Zweites Buch
[123] [125]Mein Verhältniß mit dem Herrn von Z... hatte mich seit Jahr und Tag sehr isolirt; allein die gute Meinung, welche man vorher von mir gehabt hatte, war sich gleich geblieben; und so fand ich bei meinem Zurücktritt in die gesellschaftlichen Zirkel, welche ich ehemals besucht hatte, denselben Empfang wieder, womit man mir in allen Dingen zuvor zu kommen gewohnt war. Die etwanigen Bewegungen des Neides, wenn ja dergleichen in dem Busen der einen oder der andern meiner Gespielen vorhanden gewesen waren, hatte Moritzens Tod zum Stillstand gebracht; man näherte sich mir mit desto mehr Freundschaft, je bestimmter man voraussetzte, daß dieser Tod mich sehr unglücklich gemacht hätte. Ich sprach, ganz der [125] Überzeugung gemäß, welche das Anschaun mit sich führt, mit Enthusiasmus von dem Vollendeten; aber ich überließ es Anderen, mein Schicksal zu beklagen, weil ich mich hiermit nicht befassen konnte, ohne zur Lügnerin zu werden, was ich aus allen Kräften verabscheuete. Dafür hatte ich denn freilich den Verdruß, Condolenzen über Condolenzen annehmen zu müssen, von welchen die eine noch abgeschmackter war, als die andere. Überhaupt bemerkte ich bei diesem meinen Zurücktritt in die Gesellschaft, daß ich seit Jahr und Tag eine so spröde Individualität gewonnen hatte, daß ich für den Umgang unendlich weniger taugte, als vorher. Ich untersuchte nicht, ob die Personen, mit welchen ich gerade zu schaffen hatte, über oder unter meinem Horizont waren; allein ich fühlte, daß zwischen mir und ihnen irgend eine Antipathie obwaltete, die, sie mochte nun gegründet [126] seyn, worin sie wollte, die größte Aufmerksamkeit auf mich selbst nöthig machte, da ich als ein unverheirathetes Frauenzimmer nicht berechtigt war, den Ausschlag zu geben. Selbst mit dem größten Wohlwollen und den hellsten Ideen kann man dahin kommen, die Gesellschaft zu fliehen; ja, in solchen Eigenschaften liegt zuletzt der stärkste Bewegungsgrund zur Isolirung, oder wenigstens zur Beschränkung auf einige Wenige, da einmal kein Einzelner verlangen kann, daß alle Übrigen sich in seine Form schmiegen sollen, und es von der anderen Seite doch etwas sehr Wesentliches ist, seine Individualität zu retten. Sind wir einmal breit getreten, so mag es immerhin etwas Gutes seyn, aller Menschen Freund seyn zu können; allein so lange wir es noch nicht sind, müssen wir alles, was unseren Charakter ausmacht, als das köstlichste Kleinod bewahren, weil eine kräftig ausgesprochene [127] Individualität zuletzt mehr werth ist, als die ganze Gesellschaft. Ich sollte dies nicht sagen, weil ich ein Weib bin; aber meine Rechtfertigung liegt in dem Stillschweigen, welches die Männer in Beziehung auf diese Wahrheit behaupten.
Adelaide, welche mir unter diesen Umständen besonders theuer wurde, nicht weil der Unterschied, den die Natur selbst zwischen uns gelegt hatte, durch die Länge der Zeit aufgehoben war, sondern weil die Gewohnheit des Beisammenseyns den Ausschlag über diesen Unterschied gab – Adelaide sah sich seit dem Tode ihres Bruders, der sie zu einer sehr reichen Erbin gemacht hatte, von Bewerbern umgeben, welche den Augenblick, wo sie sich für den einen oder den anderen von ihnen erklären würde, nicht zeitig genug erleben konnten. Das Unglück des armen Mädchens bestand recht eigentlich darin, [128] daß unter diesen Bewerbern kein einziger war, der ihr Achtung abgewinnen konnte. Ich habe immer bemerkt, daß diejenigen Frauenzimmer, welche im Besitze bestimmter Talente sind, in die größte Verlegenheit gerathen, so bald es darauf ankommt, über ihre Person zu disponiren; und in dieser Verlegenheit befand sich auch Adelaide. Was ihre Freier am meisten in Betrachtung zogen, ihr Vermögen, war gerade das, worauf sie den geringsten Werth legte. Dagegen brachte sie ihre Fertigkeit in der Musik und Poesie, oder vielmehr im Clavierspielen und Versemachen, in einen desto höheren Anschlag; und wo nun unter den jungen Männern ihres Standes denjenigen finden, den sie der Erwerbung solcher Talente in ihrer Person würdig gehalten hätte? Es gab Einen, der sich nur hätte zeigen dürfen, um mit offenen Armen von ihr empfangen zu werden; aber dieser Eine war [129] fern, im Kriegesstrudel umgetrieben, vollkommen unbekannt mit der Schönen, welche ihn über alle Männer ehrte; es war der berühmte Kleist, dessen einzelne Gedichte damals anfingen bekannter zu werden, und der, wenig Monate darauf, in der Schlacht bei Cunersdorf verwundet, sein Leben nur rettete, um es im Lazareth auszuhauchen. Alle Übrigen mochten sie noch so sehr loben; da ihr die Idee blieb, daß sie von der Sache selbst nichts verständen, so konnte sie nicht umhin, sie sammt und sonders als ein Pack feiler Schmeichler zu verachten. Mir leuchtete schon damals ein, daß Adelaide für eine Ehe so gut als verdorben sey. Hätte sie kein bedeutendes Vermögen gehabt, so hätte es nur gewisser Umstände bedurft, um ihr die Weiblichkeit wiederzugeben, welche die Talente ihr genommen hatten; durch die Herrschaft, welche sie als reiche Eigenthümerin über die [130] Umstände ausübte, mußte sie ewig verhindert werden, in die volle Weiblichkeit zurück zu treten. Sie war klug genug, um nur dem Manne, dessen Anspruchslosigkeit ihr vollendete Freiheit versprach, ihre Hand zu geben; allein, weil bei ihr alles ins Unendliche ging, so bedurfte sie für ihre Eigenthümlichkeit eines Beschränkers, und da sie diesen in ihrem Gatten nicht fand, so war es wohl kein Wunder, wenn sie in der Folge von der Sonderbarkeit zur Seltsamkeit und von dieser zur Albernheit überging.
Herr von M..., den sie wählte, war ein begüterter Landedelmann, von gesundem Geist und guten Sitten. Er war unstreitig die beste Parthie, die Adelaide machen konnte; das Schlimme war nur, daß es für Adelaiden keine gute Parthie gab. Vermöge der Eigenthümlichkeit ihres Geistes standen ihre Mittel nie in einem nur erträglichen Verhältniß zu ihren [131] Zwecken. Man hätte mit großer Wahrheit von ihr sagen können: Sie setze einen Ocean in Bewegung, um eine Feder fortzuschaffen. Die Liebe ihres Gatten zu gewinnen, glaubte sie sich die Hochachtung der ganzen Welt erwerben zu müssen. Wie bot sie alles auf, um die Meinung zu erwerben, daß sie eine Frau von großem Verstande sey, und wie blieb sie immer und ewig hinter ihrer Erwartung zurück! Ein besonderes Unglück für sie war ihre Kinderlosigkeit. Diese setzte sie in eine Art von Wuth, welche sich dadurch offenbarte, daß sie alles vereinigen wollte, was nur immer ein Gegenstand des menschlichen Wissens ist. Nachdem sie alle Zweige der Naturgeschichte studirt hatte, endigte sie mit dem Studium der Mathematik; aber ihr armer Mann wurde ihr in eben dem Maaße unausstehlicher, in welchem sie selbst gelehrter wurde. Eine Scheidung, die aus allen Gründen nothwendig geworden[132] war, erfolgte, so bald Herr von M... eingesehen hatte, daß seine Individualität sich nur auf diesem Wege retten ließ. Adelaide zog in eine Hauptstadt, um den Bibliotheken und Gelehrten näher zu seyn, als sie es bisher gewesen war; aber auch diese Art der Existenz wurde ihr nur allzubald lästig und abgeschmackt. Sie warf sich in die sogenannte schöne Kunst, und um diesem Studium mit desto besserem Erfolge obzuliegen, ging sie nach Italien, wo sie große Summen verschwendete. Die Briefe, die ich von Zeit zu Zeit von ihr erhielt, sagten mir, wie über Alles reizend ihr diejenige Periode ihrer Jugend erschiene, in welcher sie meine Bekanntschaft gemacht, und wie alles, was sie unternähme, um sich zu zerstreuen, doch nicht die Kraft habe, sie über die Dauer weniger Stunden zu beglücken. Es würde Thorheit gewesen seyn, ihr mit einem guten Rath an die Hand zu gehen, von [133] welchem sie keinen Gebrauch machen konnte; auch sah sie selbst sehr deutlich ein, daß sie nicht mehr genesen konnte. Den Hang nach ewiger Bewegung befriedigte sie dadurch, daß sie von einem Lande in das andere reisete. Von England aus meldete sie mir: Die europäische Welt mache ihr Langeweile, und darum sey sie fest entschlossen, nach Asien zu gehen. – Seit dem hab' ich nichts von ihr erfahren. Mehreren Anzeigen zufolge ist sie auf ihrer Reise nach Ostindien am Kap der guten Hoffnung gescheitert. Anders, aber nicht besser, konnte eine Person endigen, in welcher die Phantasie den Ausschlag über den Verstand gab, indeß das Schicksal dafür gesorgt hatte, daß es ihr nicht an Mitteln fehlte, jeden noch so seltsamen Einfall ins Werk zu richten. Ihre ganze Geschichte hab' ich, der Zeit vorgreifend, an diesem Orte conzentrirt, um nicht auf sie zurückkommen zu dürfen, [134] nachdem wir uns einmal getrennt hatten, und nur neben nichtmit einander gehen konnten.
