheit gelegt, saßen die beiden Brüder, zärtlich Hand in Hand, ernsthaft neben einander und theilten sich gegenseitig ihre Erlebnisse und Abenteuer mit.

Beechey verließ Heïou am 10. Februar, segelte an den Inseln Melville und Croker vorüber und ankerte am 18. vor Tahiti, wo er sich neuen Proviant nur mit großer Mühe verschaffen konnte. Die Eingebornen verlangten jetzt als Zahlungsmittel gute chinesische Dollars und europäische Kleidungsstücke, woran es der »Blossom« leider vollständig mangelte.

Bei einem Besuche, den die Königin dem Kapitän abstattete, wurde Letzterer zu einer in der königlichen Wohnung in Papeïti ihm zu Ehren abzuhaltenden Abendgesellschaft eingeladen. Als die Engländer aber sich dazu einfanden, lag im [254] Palaste Alles im tiefen Schlafe. Die Regentin hatte ihre Einladung gänzlich vergessen und sich an diesem Tage noch früher als gewöhnlich niedergelegt. Nichtsdestoweniger erhob sie sich zum Empfang der Gäste und organisirte noch, trotz ausdrücklichen Verbots der Missionäre, einige Tänze und andere Belustigungen; nur mußte es bei dem Feste ganz still zugehen, damit der Polizist, welcher am Strande auf und ab wandelte, nichts davon hörte. Dieses eine Beispiel läßt erkennen, welches Maß der Freiheit der Missionär Pritchard den vornehmsten Persönlichkeiten der Insel gewährte. Wie er die große Masse des Volkes beschränken mochte, ist danach leicht zu beurtheilen.

Am 3. April besuchte auch der junge König den Commandanten, der ihm im Namen der Admiralität eine prächtige Jagdflinte zum Geschenke machte. Die Verhältnisse gestalteten sich im Ganzen recht erwünscht, wobei der Einfluß der englischen Missionäre nur gewinnen konnte, da das Officierscorps der »Blossom« sich gegen diese ebenso freundlich als zuvorkommend benahm.

Beechey segelte am 26. April von Tahiti ab und steuerte nach den Sandwichs-Inseln, wo er achtzehn Tage lang liegen blieb, und dann nach der Behrings-Straße und dem Eismeere abging. Seinen Instructionen gemäß sollte er sich längs der amerikanischen Küste halten und, soweit als die Eisverhältnisse das irgend gestatteten, an derselben vorzudringen suchen. Die »Blossom« ging dabei einmal in der Kotzebue-Bai vor Anker, fand sich hier aber nach allen Seiten in ihren Erwartungen getäuscht und konnte über Franklin und dessen Gefährten nicht das Geringste erfahren. Beechey schickte dem kühnen Reisenden von diesem Platze aus eine gedeckte Schaluppe unter Führung des Lieutenants Elson entgegen. Dieser gelangte indeß nicht über die Barrow-Spitze unter 71°23' nördlicher Breite hinaus und mußte von da aus zur »Blossom« zurückkehren, welche das Eis ebenfalls nöthigte, am 13. October bei klarem, kaltem Wetter wieder durch die Behrings-Straße hinabzusegeln.


Das Dorf bestand aus hübschen Hütten. (S. 253.)

Um die Zeit des Winters nicht ungenützt vorübergehen zu lassen, besuchte Beechey den Hafen von San-Francisco und ankerte am 25. Januar 1827 noch einmal bei Honolulu an den Sandwichs-Inseln. Dank der geschickten und freisinnigen Politik der Regierung, blühte dieser Staat nach allen Richtungen recht erfreulich empor. Die Zahl der Häuser hatte weiter zugenommen und die Stadt selbst nahm mehr und mehr den Charakter eines civilisirten Staatswesens an; im Hafen verkehrten schon zahlreiche englische und amerikanische Shiffe; auch hatte man die Begründng einer einheimischen Marine in die Hand genommen, welche damals schon fünf Briggs und acht Schooner umfaßte. [255] Den Ackerbau betrieb man mit regem Fleiße, Kaffee, Thee und Gewürzpflanzen bedeckten weite Felder, ebenso suchte man das in dem Archipel vorzüglich gedeihende Zuckerrohr zu verwerthen. Nachdem die »Blossom« im April eine Zeit lang vor der Mündung des Canton-Flusses gelegen, segelte sie ab zur Erforschung des Liou-Kieou-Archipels, jener Inselreihe, welche Japan mit Formosa verbindet, und weiter nach der Bonin-Sima-Gruppe, wo der Seefahrer keine anderen Thiere als große grüne Schildkröten fand.

[256] Noch später nahm die »Blossom« nun ihren nördlichen Kurs wieder auf; die atmosphärischen Verhältnisse erwiesen sich dieses Jahr aber noch ungünstiger, so daß das Schiff nur bis 70°40' vordringen konnte. In dieser Höhe ließ man an der Küste nun Lebensmittel, Kleidungsstücke und Instructionen zurück für den Fall, daß es Parry oder Franklin glückte, bis hierher zu gelangen. Bis zum 6. October kreuzte Beechey noch mehrfach umher, mußte sich dann aber zu seinem Bedauern entschließen, nach England heimzukehren.


Ein Moraï zu Kayakakowa. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Er lief dabei die Häfen von Monterey, San Francisco, San Blas und Valparaiso an, umschiffte das [257] Cap Horn, hielt sich kurze Zeit in Rio de Janeiro auf und traf am 21. September wohlbehalten in Spithead wieder ein.

Wir haben nun die Expedition des russischen Kapitän Lütke zu schildern, eine Fahrt, welche von großen Erfolgen begleitet war. Der hochinteressante Bericht von derselben ist gleichzeitig wirklich geistreich abgefaßt. Im Nachfolgenden fügen wir einige Auszüge aus demselben ein.

Die »Senjavine« und die »Möller« waren zwei in Rußland gebaute Gabaren (Lastschiffe), welche zwar beide das Meer sehr gut hielten, von denen das zweite Schiff aber ein sehr schwacher Segler war, so daß die beiden Fahrzeuge während der ganzen Reise fast stets getrennt operirten. Die »Senjavine«, führte Lütke selbst, die »Möller« der Kapitän Staniukowitsch.

Am 1. September 1828 verließen die beiden Schiffe Kronstadt und liefen Kopenhagen und Portsmouth an, wo physikalische und astronomische Instrumente eingekauft wurden. Kaum aus dem Kanal heraus, wurden dieselben getrennt. Die »Senjavine«, der wir in der Hauptsache folgen, lief Teneriffa an, wo Lütke das Begleitschiff zu finden hoffte.

Diese Insel war vom 4. bis 8. November von einem entsetzlichen Sturme verheert worden, wie man einen solchen seit der Besitznahme derselben noch nicht erlebt hatte. Unter demselben waren drei Fahrzeuge auf der Rhede von St. Croix gesunken, zwei andere an den Strand geworfen und zerschlagen worden. Die durch furchtbare Regengüsse geschwellten Bergströme hatten Gärten, Mauern, Gebäude und viele umfängliche Anpflanzungen zerstört, eines der Forts fast ganz demolirt, eine Menge Häuser in der Stadt unterwaschen und mehrere Straßen ganz ungangbar gemacht. Drei- bis vierhundert Einwohner fanden bei jener entsetzlichen Katastrophe einen jähen Tod, und der angerichtete Schaden wurde auf mehrere Millionen Piaster geschätzt.

Im Monate Januar hatten sich beide Schiffe in Rio de Janeiro wieder zusammengefunden und segelten vereinigt bis zum Cap Horn. Hier überfielen sie die gewöhnlichen Stürme und Nebel, wobei sie einander nochmals aus dem Gesichte verloren. Die»Senjavine« begab sich nun zuerst nach Conception.

»Am 15. März, sagt Lütke, befanden wir uns, meiner Schätzung nach, kaum acht Meilen von der nächsten Küste, konnten in Folge eines dichten Nebels aber nicht das mindeste davon wahrnehmen. Während der Nacht zerstreute sich der Nebel und der anbrechende Tag bot uns einen Anblick von wahrhaft unbeschreiblicher Großartigkeit und Schönheit. Am azurblauen Himmel, den die [258] ersten Strahlen der Sonne vergoldeten, zeigte sich die ausgezackte Kette der Anden mit ihren spitzigen Gipfeln. Ich will nicht die Zahl Derjenigen vermehren, welche sich schon vergeblich abgemüht haben, Anderen die Gefühle, welche sie beim ersten Anblick solcher Naturbilder empfunden, zu verdeutlichen. Diese sind ebenso wenig mit Worten wiederzugeben, wie die Majestät des Schauspieles selbst. Der reiche Wechsel der Farben, das Lichtspiel beim Aufgange der Sonne am Himmel selbst, wie an den Wolken, war von unnachahmlicher Schönheit. Leider währte dieses Schauspiel, wie so häufig die herrlichsten Erscheinungen in der Natur, nur sehr kurze Zeit. Je mehr die Erleuchtung der ganzen Scenerie zunahm, desto schneller schienen die riesenhaften Dimensionen des Bildes einzuschrumpfen, und als die Sonne über dem Horizonte stand, war die ganze zauberhafte Wirkung verschwunden.«

Die Empfindungen, welche der Anblick Conceptions bei Lütke erregte, wichen von denen seiner Vorgänger nicht unwesentlich ab. Er hatte den üppigen Reichthum der Vegetation in der Bai von Rio de Janeiro nicht vergessen, so daß ihm diese Küste dagegen ärmlich vorkam. Die Einwohner schienen ihm, so weit er darüber nach so kurzem Aufenthalte urtheilen konnte, von recht sanftem Charakter und gebildeter zu sein, als die niederen Volksclassen in manchen anderen Ländern.

Als er in Valparaiso einlief, sah Lütke noch die »Möller«, welche eben im Begriffe stand, nach Kamtschatka abzusegeln. Die Mannschaft beider Schiffe nahm hier von einander Abschied und jedes verfolgte nun seinen eigenen Weg.

Der erste Ausflug der Officiere und Naturforscher galt den berühmten, »Quebradas«.

»Es sind das, sagt der Reisende, eigentlich Schluchten in den Bergen, welche sozusagen von kleinen Hütten ausgefüllt sind, in denen der größte Theil der Bewohner von Valparaiso wohnt. Die bevölkertste dieser Quebrädas ist diejenige, welche von der Südostecke der Stadt emporsteigt. Der hier zu Tage liegende Granit dient als sicherer Baugrund, der die Häuschen vor den zerstörenden Wirkungen der häufigen Erdbeben schützt. Den Verkehr dieser Wohnstätten unter sich und mit der eigentlichen Stadt vermitteln schmale Fußstege ohne Stufen oder Geländer, die sich am Abhange der Felsen hinziehen und auf welchen Kinder wie Gemsen in allen Richtungen hin- und herspringen. Nur wenige Häuser finden sich hier, und diese gehören dann Ausländern, nach welchen zwei Fußstege mit wirklichen Stufen führen; die Chilenen betrachten [259] solche als überflüssig und ganz unnützen Luxus. Es bietet ein eigenthümliches Schauspiel, unter den Füßen eine Art Terrasse von Ziegeldächern und Palmengipfeln, und über dem Kopfe ein Amphitheater von Gärten und Thoren zu sehen.

Anfangs versuchte ich den Naturforschern zu folgen; mit denselben aber kam ich bald an eine Stelle, wo ich weder vorwärts noch rückwärts auch nur einen Schritt thun konnte, was mich veranlaßte, mit einem meiner Officiere unter den größten Beschwerden umzukehren und die Uebrigen mit dem Wunsche zurückzulassen, daß sie mit gesunden Gliedern wieder heimkommen möchten; ich selbst fürchtete wiederholt, Hals und Beine zu brechen, bevor ich wieder hinunter kam.«

Bei ihrer Zurückkunft von einer beschwerlichen Excursion, welche die Seeleute einige Meilen weit von Valparaiso unternommen hatten, verwunderten sie sich nicht wenig, als sie zu Pferde die Stadt betraten, angehalten und zum Absitzen genöthigt zu werden.

»Es war nämlich Gründonnerstag, schreibt Lütke; von diesem Tage ab bis zum Sonnabend vor Ostern ist es bei schwerer Geldbuße verboten, zu reiten, zu singen, zu tanzen, irgend ein Instrument zu spielen, ja sogar mit bedecktem Haupte einherzugehen. Alle Geschäfte und Vergnügungen sind während dieser stillen Zeit streng verpönt. Der Hügel inmitten der Stadt wird für diese Tage in ein Golgatha umgewandelt. In einem mit Geländern umschlossenen Raume erhebt sich dann ein Kreuz mit dem Bilde Christi; neben demselben legt man viele Blumen nieder und zahllose Wachskerzen; als Zeuginnen der Leiden unseres Erlösers knieen an beiden Seiten betende Frauen. Nach diesem Orte ziehen die frommen Seelen, um durch ein lautgesprochenes Gebet ihre Sünden abzuwaschen. Ich sah hier übrigens nur Sünderinnen, aber keinen einzigen Sünder. Die meisten derselben schienen von vornherein überzeugt, daß ihnen die Gnade des Himmels zu Theil werde, denn sie hüpften spielend und lachend herbei, nahmen darauf eine zerknirschte Miene an, fielen für wenige Augenblicke auf die Kniee und setzten dann, ihr Spiel und Gelächter wieder beginnend, den Weg weiter fort.«

Ueber die Intoleranz und den Aberglauben, denen der Fremde auf Tritt und Schritt begegnet, urtheilt der Reisende recht vernünftig. Er spricht sein Bedauern darüber aus, in fortwährenden Revolutionen so viel Kräfte und Hilfsmittel vergeudet zu sehen, welche weit besser zur geistigen und materiellen Entwicklung des Volkes verwendet werden könnten.

[260] Nach Lütke gleicht nichts einem paradiesischen Thale weniger, als gerade Valparaiso und dessen Umgebungen. Kahle, von tiefen Quebrädas zerklüftete Berge, eine sandige Ebene, in der die Stadt sich erhebt, der hohe Gebirgskamm der Anden als Hintergrund, Alles das zusammen bildet wahrlich keineswegs ein Eden.

Die Spuren des schrecklichen Erdbebens von 1823 waren noch immer nicht ganz verwischt, und da und dort gewahrte man umfängliche Plätze von Trümmern bedeckt.

Am 15. April stach die »Senjavine« wieder in See und schlug den Weg nach Neu-Archangel ein, wo sie nach einer durch keinen Unfall unterbrochenen Fahrt am 24. Juni eintraf. Die Nothwendigkeit, verschiedene Reparaturen vornehmen zu lassen, welche nach zehnmonatlicher Seefahrt wohl unausbleiblich sind, und die Ausschiffung allen Materiales, das die »Senjavine« für die Compagnie an Bord führte, hielten Kapitän Lütke fünf Wochen in der Bai von Sitkha auf.

Dieser Theil der Nordwestküste Amerikas bietet einen wilden, aber pittoresken Anblick. Hohe, bis zum obersten Kamm mit einem Mantel von dichten, dunklen Wäldern bedeckte Berge bilden den Hintergrund der Landschaft. Am Eingange der Bai erhebt sich der Edgecumbe, ein jetzt erloschener Vulcan, zweitausendachthundert Fuß über das Meer. Beim Einfahren in die Bai trifft man auf ein Labyrinth von Inseln und Eilanden, hinter welchen sich mit ihrem Fort, ihren Thürmen und der Kirche die Stadt Neu-Archangel erhebt, die nur aus einer Reihe von Häusern mit Vorgärten, einem Krankenhaus und einer Werft besteht, während außerhalb der Palissaden ein ziemlich großes Dorf von Kalotchen (Indianern) liegt. Die Bevölkerung bestand jener Zeit aus Russen, Creolen, Alëuten, zusammen etwa achthundert, von denen drei Achtel im Dienste der russischen Pelzhandelsgesellschaft standen. Die Zahl der Bewohner wechselt aber sehr stark je nach den Jahreszeiten. Während des Sommers befindet sich alle Welt auf der Jagd, und ist man im Herbst kaum davon zurückgekehrt, so zieht man schon wieder zum Fischfang aus.

Neu-Archangel selbst bietet an Zerstreuungen herzlich wenig. Es ist in der That der widerwärtigste Ort, den man sich nur denken kann, ein verwahrlostes Stück Land, traurig über jeden Begriff, in dem außer den drei schönen Monaten das ganze Jahr mehr dem Herbste als jeder anderen Jahreszeit gleicht. Für den Reisenden, der hier nur durchkommt, hat das gar nicht so viel zu bedeuten; [261] der aber, welcher hier ständig wohnt, braucht wirklich einen guten Vorrath von Philosophie und Lust am Leben, um nicht Hungers zu sterben. Ein ziemlich bedeutender Handel wird theils mit Californien, theils mit den Eingebornen und mit fremden Schiffen getrieben.

Die Pelze, welche die Alëuten, die Jäger der Compagnie, liefern, sind die von Ottern, Bibern, Füchsen und von »Souslics«. Daneben fangen sie Walrosse, Seehunde und Walfische, außerdem zur betreffenden Zeit Häringe, Stockfische, Lachse, Steinbutten, Aalraupen, Barsche, und sammeln »Tsouklis«, eine Muschelart, die sich auf den Königin Charlotte-Inseln findet und welche die Compagnie in Tauschgeschäften mit amerikanischen Eingebornen mit Vortheil verwendet.

Die Letzteren, wenigstens die, welche zwischen dem 46. und 60. Breitengrade wohnen, scheinen derselben Volksrace anzugehören, was aus der Aehnlichkeit ihrer äußeren Erscheinung, ihrer Gebräuche und Lebensweise, sowie aus der Uebereinstimmung der Sprache hervorgeht.

Die Kalotchen von Sitkha erkennen als Stammvater ihrer Race einen Mann Namens Elth an, der unter dem Schutze des »Raben«, der ersten Ursache aller Dinge, gelebt habe. Auffallender Weise spielen diese Vögel auch bei den Kadiaken, das sind Eskimos, eine sehr wichtige Rolle. Man findet, nach Lütke, bei den Kalotchen auch Ueberlieferungen von einer Sündfluth und einige Sagen, welche an die griechische Mythologie erinnern.

Ihre Religion ist nichts Anderes als der Schamanismus. Ein unsichtbarer Gott ist ihnen unbekannt, dagegen glauben sie an böse Geister und an Zauberer, welche in die Zukunft blicken können und Krankheiten heilen – Eigenschaften, welche nur unter diesen forterben.

Die Seele gilt ihnen also für unsterblich; die Seelen von Häuptlingen vermengen sich aber nie mit denen von Unterthanen, und die der Sklaven bleiben auch nach dem Tode noch Sklaven. Man sieht, welche trostlose Auffassung noch herrscht.

Die Regierung ist patriarchalisch; die Eingebornen zerfallen in Einzelstämme, welche, wie das überhaupt in Amerika üblich ist, als kennzeichnenden Namen den eines Thieres führen und z. B. Wölfe, Bären, Raben, Adler und dergleichen heißen.

Die Sklaven der Kalotchen bestehen aus Kriegsgefangenen. Das Los derselben ist ein wahrhaft jämmerliches. Ihre Herren haben ihnen gegenüber das [262] Recht über Leben und Tod. Bei gewissen Feierlichkeiten, z. B. nach dem Ableben eines Häuptlings, bringt man solche, die nichts mehr leisten können, zum Opfer, oder schenkt ihnen im Gegentheile die Freiheit. Argwöhnisch und listig, grausam und rachsüchtig von Natur, sind die Kalotchen nicht mehr und nicht weniger werth als die ihnen benachbarten Wilden. Ausdauernd und muthig, aber faul, überlassen sie alle Arbeiten im Hause den Frauen, denn es herrscht bei ihnen von jeher Vielweiberei.

Von Sitkha aus wandte sich Lütke nach Unalachka. Die Niederlassung Iloulouk ist die bedeutendste der Insel, aber nur von zwölf Russen und zehn Alëuten beiderlei Geschlechts bewohnt.

Ohne den vollständigen Mangel an Holz, der die Einwohner zwingt, Alles zu sammeln, was das Meer an die Küsten in der Nähe wirst, worunter sich freilich manchmal ganze Stämme von Cypressen, Kampherbäumen und solche von einer Baumart finden, welche einen deutlichen Rosengeruch verbreiten, würde diese Insel weit mehr für die Bequemlichkeit und Annehmlichkeit des Lebens darbieten. Sie hat Ueberfluß an herrlichen Weideplätzen. Auch betreibt man hier erfolgreiche Viehzucht.

Die Bewohner der Fuchsinseln hatten zur Zeit, als Lütke diese besuchte, zum großen Theile schon die Sitten und Kleidung der Russen angenommen. Alle waren dem Namen nach Christen. Die Alëuten sind gut, kühn, geschickt, das Meer ist ihr eigentliches Element.

Seit 1826 hatten wiederholte Aschenausbrüche auf diesen Inseln große Verheerungen angerichtet. Im Mai 1827 eröffnete sich der Vulcan Chichatdinsk einen neuen Krater und spie dann abwechselnd Rauch und Flammen aus.

Die Instructionen Lütke's schrieben ihm vor, die Insel St. Mathieu zu untersuchen, welche Cook früher Gore genannt hatte. Wenn die hydrographischen Aufnahmen dieser Oertlichkeit wider Erwarten gut gelangen, so hatten die Russen doch nicht denselben Erfolg, als sie sich über die Naturerzeugnisse der Insel näher unterrichten wollten, denn sie vermochten an keiner Stelle zu landen.

Inzwischen kam der Winter mit seinen gewöhnlichen Begleitern, den Stürmen und Nebeln, heran. An eine Rückkehr in die Behrings-Straße war unter solchen Verhältnissen gar nicht zu denken. Lütke segelte also nach Kamtschatka, wobei er noch die Behrings-Inseln anlief. Er verweilte drei Wochen in Petropawlowsk, welche Zeit zur Löschung der von ihm mitgebrachten Waaren und zur Vorbereitung auf eine Winterreise verwendet wurde.


Hohe, von dichten, dunklen Wäldern bedeckte Berge. (S. 261).

Seinen Instructionen gemäß sollte Lütke diese Jah [263] reszeit zu einem Besuche der Carolinen benutzen. Er beschloß also, zuerst nach der Insel Ualan zu steuern, deren Kenntniß man dem französischen Seefahrer Duperrey verdankte. Der sehr sichere Hafen erlaubte es wahrscheinlich, sich daselbst mit genauen Pendelversuchen zu beschäftigen.


Einwohner von Ualan. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Auf der Fahrt dorthin suchte Lütke vergeblich die Insel Colunas unter 26°9' der Breite und 128° westlicher Länge. Auch mit den Inseln Dexter und St. Barthelemy erging es ihm nicht besser. [264] Dagegen fand er die Korallengruppe Brown, welche der Engländer Butler 1794 entdeckt hatte, und kam am 4. December in Sicht von Ualan.

Gleich vom ersten Augenblick an machten die guten Beziehungen zu den Eingebornen auf die Russen einen recht günstigen Eindruck. Einige in Piroguen herbeigekommene Ualanis zeigten so viel Zutrauen, daß sie sogar an Bord des Schiffes schliefen, als dieses noch unter Segel war.

Die »Senjavine« konnte nur mit Mühe in den Hafen de la Coquille einlaufen. Lütke landete an einem Eilande, Namens Matanial, und errichtete sein[265] Observatorium an derselben Stelle wie früher Duperrey, während sich schon ein Tauschhandel mit den Eingebornen entwickelte. Die Gutmüthigkeit und der friedliche Charakter der Letzteren verleugnete sich dabei keinen Augenblick. Es genügte, einen Häuptling zwei Tage als Geißel zurückzubehalten und eine Pirogue zu verbrennen, um den Diebsgelüsten einiger Einwohner ein Ziel zu setzen.

»Wir können mit Vergnügen, sagt Lütke, vor aller Welt bekennen, daß unser dreiwöchentlicher Aufenthalt in Ualan nicht allein keinen Tropfen Blut kostete, sondern daß wir auch von den guten Insulanern wie der Abschied nahmen, ohne in die Lage zu kommen, ihnen einen weiteren Begriff von der Wirkung der Feuerwaffen, als den, welchen sie schon davon hatten, zu geben, daß dieselben nur zum Schießen von Vögeln bestimmt wären. Ich weiß nicht, ob sich ein ähnliches Beispiel in den Annalen der ersten Reisen in der Südsee je wieder findet.«

Von Ualan aus suchte Lütke vergeblich die Musgrave-Inseln, welche auf Krusenstern's Karte verzeichnet stehen, entdeckte dafür aber bald eine große, von einem Riffgürtel umgebene Insel, welche Duperrey entgangen war und die den Namen Painipete oder Puynipete führt. Große, schöne Piroguen mit einer Besatzung von vierzehn Mann und kleine mit nur zwei Mann darin umringten bald das Fahrzeug. Diese Eingebornen, von wildem Aussehen, mißtrauischer Miene und stark gerötheten Augen, vollführten einen Heidenlärm, tanzten, sangen, und gesticulirten auf ihren Piroguen und entschlossen sich nur schwierig, das Verdeck zu betreten.

Die »Senjavine« hielt sich in einiger Entfernung vom Lande, das man nur um den Preis eines Kampfes hätte anlaufen können, denn bei einem derartigen Versuche umringten die Eingebornen sofort die Schaluppe und zogen sich nur angesichts der unerschrockenen Haltung der Besatzung und wahrscheinlich vor dem Kanonendonner von der »Senjavine« wieder zurück.

Lütke stand nicht genug Zeit zur Verfügung, den Senjavine-Archipel, wie er seine Entdeckung nannte, gründlich zu erforschen. Auch die Nachrichten, welche er von den Bewohnern Puynipetes einzog, waren nicht besonders verläßlich; die Bevölkerung gehörte seiner Meinung nach nicht zu derselben Race wie jene von Ualan, sondern stand vielmehr den Papuas näher, denen man in einer Entfernung von nur siebenhundert Meilen zuerst in Neu-Irland begegnet.

Nachdem Lütke, ohne sie zu finden, die Insel St. Augustin gesucht, lief er die Insel Corai de Los Valientes, auch Seven-Islands genannt, an, welche [266] der Spanier Felipe Tompson im Jahre 1773 aufgefunden hatte. Hierauf landete der Seefahrer im Mortlo-Archipel, früher die Gruppe Lougoullos de Torres, deren Bewohner den Ualanis glichen. Er ging an der größten der dazu gehörigen Inseln, einem wahren Cocospalmen- und Brotbaumgarten, vor Anker.

Die Bewohner erfreuten sich einer gewissen Civilisation. Sie verstanden zu weben und ebenso wie die Eingebornen von Ualan und Puynipete die Fasern der Bananen und der Cocospalmen zu spinnen. Ihre Fischergeräthschaften machten ihrem Erfindungsgeiste alle Ehre, vorzüglich eine Art aus Rohr und Bambusstäben zusammengesetzter Kasten, der so eingerichtet ist, daß die Fische zwar hinein, aber nicht wieder herausgelangen können. Sie besitzen auch Netze in Form großer Quersäcke, neben Leinen und Harpunen.

Die Piroguen, auf denen sie drei Viertel ihres Lebens zubringen, scheinen ihren Bedürfnissen vorzüglich angepaßt. Die großen, deren Erbauung ihnen gewiß unendliche Mühe kosten mag, sind meist sechsundzwanzig Fuß lang, zwei ein Viertel breit und vier Fuß tief. Sie sind mit einem Ausleger versehen, dessen Querstangen eine Plattform tragen. Auf der anderen Seite befindet sich eine ähnliche Plattform von vier Fuß im Geviert und überdacht, auf welcher man die Mundvorräthe aufbewahrt. Diese Piroguen führen ein dreieckiges Segel aus Blättern der Baumwollenstaude, das an zwei Rollen befestigt ist. Um zu wenden, läßt man das Segel nieder, neigt den Mast nach dem anderen Ende der Pirogue hin, wechselt gleichzeitig die Schoten und die Pirogue bewegt sich mit dem anderen Ende vorwärts.

Lütke kam hierauf an der Namoluk-Gruppe vorbei, deren Bewohner sich von den Longounoriern in keiner Weise unterscheiden, und zeigte die Identität der schon von Duperrey beschriebenen Insel Hogole mit Quirosa. Dann besuchte er die Namaunito-Gruppe, die erste Reihe einer Anhäufung von Inseln oder vielleicht auch einer einzigen großen Insel, welche in späterer Zeit an dieser Stelle noch auftauchen dürfte.

Da Lütke nur Schiffszwieback und verschiedene andere Artikel brauchte, die er aus Guaham oder von dort im Hafen liegenden Schiffen beziehen zu können hoffte, segelte er nach den Mariannen ab, wo er gleichzeitig Pendelversuche anstellen wollte, vorzüglich weil Freycinet früher gerade hier bemerkbare Schwankungs-Anomalien gefunden hatte.

Lütke erstaunte nicht wenig, bei seiner Ankunft auch kein einziges Zeichen von Leben zu entdecken. Auf den beiden Forts wehte keine Flagge. Ringsum[267] herrschte das Schweigen des Todes, und ohne die Gegenwart einer im inneren Hafen ankernden Goëlette hätte man ein ganz verlassenes Land vor sich zu haben geglaubt. Auf dem Lande wohnte nur eine geringe und noch dazu halb wilde Bevölkerung, von der nicht das mindeste zu erfahren und zu erlangen war. Glücklicherweise stellte sich ein englischer Deserteur Lütke zur Verfügung und übermittelte einen Brief des Commandanten an den Gouverneur, der bald darauf eine befriedigende Antwort ertheilte.

Den Posten des Gouverneurs nahm noch derselbe Medinilla ein, dessen Gastfreundschaft schon Kotzebue und Freycinet lobend erwähnt hatten. Es gelang auch ohne Schwierigkeit, die Erlaubniß zur Errichtung eines Observatoriums am Lande zu erhalten und dahin alles Nothwendige zu schaffen. Der Aufenthalt hierselbst wurde nur durch einen den Commandanten Lütke betreffenden Unfall getrübt, indem sich jener bei Gelegenheit einer Jagd die eine Hand durch einen Schuß nicht unbedeutend verletzte.

Die Ausbesserungsarbeiten am Schiffe und die Herbeischaffung des nöthigen Holz- und Wasservorrathes verzögerten die Abfahrt der »Senjavine« bis zum 19. März. Lütke gewann dadurch Muße genug, sich von der Verläßlichkeit der Nachrichten zu überzeugen, welche Freycinet bei einem zweimonatlichen Aufenthalte im Hause des Gouverneurs zehn Jahre vorher gesammelt hatte. Seit jener Zeit waren besondere Veränderungen nicht eingetreten.

Da die geeignete Jahreszeit, wieder nach Norden zu gehen, noch nicht herangekommen war, nahm Lütke mit den Inseln du Danois die Erforschung der Carolinen wieder auf. Die Bewohner derselben schienen ihm besser gebaut als ihre westlichen Nachbarn, von denen sie sich sonst in keiner Weise unterscheiden. So wurden nach und nach die Inseln Farröilep, Oullei, Ifelouk und Fonripigze besucht; dann schlug Lütke am 27. April den Weg nach Bonin Sima ein. Er erfuhr hier, daß ihm der englische Kapitän Beechey bezüglich der Untersuchung der Gruppe schon zuvorgekommen war, weshalb er auf alle hydrographischen Aufnahmen verzichtete. Zwei zur Besatzung eines Walfischfahrers gehörige Matrosen, die hier an die Küste geworfen worden waren, wohnten noch auf Bonin Sima.

Seit dem Aufleben der Großfischerei besuchten eine Menge Walfischfahrer diesen Archipel, wo sie neben einem zu jeder Jahreszeit sicheren Hafen, Wasser und Holz im Ueberfluß, während einer Jahreshälfte viel Schildkröten, Fische, vorzüglich aber auch antiscorbutische Kräuter und köstlichen Palmenkohl fanden.

[268] »Die majestätische Höhe und kräftige Entwicklung der Bäume, sagt Lütke, die Verschiedenheit und das gleichzeitige Vorkommen tropischer Pflanzen neben solchen der gemäßigten Klimate beweist schon die Fruchtbarkeit des Bodens und die Gesundheit des Klimas. Unsere meisten Gartenpflanzen und Küchengewächse, ja, wahrscheinlich alle, würden hier ausnehmend gut gedeihen, ebenso wie Weizen, Mais und Reis; auch für die Weinrebe dürfte es kaum ein geeigneteres Klima und eine günstigere Lage geben. Hausthiere jeder Art, auch Bienen, müßten sich hier schnell vermehren. Kurz, diese kahle Inselgruppe würde mit einer an Zahl geringen, aber fleißigen Colonistenbevölkerung sich bald zum Ausfuhrplatz der verschiedenartigsten Naturerzeugnisse entwickeln.«

Am 9. Juni lief die »Senjavine«, durch Windstille um volle acht Tage verzögert, in Petropawlowsk ein, wo sie durch die Nothwendigkeit, Lebensmittel einzunehmen, bis zum 26. aufgehalten wurde. Nun folgte eine ganze Reihe von Entdeckungen längs der Küsten von Kamtschatka, wie des Landes der Koriaks und der Tschuktschen, während inzwischen dreimal, an der Insel Karaghinsk, in der Bai des St. Lorenz und dem Golf von St. Croix, Rast gemacht wurde.

An dem einen dieser Haltepunkte erlebte der Befehlshaber ein seltsames, drolliges Abenteuer. Er stand mit verschiedenen Tschuktschen schon seit mehreren Tagen auf recht gutem Fuße und bemühte sich, diesen eine genauere Vorstellung von dem Wesen und den Lebensgewohnheiten der Russen beizubringen.

»Die Eingebornen, sagt er, zeigten sich freundlich und zutraulich und bemühten sich, unsere Scherze oder etwaigen Schmeicheleien möglichst mit gleicher Münze heimzuzahlen. So klopfte ich als Zeichen der Freundschaft einem jungen kräftigen Tschuktschen leise mit der Hand auf die Wange und erhielt als Antwort eine Ohrfeige, von der ich fast umgefallen wäre. Als ich mich von meinem Erstaunen erholt, sah ich meinen Tschuktschen mit strahlendem Gesichte vor mir stehen, aus dem die Befriedigung eines Mannes, der Gelegenheit fand, seine gute Lebensart und Höflichkeit an den Tag zu legen, deutlich hervorleuchtete. Er hatte mich auch nur sanft berühren wollen, aber freilich mit einer Hand, die nur gewöhnt war, Renthiere anzufassen!«

Die Reisenden waren auch Zeugen der Gewandtheit eines Tschuktschen, der den Chamanen oder Zauberer spielte. Dieser schlüpfte hinter einen Vorhang; bald ließ sich von da aus eine Stimme, mehr ein Geheul hören, wozu mit einem Stück Fischbein auf eine kleine Trommel geschlagen wurde. Als der Vorhang sich erhob. sah man den Zauberer hin und her schwanken und bemüht [269] seine Stimme ebenso wie die Schläge auf die dicht neben das Ohr gehaltene Trommel zu verstärken. Nach kurzer Zeit warf er seinen Pelz ab und kleidete sich bis zum Gürtel nackt aus, darauf ergriff er einen Stein, ließ ihn Lütke halten, nahm denselben dann zurück, und während er scheinbar nur eine Hand über die andere gleiten ließ, war der Stein verschwunden. Da wies er auf eine Anschwellung am Ellbogen und gab vor, daß der Stein sich daselbst befand; drängte jene Geschwulst dann bis nach der Seite des Körpers und nahm den Stein hier scheinbar wieder heraus, während er dem Unternehmen der Russen einen günstigen Fortgang weissagte.

Man beglückwünschte den Hexenmeister wegen seiner Geschicklichkeit und machte ihm als Dank, ein Messer zum Geschenk. Er nahm dasselbe, zog die Zunge hervor und begann dieselbe abzuschneiden. Sein Mund füllte sich mit Blut... nachdem er die Zunge völlig durchschnitten, zeigte er das Stück davon in der Hand. Da fiel der Vorhang, offenbar reichte die Fertigkeit des Tausendkünstlers nicht weiter.

Unter der allgemeinen Bezeichnung Tschuktschen versteht man ein Volk, das den äußersten Nordosten von Asien bewohnt. Dasselbe gliedert sich in zwei Racen: die eine, ein Nomadenstamm, gleich den Samojeden, bilden die Renthier-Tschuktschen, die andere hat bleibende Wohnsitze, das sind die »seßhaften« Tschuktschen. Sowohl die Lebensweise, als auch der Gesichtsausdruck und selbst die Sprache weichen bei beiden von einander ab. Das Idiom der seßhaften Tschuktschen nähert sich sehr dem der Eskimos, an welche auch ihre »Vaïdarken« oder Lederboote, die meisten Geräthe und die Gestalt der Hütten lebhaft erinnern.

Lütke sah nur wenige Renthier-Tschuktschen und vermag über dieselben den von seinen Vorgängern herrührenden Nachrichten nichts hinzuzufügen. Doch schien es ihm, als hätten diese mit gar zu ungünstigen Farben gemalt und die Unverträglichkeit und Wildheit der Tschuktschen ungebührlich übertrieben.

Die seßhaften Tribus, gewöhnlich auch die Namollos genannt, verbringen den Winter in einer Art Baracken, den Sommer in mit Häuten bedeckten Hütten. Letztere dienen in der Regel als Wohnung für mehrere Familien.

»Die Söhne mit ihren Frauen und die Töchter mit ihren Männern, heißt es in dem Berichte, leben hier mit ihren Eltern zusammen. Jede Familie nimmt eine, durch einen Vorhang abgegrenzte Art Kammer an der Langseite der Hütte ein. Diese Vorhänge bestehen aus Renthierhäuten, welche in Form einer Glocke zusammengenäht werden; sie hängen an den Deckbalken und reichen [270] bis zur Erde herab. Zwei bis drei Personen, gelegentlich noch mehr, erwärmen mit Thran, den sie mit eintretender Kälte entzünden, die Luft unter diesem fast hermetisch schließenden Vorhange so weit, daß jede Bekleidung überflüssig wird; freilich gehört auch eine Tschuktschen-Lunge dazu, in dieser Atmosphäre zu athmen. In dem Vorderraume der Hütte befinden sich alle Geräthe, das Küchengeschirr, Körbe, Säcke aus Seehundfellen u. s. w. Hier steht auch der gemeinsame Herd, wenn man die Stelle so nennen darf, an der einige Weidenzweige brennen, die mit Mühe aus den Sümpfen geholt werden, und welche bei Mangel derselben Fischknochen, an denen noch etwas Fett hängt, ersetzen müssen. Auf Gerüsten aus Holz oder Fischknochen hängt rings um die Hütte, in Stücken geschnitten, das schwarze, widerliche Seehundsfleisch zum Trocknen.

Die Lebensweise dieser Völkerschaften ist wahrhaft jämmerlich. Sie nähren sich von dem halbrohen Fleische der Robben und Walrosse, die sie jagen, oder mit dem von Walfischen, welche das Meer auf den Strand warf. Der Hund ist das einzige Hausthier, das sie besitzen; sie behandeln denselben sehr schlecht, obwohl diese armen Thiere sehr anhänglich gegenüber ihren Herren sind und diesen große Dienste leisten, indem sie entweder die Baïdarken an Zugseilen im Wasser oder die Schlitten über den Schnee ziehen.«

Nach einem zweiten, fünfwöchentlichen Aufenthalt in Petropawlowsk verließ die »Senjavine« Kamtschatka am 10. November, um nach Europa zurückzukehren. Bevor er Manilla anlief, kreuzte Lütke in dem nördlichen Theile der Carolinen, dessen Untersuchung er im vorigen Winter nicht vollenden konnte. Er besuchte nach und nach die Einzelgruppen von Mourilen, Fananon, Faieou, Nomonouïto, Maghyr, Farröïlep, Ear, Mogmog und fand in Manilla die ihn erwartende Corvette »Möller«.

Der Archipel der Carolinen hat eine sehr weite Ausdehnung; selbst die Mariannen- und die Radak-Inseln könnten demselben wohl beigezählt werden, denn man trifft auf diesen ganz dieselbe Bevölkerung an. Den alten Geographen standen als Quellen nur die Karten der Missionäre zu Gebote, diese aber hatten jenen, aus Mangel an Verständniß und nothwendigen Instrumenten, um die Größe die Lage und die gegenseitige Entfernung dieser Archipele zu bestimmen, einen weit größeren Umfang zugetheilt und den Abstand einer Insel von der anderen oft auf mehrere Grade angegeben, wo er nur einige Meilen betrug.

Die Seefahrer hielten sich in Folge dessen klüglich von jenen fern. Freycinet war der Erste, der einige Ordnung in dieses Chaos brachte und, Dank seinem Zusammentreffen mit Kadon und Don Louis Torres, die neuen Entdeckungen den alten anreihen konnte.


Die seßhaften Tschuktschen. (S. 270.)

Auch Lütke trug seinen, und zwar nicht unbedeutenden Theil bei zur Schaffung einer richtigen, wissenschaftlichen Karte dieses Archipels, der lange Zeit [271] hindurch der Schrecken der Seefahrer gewesen war.

Der russische Forscher stimmt nicht überein mit einem seiner Vorgänger, Lesson, der alle Bewohner der Carolinen unter dem Namen des mongolo-pelagischen Zweiges zur mongolischen Race rechnet; er sieht diese vielmehr, mit Chamisso und Balbi als einen Nebenzweig der malayischen Familie an, welche ganz Ost-Polynesien bevölkert hat. [272] Wenn Lesson die Caroliner den Chinesen und Japanesen nahe stellt, so findet Lütke dagegen in ihrer Größe, den hervorspringenden Augen, den dicken Lippen und der aufgestülpten Nase eine Familienähnlichkeit mit den Bewohnern der Sandwichs- und Tonga-Inseln. Die Sprache zeigt nicht die geringste Verwandtschaft mit dem Japanischen, wohl aber viel Uebereinstimmung mit dem Idiom der Tonga-Inseln.

Während seines Aufenthaltes in Manilla war Lütke mit der Verproviantirung und Ausbesserung seiner Corvette beschäftigt, und er verließ diese spanische[273] Besitzung am 30. Januar, um nach Rußland zurückzukehren, wo er am 6. September 1829 (eine Angabe, die mit deutschen Quellen ganz und gar nicht übereinstimmt) auf der Rhede von Kronstadt wieder vor Anker ging.


Krieger der Inseln Ombay und Gueba. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Es erübrigt noch einige Worte über die Corvette »Möller«, seit deren Trennung in Valparaiso, hinzuzufügen. Von Tahiti war dieselbe nach Kamtschatka gesteuert, hatte in Petropawlowsk einen Theil ihrer Ladung gelöscht und im August 1827 ihren Kurs nach Unalachka eingeschlagen, wo sie einen Monat lang liegen blieb. Nach einer durch ungünstige Witterung unterbrochenen Erforschung der Westküste Amerikas und einem kürzeren Aufenthalte in Honolulu, im Februar 1828, hatte sie die Insel Möller entdeckt, die Inseln Necker, Gardner und Lissiansky angelaufen und sechs Meilen südlich von dieser ein sehr gefährliches Riff aufgefunden.

Die Corvette war dann längs der Inseln Kur und Basse, der Risse Maras, de la Perle und Hermes hingesegelt und nach Aufsuchung verschiedener anderer auf der Karte Arrowsmith's verzeichneter Inseln nach Kamtschatka zurückgekehrt. Anfangs April war sie nach Unalachka gegangen und hatte die Nordküste der Halbinsel Alaska untersucht. Im September traf die »Möller« dann wieder mit der»Senjavine« zusammen und trennte sich von ihr bis zum Eintreffen in Rußland nur zuweilen auf ganz kurze Zeit.

Aus dem vorstehenden eingehenden Bericht erhellt schon, daß diese Expedition sehr wichtige Ergebnisse zur Förderung der Geographie lieferte. Aber auch die anderen Zweige der Naturwissenschaften, die Physik und die Astronomie, verdankten ihr zahlreiche und bemerkenswerthe Bereicherungen.

[274]
2. Capitel
1.
I.

Die Reise Freycinet's. – Rio de Janeiro und seine Zigeuner. – Das Cap und dessen Weine. – Die Seehunds-Bai. – Aufenthalt in Timor. – Die Insel Ombay und deren menschenfressende Bevölkerung. – Die Inseln der Papuas. – Auf Pfählen errichtete Wohnungen der Alfurus (Haraforas). – Ein Diner bei dem Gouverneur von Guaham. – Beschreibung der Mariannen und ihrer Bewohner. – Etwas von den Sandwichs-Inseln. – Port Jackson und Neu-Süd-Galles. – Schiffbruch in der Bai Française. – Die Malouinen. – Rückkehr nach Frankreich. – Expedition der »Cocquille« unter dem Befehle Duperrey's. – Martin Baz und Trinidad. – Die Insel St. Katharina. – Die Unabhängigkeit Brasiliens. – Die Bai Française und die Ueberreste der »Uranie«. – Aufenthalt in Conception. – Der Bürgerkrieg in Chile. – Die Araucanier. – Neue Entdeckungen bei den Gefährlichen Inseln (Pomotu-Inseln). – Aufenthalt in Thaiti und Neu-Irland. – Die Papuas. – Rast in Ualan. – Die Caroliner und die Carolinen – Wissenschaftliche Ergebnisse der Expedition.


Die von Louis Claude de Saulces de Freycinet befehligte Expedition kam in Folge der Muße zu Stande, welche der Friede von 1815 der französischen Marine gewährte. Ein unternehmender Officier derselben, der früher schon Baudin bei der Erforschung der Küsten Australiens begleitet hatte, entwarf dazu den Plan und wurde mit dessen Ausführung betraut. Es war das die erste Seereise, welche die Hydrographie nicht als Hauptziel im Auge hatte; sie sollte sich in erster Linie vielmehr mit der Aufnahme der Form der Erdkugel in der südlichen Hemisphäre und mit Beobachtung erdmagnetischer Erscheinungen befassen, weiter mit dem Studium der drei Naturreiche, der Sitten, Gebräuche und Sprachen der Eingebornen; geographische Forschungen dagegen standen, ohne gerade ausgeschlossen zu sein, bei derselben doch erst an letzter Stelle.

Freycinet fand in einigen Officieren vom Sanitäts-Corps der Marine, nämlich in den Herren Quoy, Gaimard und Gaudichaud, tüchtige Mitarbeiter für die Fächer der Naturgeschichte; gleichzeitig zog er eine gewisse Anzahl hervorragender Marine-Officiere zu sich heran, unter denen Duperrey, Lamarche, Bérard und Odet-Pellion die bekanntesten sein möchten. Einer derselben wurde später Mitglied des Instituts; die Anderen stiegen zu den höheren und höchsten Stellen in der Staatsmarine empor.

Daneben ließ Freycinet es sich angelegen sein, nur solche Matrosen auszuwählen, welche auch noch Fertigkeiten in irgend einem Handwerke besaßen, so daß sich unter der einhundertzwanzig Mann zählenden Besatzung der »Uranie« [275] nicht weniger als Fünfzig befanden, die im Nothfalle als Zimmerleute, Seiler, Segelmacher, Schmiede u. dergl. dienen konnten.

Reservegut und Ausrüstungsgegenstände für zwei Jahre, wie sie die vervollkommneten Apparate, deren man sich allgemach zu bedienen anfing, nur liefern konnten, Eisenbehälter zur Aufbewahrung des Trinkwassers und große Kolben zur Destillation des Meerwassers, nebst Conserven und Heilmitteln gegen den Scorbut wurden auf der »Uranie« untergebracht. Am 17. September 1817 verließ das Schiff den Hafen von Toulon, darauf, als Matrose verkleidet, auch die Gattin des Befehlshabers, welche selbst die Gefahren und Strapazen einer so langen Reise nicht zurückzuschrecken vermochte.

Neben jenen, dem täglichen Bedarf dienenden Vorräthen führte Freycinet auch eine reiche Sammlung der besten Apparate und Instrumente mit sich. Von Seiten des Instituts endlich hatte er sehr eingehende Instructionen erhalten, theils bestimmt, ihm als Führer bei späteren Untersuchungen zu dienen, theils auch, um ihn auf diejenigen Fragen hinzuweisen, deren Lösung den größten Vortheil für die Wissenschaften erwarten ließ.

Die »Uranie« ankerte bei Gibraltar und verweilte kurze Zeit bei Santa Cruz, der Hauptstadt von Teneriffa – einer der canarischen Inseln, welche, wie Freycinet bemerkt, für die Expedition keineswegs »Glückliche Inseln« waren, da der Gouverneur derselben jeden Verkehr mit dem Lande verbot – bevor sie am 6. December in den Hafen von Rio de Janeiro einlief.

Der Commandant und dessen Officiere benutzten den Aufenthalt daselbst, um vielfache magnetische Beobachtungen und Versuche mit dem Pendel anzustellen, während die Naturforscher das Land durchstreiften und reiche naturwissenschaftliche Sammlungen erwarben.

Der Original-Reisebericht enthält lange historische Abhandlungen über die Entdeckung und Besiedelung Brasiliens, sowie eingehende Schilderungen über Sitten und Gebräuche der Einwohner, über die Temperatur und das Klima, sogar eine ganz genaue Beschreibung Rio de Janeiros und seiner Bauten und Umgebungen.

Der merkwürdigste Theil dieser Arbeit handelt von den Gitanos (etwa: Zigeuner), welchen man zu jener Zeit in Rio de Janeiro begegnete.

»Würdige Abkömmlinge der Parias von Indien, wo ihr Ursprung unzweifelhaft zu suchen ist, sagt Freycinet, zeichnen sie sich durch lasterhafte Gewohnheiten aller Art und durch Neigung zu jedem Verbrechen aus. Die [276] Meisten besitzen große Reichthümer, entwickeln bezüglich der Kleidung und Pferde, vorzüglich bei den mit größtem Pomp gefeierten Hochzeiten, einen unerhörten Luxus, fühlen sich aber nur wohl unter den wüstesten Schwelgereien oder dem widerwärtigsten Nichtsthun. Sie sind Spitzbuben und Lügner von Natur und stehlen bei allen Handelsgeschäften so viel als möglich; ebenso finden sich unter ihnen die schlauesten und frechsten Schmuggler. Hier, wie überall, wo sich diese widerwärtigen Menschen finden, haben sie stets nur untereinander geheiratet. Sie sprechen mit eigenthümlichem Accent, oder gar einen besonderen Jargon. In Folge einer wahrhaft unbegreiflichen Laune dulden die Behörden diese öffentliche Pest, und in der Nähe des Campo Santa Anna hat man ihnen zwei Straßen völlig eingeräumt.«

»Wer Rio de Janeiro nur am Tage sähe, sagt der Reisende an anderer Stelle, könnte zu dem Glauben verleitet werden, daß dessen Einwohnerschaft nur aus Negern bestehe. Anständigere Leute gehen, wenn sie nicht ganz besondere Veranlassung haben, oder kirchliche Pflichten erfüllen, nie anders als des Abends aus, und auch da zeigen sich meist nur die Frauen; tagsüber bleiben sie fast stets zu Hause und theilen ihre Zeit zwischen dem Schlaf und der Toilette. Theater und Kirchen sind die einzigen Oertlichkeiten, wo man sich ihrer Anwesenheit erfreuen kann.«

Die Ueberfahrt der »Uranie« von Brasilien nach dem Cap der Guten Hoffnung ging ohne bemerkenswerthen Zwischenfall von statten. Am 7. März ging sie in der Tafel-Bai vor Anker. Nach dreitägiger Quarantaine gestattete man den Seefahrern, an's Land zu gehen, wo ihnen seitens des damaligen Gouverneurs, Charles Sommerset, ein ausgezeichneter Empfang bereitet wurde. Die Instrumente schaffte man nach Auffindung eines für die Arbeiten geeigneten Locales sofort an's Land. Nun begannen ohne Aufenthalt die gewohnten Pendelversuche und die Beobachtungen der Magnetnadel von Neuem.

Die Naturforscher Quoy und Gaimard unternahmen, in Begleitung mehrerer Officiere, einen wissenschaftlichen Ausflug nach dem Tafelberge und nach den weit berühmten Weingärten von Constancia.

»Die Weinculturen, durch welche wir kamen, sagt Gaimard, sind von Eichen- oder Fichtenalleen eingeschlossen, und die vier bis fünf Fuß von einander in geraden Linien gepflanzten Rebstöcke werden hier nicht durch Pfähle gestützt. Man beschneidet jene und hackt den umgebenden Boden alljährlich tief auf. Da und dort sahen wir Feigen-, Aprikosen-, Apfel-, Birnen- und Citronenbäume [277] in Menge, und dazwischen kleinere Beete mit Küchengewächsen. Bei unserer Rückkehr bestand Mr. Colyn darauf, daß wir alle Weinsorten, welche er erbaute, kosten sollten, darunter den sogenannten eigentlichen Constancia-Wein, in weißer und rother Sorte, ferner seinen Pontac, Steinwein und den Frontignac. Der Wein von anderen Lagen, den man als »Capwein« bezeichnet, wird aus dunkel strohgelben Muscatellertrauben gewonnen und schien, meinem Geschmacke nach, den Muscateller der Provence an Güte zu übertreffen. Ich erwähnte eben zwei Abarten Constancia-Wein: den weißen und den rothen; beide stammen von Muscatellertrauben verschiedener Farbe her... Am Cap selbst giebt man gewöhnlich dem Frontignac vor allen anderen Sorten, die auf den Weinbergen von Constancia wachsen, den Vorzug.«

Genau einen Monat, nachdem sie die Südspitze Afrikas verlassen, ging die »Uranie« in Port-Louis auf Isle de France, das seit dem Vertrage von 1815 unter englischer Herrschaft stand, vor Anker.

Freycinet mußte sich hier, um sein Schiff kielholen, gründlich ausbessern und die Kupferverkleidung in Stand setzen zu lassen, weit länger aufhalten, als er eigentlich beabsichtigte. Unsere Reisenden hatten indeß keine Ursache, diese Verzögerung zu beklagen, denn die Bewohner von Isle de France verleugneten ihre weitbekannte liebenswürdige Gastfreundlichkeit auch bei dieser Gelegenheit nicht. Spaziergänge, Gesellschaften, Bälle, Officiersschmäuse, Wettrennen und Festlichkeiten aller Art halfen die Zeit schnell vertreiben. Die Franzosen nahmen deshalb endlich nur mit herzlichem Bedauern von ihren früheren Landsleuten und – den erbittertsten Feinden der letzten Jahre Abschied.

Mehrere hervorragende Einwohner unterließen sogar nicht, Freycinet sehr interessante Aufzeichnungen über Das und Jenes einzuhändigen, da es diesem bei dem immerhin kurzen Verweilen auf der Insel nicht möglich gewesen war, sich selbst Auskunft zu verschaffen.

So kam dieser in die Lage, werthvolle Nachrichten über die Verhältnisse des Ackerbaues, Handels, Gewerbfleißes, der Finanzen und über den sittlichen Zustand der Bevölkerung, kurz über sehr verschiedene Punkte und in solcher Verläßlichkeit heimzubringen, wie sie ein Reisender bei vorübergehendem Aufenthalte niemals zu sammeln vermöchte. Seit Einrichtung der englischen Verwaltung waren vielfach Straßen angelegt worden, und ein frischer, thatenlustiger Geist trat an Stelle der angeerbten Routine, welche die Kolonie allmählich eingeschläfert und jeden Fortschritt gehemmt hatte.

[278] Die »Uranie« wandte sich nun nach der Insel Bourbon, wo sie aus den Magazinen der Regierung neuen Proviant erhalten sollte. Am 19. Juli 1817 ging sie in St. Denis vor Anker und blieb auf der Rhede von St. Paul bis zum 2. August, an welchem Tage sie nach der Seehunds-Bai, an der Westküste Neu-Hollands, absegelte.

Bevor wir Freycinet nach Australien folgen, dürfte es sich empfehlen, mit ihm noch einige Augenblicke auf Bourbon zu verweilen.

Im Jahre 1717 besaß diese Insel nach Le Gentil de la Barbinais nur neunhundert freie Bewohner, darunter nicht mehr als sechs weiße Familien, neben eintausendeinhundert Sklaven. Nach der letzten Zählung (1817) wohnten hier dagegen 14.790 Weiße, 4342 freie Neger und 49.759 Sklaven, zusammen 68.891 Seelen. Dieses beträchtliche und schnelle Wachsthum dürfte zum Theile wohl dem sehr gesunden Klima des Landes zuzuschreiben sein, gewiß rührt es aber auch mit von der unbeschränkten Handelsfreiheit her, deren sich die Insel lange Jahre hindurch erfreute.

Am 12. September warf die »Uranie« nach sehr glücklicher Fahrt am Eingange der Seehunds-Bai Anker. Sofort wurde ein Detachement nach Dirck Hatichs abgesendet, um die geographische Lage des Cap Levaillant zu bestimmen und die von den Holländern vor langer Zeit zurückgelassene zinnerne Tafel, welche Freycinet schon 1801 gesehen hatte, an Bord der Corvette mitzubringen.

Inzwischen waren die zwei Kolben zur Destillation des Meerwassers in Gebrauch genommen worden. Während des ganzen Aufenthaltes benutzte man kein anderes Getränk, und Niemand auf dem Schiffe ließ darüber eine Klage laut werden.


Haus von Rawak auf Pfahlwerk. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Die ausgeschiffte Abtheilung der Besatzung traf auch mit einigen Ureinwohnern zusammen. Bewaffnet mit Wurfspießen und Keulen und ohne jedwede Bekleidung, vermieden es diese, mit den Weißen in directe Berührung zu kommen, hielten sich vielmehr von den Matrosen immer etwas entfernt und berührten auch die dargebotenen Gegenstände, die man ihnen schenkte, anfangs nur mit großer Vorsicht.

Obwohl die Seehunds-Bai seit der Expedition Baudin's im Einzelnen untersucht worden war, blieb im östlichen Theile des Hamelin-Hafens doch noch eine Lücke übrig. Diese auszufüllen unterzog sich nun Duperrey.

[279] Dem Naturforscher Gaimard genügte die Kunde, die man bis jetzt von den, wahrscheinlich durch den Knall der Feuerwaffen vertriebenen Einwohnern erhalten hatte, noch nicht, und er beschloß, beseelt von dem Wunsche, deren ganze Lebensweise näher kennen zu lernen, ein Stück in das Innere des Landes einzudringen. Sein Begleiter und er verirrten sich, ganz wie Riche im Jahre 1792 in Nuytsland, und litten schrecklich vor Durst, da sie während ihrer dreitägigen Wanderung keine Quelle und keinen Bach fanden. Ohne Bedauern sahen die Seefahrer die unwirthlichen Küsten von Endrachtsland ihren Augen entschwinden.

[280] Schönes Wetter und ein kaum bewegtes Meer begünstigten die Fahrt der »Uranie« bis Timor, wo sie am 9. October auf der Rhede von Coupang vor Anker ging.

Die portugiesischen Behörden nahmen sie mit großer Zuvorkommenheit auf.


Tanzmeister von Montezuma, Insel Guani. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Die Kolonie erfreute sich freilich jetzt nicht des glücklichen Gedeihens, welches das Erstaunen und die Bewunderung der Franzosen zur Zeit der Baudinschen Reise erregt hatte. Der Rajah von Amanoubang, ein Bezirk mit überreichlichem Bestande an Santelholz, der früher Tribut entrichtet hatte, kämpfte eben für seine Unabhängigkeit. Dieser, für die Kolonie höchst nachtheilige Kriegszustand [281] erschwerte gleich zeitig die Beschaffung von Nahrungsmitteln, welche Freycinet doch so nothwendig brauchte.

Einige Officiere statteten dem Rajah Peters von Banacassi, dessen Wohnung kaum dreiviertel Meilen von Coupang lag, einen Besuch ab. Peters, jetzt ein Greis von achtzig Jahren, mußte ein sehr schöner Mann gewesen sein. Er erschien mit zahlreichem Gefolge, das ihn mit größter Ehrfurcht behandelte, und unter dem sich mehrere Krieger von imponirender Erscheinung auszeichneten.

In der weitläufigen Wohnung bemerkten die Franzosen mit Verwunderung einen großen Luxus an Tafelgeräthen und sahen daselbst auch sehr schön gearbeitete und kostbare europäische Gewehre hängen.

Trotz der hohen Temperatur, unter der sie zu leiden hatten – das Thermometer stieg in der Sonne und in freier Luft bis zu 45 Grad, im Schatten bis 33, ja sogar bis 35 Grad – betrieben der Commandant und die Officiere mit ungeschwächtem Eifer die wissenschaftlichen Beobachtungen und geographischen Nachforschungen, welche ihnen instructionsgemäß oblagen.

Trotz Freycinet's ernsthafter Warnungen hatten doch mehrere jüngere Officiere und Matrosen die Unklugheit begangen, gegen Mittag auszugehen; in der Hoffnung, die traurigen Folgen solch' frevelhaften Leichtsinnes abzuwenden, verzehrten sie dann begierig kalte Getränke und säuerliche Früchte. Bald wurden sie dafür aber durch den Ausbruch der Dysenterie bestraft, welche fünf Mann an's Lager fesselte, so daß man an die Abreise denken mußte, worauf die »Uranie« am 23. October die Anker lichtete.

Man fuhr nun, zum Zwecke hydrographischer Aufnahmen, ziemlich schnell längs der nördlichen Küste Timors hin; als die Corvette aber bis zur engsten Stelle des Kanals von Ombay gelangte, fand sie daselbst so heftige Strömungen und nur so schwache oder widrige Winde, daß sie kaum noch von der Stelle kam. Diese mißlichen Verhältnisse dauerten volle neunzehn Tage an.

Einige Officiere benutzten den unfreiwilligen Aufenthalt nahe dem Gestade Ombays zu einem Ausfluge nach den nächstliegenden Theilen der Insel, die einen recht lieblichen Anblick boten. Sie landeten bei dem Dorfe Bitouka und näherten sich einer Gruppe Eingebornen, welche mit Bogen, Pfeilen und »Kris« (dies sind 45 bis 60 Centimeter lange, meist geschlängelte Dolche der Malayen und anderer asiatischer Volksstämme) bewaffnet waren und Panzer und Schilder aus Büffelhäuten trugen. Diese Wilden hatten ein sehr kriegerisches Aussehen und schienen sich vor Feuerwaffen nicht besonders zu fürchten; ihrer Aussage [282] nach vermochten sie während der zum Laden eines Gewehres nöthigen Zeit eine große Menge Pfeile zu verschießen.

»Ihre Pfeilspitzen, sagt Gaimard, bestanden aus sehr hartem Holze, aus Knochen oder sogar aus Eisen. Die vorräthigen, fächerartig geordneten Pfeile führte der Krieger an seiner linken Seite im Gürtel des Säbels oder Kris mit sich. Die meisten Einwohner trugen, am rechten Schenkel oder am Gürtel befestigt, eine Menge geschlitzte Latanenblätter, durch welche wieder roth oder schwarz gefärbte Blätter derselben Art gesteckt waren. Das fortwährende Geräusch von Denjenigen, welche mit diesem sonderbaren Schmucke ausstaffirt waren, dazu noch das Scharren und Schlagen, wenn Panzer und Schild in Berührung kamen, und endlich das Ertönen der kleinen Schellen, einer ferneren Zugabe ihrer Kriegertoilette – alles das verursachte einen solchen Heidenlärmen, daß wir uns des Lachens nicht erwehren konnten. Weit entfernt, sich dadurch verletzt zu fühlen, folgten die Ombayer vielmehr unserem Beispiele. Arago 1 führte vor ihnen einige Taschenspieler-Kunststückchen aus, welche sie gewaltig in Erstaunen setzten. Wir begaben uns nun geraden Weges nach dem auf einer benachbarten Anhöhe gelegenen Dorfe Boutika. In einer Hütte, an welcher wir vorüberkamen, sah ich an der Decke etwa zwanzig menschliche Kinnladen hängen und drückte den Wunsch aus, gegen meine kostbarsten Tauschgegenstände einige derselben einzuhandeln. Man antwortete mir darauf aber nur: »Palami!« (Das ist geheiligt!) Wahrscheinlich hingen diese Knochen hier als Trophäen zur Erinnerung an einen über irgendwelche Feinde erfochtenen Sieg.«

Dieser kurze Ausflug hatte um so mehr Interesse, als die Insel Ombay von Europäern bisher nur sehr selten besucht worden war. Die wenigen Schiffe, welche daselbst gelandet waren, hatten alle über die wilden, kriegslustigen Stämme, von denen einzelne sogar als Menschenfresser geschildert werden, mehr oder weniger zu klagen gehabt.