Um eben die Zeit, wo Adelaide sich mit dem Herrn von M.... verband, wurde mir die Stelle einer Gesellschaftsdame bei der jüngsten Tochter unseres Fürsten angetragen, welche damals ein Alter von funfzehn Jahren erreicht hatte. Dieser Antrag war um so ehrenvoller, weil ich berechtigt war, ihn als das Resultat der guten Meinung zu betrachten, in welche ich mich bei dem Publikum gesetzt hatte. Mehr indessen, als die Ehre, bestimmte mich die Liebenswürdigkeit der jungen Prinzessin, über welche nur Eine Stimme war. Das Einzige, was mich von der Annahme abschrecken konnte, war meine eigene Individualität, die, wie es mir vorkam, sehr schlecht zu den Verhältnissen paßte, welche ein Hof in sich selbst zu erzeugen pflegt. Als dieser Punkt [135] zwischen meinem Pflegevater und mir zur Sprache kam, beruhigte mich dieser durch folgende Vorstellungen, die mir immer gegenwärtig geblieben sind:
»In dem Leben mit Seinesgleichen,« sagte er, »hat man entweder gar keinen, oder nur einen sehr schwachen Antrieb, die eigene Individualität zu verbergen; und indem man sie mit Unbefangenheit Preis giebt, läuft man beständig Gefahr, dadurch anzustoßen, weil jeder einmal die seinige retten will. Nicht so im Umgange mit Vornehmeren. Hier kommt es darauf an, solche Formen zu gewinnen, daß man selbst die kräftigste Individualität rettet, ohne jemals dadurch zu beleidigen. Es ist wahr, daß es Personen giebt, die zuletzt nichts weiter haben, als die Form; allein dies ist nicht sowohl die Wirkung des Hoflebens, als vielmehr die einer ursprünglichen Leerheit, welche sich hinter Repräsentation [136] verkriecht. Wer einmal inneren Gehalt und eigentlichen Kern hat, für den ist das Untergehen in der Form unmöglich; dagegen gewinnt er durch die Form eben das, was der Diamant durch die Politur erhält. Vollendet ist zuletzt doch nur derjenige Mensch, der mit der gefälligsten Form den meisten inneren Gehalt verbindet, den das Individuum erwerben kann. Und gehe von diesem Grundsatz aus, so giebt es für dich, meine liebe Mirabella, keine bessere Schule, als den Hof. In ihr soll dir das Siegel der Vortrefflichkeit aufgedrückt werden; denn in ihr sollst du lernen, wie man, ohne weder seiner Individualität zu entsagen, noch durch dieselbe anzustoßen, allen Menschen ohne Ausnahme gebietet. Könnt' ich befürchten, daß du zu lauter Form würdest, so würde ich der Erste seyn, der dich von der Annahme des dir gemachten Antrages [137] zurückschreckte; denn nichts ist mir in der Welt so sehr zuwider, als ein gehaltloser Mensch, wenn ein solcher noch Mensch genannt werden kann. Aber indem ich dies ganz und gar nicht befürchte, erwarte ich nichts Geringeres von dir, als eine Vereinigung oder vielmehr Verschmelzung der schönen Form mit einem reichen Wesen; gerade wie bei dem Diamant, um bei dem einmal gebrauchten Bilde zu bleiben. Besorge nicht, daß man dir irgend eine Gewalt anthun werde. Alle tugendhaften Neigungen, die in dir sind, wirst du befriedigen können, wenn du Verstand genug hast, deine Pflichten scharf ins Auge zu fassen. Selbst deinen Gewohnheiten brauchst du nicht zu entsagen, wofern du nicht für gut befindest, neue anzunehmen. Sehr bald wirst du die Entdeckung machen, daß man sich auch bei Hofe nicht von dem allgemeinen Gesetze [138] dispensiren kann, den Menschen nur nach seinem inneren Werth zu schätzen, und daß es neben dir noch manche Andere giebt, die davon nicht weniger haben, weil sie gefällige Manieren damit verbinden. Das beste Mittel, dich auf der Stelle geltend zu machen, ist, dich an diese anzuschließen, und dabei deine Stellung so zu nehmen, daß du immer aus der Schußweite der Partheien bleibst. Da ich deine Gutmüthigkeit kenne, so warne ich dich vor nichts so ernstlich, als vor allem Befassen mit Empfehlungen. Verbinde so viel Bedürftige, als du immer kannst, das heißt, so viel deine Einkünfte und deine Kräfte überhaupt erlauben; aber setze deine Freunde nicht in Contribution, weil du sie dadurch zu Gegengefälligkeiten berechtigen würdest, die zu sehr unangenehmen Verwickelungen führen könnten. Das große Problem, das du zu lösen hast, besteht, [139] so weit ich diese Region kenne, darin, daß du von Allen abzuhängen scheinest, und immer deine volle Freiheit behauptest. Man nennt den Boden, den du betreten sollst, schlüpfrich; er mag es auch im Ganzen genommen seyn. Allein wer in einem natürlichen Gleichgewicht mit sich selbst stehet, bewegt sich zuletzt selbst auf einer spiegelglatten Eisfläche mit Leichtigkeit und Anmuth; und meiner Mirabella darf ich es zutrauen, daß sie da nicht fallen werde, wo sich so viele Andere vor ihr aufrecht erhalten haben.«
Diese Bemerkungen meines Pflegevaters beruhigten mich, indem sie mir zugleich die Vermuthung zuführten, daß Alles vorher mit ihm verabredet worden sey. Wenigstens gerieth ich auf den Gedanken, daß seine Connivenz, außer dem pädagogischen Zwecke, den er nicht verhehlte, auch einen politischen haben könnte, [140] da er, seiner Gewohnheit ganz entgegen, in dieser Angelegenheit bei weitem entschlossener war, als ich ihn bei minder wichtigen kennen gelernt hatte. Wie dem aber auch seyn mochte, so hatten alle meine Bedenklichkeiten nach dieser Unterredung ein Ende; und vertrauensvoll trat ich meine neue Laufbahn an.
Sowohl der Fürst als dessen Gemahlin empfingen mich mit einer ausgezeichneten Huld, welche mir um so mehr wohlthat, da sie sich weniger in Lobsprüchen, als in – ich möchte sagen elterlicher Affection offenbarte, und mir zuraunte, daß es nur von mir abhange, um am Hofe wie zu Hause zu seyn. Prinzessin Caroline ihrer Seits kam mir mit aller der Naivetät entgegen, wodurch sie der Zauber aller ihrer Bekannten war. Da sie mich schon sonst gesehen hatte, so lag in meinem Wesen nichts Fremdes für sie; und dies mußte mir nothwendig um so [141] lieber seyn, weil in meiner Miene sehr viel Ernsthaftes war, wodurch ich leicht zurückschrecken konnte. Ich befand mich gegenwärtig in einem Alter von drei und zwanzig Jahren, und die höhere Cultur, die mir durch Studium und Schicksale zu Theile geworden war, konnte mich, einer so jungen Person, als Prinzessin Caroline, gegenüber, nur allzuleicht zu einer Verwechselung der Gesellschaftsdame mit der Gouvernante verführen. Um diesem Übelstand auszuweichen, nahm ich mir vor, alles zu vermeiden, was einer förmlichen Lehre oder Zurechtweisung ähnlich sähe, mich, wie man es gegenwärtig nennt, gehen zu lassen, und immer nur auf die Unterhaltung der Prinzessin, wenn gleich so bedacht zu seyn, daß ich nicht von ihr gezogen würde. Der Erfolg rechtfertigte meine Maximen. Ohne nur ein einzigesmal auf Albernheiten oder Fadaisen eingegangen zu seyn, wurde ich der Prinzessin [142] so nothwendig, daß sie nicht von meiner Seite wich, so lange es ihre übrigen Verhältnisse erlaubten, in meiner Gesellschaft zu seyn. Da ich mich zugleich in einer gewissen Zurückgezogenheit hielt, und alle, mit welchen ich, oder welche mit mir zu thun hatten, mit gleicher Aufmerksamkeit behandelte; so gewann man mich in kurzer Zeit lieb. Vielleicht wußte man nicht, was man von mir denken sollte; allein mir war es auch nur darum zu thun, daß Niemand Nachtheiliges von mir denken möchte.
Ich wünschte, meine Gewohnheiten mit denen des Hofes in Harmonie zu setzen; und dies wurde mir nicht schwer, so bald die Tagesordnung des Hofes mir geläufig geworden war. Seit meinem sechsten Jahre gewohnt, um fünf Uhr des Morgens, im Winter wie im Sommer, aufzustehen, behielt ich diese Sitte bei, indem ich mir berechnete, daß die drei bis vier Stunden, [143] die ich auf diesem Wege gewann, nicht übel angewendet seyn würden, wenn ich sie meinen Privatangelegenheiten widmete. Mochte ich also auch noch so spät ins Bette kommen – und dies war, ich gestehe es, Anfangs keine geringe Beschwerde für mich – so war ich immer zu derselben Zeit aus dem Bette. Mein erstes Geschäft war alsdann, mich mit kaltem Wasser zu waschen, und mein nächstes, mich vollständig für den Vormittag anzuziehen. War ich damit fertig, so las oder schrieb ich im Winter, und verrichtete für mich oder für andere irgend eine weibliche Handarbeit im Sommer. Immer war es mein Stolz gewesen, den größten Theil meiner Bekleidung selbst verfertigen zu können; und diesen Stolz behielt ich bei, weil er mir niemals schaden konnte. So lange ich bei meinen Pflegeeltern lebte, war ich nie allein, wenn ich auch noch so früh aufstand; [144] denn meine Pflegemutter wenigstens war immer schon vor mir aus dem Bette. Es kam mir daher anfangs ein wenig schauerlich an, wenn ich, besonders im Winter, wo die Natur um fünf Uhr selbst noch schläft, das einzige wachende Wesen im ganzen Schlosse war; doch, da ich einmal durchaus nicht im Bette bleiben konnte, wenn ich ausgeschlafen hatte, so suchte ich das unangenehme Gefühl des Alleinseyns durch eine verdoppelte Thätigkeit zu zerstreuen, und dies gelang mir so gut, daß es sich nach und nach gänzlich verlor. Sobald die Prinzessin aufgestanden war, frühstückte ich mit ihr, und von diesem Augenblick an war ich in allem, was Gewohnheit war, au courant des Hofes, ohne mir auch nur die kleinste Abweichung zu gestatten.
In Hinsicht meiner Neigungen hatte ich größere Mühe, mich in den Hof zu schicken. Es gab besonders zwei Punkte, [145] worin ich sehr gern meinem Genius allein gefolgt wäre, hätte es in meiner Gewalt gestanden, die Bedingungen zu machen. Der eine war derTanz, der andere das Spiel.
Um den Tanz zu lieben, fehlte es mir offenbar an Temperament; und da man nicht mit Erfolg tanzen kann, wenn man nicht gern tanzt, so war ich in einer desto größeren Verlegenheit. Es kam aber noch dazu, daß die Prinzessin Caroline über diesen Punkt ganz entgegengesetzter Neigung war, und nicht aufhörte, mich in ihr Interesse ziehen zu wollen. Ich that zuletzt, was in meinen Kräften stand, und erreichte dadurch alles, was ich zu erreichen nur wünschen konnte. Aber im Ganzen genommen blieb mir der Tanz zuwider, und mein liebster Trost war immer, daß die Gelegenheit dazu nicht täglich wiederkehrte.
Spielen hatte ich nie gelernt, wiewohl [146] es mir auch dazu nicht an Gelegenheit gefehlt hatte. An den Hof versetzt, sah' ich sehr bald ein, daß Fertigkeit in dieser Beschäftigung eine von den Haupttugenden sey, die ich mir erwerben müßte. Allein wie in den Besitz dieser Fertigkeit gelangen? Ich ließ mich unterrichten, und ohne Mühe faßte ich die Regeln des Spiels. Doch wie wenig hatte ich dadurch gewonnen! Die Hauptsache war und blieb, diese Regeln mit Leichtigkeit und Grazie anzuwenden; und dahin konnte ich es nicht bringen. Es fehlte mir ganz offenbar der Spielgeist. Um ihn zu erhalten, sagte ich zu mir selbst: »das Spiel, so wie es am Hofe getrieben wird, ist ein pis aller; weil es unmöglich ist, eine große Gesellschaft auf eine edle Weise in Thätigkeit zu setzen, so hat man diesen Ausweg erfunden, sie nicht ganz unbeschäftigt zu lassen. Ohne Spiel würde man in den Hofzirkeln von der Langenweile [147] zu Tode gemartert werden, und jeder den Hof fliehen; eben deswegen aber muß jeder, der dem Hofe keine Schande machen will, sich auf das Spiel verstehen.« Allein, wie ich mich auch stacheln mochte, ich kam in der Sache selbst nicht weiter; ich war und blieb zerstreut, verlor mein Geld, und würde gern das Doppelte verloren haben, wenn ich nur hätte dispensirt bleiben können. Endlich schlug sich der Fürst selbst großmüthig ins Mittel; und indem er erklärte, daß es künftig immer von mir abhängen sollte zu spielen oder nicht zu spielen, fand ich in meiner Abneigung von dem Spiele den Keim zu einer seltenen Tugend, die ich genauer analysiren muß.
Wie ich sie nennen soll, weiß ich nicht; ihrem Wesen nach aber bestand sie darin, daß, indem ich für alle Nichtspielenden die Gesellschaftsdame machte, ich die in der That nicht leichte Kunst lernte, mich [148] mit allen Menschen, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu ihrer und meiner Zufriedenheit aus einander zu finden. Es war zuletzt die Langeweile, die mich zur Unterhaltung hintrieb; aber, indem ich diesem Stoße folgte, abstrahirte ich sehr bald, daß man, um mit Erfolg zu unterhalten, so wenig als möglich von dem Seinigen geben, und so viel als möglich von dem Fremden empfangen müße. In wenigen, sehr bestimmt ausgedrückten, das Individuum, welches man vor sich hat, tief ergreifenden Fragen muß die Kraft enthalten seyn, nicht nur Mittheilung überhaupt, sondern auch diejenige Art der Mittheilung zu erzwingen, welche den sämmtlichen Verhältnissen des Hofes entspricht. Die Fragen an und für sich würden nichts bewirken, wenn sie nicht unter solchen Wendungen gemacht und von solchen Manieren begleitet wären, daß, während das Gemüth in den Fesseln des Fragenden [149] einhergeht, der Geist in Freiheit gesetzt wird. Vor allen Dingen kommt es darauf an, den Stolz, der in der Frage selbst liegt, so zu verschleiern, daß er gar nicht sichtbar wird. Eine Kunst, auf welche sich nur sehr Wenige verstehen, die aber, wenn ich nicht irre, das Criterion der gesellschaftlichen Bildung ist. Das ganze Manövre, welches man in dieser Hinsicht macht, setzt den allerschnellsten und feinsten Takt voraus; denn der kleinste Fehlgriff zerstört das Werk, weil man sogleich aus der Stellung gehoben wird, in welcher man sich nothwendig befinden muß, um Anderen die Täuschung zuzuführen, daß man nur mit ihnen beschäftigt sey. Wer sich nicht ganz in seiner Gewalt hat, wird von seiner eigenen Kunst über den Haufen geworfen; denn es kommt nicht nur darauf an, daß man schicklich anfange und gut fortfahre, sondern auch, daß man vortrefflich endige. [150] Die ganze Unterhaltung muß ein Sonnet seyn, in welchem ein interessanter Gedanke so verarbeitet wird, daß die Hauptidee den Beschluß macht. In der That, jene italiänischen Improvisatoren, welche jedes beliebige Thema so ausbilden, daß es mit allen Farben der Poesie zum Vorschein tritt, haben die größte Ähnlichkeit mit wirklich ausgebildeten Hofleuten; und der Zauber, welche beide in den Gemüthern zurücklassen, ist vollkommen derselbe. Alle Saiten sanft berühren, und aus dem Instrument, worauf wir spielen, eine solche Harmonie hervorlocken, wodurch wir selbst nie beleidigt werden, das Instrument selbst aber entzückt wird – dies ist es, worauf wir ausgehen müssen, und was wir gewiß erreichen, wofern es uns nicht an der scheinbaren Entsagung fehlt, die alles Eigenthümliche nur deshalb in den Hintergrund stellt, damit es desto unerreichbarer bleibe. Ob Überlegenheit des Geistes die unerlaßliche [151] Bedingung der besten Ausübung dieser Kunst sey, möcht' ich weder bejahen, noch verneinen, da sie es bei den einen wirklich, bei den anderen gar nicht ist. Ich glaube wenigstens bemerkt zu haben, daß man, wie in vielen anderen Dingen, so auch in dieser Kunst, durch gewisse Eigenschaften des Gemüthes eben so weit kommt, als durch die des Geistes; und der größte Theil ihrer Ausüber dürfte sie wohl durch die ersteren erwerben. Vielleicht ist dies aber nur Schein, und wenn in irgend einer Kunst, so muß in dieser Geist und Gemüth in dem vollkommensten Gleichgewicht stehen.
In welcher bestimmten Individualität ich auch als Weib dastehen mochte, so gab die Weiblichkeit in mir doch den Ausschlag über alles; und da der Grundcharakter des Weibes Resignation ist, so wurde mir die Erlernung jener nahmenlosen Kunst, die ich so eben beschrieben [152] habe, dadurch nicht wenig erleichtert. Für mich selbst gewann ich dabei auf eine doppelte Weise; einmal indem jene spröde Eigenthümlichkeit, die ich an den Hof gebracht hatte, sich nach und nach verlor, ohne daß mein Charakter im Wesentlichen dabei litte; zweitens indem sich mein Gesichtskreis durch alle die Ideen erweiterte, welche mir durch die Mittheilung ganz absichtslos zugeführt wurden. In Beziehung auf den ganzen Hof aber füllte ich eine Lücke aus, die man vor meiner Ankunft mehr empfunden als deutlich gedacht hatte. Hätte ich in jenem zarten Alter über diese Beziehung raisonnirt; so würde ich auf das Resultat gestoßen seyn, daß der ganze Hof, als geistiger Mittelpunkt genommen, in mir conzentrirt wäre; allein daran dacht' ich damals eben so wenig, als irgend einer von denen, die ich in den Stand setzte, ihren Neigungen rücksichtsloser zu folgen.
[153] Die Oberhofmeisterin war im Besitz aller der Formen, welche ihr Geschäft mit sich führte; aber sie war zugleich so sehr in der Repräsentation untergegangen, daß sie, auch wenn sie noch einer Erhebung fähig gewesen wäre, allen Geist für eine Todsünde erklärt haben würde. Man nannte sie in der Regel Madame Etiquette; und diese Benennung beleidigte sie nie, theils weil sie sich bewußt war, als Repräsentantin der Etiquette einen hohen Werth zu haben, theils weil sie keine Ahnung davon hatte, daß es neben dem staatsbürgerlichen Werth noch einen anderen giebt, der zuletzt alles entscheidet. Das einzige Menschliche, was in ihr zurückgeblieben war, bestand in einer Art von Witz, wodurch sie zwar sehr zum Lachen reizte, wobei es aber sehr unentschieden blieb, ob sich das Lachen mehr auf ihre Einfälle, oder auf den Widerspruch bezog, in welchem diese Einfälle [154] mit ihrer Person und ihrem Geschäfte als Oberhofmeisterin standen. Es war nämlich eine gute Mundvoll Zweideutigkeiten, wodurch sie sich auszeichnete: eine üble Angewohnheit, die sie unstreitig ihrer ersten Erziehung zu verdanken hatte, um so übler, weil sie längst über das Alter hinaus war, wo der weiblichen Erfahrenheit ein freieres Wort verziehen wird. – Aus allen diesen Gründen nun konnte kein Abstich auffallender seyn, als der, den ich gegen sie bildete. Ich sage in der That nicht zuviel, wenn ich behaupte, daß in ihr und mir zwei Extreme einander gegenüber standen, von welchen man das eine die vollendete Unweiblichkeit, das andere die höchste Jungfräulichkeit nennen konnte. Dieser Gegensatz blieb nicht unbemerkt; und wenn man sich auch nicht darüber äußerte, so lag die Sache selbst doch dadurch an dem Tag, daß man, aus überwiegender Achtung für mich, eine Frau [155] vernachlässigte, welche, dem Range nach, die erste nach der Fürstin selbst war. Mir war dabei oft sehr peinlich zu Muthe; allein, wie sehr man sich auch an mich anschließen mochte, so sah die gute Oberhofmeisterin darin immer nur die größere Freiheit, welche sie als leidenschaftliche Lhombrespielerin für sich gewann, und das Höchste, was ihr Neid ihr auszupressen vermochte, war: daß ich in ihrem Alter auf gleicher Linie mit ihr stehen würde; eine Prophezeihung, welche niemals eintreffen konnte, weil ich mit meinen Eigenschaften darüber hinaus war, ihre Erfahrungen zu machen. Abgesehen von dieser Opposition, wirkte die Stellung, welche ich genommen hatte, dadurch sehr eigenthümlich auf mich zurück, daß ich, indem ich für alle vorhanden seyn mußte, für keinen Einzelnen vorhanden seyn konnte. Selbst wenn Moritzens Bild mir – wie dies wirklich der Fall war – [156] nicht als Ideal vorgeschwebt hätte, so würde ich durch das Problem, dessen Auflösung ich einmal übernommen hatte, von allem, was Liebe im engeren Sinne des Wortes genannt wird, entfernt geblieben seyn. Ich hatte mich, trotz meines jugendlichen Alters, von der Liste der fühlenden Wesen gestrichen, um mich auf die der Intelligenzen setzen zu können.
Mein Pflegevater freuete sich nicht wenig über diese Verwandlung meines Wesens; sie entsprach seinen Erwartungen von mir eben so sehr, als seinen Wünschen. Unstreitig würde sie noch vollkommner gewesen seyn, hätte nicht mein Verhältniß zu der Prinzessin Caroline meinen ursprünglichen Charakter, d.h. denjenigen, mit welchem ich an den Hof gekommen war, auf das wesentliche festgehalten.
Wie der ganze übrige Hof, so war auch die Prinzessin von der Verbindung belehrt, in welcher ich mit dem Herrn von [157] Z... gestanden hatte; und da sie sich in einem Alter befand, worin keine Unterhaltung willkommner ist, als diejenige, welche einen Liebeshandel zum Gegenstand hat, so bat sie mich in den Augenblicken, wo wir allein waren, sehr oft, ihr etwas von meiner Geschichte zu erzählen. In sofern ich selbst die Heldin derselben war, würd' ich es schwerlich der Mühe werth gehalten haben, den Mund zu öffnen; aber da ich das Andenken an meinen Moritz liebte, so ließ ich mich immer bereitwillig finden, der Prinzessin mitzutheilen, was ihn in seiner eben so kräftigen als edlen Individualität darstellte. Merkwürdig war der Erfolg meiner Erzählung dadurch, daß niemals eine von uns beiden dadurch gerührt wurde, dies Wort in seinem gewöhnlichen Sinne genommen. Meine Erzählung enthielt gewiß alle Elemente des Tragischen; aber auf unsere Thränendrüsen wirkten diese nie zurück. [158] Ich selbst war wie begeistert, und mein Zustand riß die Prinzessin zu einem ähnlichen hin; doch alles, was sich mit Wahrheit von uns sagen ließ, war: daß wir uns im höchsten Grade interessirt fühlten, ohne in unserem Gemüthe im Mindesten verwirrt zu seyn.
Ich kann bei dieser Gelegenheit nicht umhin, eine artistische Bemerkung zu machen, die, wie sehr sie auch den gewöhnlichen Theorien widersprechen mag, mir vollkommen richtig scheint. Sie ist: »daß die wahre Tragödie das Gemüth nicht foltern, sondernheben müsse, so daß der Zuschauer, nachdem der Vorhang gefallen, nicht mit beklommenem, sondern mit freudigem Herzen die Bühne verläßt.« Es ist gewiß nur immer die Schuld des Dichters, wenn dies nicht der Fall ist. Wer sich eines tragischen Stoffes so zu bemächtigen versteht, daß er die Entwickelung in ihrer Nothwendigkeit fortführen [159] kann, der befriediget zugleich unser Gemüth und unseren Verstand; und dabei ist die volle Heiterkeit des ganzen Menschen nicht nur möglich, sondern sogar nothwendig. Wer hingegen den tragischen Stoff zerreisset, und aus poetischem Unvermögen die Einbildungskraft der Zuschauer nöthigt, das Ganze, das er selbst nicht zu Stande bringen konnte, an seiner Stelle zu schaffen; der kann nicht anders als verwirren, ängstigen und foltern. Will man wissen, wer der eigentliche Meister in der tragischen Kunst ist? Derjenige unstreitig, der alles so anzuordnen weiß, daß das Nothwendige immer mit Freiheit vollzogen wird, so daß das Schicksal nie über den Helden, dieser hingegen beständig über jenes siegt, sogar alsdann, wenn er vom Schicksal zerschmettert wird. Wer dies nicht kann, der ist und bleibt ein Pfuscher in der Tragödie, gut genug für den Pöbel, dem [160] es immer nur um Gemüthsbewegung zu thun ist, aber zu schlecht für gebildete Menschen, welche die Freiheit im Kampf mit der Nothwendigkeit obsiegen sehen wollen. Wollte man sagen, daß ich hier als Aristokratin spreche, so würde meine Antwort seyn: »Die größte Aristokratin ist die Kunst selbst, die sich nur in der Region des Idealen bewegen will, weil sie weiß, daß sie, ohne abgeschmackt zu werden, diese Region nicht verlassen kann.« Doch ich lenke wieder ein.
Indem ich der Prinzessin gegenüber meine ganze Individualität festhielt, so konnte es schwerlich fehlen, daß, vermöge der achtungsvollen Anhänglichkeit, die sie für mich empfand, von meinem ganzen Wesen sehr viel auf sie überging. Ich möchte nicht sagen, daß ich mich zu ihr herabließ; dies war durchaus unnöthig, da alle ihre Anlagen von einer solchen Beschaffenheit waren, daß ich sie mit [161] Leichtigkeit zu mir heraufziehen konnte. Es kam dahin, daß wir Studien und Vergnügungen gemein hatten und in einer solchen Harmonie lebten, daß man uns für geborne Schwestern hätte halten können. Im Scherz nannte mich die Prinzessin bisweilen ihren Moritz; und dies mochte ich auch in der That seyn, wenn nur von dem geistigen Verhältniß die Rede ist, das zwischen ihr und mir statt fand. Ob ich durch Übertragung meiner Eigenthümlichkeit der Prinzessin nützlich oder schädlich wurde, war etwas, woran ich gar nicht denken konnte, da die Verhältnisse, in welche sie zu treten bestimmt war, tief im Hintergrunde lagen; wenn ich aber auch daran gedacht hätte, so würde mich keine Klugheit abgehalten haben, meinen ganzen Charakter zu behaupten, weil dieser zuletzt doch das Einzige ist, was der Mensch sein nennen kann, und jede künstliche Modifikation [162] desselben baare Narrheit genannt werden muß. Ich habe mich hinterher, ich gestehe es, sehr häufig über die Unbefangenheit gewundert, womit der Fürst seine einzige Tochter eine Entwickelung gewinnen sah, welche sie in ihren künftigen Verhältnissen nur unglücklich machen konnte; allein mir selbst hab' ich nie den mindesten Vorwurf darüber ge macht, daß ich die Urheberin dieser Entwickelung war; denn ehe man mich zur Gesellschaftsdame wählte, hätte man ausmachen sollen, ob meine Wahl nicht schädliche Folgen haben könnte. Es ging hierin, wie es in der Welt gewöhnlich geht: An das Wesentliche dachte man nicht, und nachdem der Schaden einmal geschehen war, konnte er nicht wieder gut gemacht werden. War es aber auch meine oder der Prinzessin Schuld, daß diejenigen, welche, ihrem Stande nach, zu uns hätten passen sollen, als ob sie für uns geboren gewesen wären, [163] nicht zu uns paßten? Wir konnten unserm Wesen nicht entsagen, ohne uns herabzuwürdigen; aber diejenigen, mit welchen wir zu schaffen hatten, konnten dies sehr wohl; und alles Unglück, das uns begegnete, rührte nur daher, daß sie in ihren Gewohnheiten allzu tief versunken waren, um das Edlere und Bessere zu lieben.