So wurde z. B. im Jahre 1802 ein Boot von der »Rose« überfallen und dessen Besatzung gefangen genommen. Zehn Jahre später kehrte der allein an's Land gegangene Kapitän der »Inacho« mit vielen Pfeilschußwunden von da zurück. Im Jahre 1817 endlich wurden alle Leute von der Schaluppe einer englischen Fregatte, welche ausgefahren waren, um Holz zu fassen, erschlagen und aufgezehrt. Ein zweites bewaffnetes Boot, das am nächsten Tage zur Aufsuchung [283] suchung der Ausgebliebenen abgesendet wurde, fand von diesen nur noch blutige Ueberbleibsel und von der gänzlich zerstörten Schaluppe einige umherliegende Trümmer.

Unter diesen Umständen konnten die Franzosen von Glück sagen, mit den wilden Cannibalen so erträglich ausgekommen zu sein, was sich gewiß geändert hätte, wenn die »Uranie« hier vor Anker liegen blieb.

Am 17. November ankerte dieselbe vor Dille. Nach Austausch der gewöhnlichen Höflichkeitsbezeigungen mit dem portugiesischen Gouverneur theilte Freycinet diesem mit, was er für sein Schiff bedürfe, und er erhielt umgehend eine Antwort des Statthalters, der ihm die schleunigste Herbeischaffung von Nahrungsmitteln zusicherte. Auch die gesammte Mannschaft wurde ebenso feierlich als herzlich aufgenommen, und als Freycinet Abschied nahm, sandte ihm der Gouverneur als Erinnerung zwei kleine Knaben und zwei Mädchen aus dem Königreiche Failacor im Innern von Timor.

»Diese Race ist in Europa unbekannt,« sagte Don Jose Pinto Alcofarado d'Azevedo e Souza, um sein Geschenk nicht etwa abgeschlagen zu sehen. Freycinet mochte dagegen die triftigsten Gründe anrufen, er mußte wohl oder übel einen der beiden kleinen Knaben behalten, welcher auf den Namen Joseph Antonio getauft wurde und in Paris, sechzehn Jahre alt, an einer skrophulösen Krankheit starb.

Die Bevölkerung von Timor erscheint auf den ersten Anblick vollkommen asiatisch; geht man aber näher darauf ein, so findet man in den centralen, minder besuchten Gebirgen eine Neger-Race mit krausen Haaren und sehr wilden Sitten, welche an die Urbewohner von Neu-Guinea und Neu-Irland erinnert und wahrscheinlich auch zuerst allein hier gehaust hat. Diese Methode eingehender Forschung, welche gegen Ende des 16. Jahrhunderts von dem Engländer Crawfurd inaugurirt wurde, hat in unseren Tagen durch die gelehrten Arbeiten der Doctoren Broca und E. Hamy eine recht fruchtbringende Entwickelung erfahren. Dem zweiten dieser Gelehrten verdankt man über jene Urbevölkerung sehr sorgfältige Studien, welche die»Natur« und das »Bulletin de la Société de Geographie« zur Belehrung und Unterhaltung ihrer Leser regelmäßig wiedergeben.

Von Timor aus begab sich die »Uranie« nach der Meerenge von Bourou, zwischen den Inseln Wetter und Roma, und bekam die pittoreske Insel Gasses in Sicht, die mit dem schönsten, dichtesten Grün, das man sich nur vorstellen [284] kann, bedeckt ist; dann wurde sie durch stärkere Strömungen nach der Insel Pisang geführt, in deren Nachbarschaft man drei von Einwohnern der Insel Guebe besetzten »Corocores« begegnete.

Diese haben dunklen Oliven-Teint, abgeplattete Nasen und wulstige Lippen; sie sind zum Theile stark und kräftig gebaut und von athletischem Aussehen; zum Theile zärtlich und schwächlich, oder auch untersetzt und von geradezu abstoßender Erscheinung. Die meisten tragen weiter nichts als ein mit einem Taschentuche am Gürtel befestigtes Beinkleid.

Es wurde auch ein Ausflug nach der kleinen Insel Pisang unternommen, welche vulcanischen Ursprunges ist, und deren trachitische Laven sich zu fruchtbarer Pflanzenerde zersetzen.

Nachher fuhr man zwischen bisher wenig bekannten Inseln weiter nach Rawak, wo die Corvette am 10. December zu Mittag vor Anker ging.

Die Insel Rawak ist klein, fast unbewohnt, und obwohl die Reisenden wiederholt Besuche von den Einwohnern von Waigion erhielten, fanden sie doch nur wenig Gelegenheit, über die betreffende Menschenrace nähere Kunde einzuziehen. Auch die Unkenntniß der Sprache der Eingebornen und die Schwierigkeit, sich mit Hilfe des Malayischen, von dem jene nur einzelne Worte begriffen, zu verständigen, machten jeden derartigen Versuch desto unfruchtbarer.

Sofort nach Auffindung eines geeigneten Platzes wurden die Instrumente aufgestellt und man begann, neben den nicht vernachlässigten geographischen Arbeiten, physikalische und astronomische Beobachtungen.

Rawak, Boni, Waigiou und Manouaroa, von Freycinet die Papua-Inseln genannt, liegen alle fast genau unter dem Aequator. Waigiou, die größte derselben, mißt im Durchmesser zweiundsiebzig Meilen. Das niedrige Land, welches dessen Ufergebiet bildet, ist sehr sumpfig; die Küste selbst steil, von Madreporen-Riffen umgeben und von vielen durch den Wogenschlag ausgehöhlten Grotten durchlöchert.

Die Vegetation auf diesen Inseln und Eilanden übertrifft jede Vorstellung. Hier grünen die herrlichsten Bäume, darunter die ungeheure »Barringtonia«, deren gewaltiger Stamm stets nach dem Meere zu geneigt steht, so daß die obersten Zweige sich in demselben baden; die Scoevola lobelia, neben Feigenbäumen, Wurzelträgern, Casuarinen mit geradem, schlankem Schafte, welche bis vierzig Fuß hoch aufsteigen, dem »Rima«, dem »Takamahaka,« dessen Stamm über zwanzig Fuß Umfang erreicht, dem Hundsschwamm aus der Familie der [285] Leguminosen, der mit rosenartigen Blüthen und goldigen Früchten besetzt erscheint; außerdem wuchern an niedrigen feuchten Plätzen noch Palmen, Muscat- und Jambobäume, sowie prächtige grüne Bananen.

Wenn die Flora also wirklich überraschend reich entwickelt ist, so steht ihr die Fauna dagegen bedeutend nach. Man trifft auf Rawak kaum andere Vierfüßler als Kletterbeutelthiere und wild gewordene Schäferhunde. Waigiou besaß indeß auch Hornschweine und eine Art Zwerg-Eber. Auch Federvieh gab es nicht so viel, als man erwartet hätte, da Körner erzeugende Pflanzen, welche jenes als Nahrung bevorzugt, unter dem dichten Schatten der Wälder nicht gut gedeihen mochten. Es fanden sich nur »Calaos« (dies sind Hornvögel), deren an den Enden mit großen einzeln stehenden Federn versehene Flügel beim Fliegen ein lautes Geräusch verursachen, Papageien, welche stark vertreten schienen, Taucherkönige, Turteltauben, Citronenvögel, wilde Sperber, Helmtauben und, obwohl die Reisenden keine zu Gesicht bekamen, vielleicht auch Paradiesvögel.

Die Menschen selbst, die Papuas, sind geradezu abschreckend häßlich.

»Die flache Stirn, sagt Odet-Pellion, der gedrückte Schädel, ein Gesichtswinkel von 75°, der große Mund, kleine tiefliegende Augen, hervorspringende Backenknochen, eine dicke, an der Spitze bis an die Oberlippe niedergedrückte Nase, dürftiger Bart – eine Eigenthümlichkeit, welche man bei allen Völkern dieser Gegend wiederfindet – mäßig breite Schultern, ein dicker Leib und verhältnißmäßig dünne Gliedmaßen, das sind die unterscheidenden Merkmale dieses Volkes. Ihr Haupthaar ist der Natur und der Form nach sehr verschieden; gewöhnlich bildet es eine unförmliche Perrücke aus welligem oder schlichtem Haar, das meist von Natur gekräuselt und oft gegen acht Zoll lang ist; es beschreibt, sorgsam gekämmt, künstlich noch mehr gekräuselt und nach allen Seiten aufgesträubt, mit Hilfe eines Fettes, welches dasselbe hält, eine förmliche Kugel rings um den Kopf. Sie stecken in diese Haarwulst, mehr zur Zierde als zur Erhöhung der Haltbarkeit, noch einen großen Kamm mit fünf bis sechs Zähnen.

Die unglücklichen Eingebornen leiden unter einer schrecklichen Geißel; der Aussatz herrscht unter ihnen so verbreitet, daß wohl der zehnte Theil der Bevölkerung davon befallen ist. Die Krankheit entsteht ohne Zweifel durch die Ungesundheit des Klimas, die deletären Ausdünstungen der Sümpfe, in welche das Meerwasser mit der Fluth eintritt, durch die Feuchtigkeit der dichten Wälder und die Nachbarschaft der schlecht in Stand gehaltenen Gräber, vielleicht auch durch den unmäßigen Genuß von Muscheln, welche die Eingebornen gierig [286] verschlingen. Alle Wohnungen sind, nahe dem Ufer, auf dem Lande oder auf dem Meere selbst, auf Pfählen errichtet. Diese meist an schwer zugänglichen Stellen erbauten Häuser bestehen aus vielen, in den Boden eingetriebenen Stämmen, an denen mittelst Baststricken andere Querhölzer befestigt sind, welche den Fußboden tragen. Zugeschnittene und mit einander verbundene Palmenblätter bilden das Dach der Wohnung, die nur eine Eingangsthür hat. Wenn diese Hütten im Wasser errichtet sind, so stehen sie mit dem Lande durch eine Art Bockbrücke in Verbindung, deren Laufbahn rasch aufgezogen werden kann. Um jedes Haus zieht sich ein mit Geländer versehener Balkon hin.

Ueber das gesellschaftliche Leben der Eingebornen konnten die Reisenden leider nichts erfahren. Ob sie in großen Gemeinden etwa unter der Autorität eines oder mehrerer Häuptlinge lebten, ob jedes Dorf seinen eigenen Häuptling hatte, ob die Bevölkerung zahlreich war oder nicht, darüber war keine Aufklärung zu erlangen. Die Eingebornen nennen sich selbst Alfourous. Sie scheinen mehrere eigenthümliche Idiome zu haben, die von der Sprache der Papuas wie der Malayen erheblich abweichen.

Die Bewohner dieser Inselgruppen scheinen sehr erfinderisch zu sein; sie verfertigen recht sinnreiche Fischereigeräthe, verstehen sich auf die Bearbeitung des Holzes, auf die Zubereitung des Markes aus dem Sagobaume, ferner drehen sie Töpfe und bauen Oefen zur Sagobereitung; sie weben Matten und Teppiche, flechten Körbe und modelliren sogar Statuen und Götzenbilder. Quoy und Gaimard haben z. B. an der Küste von Waigiou, im Hafen von Boni ein Standbild aus weißem Thon gefunden, das unter einem Schutzdache in der Nähe eines Grabes errichtet war. Dasselbe stellte einen aufrechtstehenden Mann mit zum Himmel erhobenen Händen dar; der Kopf war aus Holz geschnitzt, Wangen und Augen aus eingelegten Muscheln hergestellt.

Nachdem die »Uranie« Rawak angelaufen, bekam sie am 6. Januar 1819 die niedrigen, von Riffen umgebenen Ayou-Inseln in Sicht, welche noch wenig bekannt waren und deren Geographie viel zu wünschen übrig ließ. Die beabsichtigte Vornahme hydrographischer Untersuchungen wurde vielfach durch Fieberanfälle, welche über vierzig Personen betrafen, unterbrochen.

Am 12. Februar kam das Schiff an den Inseln der Anachoreten und am nächsten Tage bei den Admiralitäts-Inseln vorüber, ohne daselbst jedoch vor Anker zu gehen. Bald darauf erschien die Corvette vor San Bartholomé, das die Eingebornen selbst Pulusuk nennen und welches zum Archipel der Carolinen [287] gehört. Schnell entwickelte sich ein lebhafter, ziemlich geräuschvoller Tauschhandel mit den Eingebornen, ohne daß diese sich bewegen ließen, das Schiff selbst zu betreten.

Es ging bei dem Handel mit wahrhaft rührender Ehrlichkeit zu und von Uebervortheilung war auf keiner Seite die Rede. Poulouhat, Alet, Tamatam, Allap, Fanadic und viele andere Inseln dieses Archipels zogen nach und nach vor den entzückten Augen der Franzosen vorüber.

Am 17. März 1819, das heißt achtzehn Monate nach seiner Abfahrt von Frankreich, gelangte Freycinet endlich nach den Mariannen und ging an der Küste von Guaham auf der Rhede von Umata vor Anker.

Als die Franzosen eben im Begriffe waren, an's Land zu gehen, erhielten sie den Besuch des Gouverneur Medinilla y Pineda und des Major Louis de Torres, des zweithöchsten Beamten der Kolonie. Diese Officiere unterrichteten sich sorgfältig über alle Bedürfnisse der Seefahrer und sicherten ihnen die Befriedigung derselben in kürzester Zeit freundlich zu.

Freycinet beeilte sich, einen geeigneten Platz zur Errichtung eines provisorischen Hospitals aufzufinden, und sandte schon am nächsten Tage seine Kranken, zwanzig an Zahl, dahin ab.

Das ganze Officiercorps erhielt eine Einladung zum Diner bei dem Gouverneur. Man begab sich zur bestimmten Stunde dahin, fand aber nur einen mit leichtem Backwerk und Früchten besetzten Tisch vor, in dessen Mitte zwei Punschbowlen dampften, was die Gäste natürlich nicht wenig wundernahm. Man fragte sich unter der Hand, ob etwa Fasttag sei, und warum man sich nicht setzen könne; da aber Niemand im Stande war, hierüber, ohne indiscrete Fragen zu stellen, zu antworten, so unterließ man alle weiteren Bemerkungen und that der Mahlzeit alle Ehre an.

Da kam eine zweite Ueberraschung. Die Tafel wurde abgetragen und mit verschieden zugerichteten Fleischspeisen besetzt, mit einem Wort zu einem reichlichen Diner hergerichtet. Den Imbiß, den man vorher eingenommen und der hier zu Lande »Refres co« genannt wird, war nur dazu bestimmt gewesen, den Appetit der Gäste zu erregen.

Jener Zeit erschien der Tafelluxus auf Guaham geradezu zu grassiren. Zwei Tage später nämlich nahmen die Officiere wiederum an einem Schmause unter fünfzig Gästen Theil, bei dem zu jedem Gericht, und deren gab es drei, nicht weniger als vierundvierzig Schüsseln mit verschiedenen Fleischspeisen aufgetragen wurden.«

[288] »Derselbe Theilnehmer, erzählt Freycinet, berichtet, daß diese Mahlzeit zwei Ochsen und drei tüchtigen Schweinen das Leben gekostet, ohne das Wildpret, Geflügel und die Fische zu zählen. Nur selten, glaube ich, hatte man eine ähnliche Schlächterei zu solchem Zwecke gesehen. Unser Gastgeber nahm ohne Zweifel an, daß Leute, welche lange Zeit die Entbehrungen einer weiten Seereise erlitten hatten, nun überreichlich bewirthet werden müßten. Der Nachtisch stand an Ueberfluß und Abwechslung der eigentlichen Mahlzeit nicht im Geringsten nach, und auch auf diesen folgten noch Kaffee, Thee, Crêmes, verschiedene Liqueure u. s. w.

[289] Da nun das »Refresco« nach landesüblicher Sitte ebenfalls nur eine Stunde vorher verzehrt worden war, so wird man sehr leicht einsehen, daß selbst der unerschrockenste Gastronom hier über nichts Anderes als höchstens über die – Unzulänglichkeit seines Magens zu klagen gehabt hätte.«


Die Flora ist wirklich überraschend reich decorirt (S. 286.)

Diese Schmausereien und Feste ließen das eigentliche Ziel der Mission aber nicht aus den Augen verlieren. Man unternahm fleißig Ausflüge in naturgeschichtlichem Interesse und beobachtete die Magnetnadel, während Duperrey sich mit der Aufnahme des Uferlandes von Guaham beschäftigte.

Die Corvette war inzwischen im Hafen von San Louis vor Anker gegangen, und das Officiercorps, sowie die Kranken, hatten in Agagna, der Hauptstadt der Insel und dem Sitze der Regierung, Unterkommen gefunden. Hier veranstaltete man zu Ehren der Fremdlinge Hahnenkämpfe, ein Schauspiel, das in allen spanischen Besitzungen in Oceanien allgemein beliebt ist, und führte Tänze auf, welche, wie man sagte, Ereignisse aus der Geschichte Mexikos darstellten. Die Tänzer, lauter Schüler des Collegium von Agagna, trugen reiche Seidencostüme, die erst unlängst von Jesuiten aus Neu-Spanien mitgebracht worden waren. Darauf folgten Uebungen mit Stöcken, ausgeführt von Carolinern, und andere Schaustellungen fast ohne Unterbrechung. Den meisten Werth legte Freycinet aber auf die Nachrichten über Sitten und Gebräuche der alten Bewohner des Landes, die er von dem Major Luis de Torres erhielt. Letzterer hatte sich, als Landes-Eingeborner, gerade mit diesen Fragen sehr eingehend beschäftigt.

Wir werden nicht verfehlen, diese interessanten Aufschlüsse auszugsweise mitzutheilen, müssen aber zuerst von einem Ausfluge nach den Inseln Rota und Tinian berichten, deren zweite uns schon von den Schilderungen früherer Reisender her bekannt ist.

Auf einem kleinen, aus acht »Proas« (Malayenboo ten)bestehenden Geschwader brachte man die Herren Bérard, Gaudichaud und Jacques Arago nach Rota, wo ihr Erscheinen überall Verwunderung und Schrecken erregte. Es hatte sich nämlich das Gerücht verbreitet, daß die Corvette von Aufständischen aus Amerika besetzt sei.

Von Rota aus fuhren die Proas nach Tinian, dessen unfruchtbare, öde Ebenen die Reisenden an die Gestade des Endrachtslandes erinnerten. Hier muß sich demnach seit der Zeit, da Lord Anson die Insel als ein irdisches Paradies schilderte, Vieles geändert haben.

[290] Von Magellan am 6. März 1521 entdeckt, erhielt der Archipel der Mariannen zuerst den Namen Islas de las Velas latinas (Inseln der lateinischen Segel), und wurde später los Ladrones (Diebes-Inseln) benannt.

Nach Pigafetta soll der berühmte Admiral davon nur Tinian, Saypan und Agoiguan gesehen haben. Fünf Jahre später besuchte der Spanier Loyasa die Inseln wieder und fand hier, anders als Magellan, einen sehr freundlichen Empfang; im Jahre 1565 wurden sie darauf von Miguel Lopez de Legaspi als spanische Besitzungen erklärt. Erst 1669 begann jedoch der Pater Sanvitores dieselben zu kolonisiren und mit dem Christenthum bekannt zu machen. Wir übergehen Freycinet's Schilderungen der Ereignisse, welche mit der Geschichte dieses Archipels zusammenhängen, als unzuverlässig, obwohl er Manuscripte und Werke aller Art zur Hand hatte, die es ihm ermöglichen mußten, gerade hierüber weitere Aufschlüsse zu geben und der Wissenschaft recht erwünschte Dienste zu leisten.

Da die Reisenden die wahrhaft unglaubliche Fruchtbarkeit der Papua-Inseln und der Molukken noch in frischem Gedächtniß hatten, machte der Reichthum mancher Inseln der Mariannen auf sie einen weniger tiefen Eindruck. Die Wälder von Guaham bieten, trotz ihrer Ueppigkeit, doch nicht den gigantischen Anblick der Urwälder in den Tropen; sie bedecken den größten Theil der Insel, während man da und dort auch ungeheuere Weideplätze findet, auf denen weder ein Brotfruchtbaum, noch eine Cocospalme zu sehen ist.

Im Innern der Wälder wurden von den Eroberern künstliche Rasenplätze geschaffen, um für das Hornvieh, das sie in großer Menge eingeführt hatten, Futter zu gewinnen.

Agoignan, eine Insel mit Felsgestade, erscheint aus der Ferne dürr und unfruchtbar, obschon dieselbe in Wirklichkeit mit dichtem Gehölz bedeckt ist, das auch auf die höchsten Gipfel hinaufsteigt.

Rota freilich bildet ganz und gar ein undurchdringliches Gebüsch, aus dem überall Brotfruchtbäume, Tamarinden, Feigenbäume und Cocospalmen hervor ragen.

Tinian endlich bietet einen keineswegs verlockenden Anblick. Obwohl die Franzosen nirgends Landschaften trafen, wie sie von früheren Reisenden so prächtig geschildert wurden, so kamen sie doch, im Hinblick auf den Erdboden und die große Menge abgestorbener Bäume, zu der Ueberzeugung, daß die alten Schilderungen nicht als gänzlich aus der Luft gegriffen anzusehen seien, [291] umsomehr, als der südöstliche Theil der Insel durch dichte Wälder jetzt so gut wie unzugänglich geworden war.

Die Bevölkerung erschien zur Zeit Freycinet's sehr gemischt und die Zahl der Eingebornen betrug wohl kaum die Hälfte derselben.

Die vornehmeren Classen der Bewohner der Mariannen übertrafen ehedem die Europäer durchgängig an Größe und Stärke; jetzt war die Race degenerirt, und nur auf Rota bekam man sie noch in unverfälschter Reinheit zu Gesicht.

Als unermüdliche Schwimmer, geschickte Taucher und tüchtige Fußgänger mußten die Bewohner der Mariannen bei Gelegenheit ihrer Verheiratung ihre Gewandtheit in allen diesen Körperübungen durch Proben bethätigen. Auch jetzt findet man diese Eigenschaften deutlich ausgebildet, obwohl der allgemeine Volkscharakter den Stempel der Trägheit oder wenigstens der Gleichgiltigkeit trägt.

Ehen werden im Allgemeinen sehr frühzeitig geschlossen; die Männer zählen dabei fünfzehn bis achtzehn Jahre, die Mädchen nur zwölf bis fünfzehn; gewöhnlich sind dieselben sehr fruchtbar, und man erzählt Beispiele von Familien mit zweiundzwanzig von derselben Mutter gebornen Kindern.

Wenn man in Guaham verschiedenen, von den Europäern eingeschleppten Krankheiten begegnet, wie der Lungenschwindsucht, den Blattern und anderen, so scheinen wieder andere doch hier heimisch gewesen zu sein, oder haben sich mindestens ganz eigenthümlich und abnorm umgestaltet. Zu den letzteren gehört die Elephantiasis und der Aussatz, von denen auf Guaham drei, ihren Symptomen und Folgezuständen nach verschiedene Formen vorkommen.

Vor der Besitznahme der Insel lebte das Volk hier von Fischen, den Früchten des Brotfruchtbaumes, von Reis, Sago und anderen stärkmehlhaltigen Pflanzen. War ihre Nahrung eine sehr einfache, so gilt ganz dasselbe noch mehr von der Kleidung. Sie gingen eben gänzlich nackt – ohne ein Wein- oder Feigenblatt. Auch heute noch laufen die Kinder bis zum zehnten Lebensjahre völlig nackt herum.

Ein Reisender aus dem 18. Jahrhundert, der Schiffskapitän Pages, erzählt z. B., daß er zufällig in die Nähe eines Hauses gekommen sei, »vor dem eine Indianerin von zehn bis elf Jahren sich behaglich sonnte. Sie kauerte ganz nackt am Boden und hatte das Hemd neben sich liegen. Als sie meiner ansichtig wurde, fährt der Reisende fort, stand sie sofort auf und nahm dasselbe um. Obwohl sie jetzt keineswegs decent aussah, hielt sie selbst sich doch für genügend[292] bekleidet, da sie mit jenem primitiven Kleidungsstücke ja – die Schultern bedeckt hatte; nun incommodirte es sie nicht im geringsten, mir gegenüberzutreten.«

Die Bevölkerung muß früher bedeutender gewesen sein, wofür noch die Ruinen zeugen, die man fast überall findet, Trümmer von Wohnstätten, welche von aufgemauerten Pfeilern getragen wurden. Der erste Reisende, der das erwähnt, war Lord Anson. Von ihm rührt auch eine etwas phantastische Abbildung einer solchen Wohnung her, welche die Gelehrten von der »Uranie« indeß, wie der nachfolgende Passus beweist, wenigstens erkannt haben müssen.

»Die Beschreibung, welche man in Anson's Reisebericht findet, ist zutreffend; die Ruinen aber und die auf verschiedene Weise mit dem Mauerwerk halbverwachsenen Bammzweige verleihen allen Bauwerken ein anderes Aussehen als damals; die Kanten der Pfeiler sind allmählich stumpf geworden und die sie bekrönenden Halbkugeln haben ihre Rundung eingebüßt.«

Von den neuen Wohnungen besteht nur ein Sechstel aus Stein, doch findet man in Agagna Bauwerke, von denen einige wegen ihres Umfanges, andere auch wegen der Eleganz, Majestät und Feinheit ihrer Verhältnisse hoch interessant sind; hierzu gehören das Colleg St. Jean de Latran, die Kirche, das Presbyterium, der Palast des Gouverneurs und die Kaserne.

Vor der Unterwerfung unter spanische Gewalt zerfielen die Bewohner der Mariannen in drei Classen: die Vornehmen, die Halb-Vornehmen und die Plebejer. Die Letzteren, die Parias des Landes, sagt Freycinet ohne Angabe der Quelle, auf welche er sich stützt, standen auch der Körpergröße nach gegen die anderen Classen zurück. Wir wagen nicht zu entscheiden, ob diese Thatsache durch einen Racen-Unterschied zu erklären, oder ob sie nur die Folge der Jahrhunderte langen Unterdrückungen dieser Kaste ist.

Den Plebejern war der Eintritt in eine höhere Kaste unmöglich gemacht und die Schifffahrt unbedingt verboten. Noch damals fand man unter jeder dieser Kasten Zauberinnen, Priesterinnen oder »Heilerinnen«, welche sich stets nur mit der Behandlung je einer Krankheit beschäftigten – womit noch keine Garantie gegeben ist, daß sie dieselbe besser kannten.

Der Bau von Piroguen stand nur den Vornehmen zu; sie gestatteten höchstens den Halb-Vornehmen, sie bei der Arbeit zu unterstützen, welche für sie von großer Wichtigkeit und eines ihrer theuersten Privilegien war. Was die Sprache betrifft, so ähnelt sie zwar dem Malayischen oder Tagalischen, das auf den Philippinen üblich ist, besitzt aber doch ihren eigenen Charakter. Freycinet's [293] Bericht enthält auch noch eine Menge Angaben über die eigenthümlichen Gebräuche der früheren Bewohner der Mariannen, es würde aber zu weit führen, die betreffenden Abschnitte hier wiederzugeben, so viel des Interessanten sie auch für den Philosophen und den Geschichtsschreiber bieten.

Zwei Monate schon lag die »Uranie« still im Hafen; es wurde Zeit, die Fahrt und die weiteren Forschungen wieder aufzunehmen. Freycinet und seine Officiere benützten also die letzten Tage zu verschiedenen Besuchen, um für den ihnen bereiteten, überaus herzlichen Empfang gebührend zu danken.

Der Gouverneur wollte aber nicht nur keinen Dank für die Aufmerksamkeiten annehmen, mit denen er die Franzosen seit zwei Monaten geradezu überhäuft hatte, sondern schlug auch jede Bezahlung für Alles, was zur Wiederausrüstung der Corvette geliefert worden war, von vornherein aus. Er entschuldigte sich sogar in einem höchst liebenswürdigen Briefe, daß es ihm nicht möglich gewesen sei, ihnen mehr zu liefern, da wegen der seit sechs Monaten herrschenden Dürre auf Guaham jetzt an Verschiedenem Mangel sei.

Vor der Stadt Agagna wurde Abschied genommen.

»Nicht ohne herzliche Rührung, sagt Freycinet, schieden wir von dem liebenswürdigen Manne, der uns sein Wohlwollen auf jede erdenkliche Art erwiesen hatte. Ich war zu bewegt, um den Gefühlen, die meine Seele erfüllten, Ausdruck zu verleihen; die Thränen aber, die sich mir aus den Augen drängten, werden ihm überzeugender als Worte meine Erregung und Betrübniß bewiesen haben.«

Vom 5. bis 16. Juni setzte die »Uranie« die Untersuchung des nördlichen Theiles der Mariannen fort und widmete sich den schon oben erwähnten Beobachtungen.

Um die Fahrt nach den Sandwichs-Inseln zu beschleunigen, benutzte der Kapitän eine eben aufspringende Brise, die ihn nach höheren Breiten führte, wo er günstigere Winde aufsuchen konnte. Je weiter die Seefahrer in diesem Theile des Pacifischen Oceans vordrangen, desto dichtere und kältere Nebel herrichten daselbst, welche die Fahrzeuge mit einer ebenso unangenehmen, als der Gesundheit schädlichen Feuchtigkeit erfüllten. Außer einem tüchtigen Schnupfen kam die Mannschaft jedoch ohne weitere gefährliche Erkrankungen davon. Nachdem sie so lange Zeit der glühenden Tropenhitze ausgesetzt gewesen war, gewährte ihr diese Witterung sogar eine gewisse Erleichterung. Am 6. August wurde die Südspitze von Hawaï umschifft, um nach der Westküste zu gelangen, wo Freycinet [294] einen bequemen und sicheren Ankerplatz zu finden hoffte. Die an diesem und dem folgenden Tage herrschende vollständige Windstille benutzte man, um sich mit den Einwohnern in Verbindung zu setzen, deren in großer Anzahl herbeigeströmte Frauen sofort das Schiff besteigen wollten, um ihren gewohnten Handel zu beginnen; der Commandant verbot ihnen aber, das Deck zu betreten.

Einer der »Arii« beeilte sich, dem Kapitän als Neuigkeit mitzutheilen, daß der König Kamehameha gestorben und dessen junger Sohn Riorio die Regierung angetreten habe.

Als sich wieder einiger Wind erhob, segelte die »Uranie« nach der Bai von Karakakua weiter, und Freycinet wollte eben einen Officier zur Sondirung des Ankerplatzes absenden, als eine Pirogue vom Ufer stieß, welche den Gouverneur der Insel an Bord brachte. Fürst Kouakini, mit dem Beinamen John Adams (so hieß derselbe), versicherte dem Kapitän, daß er Alles finden werde, um sein Schiff nach Bedarf zu verproviantiren.

Dieser junge Mann von etwa neunundzwanzig Jahren und von riesigem, aber proportionirtem Körperbau überraschte den Kapitän durch seine ausgebreiteten Kenntnisse. Als er gehört, daß die»Uranie« auf einer Entdeckungsreise begriffen sei, fragte er:

»Habt Ihr das Cap Horn umschifft oder seid Ihr um das Cap der Guten Hoffnung gekommen?«

Dann erkundigte er sich nach Napoleon und ob es wahr sei, daß die Insel St. Helena mit der ganzen Bevölkerung untergegangen sei. Es war das jedenfalls ein Scherz eines lustigen Walfischfahrers gewesen, den jener schon nur halb geglaubt hatte.

Kouakini theilte Freycinet ferner mit, daß, wenn nach Kamehameha's Tode auch der Friede nicht eigentlich zerstört worden wäre, doch die Einheit der Monarchie durch einige Häuptlinge, welche nach Unabhängigkeit strebten, etwas bedroht gewesen sei. In den Regierungskreisen herrschte in Folge dessen noch eine gewisse Unsicherheit, doch hoffte man, dieselbe bald verschwinden zu sehen, vorzüglich wenn der Commandant sich herbeiließe, eine Freundschaftserklärung zu Gunsten des jungen Fürsten abzugeben.

Freycinet ging mit dem Fürsten an's Land, um ihm einen Besuch abzustatten, und kam in dessen Wohnung, wo seine Gattin, eine große, wohlbeleibte Frau, auf einem mit Matten bedeckten europäischen Bettgestell lag. Hierauf wollten Beide die Schwestern Kouakini's, Kamehameha's Witwen, aufsuchen, [295] trafen diese aber nicht an und begaben sich nun nach den Werften und Werkstätten des verstorbenen Königs.

Hier waren vier Schuppen, bestimmt zum Bau von Kriegspiroguen; unter anderen standen europäische Boote; ferner lag daselbst Schiffsbauholz aufgespeichert neben Kupferzainen und einer Menge Netzen; außerdem fanden sich eine Schmiede-, eine Faßbinderwerkstätte, und in den, dem ersten Minister Kraïmokou gehörigen Räumen vielfache Instrumente, wie Compasse, Sextanten, Barometer, Uhren und sogar ein Seechronometer.

Man verwehrte den Fremden den Eintritt in zwei andere Magazine, in denen Pulver, Munition, starke Branntweine, Eisen und Stoffe verschiedener Art aufbewahrt wurden.

Uebrigens lagen diese Etablissements jetzt ziemlich öde, da der neue König seinen Sitz in der Bai von Koaïhaï aufgeschlagen hatte.

Freycinet segelte auf dessen Einladung dorthin und wurde von einem Lootsen geführt, der sich sehr aufmerksam erwies und den Eintritt von Witterungswechseln ziemlich sicher vorherzubestimmen wußte.

»Der Monarch, berichtet der Commandant, erwartete uns am Strande in der Parade-Uniform eines englischen Schiffskapitäns und umgeben von seinem ganzen Hofe. Trotz der entsetzlichen Dürre und Unfruchtbarkeit dieses Theiles der Insel bot die wunderliche Versammlung von Männern und Frauen ein wirklich großartiges und pittoreskes Bild. Der König stand vorn allein, seine ersten Officiere in einiger Entfernung hinter ihm; die Einen trugen prächtige Mäntel aus rothen und gelben Federn oder aus scharlachfarbenem Tuche, Andere einfache Kragen von denselben Stoffen, in denen zwischen den beiden, grell von ein ander abstechenden Farben schwarze Streifen sichtbar waren; Einige derselben trugen eine Art Helme.


Alte Pfeiler-Ruinen zu Tinian. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Eine ziemlich große Anzahl an verschiedenen Stellen aufmarschirter Soldaten verliehen dem Bilde durch ihr buntes, aber keineswegs gleichmäßiges Costüm große Abwechslung und einen eigenthümlichen Reiz.«

Es war derselbe Fürst, der später mit seiner jungen, hübschen Frau nach England kam, wo Beide starben, und von wo deren sterbliche Ueberreste vom Kapitän Byron auf der Fregatte »la Blonde« nach Hawaï überführt wurden.

Freycinet erneuerte sein Gesuch um Proviant, und der König versicherte ihm, daß nicht zwei Tage vergehen sollten, bis alle seine Wünsche erfüllt wären. Wenn an dem guten Willen des jungen Fürsten gewiß nicht zu zweifeln war, so mußte der Befehlshaber leider die Erfahrung machen, daß die obersten Beamten sich nicht im mindesten beeilten, ihm zu gehorchen.

[296] Bald nachher statteten die Officiere den Witwen Kamehameha's einen Besuch ab. Quoy entwirft von dem ergötzlichen Empfange folgendes pikante Bild.

»Es war, sagt er, ein wirklich fremdartiges Schauspiel, in einem beschränkten Gemach acht oder zehn Massen halbnackten menschlichen Fleisches zu sehen, von denen die kleinste wenigstens dreihundert Pfund wog, und die auf dem Erdboden auf dem Bauche lagen. Nur mit Mühe fanden wir ein Plätzchen, wo [297] wir uns in derselben Weise hinstreckten, um nicht gegen die übliche Sitte zu verstoßen. Mehrere Diener waren fortwährend beschäftigt, entweder mit einem Federwedel Kühlung zuzufächeln oder eine angezündete Pfeife herumzureichen, welche von Mund zu Mund ging und aus der Jeder einige Züge that; andere Diener massirten die Fürstinnen... Es ist leicht erklärlich, daß unsere Unterhaltung nicht eine gar zu lebhafte wurde, doch halfen uns wenigstens ausgezeichnete Wassermelonen, welche man Allen angeboten, die Langweile zu verheimlichen.«

Freycinet besuchte später auch den bekannten John Young, der so lange Zeit der treue Freund und weise Rathgeber des Königs Kamehameha gewesen war. Obwohl jetzt alt und kränklich, machte er Freycinet doch vielfache schätzenswerthe Mittheilungen über diesen Archipel, in dem er seit dreißig Jahren lebte und mit dessen Geschichte sein Name eng verknüpft war.

Der Minister Kraïmokou hatte bei einem Besuche der »Uranie« auch den Schiffsgeistlichen, Abbé de Quelen, gesehen, dessen Tracht ihm offenbar auffiel. Als er hörte, daß das ein Priester sei, äußerte er gegen den Commandanten den Wunsch, getauft zu werden. Seine Mutter, sagte er, habe noch auf dem Sterbebette das Sacrament empfangen und ihm das Versprechen abgenommen, sich, sobald er Gelegenheit fände, derselben Ceremonie zu unterwerfen.

Freycinet gab seine Zustimmung und traf Veranstaltung, dem Acte eine gewisse Feierlichkeit zu verleihen, vorzüglich, weil Riorio demselben mit seinem ganzen Hofstaate beiwohnen wollte.

Während der Ceremonie beobachteten Alle wirklich eine ehrfurchtsvolle Haltung; gleich nach Beendigung derselben stürzte sich der ganze Hof aber auf den Imbiß, den der Commandant hatte auftischen lassen.

Es war wirklich erstaunlich, die Wein-, Rum- und Branntweinflaschen sich leeren und die Speisen aller Art, welche aufgetragen waren, verschwinden zu sehen. Zum Glück kam die Nacht bald heran, sonst hätten Riorio und die meisten seiner Höflinge und Officiere wohl kaum wieder an's Land geschafft werden können. Zuletzt mußte man ihm noch zwei Flaschen Branntwein mitgeben, um, sagte er, auf die Gesundheit des Commandanten und auf dessen glückliche Weiterreise zu trinken. Seine Begleiter hielten sich für verpflichtet, dasselbe Verlangen zu stellen.

»Es ist nicht zuviel gesagt, erzählt Freycinet, daß diese königliche Gesellschaft binnen zwei Stunden so viel trank, aufzehrte und mitnahm, als hingereicht hätte, zehn Personen drei Monate lang zu beköstigen.«

[298] Zwischen dem Königspaare und dem Commandanten wurden verschiedene Geschenke gewechselt. Unter den von der jungen Königin dargebotenen Gaben befand sich auch ein Federmantel, ein auf den Sandwichs-Inseln damals schon recht seltenes Kleidungsstück.

Freycinet lichtete sofort die Anker, als er vernahm, daß bei der Insel Mowi ein Handelsschiff mit großen Vorräthen von Schiffszwieback und Reis liege, aus dem er seinen Bedarf leicht decken zu können hoffte. Er beschloß also, vor Raheina anzulegen, an welchem Orte Kraïmokou übrigens die zur Verproviantirung des Fahrzeuges erforderlichen Schweine abliefern sollte. Der Minister erwies sich bei diesem Geschäfte aber so wenig zuvorkommend, forderte so hohe Preise und lieferte so magere Schweine, daß man selbst zu Drohungen schreiten mußte, um ihn anderen Sinnes zu machen. Kraïmokou war hier offenbar durch einen Engländer, einen aus Port Jackson entwichenen Sträfling, beeinflußt; sich selbst überlassen, würde er gewiß anders gehandelt und sich gegen die Fremden mit gewohnter Freundlichkeit benommen haben.

An der Insel Waihou lag Freycinet bei Honolulu vor Anker. Der herzliche Empfang, den er hier von Seiten einiger daselbst wohnenden Europäer fand, ließ ihn nur bedauern, daß er sich nicht gleich zuerst hierher gewandt hatte, wo er Alles fand und bequem erlangen konnte, während er auf den beiden anderen Inseln trotz guten Willens doch manchen Schwierigkeiten begegnete.

Der Gouverneur dieser Insel, Boki, ließ sich ebenfalls durch den Schiffsgeistlichen taufen, wozu ihn freilich nur der Umstand veranlaßte, daß sein Bruder dasselbe gethan hatte. An intelligentem Aussehen stand er den Sandwichern von den anderen Inseln bedeutend nach.

Einige Bemerkungen über die Eingebornen sind interessant genug, um hier auszugsweise wiedergegeben zu werden.

Alle Reisenden stimmen überein, daß die Fürsten und Häuptlinge eine den anderen Bewohnern an Körpergröße und Intelligenz überlegene Race bilden. Fettsucht findet man bei ihnen sehr häufig, vorzüglich aber bei den Frauen, welche sogar schon in sehr jungen Jahren oft einen wirklich monströsen Embonpoint zeigen.

Der allgemeine Typus ist nicht unangenehm und die Frauen sind manchmal wirklich hübsch zu nennen. Die Lebensdauer ist kurz, und nur selten sieht man einen Greis von siebzig Jahren. Der schnelle Verfall der Körperkraft und das vorzeitige Ende dürften wohl der allgemein herrschenden Ausschweifung zuzuschreiben sein.

[299] Nachdem er den Sandwichs-Archipel verlassen, studirte Freycinet in diesem Theile des Oceans die starken Abweichungen des magnetischen Aequators unter niedrigen Breiten. Er segelte dabei nach Osten zu weiter.

Am 7. October gelangte die »Uranie« auf die südliche Halbkugel und befand sich am 19. desselben Monats in Sicht der Gefährlichen Inseln. Oestlich vom Archipel der Schiffer-Inseln wurde ein auf den Karten noch nicht verzeichnetes Eiland entdeckt, das nach dem Namen der Gattin Freycinet's Insel Rosa getauft wurde. Das blieb indeß die einzige neue Entdeckung während der Fahrt.

Die Lage der Inseln Pylstaart und Howe wurde berichtigt, und am 13. November endlich bekam man die Hafenlichter von Port Jackson oder Sidney zu Gesichte.

Freycinet erwartete wohl, die Stadt, welche er seit sechzehn Jahren nicht gesehen, gewachsen zu finden, erstaunte aber gewaltig über den Anblick einer völlig europäischen Großstadt, die hier in ihrer fast wilden Umgebung wunderbar gedieh. Verschiedene Ausflüge in die Umgebungen belehrten die Franzosen über die schnellen Fortschritte der Kolonie. Schöne, sorgfältig unterhaltene Straßen, besetzt mit Eukalypten, welche Péron als die »Riesen der australischen Forste« bezeichnet, gut gebaute Brücken, Wegsteine, welche die Entfernung angaben, Alles wies auf eine gut organisirte Straßenpolizei hin. Hübsche Landhäuser, zahlreiche Büffelheerden, sehr gut bearbeitete Felder legten für den Fleiß und die Ausdauer der Ansiedler ein rühmliches Zeugniß ab.

Der Gouverneur Macquarie und die ersten Behörden des Landes wetteiferten in Zuvorkommenheit gegen die Officiere, welche manche Einladung ablehnen mußten, um ihre Arbeiten nicht zu sehr zu vernachlässigen. So brachte man sie in Begleitung von Militärmusik zur See nach Paramatta, dem Wohnsitze des Gouverneurs. Mehrere Officiere besuchten die in freundlicher Gegend am Ufer des George-Flusses gelegene kleine Stadt Liverpool, sowie die Flecken Windsor und Richmond, die sich in der Nähe des Hawkesbury-Flusses erhoben. Inzwischen wohnte ein Theil des Stabes einer Känguruhjagd bei und gelangte unter Ueberschreitung der Blauen Berge bis nach der Niederlassung Bathurst.

Den freundlichen Beziehungen, welche sich bei seinem zweimaligen Aufenthalte entwickelt und befestigt hatten, verdankte Freycinet eine Menge interessanter Nachrichten über die australische Kolonie. Auch das Capitel, in dem er Neu-Süd-Galles bespricht und die wunderbaren und raschen Fortschritte der [300] Kolonie schildert, erregte in Frankreich ein lebhaftes Interesse, da man hier die Entwicklung und den zunehmenden Wohlstand Australiens nur sehr unvollkommen kannte. Seinen Aufzeichnungen kommt jetzt ein desto höherer Werth zu, weil sie ein verläßliches Bild der Kolonie aus dem Jahre 1825 geben.

Die unter dem Namen: die australischen Alpen bekannte Gebirgskette trennt Neu-Süd-Galles in einiger Entfernung von der Küste von dem Innern des australischen Festlandes. Fünfundzwanzig Jahre hindurch bildete dieselbe ein ernsthaftes Hinderniß des Verkehrs mit dem Binnenlande, das unter Macquarie's Verwaltung beseitigt wurde. Jetzt war eine, in vielfachen Windungen durch die Felsen verlaufende Straße angelegt, welche den Zugang zu ungeheueren, von mächtigen Wasserläufen durchzogenen Ebenen bildete.

Die höchsten, auch mitten im Sommer mit Schnee bedeckten Gipfel dieser Bergkette erreichen wohl dreitausend Meter Höhe.

Bei der Messung der bedeutendsten Pics, wie des Exmouth, Cunningham und anderer, überzeugte man sich auch, daß Australien, das nur Einen großen Wasserlauf, den Schwanenfluß, haben sollte, deren weit mehr besaß; in erster Linie ist hier der aus der Vereinigung der Nepean und der Grose entstehende Hawkesbury-Fluß und der Brisbane zu nennen, da der Murray damals noch nicht bekannt war.

Zu jener Zeit hatte man schon mit der Ausbeutung vieler Kohlen- und Schieferlager, einiger Eisengruben, und mit dem Abbau von Kalk- und Sandstein, Porphyr und Jaspis begonnen; dagegen kannte noch Niemand den Reichthum des Bodens an Gold, der die Verhältnisse der jungen Kolonie später so schnell umgestalten sollte.

Der Erdboden erscheint an der Küste unfruchtbar und ernährt hier nur wenig magere Büsche. Beim weiteren Vordringen in das Innere findet man dagegen reiche Feldmarken, ungeheuere Weideplätze oder Wälder mit gigantischen Bäumen, welche, durch ein Gewirr von Lianen verbunden, ganz unwegsame Dickichte bilden.

Eine bemerkenswerthe Erscheinung ist auch die Gleichheit der Race auf diesem ausgedehnten Continent. Ob man Eingeborne aus der Bai der Seehunde, dem Endrachts-Lande, vom Schwanenflusse oder aus Port Jackson vor sich hat, stets ließen die Farbe der Haut, der Haare, die Gesichtszüge, kurz die ganze äußere Erscheinung keinen Zweifel über den gemeinschaftlichen Ursprung derselben aufkommen.

[301] Fische und Muschelthiere bilden die Grundlage der Nahrung der Bevölkerung an den Küsten oder den Flußufern. Die Bewohner des Binnenlandes leben von den Ergebnissen der Jagd und essen Opossum- und Känguruhfleisch, verzehren auch Eidechsen, Schlangen, Würmer und Ameisen, die sie mit Eiern und Farrenkrautwurzeln zu einem Teige verarbeiten.

Die Eingebornen gehen überall vollständig nackt, doch verschmähen sie es nicht, beliebige europäische Kleidungsstücke, deren sie habhaft werden können, anzulegen. Im Jahre 1820 sah man z. B. in Port Jackson eine alte Negerin, eingehüllt in die Ueberreste einer alten wollenen Decke, und mit einem kleinen grünseidenen Frauenhute auf dem Kopfe, eine unglaublich lächerliche Erscheinung, umherwandeln.

Manche Eingeborne fertigen sich jedoch Mäntel aus Opossum- und Känguruh-Fellen, die sie mit Sehnen des Kasuars zusammennähen; doch ist diese Art Kleidung noch selten.

Die von Natur schlichten Haare werden stark eingefettet und zu Strähnen geflochten. Durch Anbringung eines Büschels Gras in deren Mitte thürmt man sie unmäßig in die Höhe und verziert diesen Wulst mit einigen Kakadufedern oder klebt mittelst Harz wohl auch Menschenzähne, Holzstücke, Hundeschwänze oder Fischgräten daran.

Obwohl das Tätowiren in Neu-Holland nicht gerade gebräuchlich ist, so sieht man doch zuweilen Eingeborne, die sich in symmetrischen Linien mit grellen, stark von einander abstechenden Farben das Gesicht bemalt haben. Ebenso pflegt man manchmal den ganzen Körper mit rothen und weißen Strichen und eigenthümlichen Figuren zu bedecken, was der schwarzen Haut ein wirklich diabolisches Aussehen verleiht.

Diese Wilden hegten früher die Ueberzeugung, daß sie nach dem Tode in die Wolken oder auf die Gipfel der höchsten Bäume versetzt würden, wo sie in Gestalt kleiner Kinder im Ueberflusse schwelgten. Seit der Einwanderung der Europäer aber hat ihr Glaube sich geändert, und jetzt hoffen sie nach dem Tode weiß zu werden und in fernen Ländern zu wohnen. In ihrer Meinung sind die Weißen Vorfahren von ihnen, welche im Kampfe fielen und jene neue Gestalt erhielten.

Bei der Zählung von 1819, für jene Zeit die sorgsamste, die bisher angestellt wurde, ergab für die Kolonialbevölkerung, das Militär nicht eingerechnet, 25.425 Seelen. Die auffallende Minderzahl der Frauen gegenüber den [302] Männern hatte zu mancherlei Ungelegenheiten geführt, denen man durch Absendung vieler jungen Mädchen abzuhelfen suchte, die sich hier schnell verheirateten und Familien bildeten, wodurch sich auch die Moral der Sträflinge erfreulich hob.

In Freycinet's Berichte ist ein sehr langes Capitel allen Angelegenheiten gewidmet, welche zu der politischen Oekonomie in Beziehung stehen. Die verschiedenen Arten des Bodens und die für denselben passenden Sämereien, die Industrie, Thierzucht, der Landbau, die Fabriken, der Handel, die Verkehrsmittel, die Verwaltung – alle diese Fragen finden sich, auf Grund der damals neuesten Unterlagen, sehr eingehend und mit einem Verständniß behandelt, das man von einem Manne, dem diese Fächer eigentlich ferne lagen, gewiß kaum erwartet hätte. Man findet hier auch eine Darstellung der Vorschriften, nach denen die Sträflinge der Kolonie sich vom ersten Tage ab zu richten hatten, über die Strafen, welche sie bedrohten, wie über die Erleichterungen und Belohnungen, welche man ihnen gerne gewährte, wenn ihre Aufführung zu keinem Tadel Veranlassung gab. Gleichzeitig enthielt der Bericht sehr scharfsinnige, begründete Bemerkungen über die Zukunft der australischen Kolonie.

Nach langem und fruchtbringendem Aufenthalte setzte die »Uranie« am 25. December 1819 ihre Fahrt fort und steuerte einen südlichen Kurs, um unter Neu-Seeland und der Campbell-Insel hinweg den Weg nach dem Cap Horn einzuschlagen. Einige Tage später entdeckte man an Bord ein Dutzend entflohener Sträflinge, war von Neu-Holland aber schon zu weit entfernt, um diese dahin zurückschaffen zu können.

Die Küste von Feuerland wurde erreicht, ohne daß ein bemerkenswerther Zwischenfall die von aushaltenden Westwinden begünstigte Fahrt unterbrochen hätte. Am 5. Februar kam das Cap Desolation in Sicht. Das Cap Horn wurde ohne Unfall umschifft, und die »Uranie« ging im Hafen des Guten Fortgangs vor Anker, dessen mit hochaufstrebenden Bäumen bedeckte und von vielen Wasserfällen benetzte Ufer jene trostlose Dürre nicht zeigten, welche sonst die Länder dieses Theiles von Südamerika kennzeichnet.

Der Aufenthalt hierselbst währte nur kurze Zeit, und die Corvette segelte auf der Weiterreise unter dichtem Nebel in die Lemaire-Straße ein. Hier war die See sehr unruhig, es herrschte ein heftiger Wind und so dicker Nebel, daß man Land, Meer und Himmel gar nicht mehr zu unterscheiden vermochte.


Australische Meierei bei den Blauen Bergen. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Der Regen und die vom Winde getriebenen Dunstmassen nöthigten die »Uranie«, wegen der einbrechenden Nacht nur das Schönfahrsegel und das ein [303] geraffte große Marssegel beizubehalten, wobei sie dem Seegang recht gut Widerstand leistete. Man hatte den Wind im Rücken und beglückwünschte sich schon, von demselben weit von der Küste weggeführt zu sein, als plötzlich der Ruf »Land vor dem Bug und ganz in der Nähe!« allgemeinen Schrecken verbreitete, da unter diesen Umständen ein Schiffbruch unvermeidlich schien.


Australischer Eingeborner. (S. 301.)

[304]

Nur Freycinet gewann nach einem Augenblick des Zögerns seine Selbstbeherrschung wieder. Vor dem Schiffe konnte unmöglich Land sein; er ließ also mit geringer Abweichung nach Osten den nördlichen Kurs weiter einhalten, und es zeigte sich sehr bald, daß seine Annahme die richtige war.

Am zweitfolgenden Tage klärte sich das Wetter auf, das Besteck wurde gemacht, und da dasselbe zeigte, daß man sich nicht weit von der Bai des guten Fortgangs befand, blieb dem Commandanten die Wahl, die Küste Amerikas oder eine der Malouinen anzulaufen. Er entschied sich für das letztere.

Unter anhaltendem Nebel passirte man die Insel Conti, die Marville-Bai und das Cap Duras, während eine günstige Brise das Schiff nach der Bai [305] der Franzosen trieb, wo demnächst angehalten werden sollte. Schon beglückwünschte man sich gegenseitig, so schweren Gefahren entronnen zu sein und eine so anstrengende Reise ohne ernsteren Unfall zurückgelegt zu haben. Für die Matrosen, wie Byron sagt:

The worst was over, and the rest seemed sure. 2

Noch stand den Seefahrern aber eine harte Prüfung bevor.

Beim Einsegeln in die Bai der Franzosen waren alle Hände bereit zur Thätigkeit. Ueberall standen Wachen und fortwährend sondirte man den Grund, als erst bei zwanzig, bald darauf bei achtzehn Faden Tiefe Felsen gefunden wurden. Das Schiff lag nur noch eine halbe Meile vom Lande.

Freycinet ließ aus Vorsicht um zwei Viertelstriche schwenken, doch eben diese Maßregel sollte verderblich werden. Die Korvette stieß plötzlich sehr heftig gegen einen Felsen unter Wasser, während die Sonde auf jeder Seite desselben zwölf bis fünfzehn Faden Tiefe anzeigte. Das Riff, auf welches das Fahrzeug lief, konnte also nicht breiter sein als die Korvette selbst. Wirklich erwies es sich später nur als die hervorspringende Spitze einer größeren Felsenmasse.

Zerbrochene Holzstücke, welche auf die Oberfläche des Wassers kamen, verriethen die Schwere der erlittenen Beschädigung. Alles eilte an die Pumpen, Freycinet befahl sofort, ein Stück Segelzeug unter dem Kiel wegzuziehen, das sich mit dem einströmenden Wasser dabei in das Leck eindrängt und dessen Oeffnung wenigstens verkleinert. Auch das genügte nicht. Obwohl alle Mann, Officiere und Matrosen, an den Pumpen arbeiteten, erreichte man doch nichts Anderes, als daß man das Schiff an der Stelle hielt. Es blieb nun kein anderer Ausweg übrig, als dasselbe auf den Strand zu setzen.

Mit diesem Beschlusse war aber noch nichts geschehen, es galt auch, so schwierig es sein mochte, denselben auszuführen. Ueberall nämlich rahmten steile Felsenmassen das Ufer ein, und nur im Grunde der Bai entdeckte man eine seichte Stelle, welche sich zum Stranden eignete. Der Wind war inzwischen umgesprungen, allmählich brach die Nacht herein und das Schiff stand schon halb voll Wasser.

Man kann sich wohl leicht vorstellen, welche Seelenangst der Commandant erleiden mochte. Zum Glücke gelang es jedoch, am Strande der Pinguin-Insel aufzulaufen.

[306] »Jetzt hatte die Erschöpfung meiner Leute, sagt Freycinet, einen solchen Grad erreicht, daß an keinerlei Arbeit zu denken war und ich ihnen eine längere Ruhe bewilligen mußte, da unsere gegenwärtige Lage später gewiß noch manche Anstrengung nöthig machte. Ich selbst freilich konnte keine Ruhe finden. Von tausend quälenden Gedanken bestürmt, erschien mein ganzes Leben mir nur noch wie ein Traum. Dieser plötzliche Uebergang aus Verhältnissen, wo sich Alles zum Besten zu wenden schien, in die, in welchen ich mich augenblicklich befand, bedrückte mich wie ein lästiger Alp; es war mir wirr und wüst im Kopfe, und nur schwierig konnte ich die nöthige Sammlung gewinnen, welche die jetzige Lage vor allen Dingen erheischte. Meine Reisegefährten alle hatten bei dem Unglück, dem wir beinahe zum Opfer fielen, nach Kräften ihre Schuldigkeit gethan, und es ist mir ein Bedürfniß, ihnen öffentlich dieses Lob zu ertheilen.«

Als es wieder Tag wurde, bemächtigte sich der Schiffbrüchigen beim Anblicke der Umgebung eine düstere Traurigkeit.

Auf dem unfruchtbaren Strande grünte kein Baum, kein Hälmchen Gras. Rings herrschte das Schweigen der Einöde, ganz ähnlich wie in der Bai der Seehunde.

Jetzt war aber keine Zeit, den Kopf hängen zu lassen. Es galt, die Journale, das Beobachtungsmaterial, Alles, was unter so vielen Gefahren und Mühen gesammelt worden war, vor dem Untergange zu retten.

Wenn dies auch nach Wunsch gelang, so erlitt die Sammlung doch manchen Schaden. Einzelne Kästen mit reichlichem Inhalt, die im untersten Raume verstaut waren, gingen ganz verloren, andere wurden wenigstens durch Meerwasser arg beschädigt. Am meisten zu leiden hatten von diesem Unfall die naturgeschichtlichen Sammlungen und das große Herbarium, auf dessen Erwerbung Gaudichaud so unendliche Mühe verwendet hatte. Die Merinoschafe, welche man der Freigebigkeit des Herrn Mac Arthur in Sidney verdankte und deren Einführung in Frankreich versucht werden sollte, sowie die übrigen lebenden Thiere wurden an's Land geschafft.

Zunächst errichtete man nun Zelte, sowohl für die Kranken des Schiffes, als auch für die Officiere und Matrosen. Lebensmittel, Schießbedarf holte man aus dem Wrack und brachte sie geschützt vor der Unbill des Wetters unter. Die Branntweinvorräthe wurden bis zu der Zeit zurückgestellt, wo man von hier wieder abreisen würde, und es verdient rühmlich hervorgehoben zu werden, daß während des dreimonatlichen Aufenthaltes der Franzosen an diesem Platze nicht [307] ein einziger Rum- oder Branntweindiebstahl vorkam, obwohl sich Alle nur mit Wasser begnügen mußten.

Ein Theil der Mannschaft bemühte sich nun nach Kräften, die größeren Beschädigungen der »Uranie« auszubessern, ein anderer Theil erhielt den Auftrag, durch Jagd und Fischfang den Unterhalt der Schiffbrüchigen zu sichern. Seelöwen, Möven, Enten, Sarcellen und Bekassinen gab es zwar in großer Menge; es hätte aber zu viel Pulver gekostet, von diesen Thieren so viel zu erlegen, als man täglich zur Nahrung brauchte. Zum Glück fand man da auch zahlreiche, sehr stumpfsinnige Plattfische, welche mit Stöcken erschlagen werden konnten, und diese in so überreicher Menge, daß sich fünfundzwanzig Mann vier bis fünf Monate bequem davon ernähren konnten. Endlich gelang es, einige Pferde zu tödten, die seit der Niederlassung der hier von Bougainville gegründeten Kolonie in Wildheit lebten.

Am 28. Februar kam man zu der Ueberzeugung, daß die geringen Hilfsmittel, über welche man gebot, unzureichend seien, die Havarien der Korvette auszubessern, zumal da die wiederholten Stöße des Schiffes auf den Grund jene eher noch verschlimmert hatten.

Was war da zu thun?

Sollte man warten, bis zufällig ein Schiff in die Bai der Franzosen einlief?

Das hieß, die Matrosen dem Müßiggange überlassen und der Unordnung Thür und Thor öffnen.

Erschien es nicht vortheilhafter, aus den Trümmern der »Uranie« ein kleineres Fahrzeug zu erbauen?

Man besaß auch noch eine große Schaluppe. Sollte diese, wenn sie höher gebaut und mit einem Deck versehen wurde, nicht Montevideo erreichen und von da ein Schiff holen zu können, um das Personal und das Material der Expedition fortzuschaffen?

Freycinet beschloß diesen Weg einzuschlagen, und von diesem Augenblicke an wurde keine Minute verloren. Die Matrosen schienen Alle neues Leben und neue Kraft zu gewinnen, so daß die Arbeit rasch vorwärts ging. Jetzt wünschte der Commandant sich Glück dazu, seinerzeit in Toulon in den verschiedensten Gewerben erfahrene Seeleute angeworben zu haben. Schmiede, Segelmacher, Seiler, Zimmerer – Alle widmeten sich mit größtem Eifer der Aufgabe, die ihnen oblag.

[308] Ueber die auszuführende Reise machte man sich keinerlei Gedanken. Nur dreihundertfünfzig Meilen trennten die Malouinen von Montevideo, und die zu dieser Jahreszeit vorherrschenden Winde mußten es der »Espérance« – so taufte man die verwandelte Schaluppe – ermöglichen, diese Strecke binnen wenigen Tagen zurückzulegen.

Immerhin mußte man darauf Rücksicht nehmen, daß es dem gebrechlichen Fahrzeuge vielleicht nicht gelingen könne, den La Plata zu erreichen. Deshalb beschloß Freycinet, sogleich nach der Abfahrt desselben noch den Bau einer Goëlette von hundert Tonnen beginnen zu lassen.

Obwohl diese verschiedenartigen und vielfachen Arbeiten fast alle Kräfte in Anspruch nahmen, wurden doch auch die gewöhnlichen astronomischen, physikalischen, naturgeschichtlichen und hydrographischen Beobachtungen nicht vernachlässigt, als ob man hier nur ruhig vor Anker läge.