Ehe ich die Räthsel löse, welche in dem vorhergehenden Abschnitt enthalten sind, muß ich, aus Achtung für die Zeitfolge, noch des Todes meines Pflegevaters erwähnen. Er starb, nachdem ich ungefähr drei Jahre am Hofe gelebt hatte. Über sein Hinscheiden weiß ich nur das zu sagen, daß es das Hinscheiden eines ächten Christen war, der, wenn seine letzte Stunde geschlagen hat, mit Ergebung in den Mittelpunkt der Gesellschaft zurücksinkt, welcher er sich, sein ganzes Leben hindurch, nützlich zu machen gestrebt hat. [164] Das Testament, welches er zurückließ, war ganz eigenthümlichen Inhalts, in sofern er seiner eigenen Schwester den kleinsten, mir hingegen den größten Theil seines Vermögens mit dem Zusatze vermachte, daß davon nie etwas auf seine Verwandten zurückfallen sollte. Ich erbte auf diesem Wege von ihm nicht weniger als dreißigtausend Thaler; eine ungleich größere Summe, als wofür man sein Vermögen bis dahin angenommen hatte. Das Wahre von der Sache aber war unstreitig, daß die eben genannte Summe nicht zu seinem Vermögen gehörte, sondern ihm nur von denjenigen anvertrauet war, die es für gut befanden, meine Abkunft zu verschleiern. Immer hatte ich so viel gewonnen, daß ich, ohne mein Kapital anzugreifen, von den Zinsen desselben mit Anstand und Freiheit leben konnte. Dies war die Ansicht, welche ich faßte, sobald ich mich über den Hintritt meines Pflegevaters [165] beruhigt hatte; und dieser Ansicht gemäß nahm ich mir vor, nie zu heirathen, indem ich noch immer daran verzweifelte, einen Mann zu finden, wie der Herr von Z... gewesen war. Auf meine Verhältnisse am Hofe wirkte die Unabhängigkeit, die ich durch mein Vermögen erworben hatte, nicht weiter zurück; denn diese waren so gut, als sie werden konnten, da ich mich schon vorher durch meine innere Kraft frei gemacht hatte.
Ich war kaum mit meiner Erbschaft im Reinen, als das ...sche Fürstenhaus um die Hand der Prinzessin Caroline für den Erbprinzen Carl werben ließ. Ohne gerade glänzend zu seyn, war dieser Antrag ehrenvoll; auch wurde er keinesweges zurückgewiesen. Was man von dem Erbprinzen sagte, war so beschaffen, daß er zu den frohesten Erwartungen berechtigte; man schilderte ihn nämlich als einen schönen jungen Mann von den besten [166] Sitten und den herrlichsten Eigenschaften des Gemüths und des Geistes. Der ganze Hof schätzte die Prinzessin glücklich, einen solchen Bewerber gefunden zu haben; und sie selbst gab sich der süßen Täuschung, alle ihre Wünsche nach kurzer Frist erfüllt zu sehen, nur allzu bereitwillig hin. Da unser Hof den Rang vor dem ...schen hatte, so wurde nur die Bedingung gemacht, daß der Erbprinz sich in eigner Person bewerben möchte, und diese Bedingung zu erfüllen, erschien derselbe anderthalb Monate darauf. Eine schöne Figur, mit einem Gesichte, dem es weniger an Adel, als an bestimmten Ausdruck fehlte! So wie sich der Prinz zum erstenmale produzirte, mußte er gefallen. Die Prinzessin Caroline war eben so bezaubert von seinem Betragen, als von seiner Gestalt. Mir entging, bei einer fortgesetzten Aufmerksamkeit auf den Prinzen, nicht, daß eine gewisse Heftigkeit in [167] ihm war, die sich auf den ersten besten Gegenstand wirft, weil sie denjenigen noch nicht gefunden hat, der sie anhaltend beschäftigen könnte; allein, wie wichtig mir meine Entdeckung um der Prinzessin willen seyn mochte, so hielt ich es doch nicht der Mühe werth, darüber ein Wort fallen zu lassen, da sie einen Fehler betraf, der sehr leicht zu verbessern ist. Die Vermählung würde ohne Carolinens Einwilligung beschlossen und vollzogen worden seyn; aber dies war so wenig nothwendig, daß in dem vorliegenden Falle das Herz recht eigentlich im Bunde mit der Politik zu seyn schien, oder vielmehr wirklich war. Das Einzige, was die Prinzessin sich ausbedung, war, daß es ihr erlaubt seyn möchte, mich als Gesellschaftsdame mit an den ...schen Hof zu nehmen; eine Bedingung, die man sehr gern gestattete.
Von der Vermählung der Prinzessin, [168] welche einige Monate darauf an unserem Hofe vollzogen wurde, kein Wort; denn sie war, wie dergleichen immer zu seyn pflegen. Vierzehn Tage darauf erfolgte die Abreise. Während der Reise hatte ich mehr als eine Gelegenheit, die Bemerkung zu machen, daß meine erste Entdeckung in Betreff des Erbprinzen eine sehr richtige gewesen sey, und ich gestehe, daß ich jetzt anders darüber urtheilte, als vorher; allein wenn mir die Mittheilung meiner Entdeckung früher nicht der Mühe werth geschienen hatte, so war sie jetzt zu spät, und mein Vorsatz konnte kein anderer seyn, als mich mit der größten Behutsamkeit zu betragen, im Fall meine Freundin selbst aus ihrer bisherigen Täuschung erwachen sollte. Diesem Vorsatze gemäß betrug ich mich so, daß ich die junge Fürstin zu keiner Vertraulichkeit aufforderte, wie bestimmt ich es ihr auch schon am vierten Tage nach unserer Abreise [169] ansah, daß sie ihren Busen gegen mich auszuschütten wünschte. Als wir endlich an Ort und Stelle angelangt waren, wurden wir zwar mit allem Pomp empfangen, der bei solchen Gelegenheiten herkömmlich ist; aber über Täuschungen dieser Art erhaben, wie wir einmal waren, rekognoszirten wir nur das Terrain, worein uns das Schicksal geworfen hatte. Ein jeder warf sich, wie sich dies von selbst versteht, in seine besten Atours, und die Erscheinung einer so liebenswürdigen Prinzessin, als Caroline war, trug gewiß nicht wenig dazu bei, daß alle Bewillkommungen und Glückwünsche nur desto besser von statten gingen; bei allem dem aber konnten wir nicht verfehlen, die Entdeckung zu machen, daß irgend ein düsterer Geist über diesem Hof walten müsse, ein unmittelbares Gefühl sagte uns dies, ohne alle künstliche Vernunftschlüsse.
Die nächsten vierzehn Tage klärten [170] unsere Ahnung – denn mehr war unsere Entdeckung nicht – gänzlich auf. Alles beruhete auf einem Mißverhältniß der Herzogin zu dem Herzoge. Von Gewissenszweifeln geängstigt und im höchsten Grade abergläubisch, war die erstere (ihre Kinder allein ausgenommen, welche sie aus unbezwingbarem Instinkt liebte) sich selbst und allen Menschen abhold, während der letztere, wenn gleich nicht minder zum Aberglauben geneigt, mit einer gesünderen Constitution die Freuden, welche er im eigenen Familienkreis nicht finden konnte, außerhalb desselben suchte, und, weil er sie auch da nicht fand, in der Regel mürrisch und auffahrend war, und dadurch alles von sich zurückschreckte. Dies hatte auf Carolinens Gemahl in sofern zurückgewirkt, als er in dem vergeblichen Bestreben, seinen sich selbst so ungleichen Eltern genug zu thun, zuletzt ungeduldig und über die Gebühr heftig geworden [171] war. Unfähig seinen Vater zu lieben, und eben so unfähig sich mit seiner Mutter zu identifiziren, war er, von seinem eigenen Herzen verleitet, die Beute aller derjenigen geworden, in deren Arme er sich geworfen hatte. Wie gesund auch sein Verstand in seinen Anlagen war, so hatte er ihn doch nie in den Besitz der Mittel führen können, durch welche man sich seiner ganzen Umgebung bemächtigt; und je mehr er zwischen hundertfältigen Rücksichten dahin schwankte, desto unzufriedener war er mit seiner ganzen Lage. Vor seiner Vermählung mit einem liebenswürdigen Fräulein verbunden, hatte er dieser Verbindung entsagen müssen, ohne seinen Neigungen entsagen zu können; und wie diese Schwäche von allen denjenigen gemißbraucht wurde, welche, aus früherer Zeit her, im Besitz seines Vertrauens waren, läßt sich ohne Mühe denken. Kurz der ganze Hof war ein [172] Vereinigungspunkt der Antipathien, und, was immer damit verbunden ist, der Intriguen. Keine einzige klare Seele, an welche man sich verdachtlos hätte anlehnen können! Und die Quelle von diesem allen war der Aberglaube in dem Geiste der Herzogin und des Herzogs, der von dem ersten Hofgeistlichen kräftigst unterstützt wurde. Ich habe seitdem sehr oft Gelegenheit gehabt, die Bemerkung zu machen, daß fürstliche Personen ungemein zum Aberglauben hinneigen; und so oft ich mir diese Erscheinung zu erklären versucht habe, bin ich immer auf das Resultat gekommen, daß, während alles, was ihnen untergeordnet ist, nur sie fürchtet und verehrt, sie ihrer Seits auch etwas fürchten und verehren wollen, weil es ihnen unmöglich fällt, der menschlichen Gebrechlichkeit diesen Tribut zu versagen. Nur wenige dürften hiervon eine Ausnahme machen.
[173] Indem ich diese Entdeckungen machte, nahm ich mich wohl in Acht, darüber mit der Erbprinzessin zu sprechen. Ich bot vielmehr meine ganze Heiterkeit auf, sie glauben zu machen, daß ich ganz unbefangen sey und bleibe. Es war mir, ich gestehe es, ein wenig peinlich, meiner Freundin gegenüber der Offenheit zu entsagen, womit ich sie bisher behandelt hatte; allein ich sagte mir wiederum, daß dies ein Opfer sey, das ich höheren Verhältnissen bringen müsse. Sehr deutlich leuchtete mir ein, daß hier nichts zu verbessern sey, daß man aber aus übel leicht ärger machen könnte. Ich nahm mir also vor, meine Stellung immer so zu nehmen, daß ich, so viel an mir wäre, die Sachen in einem erträglichen Gange erhielte. Auf keinen Fall war ich gesonnen, die erste Confidenz zu machen; und war es irgend möglich, die Erbprinzessin von Confidenzen gegen mich zurück zu halten, [174] so wollte ich es nicht an mir fehlen lassen. Am meisten fürchtete ich den Charakter der Herzogin, welche, nachdem ihre Schwiegertochter einmal mit eigenen Augen gesehen hatte, sehr leicht auf den unglücklichen Einfall gerathen konnte, sich vor ihr zu rechtfertigen, und mich darüber zum Zeugen zu nehmen. Ich sah dies so bestimmt vorher, daß ich vorläufig auf den Gedanken verfiel, nichts zu thun, was der Herzogin Vertrauen zu mir einflößen könnte. In der That, ich war sehr übel daran. An unserem Hofe hatte ich mit der größten Freiheit gelebt; hier hingegen war ich von allen Seiten her so eingeklemmt, daß ich mich durchaus nicht bewegen konnte, ohne anzustoßen und Quetschungen und Schrammen davon zu tragen. Meiner ganzen Natur nach ohne Falsch und ohne Hehl, war ich gegen meinen Willen zur Politik hingezogen. Hätte mich das Interesse für meine [175] Freundin nicht aufrecht erhalten, so würde ich, gleich der Tochter Ludwigs des Funfzehnten von Frankreich, den Aufenthalt in irgend einem Carmeliterkloster der meschanten Lage vorgezogen haben, in welcher ich an diesem Hofe war. Der auffallende Entschluß jener Prinzessin hat mich nie in Erstaunen gesetzt, weil ich selbst erfahren habe, wie abgeschmackt und langweilig das Hofleben unter gewissen Bedingungen werden kann.
Die Erbprinzessin verstand mich vollkommen; auch in den zartesten Empfindungen und Ideen begegnete sie mir mit einem Takt, der, wenn ein Dritter als Zuschauer zwischen uns in der Mitte gestanden hätte, diesen nothwendig hätte bezaubern müssen. Wir, die wir drei Jahre hindurch in der vollkommensten Freundschaft gelebt hatten, welche auf Erden möglich ist, verabredeten jetzt stillschweigend unter uns, daß, obgleich unsere Unschuld [176] dieselbe sey, es dennoch Geheimnisse gäbe, welche wir Ursache hätten, uns gegenseitig zu verbergen. Hieraus entwickelte sich ein eigenthümliches Verhältniß, das freilich nie Consistenz gewinnen konnte, aber, so lange es dauerte, unseren inneren Zustand so modifiziren mußte, daß unsere gegenseitige Anhänglichkeit an einander verstärkt wurde. Sonst hatte sich die Erbprinzessin in ihrer Liebe zu mir eben so frei gefühlt, als ich mich in der meinigen zu ihr. Jetzt hingegen, wo die in ihrem Gemahl eingeschlossene zurückstoßende Kraft sie in Ansehung des Spielraums liebender Gefühle so wesentlich beschränkte, und wo ich meiner Seits durch die Erbärmlichkeit des Hofes ganz auf mich selbst zurückgeworfen wurde, jetzt konnten wir den Stützpunkt, dessen wir bedurften, nur eine in der anderen finden. Wir würden glücklich gewesen seyn, hätten wir dem Zuge folgen dürfen, der uns zu vereinigen[177] versprach; aber gerade darin lag das Verzweifelnde unserer Lage, daß wir diesem Zuge nicht folgen durften; wenigstens nicht mit der Rücksichtslosigkeit, welche die Freundschaft gebietet. Wir beide ahneten, daß ein Zeitpunkt eintreten würde, wo wir dem Verderben nur durch festes Aneinanderschließen entrinnen könnten; aber wir wollten diesen Zeitpunkt nicht beschleunigen, welches unvermeidlich war, sobald wir zum voraus gemeinschaftliche Sache machten. Mochte das Problem, das wir uns aufgegeben hatten, immerhin nicht zu lösen seyn; genug wir wollten, was die Klugheit gebot, so lange ehren, als es wahrer Freundschaft unbeschadet geschehen könnte.
Den übrigen Mitgliedern des Hofes war ich ein unerklärbares Räthsel. Was sie durchaus nicht begreifen konnten, war, wie man an einem Hofe fremd und doch so abgeneigt seyn könnte, sich an irgend [178] eine Parthei anzuschließen. Diese meine Eigenthümlichkeit war ihnen um so unbegreiflicher, da ich, dem Anscheine nach, ganz isolirt dastand, und selbst von der Prinzessin, deren Gesellschaftsdame ich seyn sollte, vernachlässigt war. Gern hätte mich die eine oder die andere Parthei für sich gewonnen; aber gerade das, was mich zum Gegenstand so mannichfaltiger Bewerbungen machte, mußte mich behutsam und vorsichtig machen. Dies war nämlich das bischen Verstand, wodurch ich mich auszeichnete. Wie bescheiden ich selbst auch darüber denken mochte, so konnte ich mir doch nicht verhehlen, daß ein Amalgam mit diesen Personen für mich unmöglich sey. Es war vor allen Dingen ihre unbeschreibliche Flachheit, die mich von ihnen zurückschreckte. In der That, man erweiset den Hofleuten in der Regel allzuviel Ehre, wenn man von ihrer Intrigue mit irgend einer Art von [179] Achtung spricht, sollte diese Achtung sich auch nur durch Mißbilligung und Abscheu ausdrücken. In keiner Sache tief, sind sie es eben so wenig in der Intrigue. An dem Kitzel fehlt es ihnen nicht, wohl aber an dem Geiste, der sich ein Ziel setzet und seine Mittel demselben anpaßt. Es würde wenigstens eine Art von Poesie in das Hofleben gebracht werden, wenn dieser Geist vorherrschte; allein dies ist so wenig der Fall, daß es immer und ewig nur die leidige Prose bleiben kann. Es ist wahr, jeder hat sein besonderes Interesse, dem er nachgeht; doch, indem man sich mehr von irgend einem Instinkt als vom Verstande leiten läßt, vertrödelt man das Leben, ohne jemals ans Ziel zu gelangen; und daher die große Zahl der Unzufriedenen, die, wenn sie endlich aus allen ihren Erwartungen herausgefallen sind, wenigstens ihre Rechtlichkeit retten wollen, und, indem sie von unerkannten [180] Diensten sprechen, die sie geleistet haben, sich nur immer selbst verdammen. Kurz: die eigentliche Gemeinheit, in sofern sie mit Flachheit eins und dasselbe ist, wird nirgend sicherer und allgemeiner angetroffen, als an den Höfen, vorzüglich aber an den kleinen deutschen Höfen. Und dies gerade war, was mir in meiner neuen Lage eine Behutsamkeit gebot, welche man unbegreiflich nannte.
Mich zu erforschen schickte man das Factotum des Hofes, den Herrn Hofcapellan, an mich ab. Dieser Mann, der, seinem Berufe nach, der rechtlichste und edelste des ganzen Hofes seyn sollte, war, wie es zu geschehen pflegt, nur der feinste und eigennützigste; und so groß war die Verkehrtheit aller Mitglieder des Hofes, daß man ihn gerade um derjenigen Eigenschaften willen achtete, die ihn vor jedem intelligenteren Richterstuhle verdammen mußten. Seine Erscheinung kam mir nicht [181] ganz unerwartet, wiewohl ich in dem Augenblick, wo er sich melden ließ, auf seinen Empfang nichts weniger als vorbereitet war. Der Zufall wollte, daß Klopstocks Messiade aufgeschlagen vor mir lag, als er in mein Zimmer trat. Der hochwürdige Herr konnte, nachdem die ersten Begrüßungen vorüber waren, nicht umhin, einen neugierigen Blick auf meine Lektüre zu werfen; und als er Klopstocks Messiade erblickte, die er wenigstens von Hörensagen kannte, war seine erste Frage: Ob mir diese Lektüre Vergnügen mache? »Unendliches,« war meine Antwort; »ich erblicke in der Messiade eine Welt, wie sie sich noch keinem schaffenden Geist aufgeschlossen hat. Alles ist groß und erhaben, und weil man das Große und Erhabene nicht betrachten kann, ohne dem Kleinen und Niedrigen zu entsagen, so wäre wohl zu wünschen, daß Klopstocks Schöpfung sich in Jedermanns Händen [182] befände. Aber ich bin versichert, fügte ich hinzu, daß dies Gedicht, anstatt wie andere Werke in dem Zeitstrom unterzugehen, einer ganzen Ewigkeit von Entwickelung trotzen und in eben dem Maaße an Werth gewinnen wird, in welchem es als reine Poesie dasteht.« Dieser Gedanke fiel dem Herrn Capellan auf; und weil er ihn wirklich nicht verstand (was mir sehr wahrscheinlich geworden ist, seitdem ich andere seines Gelichters kennen gelernt habe), oder weil er gute Ursache hatte, ihn nicht verstehen zu wollen, legte er mir die naive Frage vor: Wie ich das meinte? »Ich meine,« erwiederte ich, »daß wenn der religiöse Geist, welcher die Messiade dictirt hat, längst verflogen seyn wird, dies Heldengedicht nicht nur noch bezaubern, sondern auch um so mehr bezaubern wird, je weniger sich der Glaube, oder vielmehr der Unglaube, bei der Lektüre ins Spiel mischet.« Der Capellan, [183] der mich noch immer nicht verstand, ließ irgend etwas Albernes fallen, wodurch er zu verstehen gab, daß er von mir voraussetze, nur Religiosität treibe mich zur Lektüre der Messiade; und als ich hierauf nicht antwortete, nahm er sogleich Gelegenheit, über die Irreligiosität des Zeitalters (welche ihm bei weitem vollendeter erschien, als sie wirklich war) ein Langes und Breites zu sprechen, und sich so eine Brücke zu bauen, um zur Herzogin zu kommen, die er als das Muster aller Fürstinnen vorstellte. Eine nähere Bekanntschaft mit ihr, meinte er, würde mir zeigen, wie sehr es zu wünschen wäre, daß ihr Geist den ganzen Hof durchströmen möchte; und hierauf erfolgten neben den Lobeserhebungen, welche der Herzogin gemacht wurden, mehrere Winke, welche mich orientiren sollten. Ich ließ den hochwürdigen Herrn ausreden, und als er das Bedürfniß fühlte, wieder zu Athem zu [184] kommen, setzte ich das Gespräch durch einige Bemerkungen fort, worin ich zu verstehen gab, daß, allen meinen Beobachtungen zufolge, der Hof wirklich von dem Geiste der Herzogin durchdrungen sey. »Ach wie viel fehlt daran,« antwortete der Hofcapellan; »da ist z.B. der Kammerherr unseres geliebten Erbprinzen, ein Mann, dem außer seinem Vortheile nichts heilig ist, und gegen den sich der ganze Hof verschwören sollte, da er es so geflissentlich darauf anlegt, die liebenswürdigste Prinzessin verhaßt zu machen, um ....« »Still! still, Herr Hofcapellan! fiel ich ihm in die Rede; dies sind Dinge, über welche wir nicht berechtigt sind zu sprechen. Die Wendung, welche Sie der Unterhaltung zu geben geruhen, ist mir so neu als interessant, aber ich darf darauf nicht eingehen, wenn ich nicht einmal für allemal aus der Bahn weichen will, die ich mir vorgezeichnet [185] habe.« Der Hofcapellan sah mich mit so dummen Augen an, als wenn von Verschmitztheit und Ränkesucht nie eine Spur in ihm gewesen wäre. Offenbar erstaunte er darüber, an ein Wesen gerathen zu seyn, dem er nicht gewachsen war; und ob er sich gleich alle Mühe gab, in sein voriges Gleichgewicht zurückzutreten, und seinen Besuch recht absichtlich verlängerte, um mir irgend einen Vortheil abzugewinnen, der alles, was zwischen uns vorgefallen war, wieder ins Gleiche bringen möchte, so schieden wir zuletzt doch so auseinander, daß von einer Gemeinschaft zwischen uns beiden, was auch immer ihr Gegenstand seyn möchte, nicht wieder die Rede seyn konnte.
Was den Kammerherrn des Erbprinzen betraf, so hatte ich längst bei mir ausgemacht, daß er bei weitem unschuldiger sey, als er in der Darstellung des Hofcapellans erschien. Sein Hauptverbrechen [186] war, der Liebling des Erbprinzen zu seyn, dessen Gunst er durch nichts so sehr erobert hatte, als durch seine Polsterartigkeit, wenn man mir diesen Ausdruck gestatten will. Es ist wahr, es fehlte ihm nicht an Verstand; allein sein Verstand war nicht der schöpferische, der Anderen gebietet, indem er ihnen Richtungen giebt, die sie aus sich selbst zu nehmen allzuschwach sind, sondern der legale, der nur immer den fremden Willen bearbeitet, und folglich gar nicht für und durch sich existirt. Des Kammerherrn höchster Grundsatz war: der Erbprinz ist der Herr. Diesem Grundsatz gemäß wagte er es nie, dem Erbprinzen zu widersprechen. Hätte dieser seine Gemahlin lieben können, so würde er nichts dagegen einzuwenden gehabt haben; da aber der Erbprinz dies nicht konnte, so hatte der Kammerherr auch wiederum nichts dagegen, daß er seine Verbindung mit einer [187] früheren Geliebten fortsetzte, und that, was in seinen Kräften stand, die Wünsche des Prinzen in dieser Hinsicht zu befriedigen. Er meinte es gewiß mit der ganzen Welt gut; aber da es einmal unmöglich ist, der ganzen Welt zu genügen, so hielt er es nur mit dem, dem er seine Dienste einmal gewidmet hatte. Seine Furchtbarkeit war gewiß nicht weit her; indessen erschien er allen denjenigen furchtbar, welche in Erwägung zogen, daß es, nach dem Tode des Herzogs, nur von ihm abhängen werde, Premier-Minister zu seyn. Einem solchen Schlag zuvorzukommen, wollte man ihn so zeitig als möglich verdrängen. Wenn man mich in die Cabale zu verflechten wünschte, so geschah dies um der guten Meinung willen, die man von meinem Verstande gefaßt hatte. Nichts beabsichtigte man weniger, als eine Vereinigung des Prinzen mit der Prinzessin, und der Hofcapellan [188] hatte sich nur in das Complott ziehen lassen, weil er erfahren hatte, daß eben dieser Kammerherr im Punkt der Religion ein wenig locker sey. Indem ich also in dem Gegenstande des Partheihasses keinen Widersacher der Prinzessin erblickte, konnte ich unmöglich geneigt werden, mich mit den Übrigen zur Entfernung eines Mannes zu vereinigen, der zuletzt der Unschuldigste von Allen war.