Endlich war das Schiffchen fertig und wurde vom Stapel gelassen. Die Instructionen für seinen Befehlshaber, Kapitän Duperrey, wurden aufgesetzt, die Leute zur Besatzung desselben ausgewählt, die Lebensmittel eingeschifft, und schon war die Abreise für den zweitfolgenden Tag, den 19. März 1820, festgesetzt, als der Ruf: »Ein Schiff! Ein Schiff in Sicht!« erscholl. Eine Slup unter vollen Segeln fuhr eben in die Bai ein.

Man feuerte mehrere Kanonenschüsse ab, um deren Aufmerksamkeit zu erregen, und der Führer derselben beeilte sich in Folge dessen, an's Land zu kommen.

Mit kurzen Worten theilte Freycinet jenem mit, auf welche Weise er mit seinen Leuten an diesen Strand verschlagen worden war.

Der Führer der Slup erklärte, daß er zu einem größeren amerikanischen Schiffe, der Brigg »General Knox«, gehöre, welche bei der Insel West, der westlichsten Spitze der Malouinen, mit dem Robbenfange beschäftigt sei.

Darauf hin wurde ein Officier beordert, sich mit dem Befehlshaber des genannten Schiffes in's Einvernehmen zu setzen, inwieweit jener im Stande sei, den Franzosen Hilfe leisten zu können. Dieser verlangte aber nicht weniger als 135.750 Francs für die Ueberführung der Schiffbrüchigen nach Rio; das war denn doch eine etwas zu unverschämte Forderung. Der französische Officier wollte ohne Zustimmung seines Vorgesetzten keinen bindenden Vertrag mit dem Amerikaner eingehen und ersuchte deshalb denselben, sich nach der »Bai der Franzosen« zu begeben.

[309] Während dieser Unterhandlungen erschien noch ein anderes Fahrzeug, die »Mercury«, Kapitän Galvin, in der Bai. Dasselbe hatte auf der Fahrt von Buenos-Ayres nach Valparaiso mit einer Ladung Kanonen, im Begriff, das Cap Horn zu doubliren, ein bedeutendes Leck bekommen und sich gezwungen gesehen, die Malouinen betreffs Ausbesserung desselben anzulaufen. Für die Franzosen war das ein glücklicher Zufall, da die Concurrenz der beiden Schiffe nur zu ihrem Vortheile dienen konnte.

Freycinet bot sofort dem Kapitän Galvin an, ihm zur Reparatur der Havarien seine Leute und Matrosen zur Verfügung zu stellen, mit dem Bemerken, daß, wenn seine Zimmerleute im Stande wären, den Schiffsrumpf wieder auszubessern, er jenen ersuche, ihn selbst und seine Leute nach Rio de Janeiro zu befördern.

Nach Verlauf von vierzehn Tagen waren die Reparaturen beendigt. Die Unterhandlungen mit »General Knox« zerschlugen sich wegen der ungeheueren Forderung des amerikanischen Kapitäns, welche Freycinet nicht bewilligen wollte. Auch mit Kapitän Galvin bedurfte es mehrerer Tage, um handelseinig zu werden, und diesen zu folgendem Vertrage zu bestimmen:

1. Der Kapitän Galvin übernimmt es, die Schiffbrüchigen, ihre Papiere, Sammlungen und Instrumente, ebenso wie Alles, was von Ueberresten der »Uranie« unterzubringen ist, nach Rio zu schaffen.

2. Die Schiffbrüchigen haben sich unterwegs vom eigenen Proviant zu verköstigen.

3. Am Bestimmungsorte angelangt, bezahlen die Franzosen binnen zehn Tagen die Summe von 97.740 Francs.

So endete die beschwerliche Verhandlung, wie man sieht, immer noch unter sehr drückenden Bedingungen.

Vor der Abfahrt von den Malouinen bereicherte der Naturforscher Gaudichaud das elende Land noch mit mehreren Pflanzenarten, die ihm für spätere, hier verweilende Seefahrer nützlich werden zu können schienen.

Einige Details über diesen Archipel dürften nicht ganz ohne Interesse sein. Aus einer großen Anzahl Eilande und zwei Hauptinseln, Conti und Maidenland, bestehend, liegt diese Gruppe zwischen 50°57' und 52°45' südlicher Breite, 60°4' und 63°48' westlicher Länge von Paris verstreut. Die Bai der Franzosen am Ostende der Insel Conti bildet eine ausgedehnte, mehr tiefe als breite Bucht mit steilen felsigen Ufern.

[310] Die Temperatur ist trotz der hohen Breite der Inseln eine ziemlich milde. Schnee fällt nicht viel und bleibt auch auf den höchsten Bergspitzen nicht über zwei Monate lang liegen. Fließende Gewässer frieren niemals zu, und auch auf Seen und Sümpfen erlangt das Eis höchstens einmal einen Tag über genügende Festigkeit, um einen Menschen zu tragen. Nach den Beobachtungen Weddells, der von 1822 bis 1824 dieselbe Gegend besuchte, sollte sich die Lufttemperatur seit vierzig Jahren bemerkbar gehoben haben, wofür er als Ursache die veränderte Richtung der großen Eisfelder angiebt, die jetzt mehr nach der Mitte des Atlantischen Oceans treiben und dort zum Schmelzen kommen.

Nach der Meinung des Naturforschers Quoy scheint es, daß die Malouinen, in Anbetracht der geringen Tiefe des Meeres, das sie von Amerika trennt, und der Uebereinstimmung der Grasebenen hier mit den Pampas bei Buenos-Ayres, ehemals einen Theil des Festlandes gebildet haben.

Diese Ebenen sind niedrig, sumpfig, mit hohem Grase bedeckt und stehen im Winter unter Wasser. Man findet hier ausgedehnte Lager von schwarzem Torf, der ein vortreffliches Brennmaterial abgiebt.

Diese eigenthümliche Natur des Erdbodens verhinderte das Gedeihen der Bäume, welche Bougainville hier acclimatisiren wollte und von denen zur Zeit des Aufenthaltes Freycinet's keine Spur mehr zu entdecken war. Die größte und hier am meisten vorkommende Pflanze ist eine Art Schwertlilie – ein ausgezeichnetes Viehfutter – unter der sich viele Seehunde und unzählige Plattfische aufzuhalten pflegen. Diese war es, welche die ersten Reisenden von der Ferne aus für großes Buschwerk angesehen hatten.

Sellerie, Küchenschelle, Kresse, Löwenzahn, Orseille und Pimpinelle sind die einzigen Nutzpflanzen, welche auf dem Archipel vorkommen.

Bezüglich der Thiere hatten sich die von den französischen und spanischen Kolonisten eingeführten Büffel, Schweine und Pferde auf der Insel Conti zwar stark vermehrt, ihre Zahl war aber, da die Walfischfänger denselben eifrig nachstellten, bald merklich herabgegangen.


Die Bai Française in den Malouinen. [Facsimile. Alter Kupferstich.] (S. 306.)

Das einzige auf den Malouinen wirklich einheimische Thier ist der antarktische Hund, dessen Schnauze ganz und gar an die des Fuchses erinnert. Von den Walfischjägern wird er auch nicht anders als Fuchs-oder Wolfshund genannt. Früher sollen diese Thiere sehr bösartig gewesen sein; so erzählt man zum Beispiel, daß sie sogar in's Wasser gesprungen wären, um Byron's Leute anzufallen.


Die »Mercury« vor Anker in der Bai Française. (S. 310.)

[311]

Jetzt begnügen sie sich mit Kaninchen – die es hier in Menge giebt – wenn die Robben, auf welche sie gern Jagd machen, ihnen entschlüpfen.

Am 28. April 1820 ging die »Mercury« mit Freycinet und seinen Begleitern nach Rio de Janeiro in See. Kapitän Galvin aber hatte Eines vergessen, den Umstand nämlich, daß sein Schiff unter der Flagge von Buenos-Ayres, welches mit den Portugiesen im Kriege lag, in Rio mit Beschlag belegt und er nebst seinen Leuten als Gefangene behandelt würden. [312] Er wünschte also den mit Freycinet eingegangenen Vertrag wieder zu lösen und bemühte sich, dessen Zustimmung zu einer Landung in Montevideo zu erhalten. Der französische Befehlshaber gab aber nicht nach, und so wurde an Stelle des ersteren ein anderer Contract aufgesetzt.

Durch denselben wurde Freycinet für Rechnung der französischen Marine Eigenthümer der »Mercury«, die er um die früher stipulirte Summe erwarb.

Am 8 Mai gelangte man nach Montevideo, wo Freycinet das Commando des Schiffes übernahm, dem er den Namen »Physicienne« beilegte. Der Aufenthalt hierselbst wurde zur besseren Ausrüstung, zur ordentlichen Verstauung [313] der Fracht und zur Revision der Takelage benützt, während man gleichzeitig den nöthigen Wasser- und Mundvorrath für die Fahrt nach Rio einnahm, welches die »Physicienne«, nicht ohne mannigfache Beschädigung zu erleiden erreichte.

Das Fahrzeug hatte ein so wenig kriegerisches Aussehen, trotz des Kriegswimpels, der am Top des Großmastes flatterte, daß es die Zollbeamten hier wie jedes andere Handelsschiff untersuchen wollten.

Wegen unabweislicher und umfassender Reparaturen mußte Freycinet bis zum 18. September in Rio de Janeiro verweilen. Dann endlich schlug er den Weg nach Frankreich ein und ging am 13. November 1820 in Havre nach einer Reise von drei Jahren und zwei Monaten vor Anker, bei welcher er nicht weniger als 18.862 Seemeilen, gleich 23.577 französischen Lieues, zurückgelegt hatte.

Wenige Tage später kam Freycinet, ziemlich schwer erkrankt, nach Paris und übergab dem Secretariat der Akademie der Wissenschaften die Tagebücher von der Reise, welche nicht weniger als einunddreißig Quartbände füllten. Gleichzeitig überreichten die Naturforscher der Expedition, Quoy, Gaimard und Gaudichaud, die von ihnen zusammengestellten Sammlungen. Darunter befanden sich vier neue Arten von Säugethieren, fünfundvierzig von Fischen, dreißig von Reptilien, Mollusken, Spinnen, Polypen u. s. w.

Freycinet wurde, gemäß der strengen Gesetze, vor ein Kriegsgericht gestellt, um sich wegen des Verlustes seines Schiffes zu verantworten. Dasselbe sprach ihn aber nicht allein vollständig frei, sondern er erntete noch für seine Energie, seine Geschicklichkeit und die zweckmäßigen Maßnahmen unter den geschilderten traurigen Umständen die Lobsprüche aller Richter. Kurz darauf empfing ihn selbst Ludwig XVIII. persönlich, und ihn beim Verlassen des königlichen Cabinets begleitend, sagte er: »Sie sind als Fregatten-Kapitän hier eingetreten und gehen als Linienschiffs-Kapitän wieder fort! Danken Sie mir nicht, sondern sagen Sie einfach, wie jener Jean Bart seinerzeit zu Ludwig XIV.: ›Sir, daran haben Sie recht gethan!‹«

Seitdem widmete sich Freycinet mit allem Fleiße der Publication der Resultate seiner Expedition. Schon das Wenige, was wir von derselben mittheilten, läßt erkennen, wie groß diese waren. Der bis zum Exceß gewissenhafte Forscher wollte auch nichts erscheinen lassen, wogegen irgend ein Einwand erhoben werden könnte, und hielt darauf, daß seine Arbeiten nach allen Seiten auf der Höhe der Wissenschaft standen. Es ist leicht zu begreifen, wie viel Zeit [314] er zum Ordnen des überreichlich mitgebrachten Materials verwenden mußte. Als ihn am 18. August 1842 der Tod ereilte, hatte er gerade an den merkwürdigsten und interessantesten Theil seiner Arbeit, der die Volkssprache in Oceanien und auf den Mariannen behandelt, noch nicht einmal die letzte Hand angelegt.

Gegen Ende des Jahres 1821 erhielt der Marineminister, Marquis de Clermont-Tonnere, von zwei jungen Officieren, Duperrey und Dumont d'Urville, den Plan zu einer neuen Reise vorgelegt. Der Erstgenannte war seit kaum einem Jahre nach Frankreich zurückgekehrt; als zweiter Officier Freycinet's auf der»Uranie« hatte er der Expedition durch seine allgemeinen wissenschaftlichen und hydrographischen Kenntnisse sehr wichtige Dienste geleistet. Der Zweite, ein Mitarbeiter des Kapitän Gauttier, zeichnete sich bei einer zu hydrographischen Zwecken unternommenen Fahrt im Mittelländischen und Schwarzen Meere rühmlichst aus. Er beschäftigte sich vorzüglich mit Botanik und alterthümlicher Kunst, und war der Erste, welcher auf den hohen künstlerischen Werth der eben aufgefundenen Venus von Milo aufmerksam machte.

Die jungen Gelehrten wollten die Naturgeschichte in ihrem ganzen Umfange, den Magnetismus, die Meteorologie und die Bestimmung der Erdgestalt zu Gegenständen ihrer Beobachtungen machen.

»Was die Geographie betrifft, sagt Duperrey, so beabsichtigen wir, theils durch directe Beobachtung, theils durch Zeitvergleichung, die Position einer großen Anzahl Punkte, vorzüglich in den dichtgesäeten Archipelen des Großen Oceans, festzustellen, welche bisher zu so vielen Schiffbrüchen Veranlassung gaben und durch die Natur und Gestalt der niedrigen Inseln, Korallenbänke und Klippen so merkwürdig sind. Ferner wollen wir neue Fahrstraßen durch den Gefährlichen Archipel und die Gesellschaftsinseln neben den von Quiros, Wallis, Bougainville und Cook eingeschlagenen Wegen aufsuchen; unsere hydrographischen Aufnahmen womöglich mit den von den Fahrten d'Entrecasteaux' und Freycinet's nach Polynesien, Neu-Holland und den Molukken her bekannten verknüpfen; wir gedachten, eingehend die von Magellan entdeckten Carolinen zu untersuchen, über welche man, mit Ausnahme der neuerdings von Kotzebue erforschten östlichen Theile, nur sehr unbestimmte Kenntnisse besaß, welche meist von Missionären nach den Erzählungen verschiedener, in ihren Piroguen verirrter und von Winden nach den Mariannen verschlagener Wilden herrührten. Ebenso sollten Sprache, Charakter, Sitten und die äußere Erscheinung der Inselbewohner zum [315] Gegenstande genauer und voraussichtlich interessanter Beobachtungen gemacht werden.«

Die Marine-Aerzte Garnot und Lesson wurden mit den naturgeschichtlichen Arbeiten betraut, während man zum Stabe des Schiffes die unterrichtetsten Officiere heranzog. Zu den letzteren gehörten unter Anderen Lesage, Jacquinot, Bérard, Lottin, de Blois und de Blosseville.

Hocherfreut über das von den Veranstaltern dieser Reise vorgeschlagene Programm, übermittelte die Akademie der Wissenschaften diesen eingehende Instructionen, in welchen die Desiderata der Wissenschaft niedergelegt waren. Gleichzeitig stellte man den Reisenden die besten Instrumente aller Art zur Verfügung.

Das für die Fahrt bestimmte Schiff war ein kleiner Dreimaster von nur zwölf bis dreizehn Fuß Tiefgang, die »Coquille«, ein Reserveschiff aus dem Hafen von Toulon.

Die zur Instandsetzung, Befrachtung und Ausrüstung nothwendigen Arbeiten verzögerten die Abfahrt der Expedition bis zum 11. August 1822. Sie kam am 28. desselben Monats in Teneriffa an, wo die Officiere und Gelehrten nach den reichen Ernten, welche ihre Vorgänger hier eingeheimst, doch noch auf eine nicht ganz fruchtlose Nachlese hofften; da dem Sanitätsrathe der Insel aber Nachrichten über den Ausbruch des gelben Fiebers auf Mittelmeer-Schiffen zugegangen waren, wurde die »Coquille« einer vierzehntägigen Quarantaine unterworfen.

Zu jener Zeit waren gerade die politischen Anschauungen so erregte und herrschte auf Teneriffa eine solche Gährung, daß die Einwohner Tag für Tag nahe daran waren, von Worten zu Thätlichkeiten überzugehen. Unter diesen Verhältnissen bedauerten die Franzosen die Vereitelung ihrer Absichten natürlich weniger, als es sonst der Fall gewesen wäre. Die acht Tage, welche sie an diesem Platze zubrachten, wurden denn auch nur zur Verproviantirung der Korvette und zu astronomischen und magnetischen Beobachtungen verwendet.

Am 1. September lichtete man die Anker und unternahm am 6. October eine Untersuchung der Inseln Martin Vaz und Trinidad. Die ersteren bestehen aus hohen Felsen von wirklich abschreckender Kahlheit; Trinidad ist ein hohes felsiges Land und fast ebenso unfruchtbar, doch krönen wenigstens einige Bäume den südlichen Theil der Insel. Diese ist übrigens keine andere als die oft erwähnte Insel Ascension, welche drei Jahrhunderte das Ziel so vieler Forscher war.

[316] Der berühmte Halley hatte im Jahre 1700 von dem Eilande für seine Regierung Besitz genommen, die es den Portugiesen abtrat, als diese eine Niederlassung an der Stelle gegründet, wo sie La Pérouse noch 1785 antraf. Die nutzlose und kostspielige Kolonie wurde später wieder aufgelassen, und jetzt hat die Insel keine anderen ständigen Bewohner als Hunde, Schweine und Ziegen. die Nachkömmlinge der früher eingeführten Thiere.

Von Trinidad aus hatte Duperrey die Absicht, sich direct nach den Malouinen zu begeben; er erlitt aber auf dem Wege sehr bald verschiedene Unfälle, die ihn an der Insel Katharina anzulegen zwangen. Nur an diesem Platze konnte er hoffen, das zum Ersatz des verloren gegangenen Takelwerks nothwendige Holz und auch Lebensmittel zu finden, die bei dem hier herrschenden Ueberflusse leicht zu beschaffen sein mußten.

Wenn man sich der genannten Insel nähert, fühlt man sich angenehm überrascht, von dem großartigen und pittoresken Anblick ihrer dichten Wälder in denen Sassafras- und Lorbeerbäume, Cedern, Orangen und verschiedene Wurzelträger sich mit Bananen und Palmen mischen, die ihre zierlichen Wipfel bei der sanften Brise wiegen.

Als die Korvette Anker warf, waren nur vier Tage verflossen, seitdem Brasilien das Joch der Hauptstadt (Lissabon) abgeschüttelt, seine Unabhängigkeit erklärt und den Prinzen Dom Pedro d'Alcantara zum Kaiser ausgerufen hatte. Der Commandant sendete in Folge dessen, um verläßliche Nachrichten über diese politische Wandlung zu erhalten und um zu erfahren, wie sich die neuen Machthaber seiner Expedition gegenüber verhalten würden, eine aus den Herren d'Urville, de Blosseville, Gabert und Garnot bestehende Mission nach Nossa Senhora del Desterro, der Hauptstadt der Insel, ab.

Die Verwaltung der Provinz lag in den Händen einer Junta, welche die Franzosen sofort ermächtigte, sich ihren Holzbedarf fällen zu lassen, und den Befehlshaber des Forts von Santa Cruz anwies, deren wissenschaftliche Arbeiten mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu unterstützen. Lebensmittel waren freilich nur mit Mühe zu erhalten, da die Händler, aus Furcht vor unerwarteten Ereignissen, ihre Vorräthe nach Rio geschafft hatten. Hierdurch erklären sich die Schwierigkeiten, denen der Commandant der »Coquille« in einem Hafen begegnete, der von den Kapitänen Krusenstern und Kotzebue so warm empfohlen worden war.

»Die Einwohner, heißt es in dem Berichte, lebten in der Ueberzeugung, daß bald feindliche Truppen landen würden, um sie wieder zu unterwerfen, das[317] hieß ihrer Anschauung nach, sie wieder zu Sklaven zu machen. Das am 1. August 1822 erlassene Decret, welches alle Brasilianer zur Vertheidigung der Küsten zu den Waffen rief und ihnen befahl, auf jeden Fall bei einer Ueberrumpelung Widerstand zu leisten, hatte diese Befürchtungen erweckt. Die eben so wohlwollenden als energischen Anschauungen, welche Prinz Dom Pedro entwickelte, hatten eine hohe Vorstellung von dessen Charakter und Emancipations-Projecten erweckt. Voller Vertrauen zu seinen Plänen, entzündete sich bei den zahlreichen Parteigängern für die Sache der Unabhängigkeit ein Enthusiasmus, der um so geräuschvoller zum Durchbruch kam, als die Geister so lange Zeit unter knechtischem Drucke gehalten worden waren. In ihrer ausgelassenen Freude hatten sie die Städte Nossa Senhora del Desterro, Laguna und San Francisco auf's reichste illuminirt und zogen, Lobgesänge zu Ehren Dom Pedro's anstimmend, durch die Straßen.«

Dieser Enthusiasmus, der in allen Städten aufloderte, wurde dagegen von den friedliebenden, allen politischen Umwälzungen abholden Landbewohnern keineswegs getheilt; und wenn Portugal in der Lage gewesen wäre, seine Einsprüche mit der Absendung eines Geschwaders zu unterstützen, unterliegt es keinem Zweifel, daß diese Provinz bald wieder zur Botmäßigkeit gebracht worden wäre.

Am 30. October ging die »Coquille« wieder unter Segel. Oestlich vom Rio de la Plata von einem plötzlichen Sturme, den man dort »Pampero« nennt, überfallen, entging sie diesem jedoch ohne Beschädigung.

Duperrey machte hier recht interessante Beobachtungen über die Strömung des La Plata. Schon Freycinet hatte gefunden, daß das Wasser dieses Flusses noch hundert Meilen östlich von Montevideo eine Stromgeschwindigkeit von zwei und einhalb Meilen in der Stunde besaß. Der Befehlshaber der »Coquille« überzeugte sich aber, daß die Strömung selbst in noch weit größerer Entfernung nachweisbar war; er wies auch nach, daß das durch den Ocean zurückgestaute Wasser sich in zwei Arme theilte, welche längs der Küsten auf beiden Seiten seiner Mündung hinflossen; endlich leitete er von den erdigen Bestandtheilen, die der La Plata, wo er schnell fließt, mit sich führt, die sich aber, wenn die Stromgeschwindigkeit nachläßt, jahraus jahrein an der Küste Amerikas niederschlagen, die geringe Tiefe des Meeres zwischen diesen Gegenden und den Magellan-Ländern her.

Vor der Einfahrt in die Bai der Franzosen segelte die von günstigem Winde getriebene »Coquille« quer durch ungeheuere Schaaren von Walfischen und [318] Delphinen, Plattfischen und schwärmenden Phaëtons, die sich gewöhnlich in dieser oft von Stürmen heimgesuchten Gegend aufhalten.

Duperrey und einige seiner Begleiter kehrten nicht ohne ein gewisses Gefühl von Genugthuung jetzt nach den Malouinen zurück, dem Lande, das ihnen nach dem Scheitern der »Uranie« drei Monate lang als Zufluchtsort gedient hatte Sie besichtigten das Gestade, wo ihr Lagerplatz gewesen war; die Reste der Korvette bedeckte schon der Sand, und was man davon wahrnahm, zeigte überall die Spuren der Plünderung durch habgierige Walfänger, welche von Zeit zu Zeit hierher kommen. Im Ganzen fanden sie nichts als Trümmer aller Art, zerbrochene Caronaden (kurze Schiffskanonen), Fragmente von der Takelage, Fetzen von Kleidungsstücken, Reste von Segeln und andere kaum noch erkennbare Gegenstände, vermischt mit Knochen von den Thieren, welche einst den Schiffbrüchigen als Nahrung dienten.

»Dieser Schauplatz eines noch verhältnißmäßig neuen Unfalls, so lautet der Bericht, machte einen trostlosen Eindruck, den in unseren Augen die Dürre und Unfruchtbarkeit des Bodens und der Zustand des Himmels, welcher zur Zeit unseres Besuches bedeckt und regnerisch war, nur noch verschlimmern konnten. Immerhin übte er auf uns eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus und hinterließ in unserer Seele eine unbestimmte melancholische Stimmung, die auch lange nach der Abreise von den Malouinen nicht weichen wollte.«

Duperrey's Aufenthalt auf den Malouinen verlängerte sich bis zum 17. December. Man hatte sich inmitten der Ruinen der von Bougainville gegründeten Niederlassung so gut als möglich eingerichtet, um die verschiedenen Reparaturen vorzunehmen, welche der Zustand der Korvette erheischte. Jagd und Fischfang deckten reichlich die Bedürfnisse der Mannschaft; außer Früchten und Gemüsen fand sich Alles in großer Menge, und so bereiteten sich die Leute im Schoße des Ueberflusses vor, den Gefahren der Meere um das Cap Horn zu trotzen.

Anfangs hatte man gegen heftige Nordwestwinde und starke Strömungen anzukämpfen; dann folgten sich stürmische Böen und dichte Nebel, bis die Seefahrer am 19. Januar 1823 endlich die Insel Mocha erreichten, welche wir schon kurz zu erwähnen Gelegenheit hatten.

Duperrey verlegt sie unter 38°20' 30'' südlicher Breite und 76°21' 55'' westlicher Länge und schätzt ihren Umfang auf vierundzwanzig Meilen. Die Insel, welche eine Kette mittelhoher Berge bildet, die bis zum Meere hin abfallen, hat oft zum Stelldichein der ersten Erforscher des Pacifischen Oceans gedient.


Im Ganzen fanden sie nichts als Trümmer. (S. 319.)

[319]

Hier fanden Freibeuter und Kauffahrer wilde Pferde und Schweine, deren Fleisch einen sprichwörtlich gewordenen Leckerbissen lieferte.


Wasserfall von Port Praslin. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Man traf hier auch frisches klares Wasser, ebenso wie europäische Früchte, Aepfel, Pfirsiche und Kirschen von Bäumen, welche die Eroberer angepflanzt hatten. Im Jahre 1823 freilich war davon fast Alles verschwunden oder von kurzsichtigen Walfängern zerstört.

[320] Etwas weiter hin kamen die beiden »Mamelles«, welche die Mündung des Biobio bezeichnen, das Eiland Quebra-Ollas und die Insel Quiriquina in Sicht, dann öffnete sich vor den Blicken der Reisenden die Bai Conception, wo nur ein einziger englischer Walfänger vor Anker lag, der sich zur Rückreise um das Cap Horn anschickte, und dem man Briefe und einen vorläufigen Bericht über die erzielten Resultate übergab.

Am Tage nach der Ankunft, als die Sonne die Bai beleuchtete, erschien das Bild von Traurigkeit und Oede, das die Seefahrer schon Tags zuvor erschreckt hatte, noch auffallender. Die Häuser in Trümmern, die Straßen der Stadt ohne Leben, am Strande ein paar erbärmliche halbversenkte Piroguen, [321] neben denen wenige Fischer in schmutziger Kleidung umherirrten. Hütten ohne Thüren und Läden, vor denen einige zerlumpte Frauen saßen und sich gegenseitig kämmten, das war das beklagenswerthe Bild, welches der Flecken Taleahnana bot.

Um den Contrast mit dem Elend der Einwohner noch greller erscheinen zu lassen, hatte die Natur Hügel und Wälder, Gärten und Weinberge mit ihrem reichsten Schmucke bekleidet; überall leuchteten prächtige Blumen und lockten saftige Früchte, deren satte Farbe ihre Reise verrieth. Eine unausstehliche Sonnengluth, ein Himmel ohne jedes Wölkchen machten das ganze Bild noch ergreifender.

Diese Trümmer, diese Zerstörung, dieses Elend waren die unzweifelhaften Folgen der Revolutionen, welche hier eine auf die andere folgten.

In St. Katharina waren die Franzosen Zeugen der Unabhängigkeitserklärung Brasiliens gewesen; hier wohnten sie nun dem Sturze des Präsidenten O'Higgins bei. Dadurch, daß dieser die Einberufung des Congresses umging, die Pflanzer den Kaufleuten durch Erhöhung der directen Steuern und Herabsetzung der Zölle opferte, hatte O'Higgins, den man daneben noch der Unterschlagung öffentlicher Gelder beschuldigte, den größten Theil der Bevölkerung gegen sich eingenommen.

An der Spitze der Bewegung, die sich gegen ihn vorbereitete, stand der General Don Ramon Freire y Serrano, der den Seefahrern ausdrücklich zusicherte, daß die kommenden Ereignisse der Verproviantirung der »Coquille« in keiner Weise hinderlich sein sollten.

Am 26. Januar trafen zwei Korvetten bei Conception ein; sie hatten einen Franzosen, Oberst Beauchef, an Bord, der zu dem General Freire mit einem von ihm organisirten Regiment stieß, das durch Haltung, Disciplin und Ausbildung entschieden das vorzüglichste in der chilenischen Armee bildete.

Am 2. Februar statteten die Officiere der »Coquille« dem General Freire in Conception einen Besuch ab. Je mehr man sich der Stadt näherte, desto zahlreicher wurden die verwüsteten Felder, die niedergebrannten Häuser, desto seltener die nur noch mit Lumpen bedeckten Einwohner. Am Eingange von Conception war auf einem Mast der Kopf eines berüchtigten Räubers aufgesteckt, eines wahrhaften wilden Thieres, Benavidez mit Namen, der alle nur erdenkbaren Verbrechen begangen hatte und den man in Chile noch lange Zeit nach seinem Tode verwünschte.

Der Anblick der Stadt selbst war womöglich noch trauriger. Conception, das von den siegreichen Parteien abwechselnd eingeäschert wurde, bestand nur [322] noch aus Schutthaufen, zwischen denen da und dort halbnackte Einwohner umherirrten, die Reste einer früheren reichen Bevölkerung. In den Straßen wuchs jetzt Gras, der Palast des Bischofs und die Kathedrale, fast die einzigen noch aufrechtstehenden Gebäude, waren doch der Unbill jeder Witterung preisgegeben und, wenn nicht bald eine Aenderung eintrat, ebenfalls vom Untergange bedroht.

General Freire hatte, bevor er offen gegen O'Higgins auftrat, Frieden geschlossen mit den Araucaniern, kraftvollen Wilden, welche ihre Unabhängigkeit zu bewahren gewußt haben und immer bereit waren, in das spanische Gebiet selbst einzufallen. Einzelne Abtheilungen derselben wurden sogar unter die chilenischen Truppen eingereiht. Duperrey, der sie selbst sah und von dem General Freire oder dem Oberst Beauchef weitere verläßliche Auskunft über dieselben erhielt, entwirft von ihnen ein nicht besonders schmeichelhaftes Bild.

In Besitz schneller Pferde, tragen die Araucanier eine lange Lanze, ein mächtiges, fast säbelartiges Jagdmesser, das bei ihnen »Machete« heißt, und den Lasso, den sie sehr geschickt zu handhaben verstehen.

Von nicht außergewöhnlicher Gestalt und kupferfarbenem Teint, geben ihnen die kleinen, schwarzen, lebhaften Augen, die abgeplattete Nase und die dicken Lippen einen thierischen Ausdruck. Sie zerfallen in verschiedene Einzelstämme, sind sehr raublustig und liegen in Folge dessen fast stets untereinander im Kriege.

»Wenn man sie in ihren »Toldos« zuweilen Besiegte aufnehmen und diese selbst vertheidigen gesehen haben will, heißt es in dem Berichte, so treibt sie zu solchen scheinbar edelmüthigen Handlungen doch nur der Geist der Rache. So z. B. wenn sich unter den Feinden ein Stamm befand, den sie auszurotten wünschten. Bei ihnen beherrscht der Haß alle anderen Leidenschaften, und dieser allein bietet eine gewisse Garantie für ihre Treue. Sie sind Alle von erprobter Tapferkeit, heftig, ja ungestüm und erbarmungslos gegen ihre Feinde, die sie mit entsetzlichem Gleichmuthe niedermetzeln. Bei ihrer Herrschsucht und Rachbegierde mißtrauen sie stets jedem Unbekannten, sind aber gastfreundlich und freigebig gegen Die, welche sie als Freunde betrachten. Heftig in allen Leidenschaften, bewachen sie ihre Freiheit mit glühender Eifersucht und sind jeden Augenblick entschlossen, ihre Rechte mit den Waffen in der Hand zu vertheidigen. Auch die geringste Beleidigung vergessen sie niemals, das Wort Verzeihung kennen sie nicht und es erfüllt sie ein unersättlicher Durst nach dem Blute ihrer Feinde.«

[323] Das ist das Bild, welches Duperrey unter Garantie der Aehnlichkeit von diesen wilden Kindern der Anden entwirft, die wenigstens das Lob verdienen, seit dem 16. Jahrhundert schon allen Anstrengungen fremder Eroberer getrotzt und ihre Unabhängigkeit voll und ganz bewahrt zu haben.

Nach dem Abmarsch des General Freire mit seinen Truppen machte sich Duperrey die günstigeren Umstände zunutze, sein Schiff, so gut es anging, zu verproviantiren. Wasser und Schiffszwieback waren bald an Bord geschafft; dagegen forderte die Zuführung von Steinkohle einige Zeit, obwohl man diese, welche in einem Tagebau einfach gesammelt wurde, fast kostenlos erhielt, da nur die Mauleseltreiber und der Transport derselben bis zum Meere bezahlt werden mußten.

Gestalteten sich die Verhältnisse während des Aufenthaltes der »Coquille« in Conception auch keineswegs günstig, so vermochte der allgemeine Jammer doch nicht, die traditionellen Lustbarkeiten des Carnevals ganz zu unterdrücken. Diners, Gesellschaften und Bälle kamen wieder auf die Tagesordnung und man bemerkte den Abmarsch der Truppen eigentlich nur daran, daß es etwas an Herren fehlte. Die französischen Officiere veranstalteten aus Dankbarkeit für den ihnen zu theil gewordenen ausgezeichneten Empfang in Talcahuana zwei Bälle, und mehrere Familien aus Conception scheuten selbst die Reise dahin nicht, um denselben beizuwohnen.

Leider schließt der Bericht Duperrey's mit dem Zeitpunkte, wo er Chili verließ, und wir besitzen kein officielles Document, um die Einzelheiten dieser interessanten und erfolgreichen Fahrt zu schildern. Außer Stande, dem Originale Schritt für Schritt folgen zu können, wie das bezüglich der anderen Reisenden der Fall war, sind wir gezwungen, uns mit einem Auszuge aus den uns zugänglichen Auszügen zu begnügen, eine undankbare, für den Leser ebenso unangenehme, wie für den Schriftsteller schwierige Aufgabe, der sich nur an dürre Thatsachen halten kann und seine Arbeit nicht mit persönlichen Beobachtungen und mancherlei fesselnden Anekdoten der Reisenden zu würzen vermag.

Zum Glück sind einige Briefe des Seefahrers an den Marineminister veröffentlicht worden, und wir entnehmen diesen die hier folgenden Details.

Am 15. Februar 1823 segelte die »Coquille« von Conception nach Payta ab, von wo aus sich im Jahre 1595 Alvarez de Mendana und Fernandez de Quiros zu der Entdeckungsreise eingeschifft hatten, die ihre Namen so berühmt machen sollte; vierzehn Tage später überfiel die Korvette aber in der Nähe der [324] Insel Laurenzo eine Windstille, welche Duperrey veranlaßte, in Callao zur Einnahme frischer Nahrungsmittel Halt zu machen.

Bekanntlich bildet Callao den Hafen von Lima. Die Officiere benutzten also die Gelegenheit, auch der Hauptstadt von Peru einen Besuch abzustatten. Sie trafen es hiermit nicht gerade glücklich. Die Damen der besseren Gesellschaft befanden sich in den Seebädern von Miraflores und die hervorragendsten Männer waren ihnen dahin gefolgt. Jene mußten sich also darauf beschränken, die Wohnstätten und bedeutendsten öffentlichen Bauwerke der Stadt in Augenschein zu nehmen, worauf sie am 4. März nach Callao zurückkehrten. Am 9. desselben Monats warf die Korvette schon in Payta Anker.

Die Lage dieses Ortes zwischen dem terrestrischen und dem magnetischen Aequator machte ihn vorzüglich geeignet zur Beobachtung der täglichen Schwankungen der Magnetnadel. Die Naturforscher unternahmen gleichzeitig wiederholte Ausflüge nach der Wüste von Piura; sie sammelten daselbst interessante Muschelpetrefacte in tertiärem Boden, der mit den Erdschichten in der Nähe von Paris vollkommen übereinstimmte. Nach Sammlung alles Dessen, was irgend ein wissenschaftliches Interesse bieten konnte, nahm die »Coquille« ihren Weg wieder auf und segelte auf Tahiti zu.

Bei dieser Fahrt ereignete sich ein Zwischenfall, der vielleicht den Untergang der Expedition herbeiführen, jedenfalls aber schwere Hindernisse für die Fortsetzung derselben mit sich bringen konnte. In der Nacht zum 22. April befand sich die »Coquille« in der Nähe des Gefährlichen Archipels, als der wachthabende Officier plötzlich das Geräusch von an Rissen sich brechenden Wellen vernahm. Er ließ sofort beilegen, und am Tage darauf überzeugte man sich, daß das Schiff damit einer großen Gefahr entgangen war.

Kaum anderthalb Meilen trennte die Korvette von einer niedrigen, dichtbewaldeten und rings mit Felsen umgebenen Insel. Diese ernährte einige Bewohner und es kam auch eine Pirogue in die Nähe des Fahrzeugs; die Besatzung derselben weigerte sich aber, an Bord zu kommen; Duperrey mußte davon absehen, dieses Land zu besuchen, das den Namen Clermont Tonnerre erhielt; überall donnerte die Brandung heftig an den Felsenriffen und er vermochte nur, der Küste vorsichtig in kurzer Entfernung zu folgen.

Am nächsten Tage und an den darauffolgenden wurden einige unwichtige Eilande entdeckt, denen man die Namen Augier's, Freycinet's und Lostanges' beilegte.

[325] Am 3. Mai mit Sonnenaufgang bekam man endlich den grünen Strand und die bewaldeten Höhen von Tahiti in Sicht. Wie seine Vorgänger, fand auch Duperrey die totale Umänderung der Sitten und Gebräuche der Einzelnen bestätigt.

Keine Pirogue ruderte der »Coquille« entgegen. Es war gerade die Stunde des Gebets, als sie in die Bai von Matavaï einfuhr, und die Missionäre hatten die gesammte Bevölkerung der Insel, gegen siebentausend Individuen, nach der Hauptkirche von Papahoa zusammengerufen, um über ein neues Gesetzbuch zu verhandeln. Die tahitischen Redner gaben, wie es scheint, den unsrigen nichts nach. Eine große Anzahl derselben besaß ein ausgesprochenes Talent, mehrere Stunden zu predigen, um nichts zu sagen und die schönsten Projecte unter den Blumen ihrer Beredtsamkeit zu begraben.

D'Urville berichtet über eine dieser Sitzungen wie folgt:

»Der Maler der Expedition, Lejeune, wohnte allein der Sitzung des nächsten Tages bei, wo der Volksversammlung verschiedene politische Fragen unterbreitet wurden. Diese währte mehrere Stunden, während der viele angesehene Männer der Reihe nach das Wort ergriffen. Der glänzendste Redner der Versammlung war der Häuptling Tati. Die Hauptfrage, welche zur Verhandlung kam, betraf eine jährliche Steuer, welche jeder Mann mit fünf Bambus 3 Oel erlegen sollte. Weiter debattirte man über gewisse Zölle, welche theils für Rechnung des Königs, theils für die Missionäre erhoben werden sollten.

Wir erfuhren später, daß der erste Theil dieser Vorlage angenommen worden war, während der zweite, die Missionäre betreffend, von diesen selbst, in Erwartung eines Mißerfolges, zurückgezogen wurde. Etwa viertausend Personen nahmen an dieser Art Nationalversammlung theil.«

Seit etwa zwei Monaten hatte Tahiti die früher geführte englische Flagge abgeschafft und eine eigene angenommen, doch beeinträchtigte diese friedliche Revolution in keiner Weise das Vertrauen zu den Missionären. Letztere nahmen die Franzosen sehr zuvorkommend auf und lieferten ihnen zu den gewöhnlichen Preisen Alles, was sie bedurften.

Die auffallendste und eigenthümlichste Umwandlung bei diesen Leuten zeigte sich in dem Auftreten der Frauen. Früher von unerhörter Leichtfertigkeit, wie Cook, Bougainville und andere Forscher jener Zeit bezeugen, trugen sie jetzt [326] die größte Bescheidenheit, Zurückhaltung und Decenz zur Schau, so daß die Insel wirklich den ergötzlichen und doch offenbar unwahren Anblick eines einzigen großen Klosters darbot.

Von Tahiti aus lief die »Coquille« die Nachbarinsel Borabora an, die zu derselben Gruppe gehört und gleichfalls europäische Gewohnheiten adoptirt hatte.

Vom 9. Juni ab steuerte die Korvette nach Westen, kam nach und nach an den Inseln Salvage, Eoa, Santa Cruz, Bougainville und Bouka vorbei und ging endlich in dem, durch seinen prächtigen Wasserfall an der Küste Neu-Irlands bekannten Hafen Praslin vor Anker.

»Die freundschaftlichen Beziehungen, welche sich hier zu den Eingebornen entwickelten, lieferten uns verschiedene Aufschlüsse über die Geschichte der Ureinwohner, welche frühere Reisende offenbar nicht zu erlangen im Stande gewesen waren.«

Wir beklagen umsomehr die Nichtveröffentlichung des ganzen Berichtes dieser Reise, als der vorstehende Satz, der sich in einer kurzen Notiz in den »Annalen der Reisenden« findet, nur die Neugierde reizt, ohne sie zu befriedigen.

Der Fähnrich Poret de Blosseville – derselbe, der später mit der »Lilloise« im Eise des Pols verschollen ist – begab sich trotz aller Einreden der Wilden einmal nach einem nahen Dorfe. Hier zeigten ihm diese eine Art Tempel, wo sich auf einer mit Mauern umschlossenen Plattform mehrere ungestaltete und merkwürdige Götzenbilder erhoben.

Von dem Kanal St. Georges wurde eine genaue Karte aufgenommen; dann besuchte Duperrey die früher von Schouten im Nordosten von Neu-Guinea entdeckten Inseln, zu deren Erforschung er die drei Tage vom 26. bis 28. August verwendete. Vergeblich bemühte sich der Forscher dann, die Inseln Stephens und Carteret aufzufinden, und kam bei Vergleichung seines Kurses mit dem d'Entrecasteaux', im Jahre 1792, zu dem Schlusse, daß diese Gruppe mit dem vor langer Zeit von Dampier entdeckten Providence-Archipel identisch sein werde.

Am 3. September kam die Nordspitze Neu-Guineas in Sicht. Drei Tage später lief die Korvette in den beschränkten und felsigen Hafen von Offak, an der Nordwestküste von Waigion, einer der Papua-Inseln, ein. Forest ist der einzige Reisende, der dieses Hafens Erwähnung that.

Duperrey gereichte es auch zu hoher Genugthuung, diesen fast noch jungfräulichen Erdwinkel, den kaum der Fuß eines Europäers betrat, untersuchen zu können. Von geographischem Standpunkte erschien es von besonderem Interesse, das Vorhandensein einer mehr südlich gelegenen Bai zu constatiren, die nur eine schmale Landzunge von Offak trennte.


Eingeborne von Neu-Guinea. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Zwei Officiere, d'Urville und de Blosseville, be [327] schäftigten sich mit dieser Aufnahme, welche Bérard, Lottin und de Blois de la Calande mit der verknüpften, welche Duperrey bei der Fahrt der »Uranie« an dieser Küste vorzunehmen Gelegenheit gehabt hatte.


Zwei Häuptlinge nahmen die Reisenden bei der Hand. (S. 333.)

Das Land erwies sich außerordentlich reich an Erzeugnissen der Pflanzenwelt, und d'Urville brachte hier eine Sammlung zu Stande, welche wegen der Neuheit ihrer Typen ebenso kostbar erscheint, wie wegen der auffallenden Schönheit derselben. [328] D'Urville und Lesson hatten sich, begierig, die Einwohner der Insel, welche zur Race der Papuas gehören, kennen zu lernen, auf einem mit sieben Mann besetzten Boote eingeschifft.

Schon waren sie unter strömendem Regen eine große Strecke weit gefahren, als sie plötzlich eine auf Pfählen errichtete und mit Latanenblättern bedeckte Hütte wahrnahmen. Unsern davon kauerte, in einem dichten Gebüsche halb versteckt, ein junger Wilder; nicht weit von ihm lagen etwa ein Dutzend frisch gepflückter Cocosnüsse offen da, welche die Seeleute geradezu einluden, sich an [329] denselben zu erquicken. Die Franzosen begriffen, daß dieselben eine von dem jungen Wilden dargebrachte Gabe seien, und ließen sich ein solches, recht wünschenswerthes Geschenk nicht zweimal anbieten. Bald trat der durch die friedliche Haltung der Seeleute beruhigte Eingeborne selbst hervor, während er das Wort »Bongous« (gut!) wiederholte und zu verstehen gab, daß diese Cocosnüsse von ihm herrührten. Seine zarte Aufmerksamkeit wurde mit dem Geschenke eines Halsbandes und eines Paares Ohrgehänge gelohnt. Als d'Urville nach seinem Boote zurückkam, sah er daselbst ein Dutzend Papuas, die mit den Ruderern scherzten, schmausten und es sich überhaupt wohl sein ließen.

»Sie hatten mich bald umringt, sagt er, indem sie fortwährend: »Kapitän, bongous!« riefen und mich mit Freundschafts-Bezeugungen überhäuften. Die Leute sind im Allgemeinen von kleinerer Statur, von schlankem und schwächlichem Körperbau und leiden von der Lepra; ihre Züge erscheinen nicht gerade unangenehm; ihre Stimme ist sanft, ihr Auftreten ernst, höflich und in ihrer Erscheinung spricht sich deutlich eine gewisse angeborne Melancholie aus.«

Unter den antiken Statuen, an denen das Louvre so reich ist, befindet sich eine, die Polyhymnia vorstellend, welche wegen des Ausdrucks melancholischer Schwärmerei, dem man an antiken Statuen sonst nicht zu begegnen pflegt, weit berühmt ist. Es erscheint wunderbar, daß d'Urville bei den Papuas diese an der antiken Statue so unverkennbar charakterisirten Züge wiedergefunden haben will.

An Bord benahm sich eine andere Gesellschaft Eingeborner sehr ruhig und zurückhaltend, wodurch sie sich auffallend von den meisten Urbewohnern Oceaniens unterschied.

Denselben Eindruck empfingen die Franzosen durch einen Besuch bei dem Rajah der Insel und auch durch den, welchen dieser an Bord der »Coquille« abstattete. In einem der Dörfer der südlichen Bai fand man eine Art Tempel mit grob gearbeiteten, buntbemalten und mit Federn und Matten geschmückten Bildsäulen. Es gelang aber nicht, über den Gottesdienst der Eingebornen und inwieweit jene Götzenbilder dabei in Frage kommen, nur das Geringste zu erfahren.

Am 16. September ging die »Coquille« wieder unter Segel, folgte dem Nordrande der zwischen Een und Yang gelegenen Inseln, machte einen kurzen Halt bei Cayeli und erreichte Amboine, wo der Gouverneur der Molukken Merkus, sie besonders wohlwollend aufnahm, und die Seefahrer von den schweren Strapazen der Reise einmal sorglos ausruhten.

[330] Am 27. October erst segelte die Korvette wieder ab und steuerte westlich von den Inseln Turtle und Lucepara auf Timor zu. Dann bestimmte Duperrey die Lage der Vulcaninsel, bekam die Inseln Wetter, Babé, Dog, Cambing in Sicht und stellte, in die Ombaystraße einfahrend, längs der Inselkette, die sich von Ombay und Panter aus bis Java erstreckte, vielfache Messungen an.

Nachdem er eine Karte von Java entworfen und die Trials vergeblich an der ihnen zugeschriebenen Stelle gesucht hatte, begab sich Duperrey nach Neu-Holland, an dessen Westküste er wegen widriger Winde nicht hinabsegeln konnte. Am 10. Januar 1824 umschiffte er endlich die Insel Van Diemen. Sechs Tage später sah er die Leuchtfeuer von Port Jackson und ließ am folgenden Tage die Anker vor der Stadt Sydney fallen.

Der von dem Eintreffen der Expedition schon vorher unterrichtete Gouverneur Sir Thomas Brisbane bereitete derselben einen ausgezeichneten Empfang, unterstützte die Verproviantirung, that sein Möglichstes, um die Reparatur der vielfachen Beschädigungen der Korvette zu beschleunigen, und gewährte d'Urville und Lesson die Mittel, eine fruchtbringende Excursion jenseits der Blauen Berge nach der Ebene von Bathurst zu unternehmen, deren Naturschätze die Europäer bisher nur sehr mangelhaft kannten.

Erst am 20. März verließ Duperrey Australien wieder. Jetzt schlug er den Kurs nach Neu-Seeland ein, das von seinen Vorgängern immer etwas vernachlässigt worden war, und rastete in der Bai von Manawa, im Grunde der weit ausgedehnten Bai der Inseln. Physikalische und geographische Beobachtungen, sowie wissenschaftliche Untersuchungen nahmen hier die Zeit der Officiere in Anspruch. Gleichzeitig lieferte das häufige Zusammentreffen von Leuten aus der Mannschaft mit Eingebornen neue Aufschlüsse über die Sitten, die religiösen Vorstellungen und die Sprache eines Volkes, das bisher alle Bemühungen der Missionäre vereitelt hatte. Die einzige Anerkennung, welche diese Wilden der fortgeschrittenen Civilisation zollten, bestand in der Annahme der verbesserten Waffen, mit deren Hilfe sie ihre kriegerischen blutigen Gelüste leichter befriedigen konnten und welche sie schon in großer Menge besaßen.

Am 17. April verließ die »Coquille« ihren Ankerplatz und segelte nach der Linie hinauf bis Rotuma, das Kapitän Wilson im Jahre 1797 entdeckt, aber nicht besucht hatte. Die sanftmüthigen und gastfreundlichen Eingebornen hier ließen es sich angelegen sein, den Seefahrern Alles zu liefern, was sie an Nahrungsmitteln bedurften. Es dauerte jedoch nicht lange, da überzeugte man [331] sich, daß die Eingebornen sich das Vertrauen, das sie einzuflößen verstanden, zunutze machten, um allerlei Gegenstände zu stehlen, zu deren Wiederherausgabe man sie nur mit Mühe bewegen konnte. Es wurden nun strenge Befehle gegeben und auf der That ertappte Diebe in Gegenwart ihrer Stammesgenossen durchgepeitscht, worüber die Zuschauer freilich nur etwas lauter lachten als die Bestraften selbst. Unter den Wilden befanden sich auch vier Europäer, welche einige Zeit vorher von dem Walfahrer »Rochester« desertirt waren. Ebenso wenig bekleidet wie die Eingebornen, tätowirt und ganz wie sie mit gelbem Pulver bedeckt, waren dieselben nur an der etwas helleren Hautfarbe und den geweckteren Zügen erkenntlich. Zufrieden mit ihrem Schicksale, hatten sie sich in Rotuma einen häuslichen Herd gegründet und hofften hier, ganz frei von den Sorgen, Beunruhigungen und Schwierigkeiten des civilisirten Lebens, auch ihre Tage zu beschließen. Nur einer von ihnen wünschte auf der »Coquille« zu bleiben, was ihm von Duperrey bewilligt wurde, wogegen der Häuptling der Insel aber so lange Einspruch erhob, bis er erfuhr, daß zwei Deportirte aus Port Jackson auf der Insel zurückzubleiben wünschten.

Trotz des Interesses, welches dieses nur wenig bekannte Volk den Naturforschern bot, mußte man doch weiterreisen. Die »Coquille« nahm nun zunächst die von Maurelle im Jahre 1781 entdeckten Inseln Coral und St. Augustin auf. Darauf lief sie die Insel Drummond an, deren sehr dunkel gefärbte Einwohner mit schwächlichem Gliederbau und wenig intelligenter Physiognomie einige sogenannte Weihkesselmuscheln gegen Messer und Angeln vertauschten; ferner die Inseln Sydenham und Henderville, mit völlig nackt einhergehenden Bewohnern, und später die Inseln Woolde, Hupper, Hall, Knox, Charlotte und Matthews, welche den Gilbert-Archipel bilden, endlich die Mulgraves- und Marshalls-Archipele.

Am 3. Juni sah Duperrey die im Jahre 1804 von dem amerikanischen Kapitän Croser aufgefundene Insel Ualan. Da dieselbe auf der Seekarte noch nicht verzeichnet stand, beschloß der Commandant, sie eingehender zu untersuchen. Kaum hatte der Anker in den Grund eingegriffen, als Duperrey nebst einigen Officieren schon an's Land ging. Sie fanden daselbst ein sanftmüthiges freundliches Völkchen, das ihnen Cocosnüsse und Brotbaumfrüchte anbot und sie durch eine herrliche Landschaft bis zur Wohnung des ersten Häuptlings, des »Uroß tôn«, wie sie ihn nannten, geleitete. Duperrey schildert die Landschaften, durch welche sie kamen, bevor sie jene hohe Person fanden, in folgender Weise:

[332] »Wir glitten friedlich quer über ein geräumiges Bassin, das grünende Uferwälder einrahmten. Hinter uns strebten die hohen Berggipfel der Insel, bedeckt mit üppigem Grün, empor, aus dem die schlanken biegsamen Schafte der Cocospalme emporragten. Vor uns erhob sich, inmitten der Wasserfläche, die kleine Insel Leilei, eingefaßt von hübschen Cabanen der Einwohner und von einem freundlichen Hügel bekrönt... Rechnet man hierzu noch einen herrlichen Tag und eine höchst angenehme Temperatur, so wird man sich leicht unser Entzücken bei dieser Art Triumphzug in Begleitung eines einfachen, friedlichen und zuvorkommenden Volkes vorstellen können.«

Eine von d'Urville auf achthundert Köpfe geschätzte Volksmenge erwartete die Boote und Piroguen vor einem sauberen, hübschen Dorfe mit wohlgepflasterten Straßen. Die ganze Gesellschaft, die Männer auf der einen, die Frauen auf der anderen Seite, beobachtete ein durch keinen Laut unterbrochenes Schweigen. Zwei Häuptlinge nahmen die Reisenden bei der Hand and führten sie nach der Wohnung des Uroß tôn. Die fortwährend schweigende Menge blieb draußen stehen, während die Franzosen in die geräumige Hütte eintraten.

Bald erschien der Uroß tôn, ein abgezehrter, schwächlicher Greis, den die Last seiner Jahre – er mochte mindestens achtzig zählen – offenbar drückte. Aus Höflichkeit erhoben sich die Franzosen bei seinem Eintritt, ein Gemurmel der Umstehenden bedeutete ihnen jedoch, daß sie damit gegen die Sitte verstießen.

Sie sahen sich jetzt um. Alle Anwesenden lagen mit der Stirne auf dem Boden. Selbst die Häuptlinge machten von dieser kriechenden Ehrerbietung keine Ausnahme. Der Greis, den die Kühnheit der ruhig stehen gebliebenen Fremden anfangs überraschte, gebot seinen Unterthanen Ruhe und setzte sich zu jenen. Er klopfte ihnen auf die Wangen, Schultern und Schenkel als Freundschaftsbeweis für die kleinen Geschenke, die man ihm und seiner Frau überlassen hatte. Die Erkenntlichkeit des Fürstenpaares fand ihren Ausdruck in dem Geschenke von sieben »Tots«, von denen fünf aus den feinsten Geweben bestanden.

Nach der Audienz besuchten die Franzosen das Dorf und erstaunten nicht wenig, hier zwei kolossale Mauern aus Korallen zu finden, von denen einzelne Blöcke gewiß mehrere tausend Pfund wogen.

Trotz einiger Diebereien der Häuptlinge verlief der zehntägige Aufenthalt ganz friedlich, und das gute Einvernehmen, das zwischen den Ualanern und den Franzosen von dem ersten Augenblick an herrschte, wurde in keiner Weise gestört.

[333] »Man erkennt leicht, sagt Duperrey, welche Wichtigkeit die Insel Ualan dereinst noch erlangen kann. In der Mitte der Carolinen gelegen, bietet sie den Schiffen, welche von Neu-Holland nach China segeln, sichere Häfen zur etwaigen Ausbesserung von Schäden, aber auch Wasser und verschiedene Nahrungsmittel im Ueberflusse. Die Bevölkerung ist zugänglich und friedfertig und dürfte bald im Stande sein, Seefahrern ein auf dem Meere unentbehrliches Nahrungsmittel zu liefern, da wir ihnen zwei tragende Zuchtsauen überlassen haben, die sie mit großer Erkenntlichkeit annahmen.«

Duperrey's Voraussetzungen sind nicht in Erfüllung gegangen, und die Insel Ualan hat, obschon eine Fahrstraße von Europa nach China, südlich von Van-Diemen, hier vorüberführt, auch heute noch keine höhere Bedeutung erlangt als vor fünfzig Jahren. Der Dampf hat die gesammte Schifffahrt so sehr umgestaltet und so radicale Veränderungen hervorgerufen, wie sie die Seefahrer zu Anfang des Jahrhunderts nimmermehr vorhersehen konnten.

Die »Coquille« hatte Ualan kaum zwei Tage verlassen, als sie am 17., 18. und 23. Juni schon wieder andere Eilande auffand, welche die Eingebornen mit den Namen Pelelap, Takai, Aoura, Ougai und Mongoul bezeichneten. Es sind das die Mac Askyll und Duperrey-Gruppen, deren Bewohner den Ualanern ähneln und welche ebenso, wie die auf den Radaks-Inseln, ihre Häuptlinge »Tamons« nennen.

Am 24. desselben Monats segelte die »Coquille« durch die Hogelen-Gruppe, welche Kotzebue unter zu hoher Breite gesucht hatte, und die der Commandant aus einigen von den Eingebornen ausgesprochenen Namen erkannte, die sich auf der Karte des Pater Cantova wiederfinden. Die hydrographische Aufnahme dieser Inselgruppe, welche gegen dreißig Meilen Umfang hat, vollendete de Blois vom 24. bis 27. Juni.

Diese Inseln sind meist hoch und von vulcanischen Bergkuppen bekrönt; andere verriethen durch die Form ihrer Lagunen den madreporischen Ursprung.

Die Einwohner sind klein, häßlich und leiden an widerlichen Krankheiten. Wenn das Sprichwort:»Mens sana in corpore sano« jemals seine Anwendung per Antiphrasin finden kann, so ist es hier, denn die Eingebornen scheinen geistig sehr wenig entwickelt und stehen entschieden tief unter den Ualanern. Auch hier scheinen sich schon fremdartige Moden eingebürgert zu haben. Verschiedene Eingeborne trugen z. B. spitzige Hüte, ähnlich denen der Chinesen; Andere waren mit geflochtenen Matten bekleidet, welche ein Loch hatten, um [334] den Kopf hindurch zu stecken, etwa wie der Poncho in Südamerika; Alle legten aber keinen Werth auf Spiegel, Halsbänder und Schellen; sie verlangten nach Aexten und Eisen, was auf ihre häufigere Berührung mit Europäern hindeutete.

Nachdem sie die Inseln Tamatan, Fanendik und Ollap, das heißt die Martyrer-Inseln der alten Karten, angelaufen und rings um die, ihnen von Arrowsmith und Malaspina zugeschriebene Position vergeblich nach den Inseln Namourek und Iselouk gesucht, lief die »Coquille«, die noch längs des nördlichen Theiles von Neu-Guinea hingesegelt war, am 26. Juli an der Südostküste im Hafen Doreï ein und verweilte daselbst bis zum 8. August.

Der Aufenthalt hier lieferte ungemein reichhaltige Ergebnisse bezüglich der Naturgeschichte, Geographie, Astronomie und Physik. Die Eingebornen dieser Insel gehören zu den Papuas reinster Race. Ihre Wohnungen bestehen aus ziemlich großen, auf Pfählen errichteten Hütten, nach denen man auf einem Stück eingekerbten Holz oder Brett emporsteigt, das jeden Abend hereingezogen wird. Die Eingebornen der Küste liegen, so scheint es, mit denen aus dem Innern, den Harfou-Negern oder Arfakis, in fortwährender Fehde. Unter Führung eines jungen Papua gelang es d'Urville, bis zu den Wohnstätten der Letzteren zu gelangen. Er fand hier sanfte, gastfreundliche und höfliche Leute, welche keineswegs dem Bilde entsprachen, das ihre Feinde von ihnen entworfen hatten.

Von dieser Station aus durchsegelte die »Coquille« nochmals die Molukken, rastete nur sehr kurze Zeit bei Surabaya an der Küste von Java und erreichte am 30. October Isle de France und Bourbon. Nach einem letzten Halt bei St. Helena, wo die französischen Officiere das Grab Napoleon's besuchten, und bei Ascension, wo sich seit 1815 eine englische Kolonie angesiedelt hatte, lief die Korvette am 27. April 1825 in Marseille ein, nach einer Reise von einunddreißig Monaten und dreizehn Tagen, während welcher ohne Verlust eines Mannes, ohne einen Kranken und ohne Havarien 24.894 Lieues zurückgelegt worden waren.

Der höchst bemerkenswerthe Erfolg dieser Expedition gereichte dem jungen Befehlshaber ebenso zur hohen Ehre wie allen Officieren, die sich mit unermüdlichem Eifer wissenschaftlichen Beobachtungen aller Art gewidmet hatten.

Es waren zweiundfünfzig Karten und Pläne gezeichnet und nicht nur an Exemplaren reiche, sondern auch durch deren Neuheit werthvolle Sammlungen aus den drei Naturreichen zusammengebracht worden. Wörterverzeichnisse sehr verschiedener Sprachen, mit deren Hilfe man die Geschichte der Wanderungen [335] der oceanischen Volksracen reconstruiren zu können hoffte, merkwürdige Aufschlüsse über die Erzeugnisse der besuchten Plätze, über den Zustand des Handels und der Industrie der Bewohner, Beobachtungen betreffs der Gestalt der Erde, magnetische, meteorologische und botanische Untersuchungen – das war die reiche wissenschaftliche Fracht, welche die »Coquille« heimbrachte und deren Veröffentlichung die gelehrte Welt mit erklärlicher Ungeduld entgegensah.

Fußnoten

1 Jacques Arago, der Bruder des berühmten Astronomen.

2 ... war das Schlimmste gethan und das Uebrige schien gesichert.

3 Ein gebräuchliches Maß auf Tahiti.

2.
[336] II.

Expedition des Baron von Bougainville. – Aufenthalt in Ponditscherry. – Die »weiße Stadt« und die »schwarze Stadt«. – Die Rechte und die Linke Hand. – Malakka. – Singapore und sein Aufblühen in jungster Zeit. – Aufenthalt in Manilla. – Die Bai von Tourane. – Die Affen und die Einwohner. – Die Marmorfelsen von Fay-Foë. – Cochinchinesische Diplomatie. – Die Anambas. – Der Sultan von Madura. – Die Madura- und die Allas-Straßen. – Cloates und die Trials. – Van Diemen. – Botany-Bai und Neu-Süd-Galles. – Santiagound Valparaiso. – Heimkehr und das Cap Horn. – Expedition Dumont d'Urville's auf der »Astrolabe«. – Der Pic von Teyde. – Australien. – Aufenthal bei Neu-Seeland. – Tonga. – Tabou. – Die Escarmouches. – Neu-Britannien und Neu-Guinea. – Die ersten Nachrichten über das Schicksal La Pérouse's. – Vanikoro und dessen Bewohner. – Aufenthalt bei Guaham. – Amboine und Manado. – Ergebnisse der Expedition.