Ich konnte dies um so weniger, weil mir immer deutlicher einleuchtete, daß das Mißverhältniß zwischen dem Erbprinzen und seiner Gemahlin eben so sehr durch die Individualität der letzteren als durch die des ersteren gehalten wurde. Es ist gewiß sehr zu bedauern, wenn die Tugend selbst die Quelle unseres Mißgeschicks und unserer Leiden wird; allein dies ist unter gewissen Umständen eben so nothwendig, als daß das Gegentheil der Tugend zum Mißvergnügen mit sich selbst [189] und zur Opposition gegen die ganze Welt führen muß. Es war ganz offenbar die Liebenswürdigkeit der Erbprinzessin, was sie ihrem Gemahl so verhaßt machte. Wäre der Prinz in den Besitz seiner Gemahlin gekommen, ohne vorher in einem ernsthaften Verhältniß mit einer anderen Person gestanden zu haben; so würde er, bezaubert von der Liebenswürdigkeit seiner Gemahlin, vielleicht sein ganzes Leben hindurch an keine Untreue gedacht haben. Da dies nicht nur nicht der Fall war; da die ehemalige Geliebte noch immer ihren Platz in seinem Gemüthe behauptete, und, von den Eigenschaften der Gemahlin unterrichtet, es sich vielleicht doppelt angelegen seyn ließ, die Zuneigung des Prinzen zu fesseln; so konnte es schwerlich fehlen, daß dieser, von seinen Neigungen auf der einen, und von seinen Pflichten auf der anderen Seite gedrängt, in eine Leidenschaft gerieth, wie sie dem Menschen [190] nur einmal eigen ist, so oft er sich zwischen zwei Feuern befindet. Erleichterung für sich selbst konnte der Prinz unter diesen Umständen nur dadurch erhalten, daß seine Gemahlin Eigenschaften offenbarte, welche die Untreue wo nicht rechtfertigen, doch wenigstens entschuldigen; da diese aber immer in derselben moralischen Schönheit dastand, und, ohne weder zur Rechten noch zur Linken aus der einmal vorgezeichneten Bahn zu weichen, nur immer darauf dachte, wie sie die Weiblichkeit retten wollte, so blieb ihm zuletzt nichts anderes übrig, als entweder sich selbst, oder diejenige zu hassen, die ihn, wenn gleich gegen ihren Willen, in einem solchen Widerspruch mit sich selbst erhielt. In der That, mehr, als alles andere, war dies die Quelle der heftigen Ausbrüche, welche sich der Erbprinz gegen seine Gemahlin erlaubte; und welche Wahrscheinlichkeit, daß sich dies jetzt noch abändern lassen [191] werde! Um anhaltend zu hassen, darf man nur beleidigen; und wen es befremdet, daß fürstliche Personen bei weitem tiefer in ihrem Hasse sind, als andere Erdensöhne und Töchter, der darf nur bedenken, daß jenen die Beleidigung unendlich mehr kostet, als diesen, weil sie sich auf die Kunst des Ausweichens bei weitem besser verstehen, und, nur im höchsten Drange der Noth und nie ohne ihrem Wesen zu entsagen, zu dem, was man Unhöflichkeit nennt, gebracht werden können. Fasset man dies gehörig, so hat man den Schlüssel zu sehr viel Erscheinungen, welche in der Regel äußerst schlecht interpretirt werden. Um nur nicht unhöflich seyn, oder beleidigen zu müssen, (und beides ist zuletzt einerlei) hat man sich, wer weiß wie oft, durch eine Vergiftung aus der Affaire gezogen. Dies ist besonders an großen Höfen der Fall gewesen, wo man noch weit mehr Ursach [192] hatte, die Folgen eines Skandals in Erwägung zu ziehen, als an kleineren, wo die Bürgerei zuletzt, wenn gleich in einer etwas veredelten Gestalt, ihr Wesen forttreibt. Wäre von den Scenen, welche täglich zwischen dem Prinzen und seiner Gemahlin statt fanden, nur eine einzige an dem französischen oder spanischen Hofe vorgefallen, so wäre eine Trennung – gleich viel unter welcher Form – unvermeidlich gewesen. Ich will damit nicht sagen, daß ihre Feindschaft in der Periode, von welcher hier die Rede ist, den höchsten Gipfel erstiegen hatte; allein es giebt Verhältnisse, bei welchen es gleich viel ist, welchen Grad der Verschlimmerung sie erreicht haben, so bald man sagen muß, daß sie aufgehört haben gut zu seyn. Die Erbprinzessin fühlte sich warlich nicht minder unglücklich, weil ihr Gemahl noch einige Rücksichten nahm, die unter Personen fürstlichen Standes nie [193] wegfallen dürfen, wenn sie nicht zu dem Pöbel herabsinken wollen.
Ich machte sehr bald die Bemerkung, daß ein weit höheres Maaß von Kraft erfordert wird, die Dinge in einem gegebenen Zustande zu erhalten, als sie zu leiten. Das Erstere ist in der Regel ganz unmöglich; die menschliche Natur ist es, was diese Unmöglichkeit hervorbringt. Das letztere läßt sich bewerkstelligen; nur erfordert es eine Überlegenheit des Geistes, wodurch man den Ausschlag über seine ganze Umgebung giebt. Nichts war dadurch gewonnen worden, daß ich mich neutralisirt hatte; allein wie meine Taktik so verändern, daß ich das Verlorne wieder gewann? Diese Aufgabe war schlechterdings nicht zu lösen, da ich es mit Personen zu thun hatte, durch welche sich kein einziger von den Planen ausführen ließ, die ich entwerfen konnte. Unaussprechlich leiden sah ich die Prinzessin, und [194] eben so unaussprechlich blutete mein Herz bei diesem Anblick; aber wie ich sie retten, oder wenigstens erleichtern sollte, darüber konnt' ich durchaus nicht mit mir selbst ins Reine kommen. Der Zufall that zuletzt mehr, als ich erwartet hatte.
Es war an einem von den schönen Tagen, durch welche der Frühling zum Sommer übergeht, als die Prinzessin mich gegen Abend zu sich rufen ließ. Ich eilte in ihre Nähe; wir waren allein. Der Vertrag, den wir stillschweigend geschlossen hatten, dauerte fort, und keine von uns beiden beabsichtigte einen Bruch desselben. Die Prinzessin bat mich indessen neben ihr Platz zu nehmen, und redete mich hierauf folgendermaßen an: »Ich kenne jetzt keine angenehmere Zerstreuung, als die der italiänischen Dichter, weil diese mich am schnellsten in die Regionen führen, wo ich die Wirklichkeit vergesse. Aber ich bin nicht länger im Stande, dies hohe [195] Vergnügen allein zu genießen. Sie, meine geliebte Mirabella, sollen es mit mir theilen. Wenn ich Sie ersuche, meine Vorleserin zu seyn, so leitet mich dabei der besondere Eigennutz, die Musik der italiänischen Poesie durch Ihre Stimme erhöht zu fühlen. Wählen Sie, welches Gedicht Sie wollen, und lesen Sie mir vor, was Ihnen beliebt.« Mit der besonderen Zärtlichkeit, die ich noch immer für Tasso's befreites Jerusalem hatte, wählte ich dies göttliche Gedicht; und da der Charakter der Erminia mich immer vor allen übrigen weiblichen Charakteren, die in demselben entfaltet sind, angezogen hatte, so las ich den sechsten Gesang vor. Ich war bis an die Stelle gekommen, wo Erminia auf ihrer Flucht beim Anblick des Lagers der Christen in folgende Klagen ausbricht:
O belle agli occhi miei tende Latine,
Aura spira da voi che mi recrea,
[196]E mi conforta, pur che m'avvicine.
Cosi a mia vita combattuta e rea
Qualche onesto riposo il Ciel destine,
Come in voi solo il cerco: e solo parme,
Che trovar pace io possa in mezzo all' arme.
Raccogliete me dunque, e in voi si trove
Quella pietà, che mi promise Amore etc.
Als die Prinzessin, von ihren Gefühlen überwältigt, in die Worte ausbrach: »O wäre doch auch für mich eine Flucht möglich!« und unmittelbar darauf dem gepreßten Herzen durch einen Strom von Thränen Luft machte. Mir fiel bei diesem Anblick das befreiete Jerusalem aus den Händen, und, meiner früheren Vorsätze uneingedenk, warf ich mich zu den Füßen der Prinzessin nieder, sie beschwörend, daß sie mir nichts verhehlen möchte. »Ich bin ganz die Ihrige,« rief ich aus, »so bald Sie verlangen, daß ich es seyn soll.«
Die Prinzessin sah mich mit der Miene [197] der Rührung an, und nachdem sie sich gefaßt hatte, sprach sie folgendes:
»Ich habe Sie nur allzugut errathen, Mirabella; um nicht zu verschlimmern, was sich nicht verbessern ließ, nahmen Sie diese Stellung an, worin Sie die Dinge sich selbst überließen. Aber ich hätte Sie nie kennen lernen müssen, wenn ich auch nur einen Augenblick an Ihrer Bereitwilligkeit, alles was in Ihren Kräften steht, für mich zu leiden und zu thun, hätte zweifeln sollen. In dem gegenwärtigen Augenblicke folgen Sie mehr Ihrem Gemüthe, als Ihrem Verstande; aber dies liegt so sehr in der Natur der Sache, daß Sie mir dadurch nur um so theurer werden. Wie die Lage der Sachen ist, wissen Sie, ohne daß wir jemals darüber gesprochen haben. Auch jetzt wollen wir nicht ausführlich darüber werden. Genug, daß ich die Verlassenheit, worin ich mich befinde, nicht länger ertragen kann. An [198] irgend ein menschliches Wesen muß ich mich anschließen können, wenn das Leben einen Werth für mich behalten soll. Mein Gemahl kann es nicht seyn, und wer bleibt mir übrig, als Sie? Ich stehe für nichts, wenn Sie sich mir noch länger entziehen. Berechnen Sie hiernach, was Sie thun müssen. Die Politik, von welcher Sie sich bisher leiten ließen, hat Ihrem guten Herzen zuletzt am meisten Wehe gethan. Warum wollen Sie ihr noch länger folgen? Verderben läßt sich nicht, was schon im höchsten Grade verdorben ist. Ich verzeihe Alles, und verzeihe mit der höchsten Freudigkeit des Gemüths; aber meine Bedingung ist, daß Sie sich fester, als jemals, an mich anschließen. Ihnen gegenüber werd' ich die Kraft haben, Alles zu ertragen, was mir noch bevorsteht; oder vielmehr, ich werde von nun an gar nichts mehr zu ertragen haben, und meines Daseyns von neuem froh werden. Hätt' ich [199] von mir allein abgehangen, wer weiß, ob ich jemals in ein Verhältniß getreten wäre, wodurch eine Scheidewand zwischen uns errichtet werden mußte? Da dies einmal geschehen ist, so wollen wir lieber gar nicht daran zurückdenken. Gewiß, wir sind uns selbst genug; nur müssen wir fest zusammenhalten, und auf die Wirklichkeit um uns her so wenig als immer möglich zurückblicken. Was hab' ich von meiner Freundin, von meiner Mirabella, zu erwarten?«
Meine Antwort auf diese Frage war, wie sie nach einer solchen Scene seyn konnte; ich wiederholte mein: »Ich bin die Ihrige mit Allem, was in mir ist;« denn ob sich gleich die Folgen dieser Vereinigung nicht berechnen ließen, so wollte ich doch lieber aus Heroismus edel, als aus Feigheit klug handeln.
Es war von diesem Augenblick an gleich viel, wo wir existirten; aber um der [200] Prinzessin einige Erleichterung zu verschaffen, entwarf ich den Plan zu einem Sommeraufenthalt auf einem drei Meilen von der Hauptstadt gelegenen Lustschlosse, welches seit vielen Jahren unbewohnt geblieben war. Voraussehen ließ sich, daß dieser Plan große Schwierigkeiten finden würde; vorzüglich von Seiten der Herzogin, wel che seit einiger Zeit ihre Schwiegertochter liebgewonnen hatte, weil sie wenigstens eben so unglücklich war, als die Herzogin selbst. Allein alle diese Schwierigkeiten ließen sich überwinden, sobald es mir gelang, den Kammerherrn des Erbprinzen in mein Interesse zu verflechten. Ich trat zu diesem Ende mit ihm in Unterhandlungen, und so bald er eingesehen hatte, daß für ihn selbst nichts dabei zu wagen sey, bestimmte er den Erbprinzen, seine Genehmigung zu geben. Es gewann für den großen Haufen der Hofleute das Ansehen, als sey eine Versöhnung zwischen [201] dem Erbprinzen und seiner Gemahlin erfolgt, weil ich darauf bestand, daß der Erbprinz, um den Schein zu retten, uns begleiten sollte, und er sich wirklich dazu hergab. Doch, von dem Nachmittag des zweiten Tages an, waren wir uns ganz selbst überlassen, und so wenig um die Folgen unserer Isolirung bekümmert, daß wir nur daran dachten, wie wir recht angenehm leben wollten. Ein ziemlich hoher Berg lag zwischen der Hauptstadt und dem Lustschlosse, und mehr bedurfte es nicht, uns glauben zu machen, daß wir von der ganzen Welt geschieden in dem Paradiese selbst lebten.
Die Lage des Lustschlosses war die reizendste, die man sich denken kann. Auf einer Anhöhe gelegen, war es rechts durch unabsehbare Wiesen und links durch einen dunklen Tannenwald begränzt. Vorn dehnte sich ein geräumiger Garten aus, den man anzubauen nicht vernachlässigt hatte, [202] und in welchem eine zahlreiche Orangerie neben den Treibhäusern hin ihre Wohlgerüche verbreitete. Hinten war ein dicht verwachsener Park mit zahmen Wildprett angefüllt, und an den Park lehnte sich eine Meierei mit hohen Lindenbäumen bepflanzt. Der Aufenthalt war über alle unsere Ertwartungen romantisch und bequem. Ihn durch nichts zu verderben, hatten wir von der Dienerschaft nur diejenigen mitgenommen, die uns unentbehrlich waren. Ein halb geöffneter Wagen mit zwei Pferden war unsere einzige Equipage; aber auch von ihm wollten wir nur selten Gebrauch machen. Unsere Genüsse sollten zugleich einfach und ausgesucht seyn; und dazu war vor allen Dingen nöthig, daß der Tisch nie befrachtet, die Bibliothek hingegen mit allen den Dichtern angefüllt war, die uns jemals entzückt hatten; denn da die Wirklichkeit uns einmal verhaßt war, so wollten wir ihr auf allen [203] möglichen Fittigen entfliehen. Unser Leben sollte, wenigstens für den nächsten Sommer, ein wahres Idyllenleben seyn, und um diese Idee immer gegenwärtig zu haben, nannte mich die Prinzessin in eben dem AugenblickChloe, wo sie mir gebot, sie selbst Daphne zu nennen.
Es fehlte uns beiden nicht an Erfindungskraft. Die ersten Morgenstunden wurden im Garten oder im Park verlebt, wo wir mit irgend einer leichten Arbeit in der Hand, mehr empfindend als denkend, uns nach allen Richtungen hin bewegten. Ward die Sonnenhitze uns allzustark, so begaben wir uns in einen Pavillon, wo wir abwechselnd vorlasen. Der Anfang wurde mit Gesners Idyllen gemacht; allein wir legten sie bald zurück, weil es uns vorkam, als ob der größte Reiz, den sie gewähren könnten, nicht in den Gemälden, sondern in der Einfassung enthalten sey. Ich hatte seit ungefähr [204] einem halben Jahre einen Theil meiner Muße auf das Studium der spanischen Sprache und schönen Literatur gewendet, und die Prinzessin mit dieser Liebhaberei angesteckt. Indem wir frühere Fortschritte gegenwärtig zu unserem Vergnügen benutzen wollten, verfielen wir auf die Diana des Montemayor, und machten sehr bald die Entdeckung, daß dies Meisterstück der sogenannten Schäferpoesie ohne Gleichen dasteht, und allen modernen Idyllendichtern zum Muster dienen muß, wofern der wahre Dichter eines Musters bedarf. Das dritte Buch der Diana, welches die Geschichte der unglücklichen Belisa enthält, bezauberte uns vor allen; wir wurden nicht müde es zu lesen und wieder zu lesen, bis wir ganz davon durchdrungen waren. Bezauberte uns Montemayors Einfachheit, so entzückte uns Boscan's und Garcilaso's kunstreiches Genie nicht minder. Es kam uns vor, als ob [205] der Strom der Gedanken und Empfindungen in diesen Dichtern etwas ganz Eigenthümliches habe, wodurch er von Anfang bis zu Ende aufs innigste zusammenhange und immer nur Ein Erguß sey. Noch andere spanische und italiänische Dichter wechselten mit diesen ab. War die Lektüre geendigt; so kehrten wir in das Lustschloß zurück, wo wir, im rechten Flügel, der lachendsten und unabsehbarsten Aussicht gegenüber, zu Mittag aßen, und uns auf diese Weise selbst das Materielle vergeistigten. Nur die einfachsten Gerichte durften auf unserer Tafel erscheinen, und junges Geflügel war die einzige Fleischspeise, die wir uns erlaubten. Die schwülen Mittagsstunden wurden verschlafen, oder verträumt, wofern dieser Ausdruck auf Personen anzuwenden ist, welche gewissermaßen nie aus ihrem Traum erwachten. Gegen Abend fuhren wir aus. Die ganze umliegende Gegend wurde von [206] uns besucht, und wo wir Gelegenheit fanden, unsere liebenden Gefühle zu ergießen, da blieb sie nicht unbenutzt. Ein leichtes Abendessen empfing uns bei unserer Zurückkunft, und unmittelbar darauf erfolgte jener süße Schlummer, den Gesundheit und Unschuld geben.
In diesem Kreislauf von Beschäftigungen und Vergnügen verstrich ein Tag nach dem andern, bis ein Schreiben von dem Kammerherrn des Erbprinzen mir zu verstehen gab, daß ich die Achtung für den Schein, auf welcher ich vor meiner Abreise in Beziehung auf die Prinzessin so nachdrücklich bestanden, seit meiner Ankunft auf dem Lustschlosse in Beziehung auf den Prinzen ganz aus den Augen gesetzt hätte. Der Vorwurf war gerecht; und wie schwer es uns auch fallen mochte, aus unserer Idyllenwelt, wär' es auch nur auf wenige Stunden, herauszutreten, so mußte doch irgend etwas geschehen, den [207] begangenen Fehler wieder gut zu machen. Ungefähr vierzehn Tage nach unserer Ankunft auf dem Lustschlosse fuhren wir also in die Hauptstadt zurück, um an dem Hofe zu mittag zu essen, und unmittelbar darauf in unsere Einsamkeit zurückzukehren. Ich befürchtete bei dieser Gelegenheit, daß die Erbprinzessin alle die Ungeduld beweisen würde, welche dann einzutreten pflegt, wenn wir uns von geliebten Formen losreissen müssen; allein meine Befürchtung war sehr überflüssig, und ich bemerkte jetzt zum erstenmale, wie meine Freundin, seit ihrer förmlichen Wiedervereinigung mit mir, eine Ruhe gewonnen hatte, die sich durch nichts stören oder unterbrechen ließ. Ein Seufzer aus der äußersten Tiefe der Brust, so bald wir das Stadtthor im Rücken hatten, war alles, was zum Vorschein trat, um ihre Liebe für Freiheit, Offenheit und Unschuld zu beurkunden; und als wir an Ort und Stelle angekommen[208] waren, drängte sich das Geständniß hervor: daß sie nur an meiner Seite glücklich leben könne.
Derselbe Besuch wurde alle vierzehn Tage wieder holt, und zur Abwechselung erhielten wir auch wohl auf einige Stunden die Ehre, von dem Herzog oder dem Erbprinzen selbst besucht zu werden. So wie aber die Zeit vorrückte, fingen wir an, den Winter zu fürchten, den wir uns als diejenige Jahreszeit dachten, in welcher die künftige Freiheit durch die drückendste Sklaverei erkauft werden müßte. Wohlmeinender, liebender und schuldloser konnten schwerlich zwei andere Wesen seyn; allein dies alles rettete uns nicht vor der Langenweile, der Kränkung und dem Argwohn. Mit unseren Eigenschaften mußten wir das Schicksal mancher anderer Weiber theilen, die nur deswegen verkannt werden, weil man ihre Eigenthümlichkeit nicht zu begreifen vermag. Den Klang des [209] Silbers kann man nur durch Silber erforschen; und eben so bedarf es einer sympathetischen Seele, um den wahren Gehalt eines edlen Gemüths kennen zu lernen. Warlich nicht alle Weiber sind lächerlich, die in die Regionen der Kunst und des Schönen streben. Wie können sie es vermeiden, wenn ihre bescheidensten Ansprüche auf die Wirklichkeit unerfüllt bleiben? Zuletzt will jede von uns, die nicht von der Wiege an verdorben ist, nur ihren rechtmäßigen Theil an häuslicher Zufriedenheit; aber wenn auch dieser versagt wird, bleibt dann etwas anderes übrig, als das wirkliche Glück durch ein eingebildetes zu ersetzen? Manche, die von einem bösen Dämon getrieben zu werden scheint, so lange sie disseits der Schwelle ihres Hauses verweilt; manche Andere, welche nur in der schönen Kunst lebt und alle ihre Nerven zerreisset, um als Schriftstellerin zu glänzen, würden, [210] wenn sie an den rechten Mann gekommen wären, das baare Gegentheil von dem geworden seyn, was sie jetzt sind. In der Begränztheit der meisten Männer liegt für Weiber, die nur einigermaßen einer Entwickelung fähig sind, eine zur Verzweiflung treibende Kraft. Das Weib will bewahren, was es instinktmäßig für sein Herrlichstes erkennt, die Weiblichkeit; aber durch die Einseitigkeit des Mannes aus sich selbst heraus getrieben, schwärmt es umher, die verlorne Stütze zu suchen, und findet es sie nicht in der Kunst, so muß es Ruhe in der Zerstörung seines Wesens finden. So endigen die meisten.
Unaufhaltbar näherte sich der Winter. Wir mußten unser Paradies verlassen und in die Hauptstadt zurückkehren. Die Verhältnisse am Hofe waren noch dieselben; aber das Gemüth der Erbprinzessin hatte durch den Aufenthalt auf dem Lustschlosse [211] eine Verwandlung erfahren, welche nicht ohne Folgen bleiben konnte. So lange ihr Gemahl die einzige Stütze war, die es für sie gab, mußte sie sich ihm, wenn gleich gegen ihren Willen und gegen alle ihre Neigungen, unaufhörlich nähern; und da konnte es denn nicht fehlen, daß sie zurückgestoßen und einmal über das an dere beleidigt wurde. Jetzt, wo sie in mir, oder vielmehr in ihrer Liebe für die schöne Kunst, eine Stütze gefunden hatte, jetzt war ihr der Gemahl so gleichgültig, als ob er gar nicht vorhanden gewesen wäre. Der Erbprinz mochte sich hierüber nicht wenig wundern; aber selbst dann, wenn er über diese Verwandlung gar nicht nachdachte, mußte es ihm sehr empfindlich seyn, daß er in seiner Gemahlin keinen Gegenstand des Hasses mehr hatte, während er eines solchen für seine anderweitigen Verhältnisse bedurfte. Immer ruhig, immer gelassen und heiter, ohne irgend [212] eine Spur von beleidigtem Stolze zu zeigen, und ohne irgend einen Anspruch zu bilden, wodurch sie den Neigungen ihres Gemahls in den Weg getreten wäre, stellte sich die Erbprinzessin beständig in den edelsten Formen dar, eben so sehr ein Gegenstand der Verzweiflung für denjenigen, der ihr etwas anhaben wollte, als der liebenden Huldigung für Alle, welche unbefangenen Gemüthes auf sie hinblickten. Dies mußte zu neuen Entwickelungen führen; ich sah es vorher und zitterte vor dem Ausgange, aber ich begriff den ersten Anfang nicht eher, als bis er gemacht war.