Die Expedition, welche dem Baron von Bougainville anvertraut wurde, war eigentlich weder eine wissenschaftliche, noch eine Entdeckungsreise im engeren Sinne des Wortes. Ihr Hauptzweck bestand darin, im fernsten Osten die Flagge Frankreichs zu zeigen und den nicht selten ziemlich wenig scrupulösen Regierungen unzweideutig zu beweisen, daß Frankreich seine Angehörigen und Interessen überall und zu jeder Zeit zu schützen gewillt sei. Die Instructionen des Schiffskapitäns lauteten unter Anderem auch dahin, dem Beherrscher von Cochinchina einen Brief des Königs und gewisse Geschenke zu überreichen, die auf der »Thetis« eingeschifft wurden.

Bougainville sollte sich dabei, wo es anging, mit hydrographischen Studien beschäftigen, ohne damit seine Fahrt unnöthig zu verzögern, und möglichst umfassende Nachrichten über den Handel, die Erzeugnisse und Tauschmittel der von ihm besuchten Länder sammeln.

Zwei Schiffe wurden seinem Befehle unterstellt. Das eine, die »Thetis«, eine ganz neue Fregatte, führte vierundvierzig Kanonen und dreihundert Matrosen; bisher hatte, außer der »Boudeuse«, noch kein so starkes französisches Schiff eine Reise um die Erde ausgeführt; das andere war die Glattdeckskorvette »Espérance« mit vierundzwanzig Caronaden auf dem Deck und hundertzwanzig Mann Besatzung.

[336] Das erste dieser Fahrzeuge stand unter unmittelbarem Befehle des Barons Bougainville, und sein Stab war aus besonders gewählten Officieren zusammengesetzt. unter denen man die Namen Longueville's, Lapierre's und Baudin's fand, welche später zum Linienschiffs-Kapitän, Viceadmiral und Contreadmiral avancirten.


Indische Götzenbilder bei Ponditscherry. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Die »Espérance« wurde von dem Fregattenkapitän de Nourquer du Camper [337] befehligt, der als zweiter Officier der Fregatte »Kleopatra« schon einen großen Theil der vorgeschriebenen Route der neuen Expedition kennen gelernt hatte. Zu ihren Officieren gehörten Turpin, der spätere Contreadmiral, Deputirte und Generaladjutant Louis Philipp's, Eugen Penaud, der spätere Generalstabsofficier, und Médéric Malavois, der Gouverneur von Senegal wurde.

Kein Specialgelehrter, die man sonst so freigebig, z. B. der »Naturaliste« und überhaupt jedem nach Entdeckungen aussegelnden Schiffe beigegeben hatte, begleitete die Schiffe des Barons von Bougainville, was dieser während der ganzen Fahrt lebhaft bedauerte, da auch die Aerzte, wegen der ihnen zufallenden Sorge für die Kranken einer so zahlreichen Mannschaft, auf den Halteplätzen kaum Zeit gewannen, sich länger vom Bord zu entfernen. Bougainville's Reisetagebuch beginnt mit folgender wohlbegründeten Bemerkung:

»Vor noch nicht vielen Jahren gehörte eine Reise um die Erde zu den gewagtesten Unternehmungen, und es ist kaum ein halbes Jahrhundert verflossen, daß eine solche Expedition hinreichte, dem Führer derselben einen gewissen Ruhm zu verleihen... Das war damals die schöne Zeit, das goldene Zeitalter des Erdumseglers, und die Gefahren und Entbehrungen, mit denen er zu kämpfen hatte, wurden ihm hundertfach vergolten, wenn er, reich an werthvollen Entdeckungen, die Gestade des Vaterlandes wieder begrüßte... Jetzt hat sich das geändert; die Glorie ist verblaßt; man macht jetzt eine Reise um die Erde, etwa wie man früher durch Frankreich fuhr!...«

Was würde der Baron Yves Hyacinthe Potentien de Bougainville, der Sohn des Viceadmirals, Senators und Mitglieds des Instituts, heutzutage sagen, wo alle Welt die so vervollkommneten prächtigen Dampfschiffe und die genauesten Karten besitzt, welche auch die weitesten Seefahrten fast zum Spiele gemacht haben?

Am 24. März 1824 verließ die »Thetis« allein die Rhede von Brest; sie sollte ihr Begleitschiff, die »Espérance«, die schon vor einiger Zeit abgefahren war, um Rio de Janeiro anzulaufen, in Bourbon antreffen. Ein kurzer Aufenthalt in Teneriffa, wo die »Thetis« nur schlechten Wein und wenig Lebensmittel, die sie brauchte, einkaufen konnte, die Besichtigung der Inseln des Grünen Vorgebirges und des Caps der Guten Hoffnung aus einiger Entfernung, die Aufsuchung der fabelhaften Insel Saxemburg und einige gespensterhafte Erscheinungen während einzelner Nächte waren die einzigen Vorkommnisse auf der Fahrt bis zur Isle Bourbon, wo die »Espérance« schon vor ihrem Begleitschiffe eingetroffen [338] war. Bourbon kannten alle Seefahrer zu jener Zeit schon so hinreichend und so genau, daß nach Erwähnung der beiden offenen Rheden von St. Denis and von St. Paul darüber kaum noch etwas zu sagen übrig blieb.

St. Denis, die im Norden von Bourbon und am Fuße einer geneigten Ebene gelegene Stadt, ist eigentlich ja nichts anderes als ein großer Flecken ohne Umplankung oder Mauern, in dem jedes Haus von einem Garten umgeben ist. Von öffentlichen Bauwerken ist nichts zu sagen, außer etwa über den Palast des Statthalters, der eine, die ganze Rhede beherrschende Lage hat, über den botanischen Garten und den für Acclimatisation, der aus dem Jahre 1817 herrührt. Der erstere, inmitten der Stadt, bietet schöne, leider nur wenig besuchte, aber vortrefflich gepflegte Spaziergänge. Ihn zieren Eukalypten, die Riesen der australischen Flora, Phormium tenax oder der Neuseeländische Hanf, die Casuarina oder Pinie von Madagaskar, der Baobab mit überraschend dickem Stamme, ferner Averrhoa-, Breiapfelbäume und Vanillesträucher, während ihn Kanäle mit fließendem Wasser befeuchten. Der zweite, angelegt auf einem Hügel mit staffelförmigen Terrassen, über welche mehrere Bäche herabrieseln, war für die Acclimatisation der Bäume und Gewächse aus Europa bestimmt. Apfelbäume. Pfirsiche, Aprikosen-, Kirschen- und Birnbäume gedeihen hier ausgezeichnet und hatten der Kolonie schon sehr werthvolle Stöcklinge geliefert. Man cultivirte in diesem Garten auch den Weinstock, den Theestrauch und mancherlei andere ausländische Gewächse, unter denen Bougainville die »Laurea argentea« mit glänzenden Blättern besonders hervorhebt.

Am 9. Juni verließen die beiden Fahrzeuge die Rhede von St. Denis. Nachdem sie die Bänke de la Fortune und von Saya de Malfa umschifft, auf hoher See an den Seschellen vorübergekommen und dann zwischen den Atolls der Malediven – an jene kaum über das Wasser emporragenden, mit dichten Bäumen, aus denen einzelne Cocospalmen hervorragen, bedeckten Inseln – angelaufen waren, bekamen sie die Insel Ceylon und die Koromandelküste in Sicht und gingen vor Ponditscherry vor Anker.

Dieser Theil Indiens entspricht nun keineswegs der bestrickenden Vorstellung, welche sich die Europäer nach den dithyrambischen Schilderungen der Schriftsteller, die seine Wunder preisen, vielleicht gemacht haben.

Die Zahl der Wohnhäuser und öffentlichen Bauwerke von Ponditscherry ist sehr gering, und wenn man die Pagoden besichtigt, die vielleicht das größte Interesse erwecken, und die »Dampfkessel« (das sind warme Quellen) besucht hat, [339] deren Nützlichkeit ihre einzige Empfehlung ist, so ergötzt man sich nur noch an den charakteristischen Scenen, die sich jeden Augenblick in der, in zwei bestimmt verschiedene Theile zerfallenden Stadt dem Blicke darbieten.

Dem einen Theil, der»Weißen Stadt«, mit zierlichen Häusern, aber verlassenen und stillen Straßen, dürfte wohl Jeder die »Schwarze Stadt« mit ihren Bazars, Jongleurs, den massiven Pagoden und den anziehenden Tänzen der Bajaderen vorziehen.

»Die indische Bevölkerung der Koromandelküste, heißt es in dem Berichte, zerfällt in zwei Classen, die »Rechte Hand« und die »Linke Hand«. Diese Theilung schreibt sich von der Zeit der Regierung eines Nabab her, unter der das Volk sich empörte; alle Diejenigen, welche dem Fürsten treu blieben, wurden durch den Namen die Rechte Hand ausgezeichnet, während die Anderen die Linke Hand genannt wurden.

Diese beiden großen Vereinigungen, welche die Bevölkerung in zwei fast gleich zahlreiche Abtheilungen scheiden, stehen sich wegen der Rangstellung und den Vorrechten, die der Ersteren als Freunden des Fürsten zuertheilt worden waren, stets feindlich gegenüber. Die Ersteren sind indeß im Besitze der Aemter geblieben, während sich die Anderen mit dem Handel und den Gewerben beschäftigen. Um unter denselben aber Frieden zu erhalten, hat man ihnen ihre früheren Processionen und Ceremonien untersagen müssen...

Die Rechte und die Linke Hand zerfallen dann selbst wieder in achtzehn Kasten oder Stände voller Prätensionen und Voreingenommenheiten, welche auch schon die Jahrhunderte lange Berührung mit Europäern nicht abzuschwächen vermochte. Dadurch entsteht ein so gespanntes Verhältniß, daß blutige Zusammenstöße nicht ausbleiben könnten, wenn die Hindus nicht Entsetzen vor Blut hätten und ihr Charakter sie nicht von Gewaltthätigkeiten abhielt.

Diese Milde der Sitten und die fortwährende gegenseitige Eifersucht allein vermögen die merkwürdige Erscheinung zu erklären, daß sich über fünfzig Millionen Menschen unter das Joch von fünfundzwanzig-bis dreißigtausend Ausländern beugen ließen.«

Die »Thetis« und die»Espérance« segelten am 30. Juli von der Rhede von Ponditscherry aus über den Golf von Bengalen und liefen die Nikobaren und Poulo-Penang an, einen Freihafen, in dem gleichzeitig dreihundert Schiffe lagen. Dann begaben sie sich nach der Straße von Malakka und hielten vom 24. bis 26. August in diesem holländischen Hafen an, um einige Beschädigungen [340] der »Espérance« so auszubessern, daß diese wenigstens bis Manilla See halten konnte. Die Beziehungen zu dem Residenten und den Einwohnern gestalteten sich sehr freundlich und erhielten durch verschiedene, theils zu Lande, theils auf der »Thetis« zu Ehren der Könige von Frankreich und der Niederlande veranstaltete Feste unzweifelhaften Ausdruck.

Die Holländer waren übrigens schon darauf vorbereitet, diese Niederlassung den Engländern abzutreten, was kurze Zeit darauf wirklich geschah. In Bezug auf die Fruchtbarkeit des Bodens, der Annehmlichkeit der Lage und die Leichtigkeit der Beschaffung der verschiedensten Bedürfnisse übertrifft übrigens Malakka viele seiner Rivalen beiweitem.

Bougainville verließ diese Rhede am 26. August und hatte während der weiteren Fahrt durch die Meerenge von widrigen Winden, Windstillen und Gewittern nicht wenig zu leiden. Gerade diese Gegenden werden von malayischen Seeräubern vorzüglich heimgesucht. Obwohl die Division stark genug war, um keinen Feind fürchten zu müssen, so stellte der Befehlshaber doch Schildwachen aus und traf alle nothwendigen Maßregeln, um gegen einen Ueberfall gesichert zu sein. Hier sieht man sonst nicht selten mehrere jener, mit gegen hundert Mann besetzten Proas, und so manches Handelsschiff ist schon von den unverbesserlichen Piraten geraubt worden.

Die Division bemerkte während der Fahrt aber nichts Verdächtiges und segelte unbehelligt nach Singapore.

Die Bevölkerung dieser Stadt zeigt eine eigenthümliche Mischung. Hier trifft man Europäer, in deren Händen sich vorzüglich der Handel befindet, aber auch armenische und arabische Kaufleute; Chinesen, welche sich meist mit Landbau beschäftigen, doch zuweilen auch Handwerke betreiben, um die Bedürfnisse der Einwohnerschaft zu befriedigen. Die in diese aufblühende Civilisation gleichsam verschlagenen Malayen leben entweder als niedere Diener, oder bleiben bei ihrer Indolenz und ihrem Elend völlig verborgen. Die wegen Verbrechen aus ihrem Vaterlande vertriebenen und verbannten Hindus betreiben jene unaussprechlichen Gewerbe, welche die Hefe des Volkes in allen großen Städten gerade noch vor dem Hungertode bewahren.

Erst 1819 hatten die Engländer von dem malayischen Sultan von Djohor die Berechtigung erkauft, sich in der Stadt Singapore niederzulassen. Der kleine Flecken, in dem sie sich damals festsetzten, zählte kaum hundertfünfzig Seelen; bald erhob sich aber, Dank dem rastlosen Eifer Sir Stamfard Rafleߣs, eine[341] Stadt an Stelle der bescheidenen Hütten der früheren Bewohner; durch eine weise Verwaltung, Aufhebung aller Zölle und die Vortheile der Lage an einem geräumigen sicheren Hafen vollzog sich schnell eine an's Wunderbare grenzende Umwandlung aller Verhältnisse.

Die Garnison hier betrug nur dreihundert Sipahis und dreißig Artilleristen; Festungswerke waren noch nicht angelegt, und das ganze Artilleriematerial beschränkte sich auf eine Batterie von zwanzig Festungs- und ebensoviel bronzenen Feldkanonen.

Singapore bildete im Grunde nur eine große Waarenniederlage. Madras lieferte hierher Baumwollengewebe, Calcutta das Opium, Sumatra den Pfeffer, Java Arak und Gewürze, Manilla Zucker und Arak, und alle genannten Waaren werden von diesem Platze aus nach Europa, China, Siam u. s. w. versendet.

Oeffentliche Gebäude finden sich keine. Es giebt weder städtische Magazine, noch Docks, Werfte oder Kasernen; doch existirte eine kleine Kirche für die bekehrten Eingebornen.

Am 2. September nahm die Division ihren Weg wieder auf und erreichte ohne Unfall den Hafen von Cavite. Der Commandant der»Espérance«, du Camper, der bei einem mehrjährigen Aufenthalte in Luzon die hervorragendsten Einwohner kennen gelernt hatte, erhielt den Auftrag, sich nach Manilla zu begeben, um den Gouverneur von der Ankunft der Fregatte und dem Grunde ihres Einlaufens in den Hafen Mittheilung zu machen, und gleichzeitig sich auch zu unterrichten, welchen Empfang die Franzosen hier zu erwarten haben dürften.

Die neuerliche Intervention der letzteren in Spanien nämlich versetzte diese dem Gouverneur gegenüber in eine etwas delicate Lage. Don Juan Antonio Martinez war ja durch die Regierung der Cortes, welche die Franzosen gestürzt hatten, auf seinen Posten berufen worden.

Die Befürchtungen des Commandanten bestätigten sich indessen nicht, und er fand bei den spanischen Behörden sowohl freundliche Aufnahme als die größte Bereitwilligkeit, ihm behilflich zu sein.

Die Bai von Cavite, wo die Schiffe Anker geworfen hatten, wird tagtäglich mehr von Schlamm aufgefüllt, bildete aber doch den wichtigsten Hafen der Philippinen. Die Spanier besaßen hier ein gut ausgerüstetes Fort, in welchem Indier aus der Nähe arbeiteten, die freilich ebenso geschickt und intelligent wie träge waren.

[342] Während nun die »Thetis« im Innern frisch bekleidet und die »Espérance« verschiedentlich ausgebessert wurde, überwachten mehrere Beamte und Officiere die Nahrungsmittel und die Herstellung des neuen Tauwerkes.

Das letztere wurde aus »Abaka«, das sind Fasern der Banane, die man gewöhnlich als »Manilla-Hanf« bezeichnet, angefertigt; es bewährte sich jedoch, trotz der großen Elasticität, die man ihm allgemein zuschreibt, an Bord der Schiffe nicht eben besonders gut.

Der Aufenthalt in diesem Hafen wurde leider durch Erdbeben recht bedauerlich gestört; auch verheerten Manilla einige Typhons. Am 24. October fand ein so heftiges Erdbeben statt, daß der Gouverneur, die Truppen und ein Theil der Einwohner eiligst aus der Stadt entfliehen mußten. Der Schaden durch dasselbe wurde auf drei Millionen Francs geschätzt; eine Menge Häuser stürzten zusammen, acht Personen wurden unter den Trümmern begraben und sehr viele andere trugen Verletzungen davon.

Kaum begann die Bevölkerung sich ein wenig zu beruhigen, als ein entsetzlicher Typhon dem Unheil die Krone aufsetzte. Dieser hielt nur während eines Theiles der Nacht zum 31. October an, und bei Sonnenaufgang des nächsten Tages hätte man glauben können, nur einen bösen Traum gehabt zu haben, wenn nicht der Anblick der verwüsteten Felder, das beklagenswerthe Bild, welches die Rhede mit sechs auf die Küste geworfenen und vielen anderen, fast vollständig zerstörten Fahrzeugen darbot, dafür zeugten, daß das Unglück leider auf Wahrheit beruhte. Rings um die Stadt war das Land arg mitgenommen, die Ernte verloren, selbst die stärksten Bäume waren entwurzelt und die Dörfer zerstört. In der That ein erschütterndes Schauspiel!

Auf der »Espérance« hatte der Sturm den Großmast und den Besan einige Fuß über dem Deck weggebrochen und die Schanzkleidung weggeführt. Die »Thetis« entging dem entsetzlichen Orkan glücklicher und trug ernsthafte Beschädigungen nicht davon. Die Trägheit der Arbeiter und die Menge von Festtagen, während denen dieselben feiern, bestimmten Bougainville, sich einstweilen von seinem Begleitschiffe zu trennen und am 12. December nach Cochinchina abzusegeln.

Bevor wir den Franzosen aber nach jenen selten besuchten Ländern folgen, wollen wir mit ihnen Manilla und dessen Umgebungen ein wenig durchstreifen.


Indier von Ponditscherry. (S. 340.)

Die Bai von Manilla ist ohne Zweifel eine der schönsten und geräumigsten der Welt, in der ganze Flotten Platz finden würden; ihre beiden Zugänge sind noch nicht befestigt, weshalb es im Jahre 1798 zwei englischen Fregatten möglich wurde, in diese einzudringen und unter den Kanonen der Stadt mehrere Schiffe zu rauben.


Strom San Matheo, Insel Luzon. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Den Horizont schließt eine Bergkette ab, die im Süden mit dem Taal, einem jetzt nahezu erloschenen Vulcan, endet, dessen Eruptionen früher wiederholt Unglück angerichtet haben. In der Ebene mit üppigen [343] Reisfeldern beleben hübsche Weiler oder einzelne Häuser die Landschaft. Dem Haupteingange der Bai gegenüber erhebt sich die Stadt, welche gegen einhundertsechszigtausend Einwohner zählt, mit ihrem Leuchtthurm und den weitgestreckten Vorstädten. [344] An derselben vorbei fließt der Passig, ein aus dem Baisee entspringender Strom, und diese ausnahmsweise Lage sichert ihr Vorzüge, um welche sie manche Hauptstadt beneiden dürfte.

Die Garnison betrug zu jener Zeit, die Milizen ungerechnet, zweitausend Mann. Neben der fortwährend durch einige Schiffe vertretenen Kriegsmarine des Staates war auch eine eigene Kolonialmarine organisirt worden, die man, entweder wegen der Kleinheit der Fahrzeuge oder wegen deren Schnelligkeit, mit[345] dem Namen »Sutil« bezeichnete. Diese Seemacht, in der die Besetzung aller Officiersgrade dem General-Gouverneur überlassen war, bestand aus Goëletten und Kanonenschaluppen zur Vertheidigung der Küsten und Handelsschiffe gegen die Piraten der Sulu-Inseln. Obwohl diese Einrichtung ziemlich viel kostete, kann man doch nicht sagen, daß sie etwas Besonderes geleistet hätte. Bougainville belegt das mit einem sehr schlagenden Beispiele: Als die Suluaner im Jahre 1828 dreitausend Bewohner von den Küsten Luzons geraubt hatten, wurde ein Zug gegen sie ausgerüstet, der einhundertvierzigtausend Piaster Unkosten verursachte, um jenen – sechs Mann zu tödten!

Auf den Philippinen herrschte zur Zeit des Aufenthaltes der »Thetis« und »Espérance« eine gewisse Gährung, und der Rückschlag der Ereignisse, welche die Hauptstadt mit Blut befleckt hatten, machte sich hier sehr bedauerlich fühlbar. Die Niedermetzlung der Weißen durch die Indier am 20. December 1820, die Erhebung eines Regiments und die Ermordung eines früheren Gouverneurs, de Folgueras, 1824, waren die ersten Stöße, welche die Herrschaft Spaniens erschütterten. Die Mestizen, die im Verein mit den Tagals die reichste und fleißigste Volksclasse und die wirklich eingeborne Bevölkerung darstellen, machten damals den Behörden manche Sorge, denn es war bekannt, daß sie darauf ausgingen, Alles zu vertreiben, was nicht von den Philippinen selbst herstammte. Sie befehligten die einzelnen Regimenter und hatten die meisten öffentlichen Aemter inne, mit einem Worte, sie besaßen einen weitgehenden Einfluß und es lag die Befürchtung nahe, daß man jetzt vielleicht am Vorabend einer jener Revolutionen stehe, welche Spanien schon seiner schönsten Kolonien beraubt haben.

Die Fahrt der »Thetis« nach Macao wurde durch steife Böen, widrige Winde und eine desto fühlbarere kalte Temperatur erschwert, weil die Seefahrer mehrere Monate lang sich unausgesetzt in einer Wärme von 27 Grad befunden hatten. Kaum griff der Anker in den Grund des Cantonflusses ein, als auch schon eine große Anzahl einheimischer Fahrzeuge die Fregatte umringte, um Gemüse, Fische, Orangen und eine Menge der früher so seltenen, heutzutage zwar weitverbreiteten, aber immer noch ziemlich kostbaren Kleinigkeiten anzubieten.

»Die zwischen dürren Hügeln eingezwängte Stadt Macao, sagt der Bericht, macht sich schon aus weiter Ferne durch die glänzende Weiße ihrer Häuser bemerkbar. Sie liegt mit der Front nach Osten, und die am Strande errichteten eleganten Häuser folgen genau den Conturen des Ufers. Es ist dies das vornehme Quartier der Stadt, welches die Fremden bewohnen; hinter demselben [346] steigt das Land steil empor: neben anderen Gebäuden zeichnen sich zwei Klöster durch ihre reiche Architektur aus, und alles das ist von den crenelirten Mauern des Forts umschlossen, auf denen die weiße Kriegsflagge Portugals weht. Im Norden und Süden der Stadt reichen die in drei Etagen angelegten Batterien bis zum Meere herab, und nahe vor der ersten erhebt sich eine Kirche, deren Porticus und äußere Decorationen einen geradezu bezaubernden Eindruck machen. Mehrere Sampanen, Dschonken und Fischerboote am Strande beleben das Bild, dessen Rahmen freundlicher erscheinen würde, wenn die Hügel rings um die Stadt nur nicht gar so kahl wären.«

Durch die günstige Lage für den Zwischenhandel Chinas mit der übrigen Welt erfreute sich Macao, eines der Ueberbleibsel des portugiesischen Kolonialbesitzes, lange Zeit des besten Gedeihens. Im Jahre 1825 war das nicht mehr der Fall, und die Stadt erhielt sich eigentlich nur noch durch den Schmuggelhandel mit Opium.

Die »Thetis« hielt sich in Macao allein zu dem Zwecke auf, Missionäre auszuschiffen und die französische Flagge zu zeigen.

Bougainville verließ die Stadt also schon am 8. Januar 1825 wieder.

Bis zur Bai von Tourane verlief die Weiterreise ohne jeden bemerkenswerthen Zwischenfall. Als Bougainville aber hier anlangte, hörte er, daß der französische Agent Chaigneau von Huë nach Saïgon gereist sei, um ein Barkschiff nach Singapore zu miethen. Der Commandant wußte nun nicht, an wen er sich wenden sollte, und er befürchtete schon, da die einzige Person, welche seine Absichten befördern konnte, abwesend war, einen totalen Mißerfolg seiner Mission. Er sandte in Folge dessen eiligst einen Brief an den Agenten, in dem er diesem den Zweck seines Erscheinens mittheilte und ihn ersuchte, sich in Begleitung einiger Officiere möglichst bald wieder in der Hauptstadt Huë einzufinden. Die Zeit bis zum Eintreffen einer Antwort benutzten die Franzosen zu einer eingehenden Untersuchung der Bai und ihrer Umgebungen, sowie der berühmten Marmorfelsen, welche alle Reisenden aufsuchen.

Einzelne Schriftsteller, und vorzüglich Horsburgh, nennen die Bai von Tourane eine der schönsten und geräumigsten der ganzen Erde. Bougainville ist anderer Meinung und erklärt nur einen sehr kleinen Theil derselben für sicher. Das Dorf Tourane liegt am Ufer des Meeres, nahe dem Eingange des Kanals von Faye-Foë, an dessen Ufer sich ein von französischen Ingenieuren erbautes Fort mit Glacis, Bastionen und trockenen Gräben erhebt.

[347] Die als alte Verbündete betrachteten Franzosen wurden stets wohlwollend und ohne Mißtrauen aufgenommen. Nicht so die Engländer, denen man verbot, an's Land zu gehen, während die Mannschaft der »Thetis« Erlaubniß zur Jagd und zum Fischfang erhielt, auch ungehindert sich überall hin begeben konnte, um Lebensmittel zu erlangen. Dank der ihnen gestatteten Freiheit, durchstreiften die Officiere das Land und machten recht interessante Beobachtungen. Einer von ihnen, de la Touanne, entwirft von den Eingebornen folgendes Bild:

»Ihr Wuchs ist eher unter als über mittel, und nach dieser Seite stehen sie etwa auf derselben Stufe, wie die Chinesen in Macao. Ihre Haut ist gelblichbraun und das Gesicht flach und rund, die Physiognomie ohne Ausdruck und ihre dunklen Augen erscheinen nicht so geschlitzt wie die der Chinesen. Sie haben eine breite Nase, einen großen Mund und wulstige Lippen, welche um so häßlicher aussehen, als sie durch die Gewohnheit der Männer wie der Frauen, mit Betel und Kalk gemischten Arek zu kauen, stets unreinlich und geschwärzt erscheinen. Die den Männern an Größe gleichkommenden Frauen bieten kein angenehmes Aeußere und die widerwärtige Unreinlichkeit beider Geschlechter raubt ihnen auch noch jeden Reiz.«

Das Elend der Bewohner fällt umsomehr auf, als sich das Land durch große Fruchtbarkeit auszeichnet, ein Contrast, der den Egoismus und die Sorglosigkeit der Regierung ebenso, wie die unersättliche Habgier der Mandarinen deutlich erkennen läßt.

Wenn die Felder Mais, süße Pataten, Manioc, Tabak und Reis liefern und ihr Aussehen für die sorgfältige Bearbeitung derselben spricht, so tummeln sich im Meere unzählige Fische und bergen die Wälder eine große Anzahl von Vögeln, Tigern, Rhinocerossen, Büffeln und Elephanten, ebenso wie Affen, die man überall in vielköpfigen Heerden antrifft. Vier Fuß hoch, mit dunklem Gesicht, perlgrauem Leibe, schwarzen Schenkeln und rothen Beinen, haben sie außerdem eine Art rothes Halsband und einen weißen Gürtel, was ihnen gerade das Aussehen verleiht, als wären sie bekleidet. Ihre Muskelkraft ist außerordentlich groß und sie springen von Zweig zu Zweig auf kaum glaubliche Entfernungen hin. Man kann kaum etwas Possirlicheres sehen, als ein Dutzend dieser Burschen, wenn sie, auf den Bäumen sitzend, Grimassen schneiden oder schier unmögliche Verrenkungen ausführen.

»Als ich mich einmal allein am Waldessaume befand, sagt Bougainville, verwundete ich einen derselben, der die Nase in die Sonnenstrahlen herausgesteckt [348] hatte. Er faßte sich mit beiden Händen nach dem Gesicht und fing so jämmerlich an zu heulen, daß ihn bald dreißig Kameraden umringten. Ich beeilte mich, die Flinte wieder zu laden, da ich nicht wissen konnte, wie die Sache ablief, denn es giebt derartige Thiere, welche auch vor einem Angriffe auf den Menschen nicht zurückschrecken; die Gesellschaft nahm jedoch den Verwundeten in die Mitte und verschwand im tiefen Walde.«

Ein anderer Ausflug galt den Marmorfelsen des Flusses Faye-Foë; hier fanden sich sehr merkwürdige Höhlen; in einer derselben sieht man eine Säule von der Decke herabhängen, deren Fuß ganz frei über dem Boden schwebt. Stalaktiten gab es in der Höhle nicht, doch rauscht in ihrem Hintergrunde ein Wasserfall herab.

Etwas weiter hin unter freiem Himmel, besuchten die Franzosen die Ruinen eines alten Bauwerkes in der Nähe einer Grotte mit einem Götzenbilde. Von einer Ecke derselben lief ein Seitengang aus, dem Bougainville folgte und der ihn nach einer »ungeheuren Rotunde mit Oberlicht führte, welche eine mindestens sechzig Fuß hohe Bogenwölbung abschloß. Stelle man sich verschiedenfarbige Marmorsäulen vor, von denen einige freilich aus Bronze zu bestehen scheinen, weil Zeit und Feuchtigkeit einen grünlichen Ueberzug auf denselben hervorgebracht haben, Lianen, welche durch die Giebelsteine gewachsen sind und, die einen bündelförmig, die anderen als einzelne Seile herabhängen, als sollten Kronleuchter daran befestigt werden; ferner Gruppen von Stalaktiten über unseren Köpfen, welche riesigen Orgelpfeifen ähnlich erscheinen; ältere, verstümmelte Statuen, häßliche, aus Stein gemeißelte Ungeheuer; endlich eine große Pagode, welche freilich nur einen sehr kleinen Theil des gewaltigen Raumes einnimmt, dann denke man sich alle diese Gegenstände in einem Rahmen vereinigt und von unbestimmtem, zitterndem Lichte erhellt, so wird man annähernd eine Vorstellung von dem Eindruck gewinnen, den wir an dieser Stelle erhielten.«

Am 25. Januar 1825 gesellte sich die »Espérance« wieder zu der Fregatte. Zwei Tage später erschienen zwei Gesandte des Hofes von Huë, welche von Bougainville den Brief, den dieser mitbrachte, verlangten. Da der Befehlshaber aber Auftrag hatte, jenen nur dem Kaiser selbst zu überreichen, so führte dies ziemlich lange und recht kindische Verhandlungen herbei.

Die ceremoniösen Förmlichkeiten, welche die cochinchinesischen Gesandten beobachteten, erinnerten Bougainville an die Erzählung von jenem Gesandten und dem Gouverneur von Java, welche, um sich an äußerer Würde und diplomatischer [349] Gewandtheit zu überbieten, vierundzwanzig Stunden beisammen blieben und dann schieden, ohne daß Einer von ihnen nur das Wort genommen hätte. Der Commandant gehörte nun zwar nicht zu den besonders langmüthigen Leuten, er konnte aber die nachgesuchte Audienz auf keine Weise erhalten, und die ganze Sache lief zuletzt auf einen Austausch von Geschenken hinaus, der keinen Theil irgendwie verpflichtete.

Erreicht wurde dabei nur das eine Resultat, daß der Kaiser die bestimmte Versicherung abgab, er werde stets mit Vergnügen französische Schiffe in seine Häfen einlaufen sehen, wenn dieselben die Gesetze des Landes beachteten.

Seit 1817 waren die Franzosen fast die einzigen gewesen, welche mit Cochinchina, Dank der Gegenwart ihrer Residenten in Huë, erträglich ausgekommen waren, und es hing eigentlich nur von ihnen ab, diese Ausnahmestellung, welche ihnen alte freundschaftliche Beziehungen zu der cochinchinesischen Regierung erworben hatten, fort und fort zu bewahren.

Die beiden Fahrzeuge verließen die Bai von Tourane am 17. Februar mit der Absicht, die Anambas-Inseln zu besuchen, die bisher noch nicht erforscht worden waren. Am 3. März kam dieser Archipel in Sicht, der aber seiner Gestalt nach keineswegs mit den auf der englischen Karte des chinesischen Meeres eingezeichneten Anambas übereinstimmte. Mit großer Befriedigung sah Bougainville vor seinen Augen eine Menge Inseln und Eilande auftauchen, welche für die Zeit der Moussons treffliche Ankerplätze bieten mußten.

Die beiden Schiffe segelten in die Mitte des Archipels ein, den sie hydrographisch aufnahmen. Während die Boote mit dieser Arbeit beschäftigt waren, näherten sich zwei zierlich gebaute Canots. Das eine derselben legte an der »Thetis« an, und ein Mann von etwa fünfzig Jahren, die Brust mit Narben bedeckt und die rechte Hand zweier Finger beraubt, stieg an Bord. Er war schon bis zum Zwischendeck hinabgekommen, als der Anblick der Waffenständer und der Kanonen ihn veranlaßte, eiligst nach seiner Pirogue zurückzukehren.

Am nächsten Tage kamen zwei andere, von wild aussehenden Malayen besetzte Canots herbei. Diese brachten Bananen, Cocosnüsse und Ananas, die sie gegen Schiffszwieback, ein Taschentuch und zwei kleine Beile eintauschten.

Es fanden noch wiederholte Zusammenkünfte mit den, mit Kris (das sind Malayendolche) und halblangen, eisernen zweischneidigen Lanzen bewaffneten Eingebornen statt, die im Grunde doch weiter nichts waren, als ehrlose Seeräuber.

[350] Obwohl die Franzosen nur einen Theil dieser Insel untersuchten, zeichnen sich die Informationen derselben doch durch ihre Neuheit vortheilhaft aus.

Die erste Bedingung für die Existenz einer zahlreichen Bevölkerung ist stets hinreichendes Wasser. Das giebt es hier aber sehr wenig. Die fruchtbare Erde bildet ebenfalls nur eine sehr dünne Lage, und die Berge sind alle durch enge Schluchten, nicht durch sanfte Abhänge von einander getrennt, so daß an einen Anbau derselben kaum zu denken ist. Mit einziger Ausnahme der Cocospalmen erreichen selbst die Bäume nur eine mittelmäßige Höhe. Nach Aussage der Eingebornen soll sich die Bevölkerung auf zweitausend Seelen belaufen, doch schien Bougainville auch diese Zahl zu hoch gegriffen.

Die günstige Lage der Inseln an den beiden Straßen der Schiffe, welche mit China Handel treiben, hätte dieselben schon längst der Aufmerksamkeit der Seefahrer empfehlen müssen. Jedenfalls trägt der Mangel an Allem, was Seeleute brauchen, die Schuld, daß man dieselben so gut wie unbeachtet gelassen hat.

Die geringe Zuvorkommenheit und das Mißtrauen, das Bougainville bei diesen Insulanern fand, der hohe Preis der Waaren und der Wechsel des Moussons in den Sundameeren bestimmten den Commandanten, die Erforschung dieses Archipels aufzugeben, um so schnell als möglich nach Java zu gelangen, das er seinen Instructionen gemäß anlaufen sollte.

Am 8. März lichteten beide Fahrzeuge die Anker, fuhren längs der Inseln Victory, Barren, Saddle und Camel hin, passirten die Gaspar-Straße, wozu sie nur zwei Stunden brauchten, während die Durchfahrt bei widrigen Winden zuweilen mehrere Tage in Anspruch nimmt, und trafen dann in Surabaya ein, wo sie die erste Nachricht von dem Tode Ludwig's XVIII. und der Thronbesteigung Karl's X. erhielten.

Da die Cholera, welche auf Java 1822 nicht weniger als zweimalhunderttausend Opfer gefordert hatte, noch immer wüthete, gebrauchte Bougainville die Vorsicht, seine Mannschaft, geschützt vor der Sonne, an Bord zu behalten, und untersagte ausdrücklich jeden Verkehr mit den mit Früchten beladenen Schiffen, da der Genuß dieser Früchte für Europäer, vorzüglich zu Anfang der Regenzeit, sehr gefährlich und schädlich ist. Trotz seiner weisen Vorsicht brach doch die Ruhr auf der »Thetis« aus und veranlaßte mehrere Todesfälle.

Die Stadt Surabaya liegt eine Stunde von der Mündung des Flusses, und man kann nach derselben nur auf kleinen, durch Seile gezogenen Fahrzeugen gelangen. Die Umgebung ist sehr belebt, und Alles zeugt für eine thätige und geschickte Bevölkerung.


Frauen aus der Bai von Tourane. (S. 348.)

[351] Frauen aus der Bai von Tourane. (S. 348.)


Da eine Expedition nach der Insel Celebes alle Mittel der Regierung erschöpft hatte und alle Magazine leer waren, mußten die Franzosen sich an chinesische Händler wenden, das heißt an die unverschämtesten Diebe, die man sich nur denken kann. Es giebt keine List. deren sie sich nicht bedienten, keine Art von Betrug, die sie nicht versuchten. So ließ der Aufenthalt bei Surabaya eigentlich bei Allen einen keineswegs angenehmen Eindruck zurück.

Dagegen konnten die Franzosen die Aufnahme seitens der Notablen der Kolonie und die Zuvorkommenheit aller Beamten nur loben.

[352] Nach Surabaya zu kommen, ohne den Sultan von Madura zu besuchen, dessen Gastfreundlichkeit einen Weltruf erlangt hat, wäre ebenso unmöglich, als in Paris zu sein, ohne Versailles und den Trianonpark gesehen zu haben.

Nach einem am Lande eingenommenen kräftigen Frühstück bestieg das Officiercorps der Schiffe mehrere vierspännige Kutschen. Die Straßen waren aber in so schlechtem Zustande und die Pferde so abgetrieben, daß man mehr wie einmal im Morast stecken geblieben wäre, wenn nicht viele, an den schlimmsten Stellen des Weges als Wachen aufgestellte Leute die Wagen weiter geschoben [353] hätten. Endlich kam man in Bacalan an, und die Kutschen hielten in dem dritten Hofe des Palastes daselbst, am Fuße einer Treppe, auf der der Erbprinz und der erste Minister die Reisenden erwarteten.


Einfahrt in die Bai von Sydney.

Der Fürst Adden Engrate gehörte zur berühmtesten Familie des Indischen Archipels. Er trug das Civilcostüm der javanischen Häuptlinge. Ein langer geblümter indischer Rock verhüllte fast die chinesischen Pantoffeln, ein weißes Vorhemd mit goldenen Knöpfen unter einer kurzen Weste aus braunem Tuch mit Diamantenknöpfen und ein um den Kopf geknüpftes Taschentuch, über das noch ein mit Visir versehener Helm emporragte, gaben dieser hohen Persönlichkeit fast das groteske Aussehen einer Carnevals-Amazone, wenn die Feinheit seines Benehmens und die Würde seiner Haltung nicht den halb lächerlichen Eindruck seiner Kleidung gemildert hätten.

Der Palast oder »Kraton« bestand aus einer Reihe mit Galerien versehener Gebäude, in denen Schirmdächer und Vorhänge eine erquickende, frische Temperatur erhielten. Kronleuchter, europäische Möbel von bestem Geschmack, Spiegel und Glasgefäße vollendeten den Schmuck der geräumigen Säle und Zimmer. Eine zusammenhängende, nach dem Garten zu liegende Wohnung, ohne Fenster nach der Hofseite, ist für die »Ratou« (Fürstin) und die Odalisken bestimmt.

Der Empfang hier war ein recht herzlicher und das nach europäischer Art servirte Frühstück ließ nichts zu wünschen übrig.

»Die Unterhaltung, sagt Bougainville, wurde englisch geführt und an Toasten fehlte es nicht, wobei der Fürst unsere Gesundheit mit Thee aus einer Flasche ausbrachte, den er ganz wie Madeira in ein Glas goß. Als geistliches Oberhaupt seiner Staaten befolgte er mit aller Strenge die Vorschriften des Korans, trank niemals Wein und brachte einen großen Theil seiner Zeit in der Moschee zu. Doch ist er daneben ein sehr guter Gesellschafter, und in seiner Unterhaltung bemerkt man nichts von der Engherzigkeit, die man bei einem so geregelten Leben voraussetzen könnte. Freilich verläuft dasselbe nicht ganz und gar unter Gebeten, und die Scenen, welche uns vorgeführt wurden, dürften eine ganz andere Anschauung über seine Sitten erwecken, wenn die Religion des Propheten ihren Anhängern nicht wirklich einen weiten Spielraum gestattete.«

Im Laufe des Nachmittags besuchte man die Remisen mit schönen Wagen, von denen einige, auf der Insel selbst gebaute, so ausgezeichnet gearbeitet sind, daß man sie von den importirten auf keine Weise zu unterscheiden vermag.

[354] Später wurde ein Bogenschießen veranstaltet. Bei der Rückkehr nach dem Palaste empfing die Gäste eine etwas melancholische Musik, dann und wann unterbrochen von dem Jauchzen und den grotesken Sprüngen des Hofnarren, der von seiner Gewandtheit und Geschmeidigkeit die besten Proben abzulegen suchte. Nach dem Tanze oder vielmehr der Ausführung graziöser Stellungen durch Bajaderen ging es zum Spiel, wonach Jeder die wohlverdiente Ruhe suchte. Am nächsten Tage gab es neue Spiele, neue Aufführungen aller Art. Zuerst war ein Kampf zwischen erwachsenen Männern und Kindern arrangirt; dann folgten Wachtelkämpfe und endlich Exercitien eines Elephanten und eines Kameels. Nach dem Frühstück unternahm man eine Spazierfahrt, darauf Bogenschießen, Sackhüpfen, Balancirübungen mit Körben u. s. w., und auf diese Weise vergehen alle Tage bei dem Sultan. Der Respect und die Ehrfurcht, die man dem Fürsten erwies, waren wirklich erstaunlich. Niemand bleibt in seiner Gegenwart stehen, sondern Jeder wirst sich zu Boden, bevor er mit ihm spricht. Man bedient ihn knieend, und es geht so weit, daß selbst sein vierjähriges Kind die Händchen faltet, wenn es mit ihm plaudert.

Bougainville benützte den Aufenthalt in Surabaya, um in den Bergen von Tengger den Vulcan Broumo zu besuchen. Dieser Ausflug, bei dem er auf eine Strecke von fast hundert Meilen durch die Insel kam, gehört zu den interessantesten von allen.

Surabaya enthält merkwürdige Bauten, meist das Werk eines früheren Gouverneurs, des Generals Dändels, unter anderen den Bauhof, das Münzhôtel, das einzige seiner Art in Java, und das Hospital mit vierhundert Lagerstätten auf einem recht gut gewählten Platze.

Die vor Surabaya gelegene Insel Madura, welche bei hundert Meilen Länge fünfzehn bis zwanzig Meilen Breite hat, erzeugt nicht genug, um ihre Bevölkerung zu ernähren, obwohl letztere nur dünn gesäet ist.

In die Herrschaft über diese Insel theilen sich der Sultan von Bacalan und der von Sumanap, welche den Holländern jährlich, abgesehen von außerordentlichen Aushebungen, sechshundert Mann Recruten stellen.

Seit dem 20. April hatten sich die ersten Symptome von Dysenterie gezeigt. Zwei Tage später gingen die Schiffe unter Segel. Sie brauchten sieben volle Tage, um die Meerenge von Madura zu passiren, fuhren dann an der Küste von Lombock hinauf und segelten durch die Allaß-Straße zwischen Lombock und Sumbava.

[355] Die erste dieser Inseln bietet vom Fuße der Berge bis zum Meere mit ihrem grünen Teppich, aus dem da und dort zierliche Baumgruppen emporragen, einen reizenden Anblick. An dieser Küste fehlt es nicht an guten Ankerplätzen, und Wasser nebst Holz findet sich in Menge.

Auf der anderen Seite erheben sich kahle Bergkuppen und ein hohes Gestade, zu dem eine Kette steiler und nicht anzulaufender Inseln jede Annäherung unmöglich macht; hier muß der Schiffer auch vor den Korallen im Grunde und vor trügerischen Strömungen auf der Hut sein.

Ein zweimaliger Aufenthalt bei den Dörfern Baly und Peejow zum Zwecke der Einnahme von Nahrungsmitteln gestattete den Officieren, diesen Theil der Küste hydrographisch aufzunehmen.

Nach der Ausfahrt aus der Meerenge suchte Bougainville vergeblich nach der Insel Cloates, was sehr erklärlich erscheint, da schon seit achtzig Jahren Schiffe über den Punkt, wo diese liegen sollte, hinweggefahren waren. Die Tyrals, jene Felsen, welche das Schiff »Fredensbörgs-Slot« im Jahre 1777 auffand, wären nach dem Kapitän King nichts Anderes als die Montebello-Inseln, auf welche die Beschreibung der dänischen Seefahrer vollkommen paßte.

Bougainville's Instructionen enthielten auch den Auftrag, die Umgebung des Schwanenflusses zu untersuchen, wo die französische Regierung einen Ort zu finden glaubte, um die unglücklichen Gefangenen aus den Bagnos dahin zu schaffen. England hatte aber seine Flagge auf dem Nuits- und Leuwin-Land, im Hafen Roi Georges, in der Bai des Geographen, dem kleinen Hafen Leschenaut und an dem Schwanenflusse gehißt. Die beabsichtigte Untersuchung wurde damit also gegenstandslos. So wie die Umstände lagen, mußte man von Anfang an auf dieselbe verzichten, schon wegen der Verzögerung der französischen Expedition, welche, statt im Monat April hier einzutreffen, erst gegen Mitte des Mai, das heißt mitten im Winter dieser Gegenden, daselbst ankam. In der That bietet die Küste hier keinerlei Schutz; sobald der Wind sich erhebt, entsteht ein furchtbarer Wellenschlag, und die Erinnerung an die Gefahren, welche die »Geographe« einst hier zu bestehen hatte, lebte noch zu frisch im Geiste der Franzosen.

Die schlechte Witterung begleitete die »Thetis« und »Espérance« bis nach Hobart-Town, das umfänglichste Etablissement der Engländer auf Van-Diemens-Land. Trotz des lebhaften Wunsches, den der Commandant hegte, hier anzulaufen, mußte er doch des Sturmes wegen darauf Verzicht leisten und bis Port Jackson hinaufsegeln.

[356] Den Eingang desselben bezeichnet ein schöner Leuchthurm aus Granit von sechzig Fuß Höhe, dessen mit Gas gespeiste Laterne bei klarem Wetter acht bis neun Meilen weit zu sehen war.

Der Gouverneur, Sir Thomas Brisbane, empfing die Expedition ungemein freundlich und traf sofort alle erforderlichen Maßregeln, um den nöthigen Proviant zu beschaffen. Es wurde dazu eine Submission veranstaltet, welche den erhofften Zweck nach Wunsch erfüllte.

Die Korvette mußte auf den Strand gesetzt werden, um die nöthigen Reparaturen am Rumpfe derselben vornehmen zu können; diese Arbeiten sowohl wie die geringfügigeren, welche die »Thetis« veranlaßte, nahmen nur wenig Zeit in Anspruch Uebrigens wurde der Aufenthalt von dem Officiercorps nach Kräften ausgenützt da sich dieses für die wunderbaren Fortschritte der Strafkolonie auf's höchste interessirte. Während Bougainville alle Werke, welche bisher über Neu- Süd-Galles erschienen waren, begierig studirte, durchstreiften die Officiere die Stadt und erstaunten sehr über die unzähligen Bauten, welche der Gouverneur Macquarie hat errichten lassen, wie Kasernen, das allgemeine Krankenhaus, Markthallen, Pflegeanstalten für Waisen, bejahrte Leute und Geistesschwache, das Gefängniß, Forts und der Regierungspalast, Springbrunnen, Stadtthore, endlich die »Ställe der Regierung«, welche Jedermann auf den ersten Anblick für deren eigenen Palast selbst halten könnte.

Das freundliche Bild verdüsterten freilich auch einzelne Schatten. Die breiten, geraden Straßen waren nicht gepflastert und in der Nacht recht unsicher, so daß mehrere Personen inmitten der großen Georges-Street, dies ist die bewohnteste Straße von Sydney, überfallen und beraubt werden konnten. Wenn das schon in den städtischen Straßen vorkam, so kann man sich denken, daß die Umgebungen noch weit unsicherer waren. Vagabundirende Sträflinge durchzogen in Banden von sogenannten »Bush-rangers« (Strauchdieben) die Landschaft, und hatten sich so sehr vermehrt, daß die Regierung einzig zum Zwecke ihrer Verfolgung eine Compagnie von fünfzig Dragonern errichten mußte.

Die französischen Officiere unternahmen auch mehrere interessante Ausflüge nach Parramatta am Ufer des Nepean, eines sehr eingeengten Flusses, wo sie die Domäne Regentville besichtigten; ferner nach den Ebenen von Emu, einem stattlichen Etablissement für Landbau und gleichzeitig Musterfarm, endlich besuchten sie auch das Theater, wo ihnen zu Ehren eine Festvorstellung gegeben wurde.

[357] Man weiß, wie gern im Allgemeinen die Seeleute ein Pferd besteigen. Auf solchen aber begaben sich die Franzosen nach den Ebenen von Emu. Die edlen, aus England eingeführten Thiere, waren auch hier nicht entartet und immer sehr lebhaft, wovon sich einer der jüngeren Officiere selbst überzeugen sollte. Sich an unseren Führer, Herrn Cox, wendend, sagte er zu diesem in gutem Englisch: »Ich liebe das Reiten sehr!« – da lag er auch schon, vom Pferd geworfen, im Grase und mußte das Lachen der Anderen noch in den Kauf nehmen, zumal da der geschickte Reiter ohne weiteren Schaden davon kam.

Jenseits der Culturen des genannten Herrn Cox erstreckt sich der Wald, der»Offene Wald«, wie die Engländer sagen, den man zu Pferde passiren kann, wo nichts den Weg versperrt, ein Wald aus Eukalypten und verschiedenen Akazienarten, nebst Casuarinen mit ihrem dunklen Laubwerke.

Am nächsten Tage unternahm man mit Booten eine Spazierfahrt auf dem Nepean, einem Zuflusse des Hawkesbury. Dieser Ausflug erwies sich für die Naturgeschichte als sehr fruchtbar. Bougainville bereicherte seine Sammlung mit Enten, Wasserhühnern, einer recht hübschen Species des Taucherkönigs, »Kingsfisher« genannt, und mit Kakadus. In den Wäldern vernahm man den unangenehmen Schrei des Leiervogels und zweier anderer Vögel, von denen einer das Klingen einer Schelle, der andere das Kreischen einer Säge zum Verwechseln nachahmt. Das sind jedoch nicht die einzigen Vögel, welche wegen der Eigenthümlichkeit ihrer Stimme die Aufmerksamkeit erregen; außer jenen ist noch der »Pfeifer«, der »Scheerenschleifer« und der »Kutscher« zu nennen, welch' letzterer das Knallen der Peitsche nachahmt, sowie der »Laughing jakaß«, der unaufhörlich lacht, so daß es einem zuletzt die Nerven erregt.

Sir John Cox beschenkte den Commandanten auch mit einem Paar Wassermaulwürfen, den sogenannten Ornithorynken. Die Lebensweise dieser merkwürdigen Amphibien war den europäischen Naturkundigen noch sehr wenig bekannt, und viele Museen besaßen überhaupt kein Exemplar derselben.

Ein fernerer Ausflug galt den Blauen Bergen, wo man das berühmte Königsplateau, »Kings-Table-Land«, besuchte, das eine prächtige Aussicht bietet. Nur mit großer Anstrengung gelangt man auf dasselbe hinauf, und plötzlich sieht man unter seinen Füßen sich einen Abgrund von sechzehnhundert Fuß Tiefe öffnen; es ist ein unendlicher Teppich mit saftigem Grün, der sich von diesem Punkte aus auf zwanzig Meilen hin ausbreitet; zur Linken und zur Rechten zeigte sich der Berg, wahrscheinlich durch ein Erdbeben, zerrissen, denn die [358] klaffenden Ränder paßten überall noch vollkommen zu einander; ganz in der Nähe stürzt sich ein Bergstrom herab, der in schäumenden Wasserfällen den Grund des Thales erreicht; es ist das der unter dem Namen »Aspley's Water-Fall« bekannte Katarakt. Ferner nahm man an einer Känguruhjagd in den Cow-Pastures mit Herrn Mac Arthur theil, einem der Männer, denen Neu-Süd-Galles sein Gedeihen vorzüglich verdankt.

Bougainville legte während seines Aufenthaltes in Sydney auch den Grundstein eines Denkmals zur Erinnerung an La Pérouse. Dasselbe wurde in Botany-Bai an derselben Stelle errichtet, wo sich das Lager des berühmten Seefahrers befunden hatte.

Am 21. September endlich gingen die »Thetis« und die »Espérance« unter Segel. Sie kamen in weiter Entfernung bei Pitcairn vorüber, ferner bei der Osterinsel und bei Juan Fernandez, jetzt einem Deportationsorte für chilenische Verbrecher, nachdem es ein halbes Jahrhundert lang im Besitze der Spanier gewesen war, die hier den Weinstock anpflanzten. Am 23. November ankerte die »Thetis«, welche bei einem dichten Nebel die»Espérance« verloren hatte, in Valparaiso, wo sie die Division des Admirals Rosamel antraf.

Auf der Rhede herrschte jetzt recht reges Leben; der damalige Dictator, General Ramon Freire y Serrano, den wir schon früher erwähnten, bereitete eben einen Kriegszug gegen die Insel Chiloe vor, die sich noch in spanischem Besitze befand.

Bougainville stimmt vollkommen mit dem russischen Reisenden Lütke darin überein, daß die Lage Valparaisos seinen Namen nicht im geringsten rechtfertigt. Die Straßen desselben sind schmutzig, eng und so steil, daß man darin nur schwierig fortkommt. Der einzige freundliche Theil ist die Vorstadt Almendral, welche, an Gärten und Weinberge gelehnt, ohne den entsetzlichen Staub, den der Wind hier zu jeder Jahreszeit aufwirbelt, noch angenehmer erscheinen würde. Im Jahre 1811 zählte Valparaiso nur vier- bis fünftausend Seelen; 1825 hatte sich diese Volkszahl verdreifacht und war noch immer in raschem Wachsthum begriffen.

Als die »Thetis« hier vor Anker lag, befand sich auch die englische Fregatte »La Blonde« daselbst, unter dem Befehle des Lord Byron, dem Enkel des Forschers, dessen Entdeckungen wir erzählt haben. Durch ein mindestens merkwürdiges Zusammentreffen hatte dieser eben auf der Insel Hawaï ein Denkmal zu Ehren Cook's gesetzt, als Bougainville, der Sohn des Erdumseglers, dem Byron in der Magellanstraße begegnete, in Neu-Süd-Galles den Grundstein zu dem Denkmale La Pérouse's legte.


Der Katarakt »Aspley's Water-Fall«. (S. 359.)

Bougainville benutzte die lange Zeit, welche die Einnahme von Proviant für die Division in Anspruch nahm, zu einem Ausflug nach Santiago. der dreißig Meilen landeinwärts gelegenen Hauptstadt Chilis.

Die Umgebungen dieser Stadt sind entsetzlich kahl, ohne Wohnstätten oder cultivirte Ländereien. Man be [359] merkt die Nähe der Stadt erst an den auftauchenden Glockenthürmen und glaubt noch in den Vorstädten zu sein, wenn man sich schon in der Mitte derselben befindet.


Haus im Hafen von Doreï (Neu-Guinea). [Facsimile. Alter Kupferstich.]

An öffentlichen Bauten fehlt es indessen nicht; zu erwähnen sind davon das Münzhôtel, die Universität, [360] der erzbischöfliche Palast, die Kathedrale, die Jesuitenkirche und das Schauspielhaus, letzteres freilich so schlecht beleuchtet, daß man darin das Gesicht der Zuschauer nicht erkennen kann. An Stelle der Alameda war jetzt die Cañada getreten, wo sich die seine Welt des Abends an den Ufern des Rio Mapocho versammelte. Nachdem man die Merkwürdigkeiten der Stadt erschöpft, wandte man sich den Umgebungen zu und besuchte den Salto de agua, einen Wasserfall von zweihundert [361] Toisen Höhe, nach dem man nur schwierig hinausgelangt, und den Cerito de Santa Lucia, auf dem sich ein kleines Fort, das einzige Vertheidigungswerk der Stadt, erhebt.

Die Jahreszeit schritt voran, und man hatte keine Zeit mehr zu verlieren, um nicht die für die Umschiffung des Cap Horn günstigere Zeit verstreichen zu lassen. Am 8. Januar 1826 stachen die beiden Fahrzeuge denn wieder in See. Sie doublirten das Cap ohne Unfall, konnten wegen fortwährender Nebel und heftiger Gegenwinde an den Malouinen nicht landen und warfen am 28. März auf der Rhede von Rio de Janeiro Anker.

Hier lagen die Verhältnisse besonders günstig, um den Franzosen zu gestatten, die ganze Stadt und den Hof gründlich kennen zu lernen.

»Der Kaiser, sagt Bougainville, war bei unserer Ankunft noch auf einer Reise, und dessen Rückkehr gab zu Festen und Gelagen Veranlassung, welche die ganze Bewohnerschaft in Bewegung setzten, weil sie für eine kurze Zeit die Eintönigkeit, welche sonst in dieser, für Fremde geradezu langweiligen Stadt herrscht, glücklich unterbrachen. Die Umgebungen derselben sind jedoch entzückend, und der ungeheure Hafen, das Rendezvous aller auf dem Atlantischen Ocean handeltreibenden Nationen, bietet ein ungemein belebtes Bild; jeden Augenblick laufen hier Schiffe aus oder ein, kreuzen sich die Boote, oder donnern die Kanonen der salutirenden Kriegsschiffe oder die der darauf antwortenden Festungswerke, wenn diese nicht wegen eines Jahrestages oder bei Gelegenheit des Festes irgend eines Heiligen abgefeuert werden; endlich tauschen die Officiere der fremden Marinen Höflichkeiten gegeneinander aus, indem sie entweder sich gegenseitig, oder die diplomatischen Vertreter beim Hofe von Rio de Janeiro besuchen.«

Am 11. April segelte die Division wieder ab und lief am 24. Juni 1826 in Brest ein, ohne von Rio de Janeiro aus irgendwo noch einmal gehalten zu haben. Wenn Bougainville während dieser Reise auch keine neue wichtige Entdeckung machte, so muß man sich dabei seiner Instructionen erinnern, welche ihm nur vorschrieben, die französische Flagge an denjenigen weit entfernten Plätzen zu zeigen, wo sie bisher nur selten gesehen worden war.

Man verdankt diesem Officier dennoch viele interessante und zum Theil neue Aufschlüsse über die von ihm besuchten Länder. Verschiedene von der Division ausgeführte Arbeiten versprachen späteren Seefahrern wichtige Dienste zu leisten, und man muß anerkennen, daß der hydrographische Theil – die einzige Wissenschaft, welche man aus Mangel an Specialgelehrten zu pflegen im [362] Stande war – zahlreiche und verläßliche Ergebnisse lieferte. Man kann mit dem Commandanten der »Thetis« nur übereinstimmen, wenn er in seiner Vorrede bedauert, daß die Regierung und die Akademie der Wissenschaften es nicht für angezeigt hielten, diese Fahrt zu benützen, um neue Erfahrungen aller Art zu sammeln, welche die reichen Schätze der von Bougainvilles Vorgängern gesammelten Aufschlüsse gewiß noch vermehrt hätten.

Die Expedition, mit der der Kapitän Dumont d'Urville betraut wurde, sah der Marineminister nur für ein Mittel an, die beträchtliche Menge wissenschaftlicher Ausbeute, welche Kapitän Duperrey von 1822 bis 1824 gesammelt hatte, zu vervollständigen.

Kein Officier eignete sich hierzu mehr als Dumont d'Urville, der als zweiter Officier Duperreys gedient und auch den Plan zu dieser Fahrt bis in alle Einzelheiten ausgearbeitet hatte. Die Theile Oceaniens, welche er erforschen wollte, weil sie seiner Meinung nach die Aufmerksamkeit des Geographen und Reisenden vor Allem verdienten, waren Neu-Seeland, die Fidschi-Inseln, der Loyalty-Archipel, Neu-Britannien und Neu-Guinea.

Wir werden, wenn wir dem Reisenden Schritt für Schritt folgen, sehen, wie weit er diese Aufgabe vollendete.

An diese Expedition knüpfte sich auch noch ein Interesse anderer Art; doch lassen wir lieber die dem Seefahrer eingehändigte Instruction selbst sprechen.

»Ein amerikanischer Kapitän, heißt es darin, will in den Händen von Eingebornen einer Insel zwischen Neu-Caledonien und den Luisiaden ein Ludwigs-Kreuz und Medaillen gesehen haben, welche von dem Schiffbruche des berühmten Seefahrers La Pérouse herrühren könnten, dessen Verlust so schmerzlich bedauert wurde. Es ist freilich nur sehr geringe Hoffnung vorhanden, daß die Opfer jenes Unfalles daselbst noch lebten; doch würden Sie Seiner Majestät ein großes Vergnügen bereiten, wenn es Ihnen gelingen sollte, nach so vielen Jahren des Elends und der Verbannung einen der unglücklichen Schiffbrüchigen seinem Vaterlande wieder zuzuführen.«

Das der Expedition gesteckte Ziel war also ein vielfaches; der Zufall begünstigte sie aber in dem Maße, daß es gelang, fast alle erwarteten Resultate zu erreichen.

Im Monat December 1825 erhielt Dumont d'Urville seinen Commandobrief und wurde ermächtigt, alle Personen, die ihn begleiten sollten, selbst auszuwählen. Zu seinem zweiten Officier ernannte er Jacquinot und wählte als [363] wissenschaftliche Mitarbeiter Quoy und Gaimard, welche die Fahrt der »Uranie« mitgemacht hatten, und als Arzt Primevère Lesson.

Als Fahrzeug sachte er sich die »Coquille« aus, deren vortreffliche Eigenschaften er ja bereits kannte; er gab ihr nur zur Erinnerung an La Pérouse den Namen »Astrolabe« und schiffte auf derselben achtzig Mann Besatzung ein. Am 25. April 1826 wurden die Anker gelichtet und bald hatte man die Berge von Toulon und die Küsten Frankreichs aus den Augen verloren.

Nach kurzem Aufenthalte in Gibraltar hielt die »Astrolabe« bei Teneriffa an, um vor der Ueberfahrt über den Atlantischen Ocean einige frische Lebensmittel einzunehmen. Der Commandant benützte diese Station, um den Pic von Teyde zu besteigen. D'Urville, nebst Quoy, Gaimard und einigen Officieren, folgte einem ziemlich schlechten Wege durch die mit Schlacken bedeckte Landschaft.

Je mehr man sich aber Laguna nähert, desto anziehender wird die Scene. Diese ziemlich große Stadt hat nur eine geringe, indolente arme Einwohnerschaft.

Von Matanza bis Orotava findet sich eine herrliche Vegetation, und der Weinstock mit seinen grünen Reben verleiht dem reichen Bilde noch einen besonderen Reiz.

Orotava ist eine kleine Seestadt, deren Hafen nur sehr mangelhaften Schutz bietet; gut gebaut und angelegt, würde sie vielleicht angenehm zu nennen sein, wenn die steilen Abhänge in deren Straßen nicht den Verkehr zu sehr erschwerten.

Nach dreiviertelstündigem Steigen durch wohl angebaute Felder gelangt man in die Region der Kastanien. Jenseits der letzteren beginnen die Wolken und der Reisende schreitet, völlig durchnäßt von dem dichten Nebel, unter nicht besonders angenehmen Empfindungen dahin. Noch weiter oben fängt die Region des Heidekrautes an; über dieser klärt sich dann die Atmosphäre, die Pflanzen verschwinden gänzlich und der Boden wird mager und unfruchtbar. Hier findet man dann nur zersetzte Laven, Schlacken und Bimssteine in Menge, während ein ungeheures Wolkenmeer unter den Füßen des Wanderers wogt.

Bisher von den Wolken oder den hohen ihn umgebenden Bergen verdeckt, wird der Pic endlich sichtbar. Die Steigung ist jetzt nicht mehr so groß und man überschreitet ausgedehnte Ebenen von trostloser Traurigkeit, welche die Spanier ihrer Nacktheit wegen »Cañadas« genannt haben.

Um zu frühstücken, rastete man in der Piniengrotte, bevor man sich anschickte, die gewaltigen Basaltstücke zu erklimmen, welche, im Kreise angeordnet, die Umgebung des Kraters bilden, der heutzutage ziemlich von Asche ausgefüllt ist.

[364] Nun begiebt man sich nach dem eigentlichen Pic, nach dem eine Art Esplanade, deren Namen Estancia de los Ingleses ist, hinaufführt.

Hier verbrachten die Reisenden die Nacht, zwar nicht so gut wie in ihren Cabinen, doch ohne allzu viel von der sogenannten Bergkrankheit zu leiden, die anderen Reisenden so fühlbar zugesetzt hatte. Nur lieferten ihnen die Flöhe eine förmliche Schlacht, bei welcher der Commandant kein Auge zuzuthun vermochte.

Um vier Uhr Morgens brach man wieder auf und erreichte bald eine Esplanade, welche Alta Vista heißt. Von hier aus giebt es nun keinen Weg mehr und man muß unter großen Beschwerden bis nach dem Zuckerhute klettern, wobei man fortwährend an Schneemassen vorüberkommt, die, geschützt vor den Sonnenstrahlen, niemals zum Schmelzen kommen. Der Gipfel ist sehr steil und dessen Besteigung um so beschwerlicher, als die Bimssteine, auf die man tritt, immer abwärts rollen und das Fortkommen verhindern.

»Um sechs Uhr dreißig Minuten, sagt Dumont d'Urville, kamen wir auf den Gipfel des Zuckerhutes an. Es ist das offenbar ein halb geschlossener Krater mit dünnen, ausgeschweiften Wänden, dessen Tiefe sechszig bis achtzig Fuß beträgt und der außen mit Obsidiantrümmern, Bimssteinen und Lavablöcken bedeckt ist. Am Rande desselben dringen Schwefeldämpfe hervor und bilden sozusagen eine Rauchkrone, während der Grund völlig erkaltet erscheint. Auf dem Gipfel wies das Thermometer elf Grad; doch glaube ich, daß es dabei noch von den Dampfausströmungen beeinflußt wurde; denn im Grunde des Kraters zeigte es, nach neunzehn Grad in der Sonne, nur noch eine Temperatur von neuneinhalb Grad im Schatten.«

Das Herabsteigen ging auf einem anderen Wege ohne Unfall vor sich, wobei die Reisenden noch Cueva de la Nieve besichtigten und den Wald von Agua Garcia besuchen konnten, den ein klarer Bach durchströmt, und wo d'Urville viele Pflanzenexemplare sammelte.

In Santa Cruz sah der Commandant in dem Cabinet des Major Megliorini inmitten von Waffen, Muscheln, Thieren, Fischen und höchst verschiedenen Gegenständen auch eine complete Guanche-Mumie, welche die einer Frau sein sollte. Sie lag in genähte Felle eingehüllt und maß in der Länge etwa fünf Faß vier Zoll; die Hände waren groß, und die Gesichtszüge schienen ziemlich regelmäßig gewesen zu sein.

Die Gräberhöhlen der Guanchen enthielten Vasen aus Thon oder Holz, dreieckige Petschafte aus gebranntem Lehm und eine Menge Scheibchen aus [365] demselben Material, welche, in Form von Rosenkranzkugeln aufgereiht, dieser verschwundenen Race vielleicht zu demselben Zwecke gedient haben, wie die »Quipos« den Peruanern.

Am 21. Juni ging die »Astrolabe« wieder unter Segel und lief la Praya an den Inseln des Grünen Vorgebirges an, wo d'Urville den englischen Kapitän King zu treffen hoffte, von dem er wichtige Mittheilungen betreffs der Fahrt an den Küsten Neu-Guineas zu erhalten erwartete. Dieser hatte la Praya leider schon seit sechsunddreißig Stunden verlassen. Die »Astrolabe« nahm deshalb schon am folgenden Tage, dem 30. Juni, ihren Weg wieder auf.

Am letzten Juli kamen die Felseninseln Martin Vaz und Trinidad in Sicht. Die letztere schien vollkommen unfruchtbar zu sein, denn man gewahrte auf derselben nur ein sehr dürftiges Grün nebst einzelnen verkrüppelten Bäumen, welche in Felsenspalten wurzelten.

D'Urville hatte zwar lebhaft gewünscht, wenigstens einige botanische Nachforschungen auf der verlassenen Insel vorzunehmen; die Brandung an der Küste erwies sich aber als so heftig, daß er es nicht für gerathen hielt, ein Boot durch dieselbe zu entsenden.

Am 4. August segelte die »Astrolabe« über die Stelle, wo die Insel Saxembourg liegen sollte, die endlich von den französischen Seekarten verschwinden dürfte, wie es bezüglich der englischen schon lange geschehen war; später kam man, unter einer Reihe heftiger Windstöße, welche das Schiff beträchtlich anstrengten, in der Nähe der Inseln St. Paul und Amsterdam vorüber, und am 7. October ankerte das Fahrzeug im König Georgs-Hafen an der Küste von Australien.

Trotz des heftigen Seeganges und der fast ausnahmslos schlechten Witterung während der hundertacht Tage, welche die»Astrolabe« auf dem Meere zugebracht, unterließ d'Urville doch niemals seine gewohnte Beobachtung über die Wirkungen des Rollens des Schiffes, über die Höhe der Wellen an der Nadelbank, welche er zu achtzig bis hundert Fuß schätzte, und gleichzeitig über die Temperatur des Meerwassers in verschiedenen Tiefen.

Als Kapitän Jacquinot am rechten Ufer der engen Einfahrt zur Prinzessinnen-Bai einen schönen Wasserplatz, und unsern davon einen geeigneten Punkt zur Errichtung eines Observatoriums ausfindig gemacht hatte, schlugen die Segelmacher daselbst bald Zelte auf, während einige Officiere eine Rundfahrt um die ganze Bai unternahmen und andere mit einzelnen Urbewohnern Verbindungen anzuknüpfen suchten.

[366] Einer der letzteren ließ sich bestimmen, an Bord zu kommen. Man hatte alle mögliche Mühe, ihn zum Weglegen eines brennenden Banksiazweiges zu bewegen, den er zu tragen gewohnt war, um immer Feuer bei der Hand zu haben und sich den Leib und überhaupt die Vorderseite des Körpers damit zu erwärmen. Uebrigens verweilte er sehr ruhig zwei Tage lang an Bord und aß und trank seelenvergnügt vor dem Küchenherde. Seine am Lande zurückgebliebenen Landsleute bemühten sich unaufhörlich, ihre friedliche Gesinnung an den Tag zu legen, und scheuten sich sogar nicht, drei ihrer Kinder nach dem Lagerplatze mitzubringen.

Während des hiesigen Aufenthaltes erschien auch ein von acht Engländern besetztes Boot. Sie erzählten eine wenig glaubhafte Geschichte, wie sie hier zurückgelassen worden wären, welche den Befehlshaber auf den Gedanken brachte, daß die Leute wohl entlaufene Sträflinge sein möchten, eine Vermuthung, die sich durch die verdutzten Gesichter derselben zur Gewißheit erhob, als man ihnen vorschlug, sie nach Port Jackson zurückzubefördern. Am folgenden Tage trat jedoch einer derselben als Matrose ein, zwei andere meldeten sich als Passagiere; die fünf letzten zogen es jedoch vor, am Strande zu bleiben und die elende Existenz, die sie inmitten der Wilden hatten, fortzuführen.

Inzwischen wurden die hydrographischen und astronomischen Beobachtungen fortgesetzt, während die Jäger und die Naturforscher sich bemühten, neue Pflanzen- und Thierspecies einzusammeln. Der bis zum 24. October sich hinziehende Aufenthalt gab der Mannschaft Gelegenheit, sich von der beschwerlichen Reise bis hierher ordentlich zu erholen, die nöthig gewordenen Reparaturen auszuführen, Holz und Wasser zu fassen, einen Plan der Umgegend aufzunehmen und werthvolle vegetabilische und zoologische Sammlungen anzulegen.

Nach den von ihm angestellten vielseitigen Beobachtungen verwunderte es d'Urville, daß die Engländer am König Georgs-Hafen noch keine Niederlassung begründet hatten, da dieser ebenso für die von Europa direct nach Neu-Süd-Galles steuernden Schiffe, wie für diejenigen, welche bei ungünstigem Jahreszeitenwinde um das Cap nach China oder den Sunda-Inseln segeln, gleich günstig gelegen war.

Die Erforschung der Küste wurde bis Port Western fortgesetzt, welchen Ankerplatz d'Urville dem Hafen Dalrymple vorzog, bei dem Ein- und Ausfahrt stets mit Schwierigkeiten, oft mit Gefahren verknüpft sind. Port Western war bisher übrigens nur aus den Berichten Baudin's und Flinders' bekannt; es [367] erschien also nutzbringender, diese noch wenig besuchte Stelle in Augenschein zu nehmen. Die schon im König Georgs-Hafen betriebenen Arbeiten wurden ebenso auch in Port Western fortgesetzt und führten den Commandanten zu folgenden Schlüssen:

»Port Western, sagt er, bildet einen zum Ein- wie zum Aussegeln gleichmäßig geeigneten Ankerplatz; der Grund desselben ist ausgezeichnet und Holz daselbst leicht zu beschaffen. Mit einem Worte, sobald es gelungen sein wird, noch einen bequemen Wasserplatz aufzufinden (woran auf die Dauer nicht zu zweifeln ist), wird derselbe einen sehr wichtigen Zufluchtsort in einer Meerenge, wie der Baß-Straße, darstellen, wo steife Winde oft tagelang in der nämlichen Richtung wehen und Strömungen die Schifffahrt unter solchen Umständen als sehr gefährlich erscheinen lassen.«

Vom 19. November bis zum 2. December segelte die »Astrolabe« weiter an der Küste ohne anderen Aufenthalt als in der Jervis-Bai hin, wo man prächtige Eukalypten-Wälder fand.

Die Aufnahme der Franzosen in Port Jackson seitens des Gouverneurs Darling und der Kolonialbehörden war so herzlich als möglich, obwohl d'Urville's wiederholtes Verweilen an verschiedenen Punkten Neu-Hollands die englische Regierung einigermaßen beunruhigt hatte.

Seit drei Jahren war die Stadt wieder ganz auffallend gewachsen und schöner geworden, und obschon die Bevölkerung der Kolonie noch nicht auf fünfzigtausend Seelen geschätzt wurde, gründeten die Engländer doch fortwährend neue Niederlassungen.

Der Commandant sandte von Sydney aus Depeschen nach Frankreich, begleitet von einigen Kisten mit Naturproducten. Dann ging er, nach vollendeter Einnahme neuen Proviants und anderer nothwendiger Gegenstände, wieder unter Segel. Es scheint uns nutzlos, mit Dumont d'Urville in Neu-Süd-Galles zu verweilen; er widmet zwar der Geschichte und den Verhältnissen dieser Kolonie im Jahre 1826 einen ganzen Band seines Berichtes; wir haben davon indessen schon wiederholt zu sprechen gehabt. Wir verlassen also lieber mit ihm Sydney am 19. December und folgen dem Seefahrer durch die Windstillen, Meeresströmungen und Stürme, welche sein Eintreffen in der Tasman-Bai bis zum 14. Januar 1827 verzögerten. Noch hatte sich keine Expedition mit der Untersuchung dieser, von Cook bei seiner zweiten Reise gesehenen Bai beschäftigt.

Mehrere Piroguen mit etwa zwanzig Eingebornen, darunter die Hälfte scheinbar Häuptlinge, legten an der »Astrolabe« an. Sie stiegen voll Vertrauen an Bord und einige verweilten daselbst mehrere Tage lang. Später kamen noch Andere, die in der Nähe ihren Lagerplatz aufschlugen, und nun begann ein friedlicher Tauschhandel.


[368]
Die Jervis-Bai, wo man prächtige Eukalypten-Wälder fand. (S. 368.)

Mehrere Officiere bestiegen die die Bai beherrschenden, mit dichtem Walde bedeckten Anhöhen.

»Da fanden sich, sagt d'Urville, keine Vögel, keine Insecten, nicht einmal Reptilien; das vollständige Fehlen jedes lebenden Wesens und die absolute Stille ringsum machten einen feierlichen und doch traurig stimmenden Eindruck.«

[369] Vom Gipfel jener Höhen hatte der Commandant auch noch eine andere Bai, die Admiralitäts-Bai, bemerkt, die durch einen Kanal mit der, in welcher die »Astrolabe« lag, zusammenhing. Er wünschte dieselbe zu untersuchen, da sie, von oben aus gesehen, noch sicherer zu sein schien als die Tasman-Bai. Heftige Strömungen brachten ihn bei diesem Unternehmen aber wiederholt dem Untergange nahe. Wäre die »Astrolabe« an das felsige, schroffe Ufer geworfen worden, so ging das Schiff mit Mann und Maus verloren, ohne eine Spur von dem Schiffbruche zu hinterlassen. Nach mehreren fruchtlosen Versuchen gelang es d'Urville jedoch, die enge Einfahrt zu passiren, was ihm nur den Verlust einiger Stücke des Kielschweines kostete.

»Um das Andenken an die Anwesenheit der »Astrolabe« hier zu sichern, heißt es in dem Berichte, nannte ich diese gefährliche Straße die Einfahrt der Franzosen; ohne dringenden Grund hierher zu gehen, würde ich indessen Niemandem rathen... Wir nahmen nun das schöne Wasserbecken, in dem wir uns befanden, mit aller Muße in Augenschein. Es verdient an und für sich gewiß die Lobsprüche, die ihm Cook zutheilte, und vorzüglich würde ich einen hübschen kleinen Hafen, einige Meilen südlich von der Stelle, wo jener Kapitän ankerte, warm empfehlen... Unsere Fahrt durch die Einfahrt der Franzosen lieferte den unwiderleglichen Beweis von der Inselnatur des Landes bei Cook's Cap Stephens. Dasselbe wird von Tavaï Pounamou durch das Bassin der Strömungen getrennt. Die Vergleichung der unserigen mit der von Cook entworfenen Karte zeigte recht deutlich, wie viel dessen Arbeiten noch zu wünschen übrig ließen...«

Die »Astrolabe« segelte bald darauf in die Cook-Straße ein, an der Königin Charlotte-Bai vorüber und umschiffte das, aus übereinander gethürmten Bergen gebildete Cap Palliser. Zu seinem großen Erstaunen überzeugte sich d'Urville, wie viele Ungenauigkeiten sich in die Arbeiten des großen englischen Seefahrers eingeschlichen hatten, und er weist in dem hydrographischen Theile seines Reiseberichtes auf verschiedene Punkte hin, wo er Fehler von fünfzehn bis zwanzig Minuten gefunden hat. Des Commandanten Absicht ging nun dahin, die östliche Küste der Nordinsel Ika-Na-Mawi zu untersuchen, auf der man Schweine, doch keinen »Pounamou«, das ist grünen Nephrit, findet, aus welchem die Neu-Seeländer ihre kostbarsten Geräthe herstellen, während die Südinsel eben diesen, dagegen keine Schweine liefert.

Zwei Eingeborne, welche trotz allen Abredens an Bord zu bleiben wünschten, wurden doch recht trübe gestimmt, als sie am Horizont die Küsten ihres heimatlichen [370] Districts verschwinden sahen. Sie bedauerten jetzt, freilich zu spät, die Kühnheit, diese Reise gewagt zu haben. Das Wort Kühnheit sagt hier in der That nicht zu viel, denn sie fragten die Franzosen wiederholt, wann sie nun von diesen verzehrt werden würden, und erst nach Verlauf mehrerer Tage beruhigte sie nach dieser Seite die freundliche Behandlung durch die Fremden.

D'Urville segelte immer längs der Küste weiter. Die Caps Turn-again und Cook's Kidnappers wurden umschifft und die Unfruchtbare Insel mit ihrem Ipah kam in Sicht.

In Cook's Bai von Tologa brachten Eingeborne nach der Korvette Schweine und Kartoffeln, welche sie gegen ziemlich werthlose Gegenstände vertauschten. Als sich auch noch andere Piroguen zeigten, suchten die an Bord befindlichen Neu-Seeländer den Kapitän zu bestimmen, auf dieselben Feuer geben und ihre Landsleute tödten zu lassen. Als jene aber an Bord kamen, gingen sie ihnen entgegen und begrüßten sie auf's Freundschaftlichste. Dieses sonderbare Benehmen erklärt sich durch das gegenseitige Mißtrauen und die rege Eifersucht der Landesbewohner. Sie wollten nur allein die von dem Besuche der Fremdlinge erhofften Vortheile genießen und schienen ganz verzweifelt, auch ihre Nachbarn daran theilnehmen zu sehen.« Daß diese Erklärung die richtige war, sollten weitere Erfahrungen bestätigen.

Auf der »Astrolabe« verweilte eben eine Anzahl Neu-Seeländer, darunter ein gewisser Shaki, den sein hoher Wuchs, die kunstreichere Tätowirung, das stolze Auftreten und die Unterwürfigkeit, mit der seine Landsleute sich an ihn wendeten, bald als Häuptling erkennen ließen. Als diese nun eine nur mit sieben bis acht Mann besetzte Pirogue an die Korvette heranrudern sahen, verlangten Shaki und die Anderen dringend von d'Urville, die Ankömmlinge niederschießen zu lassen; sie baten sich sogar Gewehre aus, um das selbst auszuführen. Die neu Angelangten waren aber kaum an Bord gestiegen, als alle daselbst Anwesenden sie mit größter Zuvorkommenheit begrüßten, und selbst Shaki, der vorher am heftigsten gegen jene eiferte, einen anderen Ton anschlug und ihnen ein paar Beile anbieten ließ, die er selbst erst erhandelt hatte.

Diese Häuptlinge von wildem, kriegerischem Aussehen und über und über tätowirtem Gesichte befanden sich kaum einige Minuten auf dem Schiffe, und d'Urville schickte sich eben an, mit Hilfe eines von Missionären veröffentlichten Wörterbuches einige Fragen an sie zu richten, als dieselben das Verdeck plötzlich verließen, in ihre Piroguen sprangen und so schnell als möglich das Weite zu [371] gewinnen suchten. Um sich ihrer zu entledigen, hatten ihre Landsleute denselben nämlich vorgelogen, daß sie auf der »Astrolabe« nicht sicher seien und die Franzosen die Absicht hätten, sie zu ermorden.

In der Bai von Tologa, deren ursprünglicher Name Houa-Houa lautet, verschaffte sich d'Urville die erste Kenntniß von dem »Kiwi«, und zwar durch eine, mit Federn dieses Vogels geschmückte Matte, ein Prachtstück der Eingebornen. Der an Größe etwa einem kleineren Truthahn gleich kommende Vogel soll, wie der Strauß, nicht eigentlich fliegen können. Man stellt demselben des Nachts mit Fackeln und Hunden nach.

Es ist das derselbe Vogel, der auch den Namen »Apteryx« erhalten hat. Was d'Urville von den Eingebornen über ihn hörte, erwies sich als ziemlich zutreffend. Der Apteryx von der Größe eines Hahnes und bräunlichem Gefieder steht dem Strauße nahe; er bewohnt dunkle, feuchte Waldungen und zieht nur des Abends nach Nahrung aus. Da ihm die Eingebornen schonungslos nachstellen, war diese merkwürdige Vogelart schon damals sehr vermindert und ist heute ungemein selten geworden.

D'Urville setzte die hydrographische Untersuchung der Küsten der Nordinsel Neu-Seelands weiter fort und traf täglich mit Eingebornen zusammen, die ihm Kartoffeln und Schweine brachten.

Nach Aussage der Eingebornen lagen die verschiedenen Stämme fortwährend mit einander im Kriege, und das soll der eigentliche Grund der Abnahme der Bevölkerung sein. Die Leute verlangten immer Gewehre, begnügten sich zuletzt aber mit Pulver, das man ihnen im Austausch gegen ihre Waaren überließ.

Am 10. Februar hatte die Korvette in der Nähe des Cap Runaway einen Sturm zu bestehen, der auch bis zum nächsten Tage anhielt und sie wiederholt zu versenken drohte.

Dann fuhr sie in die Bai des Ueberflusses ein, in deren Hintergrunde sich der Berg Edgecumbe erhebt, segelte hierauf längs des Ufers derselben hin und lief die Inseln Haute und Major an; die Witterung war während der ganzen Untersuchung aber so schlecht, daß die auf Grund derselben entworfene Karte wenig Vertrauen verdient.

Die Korvette gelangte hierauf nach der Bai Mercure, bekam die Insel de la Barrière in Sicht, drang in die Bai Shouraki (alias Hauraki) ein, lief Poule-et-les-Poussins, so wie die »Armen Ritter« an und kam endlich nach der Bai der Inseln.

[372] Die Stämme, welche d'Urville hier vorfand, waren mit einem Kriegszuge gegen die der Baien Shouraki und Waikato beschäftigt. D'Urville ging an's Land, um die von Cook nur unzulänglich erforschte Bai Shouraki zu untersuchen, und machte dabei die Wahrnehmung, daß Neu-Seeland in dieser Gegend eine Menge überaus sicherer Häfen und tieferer Wasserbecken besitzt. Da d'Urville erfahren hatte, daß man bei Verfolgung des Waï-Mogoïa-Flusses nach einer Stelle gelangen könne, die nur eine sehr kurze Wegstrecke von dem großen Hafen Manukau an der Nordküste der Insel trennte, schickte er mehrere Officiere aus, sich davon zu überzeugen, und erhielt jene Angaben bestätigt.

»Diese Entdeckung, sagt Dumont d'Urville, kann für etwaige Niederlassungen in der Bai Shouraki von großem Interesse werden, welches sich noch erhöhen dürfte, wenn weitere Untersuchungen lehren sollten, daß der Hafen von Manukau zur Aufnahme größerer Schiffe geeignet wäre, denn eine solche Niederlassung würde hier einen bequemen Zugang zu zwei Meeren, nach Osten und nach Westen hin, besitzen.«

Rangui, einer der »Rangatiras« oder Häuptlinge jener Gegend, hatte von dem Befehlshaber wiederholt Blei zum Kugelgießen erbeten, dieser solches aber immer verweigert. Als er absegeln wollte, meldete man d'Urville, daß das Blei von der Sonde entwendet worden sei. Der Befehlshaber machte Rangui darüber heftige Vorwürfe und sagte diesem in strengem Tone, daß es ehrbarer Leute unwürdig sei, solche Diebereien zu begehen. Der Vorwurf schien dem Häuptlinge sehr zum Herzen zu gehen, und er entschuldigte sich mit der Ausrede, das sei ohne sein Wissen und durch keinen seiner Gefährten geschehen.

»Bald nachher, heißt es in dem Berichte, erweckte das Schallen von kräftigen Hieben und ein jämmerliches Geheul aus der Pirogue Rangui's meine Aufmerksamkeit. Da sah ich, wie Rangui und Tawiti aus Leibeskräften mit Pagaien auf einen Mantel losschlugen, der einen Mann zu bedecken schien. Ich erkannte aber leicht genug, daß die beiden schlauen Häuptlinge nur gegen eine Bank der Pirogue wütheten. Nachdem diese Posse eine Weile angedauert hatte, zerbrach Rangui die Pagaie in den Händen. Der Geschlagene schien niederzustürzen und Rangui rief mich mit dem Bedeuten an, daß er den Dieb gezüchtigt habe, und fragte, ob ich nun befriedigt sei. Ich bestätigte dies, lachte aber innerlich über die List der Wilden, eine List, von der man übrigens bei anderen, in der Civilisation weiter vorgeschrittenen Völkern auch gelegentlich Beispiele findet.«

[373] D'Urville nahm die schöne Insel Wa-Hiki in Augenschein und vollendete die Untersuchung des Kanals der »Astrolabe« und der Bai Hauraki. Er segelte nach Norden bis zur Bai der Inseln und zu dem Cap Maria Van Diemen, dies ist die nördlichste Spitze Neu-Seelands, »wohin sich die abgeschiedenen Geister der Waidouas begeben, um von hier aus ihren Flug nach den Hallen des ewigen Ruhmes oder den Abgründen der Finsterniß anzutreten«.

Die Bai der Inseln belebte zur Zeit der Anwesenheit der »Coquille« eine zahlreiche Bevölkerung, mit der damals recht freundliche Beziehungen zu Stande kamen. Jetzt war das Schweigen der Einöde an Stelle des regen Treibens der früheren Tage getreten. Der Ipah, oder vielmehr der Pah von Kahon-Wera, der einen fleißigen Stamm beherbergte, stand verlassen; der Krieg hatte hier mit allen seinen Schrecken gewüthet. Die streitbaren Schaaren von Songhui hatten geraubt, was sie erlangen konnten, und den ganzen Stamm von Paroa in alle Winde vertrieben.

In der Bai der Inseln hatten sich englische Missionäre niedergelassen. Trotz ihres Eifers konnten sie sich noch keiner Erfolge bei den Eingebornen rühmen und die Nutzlosigkeit ihrer Bemühungen lag klar zutage.

An dieser Stelle endigte übrigens die sehr umfassende hydrographische Aufnahme der Ostküste Neu-Seelands. Seit Cook's Zeit war keine so sorgfältige, mit so vielen Gefahren verknüpfte und eine so lange Küstenstrecke einschließende Untersuchung dieses Landes ausgeführt worden. D'Urville leistete mit dieser höchst gewissenhaften Arbeit der geographischen Wissenschaft wie der Schifffahrt einen sehr dankenswerthen Dienst. Er hatte unter plötzlichen und heftigen Stürmen ganz außergewöhnliche Eigenschaften entwickelt, ohne hier seiner vielfachen Strapazen und stets bewährten Opferwilligkeit zu erwähnen; dennoch ließ man ihn nach der Heimkehr nach Frankreich sehr unbeachtet oder übertrug ihm doch nur Aufgaben, die ihm keine Gelegenheit boten, sich auszuzeichnen, und denen jeder andere Kapitän ebenso gut gewachsen gewesen wäre.

Als d'Urville am 18. März 1827 Neu-Seeland verließ, steuerte er nach Tonga Tabu. Er bekam zunächst die Inseln Curtis, Macauley und Sunday zu Gesicht, suchte vergeblich die Insel Vasquez de Maurelle und gelangte am 16. April nach Namouka. Zwei Tage später sah er Eoa; bevor er jedoch Tonga Tabu erreichte, mußte er noch ein entsetzliches Unwetter erleben, das die »Astrolabe« dem Untergange nahe brachte. Einige, seit langen Jahren auf Tonga Tabu ansäßige Europäer theilten dem Commandanten alles Wissenswerthe [374] bezüglich der Eingebornen mit. Drei Häuptlinge oder »Eguis« theilten sich hier in die Herrschaft, während der Oberpriester oder »Touïtonga«, der ein weitreichendes Ansehen genossen hatte, eben verbannt war.

Auf Tonga hatte sich eine wesleyanische Mission angesiedelt; man ersah aber aus Allem, daß diese Methodisten-Prediger keinen Einfluß auf die Eingebornen zu gewinnen vermochten; die wenigen Bekehrten wurden auch wegen ihrer Apostasie allgemein verachtet.

Als die »Astrolabe« vor Anker ging, nachdem sie glücklich allen Gefahren durch widrige Winde, Strömungen und Klippen entronnen, wurde sie sofort mit einer unglaublichen Menge von Früchten, eßbaren Wurzeln, Schweinen und Geflügel überschüttet welche die Eingebornen fast gegen nichts vertauschten. D'Urville kaufte für die heimischen Museen auch gleichzeitig Waffen und mancherlei Erzeugnisse der Industrie dieser Wilden ein, z. B. Mordkeulen, meist aus Casuarinaholz und prächtig geschnitzt oder mit Perlmutter oder schwarzen Fischbein kunstvoll ausgelegt.

Die Gewohnheit, sich ein oder zwei Fingerglieder als Sühnopfer für die Gottheit in schweren Krankheitsfällen abzuschneiden, bestand noch immer fort.

Seit dem 28. April hatten sich die Eingebornen stets sehr friedlich benommen, so daß es zu keinerlei Streitigkeiten kam, als d'Urville am 9. Mai mit fast allen Officieren einen Besuch bei dem hervorragendsten Häuptlinge, Namens Palou, abstattete. Dieser empfing sie ganz außergewöhnlich scheu und zurückhaltend, und wenig übereinstimmend mit den lärmenden und enthusiastischen Kundgebungen der früheren Tage. Das Benehmen der Insulaner rief auch das Mißtrauen des Befehlshabers wach, der, im Hinblick auf die geringe Zahl seiner auf der »Astrolabe« zurückgebliebenen Leute, eine lebhafte Besorgniß nicht unterdrücken konnte. Es war in seiner Abwesenheit jedoch nichts vorgekommen. Aber nur an der Aengstlichkeit Palou's scheiterte damals ein Complot, das auf nichts Geringeres abzielte, als auf die Gefangennahme des ganzen Stabes; mit der Mannschaft wäre man dann leicht genug fertig geworden, da ein Theil derselben sich heimlich danach sehnte, das sorgenlose Leben dieser Wilden zu theilen.


Neu-Seeländer. (S. 370.)

So faßte der Commandant wenigstens die Sachlage auf. Die späteren Ereignisse sollten ihm hierin Recht geben.

Diese Befürchtung veranlaßte d'Urville, Tonga Tabu so schnell als möglich zu verlassen, und am 13. desselben Monats war Alles fertig, am folgenden Tage unter Segel zu gehen. Der Cadett Dudemaine ging eben noch auf der großen Insel spazieren, während der Cadett Faraguet mit neun Mann beschäftigt war, von dem Eilande Pangoï-Modou Wasser zu holen und die Fluth zu beobachten. [375] Einer der Eguis, Tahosa, befand sich noch mit vielen Eingebornen auf der »Astrolabe«, als die Piroguen auf ein Zeichen des Häuptlings plötzlich abstießen und nach dem Lande ruderten. Man forschte noch nach den Ursachen dieser plötzlichen Flucht, als man auch schon bemerkte, wie die Matrosen auf Pangaï-Modou mit Gewalt fortgeschleppt wurden. [376] D'Urville wollte schon ein Geschütz abfeuern lassen, hielt es aber für sicherer, ein Ruderboot an's Land zu schicken, welches zwei Mann und den Cadetten Dudemaine aufnahm. Als dasselbe Boot noch einmal ausgesendet wurde, um die Hütten am Strande in Brand zu stecken und womöglich einige Geißeln einzufangen, ward es mit Flintenschüssen empfangen. Ein Eingeborner wurde darauf getödtet und mehrere andere verwundet, aber auch ein Corporal der Marinesoldaten hatte so viele Bajonettstiche erhalten, daß er zwei Stunden später den Geist aufgab.


Angriff der Eingebornen von Tonga-Tabu.

D'Urville hegte natürlich wegen des Schicksals seiner Matrosen und des diese anführenden Faraguet die schlimmsten Besorgnisse. Es blieb ihm nichts [377] übrig als ein Angriff auf das heilige Dorf Mafanga, das die Gräber mehrerer Häuptlingsfamilien enthält. Am folgenden Tage umringte aber diesen mit Erdwällen und Palissaden umgebenen Platz eine so zahlreiche Menge, daß gar nicht daran zu denken war, ihn durch einen Angriff in die Hände zu bekommen.

Man legte also die Korvette dichter an's Land und beschoß das Dorf, freilich ohne anderen Erfolg, als daß dadurch ein Insulaner zu Boden gestreckt wurde. Die erschwerte Beschaffung von Lebensmitteln, ein andauernder Regenfall und die fortwährende Unruhe, in welcher sie die Kanonade der Franzosen erhielt, bestimmten jedoch die Eingebornen, nachzugeben. Sie lieferten die Leute, denen übrigens kein Leid widerfahren war, aus, begleiteten den Friedensschluß mit einem Geschenke von Schweinen und Bananen, und am 24. Mai verließ die »Astrolabe« definitiv die Inseln der Freunde.

Es war übrigens die höchste Zeit, denn d'Urville's Lage erschien nach einer Mittheilung des Obersteuermannes kaum mehr haltbar, da er höchstens noch auf fünf oder sechs Matrosen sicher rechnen durfte, während die übrigen bei passender Gelegenheit Alle zu den Wilden übergelaufen wären.

Tonga Tabu ist madreporischen Ursprungs und besitzt eine sehr starke Humusdecke. Pflanzen aller Art und vorzüglich Bäume gedeihen hier vortrefflich; die Cocospalme, deren Schaft noch schlanker emporsteigt als anderwärts, und die Bananen gelangen zu wahrhaft wunderbarer Entwickelung. Das Land ist flach und einförmig; wer eine Viertelmeile in die Insel hineingekommen ist, braucht nicht weiter zu gehen, um von derselben eine richtige Vorstellung zu gewinnen. Die Bevölkerung beträgt etwa siebentausend Köpfe mit ausgesprochen polynesischer Physiognomie.

»Sie vereinigen in sich, sagt d'Urville, die widersprechendsten Eigenschaften. Sie sind edelmüthig, gefällig und gastfreundlich, aber gleichzeitig beutegierig, frech und zur Verstellung geneigt. In demselben Augenblick, da sie den Fremden mit Zärtlichkeiten und Freundschaftsbeweisen überhäufen, überfallen sie ihn wohl auch und berauben ihn, wenn ihre Habgier oder Eigenliebe nur einigermaßen aufgestachelt wird.«

Die Bewohner von Tonga Tabu stehen den Einwohnern Tahitis an Intelligenz unzweifelhaft voran. Die Franzosen konnten sich nicht genug wundern über den vortrefflichen Zustand der Kawa-, Bananen-und Yams-Pflanzungen, über die besondere Sauberkeit der Wohnungen und die Zierlichkeit der Einfriedigungen. Auch die Befestigungskunst war ihnen nicht fremd, wie d'Urville [378] selbst erfuhr, und sich auch bei einem Besuche des befestigten Dorfes Hifo überzeugen konnte, das er von soliden Palissaden und einem fünfzehn bis zwanzig Fuß breiten, halb mit Wasser gefüllten Graben umschlossen fand.

Am 25. Mai begann d'Urville die Untersuchung des Viti- oder Fidschi-Archipels. Er hatte zunächst das Glück, einen Eingebornen von Tonga zu treffen, der, seines Handels wegen auf den Fidschis ansäßig, früher schon Tahiti, Neu-Seeland und Australien besucht hatte. Dieser Mann, ebenso wie ein Insulaner aus Guaham, leistete dem Commandanten dadurch sehr wesentliche Dienste, daß er ihm die Namen von über zweihundert zu der Gruppe gehörigen Inseln angeben und im voraus deren Lage und die der sie einschließenden Risse bezeichnen konnte.

Gleichzeitig sammelte der Hydrograph Gressien das nöthige Material, um eine Karte der Fidschi-Inseln zu skizziren.

Eine Schaluppe erhielt Befehl, an der Insel Laguemba zu landen, wo ein Anker lag, den d'Urville, weil er zwei von den seinigen bei Tonga verloren hatte, gern zu haben wünschte. Anfangs sah Lottin, der jenes Boot befehligte, nur Weiber und Kinder am Ufer; bald liefen aber Bewaffnete herbei, trieben die Weiber zurück und trafen Anstalt, die Matrosen zu umzingeln und sich des Bootes zu bemächtigen. Ihre Absichten traten nur gar zu deutlich zutage; Lottin ließ also sofort das Boot wieder frei machen und erreichte den Strand, ehe es noch zu einem Zusammenstoße kam.

Achtzehn Tage lang kreuzte nun die »Astrolabe« trotz stürmischen Wetters und grober See im Archipel der Fidschis, besichtigte die Inseln Laguemba, Kandabon, Viti-Levon, Oumbenga, Vaton-Lele, Ounong-Lebon, Malolo u. s. w und vorzüglich den noch fast ganz unbekannten südlichen Theil der vielgliedrigen Gruppe.

Die Bevölkerung steht, nach d'Urville's Ansicht, auf der Grenze zwischen der kupferfarbenen oder polynesischen und der schwarzen oder melanesischen Race. Die Eingebornen erscheinen sehr muskulös und stark, womit auch ihr hoher Wuchs übereinstimmt. Sie sind Antropophagen und machen auch kein Hehl daraus.

Am 11. Juni steuerte die Korvette auf den Carteret-Hafen zu; sie fand dabei nach und nach die Inseln Eronnan und Annatom, die Loyaltys, eine Gruppe, von der d'Urville die Inseln Chabrol und Halgan entdeckte; ferner die kleine Gruppe der Beaupré-Eilande, die Risse der Astrolabe, welche um so gefährlicher sind, als sie von den Beaupré-Eilanden gegen dreißig und von [379] Neu-Caledonien gegen sechzig Meilen entfernt liegen, endlich die Insel Huon und die nördliche Reihe der neucaledonischen Risse.

Von hier aus erreichte d'Urville die Luisiaden-Inseln, binnen sechs Tagen, das schlechte Wetter aber, das an deren Küste herrschte, veranlaßte ihn, nicht den vorherbestimmten Kurs einzuhalten und die Torres-Straße zu vermeiden. Der Commandant meinte, daß die von ihm beabsichtigte Untersuchung der Südküste Neu-Britanniens und der Nordküste Neu-Guineas für die Wissenschaft nutzbringender sein werde.

Die Insel Rossel und das Cap Delivrance wurden besichtigt, und man begab sich nach Neu-Irland, um frisches Holz und Wasser zu fassen.

Hier langte man am 5. Juli bei trübem, regnerischem Wetter an und hatte alle Mühe, den Eingang zum Carteret-Hafen zu erkennen, wo d'Entrecasteaux seinerzeit acht Tage lang verweilte.

Die Franzosen erhielten hier zu wiederholten Malen Besuch von etwa zwanzig Eingebornen, dem Anscheine nach die ganze Bevölkerung dieses Platzes. Es waren das stumpfsinnige Wesen, welche nicht die geringste Neugierde gegenüber den vielen Gegenständen, die man ihnen zeigte, an den Tag legten.

Auch ihr Aeußeres sprach nicht zu deren Gunsten. Vollkommen nackt, schwarz von Haut und kraus von Haar, die Nasenscheidewand von einem Knochenstücke durchbohrt, gaben sie höchstens einiges Verlangen nach Eisen zu erkennen, ohne aber zu verstehen, daß man ihnen das nur im Austausch für Früchte und Schweine überlassen würde. Finster und mißtrauisch, weigerten sie sich, irgend Jemand nach ihren Dörfern zu führen. Während des hiesigen, wenig fruchtbringenden Aufenthaltes wurde d'Urville von einer Darmentzündung befallen, an der er mehrere Tage lang schwer zu leiden hatte.

Am 19. stach die »Astrolabe« wieder in See und folgte der Küste Neu-Britanniens. Diese Fahrt wurde aber durch sehr neblige feuchte Witterung, durch Platzregen und Hagelschläge unterbrochen, welche das Schiff zwangen, sich vom Lande wieder zu entfernen, nachdem es kaum in seine Nähe gekommen war.

»Man muß, sagte d'Urville, diese Gegenden selbst und unter den nämlichen Umständen wie wir besucht haben, um sich eine richtige Vorstellung von den wirklich unglaublichen Regengüssen machen zu können; man muß daneben ähnliche Arbeiten, wie diejenigen, welche uns oblagen, ausgeführt haben, um über die Angst und Unruhe richtig zu urtheilen, die eine solche Fahrt zu bereiten im Stande ist. Nur selten erstreckte sich unser Horizont weiter als auf hundert[380] Toisen, und wir konnten nur mit größter Vorsicht manövriren, weil uns unsere Position fast stets unbekannt blieb. Im Allgemeinen fielen denn auch unsere Arbeiten über Neu-Britannien bei den unerhörten Strapazen und den Gefahren, denen die »Astrolabe« dabei ausgesetzt war, weit weniger genau aus als die anderen Untersuchungen und Messungen während der Reise.«

Bei der Unmöglichkeit, durch den St. Georges-Canal zu segeln, mußte d'Urville durch die Dampier-Straße gehen, deren südliche Oeffnung fast vollständig durch eine Kette von Klippen versperrt ist, auf denen die»Astrolabe« auch zweimal auflief.

Wie Dampier und d'Entrecasteaux war auch d'Urville begeistert von dem entzückenden Anblicke der Westküste Neu-Britanniens. Ein gesunder Strand, ein amphitheatralisch aufsteigender Boden, Wälder mit dunklem Laubwerk oder üppige Wiesen und die beiden Spitzen des Glocester-Berges verleihen diesem Theile der Küste eine reiche Abwechslung, welche die Bogenlinien der Insel Rook noch vermehren.

Bei der Ausfahrt aus dem Canal erscheinen in all' ihrem Glanze die Berge von Neu-Guinea; bald sieht man sie einen Halbkreis bilden und eine Bucht umschließen, welche den Namen Golf der Astrolabe erhielt. Nach und nach lief man die Schouten-Inseln, die Bucht des Ueberfalls, wo d'Urville einen Angriff der Eingebornen zurückweisen mußte, die Humboldt- und Geelwinck-Bai, die Inseln der Verräther, Tobie und Mysory und die Arsak-Berge entweder an oder kam an denselben vorüber, und die »Astrolabe« ankerte endlich im Hafen Doreï, wo sie ihre Untersuchungen mit denen der»Coquille« verknüpfen wollte.

Hier entwickelten sich bald recht freundliche Beziehungen zu den Papuas, welche eine Menge Paradiesvögel, aber nur wenig Nahrungsmittel an Bord brachten. Von Natur sanft und furchtsam, wagten sich die Eingebornen nur ungern in die Wälder, wo sie von Arsakis, den Bewohnern der Berge und ihren geschwornen Feinden, öfters überfallen worden waren. Ein mit Herbeischaffung von Wasser beschäftigter Matrose wurde von dem Pfeile eines dieser Wilden verwundet, den man für den hinterlistigen, gänzlich unmotivirten Angriff nicht einmal bestrafen konnte.

Hier ist der Boden überall so reich, daß man denselben nur zu wenden und das Unkraut zu entfernen brauchte, um die reichlichsten Ernten zu gewinnen; die Papuas sind aber so träge und verstehen vom Landbau so blutwenig, daß die Nährpflanzen meist unter Schmarotzern ersticken.

[381] Die Einwohner sind ihrem Ursprunge nach sehr gemischt. D'Urville theilt sie in drei verschiedene Unterarten; die Papuas, die Mestizen, welche mehr oder weniger zur malayischen oder polynesischen Race gehören, und die Harfours oder Alfurus, die an den gewöhnlichen Typus der Australneger, der Neu-Caledonier und überhaupt der Oceanier schwarzer Race erinnern. Letztere sind die wirklichen Ureinwohner des Landes.

Am 6. September lief die »Astrolabe« nach einem ziemlich uninteressanten Aufenthalte, während dem sich d'Urville nur wenig naturhistorische Gegenstände, außer etwa einige Mollusken, und auch keine verläßlichen Nachrichten über die Sitten, die Religion und die verschiedenen Racen Neu-Guineas verschaffen konnte, wieder aus und steuerte nach Amboine, wo sie am 24. September ohne Unfall eintraf. Obwohl der Gouverneur Merkus auf einer Rundreise begriffen war, fand der Commandant in diesem Hafen doch nicht minder Alles, was er brauchte. Er wurde von den Behörden und Einwohnern auf die freundschaftlichste Weise aufgenommen, und diese ließen es sich angelegen sein, den Franzosen die Strapazen der langen gefährlichen Fahrt möglichst vergessen zu machen.

Von Amboine wandte sich d'Urville nach Tasmanien und Hobart-Town, ein Ort, den seit Baudin kein französisches Schiff berührt hatte; hier traf er am 17. December 1827 ein. Fünfunddreißig Jahre vorher hatte d'Entrecasteaux an dieser Stelle nur wenige elende Wilde angetroffen, und zehn Jahre später fand Baudin überhaupt gar Niemand mehr vor.

Das erste, was d'Urville bei der Einfahrt in den Dervent-Fluß, noch bevor er bei Hobart-Town vor Anker ging, hörte, war, daß der englische Kapitän Dillon aus Tukopia bestimmte Nachrichten über den Schiffbruch La Pérouse's bei Vanikoro mitbrachte; er besaß sogar einen Säbelkorb, in dem er den Rest einer Waffe des Seefahrers vermuthete. In Calcutta angelangt, wo Dillon dem Statthalter von seiner Entdeckung Mittheilung machte, hatte dieser ihn sofort nach jener Stelle zurückgesandt, um die Schiffbrüchigen, welche etwa noch existiren könnten, und Alles, was von dem Schiffe übrig wäre, aufzunehmen.

Man kann sich leicht vorstellen, mit welchem Interesse d'Urville diese Neuigkeiten hörte, da gerade er besondere Instructionen erhalten hatte, alle Nachweise zu sammeln, die über das Schicksal des unglücklichen Seefahrers weiteres Licht verbreiten könnten, vorzüglich nachdem er in Namouka unwiderlegliche Beweise von dem Aufenthalte La Pérouse's auf dem Archipel der Freunde erlangt hatte.

[382] In der englischen Kolonie waren zwar die Ansichten, inwieweit man der Erzählung des Kapitän Dillon trauen dürfe, getheilt, der Bericht aber, den jener Officier dem Gouverneur von Indien erstattet hatte, beseitigte bei d'Urville jeden etwaigen Zweifel. Unter Verzichtleistung auf seine weiteren Pläne bezüglich Neu-Seelands, beschloß er denn, die »Astrolabe« sofort nach Vanikoro, das er bisher nach Dillon nur unter dem Namen Mallicolo kannte, überzuführen.

Wir theilen hier kurz mit, was Dillon berichtet hatte.

Während des Aufenthaltes an den Fidschi-Inseln fand das Schiff, die »Hunter«, Gelegenheit, einen Deutschen, Namens Martin Bushart, dessen Frau und einen Laskarier, Namens Achowila, aufzunehmen, welche die Eingebornen zu verzehren drohten, wie sie es mit allen übrigen europäischen Deserteuren, die sich in diesen Archipel verirrten, zu thun gewohnt waren. Die drei Unglücklichen baten nur darum, auf der ersten bewohnbaren Insel, welche die »Hunter« antreffen würde, abgesetzt zu werden. Sie wurden also nach einer der Charlotten-Inseln, nach Tukopia, unter 12°15' südlicher Breite und 169° der Länge, befördert. Im Monate Mai 1826 näherte sich Dillon, der früher zur Besatzung der »Hunter« gehört hatte, der Insel Tukopia, um zu erfahren, was aus den 1813 hier ausgeschifften Leuten geworden wäre.

Er fand in der That den Laskarier und den Deutschen. Der Erstere verkaufte ihm sogar einen silbernen Säbelkorb. Natürlich fragte Dillon, wie er in dessen Besitz gekommen sei. Der Deutsche erzählte, daß er bei seiner Ankunft auf Tukopia Schrauben, Aexte, Messer, eiserne Geräthe, Löffel und eine Menge andere Gegenstände gefunden habe, die, wie man ihm sagte, von Mallicolo, das heißt einer Inselgruppe, herrühren sollten, welche man mittelst Piroguen in zwei Tagen erreichen könne.

Dillon zog nun bei den Eingebornen weitere Erkundigungen ein und erfuhr, daß vor mehreren Jahren zwei Schiffe an den Strand dieser Inseln geworfen worden seien. Eines derselben war total untergegangen, die Matrosen des zweiten aber hatten aus den Trümmern ein kleineres Fahrzeug erbaut, auf dem sie abgefahren wären, während auf Mallicolo noch einzelne der ihrigen zurückblieben. Der Laskarier wollte zwei jener Männer gesehen haben, welche durch verschiedene, den Häuptlingen geleistete Dienste einen gewissen Einfluß gewonnen hatten.


Einwohner von Vanikoro. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Dillon schlug jenem vergeblich vor, ihn nach Mallicolo zu geleiten; mehr Erfolg erzielte er bei dem Deutschen, der ihm bis in die Nähe der Insel – d'Entrecasteaux' Insel Recherche – begleitete. Windstille und Mangel an Nahrungsmitteln sollen Dillon aber verhindert haben, an derselben zu landen.


Ich begnügte mich, die Waffenkammer zu öffnen. (S. 390.)

Bei seiner Ankunft in Ponditscherry übertrug ihm der Statthalter, nach Anhörung seines Berichtes, den Befehl über ein speciell zu weiteren Nachforschungen bestimmtes Fahrzeug. Das war im Jahre 1827. Dillon [383] lief Tukopia an, verschaffte sich hier einen Dolmetscher und einen Lootsen und segelte hierauf nach Mallicolo. Hier erfuhr er von den Eingebornen, daß die Fremden, mit der Herstellung ihres Fahrzeuges beschäftigt, fünf Monate auf der Insel geblieben und daß sie übrigens als halb überirdische Wesen betrachtet worden seien, eine Meinung, welche ihr eigenthümliches Auftreten noch mehr bestärkte. [384] Man habe sie z. B. mittelst langer Stöcke mit dem Monde und den Sternen sprechen sehen; sie hätten ungeheure Nasen gehabt, und einige der Männer wären immer ziemlich still mit einer Eisenstange in den Händen stehen geblieben.

Das waren die Vorstellungen, welche die Wilden von den astronomischen Beobachtungen, den dreieckigen Hüten und den Schildwachen der Franzosen bewahrt hatten.

[385] Dillon erhielt von den Eingebornen mancherlei Reliquien von der Expedition. Er gewahrte auch im Meeresgrunde auf der Korallenbank, an der das Schiff zerschellt war, bronzene Kanonen, eine Glocke und Trümmer aller Art, die er pietätvoll sammelte und im Jahre 1828 nach Paris überbrachte, wo ihm der König zum Dank für seine Arbeiten eine Pension von viertausend Francs bewilligte. Weitere Zweifel konnten nicht erhoben werden, als Graf Lesseps, der Begleiter La Pérouse's, der diesen in Kamtschatka verließ, die Kanonen und das geschnitzte Heck der »Boussole« wiedererkannt und man auf einem silbernen Leuchter das Wappen Colignon's, des Botanikers, gefunden hatte. Von diesen interessanten und merkwürdigen Thatsachen erhielt d'Urville freilich erst viel später Kenntniß, denn vorläufig war ihm nur der erste Bericht Dillon's zu Ohren gekommen.

Aus Zufall oder vielleicht aus Furcht, daß ihm Jemand zuvorkommen könnte, hatte dieser Kapitän es versäumt, die Position Vanikoros und den Kurs anzugeben, auf dem er von Tukopia dahin gelangt war. D'Urville meinte, diese Insel müsse der Banks- oder der Santa Cruz-Gruppe angehören, welche beide noch kaum bekannt waren.

Bevor wir jedoch dem Befehlshaber weiter folgen, wollen wir mit ihm kurze Zeit in Hobart-Town verweilen, das seiner Ansicht nach schon ziemliche Bedeutung erlangt hatte.

»Die Häuser daselbst, sagt er, stehen meist weit von einander und haben außer dem Erdgeschoß gewöhnlich nur ein Stockwerk; ihre Sauberkeit und Regelmäßigkeit verleiht ihnen jedoch ein recht hübsches Aussehen. Die Straßen sind nicht gepflastert, und das Fortkommen ist in denselben deshalb manchmal beschwerlich, doch hat man in mehreren wenigstens Trottoirs angelegt; übrigens ist der in ihnen herrschende Staub für die Augen oft sehr lästig. Das Regierungsgebäude liegt an einer recht geeigneten Stelle am Strande der Bai. Dieser Ort dürfte binnen wenigen Jahren weitere Annehmlichkeiten bieten, wenn die rings um denselben angepflanzten Bäume zu voller Entwickelung gelangt sind, denn die einheimischen erscheinen nicht gerade sehr passend, um als Schmuck zu dienen.«

Die Zeit während dieses Aufenthaltes wurde dazu benützt, die Vorräthe an Lebensmitteln zu ergänzen, Anker und andere höchst nothwendige Sachen anzuschaffen, das Fahrzeug neu auszuwägern, und eine Menge unumgänglicher Reparaturen an der Takelage auszuführen.

[386] Am 6. Januar 1828 lief die »Astrolabe« wieder aus, nahm am 20. die Insel Norfolk auf, sechs Tage später den kleinen Vulcan Mathew, Erronan am 28., am 8. Februar die kleine Insel Mitre, und kam am nächsten Tage in Sicht von Tukopia an. Es ist dieselbe eine kleine Insel von drei bis vier Meilen Umfang, mit einer von Pflanzenwuchs bedeckten ziemlich scharfen Bergspitze. Die Ostseite des Eilandes erscheint wegen der fortwährenden heftigen Brandung so gut wie unzugänglich. Die Ungeduld Aller wächst und übersteigt fast alle Grenzen, als man drei Boote heranrudern sieht, in deren einem sich ein Europäer befindet.

Es ist der Deutsche Bushart, wie er selbst erklärt, der Dillon nach Mallicolo begleitet hatte. Der letztere verweilte damals ziemlich einen Monat über an der Unglücksstelle, um alle Ueberreste von der Expedition zu sammeln, wie d'Urville schon in Hobart-Town erfuhr. Auf der Insel befand sich kein Franzose mehr, der letzte war vor einem Jahre gestorben. Bushart hatte zwar anfänglich zugesagt, d'Urville zu begleiten, trat später aber von seinem Versprechen zurück und weigerte sich, an Bord der »Astrolabe« zu bleiben.

Vanikoro ist von Riffen umgeben, durch welche man nicht ohne Gefahr endlich eine Einfahrt fand, die es der »Astrolabe« möglich machte, bei Oeil und an derselben Stelle vor Anker zu gehen, wo auch Dillon gelegen hatte. Die Stelle des Schiffbruches befand sich auf der anderen Seite der Insel.

Es war nicht leicht, von den habgierigen, mißtrauischen, unverschämten und perfiden Eingebornen Auskunft zu erhalten. Ein Greis gestand endlich ein, daß die auf den Strand von Vanou geworfenen Schiffbrüchigen mit Pfeilen empfangen worden wären; daraus entwickelte sich ein Kampf, bei welchem zahlreiche Einwohner den Tod fanden; die »Maras« seien alle getödtet und ihre Schädel in Vanou eingescharrt worden. Die übrigen Knochen hätten die Eingebornen zur Ausrüstung ihrer Pfeile verwendet.

Man entsendete nun ein Boot nach dem Dorfe Nama. Die Zusicherung eines Stückes rothen Tuches bestimmte die Eingebornen nach langem Zögern endlich, die Franzosen nach dem Orte des Schiffbruches zu geleiten. Etwa eine Meile vom Lande, nahe bei Païou und gegenüber Ambi, in einer Art Lücke zwischen den Rissen, gewahrte man da und dort Anker, Kanonenkugeln, Geschütze und andere Gegenstände, welche bei den Officieren der »Astrolabe« jeden etwa noch gehegten Zweifel beseitigten.

Für Alle lag es klar auf der Hand, daß das Schiff den Versuch gemacht hatte, durch eine enge Einfahrt zwischen den Rissen zu gelangen, wobei es aufgelaufen [387] sein mußte, ohne wieder flott zu werden. Die Besatzung mochte sich nach Païou haben retten können, um dort ein kleineres Fahrzeug zu erbauen, während das andere Schiff, das weiter draußen strandete, mit Mann und Maus untergegangen war.

Der Häuptling Moembe hatte sagen hören, daß die Einwohner von Vanou versucht hätten, das Schiff zu berauben, während sie von den Weißen vertrieben worden wären und dabei zwanzig Mann und drei Häuptlinge verloren hätten. Ihrerseits hätten sie dann alle an's Land gekommenen Franzosen ermordet; nur Zwei wären verschont worden und hätten drei Monate lang auf der Insel gelebt. Ein anderer Häuptling, Namens Valiko, erzählte, eines der Schiffe sei außerhalb der Risse, gegenüber Tanema, gescheitert; die Nacht über habe es fortwährend gestürmt, und fast alle Leute von demselben seien ertrunken, ohne das Land überhaupt betreten zu haben. Die»Maras« (Matrosen) des zweiten Schiffes seien in großer Anzahl an's Land gekommen und hätten in Païou aus den Trümmern des gestrandeten Fahrzeuges ein kleineres erbaut. Während ihres Aufenthaltes sei es zu Streitigkeiten gekommen, wobei fünf Einwohner von Vanon und einer von Tanema, ebenso wie zwei »Maras« den Tod gefunden hätten. Nach Verlauf von fünf Monaten hätten die Franzosen dann die Insel verlassen.

Endlich versicherte ein anderer Greis, es wären zu den Matrosen des ersten Schiffes auch gegen dreißig von dem zweiten gestoßen, und Alle wären erst nach sechs bis sieben Monaten abgefahren.

Alle diese Angaben, die man den Leuten fast nur mit Gewalt entlocken konnte, stimmten in wichtigen Einzelheiten nicht miteinander überein; es schien jedoch, als ob die letzteren Versionen der Wahrheit am nächsten kämen.

Unter den von der »Astrolabe« gesammelten Gegenständen befanden sich ein Anker von etwa achtzehnhundert Pfund Gewicht, eine kurze, gußeiserne Kanone, ein Steinmörser aus Bronze, eine Stutzbüchse aus Kupfer, Bleiblöcke und andere Kleinigkeiten in schlechtem Zustande und von geringem Interesse.

Diese Fundstücke alle beherbergt heutzutage, nebst den schon von Dillon gesammelten, das in den Galerien des Louvre untergebrachte Marine-Museum.

D'Urville wollte Vanikoro nicht verlassen, ohne dem Andenken seiner unglücklichen Landsleute ein Denkmal zu errichten. Das bescheidene Monument wurde auf dem Riffe selbst, inmitten einer Gruppe von Mangobäumen aufgestellt. Es besteht aus einem viereckigen Prisma von sechs Fuß Höhe aus [388] Korallenblöcken, überragt von einer ebenso hohen viereckigen Pyramide aus »Koudi«-Holz, welche auf einer Bleitafel folgende Inschrift enthält:



Gleich darauf traf d'Urville Anstalt abzureisen. Es war dazu auch die höchste Zeit, denn die große, durch fortwährende Platzregen erzeugte Feuchtigkeit hatte heftige Fieber hervorgerufen und nicht weniger als vierundzwanzig Mann auf's Lager gestreckt. Wenn der Befehlshaber noch genug arbeitsfähige Leute übrig behalten wollte, um die bei der Ausfahrt durch die enge Straße nothwendigen Manöver auszuführen, so mußte er sich nun beeilen.

Der letzte Tag, den die »Astrolabe« noch bei Vanikoro verweilte, hätte den Commandanten, wenn das überhaupt nöthig gewesen wäre, über die Stimmung und Absichten der Eingebornen aufklären können. Er schildert die letzten Vorkommnisse dieser gefährlichen Station wie folgt;

»Gegen acht Uhr erstaunte ich, ein halbes Dutzend Piroguen von Tevaï auf uns zukommen zu sehen, umsomehr als sich drei oder vier Bewohner von Manevaï an Bord befanden, welche dabei keinerlei Furcht verriethen, obgleich sie mir wenige Tage vorher gesagt hatten, daß die Einwohner von Tevaï ihre Todfeinde seien. Ich gab den Leuten aus Manevaï meine Verwunderung zu erkennen, doch diese lachten nur eigenthümlich und erklärten, sie hätten mit den Bewohnern von Tevaï Frieden geschlossen, und diese brächten nur Cocosnüsse her. Ich bemerkte aber sehr bald, daß die Neuankommenden nur Bogen und Pfeile bei sich führten. Zwei oder drei derselben stiegen ohne Umstände an Bord und näherten sich der großen Luke, um nach dem Zwischendeck zu sehen und sich zu überzeugen, wie viele Kranke da lagen. In ihren Augen blitzte gleichzeitig eine wahre teuflische Freude. Da meldeten mir einige Leute aus der Mannschaft, daß zwei oder drei Männer aus Manevaï dieses Verfahren schon seit drei bis vier Tagen beobachteten. Gressien, der ihre Bewegungen schon seit dem Morgen im Auge hatte, wollte bemerkt haben, daß die Krieger beider Stämme sich am Strande versammelten und eine lange Unterredung hatten. Noch mehrere Anzeichen verriethen, daß sie nichts Gutes im Schilde führten und ich kam zu der Ueberzeugung, daß uns eine ernste Gefahr drohe. Sofort befahl [389] ich den Eingebornen, die Korvette zu verlassen und sich in ihre Piroguen zu begeben. Da wagten sie es, mich mit stolzen, herausfordernden Blicken zu messen, als wollten sie abwarten, ob ich meinen Befehl auch durchzuführen im Stande wäre. Ich begnügte mich, die sonst sorgfältig geschlossene Waffenkammer zu öffnen und in allem Ernste mit einer Hand nach den Gewehren, mit der anderen nach den Piroguen zu weisen; der unerwartete Anblick von zwanzig glänzenden Flinten, deren Wirkung sie kannten, machte ihnen schnelle Beine und befreite uns von ihrer bedrückenden Anwesenheit.«

Bevor wir diese Inselgruppe traurigen Andenkens verlassen, mögen einige, dem Berichte d'Urville's entnommene Details hier Platz finden.

Die Vanikoro-, Mallicolo- oder La Pérouse-Gruppe, wie Dillon sie nennt, besteht aus den beiden Inseln Recherche und Teval. Die erstere mißt im Umfange nicht weniger als dreißig, die zweite dagegen nur neun Meilen. Beide sind hoch, fast bis zum Meeresstrande mit undurchdringlichen Wäldern bedeckt und von einem sechsunddreißig Meilen langen Riffgürtel umschlossen, durch den nur an seltenen Stellen enge Fahrstraßen nach dem Lande führen. Die Einwohnerzahl wird zwölf- bis fünfzehnhundert Köpfe nicht übersteigen; es haust hier eine träge, widerliche, geistesbeschränkte, wilde, doch feige und beutegierige Race. La Pérouse konnte es nicht unglücklicher treffen, als inmitten einer solchen Bevölkerung zu stranden, während er auf jeder anderen Insel Polynesiens gewiß wohlwollender aufgenommen worden wäre.

Die Frauen hier sind von Natur häßlich; die schweren Arbeiten aber, die sie verrichten, und die herrschenden Lebensgewohnheiten lassen sie nur noch widerwärtiger erscheinen. Die Männer sind etwas weniger häßlich, doch klein, hager und zuweilen mit Geschwüren und Lepraknollen bedeckt. Als Waffen führen sie Bogen und Pfeile. Nach Aussage der Eingebornen verursachen die letzteren, welche aus Bambusstäben hergestellt und mit sehr seiner, mit zähem Harze befestigter Knochenspitze versehen werden, leicht tödtliche Wunden. Sie halten auch große Stücke darauf, und die Reisenden konnten sich nur mit Mühe einzelne Probestücke dieser Waffen erhandeln.

Am 17. März befand sich die »Astrolabe« endlich außerhalb der schrecklichen Risse, welche einen Kranz um Vanikoro bilden. Der Commandant derselben beabsichtigte nun, die Inseln Taumako, Kennedy, Nitendi und die Salomons-Inseln aufzusuchen, wo er noch Spuren der Ueberlebenden von den Schiffbrüchigen der »Boussole« und der alten »Astrolabe« zu finden hoffte. Der [390] traurige Zustand seiner durch Fieberanfälle entkräfteten Mannschaft, die Erkrankung der meisten Officiere und der Mangel eines sicheren Ankerplatzes in diesem Theile Oceaniens bestimmten ihn aber, sich nach Guaham zu begeben, wo es seiner Meinung nach möglich wäre, einmal zu rasten.

Er wich damit von seinen Instructionen, welche ihm die Untersuchung der Torres-Straße zur Pflicht machten, allerdings sehr stark ab; da ihm aber vierzig, jetzt bettlägerige Matrosen abgingen, wäre es eine Thorheit gewesen, jene gefährliche Untersuchung mit mangelhaften Kräften zu wagen.

Am 26. April wurde nun der Hogolez-Archipel angelaufen, wo d'Urville die noch von Duperrey's Untersuchung her übrig gebliebenen Lücken ausfüllte, und erst am 2. Mai kamen die Gestade von Guaham in Sicht. Als Ankerplatz ward Umata erkoren, wo man leichten Zugang zu Wasser und ein gemäßigteres Klima als in Agagna fand. Als die Expedition aber am 29. Mai wieder unter Segel ging, waren noch keineswegs alle Kranke wieder genesen, was d'Urville Diätfehlern der Matrosen, die unmöglich zu einer angepaßten Lebensweise zu bestimmen waren, zuschreibt.

Noch verwaltete den Gouverneursposten in Guaham der gute Medinilla, über den schon Freycinet des Lobes voll war. Wenn dieser sich gegen die Expedition jetzt nicht so zuvorkommend erwies. so verschuldete das die schreckliche Dürre, unter der die Kolonie eben litt, ferner das Gerücht, daß die Leute von der »Astrolabe« an einer ansteckenden Krankheit litten, und endlich wohl die ziemlich bedeutende Entfernung Umatas von Agagna, welche d'Urville verhinderte, dem Gouverneur in dessen Residenz seine persönliche Aufwartung zu machen.

Nichtsdestoweniger übersendete Medinilla der Expedition frische Lebensmittel und Früchte in Menge und verleugnete überhaupt seine gewohnte Freigebigkeit niemals.

Nach der Abreise von Guaham kam d'Urville bei den westlichen Carolinen und den Gruppen der Elivi-, der Lütke'schen Uluthii-Inseln, ferner bei Gouap, Goulov und Pelew vorüber; die herrschenden Winde zwangen ihn auch an Waigiou, Aiou, Asia und Guebe vorüber zu segeln, worauf er in die Bourou-Straße einfuhr, in Amboine vor Anker ging und von Seiten der holländischen Behörden sehr herzlich aufgenommen wurde. Hier fand der Commandant auch Nachrichten aus Frankreich vor. Das Ministerium schien die Arbeiten, die Strapazen und ausgestandenen Gefahren der Expedition nicht hoch zu schätzen; denn trotz der Vorschläge d'Urville's wurde kein einziger Officier durch eine Rangerhöhung [391] erfreut. Nach Bekanntwerden jener Nachrichten bemächtigte sich Aller eine gewisse Mißstimmung und Entmuthigung, welche der Befehlshaber nach Kräften zu bekämpfen suchte.

Von Amboine aus kam die »Astrolabe« durch die Banka-Straße nach Manado. Es ist das ein angenehmer Ort mit einem stark verschanzten, reichlich mit Kanonen bewehrten Fort. Der Gouverneur Merkus überließ d'Urville schöne Hornschweine, einen Sapioutang, ein Thier von der Größe einer kleinen Kuh, deren Schnauze und Beine es hat, nebst zwei zurückgebogenen Hörnern, ferner Schlangen, Vögel, Fische und Pflanzen, welche die naturhistorischen Sammlungen wesentlich bereicherten.

Nach Aussage d'Urville's nähert sich die äußere Erscheinung der Bewohner von Celebes mehr der der Polynesier als der Malayen. Er glaubte an denselben eher die Volkstypen von Tahiti, Tonga-Tabu und Neu-Seeland zu erkennen, als die der Papuas vom Doreï-Hafen, der Harfours von Bouron oder die eckigen und knochigen Gesichter der Malayen.

In der Nähe von Manado befanden sich goldhaltige Quarzminen, von denen der Commandant einige Steinproben erwarb, und ein im Innern gelegener See, der nach allgemeiner Annahme ungeheuer tief sein sollte. Dieser See ist der Tondano-See, aus welchem ein beträchtlicher Fluß, der Manado, seinen Ursprung nimmt, der vor seiner Einmündung in's Meer einen prächtigen Wasserfall bildet. Der Bergstrom, dem ein Basaltfelsen den Ausgang versperrte, hat sich eine Oeffnung durch denselben gebrochen und strömt in Form einer mächtigen Wassergarbe daraus hervor, die in einen Abgrund von neunzig Fuß Tiefe hinabstürzt.

Mit dem Gouverneur und den Naturforschern untersuchte d'Urville das schöne, von vulcanischen Bergen umschlossene Seebecken, neben dem man noch einzelne Fumarolen bemerkt; seine Tiefe beträgt jedoch überall nur zwölf bis dreizehn Faden, so daß er trocken gelegt eine vollkommen ebene Fläche bilden würde.

Am 4. August verließ man den Ankerplatz von Manado, der sich für die Genesung der Fieber- und Ruhrkranken der Expedition nicht besonders günstig erwiesen hatte. Am 29. desselben Monats traf diese in Batavia ein, wo sie indeß nur drei Tage lang verweilte.

Von hier aus durchsegelte die »Astrolabe« bis zu ihrer Heimkehr nach Frankreich nur längst bekannte Meere. Sie kam nach Isle de France, wo d'Urville den Kapitän Le Goarant antraf, der mit der Korvette »la Bayonnaise« eine Fahrt nach Vanikoro gemacht hatte. Er erfuhr, daß dieser Officier davor zurückgeschreckt war, in den Raum hinter dem Riffkranze einzudringen, und sich begnügt hatte, Boote auf Kundschaft auszusenden.


Felsenriff von Vanikoro. (S. 390)

Die Eingebornen hatten das zur Erinnerung an La Pérouse errichtete Denkmal in Ehren gehalten und nur mit Mühe ihre Zustimmung zur Anbringung einer Kupfermedaille durch die Seeleute der »Bayonnaise« [392] gegeben.

[393] Am 18. November verließ die Korvette Isle de France wieder, hielt am Cap, bei St. Helena und Ascension an und traf am 25. März 1829, genau fünfunddreißig Monate nach ihrer Abfahrt, in Marseille wieder ein.

Schon bezüglich der Hydrographie allein waren die Resultate der Expedition höchst bemerkenswerthe, denn man verdankte dem unermüdlichen Fleiße Gressien's und Paris' nicht weniger als fünfundvierzig neue Karten. Was die Naturgeschichte betrifft, so dürften die nachfolgenden Zeilen aus dem Berichte Cuvier's die beste Vorstellung von dem Reichthum der betreffenden Sammlungen erwecken:

»Die Kataloge zählen sie (die Species, welche man Quoy und Gaimard verdankte) nach Tausenden auf, und nichts beweist besser die rege Thätigkeit dieser Forscher, als die Verlegenheit, in der sich die Verwaltung des Jardin du Roi befindet, um Alles unterzubringen, was sie durch die letzten See-Expeditionen, und vorzüglich von der in Rede stehenden erhalten hat. Man hat Erdgeschosse und Kellerräume dafür in Anspruch nehmen müssen, und selbst die Magazine sind jetzt so vollgepfropft, das ist der richtige Ausdruck, daß man sie hat durch Zwischendecken theilen müssen, um mehr Plätze zu gewinnen.«

Auch die geologischen Sammlungen standen an Anzahl von Exemplaren nicht nach; 187 Arten oder Varietäten von Felsgestein zeugen für den Eifer Quoy's und Gaimard's. Der jüngere Lesson hatte fünfzehn- bis sechszehnhundert Pflanzenspecies zusammengebracht. Kapitän Jacquinot hatte sich mit zahlreichen astronomischen Beobachtungen beschäftigt; der Befehlshaber selbst endlich, ohne seine Pflichten als Seemann und Chef der Expedition hintanzusetzen, Untersuchungen der Meerestemperatur in verschiedenen Tiefen und solche über meteorologische Phänomene angestellt, aber auch eine erstaunliche Menge schätzenswerther Beiträge für die Philologie und Ethnographie geliefert.

Wir glauben den Bericht über diese Expedition nicht besser abschließen zu können als mit der Wiedergabe folgender Stelle aus Dumont d'Urville's Memoiren, welche dessen Biograph Didot anführt:

»Dieser abenteuerreiche Zug übertraf alle bis jetzt unternommenen ebenso durch die häufigen und schweren Gefahren, die ihn bedroht haben, wie durch den Reichthum und die Mannigfaltigkeit der nach allen Seiten erzielten Resultate. Ein eiserner Wille verhinderte mich, vor irgend einem Hinderniß zurückzuweichen. Der Entschluß »zu sterben oder zu siegen« ließ kein Zaudern, keine Ungewißheit in mir aufkommen. Zwanzigmal habe ich die »Astrolabe« so dicht vor ihrem Untergange gesehen, daß in meiner Seele keine Hoffnung auf Rettung mehr [394] lebte. Tausendmal setzte ich das Leben meiner Leute auf's Spiel, um die Vorschriften meiner Instructionen zu erfüllen, und während zweier auf einander folgenden Jahre kann ich versichern, daß wir täglich mehr ernsthaften Gefahren ausgesetzt gewesen sind, als sonst eine gewöhnliche lange Seereise überhaupt bedrohen. Muthig und voller Ehrgefühl, erkannten die Officiere zwar die Gefahren, denen ich sie tagtäglich aussetzte, aber sie thaten schweigend ihre Pflicht.«

Diesem bewundernswerthen Wetteifer von Eifer und Opferfreudigkeit verdankt man die erstaunliche Menge von Entdeckungen, Materialien und Beobachtungen für alle Zweige des menschlichen Wissens, welche den ausgezeichneten Arbeiten de Rossel's, Cuvier's, Geoffroy St. Hilaire's, Desfontaine's und anderer unparteiischer Beurtheiler und erfahrener Sachkenner zugrunde liegen.

3. Capitel
1.
I. Der Südpol.

Noch ein russischer Weltumsegler: Bellingshausen. – Entdeckung der Traversay-, Peter I.- und Alexander I.-Inseln. – Der Walfänger Weddell. – Die südlichen Orcaden. – Süd-Georgia. – Neu-Shetland. – Die Bewohner von Feuerland. – John Biscoë und das Enderby- und Grahamland. – Charles Wilkes und der antarktische Continent. – Der Kapitän Balleny. – Die Expedition Dumont d'Urville's mit der »Astrolabe« und der »Zelée«. – Coupvent-Debois auf dem Pic von Teneriffa. – Die Magellanstraße. – Ein neues Postamt. – Vom Packeis eingeschlossen. – Louis Philippe's-Land. – Quer durch Oceanien. – Adélie-und Clarieland. – Neu-Guinea und die Torrestraße. – Rückkehr nach Frankreich. – James Clark Rosset. – Victorialand


Wir hatten schon früher Gelegenheit, der antarktischen Gebiete und der daselbst von verschiedenen Seefahrern im 17. und gegen Ende des 18. Jahrhunderts gemachten Entdeckungen zu erwähnen. Meist sind es Franzosen, denen man letztere verdankte, und unter diesen zeichneten sich vorzüglich La Roche, der Entdecker Neu-Georgias im Jahre 1675, ferner Bouvet, Kerguelen, Marion und Crozet in hervorragender Weise aus. Man versteht unter dem Namen der antarktischen Länder (in Frankreich wird der Begriff weiter gefaßt als bei uns. Anm. d. Uebers.) alle jene im Großen Ocean zerstreuten Inseln, welche meist den [395] Namen berühmter Seefahrer tragen, dazu die Prinz Eduards-, die Sandwichs-Inseln nebst Neu-Georgien u. a. m.

In diesen Meerestheilen hatte William Smith, der Kapitän der Brigg »William«, auf der Fahrt von Montevideo nach Valparaiso, im Jahre 1818 Süd-Shetland; ein unfruchtbares, kahles, schneebedecktes Land entdeckt, auf dem sich aber zahllose Heerden von Seekälbern vorfanden, deren Felle als Pelzwerk verwendet werden und die man bisher nur in den südlichsten Meeren angetroffen hatte. Auf diese Nachricht hin beeilten sich die Walfänger, die neu entdeckten Küsten aufzusuchen, und man berechnet, daß auf diesem Archipel 1821 und 1822 nicht weniger als 320.000 Seekälber gefangen wurden und daß die Quantität des gewonnenen See-Elephantenöles in derselben Zeit 940 Tonnen erreichte. Da man aber Männchen und Weibchen ohne Schonung vertilgte, wurden die neuen Jagdgründe bald genug erschöpft. Die zwölf Hauptinseln nebst den unzähligen, der Vegetation fast ganz entbehrenden Klippen, welche jenen Archipel bilden, waren dabei schnell untersucht und aufgenommen worden.

Zwei Jahre später entdeckte Botwell die südlichen Orcaden; später sahen oder glaubten Palmer und andere Walfänger doch unter demselben Breitengrade mehrere Landmassen zu sehen, welche die Namen Palmer- und Trinityland erhielten.

Bald folgten in jenen hyperboräischen Gebieten noch andere größere Entdeckungen, und die Hypothesen Dalrymple's, Buffon's und anderer Gelehrten des 18. Jahrhunderts, nach denen für die den Nordpol umschließenden Landmassen als Gegengewicht ein südlicher Continent vorhanden sein sollte, fanden durch die Arbeiten unerschrockener Forscher eine unerwartete Bestätigung.

Seit mehreren Jahren schon zeichnete sich Rußland durch die Unterstützung und Entwickelung seiner nationalen Marine und durch Begünstigung wissenschaftlicher Forschungen jeder Art sehr ehrenvoll aus. Wir schilderten schon früher manche interessante Reisen seiner Weltumsegler; hier haben wir uns noch mit Bellingshausen und dessen Reise um die Erde zu beschäftigen, weil diese in Bezug auf Erforschung der antarktischen Meere eine hervorragende Rolle spielt.

Die beiden Schiffe, die »Vostok«, Kapitän Bellingshausen, und die »Mirni«, unter Führung des Lieutenant Lazarew, verließen Kronstadt am 3. Juli 1819, um nach den Südpolar-Meeren zu segeln. Am 15. December bekamen sie Süd-Georgia in Sicht und entdeckten eine Woche später im Südosten eine vulcanische Insel, welche sie Traversay-Land tauften und deren Lage sie zu 52°15' südlicher Breite und 27°21' westlicher Länge von Paris bestimmten.

[396] Von hier segelten sie unter dem 60. Breitengrade vierhundert Meilen nach Osten hin bis zum 187. Meridian, und steuerten dann in gerader Richtung nach Süden bis zum 70. Breitengrade; hier erst sperrte eine Eiswand ihnen den Weg und hinderte sie, noch weiter vorzudringen.

Bellingshausen ließ sich dadurch nicht von weiteren Versuchen abschrecken, sondern segelte, meist innerhalb des Polarkreises, nach Osten weiter, sah sich aber beim 44. Grade östlicher Länge gezwungen, nach Norden zurückzukehren. Vierzig Meilen von seiner letzten Position lag ein großes Land, das ein Walfischjäger, der hier offenes Wasser fand, erst zwölf Jahre nach ihm entdeckte.

Bis zum 62. Breitengrade hinauf gelangt. schlug Bellingshausen noch einmal einen Kurs nach Osten ein, erreichte, ohne auf Hindernisse zu stoßen, den 90. Meridian und segelte vom 5. März 1820 an nach Port Jackson, um frischen Proviant einzunehmen und die Schiffe ausbessern zu lassen.

Den ganzen Sommer verwendete der russische Seefahrer dann zu einer Kreuzfahrt in den oceanischen Meeren, wo er siebzehn neue Inseln entdeckte. Nach Port Jackson zurückgekehrt, lief er am 31. October nochmals zu einer neuen Forschungsreise aus.

Zuerst bekamen die beiden Fahrzeuge die Macquarie-Inseln in Sicht, dann durchschnitten sie den 60. Breitegrad unter 160 Grad östlicher Länge und segelten nun zwischen dem 64. und 68. Grade westlicher Länge nach Osten weiter. Am 9. Januar 1821 erreichte Bellingshausen den 70. Breitengrad und entdeckte am folgenden Tage, unter 69°30' der Breite und 92°20' westlicher Länge, eine Insel, die den Namen Peter I. erhielt, das südlichste Stück Land, welches man bis jetzt kannte. Noch 15 Grade weiter im Osten und fast unter derselben Parallele fand er ein anderes Land, das nach Alexander I. genannt wurde. Kaum zweihundert Meilen von Grahamland entfernt, dürfte dieses, wenn man Krusenstern glauben darf, mit dem eben genannten zusammenhängen, denn das Meer zwischen beiden Inseln erschien überall entfärbt und auch andere Kennzeichen bestätigten diese Annahme.

Von hier aus schlugen beide Schiffe einen nördlichen Kurs ein, segelten in einiger Entfernung bei Grahamland vorüber und kehrten im Juli 1821, genau zwei Jahre nach der Abfahrt, nach Kronstadt zurück, ohne andere Verluste gehabt zu haben, als drei Matrosen, welche von einer, zweihundert Köpfe zählenden Mannschaft gestorben waren.

[397] Wir wären gern näher auf diese höchst interessante Expedition eingegangen, doch konnten wir den in Petersburg in russischer Sprache erschienenen Originalbericht nicht erlangen und mußten uns mit dem, 1837 im Bulletin der Geographischen Gesellschaft veröffentlichten Auszuge begnügen.

Zu derselben Zeit erhielt ein Lootse der königlichen Marine, James Weddell, von einem Handelshause in Edinburg die Leitung einer Expedition, welche in der Südsee zwei Jahre bleiben und Seekalbfelle sammeln sollte. Diese bestand aus der Brigg »Jane«, von hundertsechzig Tonnen, Kapitän Weddell, und dem Kutter »Beaufort«, von fünfundsechzig Tonnen, geführt von Mathieu Brisbane.

Diese beiden Fahrzeuge verließen England am 17. September 1822, verweilten kurze Zeit bei Bonavista, eine der Inseln des Grünen Vorgebirges, und ankerten an 11. December im Hafen St. Helena an der Ostküste Patagoniens, woselbst wichtige Beobachtungen bezüglich der Lage dieses Hafens angestellt wurden. Am 27. December stach Weddell wieder in See, steuerte in südöstlicher Richtung und kam am 12. Januar in Sicht eines Archipels, den er »die südlichen Orcaden« nannte. Diese Inseln liegen unter 60°45' südlicher Breite und 45° westlicher Länge von Greenwich.

Nach Aussage dieses Seemannes böte jene Gruppe einen noch abschreckenderen Anblick als Neu-Shet land. Von welcher Seite man sie auch betrachten mag, überall bemerkt man nur schroffe, vollkommen kahle Felsen, emporsteigend aus dem empörten Meere, auf welchem gewaltige Eisschollen mit Donnergekrach gegen einander stoßen. Ein Schiff in diesen Gewässern schwebt jeden Augenblick in drohender Gefahr, und während der elf Tage welche Weddell hier unter Segel zubrachte, um die Inseln, Eilande und Klippen dieses Archipels aufzunehmen, fand die Mannschaft keinen Augenblick Ruhe, war dagegen immer in Gefahr, Schiffbruch zu erleiden.

Von den Felsgesteinen der Inseln wurden Proben mitgenommen und bei der Rückkehr dem Professor Jameson in Edinburg übergeben, der in denselben Urgebirgs- und vulcanische Formationen erkannte.

Weddell begab sich nun weiter nach Süden, durchschnitt den Polarkreis unter 30° östlicher Länge von Greenwich und begegnete bald zahlreichen schwimmenden Eisbergen. Nach Ueberschreitung des 70. Grades zeigten sich diese aber selten und verschwanden endlich ganz; die Witterung wurde milder, zahllose Schaaren von Vögeln umschwärmten das Schiff und ganze Heerden von Walfischen [398] tummelten sich in dessen Kielwasser. Die eigenthümliche und unerwartete Zunahme der Temperatur verwunderte natürlich Alle, und das umsomehr, als es immer wärmer wurde, je weiter sie nach Süden vordrangen. Die Umstände gestalteten sich so günstig, daß Weddell jeden Augenblick ein Land in Sicht zu bekommen hoffte, was indessen nicht der Fall war.

Am 20. Januar befand sich das Fahrzeug unter 36°15' östlicher Länge bei 74°15' südlicher Breite.

»Ich hätte nach Südwesten zu, sagt Weddell, gern weitere Forschungen angestellt, in Rücksicht auf die schon vorgeschrittene Jahreszeit und den Umstand, daß wir tausend Meilen Seeweg wieder rückwärts machen mußten, der gewiß vielfache Eishindernisse bot, konnte ich den so günstigen Wind nicht anders benutzen, als mit dessen Hilfe zurückzukehren.

Ohne ein Anzeichen von Land in jener Richtung gefunden zu haben, segelte Weddell mit steifem Südwinde bis zum 58. Breitengrade nach Norden hinauf und nach Osten bis etwa hundert Meilen vom Sandwichs-Lande. Am 7. Februar schlug er nochmals einen südlichen Kurs ein, segelte fünfzig Meilen weit durch Treibeis und kam am 20. Februar bis 74°15' hinab. Von den Masten aus erblickte man nach allen Seiten ein offenes Meer mit nur vier darin schwimmenden Eisinseln.«

Diese Fahrten nach dem Süden hatten ganz unerwartete Resultate geliefert. Weddell war 240 Meilen weiter nach dem Pole vorgedrungen, als alle seine Vorgänger, Cook eingeschlossen. Er gab dem von ihm erforschten Theile des antarktischen Meeres den Namen Georg's IV. Merkwürdiger Weise hatte – es verdient diese Erfahrung wohl beachtet zu werden – das Eis sich vermindert, je weiter er nach Süden vordrang; fortwährend herrschten dabei Nebel und Gewitterstürme; die Atmosphäre enthielt stets sehr viel Feuchtigkeit; das Meer war tief und offen und die Temperatur überraschend mild.

Noch bemerkenswerther dürfte sein, daß die Bewegungen der Magnetnadel in diesen hohen südlichen Breiten eben so langsam vor sich gingen, wie Parry dasselbe in den arktischen Gebieten beobachtet hatte.

Die beiden durch einen Sturm getrennten Schiffe Weddell's trafen nach zwölfhundert Meilen langer, gefährlicher Fahrt durch Eisfelder in Neu-Georgia wieder zusammen. Diese im Jahre 1675 von La Roche entdeckte, 1756 von dem Schiffe »Der Löwe« besuchte Insel wurde seiner Zeit doch erst durch Cook's Untersuchung näher bekannt; seine Angaben über das ungemein häufige Vorkommen von Seekälbern und Walrossen veranlaßten viele Rheder, dieselbe aufsuchen zu lassen.

[399] Vorzüglich waren es Engländer und Amerikaner, welche die Felle der erlegten Thiere nach China beförderten, wo sie diese nicht unter fünfundzwanzig bis dreißig Francs das Stück verkauften. Binnen wenigen Jahren belief sich die Zahl der erlegten Thiere auf 1.200.000 Stück, womit dieselben hier freilich als ziemlich ausgerottet zu betrachten waren.


Walroßfang. (S. 396)

[400] Walroßfang. (S. 396)


»Die Länge von Süd-Georgia, sagt Weddell, beträgt gegen dreißig, die mittlere Breite etwa drei Meilen. Die Küste desselben ist von Buchten so zerrissen, daß sich die Ufer der letzteren an manchen Stellen gegenseitig zu berühren scheinen. Die Berggipfel streben alle steil empor und sind fortwährend mit Schnee bedeckt. In den Thälern dagegen zeigt sich während des Sommers eine kräftige Vegetation; vorzüglich gedeiht hier eine als Futter brauchbare Grasart, deren Halme durchschnittlich zwei Fuß Länge erreichen.


Dumont d'Urville. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Säugethiere giebt es nicht, dagegen beherbergt die Insel große Mengen von Vögeln und Amphibien.«

[401] Man sieht hier zahllose Heerden von Pinguins, welche mit hochgetragenem Kopfe und einem gewissen Stolze am Strande auf und ab spazieren. Man glaubt, um das Bild eines alten Seemannes, Sir John Narborough's, zu gebrauchen, auf den ersten Anblick eine Schaar Kinder mit weißen Schürzen vor sich zu haben. Ferner sieht man hier viele Albatrosse, Vögel von sechszehn bis siebzehn Fuß Flügelspannweite, deren Volumen aber, wenn sie der Federn beraubt werden, auf die Hälfte zusammenschrumpft.

Weddell besuchte auch Neu-Shetland und fand, das die zu diesem Archipel gehörende Insel Bridgeman einen noch thätigen Vulcan bildet. Er konnte jedoch, da das Eis alle etwa zugänglichen Stellen des Ufers absperrte, nirgends landen, und sah sich gezwungen, nach Feuerland zu segeln.

Während seines zweimonatlichen Aufenthaltes daselbst überzeugte sich Weddell von den vielerlei Vortheilen, welche diese Küste den Seefahrern bot, und unterrichtete sich eingehend über den Charakter der Einwohner.

Im Innern des Landes erhoben sich einige schneebedeckte Berge, von denen keiner dreitausend Fuß zu übersteigen schien. Den Vulcan, welchen andere Reisende vor ihm und vorzüglich Basil Hall im Jahre 1822 entdeckt hatten, konnte er zwar nicht finden, sammelte aber eine Menge, jedenfalls aus demselben herstammende Laven. An seinem Vorhandensein konnte Weddell umsoweniger zweifeln, als er schon bei Gelegenheit einer früheren Reise, im Jahre 1820, den Himmel über Feuerland so auffallend geröthet gesehen hatte, daß er sich diese außergewöhnliche Färbung nur durch einen Vulcanausbruch zu erklären vermochte. Die Reisenden, welche Feuerland bisher besucht hatten, stimmten über die Temperatur dieses Polargebietes nur sehr wenig überein. Weddell schreibt diese Abweichungen der verschiedenen Jahreszeit ihres Aufenthaltes und den dabei zufällig herrschenden Windrichtungen zu. Nach seinen Erfahrungen übersteigt die Luftwärme bei Südwind niemals zwei bis drei Grad; bei Nordwind wird es hier aber ebenso warm, »wie im Juli in England«.

Von Thieren fand der Seefahrer vorwiegend Hunde und Fischottern, nach ihm die einzigen Säugethiere des Landes.

Die Beziehungen zu den Eingebornen gestalteten sich recht freundlich. Anfangs umschwärmten letztere das Schiff, wagten aber nicht, dasselbe zu betreten; später wurden sie jedoch weit zutraulicher. Dieselben Scenen, welche sich bei der Fahrt des ersten Schiffes durch die Meerenge (das ist die Magellansstraße) zutrugen, wiederholten sich, trotz der langen Zwischenzeit, ganz genau auch jetzt.

[402] Brot, Madeirawein und Rindfleisch, das man ihnen anbot, rührten die Eingebornen gar nicht an. Als werthvollste Objecte galten ihnen das Eisen und Spiegel, vor denen sie zur großen Belustigung der Mannschaften, ergötzliche Grimassen schnitten und sich in geradezu unglaublicher Weise drehten und verrenkten. Uebrigens genügte schon ihre äußere Erscheinung, um allgemeine Heiterkeit zu erwecken. Mit ihrer dunklen Kupferfarbe, den blauen Federn, welche sie trugen, mit dem, von parallelen rothen und weißen, einem Matratzenüberzüge nicht unähnlichen Linien bedeckten Gesichte sahen sie so urkomisch aus, daß sie die Witzeleien und das Gelächter der Engländer wirklich herausforderten. Da sie mit den Bruchstücken eiserner Faßreifen, die man ihnen anbot, nicht zufrieden waren und diese Geschenke von Leuten mit so großen Schätzen als knauserige Gabe betrachteten, nahmen sie einfach Alles weg, was ihnen paßte. Diesen Diebereien wurde zwar bald ein Ziel gesteckt, es führte das aber zu manchem lächerlichen Auftritte, der vorzüglich ihre Nachahmungsgabe in helles Licht setzte.

»Ein Matrose hatte einem derselben, erzählt Weddell, einen mit Kaffee gefüllten Zinntopf gegeben, den jener auf der Stelle austrank, aber auch ohne zu fragen zurückbehielt. Als der Matrose das Abhandensein des Gefäßes bemerkte, fragte er überall danach, aber trotz seiner Bemühungen, sich verständlich zu machen, fand sich Niemand, der ihm den gestohlenen Gegen stand wieder zugestellt hätte. Nach Erschöpfung aller erdenklichen Mittel rief der Mann, eine drohende Haltung annehmend, mit lauter Stimme: »Kupferfarbiger Spitzbube, was hast Du mit meinem Topfe gemacht?« Der Wilde ahmte darauf seine Stellung nach und wiederholte englisch ganz mit demselben Tone: »Kupferfarbiger Spitzbube, was hast Du mit meinem Topfe gemacht?« Die Nachahmung war so täuschend, daß die ganze Mannschaft hell auflachte, außer dem Matrosen, der sich auf den Dieb stürzte, diesen durchsuchte und dabei richtig sein Zinngefäß wieder fand.«

Bei dem rauhen Klima, ohne Kleidungsstücke, ohne Nahrung, inmitten unfruchtbarer Bergzüge, ohne Thiere, welche ihnen kräftige Speise liefern könnten, führen die Fuegier (Feuerländer) ein wahrhaft erbärmliches Leben. Die Jagd ist nicht ergiebig, der Fischfang unzureichend; so sind sie angewiesen zu warten, bis vom Sturme einmal ein riesiger Walfisch auf den Strand geworfen wird, über den sie begierig herfallen, ohne sich erst mit dem Abkochen des Fleisches zu bemühen.

Im Jahre 1828 war das Schiff »le Chanticleer«, Kapitän Henri Foster, beauftragt gewesen, zur Bestimmung der Gestalt der Erde hier Pendelbeobachtungen[403] vorzunehmen. Diese Expedition währte drei Jahre und endigte mit dem Tode des Befehlshabers, der 1831 im Chagres-Flusse ertrank. Wir erwähnen derselben nur, weil jenes Schiff am 5. Januar 1829 die Gruppe der südlichen Shetlands anlief und untersuchte. Mit großer Mühe gelang es dem Commandanten sogar, an einer der Inseln zu landen, von wo er einige Proben von dem, den Boden derselben bildenden Syenit und eine kleine Menge rothen Schnee mitbrachte, der nach allen Seiten mit dem übereinstimmte, welchen andere Forscher in manchen Gegenden der Polarregion gefunden hatten.

Weit mehr Interesse bietet die Reise des Walfischfahrers John Biscoë in den Jahren 1830–1832.

Unter seinem Befehle verließen die Brigg »Tula«, von 148 Tonnen, und der Kutter »Lively« den Hafen von London am 14. Juli 1830. Die beiden, den Herren Enderby gehörigen Schiffe waren zum Robbenfang bestimmt und mit allen, für eine so lange und schwierige Fahrt nöthigen Gegenständen ausgerüstet. Biscoë's Instructionen lauteten daneben aber auch dahin, bei seiner Fahrt auf Entdeckungen in den antarktischen Meeren auszugehen.

Die beiden Fahrzeuge liefen die Malouinen an, segelten am 27. November wieder weiter, suchten vergeblich die Aurora-Inseln und wandten sich nach dem Sandwichs-Lande, dessen Südspitze sie am 1. Januar 1831 umschifften.

Unter dem 59. Breitengrade begegneten sie compacten Eismassen, welche ihnen nach Südwesten – in welcher Richtung sich verschiedene Anzeichen eines Landes bemerklich machten – den Weg vollständig versperrten. Sie mußten in Folge dessen nach Osten umkehren, wobei sie dem Rande des Eisfeldes entlang bis 9°34' westlicher Länge hinsegelten. Erst am 16. Januar konnte Biscoë den 60. Grad südlicher Breite überschreiten. Im Jahre 1775 hatte Cook da in einer Ausdehnung von zweihundertfünfzig Meilen offenes Wasser gefunden, wo eine undurchdringliche Eisschranke alle Versuche Biscoë's vereitelte.

Während er nach Südosten bis 68°51' der Breite und 10° östlicher Länge vordrang, fiel ihm die Entfärbung des Wassers, das Erscheinen verschiedener »Eaglets« (das sind junge Adler) und Captauben, und dazu noch die Richtung des Windes auf, der aus Südsüdwest wehte, lauter fast sichere Zeichen der Nähe eines großen Landes.

Leider verhinderte ihn das Eis, tiefer nach Süden zu gelangen. Biscoë konnte nur nach Osten weiter segeln, wobei er sich immer in der Nähe des Polarkreises hielt.

[404] »Am 27. Februar endlich, sagt Desborough Cooley, erblickte er unter 65°57' südlicher Breite und 45° östlicher Länge deutlich ein weit ausgedehntes, bergiges, schneebedecktes Land, dem er den Namen Enderby beilegte. Er gab sich nun alle erdenkliche Mühe, nach demselben zu gelangen, die Eismassen aber machten jede Annäherung unmöglich. Inzwischen trennte ein unerwarteter Windstoß die beiden Schiffe und trieb sie nach Südosten, wobei jenes Land, das von Osten nach Westen über zweihundert Meilen lang war, noch lange Zeit in Sicht blieb. Das schlechte Wetter und der klägliche Gesundheitszustand seiner Mannschaft zwangen Biscoë jedoch, nach Van Diemensland zu steuern, wo sich die »Lively« mit ihm erst nach einigen Monaten wieder vereinigte.«

Die Forscher waren mehrmals Zeugen der blendenden Erscheinung des Südlichtes, eines wunderbaren Schauspiels, das wohl Jeder, der es sah, niemals vergißt.

»Zuerst, erzählt Biscoë, schossen die glänzenden Strahlen des Südlichtes flammenden Säulen gleich über unseren Köpfen empor. verwandelten sich dann plötzlich in schimmernde, feine Fransen und wanden sich hierauf schlangenähnlich durch die Luft; oft schienen die Lichtbündel nur einige Ruthen hoch über uns zu glühen, jedenfalls aber gehörten sie noch der Erdatmosphäre an.«

Das bergerfüllte, schneebedeckte Land erstreckte sich von Osten nach Westen unter 66°30' der Breite hin; leider vermochte man sich demselben nicht auf kürzere Entfernung als zehn Meilen zu nähern, da es überall mit Eis umgeben war. Von Van Diemens-Land, das er am 14. Januar 1832 verließ, steuerte Biscoë mit seinen beiden Fahrzeugen nach Südosten. Zu wiederholten Malen erweckten auf dem Meere schwimmende Seegrasmassen, Schwärme von Vögeln, welche sich niemals weit vom Lande entfernen, und niedrig ziehende Wolken Biscoë's Hoffnung auf irgend eine neue Entdeckung; immer verhinderte ihn aber die stürmische Witterung, solchen Anzeichen weiter nachzuspüren. Am 12. Februar endlich bemerkte er unter 66°27' der Breite und 84°10' der Länge wiederum ganze Schaaren von Albatrossen, Pinguins und zahlreiche Walfische; am 15. wurde dann tief im Südosten Land entdeckt; am nächsten Tage fand man, daß dasselbe eine Insel bildete, die zu Ehren der Königin von England den Namen Adelaide erhielt. Auf derselben erhoben sich, etwa eine Meile vom Strande, mehrere konische Spitzberge mit sehr breiter Basis.

Im Laufe der folgenden Tage überzeugte man sich, daß jene Insel nicht isolirt lag, sondern zu einer langen, einem hochaufgeschichteten Lande vorgelagerten [405] Inselkette gehörte. Dieses, in der Richtung von Ostnordost nach Westsüdwest etwa zweihundertfünfzig Meilen lange Land erhielt den Namen Graham, während der Inselkette der ihres Entdeckers Biscoë beigelegt wurde. Von Pflanzen oder Thieren fand sich auf dem Lande keine Spur.

Um seine Entdeckung gewissermaßen zu sanctioniren, ging Biscoë am 21. Februar zur Besitzergreifung desselben auf das große Land und bestimmte zu 64°45' südlicher Breite und 66°11' westlicher Länge von Paris die Lage eines hohen Berges, dem er den Namen Mount William gab.

»Man befand sich hier, heißt es in dem Bulletin der Geographischen Gesellschaft von 1833, in einer tiefen Bucht mit so friedlichem Wasser, daß beide Schiffe, wenn es hier Robben gab, damit hätten befrachtet werden können, vorausgesetzt, daß es möglich gewesen wäre, nach dem Felsenrande zu gelangen, um dieselben zu jagen. Das Wasser war überall sehr tief, denn selbst dicht am Ufer erreichte die Sonde bei zwanzig Faden noch keinen Grund. Die Sonne schien so warm, daß der Schnee auf allen Uferfelsen schmolz, ein Umstand, der das gänzliche Fehlen von Robben desto auffallender erscheinen ließ.«

Von hier aus segelte Biscoë nach Süd-Shetland, das vielleicht mit Grahamland in Verbindung steht, rastete darauf noch einmal bei den Malouinen, wo die »Lively« verloren ging, und kehrte endlich nach England zurück.

Als Belohnung für seine Mühen und als Aufmunterung zu weiteren Versuchen erhielt Kapitän Biscoë die großen Preise der Geographischen Gesellschaften von London und Paris.

In Folge dieser Reisen entstand ein lebhafter Streit über das Vorhandensein eines südlichen Continents und über die Möglichkeit, von den bereits entdeckten Inseln aus noch jenseits des ersten Eisringes weiter nach Süden segeln zu können. Drei Mächte beschlossen fast gleichzeitig, zur Lösung dieser Fragen Expeditionen abzusenden. Frankreich vertraute die Führung der seinigen Dumont d'Urville an; England wählte James Roß und die Vereinigten Staaten den Lieutenant Charles Wilkes.

Wir lassen den neuen Mitbewerbern den Vortritt. Der Letztgenannte erhielt den Oberbefehl über ein kleines Geschwader, bestehend aus der »Pourpoise«, den beiden Slups »Vincennes« und »Peacock«, den beiden Schoonern »Sea Gull« und »Flying-Fish« und einer Gabare (Transportschiff), der »Relief«. Die letztere, welche nur Proviantvorräthe geladen hatte, steuerte ohne Aufenthalt nach Rio, während die anderen Fahrzeuge, bevor sie auf dessen Rhede vor Anker gingen, [406] Madeira und die Inseln des Grünen Vorgebirges anliefen. Vom 28. November 1838 bis zum 6. Januar 1839 verweilte das ganze Geschwader in der Bai von Rio de Janeiro, segelte hierauf nach dem Rio Negro. wo es sich sechs Tage lang aufhielt, und gelangte erst am 19. Februar 1839 nach dem Hafen Orange in Feuerland. Hier trennte sich die Expedition; »Peacock« und »Flying Fish« wurden nach dem Punkte entsendet, wo Cook den 60. Breitengrad durchschritten hatte; die »Relief« begab sich mit den Naturforschern durch eine jener Zufahrten in Süd-Osten von Feuerland nach der Magellanstraße; die »Vincennes« blieb im Hafen Orange, während die »Sea-Gull« und die »Pourpoise« nach den südlichen Meeren absegelten. Wilkes sah Palmerland in einer Ausdehnung von dreißig Meilen, bis zu der Stelle, wo dasselbe nach Südsüdost abbiegt, welchen Punkt er Cap Hope nannte darauf besuchte er Shetland und berichtigte glücklich einige Irrthümer bezüglich der Lage dieser Inseln.

Nachdem die beiden Fahrzeuge sechsunddreißig Tage in diesen unwirthlichen Gegenden verweilt, schlugen sie einen nördlichen Kurs ein. Nach verschiedenen Zwischenfällen, welche heute ohne größeres Interesse sind und wobei die »Sea-Gull« verloren ging, ankerte Wilkes vor Callao, besuchte Pomotu, Tahiti, die Gesellschafts- und die Schiffer-Inseln und lief am 28. September in Sydney ein.

Am 29. December 1839 stach die Expedition noch einmal in See und steuerte nach Süden zu. Es galt dabei unter Einhaltung eines Kurses von Osten nach Westen eine möglichst hohe Breite zwischen 160 und 145° östlicher Länge von Greenwich zu erreichen. Die beiden Fahrzeuge konnten dabei nach eigenem Ermessen manövriren, weshalb für den Fall der Trennung ein Rendezvous-Platz vereinbart worden war. Bis zum 22. Januar beobachtete man zwar verschiedene Anzeichen von Land, und einige Officiere glaubten dasselbe sogar gesehen zu haben; es ergiebt sich aber aus den Aussagen der Letzteren bei dem Processe, welchem Wilkes nach der Heimkehr unterworfen wurde, daß die Expedition, wenn die »Vincennes« durch Zufall vor dem 22. Januar nach Norden zurück verschlagen worden wäre, keine Gewißheit wegen des Vorhandenseins eines südlichen Continents hätte erlangen können. Erst nachdem es Wilkes in Sydney zu Ohren gekommen, daß d'Urville am 19. Januar Land entdeckt habe, behauptete er, dasselbe am nämlichen Tage gesehen zu haben.

Diese Thatsachen finden sich in einem sehr überzeugenden, von dem Hydrographen Daussy im Bulletin der Geographischen Gesellschaft veröffentlichten Artikel.

[407] Im Weiteren wird es sich zeigen, daß d'Urville am 21. Januar an dem neuen Continent gelandet war. Die Priorität der Entdeckung kommt ihm also zweifellos zu.

Entweder wegen erlittener Havarien oder weil sie überhaupt nicht im Stande waren, dem Treibeise des polaren Meeres genügenden Widerstand zu leisten, hatten die »Peacock« und »Flying-Fish« seit dem 24. Januar, respective dem 5. Februar einen nördlichen Kurs eingeschlagen.

Nur die »Vincennes« und die»Purpoise« setzten die beschwerliche Fahrt bis zum 97. Grade östlicher Länge fort, wobei sie häufiger das Land in Sicht hatten und sich demselben, je nachdem das Packeis es erlaubte, von zehn Meilen bis auf drei Viertelmeilen näherten.

»Am 29. Januar, sagt Wilkes in seinem Berichte an das National-Institut zu Washington, drangen wir in die von mir Piners-Bai genannte Bucht ein, die einzige Stelle, wo es möglich war, an den kahlen Felsen zu landen. Bei der Ausfahrt sondirten wir eine Wassertiefe von dreißig Faden. Es hatte uns nämlich ein in jenen Meeren häufiger, heftig auftretender Wind überfallen, der volle sechsunddreißig Stunden ungeschwächt anhielt, und nachdem wir mit genauer Noth den Eisschollen, die unser Schiff zu erdrücken drohten, entgangen waren, befanden wir uns sechzig Meilen unter dem Winde von jener Bai. Da nun das von uns entdeckte Land eine große Ausdehnung zu haben schien, hielt ich es für rathsamer, demselben in der Richtung nach Westen zu folgen, als zurückzukehren, um in der Piners-Bai zu landen, da ich gar nicht daran zweifelte, daß sich uns noch eine dazu günstigere Gelegenheit bieten würde. Diese Hoffnung blieb leider unerfüllt, denn das Packeis am Ufer vereitelte jeden Versuch einer Annäherung. Wir fanden dagegen an der äußeren Grenze des Packeises große, mit Schlamm, Felsgerölle und Strandsteinen bedeckte Schollen, von denen wir Proben ebenso gut entnehmen konnten, als hätten wir diese von den Felsen selbst gebrochen. An mehreren Stellen erblickten wir das mit Schnee bedeckte Land, und zwischen denselben deutete Alles darauf hin, daß wir hier eine zusammenhängende Küstenlinie vor uns hatten, welche den ihr von uns beigelegten Namen des antarktischen Continents mit vollem Rechte verdiente. Unter dem 97. Grade östlicher Länge angelangt, fanden wir, daß der Eisrand sich in nördlicher Richtung hin erstreckte, und kamen, als wir ihm auch hier nachsegelten, bis auf einige Meilen dem Punkte nahe, wo Cook im Jahre 1773 durch Eismassen an jedem weiteren Vordringen gehindert worden war.«

[408] Die Piners-Bai, wo Wilkes landete, liegt unter 140° östlicher Länge (173°40' östlich von Paris), das heißt genau an derselben Stelle, an der d'Urville am 21. Januar an's Land gegangen war.

Am 30. Januar hatte die »Purpoise« die beiden Schiffe d'Urville's zu Gesicht bekommen und sich denselben bis auf Hörweite genähert; letztere setzten aber Segel bei und schienen von gegenseitigen Mittheilungen nichts wissen zu wollen. Wilkes kehrte nach Sydney zurück, wo er die »Peacock« in Reparatur fand, begab sich mit seinem Schiffe nach Neu-Seeland, von da nach Tonga-Tabu, [409] ferner nach den Fidschi-Inseln, wo zwei junge Officiere von den Eingebornen ermordet wurden.


Die Insel ist mit Vögeln bevölkert (S. 40l.)

Weiter berührte er die Inseln der Freunde, die Schiffer- und die Sandwichs-Inseln, die Mündung der Columbia an der Westküste Amerikas, die Admiralitäts-und die Puget-Straße, die Vancouver- und die Diebes-Inseln (Ladronen), Manilla, den Sulu-Archipel, Singapore, die Sunda-Inseln, St. Helena und Rio de Janeiro bei dieser langdauernden Reise, welche nach Verlauf von drei Jahren und zehn Monaten in New-York am 9. Juni 1842 endigte. Die wissenschaftlichen Resultate derselben waren in allen Zweigen sehr beträchtliche, und als ersten Versuch auf dem Gebiete der Erdumsegelungen konnte sich die junge Republik der Vereinigten Staaten zu einer Meisterleistung beglückwünschen.

Trotz des Interesses, welches der kostbare Bericht über diese Expedition ebenso gewährt, wie die Special-Abhandlungen, welche demselben beigegeben wurden und die man der Feder hervorragender Gelehrten, wie Dana, Gould, Pickering, Gray, Cassin und Brackenridge verdankt, müssen wir hier doch von Allem absehen, was auf andere schon bekannte Gebiete Bezug hat. Man begreift unschwer den großen Erfolg dieser Arbeit jenseits des Atlantischen Oceans und in einem Lande, das bisher nur wenige Entdeckungsreisende aufwies.

Gleichzeitig mit Wilkes lieferte zu Anfang des Jahres 1839 Balleny, Kapitän der »Elisabeth Scott«, einen interessanten Beitrag zur Kenntniß der antarktischen Länder.

Von der Insel Campbell im Süden Neu-Seelands aussegelnd, war er am 7. Februar bis 67°7' der Breite bei 164°25' westlicher Länge von Paris vorgedrungen. Als er nach Westen weiter fuhr, entdeckte er zwei Tage später und nachdem er mancherlei Anzeichen für die Nachbarschaft eines Landes beobachtet, im Südwesten einen dunklen Streifen, den er um sechs Uhr Abends unzweifelhaft als Land ansehen zu dürfen glaubte. Es bestand dasselbe aus drei nicht unbeträchtlichen Inseln, deren westlichste die längste war. Sie erhielten den Namen Balleny's. Natürlich bemühte sich der Kapitän, an denselben zu landen, sie zeigten sich aber ringsum von einem undurchdringlichen Packeisgürtel umschlossen, so daß man sich damit begnügen mußte, die Lage der mittleren zu 66°44' der Breite und 162°25' der Länge zu bestimmen.

Am 11. Februar kam in Westsüdwesten wiederum ein hohes schneebedecktes Land in Sicht, von dem man am folgenden Tage kaum noch zehn Meilen entfernt war. Man näherte sich demselben und setzte dann ein Boot aus. Ein drei bis vier Fuß breiter, steilen und unzugänglichen Uferfelsen vorgelagerter [410] flacher Strand machte das Anlaufen selbst einer Schaluppe unmöglich, und man mußte bis zum halben Körper im Wasser vorwärts gehen, um nur einige Lavastückchen zu erlangen, denn das Land war vulcanischer Natur und über den Bergspitzen schwebte eine Rauchsäule dahin.

Noch einmal, am 2. März, zeigte sich, der Schätzung nach unter 65° der Breite und 120°24' der Länge, vom Deck der »Elisabeth Scott« aus eine Andeutung von Land. Man legte für die Nacht bei und versuchte am folgenden Tage, nach Südwesten vorzudringen; es erwies sich aber unmöglich, den Eisrand vor dem Ufer zu durchbrechen Dieses neue Land erhielt den Namen Sabrina. Balleny mußte nun wieder nach Norden zurückkehren, und obige lückenhafte, aber verläßliche Angaben sind Alles, was von seinen Entdeckungen bekannt wurde.

Im Jahre 1837, gerade als Wilkes zu der oben geschilderten Expedition auszog, legte der Kapitän Dumont d'Urville dem Marineminister den Plan zu einer neuen Reise um die Erde vor. Die Dienste, welche er von 1819 bis 1821 während einer hydrographischen Reise und von 1822 bis 1825 auf der »Coquille« unter Kapitän Duperrey geleistet, endlich die von ihm von 1826 bis 1829 auf der »Astrolabe« innegehabte Stellung nebst seinen Kenntnissen und reichen Erfahrungen berechtigten ihn wohl, der Regierung seine Anschauungen zu unterbreiten und die Aussicht zu eröffnen, daß es ihm gelingen werde, die Kenntniß jener von ihm und anderen Forschern doch schon vielfach besuchten Länder zu vermehren, welche jetzt noch immer Lücken zeigte, deren Ausfüllung vom Gesichtspunkte der Hydrographie, des Handels und der Wissenschaft im Allgemeinen gleich wünschenswerth erschien.

Der Minister zögerte keinen Augenblick, Dumont d'Urville's Vorschlag anzunehmen, und bemühte sich, wohlunterrichtete und verläßliche Mitarbeiter auszuwählen. Die beiden Corvetten »l'Astrolabe« und »la Zelée« wurden ihm, ausgerüstet mit Allem, was man bei den von Frankreich wiederholt veranstalteten Reisen als nothwendig und nützlich erkannt hatte, zur Verfügung gestellt. Unter den ihn begleitenden Officieren erreichten mehrere später Generalsrang, wie Jacquinot, der Commandant der »Zelée«, Coupvent-Desbois, du Bouzet, Tardy de Montravel und Périgot, deren Namen Allen, die sich je mit der Geschichte der französischen Marine beschäftigten, rühmlichst bekannt sind.

Die Instructionen, welche der Befehlshaber der Expedition vom Viceadmiral Rosamel erhielt, wichen von den früher seinen Vorgängern ertheilten insofern ab, [411] als ihm aufgegeben wurde, nach dem Südpole vorzudringen, so weit die Eisverhältnisse das zuließen. Er sollte gleichzeitig die von ihm im Jahre 1827 begonnene Untersuchung der Fidschi-Inseln vervollständigen, nach einem Besuche des Salomons-Archipels vor dem Schwanenflusse in Australien und bei Neu-Seeland vor Anker gehen, die Insel Chatam und den von Lütke erforschten Theil der Carolinen anlaufen, um von da nach Mindanao, Borneo und Batavia zu segeln, von wo aus er um das Cap der Guten Hoffnung nach Frankreich zurückkehren sollte.

An die Instructionen selbst schlossen sich einige hochinteressante Bemerkungen an, Beweise des hohen Gesichtspunktes, von dem aus die Regierung die ganze Angelegenheit betrachtete.

»Seine Majestät, sagte Admiral Rosamel, hat hierbei nicht allein die Fortschritte der Hydrographie und der Naturwissenschaften im Auge gehabt, seine königliche Fürsorge für die Interessen des französischen Handels und für die Ausbreitung der Fahrten unserer Rheder hat ihm den Umfang Ihrer Mission und die Vortheile, welche man durch dieselbe zu erzielen hofft, unter erweiterterem Gesichtspunkte betrachten lassen. Sie werden eine Menge Punkte besuchen, deren Erforschung, inwieweit sie unseren Walfischjägern gewisse Hilfsmittel bieten können, von hoher Wichtigkeit erscheint. Sie werden sich deshalb bemühen, alle Nachrichten zu sammeln, welche Jene bei ihren Fahrten leiten und letztere selbst erfolgreicher machen können. Sie werden in Häfen ankern, wo unser Handel schon Fuß gefaßt hat und das Erscheinen eines Kriegsschiffes vielleicht von Nutzen sein könnte, und in anderen, wo die Erzeugnisse unserer Industrie voraussichtlich bisher unbekannte Absatzgebiete finden dürften, und über welche Sie nach Ihrer Rückkehr gewiß schätzenswerthe Auskunft zu ertheilen im Stande sind.«

Dumont d'Urville erhielt, außer den persönlichen Glückwünschen und Ermuthigungen von Seiten Louis Philippe's, die unzweideutigsten Beweise lebhafter Theilnahme von der Akademie der moralischen Wissenschaften und von der Geographischen Gesellschaft. Leider war das nicht der Fall von Seiten der allgemeinen Akademie der Wissenschaften, obgleich Kapitän d'Urville schon seit zwanzig Jahren für die Bereicherung des naturhistorischen Museums rastlos gewirkt hatte.

»Ob aus Kastengeist oder nur in Folge ungünstiger Vorurtheile gegen mich, schreibt d'Urville, jedenfalls zeigten sie wenig Interesse für die in Vorbereitung begriffene Expedition, und die Ausdrücke, in welchen ihre Instructionen [412] abgefaßt waren, erschienen ebenso frostig, wie sie dieselben etwa einer ihnen völlig unbekannten Persönlichkeit gegenüber hätten anwenden können.«

Man muß wirklich bedauern, unter den erbittertsten Gegnern dieser Expedition den berühmten Arago, sonst den ausgesprochenen Freund aller Polarforschungen, zu sehen.

Anders verhielt es sich dagegen mit verschiedenen fremden Gelehrten, von denen in erster Linie Humboldt und Krusenstern zu nennen sind, welche d'Urville ihre warmen Glückwünsche zu der neuen Expedition und den für die Wissenschaft zu erhoffenden Fortschritten darbrachten.

Nach mancherlei, durch die Ausrüstung der beiden Fahrzeuge, welche den Prinzen Joinville nach Brasilien überführen sollten, verursachten Verzögerungen konnten die Korvetten »Astrolabe« und »Zelée« am 7. September 1837 endlich Toulon verlassen. Am letzten Tage desselben Monats ankerten sie auf der Rhede von Santa Cruz bei Teneriffa; d'Urville zog es vor, an dieser Stelle, statt am Grünen Vorgebirge, Halt zu machen, weil er hier Weinvorräthe einnehmen zu können hoffte und einige Beobachtungen der magnetischen Intensität nebst verschiedenen Höhenmessungen vornehmen wollte die man ihn im Jahre 1826 nicht ausgeführt zu haben beschuldigte, obwohl es allgemein bekannt sein mußte, daß ihm dies zu jener Zeit durch die Verhältnisse unmöglich gemacht worden war.

Trotz der Ungeduld der jüngeren Officiere, hier die Freuden des Lebens auf festem Lande einmal zu kosten, mußten sie sich doch einer viertägigen Quarantäne unterwerfen, welche auf die Nachricht von dem Vorkommen mehrerer Pestfälle im Lazareth von Marseille angeordnet worden war.

Ohne auf die Einzelheiten bei Besteigung des weltbekannten Pics (von Teneriffa) durch Du Bouzet, Coupvent und Dumoulin einzugehen, möge es genügen, hier einige begeisterte Sätze Coupvent-Desbois' wiederzugeben:

»Am Fuße des Kegels angelangt, sagt dieser Officier, kletterten wir noch eine Stunde lang über Aschenfelder und Steingeröll empor und erreichten endlich das ersehnte Ziel, den höchsten Punkt dieses ungeheueren Vulcans.

Da lag der rauchende Krater nun vor uns, eine hohle, schwefelige, mit Bimsstein und Felstrümmern bedeckte Halbkugel von etwa vierhundert Metern Durchmesser und hundert Metern Tiefe. Das Thermometer, welches um zehn Uhr Morgens im Schatten fünf Grad zeigte, ist zersprungen, weil wir es auf den Boden an eine Stelle gebracht hatten, wo schwefelige Dämpfe ausströmten.

[413] An den Wänden und im Grunde des Kraters dampfen zahlreiche Fumarolen, welche Schwefel, die Grundlage des Gipfels, absetzen. Die Gewalt der ausströmenden Dämpfe erkennt man an fortwährend hörbaren, schwachen Detonationen. Der Boden ist an manchen Stellen so heiß, daß man den Fuß kaum einige Minuten lang auf dieselben setzen kann. Jetzt laßt Eure Blicke ringsum schweifen, betrachtet die drei übereinander gethürmten Berge – erscheinen sie nicht wie die Arbeit von Riesen, welche eine Treppe in den Himmel bauen wollten? Seht da die gewaltigen erstarrten Lavaströme, welche von einem Punkte ausgeflossen sind und Bergkämme bilden, die Ihr wenige Jahrhunderte vorher nicht ungestraft betreten hättet! Seht in der Ferne den da- und dorthin zerstreuten Archipel der Canarien im Meere, das an den Küsten der Insel brandet, deren Gipfel Ihr jetzt bildet, Ihr Pygmäen!... Schaut um Euch, wie Gott das All überblickt, und Ihr habt den Lohn für alle Mühen, Ihr Reisende, welche die Bewunderung großartiger Naturschauspiele 3704 Meter über das Meer hinaufgelockt hat!«

Es sei hier eingeschaltet, daß die Forscher auf dem Gipfel des Pics den weit lebhafteren Glanz der Sterne, die leichtere Fortpflanzung des Schalles und jene Schwere der Gliedmaßen nebst Kopfschmerzen beobachteten, welche unter der Bezeichnung »Bergkrankheit« allgemein bekannt ist.

Während ein Theil des Stabes diese wissenschaftliche Promenade unternahm, durchstreiften einige andere Officiere die Stadt, in der nur eine ziemlich bescheidene, die »Alameda« genannte Alleestraße und die Kirche der Franziskaner erwähnenswerth erscheinen. Dagegen bieten die Umgebungen mehr des Interessanten, darunter die merkwürdigen Aquäducte, welche der Stadt Wasser zuführen, und der Wald von Mercedes, der, wie d'Urville wollte, eigentlich richtiger ein Dickicht genannt werden sollte, denn er besteht nur aus Gesträuch und mächtigen Farrenkräutern.

Die Bevölkerung schien heiteren Temperaments, aber entsetzlich träge, genügsam, aber über alle Maßen unsauber und von unglaublich leichtfertigen Sitten zu sein.

Am 12. October lichteten die beiden Fahrzeuge wieder die Anker, um so schnell als möglich nach den Polargebieten zu gelangen. Nur aus humaner Rücksichtnahme entschied sich dߣUrville dahin, vor Rio einmal zu halten. Der Zustand eines schon brustkrank an Bord gekommenen Seecadetten verschlimmerte sich mit jedem Tage so sehr, daß ein Aufenthalt in den eisigen Regionen dessen [414] Ende offenbar beschleunigt hätte. Das war der Grund, um dessentwillen der Commandant von seiner Reiseroute abwich.

Die beiden Schiffe ankerten am 13. November auf der Rhede von Rio, nicht in der Bai, verweilten daselbst aber nur einen Tag über, das heißt so lange, als die Landung des jungen Duparc und die Einnahme einiger frischen Nahrungsmittel Zeit beanspruchten, und segelten dann nach Süden weiter.

Schon lange wünschte d'Urville die Magellanstraße einmal zu untersuchen, weniger aus hydrographischem Interesse – denn die im Jahre 1826 von dem englischen Kapitän King begonnenen und erst 1834 von Fitz-Roy zu Ende geführten, gewissenhaften Aufnahmen ließen nach dieser Seite kaum etwas zu thun übrig – aber mit besonderer Berücksichtigung der Naturgeschichte, welche noch eine Fülle neuer Beobachtungen sammeln zu lassen versprach.

Gleichmäßig interessant erschien es, sich über die jeden Augenblick drohenden Gefahren durch Sturmböen und dergleichen zu unterrichten, von denen die früheren Seefahrer so viel erzählten.

Ferner reizte es seine Neugter, die berühmten Patagonier, über welche unzählige Fabeln und Widersprüche verbreitet waren, aus eigener Anschauung gründlich kennen zu lernen.

Noch ein anderer Grund gab den Ausschlag, daß d'Urville den Port Famine dem Staatenlande als Halteplatz vorzog. Bei dem Studium der Berichte früherer Forscher, die sich nach der Südsee begeben hatten, war der Commandant zu der Ueberzeugung gelangt, daß der geeignetste Zeitpunkt zur Fahrt nach diesen Meerestheilen das Ende des Januars und der Monat Februar sein müsse. Nur da herrschte voraussichtlich vollkommenes Thauwetter, und man vermied damit das Risico, die Mannschaften den nutzlosen Anstrengungen und Gefahren einer zur unrechten Zeit unternommenen Fahrt auszusetzen.

Sobald er sich hierüber schlüssig gemacht, theilte er dem Kapitän Jacquinot seine Pläne mit und steuerte nach dem Kanal zu. Am 12. December befanden sich beide Korvetten in Sicht des Caps der Jungfrauen, und Dumoulin begann mit Hilfe der jüngeren Officiere unter Segel die schöne Reihe seiner hydrographischen Aufnahmen.


Man mußte bis zum halben Körper im Wasser gehen. (S. 411).

In der sehr gewundenen Fahrstraße der Meerenge entwickelte d'Urville so viel Kühnheit, Kaltblütigkeit, Geschick und Geistesgegenwart – so haben Andere wörtlich über ihn geurtheilt – daß er die meisten Matrosen auf andere Gedanken brachte, denn diese hatten vorher, als sie ihn gichtleidend nur mühsam im Hafen von Toulon gehen sahen, spöttisch gerufen: »Mit dem Männchen werden wir nicht allzu weit kommen!«


Aufenthalt im Port Famine.

Als die Schiffe aber, Dank der unausgesetzten Wachsamkeit des Befehlshabers, glücklich aus der Meerenge heraussegelten, hatte sich die Anschauung der Leute gründlich verändert, und sie riefen nun:

»Dieser Teufelskerl muß toll sein! Da sind wir hart [415] an den Felsen, Klippen und am Lande vorbeigefahren, als wäre er sein Lebelang hier hin und her gesegelt!... Und wir, wir glaubten schon, daß ihm der Tod im Nacken säße!«

[416] Es erscheint hier am Platze, einige Worte über den Aufenthalt im Port Famine einzufügen. Die Landungsstelle ist bequem; man findet bei derselben eine schöne Quelle und Holz in Ueberfluß; die Klippen liefern Mieß- und Tellermuscheln, sowie Trompetenschnecken in großer Menge, und das Land erzeugt Sellerie und eine dem Huflattig ähnliche Art Salat. Andere Hilfsmittel liefert auch der Fischfang in der Bucht. während der ganzen Zeit unseres Aufenthaltes fing man mit Schleppnetzen und Angeln so viele Stinte, Seebarben, Schmerlen und Trichtersische, daß diese allein zur Beköstigung der ganzen Mannschaft ausreichten.

[417] »Als ich wieder unter Segel gehen wollte, sagt d'Urville, brachte mir der Oberbootsmann ein kleines Fäßchen, das seine Leute an einem Baume am Strande hängend gefunden hatten, neben dem noch ein Pfahl mit der Aufschrift Post-Office gestanden hatte. Da ich bemerkte, daß sich Papiere in dem Fäßchen vorfanden, ließ ich dasselbe an Bord schaffen und nahm von jenen Einsicht. Sie enthielten Bemerkungen von Kapitänen, welche die Meerenge passirt hatten, über die Zeit ihrer Vorbeifahrt, über die damalige Witterung und dergleichen, verschiedene Rathschläge für etwaige Nachfolger und Briefe nach Europa und den Vereinigten Staaten.

Es scheint, als ob die Idee dieses Postamtes unter freiem Himmel von dem amerikanischen Kapitän Cunningham ausgegangen sei, der sich dazu, im April 1833, einfach einer an einem Baume aufgehängten Flasche bediente, sein Landsmann Water-House vervollständigte im Jahre 1835 diese primitive Anlage durch Hinzufügung eines Pfahles mit obiger Inschrift. Endlich segelte der englische Kapitän Carrick, der Commandant des Schooners »Mary-Ann« von Liverpool, im Jahre 1837 auf dem Wege nach San Blas in Californien durch die Straße und kehrte auf dem Heimwege, am 29. November 1837, das heißt sechzehn Tage vor uns, durch dieselbe zurück; er vertauschte die Flasche mit dem Fäßchen und ersuchte seine Nachfolger, sich desselben zur Einlegung der Briefe zu bedienen, die sie irgend wohin befördert zu sehen wünschten. Ich beabsichtige, diese wirklich nützliche und in ihrer Einfachheit doch so sinnreiche Anlage noch dadurch zu verbessern, daß ich am Gipfel des Vorgebirges, eine Inschrift mit hinreichend großen Buchstaben werde anbringen lassen, um die Aufmerksamkeit der Seefahrer zu erregen, welche, wenn sie im Port Famine auch nicht vor Anker gehen wollen, doch wenigstens aus Neugier ein Boot absenden werden, um zu sehen, was sich in dem Behälter, den ich habe an den Pfahl selbst befestigen lassen, etwa vorfinden möchte. Allem Anscheine nach werden wir von dieser Vervollkommnung den ersten Nutzen haben und unsere Angehörigen angenehm überrascht sein, von uns aus diesem wilden, öden Lande gerade in dem Augenblicke Nachricht zu erhalten, wo wir nach den Eisregionen des Südpols aufbrechen.«

Zur Zeit der Ebbe ist die Mündung des Sedgerflusses, der im Port Famine mündet, durch Sandbänke versperrt; dreihundert Meter weiter landeinwärts bildet die Ebene einen weit ausgedehnten Sumpf, aus dem gewaltige Baumstämme und riesige, unter dem Einflusse der Witterung gebleichte Thierknochen [418] herausragen, welche von den furchtbaren Platzregen, die den Fluß von Zeit zu Zeit anschwellen, bis hierher geführt wurden.

Den Sumpf umrahmt ein herrlicher Wald, und Dornenbüsche machen jedes Eindringen in denselben fast unmöglich. Die häufigst vorkommenden Bäume in demselben sind Buchen mit zwanzig bis dreißig Meter hohen und fast einen Meter dicken Stämmen, ferner die sogenannte Winters-Rinde, welche lange Zeit an Stelle des Zimmets Verwendung fand, und eine Art Berberitze.

Die größten Buchen, welche d'Urville sah, hatten einen Umfang von fünf und eine Höhe von fünfzig Metern.

Leider begegnet man in dem Uferlande weder Säugethieren, noch Reptilien und findet auch keine Land-oder Flußmuscheln; eine oder zwei Arten Vögel neben Flechten und Moosen sind Alles. was ein Naturforscher hier sammeln könnte.

Mehrere Officiere fuhren in einer Jolle den Sedgerfluß hinauf, bis die geringe Wassertiefe desselben dem weiteren Vordringen ein Ende machte. Sie kamen bis sieben und eine halbe Meile von der Mündung landeinwärts und fanden, daß der Fluß an der Stelle, wo er in das Meer fällt, dreißig bis vierzig Meter in der Breite mißt.

»Es möchte schwierig sein, sagt de Montravel, ein mehr pittoreskes Bild zu ersinnen als das, welches sich bei jeder Biegung des Wasserlaufes unseren Blicken darbot. Ueberall herrschte eine wirklich wunderbare, geradezu unnachahmliche Unordnung, ein Wirrwarr von Bäumen, zerbrochenen Aesten und moosbedeckten Stämmen, die sich in allen Richtungen kreuzten.«

Alles in Allem ließ die Station im Port Famine nichts zu wünschen übrig; Wasser und Holz waren ohne Schwierigkeit zu erlangen; man nahm vielerlei Reparaturen vor oder richtete das und jenes vortheilhafter ein; daneben widmete man sich Beobachtungen der Stundenwinkel und Untersuchungen im Gebiete der Physik, Meteorologie und Hydrographie, wie der Gezeiten; endlich sammelte man zahlreiche naturhistorische Gegenstände, welche um so werthvoller erschienen, als Frankreich in seinen verschiedenen Museen absolut nichts aus jenen noch kaum bekannten Gebieten besaß.

»Eine geringe Anzahl von Commerson gesammelter und in de Jussieu's Herbarium aufbewahrter Pflanzen, heißt es in dem Berichte, bildeten Alles, was man bisher von denselben kannte.«

Am 28. December 1837 wurden die Anker gelichtet, ohne Einen der Patagonier zu Gesicht bekommen zu haben, deren Bekanntschaft Officiere und [419] Mannschaft gar zu gern gemacht hätten. Gewisse Zufälligkeiten, wie solche bei einer Seereise ja selten ausbleiben, nöthigten die beiden Corvetten, unsern von hier, im Hafen Galant, wieder vor Anker zu gehen. Die Ufer dieses Hafens sind mit schönen Bäumen besetzt und von Bergströmen durchbrochen, welche nicht weit davon prächtige Wasserfälle von fünfzehn bis zwanzig Meter Höhe bilden. Der Aufenthalt hier war nicht als verloren anzusehen, denn man sammelte dabei sehr viele, noch neue Pflanzenspecies und vermaß den Hafen und die benachbarten Buchten. Der Commandant erachtete die Jahreszeit jetzt für zu vorgeschritten, um durch den westlichen Ausgang der Meerenge zu segeln, und beschloß deshalb umzukehren, in der Hoffnung, vor der Abreise nach den Polarregionen doch noch einmal mit Patagoniern zusammenzutreffen. Die Bai St. Nikolaus, welche Bougainville Bai der Franzosen genannt hatte, bot einen weit lieblicheren Anblick als der Hafen Galant, wo die Besatzung den 1. Januar 1838 verlebte. Die gewohnten hydrographischen Arbeiten wurden hier von den Officieren unter der Leitung Dumoulin's glücklich zu Ende geführt.

Nach dem Cap Remarquable sandte man auch ein Boot ab, weil Bougainville daselbst fossile Muscheln gesehen haben wollte; es fanden sich aber nur kleine, in Kalk eingebettete Strandsteine, die vom Ufer bis zu einer Höhe von fünfzig Metern eine dünne Lage bildeten.

Auch mit dem Thermometrographen stellte man in einer Tiefe von zweihundertundneunzig Faden, wobei sich zwei Meilen vom Lande noch kein Grund fand, höchst interessante Beobachtungen an. Wenn die Temperatur der Oberfläche neun Grad betrug, so zeigte sie in jener Tiefe nur zwei Grad, und da kaum anzunehmen war, daß die beiden Oceane ihre Gewässer so tief unten zuführten, mußte man das für die jener Tiefe eigenthümliche Temperatur ansehen.

Die Schiffe landeten hierauf in Feuerland, wo Dumoulin die Reihe seiner Aufnahmen fortsetzte. Niedrig, offen und mit Felsen bedeckt, welche als Richtpunkte für Vermessungen dienten, bot dasselbe an dieser Stelle keine besonderen Gefahren. Ferner passirte man nach einander die Insel Magdalena, die Bai Gente grande, die Insel Elisabeth, den Hafen Oazy, wo man mit dem Fernrohre ein größeres Patagonier-Dorf erkennen konnte, und den Hafen Peckett, in dem die»Astrolabe« bei drei Faden Wasser auf Grund stieß.

»In dem Augenblicke, als man bemerkte, daß wir aufliefen. sagt Dumont d'Urville, entstand unter der Mannschaft eine gewaltige Bestürzung und wurden verschiedene verzweifelte Ausrufe laut. Ich befahl mit sicherer Stimme Schweigen [420] und rief, ohne mich von dem Vorkommniß irgendwie beunruhigt zu zeigen: »Das hat ja nichts zu bedeuten, da wird es noch ganz anders kommen!«

Später erinnerten sich meine Matrosen dieser Worte noch häufig genug. Es erscheint für einen Kapitän vor allen Dingen wichtig, auch bei den handgreiflichsten Gefahren, selbst gegenüber solchen, die er für unvermeidlich hält, stets die größte Ruhe und unerschütterliche Kaltblütigkeit zu bewahren.«

Im Hafen Peckett bekam man endlich Patagonier zu Gesicht. Officiere und Matrosen beeilten sich nach Kräften, an's Land zu kommen. Dort wartete an der Landungsstelle eine Menge berittener Eingeborner.

Sanft und friedlich, beantworteten sie zuvorkommend alle an sie gerichtete Fragen. Mit großer Gemüthsruhe betrachteten sie Alles, was sie sahen, und schienen nach den Gegenständen, die man ihnen zeigte, kein besonderes Verlangen zu haben. Diebesgelüste waren ihnen offenbar nicht eigen, denn so Viele ihrer auch an Bord kamen, wurde doch nicht das Geringste heimlich mit weggenommen.

Ihre mittlere Größe schien 173 Centimeter zu betragen, doch sah man auch weit kleinere; ihre Gliedmaßen waren stark und rund, aber nicht besonders muskulös, und die Füße meist klein. Charakteristisch an ihnen ist die auffallende Breite der unteren Gesichtstheile, denen gegenüber die Stirn niedrig und abgeflacht erscheint. Längliche, schmale Augen, vorspringende Wangenbeine und eine abgeplattete Nase verleihen ihrem Typus viel Aehnlichkeit mit dem der Mongolen.

Alles deutet bei ihnen auf Schlaffheit und Indolenz, nichts auf Kraft und Gewandtheit. Wenn man sie stehend oder gehend so zusammengesunken sieht, mit ihren nach vorn zusammenknickenden Pferden, so glaubt man eher Frauen aus einem Harem vor sich zu haben, als Wilde, welche gewöhnt sind, allen Unbilden rauher Witterung zu trotzen und gegen Schwierigkeiten aller Art anzukämpfen, um nur das Leben zu fristen. Mitten unter ihren Hunden und Pferden auf Fellen ausgestreckt, kennen sie keinen angenehmeren Zeitvertreib als den, sich das Ungeziefer abzusuchen, von dem sie strotzen. Zu Fuße zu gehen, sind sie so wenig gewöhnt, daß sie zu Pferde stiegen, um Muscheln am Strande zu suchen, obwohl dieser kaum fünfzig bis sechzig Schritte entfernt war.

Unter ihnen lebte auch ein Weißer von elendem Aussehen; er gab zwar vor, aus den Vereinigten Staaten zu stammen, sprach aber nur sehr unvollkommen englisch, und man erkannte ihn leicht als einen deutschen Schweizer. Niederhauser – so hieß der Mann – war nach den Vereinigten Staaten ausgewandert, [421] um Schätze zu sammeln; da sich das Geschick ihm nicht günstig zeigte, ließ er sich durch die verlockenden Vorspiegelungen eines Robbenjägers bethören, der seine Mannschaft zu vervollständigen wünschte. Er wurde, wie dies Gebrauch ist, nebst sieben Kameraden und dem nöthigen Proviant auf einer öden Insel von Feuerland ausgeschifft, um Robben zu jagen und deren Felle zuzubereiten.

Vier Monate später erschien sein Schiff wieder, nahm die erbeuteten Felle ein, ließ neuen Proviant zurück – und war für immer verschwunden. Niemand wußte, ob dasselbe gescheitert war oder der Kapitän seine Leute einfach im Stiche gelassen hatte.

Als die Zeit verstrich und diese Bedauernswerthen sich ohne Lebensmittel sahen, bestiegen sie ihr Boot und fuhren in die Meerenge ein, wo sie bald mit Patagoniern zusammentrafen. Niederhauser blieb bei diesen, während die Anderen ihre Fahrt fortsetzten. Er wurde von den Wilden freundlich aufgenommen, fügte sich gänzlich deren Lebensgewohnheiten, füllte sich den Magen tüchtig an, wenn die Jagd reiche Beute lieferte, und schnürte sich den Gürtel fester, wenn er in Zeiten des Mangels den Hunger nur mit einigen eßbaren Wurzeln stillen konnte.

Müde dieses elenden Lebens, bat Niederhauser jetzt aber d'Urville, ihn an Bord aufzunehmen, denn er könne diese Entbehrungen, sagte er, nicht einen Monat länger aushalten. Der Kapitän gewährte die Bitte und schiffte ihn als Passagier ein.

Während seines dreimonatlichen Aufenthaltes bei den Patagoniern hatte sich Niederhauser einigermaßen deren Sprache angeeignet, und d'Urville benutzte diesen Umstand, um die patagonischen Ausdrücke für ein vergleichendes Wörterbuch aller Sprachen zu erfahren.

Das Kriegscostüm der Feuerländer besteht aus einem ledernen Helm mit mehreren Erzplatten, über dem ein schöner Busch von Hahnenfedern weht, einem Ueberwurf von Büffelhaut mit gelben Streifen und aus einer Art zweischneidigem Pallasch. Der Häuptling des Stammes im Hafen Peckett ließ sich bewegen, ein Bild von sich anfertigen zu lassen, ein Beweis von geistiger Ueberlegenheit gegenüber sei nen Unterthanen, welche das aus Furcht vor irgend welcher Zauberei stets verweigerten.

Am 8. Januar wurden die Anker gelichtet, die andere enge Stelle trotz der Strömung ohne Beschwerde passirt, und nachdem sie zwei Drittheile der Ausdehnung der Magellanstraße untersucht, wendeten sich die Schiffe nach den [422] Polarregionen und nahmen die ganze Ostseite von Feuerland auf, eine Lücke, deren Ausfüllung in hydrographischem Interesse sehr erwünscht schien, da bis jetzt noch keine specielle Karte der genannten Insel existirte.

Staatenland ward ohne Unfall umschifft. Am 15. Januar sah man nicht ohne eine gewisse Erregung das erste Eis, zwischen dem die Schiffe nun bald dahinsegeln sollten.

Die schwimmenden Eisschollen sind an und für sich nicht die gefährlichsten Feinde in diesen Gegenden; der Nebel – ein dichter Nebel, den auch das schärfste Auge nicht zu durchdringen vermag – umhüllt die beiden Fahrzeuge, lähmt deren Bewegung und setzt sie, obschon sie beigelegt haben, doch jeden Augenblick der Gefahr aus, gegen irgend einen gewaltigen Block zu stoßen. Die Temperatur sinkt; an der Meeresoberfläche zeigt der Thermometrograph nur noch zwei Grad, weiter in der Tiefe fällt er bis unter Null. Bald wirbelt ein halbgeschmolzener Schnee herab. Alles deutet darauf hin, daß man jetzt in die antarktischen Meere einfährt.

Es ist unmöglich, die Insel Clarence und die New-South-Orkneys aufzusuchen; man verliert die Zeit mittelst Segelmanövern, um den Eisbergen auszuweichen. Am 20. Januar zu Mittag befindet man sich unter 62°3' südlicher Breite und 49°56' westlicher Länge. Nicht fern von hier hatte Powell die ersten compacten Eisfelder getroffen. Man gewahrt bald eine gewaltige Eisinsel von zweitausend Meter Länge, siebzig Meter Höhe und glatt abgeschnittenen Wänden, welche unter der wechselnden Einwirkung des Lichtes einem Lande zum Verwechseln ähnlich aussieht.

Walfische und Pinguins verfolgen unablässig das Schiff, um welches weiße Möven in Schaaren flattern.

Am 21. ergiebt die Messung 62°53' südlicher Breite und d'Urville hofft schon in den nächsten Tagen den 65. Grad zu erreichen, als man ihm in der Nacht, gegen drei Uhr Morgens, die Meldung macht, daß der Weg durch Packeis versperrt erscheint, das nirgends eine fahrbare Straße erkennen lasse. Die Halsen werden fort gewechselt, und man segelt langsam, denn der Wind hat sich abgeschwächt in östlicher Richtung weiter.

»Auch fanden wir Gelegenheit, heißt es in dem Berichte, das wundervolle Schauspiel, das sich vor unseren Augen entrollte, mit Muße zu genießen. Ernst und über alle Beschreibung großartig und die Einbildungskraft mächtig anregend, erfüllt es doch das Herz unwillkürlich mit Entsetzen. Niemals fühlt der Mensch so sehr wie hier seine gänzliche Ohnmacht...


Ansicht von Adélieland. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Es ist eine neue Welt, die sich vor seinen Blicken aufthut, aber eine starre, schauerliche, schweigende Welt, [423] wo ihm von allen Seiten Vernichtung droht. Wenn ihn hier das Unglück ereilte, sich allein überlassen zu sein, würde nichts, kein Trost, kein Funken von Hoffnung, seinen letzten Augenblicken die Bitterkeit nehmen können. Dieser Gedanke erinnert unwillkürlich an die berühmte Inschrift über dem Thor zu Dante's Hölle:


»Lasciate ogni speranza, voi ch'entrate.«

(Laßt alle Hoffnung draußen, ihr, die ihr hier eintretet.)«


[424] D'Urville unternimmt dann eine andere, merkwürdige Arbeit, die, mit anderen von derselben Natur verglichen, einen großen Nutzen versprechen würde. Er läßt nämlich die Grenzlinie des Packeises genau aufnehmen. Wenn das auch andere Seefahrer gethan hätten, würde man genauen Aufschluß über die Richtung und Vorwärtsbewegung der Eismassen des Südens erlangen können, ein Punkt, über den jetzt noch ziemliche Dunkelheit herrscht.

Am 22. bemerkte man, nach Umschiffung einer vorspringenden Spitze, daß die Grenze des Packeises nach Südsüdwest und später nach Westen verlief. In[425] dieser Gegend erblickt man auch ein hohes bergerfülltes Land. Dumoulin hat dessen Aufnahme begonnen, und d'Urville glaubt darin Morell's Neu-Süd-Grön land zu erkennen, als man seine Formen sich verändern und es am Horizont allmählich verschwinden sieht.


Man mußte das Steuerruder in Balken einschließen. (S. 428.)

Am 24. segeln die zwei Corvetten über eine mit schwimmenden Schollen bedeckte Wasserfläche und gelangen nach einer anderen Stelle, wo das Eis offen bar im Schmelzen ist. Bald aber verengert sich der vorher freie Weg, es treten wieder zahlreiche Blöcke auf, und man muß sofort Kehrt machen, um nicht eingeschlossen zu werden.

Alles deutet jedoch darauf hin, daß der Rand des Packeises in Zersetzung begriffen ist; die Eisinseln brechen mit furchtbarem Krachen zusammen, von den Schollen rieselt in seinen Fäden das Wasser – das ist das Thauwetter; die Jahreszeit ist also noch nicht weit genug vorgeschritten, und Fanning behält damit Recht, wenn er sagt, daß man nach diesen Gegenden vor Monat Februar nicht gehen solle.

D'Urville beschließt deshalb, nach Norden zu steuern, um die New-South-Orkney-Inseln anzulaufen, deren Karte noch unvollständig und wenig verläßlich ist. Der Commandant wünschte die Aufnahme dieses Archipels vorzunehmen und daselbst einige Tage zu verweilen, bevor er wieder einen Kurs nach Süden einschlug, um sich da zu derselben Jahreszeit wie Weddell zu befinden.

Drei Tage hindurch segelte d'Urville längs des nördlichen Randes dieses Archipels hin, ohne einen Landungsplatz zu entdecken, dann nahm er am 4. Februar seinen Weg wieder auf und traf unter 62°20' der Breite und 39°28' östlicher Länge von Neuem auf das Packeis.

Wenige Minuten vor zwölf Uhr Mittags gewahrt man da eine Oeffnung in demselben und fährt auf's Gerathewohl in dieselbe ein.

Dieses kühne Manöver gelang beiden Fahrzeugen, welche trotz heftigen Schneetreibens in eine Art kleines Bassin von zwei Meilen Breite eindringen konnten, das freilich ringsum von hohen Eismauern eingeschlossen war.

Man mußte sich hier an einem Eisberge festlegen. Als Befehl zum Ankern gegeben wurde, rief ein junger Novize von der »Zelée« ganz naiv:

»Ist denn hier ein Hafen? Ich glaubte nicht, daß jenseits des Eises auch noch Menschen wohnten!«

Uebrigens war alle Welt an Bord beider Schiffe in diesem Augenblicke seelenvergnügt. Einige junge Officiere von der »Zelée« hatten mit ihren Kameraden[426] von der »Astrolabe« eine Bowle Punsch geleert. In seinem Bette hörte der Befehlshaber die lauten Ausbrüche der Freude. Ihm erschien freilich die Lage nicht in so rosenrothem Lichte. Er sagte sich, daß dieses Wagniß doch sehr unklug gewesen sei. In eine Sackgasse eingeschlossen, bot sich ihm kein anderer Weg aus derselben als der, durch den er hereingekommen, und ohne Wind im Rücken zu haben, konnte er auch diesen nicht benutzen.

In der That wurde d'Urville um elf Uhr durch heftige Stöße und ein schabendes Geräusch erweckt, als wenn die Corvette auf Felsen getroffen wäre. Der Commandant stand sofort auf und sah, daß die von einer Strömung fortgetriebene »Astrolabe« gegen eine Eiswand gedrängt worden war, wo sie den Stößen anderer, schneller dahintreibenden Schollen ausgesetzt lag.

Mit anbrechendem Tage sah man sich rings vom Eise umschlossen. Nur nach Norden zu fand sich ein dunkelblauer Streifen freien Wassers. Man schlug augenblicklich diese Richtung ein, aber gleichzeitig legte sich auch schon ein dicker Nebel um die beiden Corvetten. Als dieser sich auflöste, starrte vor dem Schiffe eine Barriere compacten Eises, auf deren anderer Seite auf Sehweite hinaus offenes Wasser lag.

D'Urville beschloß, sich durch das Hinderniß Bahn zu brechen, ging ein Stück zurück und ließ die »Astrolabe« dann mit möglichster Wucht auf dasselbe stoßen. Zwei bis drei Schiffslängen drang diese zwar in das Eis ein, dann lag sie aber unbeweglich; nun sprangen die Mannschaften auf das Eis und bemühten sich, mit Aexten und Hauen, mit Meißeln und Sägen den Weg frei zu machen.

Schon hatten sie den Rest der Eisbahn beinahe überwunden, als der Wind umschlug und ein hohler Seegang sich bemerkbar machte, der das Schiff, nach Ansicht aller Officiere, zwang, in das Innere der Eismassen zurückzukehren, da man bei weiter auffrischendem Winde befürchten mußte, an dem Packeise festgehalten und von Wogen und treibenden Schollen zertrümmert zu werden.

Zwölf bis fünfzehn Meilen hatte die Corvette so nutzlos zurückgelegt, als ein auf den Wanten befindlicher Officier in der Richtung nach Ostnordost eine Durchfahrt entdeckte. Sofort wendete man nach dieser Seite; auch da erwies es sich aber als unmöglich, hindurch zu segeln, und als darüber die Nacht hereinbrach, blieb kein anderer Ausweg übrig als der, die Schiffe an einem Eisberge zu verankern. Das entsetzliche Krachen, welches den Befehlshaber schon in vergangener Nacht munter erhalten hatte, wiederholte sich nun mit solcher [427] Heftigkeit, daß man die Corvette dadurch zugrunde gerichtet zu sehen fürchtete. Nach einer Unterredung mit dem Kapitän der »Zelée« drang d'Urville noch einmal nach Norden vor, doch verging der ganze Tag, ohne eine wesentliche Veränderung in der Lage der beiden Schiffe herbeizuführen; am folgenden Tage wurde der Seegang, während halbgeschmolzener Schnee herabfiel, so stark, daß er das ganze Eisfeld, in dem die Fahrzeuge gefangen lagen, aufhob und zerbrach.

Jetzt forderten die Eisschollen, welche fast hin und her hüpften, noch größere Aufmerksamkeit, und man mußte das Steuerruder in eine Art Balkenhütte einschließen, um dasselbe gegen die Stöße der Eismassen zu schützen.

Außer einigen, durch die fortwährend blendende Rückstrahlung des Lichtes von dem Schnee verursachten Augenentzündungen blieb der Gesundheitszustand der Mannschaften ein recht erfreulicher, was dem Commandanten um so lieber war, als hier Jedermann die Augen offen halten mußte. Am 9. Februar konnten die Corvetten, von einer steifen Brise unterstützt, aus ihrer gefährlichen Lage loskommen und ein vollkommen eisfreies Meer auffinden. Dem Packeis waren sie auf eine Strecke von zweihundertfünfundzwanzig Meilen gefolgt.

Ein außergewöhnliches Glück war es zu nennen, daß die Schiffe, außer dem Verluste einiger Sparren und eines nicht geringen Theiles der Kupferverkleidung, ernsthaftere Havarien nicht erlitten hatten; jedenfalls zogen sie jetzt nicht mehr Wasser als vorher.

Am nächsten Tage schien die Sonne und gestattete eine Beobachtung anzustellen, aus der sich die augenblickliche Position zu 62°9' der Breite und 39°22' westlicher Länge ergab.

Noch immer fiel Schnee, die lebhafte Kälte hielt an und der heftige Wind währte noch die drei folgenden Tage über fort. Dieses ununterbrochene schlechte Wetter und die länger werdenden Nächte überzeugten d'Urville von der Nothwendigkeit, auf die Weiterfahrt zu verzichten. Als er sich unter 62° südlicher Breite und 33°11' der Länge, etwa da befand, wo Weddell im Jahre 1823 hatte ungehindert segeln können, und ihm nur undurchdringliche Eismassen entgegentraten, schlug er den Weg nach den New-South-Orkneys ein.

Uebrigens hatte der nun einmonatliche Aufenthalt im Eise und Nebel des antarktischen Oceans doch auch die Gesundheit der Mannschaft erschüttert, und es schien nutzlos für die Wissenschaft, diesen gefährlichen Kreuzzug noch länger fortzusetzen. Am 20. kam jener Archipel in Sicht; noch einmal wurde d'Urville durch Eis gezwungen, weiter nach Norden zurückzuweichen, er konnte aber doch [428] zwei Boote absenden, welche auf der Insel Weddell eine reiche, geologische Sammlung, einige Proben von Flechtenarten und etwa zwanzig Pinguins und Chionis zusammenbrachten.

Am 25. Februar kam die Insel Clarence in Sicht, welche die östlichste Spitze des New-South-Shetland-Archipels bildet, ein hohes, steiles und, außer dem Ufer, überall mit Schnee bedecktes Land; dann fuhr man mit vollen Segeln nach der Elephanten-Insel, welche der vorigen fast ganz gleicht, aber viele Bergkuppen aufwies, die sich in schwarzen Farbentönen von den Schnee- und Eisfeldern abhoben. Die Eilande Narrow, Biggs, O'Brien und Aspland wurden nach und nach angelaufen; sie boten aber nirgends am Ufer einen Raum, wo ein Mensch nur den Fuß hinsetzen könnte. Später sah man den kleinen Vulcan Bridgeman, an dem zwei Boote vergeblich die Naturforscher ans Land zu setzen versuchten.

»Die allgemeine Bodenfärbung, heißt es in dem Berichte, ist röthlich, wie die von gebrannten Ziegelsteinen, und zeigt graue Flecken, welche von Bimssteinen oder verhärteter Asche herrühren mögen. Am Meeresstrande bemerkt man hier und da große, schwarze Blöcke, wahrscheinlich von Lava. Uebrigens besitzt das Eiland keinen wirklichen Krater, aber überall, und vorzüglich längs des westlichen Ufers wirbeln dichte Dampfwolken aus dem Boden desselben empor; am nördlichen Ufer bemerkt man auch zwei zehn bis zwölf Meter hoch aufsteigende Fumarolen; an der Ost- und Südseite fehlen solche mehr, ebenso auf den höchsten, ebenen und runden Berggipfeln des Eilandes. Die ganze Masse desselben muß in jüngerer Zeit große Veränderungen erfahren haben, da die ganze Erscheinung mit der Beschreibung Powell's aus dem Jahre 1822 so wenig übereinstimmt.«

D'Urville steuerte bald wieder nach Süden und erkannte am 27. Februar in Südosten einen ausgedehnten Landstreifen, den er wegen Nebel und dichtem Schneetreiben nicht anzulaufen verwochte. Jener konnte etwa in der Breite der Insel Hope, das heißt unter 62°57' liegen. Er näherte sich demselben so weit als möglich und beobachtete zuerst ein niedriges Stück Land, dem er den Namen Joinville-Land gab; weiter im Südwesten eine ausgedehnte Berglandschaft, die er Louis Philippes-Land benannte, und zwischen diesen inmitten eines von Eis verstopften Kanals eine Insel, welche Insel Rosamel getauft wurde.

»Alsdann, sagt d'Urville, gestattete uns der klarer gewordene Himmel, alle Unebenheiten von Louis Philippes-Land deutlich zu unterscheiden. Es erstreckte[429] sich von dem Bransfield-Berge im Norden 72° nach Osten bis nach Südsüdwesten, wo man es noch am Horizonte erblicken kann. Vom Bransfield-Berge nach Süden zu bildet es eine hohe, gleichförmige Landschaft, freilich nur einen ungeheuren Gletscher ohne besondere Unebenheiten. Im Süden aber erhebt sich das Land in Form eines schönen Kegels (der Jacquinot-Berg), der den Bransfield an Höhe zu erreichen, vielleicht gar zu übertreffen scheint; von da aus verläuft das Land in Form einer Bergkette, welche im Südwesten mit einem, alle übrigen noch überragenden Gipfel endigt. Die Wirkung des Schnees und des Eises aber, ebenso wie der Mangel jedes zum Vergleich dienenden anderen Objects verleitet gar zu leicht dazu, die Höhe solcher Protuberanzen zu überschätzen.

Wir erkannten wirklich aus den von Dumoulin vorgenommenen Messungen, daß alle Berge, die uns erst so riesig und mindestens den Alpen oder Pyrenäen ähnlich zu sein schienen, nur eine sehr mittelmäßige Höhe hatten. Der Bransfield-Berg z. B. maß nur 632 Meter, der Jacquinot 648 und der letzterwähnte, der d'Urville-Berg, der höchste von allen, 931 Meter. Mit Ausnahme einzelner, vor der größeren Landmasse gelegener Eilande und einiger schneefreien Vorsprünge bildet das Uebrige nur eine zusammenhängende Eismasse; unter solchen Verhältnissen ist es selbstverständlich unmöglich, die eigentliche Gestalt des Landes anzugeben, da man nur die Linie seiner Eiskruste abzeichnen kann.«

Am 1. März ergiebt die Sonde nur hundertachtzig Faden Tiefe und einen felsigen Grund. Die Temperatur an der Oberfläche des Meeres beträgt 1∙9, im Grund desselben 0∙2 Grad. Am 2. März entdeckt man, ziemlich entfernt von Louis Philippes-Land, eine Insel, welche den Namen der »Astrolabe« erhält. Am nächsten Tage wird eine große Bucht oder vielmehr ein Kanal, dem man den Namen Orleans-Kanal beilegt, zwischen Louis Philippes-Land und einer hohen felsigen Küste aufgenommen, die nach d'Urville's Ansicht den Anfang der bisher nur unzulässig bekannten Trinityländer bilden sollte.

Vom 26. Februar bis zum 5. März blieb d'Urville in Sicht dieser Küste, segelte in geringer Entfernung von derselben hin, mußte aber wegen fortwährenden Regens und kaum durchsichtiger Nebel wiederholt seinen Kurs ändern. Alles deutete jetzt übrigens auf ziemlich rasches Thauwetter hin; gegen Mittag stieg die Temperatur bis fünf Grad über Null; überall rannen kleine Wasseradern von dem Eise und ganze Blöcke lösten sich ab, die mit Donnergepolter in's Meer stürzten; dazu wehte unaufhörlich eine scharfe westliche Brise. Das war auch der Grund, warum d'Urville seine Untersuchungen nicht noch länger [430] fortsetzte. Das Meer rollte schwer, der Regen ließ nur selten nach und der Nebel niemals. Er mußte sich also von dieser gefährlichen Küste entfernen und nach Norden steuern, wo er vom nächsten Tage ab die westlichen Inseln der Neu-Shetlands-Gruppe aufnahm.

Hierauf schlug d'Urville den Weg nach Conception ein. Die Fahrt ging freilich nur unter großen Beschwerden vor sich, denn trotz aller Vorsichtsmaßregeln wurde die Besatzung, vorzüglich die der »Zelée«, ziemlich heftig vom Scorbut befallen. Jetzt begann d'Urville auch die Höhe der Wellen zu messen, und mußte sich dabei überzeugen, daß der Vorwurf, er habe dieselbe früher viel zu hoch geschätzt, wirklich berechtigt war.

Um jeden Zweifel an den Ergebnissen seiner Beobachtungen auszuschließen, nahm er bei dieser Arbeit seine Officiere zu Hilfe, und es ergab sich, daß die verticale Höhe der Wellen bis elf Meter, ihre Länge vom Kamm bis zum Grund bis sechzig Meter betrug, was also für die ganze Welle eine Breite von hundertzwanzig Metern ergeben würde. Diese Messungen ertheilten die Antwort auf Arago's ironische Behauptung, der von seinem Cabinet aus keiner Welle mehr als fünf bis sechs Meter Höhe zugestehen wollte. Man darf aber keinen Augenblick darüber im Zweifel bleiben gegenüber dem berühmten, aber leidenschaftlichen Physiker, die an Ort und Stelle ausgeführten Messungen der Seefahrer als richtig anzuerkennen.

Am 7. April 1838 ging die Division in der Bai von Talcahuano vor Anker. Hier sollte sie einmal die Ruhe finden, deren die vierzig Scorbutischen der »Zelée« so nöthig bedurften. Von hier aus segelte d'Urville nach Valparaiso, ankerte später, ganz Oceanien durchfahrend, am 1. Januar 1839 in Guaham, wandte sich hierauf nach den Malayen-Ländern, erreichte im October noch Batavia und kam von dort nach Howart-Town, von wo aus er am 1. Januar 1840 zu einer neuen Reise durch die antarktischen Gebiete aufbrach.

Zu jener Zeit kannte d'Urville weder die Fahrt Balleny's, noch wußte er etwas von der Entdeckung des Sabrina-Landes. Seine Absicht ging nur dahin, südlich von Tasmanien hinabzusegeln, um zu sehen, unter welchem Breitengrade er auf das Eis treffen würde. Das Gebiet zwischen dem 120. und 160. Grad östlicher Länge war, so glaubte er, noch nicht erforscht worden. Hier meinte er also vielleicht eine neue Entdeckung machen zu können.


Ihre lothrechten Mauern übertrafen unsere Masten bei weitem an Höhe. (S. 434.)

Anfangs verlief diese Fahrt nur unter sehr mißlichen Umständen. Der Seegang war sehr stark, die Strömungen drängten ihn nach Osten, der Gesundheitszustand auf den Schiffen war keineswegs ein erwünschter, und kaum erreichte er den 58. Grad der Breite, als Alles auf die Nachbarschaft des Eises hindeutete.


Kapitän John Roß. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

[431] Kapitän John Roß. (Facsimile. Alter Kupferstich.)


Die Kälte wurde ziemlich lebhaft; der Wind sprang nach Westnordwesten um und das Meer ward ruhiger, ein fast sicheres Vorzeichen von benachbarten Land-oder ausgedehnten Eismassen. Man neigte sich mehr der ersteren Annahme zu, denn die Eisinseln, denen man begegnete, erschienen umfänglicher, als sie im freien Meere zu entstehen pflegen. [432] Am 18. Januar erreichte man den 64. Grad der Breite und begegnete bald ungeheueren Eisblöcken mit glatt abgeschnittenen Wänden, deren Höhe zwischen dreißig und vierzig Metern schwankte und deren Breite tausend Meter überstieg.

Am nächsten Tage, am 19. Januar 1840, kam ein neues Land in Sicht, das den Namen Adelen-Land erhielt. Die Sonne schien warm und alles Eis schien verschwinden zu sollen; zahlreiche Bäche rieselten von dem Gipfel der Eisberge herab und stürzten in glitzernden Wasserfällen in's Meer. Der Anblick des Landes war sehr eintönig; es verlief, mit Schnee bedeckt, von Osten nach Westen und schien sich in sanftem Abhange nach dem Meere zu senken. Am [433] 21. gestattete der Wind den beiden Schiffen, sich demselben zu nähern. Man fand da zahlreiche Spalten und Rinnen, welche durch das Schmelzwasser entstanden waren.

Je weiter man kam, desto gefährlicher wurde die Fahrt. Eisinseln bedeckten das Meer in solcher Menge, daß oft zwischen ihnen kaum ein hinreichender breiter Kanal übrig blieb, in dem sich die Corvette bewegen konnte.

»Ihre lothrechten Mauern übertrafen unsere Masten beiweitem an Höhe, sagt d'Urville; sie hingen zuweilen über unseren Schiffen, deren Dimensionen im Vergleich zu jenen enormen Massen geradezu lächerlich winzig erschienen. Das Schauspiel, welches sich unseren Blicken bot, war ebenso großartig als erschreckend. Es hatte den Anschein, als befände man sich in engen Gassen einer Stadt von Riesen.«

Bald gelangten die Corvetten in ein geräumiges, von den Küsten und den Eisinseln, die sie eben umschifft hatten, gebildetes Bassin. Nach Südosten oder Nordwesten dehnte sich das Land bis über Sehweite hinaus. Es konnte wohl tausend bis zwölfhundert Meter Höhe haben, nirgends zeigte sich aber ein besonders hervorspringender Gipfel. Endlich sah man inmitten der grenzenlosen Schneeebene einige Felsen. Die beiden Kapitäne sandten sofort Boote ab mit dem Auftrage, einige handgreifliche Beweise ihrer Entdeckung zu holen. Einer der damit beauftragten Officiere äußert sich wie folgt:

»Es war gegen neun Uhr, als wir zu unserer großen Freude auf dem westlichen Theile des westlichsten und höchsten Eilandes das Land betraten. Die Schaluppe der»Astrolabe« war schon vor uns angekommen und die Leute aus derselben kletterten an der steilen Felswand empor. Sie verjagten dabei viele Pinguins, welche sehr verwundert schienen, sich auf dieser Insel, deren einzige Bewohner sie bildeten, so keck belästigt zu sehen... Ich befahl einem Matrosen, die dreifarbige Flagge auf diesem Lande aufzupflanzen, das vor uns noch keines Menschen Fuß betreten hatte. Nach altem Gebrauche, dem die Engländer stets gehuldigt haben, nahmen wir von dem Lande, wie von der benachbarten Küste, welche zu betreten das Eis uns verhinderte, im Namen Frankreichs Besitz... Das Thierreich schien hier einzig und allein durch die Pinguins vertreten; trotz aller Nachsuchungen fanden wir nicht einmal eine Muschel. Der Felsen war vollständig kahl und zeigte nicht die geringste Spur von Flechten oder Moosen. Wir sahen uns also auf das Mineralreich beschränkt. Jeder ergriff seinen Hammer und bemühte sich, von dem Felsen etwas loszusprengen. Die Granitmasse [434] erwies sich jedoch so hart, daß wir davon nur Splitterchen abzulösen vermochten. Als wir unsere Umgebung etwas in Augenschein nahmen, entdeckten die Matrosen verschiedene durch den Frost abgesprengte Felsstücke, die sie nach den Booten schafften. Bei genauerer Prüfung überzeugte ich mich von deren vollständiger Uebereinstimmung mit den Gneißfragmenten, die wir im Magen eines am Vortage erlegten Pinguins gefunden hatten. Das kleine Eiland, auf dem wir gelandet waren, gehörte mit acht oder zehn anderen zu einer Gruppe zusammen; dieselben liefen alle in eine abgerundete Kuppe aus und zeigten fast die nämliche Gestalt. Diese Inselchen sind von der nächsten Küste fünf- bis sechshundert Meter entfernt. Am Strande sahen wir noch einige ganz freie Gipfel und einen Vorberg, dessen Basis selbst keinen Schnee mehr trug... Alle diese sehr nahe bei einanderliegenden Eilande scheinen eine Kette zu bilden, die sich parallel mit der Küste in der Richtung von Osten nach Westen hin erstreckt.«

Am 22. und 23. wurde die Untersuchung des Uferlandes fortgesetzt; an letzterem Tage zwang das der Küste vorgelagerte Packeis die Schiffer aber, nach Norden zurückzuweichen; gleichzeitig erhob sich ein ebenso unerwarteter als entsetzlicher Schneesturm, der die Fahrzeuge dem Untergange nahe brachte. Die »Zelée« erlitt umfängliche Beschädigungen des Segelwerkes; am nächsten Tage konnte sie sich jedoch bei dem Begleitschiffe wieder einfinden.

Während dieser Zeit war das Land sozusagen nicht aus dem Gesichte verloren worden. Am 29. mußte d'Urville jedoch wegen des unaufhörlich herrschenden steifen Ostwindes auf die weitere Erforschung des Adelen-Landes verzichten. An eben diesem Tage bemerkte er eines der Schiffe des Kapitäns Wilkes. D'Urville beklagt sich über die böswilligen Absichten, welcher der Genannte ihn in seinem Berichte beschuldigt, und versichert, daß seine Manöver, welche bezweckten, mit den Amerikanern in Verbindung zu treten, von diesen nur falsch verstanden worden seien.

»Wir leben nicht mehr in der Zeit, sagt er, wo die Seefahrer aus Handelsinteresse sich verpflichtet glaubten, ihren Weg und etwaige Entdeckungen geheim zu halten, um dadurch die Concurrenz rivalisirender Nationen auszuschließen. Ich hätte mich im Gegentheil glücklich geschätzt, unseren Mitbewerbern die Resultate unserer Nachforschungen mitzutheilen, wenn das ihnen nützlich und für die Erweiterung der geographischen Kenntnisse von Vortheil sein konnte.«

Am 30. Januar beobachtete man eine ungeheuere Eismauer, über welche die Ansichten sehr auseinandergingen. Die Einen hielten dieselbe für eine compacte, [435] mit keinem Lande in Verbindung stehende Eismasse, die Anderen – und zu diesen gehörte d'Urville selbst – glaubten, daß diese hohen Berge eine feste Unterlage, entweder Land oder Felsen, vielleicht auch nur Untiefen in der Nähe eines Landes hätten. Man gab derselben unter 128° der Länge den Namen Clavie-Küste.

Die Officiere hatten in diesen Gegenden genügende Unterlagen gesammelt, um auf Grund derselben die Lage des magnetischen Südpols bestimmen zu können, ihre Resultate wichen jedoch von denen Duperrey's, Wilkes' und James Roß' nicht unwesentlich ab.

Am 17. Februar gingen die beiden Corvetten vor Hobart-Town vor Anker.

Am 25. stachen sie wieder in See und segelten nach Neu-Seeland, wo die hydrographischen Aufnahmen der»Uranie« vervollständigt wurden; dann steuerten sie nach Neu-Guinea, wo sie sich überzeugten, daß die Luisiaden von demselben durch keine enge Wasserstraße getrennt seien; ferner untersuchten sie mit größter Sorgfalt, inmitten der Strömungen, Korallenriffe und immerwährender Gefahren, ernsthafte Havarien zu erleiden, die Torres-Straße, gelangten am 20. nach Timor und kehrten, nach kurzem Aufenthalte in Bourbon und St. Helena, am 6. November nach Toulon zurück. –

Durch die Nachricht von den durch die Vereinigten Staaten in so großem Maßstabe organisirten Entdeckungs-Expeditionen fühlte sich England wirklich betroffen und entschloß sich auf das Drängen gelehrter Gesellschaften, eine Expedition nach jenen Gegenden zu entsenden, welche seit Cook's Zeit nur die Kapitäne Weddell und Biscoë besucht hatten.

Der Kapitän James Clarke Roß, welcher das Commando derselben erhielt, war der Neffe des berühmten John Roß, des Erforschers der Bassins-Bai. Geboren im Jahre 1800, befand sich James Roß schon seit seinem zwölften Jahre zur See; er hatte im Jahre 1818 seinen Onkel bei dessen erster Erforschung der arktischen Länder begleitet; von 1819 bis 1827 nahm er, unter Parry's Befehl, an vier nach denselben Regionen entsendeten Expeditionen theil und von 1829 bis 1833 hatte er seinen Onkel überhaupt nicht verlassen. Mit wissenschaftlichen Untersuchungen beschäftigt, entdeckte er den magnetischen Nordpol; dabei machte er auch, mit Schlitten oder zu Fuß, sehr weite Ausflüge über das Eis. Er gehörte also jedenfalls zu denjenigen Officieren der britischen Marine, welche mit den Polarfahrten am vertrautesten waren. Man übergab ihm zwei Schiffe, die »Erebus« und die »Terror«; als zweiter Officier diente unter ihm ein [436] gleichfalls sehr erfahrener Seemann, der Kapitän Francis Rowdon Crozier, der Gefährte Parry's im Jahre 1824 und James Roß' in der Bassins-Bai, 1835, derselbe, welcher später Franklin bei Aufsuchung der nordwestlichen Durchfahrt begleitete. Auf ein muthigeres Herz, auf einen gewiegteren Seemann konnte die Wahl gar nicht fallen. Die Instructionen, welche James Roß von der Admiralität erhielt, wichen sehr wesentlich von denen Wilkes' und d'Urville's ab. Die Erforschung der antarktischen Gebiete bildete bei diesen nur eine Theilarbeit gelegentlich ihrer Reise um die Erde, dagegen das Hauptziel und den einzigen Zweck der Fahrt James Roß'. Von den drei Jahren, die er von Europa wegblieb, sollte er den größten Theil in den antarktischen Regionen zubringen und das Reich des Eises nur verlassen, um erlittene Havarien auszubessern oder seine erschöpfte oder erkrankte Mannschaft wieder zu stärken.

Schon die Schiffe waren mit Rücksicht hierauf ausgesucht; stärker als die d'Urville's, mußten sie auch wiederholten Stößen von Eisschollen besseren Widerstand leisten können, und ihre Besatzung bestand dazu aus lauter Seeleuten, welche die Polarregion schon kennen gelernt hatten.

Die »Erebus« und die »Terror«, unter dem Befehle Roß' und Crozier's, verließen England am 29. September 1839 und landeten nach und nach bei Madeira, den Inseln des Grünen Vorgebirges, St. Helena und am Cap der Guten Hoffnung, wo zahlreiche magnetische Beobachtungen angestellt wurden.

Am 12. April erreichte Roß die Kerguelen und schaffte dort sofort seine Instrumente an's Land. Die wissenschaftliche Ausbeute hier fiel sehr reichlich aus; aus der die Grundlage der Insel bildenden Lava grub man zum Beispiel fossile Bäume aus und entdeckte mächtige Steinkohlenlager, die ihrer Ausbeutung noch immer entgegenharren. Der 29. war ein, zu gleichzeitigen Beobachtungen auf der ganzen Erde bestimmter Tag. Glücklicher Weise entstand gerade an diesem Tage einer jener magnetischen Stürme, die man in Europa schon kennen gelernt hatte. Die Instrumente ergaben auf den Kerguelen dieselben Erscheinungen wie in Toronto, in Canada – ein Beweis für die ungeheuere Ausdehnung dieser Meteore und der unglaublichen Geschwindigkeit, mit der sie sich verbreiten.

Bei seiner Ankunft in Hobart-Town fand er als Gouverneur dort seinen alten Freund John Franklin. Roß erfuhr hier von der Entdeckung des Adelen-Landes und der Clavie-Küste durch die Franzosen, wie von der gleichzeitigen Auffindung derselben Länder durch die Expedition des Amerikaners Wilkes. Der Letztgenannte hatte sogar eine Skizze der von ihm aufgenommenen Länder [437] hinterlassen. Roß entschied sich aber dahin, das antarktische Gebiet erst unter 170° östlicher Länge zu betreten, weil Balleny erst in dieser Richtung das Meer im Jahre 1839 bis zum 69. Grade der Breite eisfrei gefunden hatte. Er segelte also nach Auckland, dann nach den Campbell-Inseln, erreichte, nachdem er gleich seinen Vorgängern wegen des treibenden Eises unzählige Kreuz- und Querfahrten gemacht, jenseits des 63. Grades die Grenze des Packeises und überschritt den Polarkreis am 1. Januar 1841.

Was das Treibeis betrifft, so glichen dessen Schollen in keiner Weise denen vom Nordpol, wovon sich James Roß leicht überzeugen konnte. Es sind ungeheuere Blöcke mit lothrechten regelmäßigen Wänden. Die Eisfelder, hier weniger eben als im Norden, bilden ein wahres Chaos, und deren zwanzigmal gesprengte und wieder zusammengefrorne Trümmer nehmen, nach Wilkes' bildlichem Ausdruck, das Aussehen eines bearbeiteten Landes an.

Das Packeis erschien Roß»nicht so furchtbar, wie Franzosen und Amerikaner das geschildert hatten«. Anfangs konnte er sich freilich nicht weit in jenes hineinwagen, sondern wurde durch stürmische Witterung gezwungen, sich in offener See zu halten. Erst am 5. konnte er sich ihm auf 66°45' der Breite und 174°16' westlicher Länge wieder nähern. Diesmal lagen die Umstände so günstig, wie nur irgend möglich, da Wind und Seegang vereinigt das Eis zu entfernen strebten. Dank der Festigkeit seiner Fahrzeuge, konnte Roß es wagen, sich einen Weg durch dasselbe zu brechen. Je weiter er aber nach Süden zu vordrang, desto dichtere Nebel herrschten, und die wiederholten Schneefälle trugen noch mehr dazu bei, diese Fahrt höchst gefährlich zu machen. Was den Forscher vorzüglich bestimmte, keine Mühe und Gefahr zu scheuen, war der Widerschein eines offenen Meeres am Himmel, eine nur selten täuschende Erscheinung, denn am 9., nachdem er mehr als zweihundert Meilen durch das Packeis zurückgelegt, fuhr er auf ein gänzlich eisfreies Meerbecken ein.

Am 11. Januar wurde etwa hundert Meilen vor dem Schiffe, unter 70°47' der Breite und 172°36' westlicher Länge, Land wahrgenommen. Noch niemals hatte Jemand so weit im Süden Land gesehen. Es waren Bergspitzen von neun- bis zwölfhundert Fuß Höhe – wenn diese Angaben nicht übertrieben sind, wie man nach den Beobachtungen d'Urvilleߣs auf Graham-Land leicht vermuthen konnte – vollständig mit Schnee bedeckt, von denen lange Gletscher bis weit in's Meer hinausragten. Hier und da erhoben sich wohl auch schwarze Felskuppen über dem Schnee; die Küste war aber so sehr vom Eise verbarricadirt,[438] daß man unmöglich an derselben landen konnte. Diese merkwürdige Reihe von gewaltigen Pics erhielt den Namen Admiralitätskette, und das Land selbst nannte man Victoria.

Im Südosten zeigten sich einige kleine Inseln; die Schiffe wendeten sich nach dieser Seite, und am 12. Januar gingen die beiden Kapitäne in Begleitung mehrerer Officiere an einem jener vulcanischen Eilande an's Land und nahmen von demselben im Namen Englands Besitz. Es fand sich übrigens keine Spur von Vegetation darauf.

Roß erkannte sehr bald, daß die Ostküste des größeren Landes nach Süden zu verlief, während die Nordküste sich nach Nordwesten zu fortsetzte. Er folgte also dem östlichen Strande, bemühte sich, nach Süden hin bis jenseits des magnetischen Poles, dessen Lage er zu 76° der Breite annahm, vorzudringen, dann auf der Westseite zurückzukehren und damit die Umschiffung dieses Landes, das er für eine große Insel hielt, zu vollenden. Die erwähnte Bergkette setzte sich längs der Küste fort. Roß bezeichnete deren hervorragendste Gipfel mit den Namen Herschel, Wehwell, Wheatstone, Murchison und Melbourne; das sich am Ufer fortsetzende Eis nahm aber mehr und mehr an Breite zu, so daß er die Einzelheiten der Küste aus den Augen verlor. Am 23. Januar überschritt er den 74. Grad, eine südliche Breite, die vor ihm noch Niemand erreicht hatte.

Eine Zeit lang wurden die Schiffe durch Nebel, Windstöße von Süden und heftige Schneefälle zurückgehalten. Sie fuhren dann aber längs der Küste weiter. Am 27. Januar landeten die englischen Seeleute an einer kleinen vulcanischen Insel, der sie den Namen Franklin gaben und die unter 76°8' südlicher Breite bei 168°12' östlicher Länge liegt.

Am nächsten Tage wurde ein ungeheuerer Berg wahrgenommen, der sich in regelmäßiger Form etwa zwölftausend Fuß über einem sehr ausgedehnten Lande erhob. Der vollständig mit Schnee bedeckte Gipfel hüllte sich von Zeit zu Zeit in eine dicke Rauchsäule, deren Breite im Durchmesser nicht unter dreihundert Fuß betrug, während sie in Form eines umgestürzten Kegels an der höchsten Stelle vielleicht das Doppelte maß. Als sie sich auflöste, gewahrte man einen kahlen, von lebhaften rothen Gluthen beleuchteten Krater, dessen Glanz selbst das helle Tageslicht nicht zu verdecken vermochte. Der Schnee reichte bis zu dem Krater hinauf, nirgends aber konnte man eine Lavaschicht entdecken.

Wenn der Anblick eines Vulcans stets ein großartiges Schauspiel ist, so mußte doch der dieses Riesen, der den Aetna und den Pic von Teneriffa an [439] Höhe übertrifft, seine außerordentliche Thätigkeit, seine Lage inmitten des Polareises auf die Seefahrer einen noch viel überwältigenderen Eindruck machen.

Er erhielt den Namen Erebus, während der Name des zweiten Schiffes Terror einem erloschenen, östlich von dem ersteren gelegenen Krater ertheilt wurde – gewiß eine recht gut gewählte Bezeichnung.

Die beiden Fahrzeuge fuhren fort, dem Lande nach Süden hin zu folgen, bis eine Eiswand, welche die Masten der Schiffe um hundertfünfzig Fuß überragte, ihren Weg absperrte. Weiter rückwärts bemerkte man noch eine andere Bergkette, die Parry-Berge, welche über Sehweite nach Südsüdosten hin verliefen. Roß segelte bis zum 2. Februar längs der Eiswand hin, wobei er bis 78°4', das heißt bis zum südlichsten Punkte auf dieser Reise gelangte. Dreihundert Meilen weit war er dem von ihm entdeckten Lande gefolgt, als er es 191°23' östlicher Länge verließ.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wären die beiden Fahrzeuge aus dem furchtbaren Packeis niemals wie der herausgekommen, wenn es ihnen nicht mit Hilfe günstiger starker Winde gelungen wäre, sich einen Ausweg zu erzwingen.

Am 15. Februar wurde unter 76° der Breite ein neuer Versuch gemacht, den magnetischen Pol zu erreichen. Dabei aber wurden die Schiffe unter 76°12' der Breite und 164° östlicher Länge aufgehalten, zwar nur fünfundsechzig Meilen von dem Punkte, wohin Roß den magnetischen Pol verlegte, aber unter Umständen, die es ihnen, im Hinblick auf den drohenden Zustand des Meeres und den trostlosen Anblick der Umgebung, unräthlich erscheinen ließen, etwa zu Lande bis dahin vorzudringen. Nachdem Roß die im Jahre 1839 von Balleny entdeckten Inseln aufgesucht, befand er sich am 6. März im Mittelpunkt der von Lieutenant Wilkes bezeichneten Berge.

»Aber, sagt der Bericht, weit entfernt, hier Berge zu finden, ergab die Sonde vielmehr bei sechshundert Faden noch keinen Grund. Als sie in allen Richtungen und in einem Kreise von achtzig Meilen Durchmesser um jenes angebliche Centrum und bei so klarem Wetter gesegelt waren, daß sie auf weite Entfernungen hin Alles deutlich unterscheiden konnten, kamen die Engländer zu der Ueberzeugung, daß mindestens in der angegebenen Lage ein antarktischer Continent, mit seinen zweihundert Meilen weit nachge wiesenen Küsten, in Wirklichkeit nicht existire. Lieutenant Wilkes hatte sich offenbar durch Wolkenbildungen täuschen lassen, vielleicht durch ungeheuere Nebelbänke, welche in diesen Gegenden ungeübte Augen gar zu leicht irreführen.«

[440] Die Expedition kehrte darauf nach Tasmanien zurück, ohne einen Kranken an Bord oder die geringste Havarie erlitten zu haben. Sie ruhte hier aus, regulirte die Instrumente und brach zu einer neuen Fahrt auf. Sydney, die Bai der Inseln an Neu-Seeland, ferner die Insel Chatam bildeten die ersten Stationen, wo Roß anhielt, um magnetische Beobachtungen vorzunehmen.

Am 18. December wurde unter 62°40' südlicher Breite und 146° östlicher Länge das Packeis angetroffen. Das war dreihundert Meilen weiter nördlich als im vorhergehenden Jahre. Die Schiffe trafen zu zeitig ein. Nichtsdestoweniger wünschte Roß, den furchtbaren Gürtel zu durchbrechen. Dreihundert Meilen weit drang er in denselben ein, sah sich dann aber von so compacten Eismassen aufgehalten, daß an ein weiteres Vordringen nicht zu denken war. Erst am 1. Januar 1842 überschritt er den Polarkreis. Am 19. desselben Monats wurden die beiden Schiffe von einem entsetzlichen Orkan überfallen, als sie eben das freie Meer erreichten. Die »Erebus« und die »Terror« verloren ihr Steuer, wurden von treibenden Schollen um ringt und schwebten sechsundzwanzig Stunden hindurch in Gefahr, verschlungen zu werden.

Die Einschließung der Expedition im Eise dauerte nicht weniger als sechsundvierzig Tage. Am 22. erreichte Roß endlich die große Wand festliegenden Eises, die sich von dem Vulcan Erebus an, wo sie fast zweihundert Fuß in der Höhe maß, merklich gesenkt hatte. An der Stelle, wo Roß sie jetzt wiedersah, erreichte sie nur noch einhundertsieben Fuß. Man untersuchte diese Wand noch hundertfünfzig Meilen weiter als im Vorjahre nach Osten zu. Das war das einzige geographische Resultat dieser beschwerlichen Reise von hundertsechsunddreißig Tagen, welche freilich an dramatischen Situationen reicher war als die erste.

Die Schiffe begaben sich nun nach dem Cap Horn und segelten bis Rio de Janeiro hinauf, wo sie Alles fanden, was ihnen nothwendig oder nützlich war.

Sobald sie hinreichenden Mundvorrath eingenommen, stachen sie wieder in See und liefen die Malouinen an, von denen aus am 17. December 1842 die dritte Fahrt angetreten wurde.

Dem ersten Eise begegnete Roß in der Nähe der Insel Clarence, und am 25. December sah er sich durch das Packeis aufgehalten. Er steuerte deshalb nach New-Shetland, vervollständigte seine Erforschungen von Joinville- und Louis Philippes-Land, welche beide Dumont d'Urville entdeckt hatte, benannte die Berge Haddington und Penny, überzeugte sich, daß Louis Philippes-Land nur eine große Insel sei, und besuchte die Bransfield-Meerenge, die dieselbe von [441] den Shetlands-Inseln trennt. Das waren die merkwürdigen Ergebnisse der drei Reisen James Roß'.

Um endlich über den Antheil zu urtheilen, der jedem der drei Forscher der antarktischen Gebiete zukommt, so kann man sagen, daß d'Urville der Erste gewesen sein wird, der den antarktischen Continent überhaupt sah; daß Wilkes dessen Küsten in der weitesten Ausdehnung besichtigte – denn die Uebereinstimmung seines Kurses mit dem des französischen Seefahrers ist auf keinen Fall zu verkennen; – und endlich, daß James Roß den südlichsten und interessantesten Theil desselben untersucht habe.

Ist der vermeintliche Continent aber wirklich auch vorhanden? D'Urville ist davon nicht gerade überzeugt und Roß glaubt nicht an denselben. Die Entscheidung hierüber wird man indeß den kühnen Forschern überlassen müssen, die auf der Fährte jener muthigen Bahnbrecher in den gefährlichsten Gegenden der Erde bald auf neue Untersuchungen ausziehen werden.

2.
II. Der Nordpol.

Anjou und Wrangell. – Die »Polynja«. – James Roß' erste Expedition. – Die Baffins-Bai geschlossen!-Edward Parry's Entdeckungen während seiner ersten Reise. – Die Erforschung der Hudsons-Bai und Auffindung der Fury- und Hekla-Straße. – Parry's dritte Reise. – Vierte Reise. Im Schlitten über das Eis, im offenen Meere. – Erste Reise Franklin's. – Unglaubliche Leiden der Forscher. – Zweite Expedition. – John Roß. – Vier Winter im Eise. – Die Fahrt Dease's und Simpson's.


Wir hatten wiederholt Veranlassung, von der großen Rührigkeit auf geographischem Gebiete zu sprechen, zu welcher Peter I. den Anstoß gab. Eines der dadurch zuerst erreichten Resultate war Behring's Entdeckung der Meerenge, welche Asien von Amerika trennt. Das freilich erst nach Verlauf von dreißig Jahren nachfolgende wichtigste Ergebniß war die Untersuchung des Liakow-Archipels oder Neu-Sibiriens im Polarmeere.

Im Jahre 1770 hatte ein Kaufmann, Namens Liakow, auf dem von Norden herabtreibenden Eise eine große Renthierheerde ankommen sehen. Er sagte sich darauf hin, daß diese Thiere nur aus einem Lande kommen könnten, wo [442] sie hinreichende Weideplätze zu ihrer Ernährung fanden. Einen Monat später reiste er zu Schlitten ab und entdeckte nach einer Fahrt von fünfzig Meilen, zwischen den Mündungen der Lena und der Indighirka, drei große Inseln, deren unerschöpfliche Lager fossilen Elfenbeins bald Weltberühmtheit erlangten.

Im Jahre 1809 war Hedenström beauftragt worden, eine Karte derselben zu bearbeiten. Er hatte oft wiederholte Schlittenfahrten über das gefrorene Meer unternommen, sah sich dabei aber stets durch halbgeschmolzene, nicht mehr tragfähige Schollen aufgehalten. Er schloß daraus auf ein weiter draußen vorhandenes offenes Meer und begründete diese Annahme mit der ungeheueren Menge zehn Grad warmen Wassers, welche die großen Ströme Asiens dem Eismeere zuführen.

Im März 1821 drang der Lieutenant (und spätere Admiral) Anjou auf dem Eise bis zweiundvierzig Meilen nördlich von der Insel Katelnoï vor und sah unter 76°38' Dunstmassen, die bei ihm den Glauben an ein offenes Polarmeer erweckten. Bei einem anderen Ausfluge sah er dieses Meer mit Treibeis erfüllt und kehrte mit der Ueberzeugung zurück, daß es unmöglich sei, wegen der geringen Dicke des Eises und wegen der Existenz jenes offenen Meeres (zu Schlitten) weiter vorwärts zu dringen.

Während Anjou sich mit diesen Untersuchungen beschäftigte, sammelte ein anderer Marineofficier, der Lieutenant Wrangell, die Erzählungen und verläßlicheren Nachrichten über das Vorhandensein eines, dem Cap Yakan gegenüber gelegenen Landes.

Von dem Häuptlinge eines Tschuktschenstammes hatte er erfahren, daß man in der Nähe der Küste von gewissen, vor der Mündung eines Flusses gelegenen Rissen aus bei schönem Sommerwetter weit, weit im Norden mit Schnee bedeckte Berge erkennen könne; im Winter waren diese natürlich nicht zu sehen. Früher kamen über das zugefrorene Meer wohl auch Renthierheerden von diesem Lande her. Der erwähnte Häuptling hatte einmal selbst eine Renthierheerde auf demselben Wege nach Norden zurückkehren sehen und war ihr im Schlitten einen ganzen Tag lang gefolgt, dann aber wegen der Eisverhältnisse gezwungen gewesen, sein Unternehmen aufzugeben.

Sein Vater hatte ihm auch erzählt, daß ein Tschuktsche mit mehreren Begleitern einmal in einem Lederboote dahin gesegelt sei; er wußte aber weder, was diese dort vorgefunden hatten, noch was überhaupt aus ihnen geworden wäre. Er vermuthete, daß jenes Land bewohnt sein müsse, und erzählte in Bezug darauf, daß an der Insel Aratane einst ein todter Walfisch auf den [443] Strand geworfen worden sei, der von Lanzen mit Schieferspitzen durchbohrt war, eine Waffe, deren sich die Tschuktschen niemals bedienten.

Diese Mittheilungen erschienen merkwürdig genug, um Wrangell's Verlangen, nach jenen unbekannten Gebieten vorzudringen, nur noch zu verstärken; sie sollten jedoch erst in unseren Tagen richtig gestellt werden.

Von 1820 bis 1824 unternahm Wrangell, der sich an der Mündung der Kolyma dauernd aufhielt, vier Schlittenreisen über das Eis. Zunächst untersuchte er die Küste von der Mündung der Kolyma bis zum Cap Tchelagskoï und mußte dabei bis fünfunddreißig Grad Kälte aushalten.

Im zweiten Jahre wollte er versuchen, wie weit er über das Eis hinauf gelangen könne, und kam dabei bis einhundertvierzig Meilen vom Lande weg.

Im dritten Jahre, 1822, reiste Wrangell im März ab, um die Angaben eines Eingebornen zu prüfen, welcher das Vorhandensein eines Landes, weit draußen im Meere, behauptete.

Er erreichte dabei ein Eisfeld, auf dem er ohne Hindernisse vorwärts gelangen konnte. Weiterhin erwies sich das »Ice-field« freilich weniger widerstandsfähig. Da es dem Eise an Festigkeit mangelte, eine Karawane zu tragen, so belud man zwei kleine Schlitten mit einem Nachen, einigen Planken nebst den nöthigsten Geräthen und wagte sich nun auf das unter den Füßen krachende Eis hinaus.

»Zuerst zogen wir, sagt Wrangell, sieben Werst weit über eine Salzschicht; weiterhin unterbrachen breite Spalten die Oberfläche, über welche wir nur mit Hilfe unserer Planken gelangen konnten. Hier sah ich auch kleine Hügel von so zerfließlichem Eise, daß der geringste Stoß hinreichte, diese zu zertrümmern und den Hügel in ein rundes Loch zu verwandeln. Das Eis, auf dem wir uns bewegten, war ohne Halt, kaum einen Fuß dick und außerdem mit zahlreichen Löchern durchsetzt. Das Aussehen des Meeres glich damals einem ungeheueren Morast; das kothige Wasser, welches aus den sich in allen Richtungen durchschneidenden Sprüngen emporquoll, der mit Sand und Erde vermengte schmelzende Schnee, jene kleinen Hügel, von welchen einzelne Wasserfäden herabrannen, Alles trug dazu bei, diese Täuschung zu verstärken.«

Wrangell hatte sich zweihundertachtundzwanzig Kilometer von der Küste entfernt und dabei den Rand des offenen sibirischen Meeres berührt, jener ausgedehnten »Polynja« – so lautet der Name, den er den weiten Strecken offenen Wassers gab – auf welche Leontjew schon 1764 und Hedenström 1810 hinwiesen.

[444] Zur vierten Reise brach Wrangell von dem Cap Yakan, das heißt dem, den Ländermassen im Norden am nächsten gelegenen Punkte auf. Seine kleine Gesellschaft überschritt das Cap Tchelagskoï und wandte sich dann nach Norden; ein heftiger Sturm brach aber das nur drei Fuß dicke Eis auf und versetzte die Reisenden in die höchste Gefahr. Bald auf einer noch zusammenhaltenden großen Scholle hintreibend, bald halb im Wasser auf einer beweglichen Planke, welche einmal nur schwankte, ein andermal gänzlich überfluthet wurde, oder auf einem Eisblocke zusammengedrängt, der ihnen als Fähre diente und den die Hunde schwimmend fortschleppten, erreichten sie endlich das Ufer quer durch Eisschollen, welche im Meere donnernd und krachend aufeinander prallten. Ihre Rettung verdankten sie nur allein der Schnelligkeit und Kraft der Hundegespanne.

So endeten die Versuche, die zur Erreichung der Länder im Norden Sibiriens angestellt wurden.

Die polare Calotte der Erde wurde aber gleichzeitig von einer anderen Seite mit ebenso viel Energie, aber mit noch mehr Ausdauer angegriffen.

Man erinnert sich, mit welchem Eifer und welcher Ausdauer die vielgenannte Nordwest-Passage aufgesucht worden war. Die Friedensverträge von 1815 hatten kaum Veranlassung gegeben, eine Menge englischer Schiffe außer Dienst zu stellen und sehr viele Officiere auf Halbsold zu setzen, als die Admiralität, bestrebt, die Carriere mancher verdienstvollen Seeleute nicht zu unterbrechen, auf Mittel sann, für dieselben Verwendung zu finden. Diese Umstände gaben Veranlassung, die Aufsuchung einer nordwestlichen Durchfahrt wieder aufzunehmen.

Die »Alexandre« von zweihundertfünfzig Tonnen, und die »Isabelle« von dreihundertfünfundneunzig, wurden unter dem Befehle John Roß', eines bewährten Officiers, und des Lieutenant William Parry von der Regierung abgesendet, um die Bassins-Bai zu untersuchen. Mehrere Officiere, wie James Roß, Back und Belcher, die sich durch die Polarfahrten einen geachteten Namen erwerben sollten, gehörten zu den Besatzungen. Die Schiffe gingen am 18. April unter Segel, ankerten bei den Shetlands-Inseln, suchten vergebens nach dem untergegangenen Baß-Lande, das man nach 57°28' nördlicher Breite verlegte, und trafen am 26. Mai auf das erste Eis. Am 2. Juni kam die Küste von Grönland in Sicht. An der, auf den Karten nur lückenhaft verzeichneten Westküste fand man sehr beträchtliche Eismassen, und der Gouverneur der dänischen Niederlassung Whale-Island versicherte den Engländern, daß die Strenge der Winter seit den elf Jahren. während der er das Land bewohnte, bemerkbar zugenommen habe.

[445] Bisher hatte man geglaubt, daß das Land jenseits des 75. Breitengrades unbewohnt sei. Die Reisenden erstaunten deshalb nicht wenig, einen ganzen Eskimostamm über das Eis ankommen zu sehen. Diese Halbwilden kannten kein anderes Volk als ihr eigenes. Sie betrachteten die Engländer, ohne sich in ihre Nähe zu wagen, und einer derselben rief die Schiffe mit lauter, fast feierlicher Stimme an.

»Wer seid Ihr? Woher kommt Ihr? Von der Sonne oder vom Monde?«

Obgleich dieser Stamm in gewisser Hinsicht weit unter den Eskimos stand, welche die häufige Berührung mit Europäern schon zu civilisiren begonnen hat, so kannte er doch den Gebrauch des Eisens, aus dem es einzelnen seiner Mitglieder sogar gelungen war, Messer herzustellen. Dasselbe rührte, soviel man zu begreifen glaubte, von einem Berge her, dem jene Leute es entnahmen. Wahrscheinlich war es Meteoreisen.

Während der ganzen Reise legte John Roß – und hierüber täuschte sich die öffentliche Meinung in England auch schon vor dem Bekanntwerden der Ergebnisse derselben nicht – neben ausgezeichneten seemännischen Tugenden, doch eine unglaubliche Gleichgiltigkeit und Flüchtigkeit an den Tag. Er schien sich im Ganzen sehr wenig um die Lösung der geographischen Probleme zu kümmern, welche die Ausrüstung der Expedition veranlaßt hatten.

Ohne sie zu untersuchen, segelte er an den Wolstenholme- und Walfisch-Baien, ebenso wie an dem Smith-Sunde, der sich im Grunde der Bassins-Bai befindet, und noch dazu in so großer Entfernung vorüber, daß nichts davon zu erkennen war.

Als er dann an der Westseite der Bassins-Bai hinabsegelte, zeigte sich den spähenden Blicken der Forscher ein tief eingeschnittener Meeresarm, dessen Breite kaum unter fünfzig Meilen betragen mochte. Die beiden Schiffe fuhren am 29. August in denselben ein, sie hatten aber kaum dreißig Meilen zurückgelegt, als Roß Befehl zum Umkehren gab unter dem Vorwande, er habe deutlich eine hohe Bergkette gesehen, die sich im Hintergrunde erhöbe, und der er den Namen Croker-Berge beilegte. Diese Ansicht theilten freilich die Officiere, die nicht den geringsten Hügel wahrgenommen hatten, keineswegs, weil der Meeresarm, auf dem sie sich befanden, nichts Anderes war, als der von Bassin getaufte Lancaster-Sund, der nach Westen zu mit dem Meere zusammenhängt.

So mochte es sich überhaupt mit allen Buchten dieser so tief eingeschnittenen Küste verhalten, an der man übrigens meist in solcher Entfernung hinsegelte,[446] daß Einzelheiten unerkennbar blieben. So machte die Expedition, an der Einfahrt nach Cumberland angekommen, gar keinen Versuch, diesen so wichtigen Punkt eingehender zu erforschen, und Roß kehrte, gleichgiltig gegen den Ruhm, den er hätte erwerben können, nach England zurück.

Der Leichtfertigkeit und Vernachlässigung seiner Aufgabe angeklagt, antwortete Roß mit stolzem Selbstbewußtsein:

»Ich wage mir zu schmeicheln, die Zwecke meiner Reise in allen wichtigen Punkten erfüllt zu haben, da ich die Existenz einer Bai, die sich von Disco bis zur Cumberland-Enge erstreckt, nachgewiesen und die Frage wegen einer nordwestlichen Durchfahrt in dieser Richtung für immer entschieden habe.«

Schlimmer könnte man sich allerdings kaum täuschen.

Der Mißerfolg dieses Versuches konnte aber die Forscher nicht entmuthigen. Die Einen sahen darin die eclatante Bestätigung der Entdeckungen des alten Baffin, Andere wollten in den unzähligen Einfahrten, in denen das Meer so tief und die Strömung so stark war, etwas anderes als Baien erkennen. Für sie waren das Meerengen, und alle Hoffnung, die ersehnte Durchfahrt aufzufinden, schien nicht verloren.

Von solchen Anschauungen frappirt, rüstete die Admiralität sofort zwei kleine Fahrzeuge aus, die Bombarde »Hekla« und die Brigantine »Griper«. Am 5. Mai 1819 verließen diese die Themse unter der Führung des Lieutenants William Parry, der mit seinem früheren Chef bezüglich der Nordwest-Passage ebenfalls nicht übereinstimmte. Ohne außergewöhnliche Vorkommnisse gelangten die Schiffe bis zu dem Sunde Sir James Lancaster's; nach siebentägiger Einschließung inmitten starker, in einer Länge von achtzig Meilen aufgehäufter Eismassen segelten sie in jene Bai ein, die nach John Roß von einer Bergkette abgeschlossen sein sollte.

Nicht allein jene Berge existirten aber nur in der Einbildung des genannten Seefahrers, sondern alle Anzeichen deuteten mit voller Verläßlichkeit darauf hin, daß man sich in einer Meerenge befand. Bei dreihundertzehn Faden zeigte sich noch kein Grund; allmählich machte sich ein hohler Seegang bemerkbar; die Temperatur des Wassers hob sich bis auf sechs Grad und im Laufe eines einzigen Tages begegnete man nicht weniger als achtzig großen Walfischen.

Als die Reisenden am 31. Juli in der Possessions-Bai, die sie im vergangenen Jahre besucht hatten, an's Land gingen, fanden sie noch ihre eigenen Fußspuren wieder, ein Beweis für die geringe Menge Schnee und den wenigen [447] Reif des letztvergangenen Winters. In dem Augenblicke, als die Schiffe mit vollen Segeln und unter günstigem Winde in den Lancaster-Sund einfuhren, schlugen wohl Aller Herzen schneller.

»Es ist leichter, sagt Parry, sich die ängstliche Erwartung vorzustellen als zu beschreiben, die sich in diesem Augenblick auf allen Gesichtern malte, während wir mit immer zunehmender Geschwindigkeit in die Meerenge mit auffrischender Brise einfuhren; den ganzen Nachmittag über standen Officiere und Matrosen auf den Stengen, und ein uninteressirter Zuschauer, wenn es unter den gegebenen Verhältnissen einen solchen hätte geben können, müßte sich amüsirt haben über die Begierde, mit welcher jede neue Meldung aufgenommen wurde; bisher lauteten alle sehr günstig, selbst für unsere ehrgeizigsten Hoffnungen und Wünsche.«

Die beiden Ufer liefen parallel zu einander weiter, so weit das Auge ihnen, etwa bis auf fünfzig Meilen, zu folgen vermochte. Die Höhe der Wogen, das Fehlen des Eises, kurz Alles bestärkte die Engländer in der Annahme, daß sie das offene Meer erreicht und die gesuchte Durchfahrt gefunden hätten, als eine Insel, an der ungeheuere Eismassen aufgethürmt lagen, ihnen den ferneren Weg versperrte.

Ein Meeresarm von etwa zehn Meilen Breite öffnete sich jedoch im Süden derselben. Hier hoffte man nun einen von Eis weniger verstopften Weg zu entdecken. Merkwürdiger Weise hatten sich die Bewegungen der magnetischen Nadel, je weiter nach Westen man durch den Lancaster-Sund vordrang, immer mehr verstärkt; jetzt bei einem Kurse nach Süden schien das Instrument alle gewohnten Eigenschaften verloren zu haben, und man sah in Folge merkwürdiger Ursachen die richtende Kraft der Magnetnadel sich so weit verringern, daß sie der von den Schiffen geübten Anziehung nicht mehr die Waage hielt, so daß dieselbe eigentlich nur noch den Nordpol der »Hekla « oder der »Griper« anzeigte.

Der Meeresarm erweiterte sich, je mehr die Fahrzeuge nach Westen vordrangen, und das Ufer verlief deutlich nach Südwesten zu; nach Zurücklegung von hundertzwanzig Meilen in dieser Richtung sahen sie sich plötzlich durch eine Eisbank aufgehalten, welche jedem weiteren Vordringen ein Ziel setzte. Sie fuhren also nach der Barrow-Straße zurück, zu der der Lancaster-Sund eigentlich nur die Schwelle bildet, und sahen jetzt dasselbe Meer eisfrei, das sie wenige Tage vorher voller Schollen gefunden hatten.

Unter 72°15' der Breite entdeckten sie einen neuen, etwa acht Meilen breiten Wasserarm, den Wellington-Kanal; vollständig frei von Eis, schien dieser durch keine Landmasse verschlossen zu sein. Alle diese Meerengen überzeugten die Seefahrer, daß sie inmitten eines ausgedehnten Archipels segelten, und ihr gutes Vertrauen gewann dadurch neue Nahrung.

[448] Die Fahrt bei fortwährendem Nebel war indeß ziemlich schwierig; die Anzahl kleiner Inseln und Untiefen nahm immer mehr zu, die Eismassen thürmten sich höher an, doch konnte nichts Parry entmuthigen, seinen Weg nach Westen fortzusetzen. Auf einer größeren Insel, die den Namen Bathurst erhielt, fanden die Matrosen Reste von Eskimohütten und Spuren von Renthieren. An dieser [449] Stelle wurden magnetische Beobachtungen vorgenommen, welche zu der Ueberzeugung führten, daß man im Norden des magnetischen Poles vorübergekommen sei. Bald kam eine an dere große Insel, Melville, in Sicht, und trotz der Hindernisse, welche Eis und Nebel dem Vordringen der Expedition in den Weg stellten, gelang es dieser doch, den 110. Grad westlicher Länge zu überschreiten und damit die von dem Parlamente ausgesetzte Belohnung von hunderttausend Pfund Sterling zu verdienen.


Er lud Proviant und Boote auf Schlitten. (S. 454.)

Er lud Proviant und Boote auf Schlitten. (S. 454.)


Ein in der Nähe dieses Punktes gelegenes Vorgebirge erhielt deshalb den Namen Munificenz-Cap; eine schöne Rhede in der Nachbarschaft wurde die Hekla- und Griper-Bai genannt. Im Grunde dieser Bai, dem Winter-Harbour, verbrachten die beiden Schiffe den Winter. Abgetakelt, von wattirten Matten eingehüllt, lagen sie unter einer dicken Schneedecke, während im Innern derselben Oefen und Caloriferen aufgestellt wurden. Die Jagd hatte keine anderen Erfolge, als daß verschiedene Theilnehmer der Expedition dabei einige Glieder erfroren, denn bis auf Wölfe und Füchse hatten alle übrigen Thiere die Insel Melville gegen Ende des Octobers verlassen.

Wie sollte man nun die lange Winternacht ohne gar zu große Langeweile verbringen?

Die Officiere kamen auf den Gedanken, ein Theater zu errichten, auf dem die erste Vorstellung am 6. November stattfand, an dem Tage, da die Sonne für drei volle Monate von dem Horizonte verschwand. Nachdem dann zur Feier des Weihnachtsfestes ein besonderes Stück geschrieben worden war, gründeten sie eine Wochenschrift, welche die »Zeitung für Nord-Georgien, eine Winter-Chronik«, (The North Georgia gazette and winter chronicle) genannt wurde. Diese Zeitschrift, deren Redaction Sabine besorgte, erschien in einundzwanzig Nummern und hatte nach der Heimkehr auch noch die Ehre, durch den Druck veröffentlicht zu werden.

Im Monat Januar machte sich der Scorbut bemerkbar, und die Heftigkeit, mit der die Krankheit anfangs auftrat, verursachte nicht geringe Besorgnisse; die verständige Anwendung von antiscorbutischen Mitteln und die tägliche Vertheilung von frischem Senf und Kresse, welch' letztere es Parry gelang, in der Nähe seiner Oefen aufzuziehen, schnitten das Uebel bald an der Wurzel ab.

Am 7. Februar erschien die Sonne zum ersten Male wieder, und obwohl gewiß noch mehrere Monate vergehen mußten, bevor an eine Abreise zu denken war, wurden doch schon die Vorbereitungen zu derselben getroffen. Am 30. April [450] stieg das Thermometer bis Null Grad, und die Matrosen, welche diese so niedrige Temperatur schon für Sommerwetter ansahen, schickten sich an, die Winterkleider abzulegen. Der erste weiße Rainfarn erhob das Haupt am 12. Mai, und am nächsten Tage bemerkte man Spuren von Renthieren und Moschusziegen, welche wieder nach Norden auszuwandern begannen. Die größte Freude und eine ganz außerordentliche Ueberraschung bereitete den Seeleuten aber ein Regen, der am 24. Mai fiel.

»Wir waren, sagt Parry, so entwöhnt, Wasser in seinem natürlichen Zustande und vorzüglich solches vom Himmel herabfallen zu sehen, daß diese einfache Erscheinung für uns zum Gegenstand der lebhaftesten Neugier wurde. Ich glaube bestimmt, daß sich Niemand an Bord befand, der nicht auf das Verdeck gekommen wäre, um das so interessante und uns so neue Schauspiel zu genießen.«

Während der ersten Hälfte des Juni unternahm Parry in Begleitung mehrerer Officiere einen Ausflug über die Insel Melville, deren nördliches Ende er dabei erreichte. Bei seiner Rückkehr zeigte sich schon überall einige Vegetation, das Eis begann zu zerfallen und Alles deutete darauf hin, daß die Abfahrt nun bald stattfinden könne, was denn endlich am 1. August geschah; in der offenen See waren die Schollen aber noch lange nicht geschmolzen und die Fahrzeuge vermochten nach Osten nicht weiter vorzudringen, als bis zum Ende der Insel Melville. Der äußerste Punkt, den Parry in dieser Richtung erreichte, liegt unter 74°26'25'' der Breite und 113°46'43'' der Länge. Die Rückkehr ging ohne Unfall von statten und gegen Ende November trafen die Schiffe glücklich wieder in England ein.

Die Ergebnisse dieser Reise waren sehr beträchtlich; es wurden durch dieselbe nicht allein sehr ausgedehnte Gebiete der Polarregion erschlossen, sondern man hatte auch werthvolle physikalische und magnetische Beobachtungen angestellt und ebenso über die Kälte-Erscheinungen, über das arktische Klima und das animalische und vegetabilische Leben in jenen Gegenden Auskunft erlangt.

Bei einer einzigen Fahrt erreichte Parry mehr als Alle, die ihm im Laufe von dreißig Jahren auf seiner Fährte folgen sollten.

Sehr befriedigt von diesen Erfolgen Parry's, vertraute ihm die Admiralität im Jahre 1821 das Commando zweier Schiffe, der »Hekla« und der »Fury« an, das letztere nach dem Modell der »Hekla« erbaut. Diesesmal erforschte der Seefahrer die Ufer der Hudsons-Bai und mit größter Sorgfalt auch die Küsten [451] der Halbinsel Melville, nicht zu verwechseln mit der Insel gleichen Namens. Man überwinterte auf der Winter-Insel, nahe der Ostküste jener Halbinsel, und griff dabei auf dieselben Unterhaltungen zurück, die sich bei der früheren Fahrt so gut bewährt hatten. Die angenehmste Zerstreuung in der Monotonie des Winters war jedoch der Besuch einer Gesellschaft Eskimos, welche am 1. Februar über das Eis ankamen. Ihre Hütten, die man bisher nicht bemerkte, waren am Ufer errichtet; man stattete auch diesen vielfache Besuche ab, und der achtzehnmonatliche Verkehr der Besatzung mit jenen trug nicht wenig dazu bei, eine ganz andere Anschauung über diese Völker, ihre Lebensweise und ihren Charakter zu verbreiten, als man eine solche bisher hatte.

Die Untersuchung der Fury- und Hekla-Engen, welche die Halbinsel Melville von dem Cockburn- Lande trennen, nöthigte die Reisenden, noch einen Winter über in den arktischen Gebieten zu verweilen. Wenn dazu auch noch bessere Maßnahmen getroffen wurden, so verlief diese Zeit doch in etwas gedrückterer Stimmung, weil Officiere und Matrosen das Gefühl grausamer Enttäuschung nicht überwinden konnten, sich gerade in dem Augenblicke aufgehalten zu sehen, wo sie nach der Behrings-Straße abzusegeln hofften.

Am 12. August öffnete sich wieder ein Weg durch das Eis. Parry wollte seine Schiffe nach Europa zurücksenden und auf dem Landwege eine Untersuchung der von ihm entdeckten Länder vornehmen; er mußte jedoch den Vorstellungen des Kapitän Lyon nachgeben, der ihm die ganze Tollkühnheit dieses verzweifelten Planes vor Augen legte. Die beiden Fahrzeuge kehrten also nach einer Abwesenheit von siebenundzwanzig Monaten nach England zurück und hatten während dieser Zeit von hundertacht Mann nur fünf verloren, obwohl sie zwei Winter nach einander in den hyperboräischen Regionen zubrachten.

Gewiß erreichten die Ergebnisse dieser zweiten Fahrt die der ersten nicht an Bedeutung, dennoch darf man sie keineswegs für werthlos ansehen. Man wußte nun, daß die eigentliche Küste Amerikas nicht über den 70. Grad hinaufreicht, daß der antarktische Ocean mit dem Polarmeere durch eine Menge Meerengen und Kanäle zusammenhängt, von denen die meisten, wie die der Fury, der Hekla, die Fox-Enge und andere, freilich vielfach durch Eismassen verschlossen sind, welche heftige Strömungen in denselben aufhäufen.

Wenn das an der Südostspitze der Halbinsel Melville gesehene Eis hier permanent zu lagern schien, so war das mit dem am Eingange der Regent-Straße offenbar nicht der Fall. Es bot sich demnach einige Aussicht, nach dem [452] Polarbecken vordringen zu können. Die »Fury« und die »Hekla« wurden deshalb noch einmal ausgerüstet und Parry zur Führung überlassen.

Diese Reise war leider die mindest glückliche von allen, welche der erfahrene Seemann unternahm, nicht, daß er sich dabei seiner Aufgabe nicht gewachsen gezeigt hätte, wohl aber wurde er das Opfer unglücklicher Zufälligkeiten und mißlicher Verhältnisse. So bedrängte ihn z. B., als er kaum in die Bassins-Bai eingelaufen war, eine so ungeheuere Masse Eis, daß er die größte Mühe hatte, nur den Eingang zu der Prinz Regent-Straße wieder zu erreichen. Wäre er hier drei Wochen früher eingetroffen, so hätte es ihm vielleicht gelingen können, längs der Küste Amerikas hinzusegeln, jetzt blieb ihm aber nichts Anderes übrig, als sofort Anstalten zu treffen, um unter den geringsten Beschwerden den Winter zu verbringen.

Für diesen Officier, der schon gewöhnt war, den Winter der Polarzone auszuhalten, hatte das nichts Erschreckendes an sich. Er kannte die nöthigen Maßregeln zur Erhaltung der Gesundheit der Mannschaften, selbst zur Sicherung eines gewissen Wohlbehagens, und war nicht in Verlegenheit wegen Beschäftigungen und Zerstreuungen, welche so mächtig dazu beitragen, die Langeweile einer dreimonatlichen Nacht zu verkürzen.

Mancherlei von den Officieren ertheilte Unterrichtskurse, auch Maskeraden und Theatervorstellungen, nebst einer gleichmäßigen Wärme von 50° Fahrenheit (–10° C.) erhielten die Leute so frisch und munter, daß Parry, als ihm das Thauwetter am 20. Juli 1825 die Wiederaufnahme seiner Operationen gestattete, keinen einzigen Kranken an Bord hatte.

Er schlug nun einen Weg längs des östlichen Ufers der Einfahrt in die Prinz Regent-Straße ein; da trieben aber zahlreiche Schollen heran und drängten die Fahrzeuge gegen das Land. Die »Fury« wurde so schwer beschädigt, daß sie, obschon vier Pumpen stets in Thätigkeit blieben, kaum flott erhalten werden konnte. Parry machte zwar den Versuch, sie wieder in Stand zu setzen; nachdem sie aber mit großer Beschwerde auf ein ungeheueres Stück Eis gehoben worden war, entstand ein heftiger Sturm, der die temporäre Unterlage zertrümmerte und das Schiff auf den Strand warf, wo man es endgiltig aufgeben mußte. Seine Besatzung wurde von der »Hekla« mit aufgenommen, die in Folge dieser Katastrophe den Rückweg nach England einschlug.

Der gegen Gefahren so abgehärtete Parry ließ sich auch hierdurch von weiteren Projecten nicht abhalten. Wenn es sich unmöglich erwies, das Eismeer [453] auf diesem Wege zu erreichen, so konnte es doch noch andere dahin geben. Vielleicht bot z. B. die ungeheuere Meeresfläche zwischen Grönland und Spitzbergen eine minder gefährliche Straße, die von Eisbergen, welche sich ja nur an Küsten bilden, weniger heimgesucht war.

Die frühesten Fahrten in diese Gegenden, von denen man Kenntniß besitzt, sind die Scoresby's, der diese Meere zum Zwecke der Walfischjagd lange Zeit besuchte. Im Jahre 1806 gelangte er dabei sehr hoch nach Norden, ja, so hoch, wie es auf diesem Wege noch keinem Schiffe gelungen war. Er befand sich nämlich am 24. Mai unter 81°30' der Breite und 16° östlicher Länge von Paris, das heißt, ziemlich genau im Norden von Spitzbergen. Das Eis erstreckte sich in der Richtung nach Ostnordosten hin. Zwischen dieser Richtung und dem Südosten war das Meer auf eine Strecke von dreißig Meilen vollkommen frei, und auch auf die Entfernung von hundert Meilen Land nicht zu sehen.

Man muß bedauern, daß sich der Walfänger diesen günstigen Umstand nicht zunutze machte, um noch weiter nach Norden vorzudringen; unzweifelhaft hätte er manche wichtige Entdeckung gemacht, oder vielleicht gar den Pol selbst erreicht.

Was nun geschäftliche Rücksichten dem Walfänger Scoresby nicht zu unternehmen gestatteten, das wollte Parry auszuführen versuchen.

Er segelte mit der»Hekla« am 27. März 1827 von London ab, kam nach dem norwegischen Lappland, nahm in Hammerfest Hunde, Renthiere nebst Booten ein und setzte seine Fahrt nach Spitzbergen weiter fort.

Der Hafen Smeerenburg, den er anzulaufen gedachte, war noch mit Eis erfüllt, und die »Hekla« kämpfte gegen dasselbe bis zum 27. Mai. Parry verließ alsdann sein Schiff in der Hinlopen-Straße und fuhr mit zwei Booten nach Norden weiter, auf denen er Roß und Crozier, je zwölf Mann Besatzung und Lebensmittel für einundsechzig Tage mitnahm. Nach Hinterlassung eines Lebensmitteldepois auf den Sieben Inseln, lud er den übrigen Proviant und die Boote auf Schlitten, welche für diesen Zweck ganz besonders hergerichtet waren. Er hoffte auf diese Weise über das feste Eis gelangen und jenseits desselben ein, wenn auch nicht ganz freies, doch wahrscheinlich fahrbares Meer erreichen zu können.

Das Packeis bildete aber nicht, wie Parry vorausgesetzt, eine vollkommen gleichartig zusammengesetzte Masse. Dazwischen fanden sich sowohl breite offene Spalten, über die er setzen mußte, als auch steile Hügel, die man mit den [454] Schlitten nur schwer erklimmen konnte. So kam er in vierzehn Tagen nur vierzehn Kilometer nach Norden vorwärts.

Am 2. Juli wies das Thermometer bei dichtem Nebel + 1∙7° im Schatten und 8∙3° in der Sonne.

Der Weg über die holprige, jeden Augenblick von offenen Wasserkanälen unterbrochene Oberfläche war äußerst mühsam, und dazu litten die Augen der Reisenden nicht wenig von dem grellen rückstrahlenden Lichte.

Trotz aller Hindernisse aber drangen Parry und seine Gefährten muthig weiter, als der Erstere am 20.Juli bemerkte, daß sie erst bis 82°37', das heißt nur neun Kilometer weiter nach Norden gekommen waren, als drei Tage vorher. Allem Anscheine nach unterlag also die ganze Eismasse der Wirkung einer Strömung nach Süden, denn der Reisende war überzeugt, während jener Zeit mindestens zweiundzwanzig Kilometer über das Eisfeld zurückgelegt zu haben.

Parry verheimlichte anfangs seinen Leuten diese Bemerkung, bald wurde es Allen aber offenkundig, daß sie sich nur mit der Differenz zweier entgegengesetzter Geschwindigkeiten nach Norden hinbewegten; einmal mit der, in welcher sie selbst alle Hindernisse überwanden, abzüglich der anderen, welche das »Icefield« nach Süden entführte.

Die Expedition erreichte indessen eine Stelle, wo das morsche Eis Menschen und Schlitten kaum noch zu tragen vermochte. Hier fand sich ein furchtbarer Haufen von Schollen, welche, von den Wogen emporgehoben, mit entsetzlichem Geräusche aufeinander stießen. Die Mundvorräthe gingen zur Neige; Roß war verwundet. Parry litt an einer heftigen Augenentzündung und der Wind schlug auch noch um – das Alles zwang die Engländer, nach Süden zurückzukehren.

Diese kühne Fahrt, während der das Thermometer niemals unter 20° Kälte herabsank, hätte vielleicht von Erfolg sein können, wenn sie in weniger vorgeschrittener Jahreszeit unternommen worden wäre. Wenn die Reisenden früher aufbrachen, so mußten sie wohl über 82°40' hinauskommen, da sie Regen, Schnee und Feuchtigkeit, die untrüglichen Vorzeichen des sommerlichen Thauwetters, nicht aufgehalten hätten.

Als Parry wieder bei der »Hekla« eintraf, hörte er, daß das Schiff in der größten Gefahr geschwebt habe. Unter heftigen Winden hatten Eisschollen die Ankerkette zerrissen und jenes auf den Strand geworfen. Nachdem man dasselbe wieder flott gemacht, war es nach dem Eingange der Waigatzstraße geschafft wor den.


Man mußte sich zu einer zweiten Ueberwinterung entschließen. (S. 463.)

Parry segelte nun ohne Unfall nach den Orcaden, hielt sich kurze Zeit an diesen Inseln auf und lief am 30. September wieder in London ein.

Während Parry einen Durchgang durch die Bassins- oder Hudsons-Bai suchte, um nach dem Pacifi [455] schen Ocean zu gelangen, waren verschiedene Expeditionen organisirt worden, um die Entdeckungen Mackenzie's zu vervollständigen und den Verlauf der Nordküste Amerikas zu bestimmen.


Eskimo-Familie. [Facsimile. Alter Kupferstich.]

Diese Reisen schienen keine so großen Schwierigkeiten zu bieten, während ihre Ergebnisse für den Geographen ebenso wichtig, wie für den Seemann vortheilhaft zu werden versprachen. [456] Die Führung derselben wurde einem verdienstvollen Officier, Franklin, anvertraut, dessen Name mit Recht so berühmt geworden ist. Doctor Richardson und Georges Back, damals Midshipman in der Kriegsmarine, begleiteten ihn nebst zwei Matrosen.

Am 30. August 1819 in der Factorei von York, am Ufer der Hudsons-Bai, angelangt, reisten die Forscher, nachdem sie sich von Pelzjägern alle ihnen nützlich erscheinende Auskunft verschafft, am 9. September von da ab und erreichten am 22. October das sechshundertneunzig Meilen entfernte Cumberland House. [457] Die günstige Jahreszeit neigte sich zu Ende. Franklin begab sich inzwischen mit Georges Back nach dem Fort Chippewayan am westlichen Ende des Athabaska-Sees, um die Vorbereitungen für die im nächsten Sommer auszuführende Expedition zu überwachen. Diese Reise von achthundertsiebenundfünfzig Meilen legte er mitten im Winter und bei Temperaturen von vierzig bis fünfzig Grad unter Null zurück.

Zu Anfang des Frühjahres traf Doctor Richardson im Fort Chippewayan mit dem Reste der Expedition ein, und diese brach am 18. Juli 1820 in der Hoffnung auf, vor Eintritt der schlechten Jahreszeit an der Mündung des Coppermine-Flusses einen günstigen Platz zur Ueberwinterung zu finden. Dabei hatten Franklin und seine Begleiter freilich die Schwierigkeiten des Weges und die Hindernisse, welche die Strenge des Klimas bereitete, zu gering veranschlagt.

Wasserfälle, Untiefen in den Seen und Flüssen, nicht fahrbare Stellen und das seltenere Vorkommen von eßbarem Wilde hielten die Reisenden so sehr zurück, daß die canadischen Führer am 20. August, als die Teiche sich schon wieder mit Eis zu bedecken anfingen, sich beklagten, und als sie Schaaren wilder Vögel nach dem Süden ziehen sahen, überhaupt verweigerten, noch weiter mitzugehen. Franklin mußte, so sehr ihn diese Böswilligkeit erbitterte, doch seine Pläne aufgeben, und an der Stelle, wo er sich befand, das heißt fünfhundertfünfzig Meilen vom Fort Chippewayan am Ufer des Winterflusses, ein hölzernes Haus erbauen lassen, das den Namen Fort Entreprise erhielt. Dasselbe liegt unter 64°28' der Breite und 118°6' der Länge.

Nach vollendeter Einrichtung der Wohnung bemühten sich die Reisenden, so viel als möglich Lebensmittel einzusammeln, und bereiteten aus Renthierfleisch jene Conserve, welche in ganz Amerika als »Pemmican« bekannt ist. Zuerst zeigten sich sehr viele Renthiere; man zählte deren an einem Tage über zweitausend Stück; dies lieferte jedoch den Beweis, daß jene auf der Auswanderung nach milderen Gebieten begriffen waren. Obwohl das Fleisch von hundert achtzig dieser Thiere zubereitet worden war und der benachbarte Fluß ebenfalls noch verschiedene Nahrungsmittel lieferte, so sollten doch auch diese beträchtlichen Vorräthe nicht ausreichen.

Auf die Nachricht von der Ankunft weißer Männer in ihrem Lande siedelten sich nämlich mehrere ganze Indianerstämme vor den Thoren des Forts an und ließen keine Gelegenheit vorüber, zu betteln und die Ankömmlinge herzhaft auszubeuten. Auch die Ballen mit Wollendecken, der Tabak und andere Tauschwaaren [458] wurden bald genug erschöpft. Beunruhigt, die Expedition nicht ankommen zu sehen, die ihm weiteren Proviant zuführen sollte, schickte Franklin am 18. October Georges Back mit einigen Canadiern nach dem Fort Chippewayan.

Eine solche Fußreise mitten im Winter erheischte eine Unerschrockenheit und Opferwilligkeit, von der die nachfolgenden wenigen Zeilen eine kleine Vorstellung geben.

»Ich hatte, sagt Back bei seiner Rückkehr, die Freude, meine Reisegenossen nach einer Abwesenheit von etwa fünf Monaten in bestem Wohlsein wieder anzutreffen. In jener Zeit hatte ich elfhundertundvier Meilen in Schneeschuhen und ohne einen anderen Schutz während der Nacht in den Wäldern zurückgelegt, als den einer Decke und eines Damhirschselles, während das Thermometer häufig bis 40, einmal sogar bis 57° unter Null herabsank; zuweilen mußte ich dabei zwei bis drei Tage ohne Nahrung aushalten.«

Diejenigen, welche im Fort zurückgeblieben waren, hatten jedenfalls schwer von der Kälte zu leiden, welche noch um drei Grad diejenige übertraf, welche Parry auf der Melville-Insel ertragen mußte, obwohl diese dem Pole um neun Breitengrade näher liegt. Die Wirkungen dieser niedrigen Temperatur machten sich nicht nur bei den Menschen bemerkbar; selbst die Bäume waren dabei bis in's innerste Mark gefroren, so daß eine Axt in ihnen kaum einen Eindruck hervorbrachte.

Zwei Dolmetscher aus der Hudsons-Bai waren mit Back nach dem Fort Entreprise gekommen. Der eine derselben besaß eine Tochter, welche für das schönste Wesen galt, das man jemals habe sehen können. Obwohl erst sechszehn Jahre alt, hatte sie doch schon zwei Ehemänner gehabt. Einer der englischen Officiere zeichnete ihr Bild zum großen Leidwesen der Mutter, welche fürchtete, daß der »große Häuptling der Engländer« sich bei Betrachtung dieses Porträts in das Original verlieben könnte.

Am 14. Juni 1821 war der Coppermine-Fluß hinlänglich frei von Eis, um auf demselben hinabfahren zu können. Man schiffte sich also ein, obschon die Lebensmittel fast vollständig aufgezehrt waren. Zum Glück gab es an dem grünen Ufer des Flusses viel Wild und man erlegte unter Anderem genug Moschusochsen, welche für Alle hinreichende Nahrung lieferten.

Die Mündung des Coppermine wurde am 18. Juli erreicht. Die Indianer kehrten aus Furcht, ihre Feinde, nämlich Eskimos, zu treffen, sofort nach dem Fort Entreprise um, während die Canadier es kaum wagten, mit ihren Booten [459] auf das freilich ziemlich aufgeregte Meer zu fahren. Franklin wußte sie jedoch zuletzt dazu zu bestimmen; er konnte aber nicht über die Turn Again-Spitze hinausgelangen, das ist ein unter 68°30' der Breite liegendes Vorgebirge, das sich am Eingange eines großen, mit vielen Inseln besäeten Golfes befand, dem Franklin den Namen Golf der Krönung George's IV. beilegte.

Franklin war den Hood-Fluß stromauf gefahren, als er sich von einem zweihundertfünfzig Fuß hohen Wasserfalle aufgehalten sah; den Rest des Weges mußte er also zu Land zurücklegen und mitten durch über zwei Fuß tiefen Schnee ein unbekanntes, unfruchtbares Land durchwandern. Die Strapazen und Leiden der Rückreise kann man sich leichter denken, als sie zu beschreiben sind. Am 11. October kam Franklin nach dem Fort Entreprise zurück, freilich bis zum Aeußersten entkräftet, da er seit fünf Tagen nichts gegessen hatte. Das Fort war verlassen. Ohne alle Vorräthe und krank, glaubte Franklin sein letztes Stündchen gekommen. Am nächsten Tage zog er jedoch aus, die Indianer und seine vorausgegangenen Gefährten zu suchen; der Schnee lag aber so dick, daß er wieder nach dem Fort umkehren mußte. Achtzehn Tage lang lebte er einzig und allein von einer Abkochung der Knochen und Häute der im vorigen Winter getödteten Thiere. Am 29. October endlich traf Doctor Richardson mit John Hepburn, aber ohne die anderen Theilnehmer der Expedition ein. Als die Männer sich wiedersahen, erstaunten sie Alle schmerzlich über ihre Magerkeit, die Veränderung der Stimme und die entsetzliche Schwäche, die ihnen als unverkennbares Zeichen des nahen Endes erschien.

»Doctor Richardson, sagt Cooley, überbrachte auch noch traurige Nachrichten. Während der ersten beiden Tage nach der Trennung der Gesellschaft in drei Abtheilungen hatte die seinige nicht das Geringste zu essen gefunden; am dritten Tage war Michel mit einem Hasen und einem Rebhuhn zurückgekommen, welche unter Alle vertheilt wurden. Der nächste Tag verging aber wieder bei absolutem Fasten. Am 11. bot Michel seinen Begleitern ein Stück Fleisch an, das seiner Aussage nach von einem Wolfe herrühren sollte, bald aber erlangten diese die Ueberzeugung, daß es Fleisch von einem der Unglücklichen war, die den Kapitän Franklin verlassen hatten, um zu Richardson zurückzukehren. Michel wurde jeden Tag unverschämter. Man hegte gegen ihn wohl den Verdacht, er habe irgendwo Nahrungsmittel versteckt, die er für sich allein aufbewahrte. Da hörte Hepburn, als er mit Holzschlagen beschäftigt war, einen Schuß, und als er sich darauf umwandte, bemerkte er, wie Michel nach dem Zelte stürzte; bald [460] darauf fand man Hood todt mit einem Schusse in den Hinterkopf und Niemand konnte daran zweifeln, daß Michel dessen Mörder war. Von diesem Augenblicke an wurde jener noch frecher und verschlossener als je, und da er an Kraft den überlebenden Engländern weit überlegen und außerdem gut bewaffnet war, so erblickten diese ihre Rettung nur in seinem Tode. Ich entschloß mich also, erzählt Richardson, überzeugt, daß uns nur dieser schreckliche Ausweg blieb, alle Verantwortlichkeit auf mich zu nehmen, und jagte Michel, als er zu uns zurückkehrte, eine Kugel durch den Kopf.«

Mehrere der Indianer, welche Franklin und Richardson begleiteten, waren Hungers gestorben und die beiden Häuptlinge nahe daran, jenen in das Grab zu folgen, als am 7. November endlich drei von Back abgeschickte Indianer die erste Hilfe brachten. Sobald sie sich ein wenig gekräftigt fühlten, begaben sie sich nach dem Etablissement der Compagnie, wo sie Georges Back fanden, dem sie bei derselben Expedition zweimal das Leben verdankten.

Die Ergebnisse dieser Reise, welche fünftausendfünfhundert Meilen umfaßte, waren von hoher Bedeutung für die Geographie, die Kenntniß des Erdmagnetismus wie der Meteorologie, und die Küste Amerikas hatte man damit auf eine weite Strecke hin, bis zu dem Cap Turn Again, kennen gelernt.

Trotz aller Leiden und Entbehrungen, welchen sie stets heldenmüthig trotzten, zögerten die Forscher doch nicht, eine neue Reise anzutreten und noch einmal die Erreichung der Küste des Polarmeeres zu versuchen.

Gegen Ende des Jahres 1823 erhielt Franklin den Auftrag, die Küste im Westen des Mackenzie-Flusses zu besichtigen. Alle Agenten der Compagnie sollten dazu Lebensmittel, Boote und Führer bereit halten und die Reisenden überhaupt, so weit es ihnen möglich wäre, allseitig unterstützen.

In New-York wohlwollend aufgenommen, gelangte Franklin auf dem Hudson nach Albany, fuhr von Lewiston aus den Niagara bis zu dessen berühmten Fällen hinauf, erreichte hierauf das Fort St. Georges am Ontario und segelte über diesen See nach Yorck, der Hauptstadt von Ober-Canada; darauf passirte er den Simcoe-, Huron- und Oberen See, wo sich ihm vierundzwanzig Canadier anschlossen, und traf seine Boote am 20. Juni 1825 auf dem Methye-Flusse wieder.

Während Doctor Richardson die Ostküste des Großen Bärensees aufnahm und Back die Vorbereitungen zur Ueberwinterung leitete, begab sich Franklin nach der Mündung des Mackenzie. Die Fahrt ging sehr bequem von statten und [461] nur das Mündungs-Delta des Flusses bot einige Schwierigkeiten. Das Meer war eisfrei; schwarze und weiße Walfische, sowie ganze Seehundheerden tummelten sich auf dessen Fläche. Franklin landete an der kleinen Insel Garry, deren Lage er zu 69°2' der Breite und 135°41' der Länge bestimmte, eine werthvolle Angabe, weil sie beweist, wie viel Vertrauen die Aufnahmen Mackenzie's eigentlich verdienen.

Die Rückkehr verlief ohne Schwierigkeiten, und am 5. September trafen die Reisenden wieder in dem Fort ein, welches Richardson Fort Franklin genannt hatte. Der Winter verging unter Vergnügungen, Belustigungen und Ballfestlichkeiten, an welchen Canadier, Engländer, Schotten, Eskimos und Indianer von vier verschiedenen Stämmen theilnahmen.

Am 22. Juni fand die Abreise statt und am 4. Juli wurde die Gabelung erreicht, wo die Arme des Mackenzie sich trennen. Hier bildete man auch aus der Expedition zwei Abtheilungen, welche die Ufer des Polarmeeres nach Osten und nach Westen zu untersuchen sollten. Kaum hatte Franklin den Strom verlassen, als er in einer großen Bucht eine zahlreiche Gesellschaft Eskimos antraf. Diese schienen sich zuerst über alle Maßen zu freuen, wurden aber bald zudringlich und versuchten, sich der Boote zu bemächtigen. Die Engländer benahmen sich bei dieser Gelegenheit mit außerordentlicher Langmuth und verhüteten dadurch ein nutzloses Blutvergießen.

Franklin entdeckte und benannte den Clarence-Fluß, der die Besitzungen Rußlands von denen Englands scheidet. Unfern von diesem erhielt ein anderer Wasserlauf den Namen Canning. Am 16. August, erst auf halbem Wege zum Eis-Cap, kehrte Franklin, weil sich der Winter so zeitig anmeldete, zurück und fuhr in den schönen Peel-Fluß ein, den er für den Mackenzie ansah. Er erkannte seinen Irrthum erst, als im Osten desselben eine Gebirgskette sichtbar wurde. Am 21. September kehrte er in das Fort zurück, nachdem er binnen drei Monaten zweitausendachtundvierzig Meilen durchmessen und dreihundertvierundsiebzig Meilen der amerikanischen Küste aufgenommen hatte.

Richardson war inzwischen auf einem tiefen, weniger eiserfüllten Meere, meist in Gesellschaft friedlicher und gastfreundlicher Eskimos, vorgedrungen. Er gelangte nach der Liverpool- und der Franklin-Bai und entdeckte gegenüber der Mündung des Coppermine ein Land, das vom Continent durch einen kaum zwanzig Meilen breiten Kanal getrennt ist, und dem er den Namen Wollaston beilegte.

[462] Am 7. August kehrten die Boote, nachdem sie bis zu der, schon bei einer früheren Reise untersuchten Krönungs-Bai gelangt, wieder um und trafen, ohne irgend welchen Unfall erlitten zu haben, am 1. September bei Fort Franklin ein.

Beschäftigt mit der Schilderung der Parry'schen Fahrten, mußten wir einstweilen diejenigen beiseite lassen, welche zu derselben Zeit John Roß unternahm, dem seine sonderbare Untersuchung der Bassins-Bai in den Augen der Admiralität allen Credit geraubt hatte.

John Roß nun wünschte lebhaft, sein früheres Ansehen als muthiger und erfahrener Seemann wieder zu gewinnen. Entzog ihm auch die Regierung ihr Vertrauen, so fand er solches doch bei Felix Booth, einem reichen Rheder, welcher ihm ein Dampfschiff, die »Victory«, anvertraute, mit dem er am 25. Mai 1829 nach der Baffins-Bai abfuhr.

Vier Jahre lang blieb man ohne Nachrichten von dem verwegenen Seemanne, bei der endlichen Heimkehr zeigte es sich aber, daß seine Ernte an Entdeckungen der von Parry's erster Fahrt wenigstens gleichkam.

Durch die Barrow-Straße und den Lancaster-Sund in den Prinz Regents-Kanal eindringend, fand John Roß die Stelle wieder auf, wo die »Fury« vier Jahre vorher zurückgelassen worden war. Weiter nach Norden vordringend, überwinterte Roß im Felix-Hafen – so genannt zu Ehren des Patrons der Expedition – und erfuhr hier, daß das von ihm gefundene Land eine große, im Süden mit Amerika zusammenhängende Halbinsel bilde.

Im April 1830 fuhr James Roß, der Neffe des Führers der Expedition, mit Booten aus, um die Küsten desselben, sowie die des König Wilhelms-Landes aufzunehmen.

Im November mußte man sich zu einer zweiten Ueberwinterung entschließen, da es nicht möglich gewesen war, das Schiff mehr als einige Meilen weiter nach Norden zu führen; deshalb wurde der Sheriff-Hafen als Lagerplatz erwählt. Die Kälte erreichte ganz außerordentliche Grade, und von allen Wintern, welche die Besatzung der »Victory« im Polareise verlebte, war dieser der strengste.

Den Sommer 1831 widmete man verschiedenen Untersuchungen, welche den Beweis lieferten, daß zwischen den beiden Meeren keine Verbindung bestehe. Auch diesmal glückte es nur, mit dem Schiffe wenige Meilen nach Norden, bis zum Hafen Decouverte, zu dampfen. In Folge eines zweiten, sehr strengen Winters mußte man dasselbe aber hier im Eise verlassen.

[463] Sehr froh, noch Vorräthe von der »Fury« gefunden zu haben, ohne welche sie Hungers gestorben wären, erwarteten die Engländer unter täglich zunehmender Ermattung und unglaublichen Leiden und Entbehrungen die Wiederkehr des Sommers.

Im Juli 1833 wurden die Winterquartiere endgiltig verlassen; man zog zu Lande den Prinz Regent-Kanal, ferner die Barrow-Straße entlang, womit die Nachbarschaft der Bassins-Bai erreicht wurde, als ein Schiff in Sicht kam. Es war die »Isabelle«, welche Roß einst selbst befehligt hatte und auf der die Schiffbrüchigen von der »Victory« Aufnahme fanden.

England hatte während dieser Zeit seine Kinder niemals vergessen und jedes Jahr eine Expedition zu deren Aufsuchung ausgesendet. Im Jahre 1833 führte eine solche Georges Back, der Gefährte Franklin's. Dieser drang vom Fort Revolution am Ufer des Sklaven-Sees nach Norden vor, bezog, nachdem er den Thloni Tcho Deseth-Fluß entdeckt, Winterquartiere und traf Anstalt, im folgenden Jahre bis zum Polarmeere weiter zu ziehen, wo man Roß vom Eise zurückgehalten glaubte, als er von dessen unvermutheter Heimkehr Nachricht erhielt.

Im nächsten Jahre unterwarf derselbe Reisende den schönen, von ihm schon früher entdeckten Fisch-Fluß einer gründlichen Untersuchung und bekam die Königin Adelaide-Berge, sowie die Booth- und James Roß-Caps zu Gesicht.

Im Jahre 1836 stand er an der Spitze einer neuen Expedition, welche diesmal zu Wasser ausgeführt wurde, und suchte vergeblich, die Entdeckungen Roß' und Franklin's mit einander zu verknüpfen.


Thomas Simpson entdeckt das Victoria-Land.

Die Durchführung dieses Unternehmens sollte drei Officieren der Hudsons-Bai-Compagnie, Peter William, Dease und Thomas Simpson, vorbehalten bleiben. Diese brachen am 1. Juni 1837 vom Fort Chippewayan auf, fuhren den Mackenzie-Fluß hinab und erreichten am 9. Juli das Gestade des Meeres, auf dem sie bis 71°3' der Breite bei 156°46' westlicher Länge bis zu einem Cap vordringen konnten, welches den Namen Georges Simpson's, des Gouverneurs der Compagnie, erhielt.

Thomas Simpson zog von hier aus mit fünf Mann in westlicher Richtung zu Lande weiter bis zur Barrow-Spitze, welche schon einer der Officiere Beechey's, von der Behrings-Straße herkommend, gesehen hatte.

Die Besichtigung und Aufnahme der Küste Amerikas von Cap Turn Again bis zur Behrings-Straße war hiermit vollendet, es blieb keine unbekannte Gegend mehr übrig, als die Strecke zwischen der Ogle-Spitze und dem Cap Turn Again; diese sollte das Ziel der Forscher bei der nächsten Reise bilden.

[464] Im Jahre 1838 vom Coppermine ausgehend, folgten sie der Küste nach Osten und erreichten am 9. August das Cap Turn Again; da das Eis aber das weitere Vordringen der Boote nicht gestattete, so überwinterte Thomas Simpson, entdeckte Victoria-Land und setzte, am 12. August 1839 am Back-Flusse angelangt, bis zum Ende des Monats die Untersuchung von Boothia Felix fort. Die Linie der Küste des Continents war hiermit überall festgestellt, doch mit [465] welchen Mühen und Anstrengungen, mit wie vielen Opfern und doch mit welcher Opferfreudigkeit! Wie wenig fällt das Leben des Menschen in's Gewicht, wenn es sich um den Fortschritt der Wissenschaft handelt! Aber welcher Uneigennützigkeit, welchen Eifers bedarf es von Gelehrten, Seeleuten und Forschern, die Alles, was wir sonst das Glück des Erdenlebens nennen, freudig aufgeben, um je nach ihren Kräften zur Erweiterung der menschlichen Kenntnisse, zur Förderung aller humanen Ziele beizutragen!

Mit der Schilderung dieser letzten Reisen, durch welche die Entdeckung der Erde vollendet wurde, schließt dieses Werk, das mit der Erzählung der Unternehmungen der ersten Forschungsreisenden begann.

Die Gestalt und Bildung der Erde ist nun bekannt, die eigentliche Aufgabe der Entdecker erfüllt. Die Erde, soweit sie der Mensch bewohnt, ist ihm vertraut geworden. Es erübrigt ihm nichts mehr, als die Ausnützung der unerschöpflichen Hilfsquellen der Gebiete, zu denen er jetzt leichten Zugang hat.

Wie reich an Lehren aller Art ist diese Geschichte der Entdeckungen zweier Jahrtausende!

Wir wollen nur einen Blick zurückwerfen und in flüchtigen Strichen die während dieser langen Zeitfolge errungenen Fortschritte skizziren.

Wenn wir die Weltkarte des Hekatäos, der fünfhundert Jahre vor der christlichen Zeitrechnung lebte, zur Hand nehmen, was zeigt uns wohl diese?

Die bekannte Erde umfaßt kaum das Becken des Mittelmeeres. Ihre der Form nach sehr falsch wiedergegebene Landmasse besteht aus dem kleinsten Theile Europas, aus Vorderasien und dem nördlichen Afrika. Rings um dieselbe fließt ein Strom ohne Anfang und ohne Ende, der den Namen Ocean führt.

Stellen wir nun neben diese Karte, neben dieses ehrwürdige Denkmal der Wissenschaft des Alterthums, eine Planisphäre der Erde aus dem Jahre 1840. Jetzt erscheint das Gebiet, welches Hekatäos nur sehr unvollkommen kannte, als ein verschwindendes Fleckchen auf dem großen Erdenrund.

Jener Anfangs- und dieser Endpunkt gestattet uns ein Urtheil über den Umfang der Entdeckungen.

Vergegenwärtigt man sich nur, welche Unmenge von Arbeit und Studien die Erkenntniß der ganzen Erdkugel nothwendig machte, so steht man voller Verwunderung vor dem Resultate der Bemühungen so vieler Forscher, so [466] zahlreicher Märtyrer; man erkennt den hohen Nutzen jener Entdeckungen und die engen Beziehungen, welche die Geographie mit allen anderen Wissenschaften verknüpfen. Das ist der rechte Gesichtspunkt, auf den man sich stellen muß, um die ganze Tragweite eines Werkes, dem sich so viele Generationen widmeten, vollständig zu begreifen. Freilich sind es sehr verschiedene Motive, welche zu diesen Entdeckungen den Anstoß gaben.

Zuerst begegnen wir hier der naturgemäßen Neugierde des Eigenthümers, der danach strebt, den ganzen Umfang des von ihm besessenen Gebietes kennen zu lernen, die bewohnbaren Theile desselben zu vermessen, die Grenzen der Meere zu bestimmen; darauf treten die Anforderungen eines noch in der Kindheit befindlichen Handels in den Vordergrund, eines Handels, der nichtsdestoweniger schon die Erzeugnisse der asiatischen Industrie bis nach Norwegen überführte.

Mit Herodot tauchen höhere Ziele auf; jetzt macht sich das Verlangen geltend, die Geschichten, Sitten und Religionen fremder Völker kennen zu lernen. Später, zur Zeit der Kreuzzüge, deren unzweifelhaftestes Resultat die Anregung zu orientalischen Studien ist, treibt nur eine Minderzahl der Wunsch, den Schauplatz der Leidensgeschichte eines Gottes den Händen der Ungläubigen zu entreißen; für die Meisten bildet die rohe Plünderungssucht und der Reiz des Unbekannten die Triebfeder.

Wenn Columbus einen neuen Weg aufsucht, um nach den Gewürzländern zu gelangen und dabei Amerika findet, so treibt seine Nachfolger nur das Verlangen, schnell Schätze zu erwerben. Wie unvortheilhaft stechen diese gegen die edlen Portugiesen ab, welche die eigenen Interessen dem Ruhme und der kolonialen Machtentfaltung ihres Vaterlandes opfern und ärmer sterben, als sie es in dem Augenblicke der Uebernahme jener Aufträge waren, die sie so ehrenhaft ausführen sollten.

Im 16. Jahrhundert treibt das Bestreben, sich den religiösen Verfolgungen und den damals wüthenden Bürgerkriegen zu entziehen, die Hugenotten und vorzüglich jene Quäker nach der Neuen Welt, welche, durch Begründung der dortigen englischen Kolonialmacht, Amerika gänzlich umgestalteten.

Das nächstfolgende Jahrhundert befördert vor allem Anderen die Kolonisation. In Amerika errichten die Franzosen, in Indien die Engländer, in Oceanien die Holländer Comptoirs und Kaufläden, während Missionäre sich bemühen, das zur Unbeweglichkeit erstarrte Reich der Mitte für den christlichen Glauben und zeitgemäßere Weltanschauungen zu gewinnen.

[467] Das 18. Jahrhundert, welches für das unserige die Wege ebnet, berichtigt lange Zeit geglaubte Irrthümer; es nimmt einzeln und genau Continente und Archipele auf, verbessert und vervollständigt die Entdeckungen seiner Vorgänger. Derselben Aufgabe widmen sich noch die Forscher der neuesten Zeit, welche danach trachten, auch den kleinsten Erdwinkel, das unscheinbarste Eiland nicht unbeachtet zu lassen. Demselben Ziele streben auch die unerschrockenen Seefahrer nach, welche die Eiswüsten der beiden Pole erforschen und das letzte Stück Schleier zerreißen, das einen Theil der Erdkugel unseren Blicken so lange Zeit verhüllte.

Jetzt also ist Alles bekannt, classificirt, katalogisirt und bezeichnet! Sollen die Ergebnisse so ehrenvoller Arbeit aber etwa in einem sorgfältig hergestellten Atlas vergraben werden, wo sie nur die Gelehrten von Fach aufsuchen? Nein! An uns ist es, die von unseren Vätern um den Preis so unendlicher Mühen und Gefahren eroberte Erdkugel nun auszunützen, ihr erst den vollen Werth zu geben. Die Erbschaft ist zu verlockend, um nicht mit frohen Händen zuzugreifen!

An uns ist es, mit allen durch die vorgeschrittenen Wissenschaften gebotenen Hilfsmitteln zu studiren, urbar zu machen und auszunützen! Jetzt darf es keine brachliegenden Gebiete, keine undurchdringlichen Wüsten, keine unbenützten Flüsse keine unergründlichen Meere, keine unersteigbaren Höhen mehr geben!

Wir überwinden alle Hindernisse, welche die Natur noch bietet. Die Landengen von Suez und Panama sperren uns die Wege: wir durchschneiden sie. Die Sahara erschwert den Verkehr zwischen Algier und dem Senegal: wir legen eine Eisenbahn durch dieselbe. Der Kanal zwischen England und Frankreich hindert zwei befreundete Völker, sich die Hand zu drücken: wir treiben einen Schienenweg unter demselben hin!

Das ist unsere und unserer Zeitgenossen schöne Aufgabe. Ist sie denn weniger werthvoll als die unserer Vorgänger, daß sich noch keine anerkannte Feder derselben bemächtigt hat? Für uns liegt dieses Feld, so anziehend dessen Bearbeitung auch unzweifelhaft ist, zu weit außerhalb des vorherbegrenzten Rahmens dieses Werkes. Wir wollten eine »Geschichte der Entdeckung der Erde« schreiben – dies ist geschehen, unsere Aufgabe ist erfüllt, und die Ueberwindung so vieler Hindernisse, welche die Natur dem Fortschritte des geographischen Wissens entgegenstellt, das ist


»Der Triumph des 19. Jahrhunderts.« [468]

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TextGrid Repository (2012). Verne, Jules. Geographie. Der Triumph des 19. Jahrhunderts. Der Triumph des 19. Jahrhunderts. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-8739-F