Von den Eigenschaften seiner Schwiegertochter bezaubert, und, weil eben diese Schwiegertochter mit allem Glanze der Gesundheit und Schönheit bisher unfruchtbar geblieben war, nicht ohne Sorge für seine Descendenz, wollte der Herzog von den Ursachen belehrt seyn, welche den [213] Erbprinzen und dessen Gemahlin von einander entfernt hielten. Da fehlte es nun nicht an Personen, welche, sich der Erbprinzessin annehmend, alle Schuld auf das Verhältniß schoben, worin ihr Gemahl noch immer mit seiner ersten Geliebten stand. Der Herzog war vor der Vermählung seines Sohnes von diesem Verhältnisse unterrichtet gewesen, hatte sich aber gar nicht träumen lassen, daß es noch immer fortdauerte. In Harnisch gesetzt durch die Entdeckung, wozu man ihm verholfen hatte, hielt er es für seine Pflicht, diesem Unwesen auf dem Wege der Gewalt sogleich ein Ende zu machen. Ohne also auf die Individualität seines Sohnes die mindeste Rücksicht zu nehmen, und ohne irgend eine von den Folgen, welche dieser Schritt nach sich ziehen konnte, schärfer ins Auge zu fassen, ertheilte er Knall und Fall den Befehl, daß Fräulein von M... nicht nur die Hauptstadt, sondern sogar [214] seine Staaten innerhalb vier und zwanzig Stunden räumen sollte. Ich würde alles aufgeboten haben, diesen Streich abzuwenden, wäre ich davon unterrichtet gewesen; allein er fiel so plötzlich, daß er bereits vollendet war, als ich die erste Nachricht davon bekam. Wie sehr ich auch wünschen mochte, daß es für die Erbprinzessin eine wahre Ehe geben möchte, so sah ich doch sehr deutlich ein, daß die Gewalt sie nie herbeiführen werde. Mir war daher sehr übel zu Muthe, als mich der Herzog einige Tage darauf zu sich berufen ließ, und mir erklärte, daß, nachdem von seiner Seite alles geschehen sey, um ein gutes Verhältniß zwischen der Erbprinzessin und seinem Sohne zu begründen, er nun auch von mir erwartete, daß ich das Meinige thun würde, um die Sachen in das gehörige Geleis zu bringen. So mußte freilich der Herzog sprechen, der, weil er im Besitz der Gewalt war, [215] alles nur in dem Lichte der Pflicht betrachten konnte; allein so konnte derjenige nicht sprechen, der das Wort zum Räthsel hatte und zu beurtheilen verstand, welche Hindernisse in der Erbprinzessin zurückblieben, nachdem alle Hindernisse in dem Erbprinzen aus dem Wege geräumt waren. Ich versicherte – und gewiß mit Wahrheit – daß es nie an mir gelegen habe, den Erbprinzen in dem Besitz seiner liebenswürdigen Gemahlin beglückt zu sehen; ich fügte aber zugleich hinzu, daß man es der Zeit überlassen müsse, diejenige Vereinigung der Gemüther hervorzubringen, ohne welche eine Ehe nicht denkbar sey. »Das sind Chimären,« erwiederte der Herzog. »Was bedarf es hier der Zeit? Die Erbprinzessin ist hübsch; mein Sohn ist nicht häßlich. Daraus folgt, daß sich beide lieben können. Ich bin zufrieden, wenn ich vor meinem Tode einen wackern Enkel habe.« Gegen eine [216] solche Sprache läßt sich nie etwas einwenden, und ohne dem Herzog noch irgend eine Bemerkung zu machen, welche seine Logik kompromittirt hätte, entfernte ich mich mit dem Versprechen, daß ich für die Erfüllung seiner Wünsche alles thun würde, was in meinen Kräften stände.
Die Erbprinzessin war gegen die Maaßregel ihres Schwiegervaters so gleichgültig geblieben, als ob sie tausend Meilen von ihr entfernt genommen worden wäre. Das Einzige, was sie dabei zu befürchten schien, war, daß der Prinz, der gewaltsamen Richtung folgend, welche sein Vater ihm gegeben hatte, sich ihr wieder nähern könnte. Sie war weit davon entfernt, ihn zu hassen; allein sie war eben so weit davon entfernt, ihn zu lieben. So theuer waren ihr seit Jahr und Tag ihre Beschäftigungen geworden, daß sie keinen anderen Wunsch hatte, als sich selbst überlassen, [217] d.h. ganz ungestört zu bleiben. Ich, meiner Seits, stand als die Urheberin dieser Vorliebe für das Schöne da, die sich ihrem ganzen Wesen so tief eingefugt hatte. Nie hatte ich eine andere Absicht gehabt, als ihr einen temporären Ersatz für das zu geben, was sie entbehren mußte. Wenn das, wobei ich immer nur an ein pis aller gedacht hatte, vermöge der Vortrefflichkeit ihrer Anlagen, etwas ganz Anderes geworden war – wer konnte die Schuld tragen, wenn sie nicht von eben diesen Anlagen übernommen wurde? Wie achtungswerth, ja wie liebenswürdig sogar, die innere Nothwendigkeit seyn mochte, worin die Prinzessin meinen Blicken erschien; so konnte ich mir doch nicht verhehlen, daß diese Nothwendigkeit eben so eisern sey, als jede andere. Denn wie die Ideale, in welchen sie lebte und webte, wieder aus ihr verdrängen? So lange sie in ihrem bisherigen Geleise blieb, [218] war für die Wünsche des Herzogs nichts von ihr zu hoffen. Es würde mir nichts gekostet haben, mein eigenes Werk in ihr zu zerstören, weil ich wohl einsah, daß es zerstört werden mußte, wenn die Prinzessin wieder in ihr emporkommen sollte; allein wie diese Zerstörung einleiten? Ich verzweifelte, so oft ich hierüber nachdachte; ich verzweifelte um so mehr, weil ich mich selbst genug kannte, um das Nothwendige in mir in einigen Anschlag zu bringen.
Da aber von meiner Seite irgend Etwas geschehen mußte, so glaubte ich nicht besser zum Ziele kommen zu können, als wenn ich mich mit dem Kammerherrn des Erbprinzen zur Wiedervereinigung der beiden fürstlichen Personen verbände. Ich ging von der Voraussetzung aus, daß er, als ein Mann von Verstand, vor allen Anderen mich verstehen müsse, so bald ich ihm über das Wesen der Prinzessin die Aufschlüsse[219] gäbe, die Niemand geahnet hatte. Ehe aber diese Aufschlüsse erfolgten, sondirte ich ihn über die Gesinnungen des Erbprinzen in Beziehung auf dessen Gemahlin. Was ich erfuhr, entsprach meinen Wünschen und übertraf alle meine Erwartungen; denn der Kammerherr sagte mir geradezu, daß der Erbprinz durch die Maaßregel seines Vaters zwar politisch beleidigt, aber nicht menschlich gekränkt worden sey, da er es schon seit längerer Zeit darauf angelegt habe, sich aus der Klemme zu ziehen, worin er sich bisher befunden. Er fügte hinzu, der Erbprinz würde schon seit mehreren Monaten zu seiner Gemahlin zurückgekehrt seyn, hätte diese ihn nicht eine niederschlagende Gleichgültigkeit blicken lassen, wodurch sein Stolz nothwendig hätte geweckt werden müssen. Ich rückte hierauf mit meinen Aufschlüssen über das Wesen der Erbprinzessin hervor. Der Kammerherr sah mich bei dieser Analyse [220] mit so großen Augen an, als ob von den sieben Wundern der Welt die Rede gewesen wäre. Unstreitig verstand er mich nicht, ob er sich gleich das Ansehn gab, als hätte er dies längst vermuthet. »Indem nun,« fuhr ich fort, »die Kräfte so einander entgegen wirken, begreifen Sie sehr leicht, daß unser Plan, in so weit er auf Vereinigung des Erbprinzen mit seiner Gemahlin abzweckt, nur auf einem einzigen Wege durchgetrieben werden kann. Alles ist verloren, wofern die Individualität beider gleich sehr respektirt wird. Von dem, was die Pflicht gebietet, kann hier gar nicht die Rede seyn; denn hat sie nicht immer geboten und ist sie nicht immer unter die Füße getreten worden? Sie müssen von der Voraussetzung ausgehen, daß die Neigungen Ihres Herrn die Erbprinzessin in die Form hineingedrängt haben, worin sie jetzt erscheint, und alles aufbieten, was in Ihren Kräften [221] steht, den Erbprinzen so zu stimmen, daß er keine unzeitigen Ansprüche an die Gemahlin macht, die das Weib in ihr verwerfen muß. Meine Sache wird es seyn, die Erbprinzessin aus dem geistigen Schwerpunkt, in welchem sie versunken ist, wieder heraus zu heben und den Engel in ihr von neuem zu verkörpern. Gemeinschaftlich müssen wir dahin arbeiten, den Erbprinzen in eine Achtung zu setzen, die er bis jetzt noch nicht gefunden hat. Da ich mich nie über ihn erklärt habe, so kann ich, ohne mich mit mir selbst in Widerspruch zu bringen, alles Gute von ihm sagen. Sorgen Sie ihrer Seits dafür, daß es mir dazu nicht an Veranlassung fehle. Wir Weiber achten an den Männern nichts so sehr, als die staatsbürgerlichen Tugenden, und ich stehe Ihnen dafür, daß ich die Prinzessin in den Prinzen verliebt mache, so bald dieser aufhört, seine Bestimmung nur von Seiten der [222] Genüsse zu schätzen, welche damit verbunden sind. Über kurz oder lang tritt er an die Stelle seines Vaters; bewegen Sie ihn doch, sich dazu in jeder Hinsicht vorzubereiten. Ganz neue Gefühle müssen in der Erbprinzessin erwachen, wenn sie, welche nie abfiel, sondern nur verdrängt wurde, wieder an den Gemahl angezogen werden soll.«
Entwürfe dieser Art können nur dann gelingen, wenn sie zwischen einer Palatine und einem Kardinal von Retz verabredet werden. Ich sage wohl nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß der veredelte Geist der Palatine auf mir ruhete, als ich diese Vorschläge that; aber der Kammerherr war weit davon entfernt, ein Kardinal von Retz zu seyn. Es war seine Legalität, was ihn unfähig machte, mit mir vereinigt zu wirken. Gegen den Zweck hatte er nichts einzuwenden; eben so wenig konnte er die Mittel mißbilligen; die [223] Moralität unseres Entwurfs war über allen Zweifel erhaben. Aber woher den Muth nehmen, seinem Herrn eine Richtung zu geben! Dies war die Klippe, an welcher alles scheitern mußte; und ich gestehe, daß, wenn ich diese Klippe geahnet hätte, ich meinen ganzen Entwurf für mich behalten haben würde. Der große, wenn gleich sehr verzeihliche, Fehler, den ich beging, bestand darin, daß ich Verstand und Genie verwechselte. Ich glaubte an dem Kammerherrn einen tüchtigen Gehülfen gefunden zu haben, weil er ein Mann von Verstand war; aber ich bedurfte eines Mannes von Genie, und davon war, genau genommen, keine Spur in dem Kammerherrn. Mochte er noch so sehr versichern, daß er mich vollkommen verstanden habe; er konnte meine Idee nur verderben.
Da meine Operationen von denen des Kammerherrn abhingen; so war ich auf [224] nichts so aufmerksam, als auf das Betragen des Prinzen gegen seine Gemahlin. Gewisse Modifikationen in demselben zeigten mir an, daß eine Unterredung statt gefunden haben müsse; aber diese Modifikationen hatten noch keinen so bestimmten Charakter, daß ich mit Sicherheit auf den Gehalt der Unterredung zurückschließen konnte. Mir schlug das Herz vor Ungeduld; in mehreren Billets zeigte ich dem Kammerherrn an, daß keine Zeit zu verlieren sey. Dieser mochte seiner Seits den besten Willen von der Welt haben; da er aber seiner Einsicht unterlag, so konnte er sein Geschäft nur verderben. Unfähig, einen solchen Charakter, wie der der Prinzessin nun einmal war, zur Anschauung zu erheben, und sich unstreitig einbildend, daß das, was wir erreichen wollten, sich auf mehr als einem Wege erreichen lasse, gab er seinem Herrn lauter solche Anschläge, daß dieser [225] sich in der Achtung der Prinzessin noch weiter zurücksetzen mußte. Soll ich das Betragen des Prinzen mit Einem Worte charakterisiren, so muß ich sagen, daß es ein galantes war. Was in aller Welt konnte aber die Prinzessin mehr empören, als dieses Gemisch von Ehrerbietung und Verachtung, zusammengehalten durch Heuchelei und Niederträchtigkeit? Sie hätte zu den allergemeinsten Naturen gehören müssen, wenn ihr der Prinz auf diesem Wege achtungswerth geworden wäre. Auch fühlte sie sich tief verwundet; und ob sie gleich kein Wort fallen ließ, wodurch sie ihren inneren Zustand offenbaret hätte, so zeigte doch eine gewisse unbeschreibliche Traurigkeit, wie heftig der Schmerz war, der ihr Innerstes durchwühlte. Es lag am Tage, daß der Kammerherr sich nicht hatte von der Idee losreissen können, die er von der Gebrechlichkeit des weiblichen Geschlechts hatte; und wollen wir ihm [226] hier Vorwürfe darüber machen, daß er in dieser Hinsicht auf Einer Linie mit den meisten Männern stand, welche nie begreifen können, wie es außer ihrer Realität noch eine andere geben könne?
Es versteht sich von selbst, daß ich neutralisirt war, so bald die Sache diese Wendung genommen hatte; denn ich hatte mich nur zur Nachhülfe anheischig gemacht, und diese konnte nicht statt finden, so bald das ganze Werk verdorben war. Dies war indessen etwas, wovon sich der Kammerherr nicht überzeugen konnte. Da er sich einem so schwierigen Geschäfte einmal unterzogen hatte, so wollte er dies auch mit Verstand gethan haben. Hierüber fand kein Capituliren mit ihm statt; und weil ich ungern zankte, so blieb ich weit davon entfernt, ihm auch den glimpflichsten Vorwurf zu machen. Er selbst trat mit Vorwürfen hervor, so bald er sah, daß die Sache, anstatt von der Stelle zu[227] rücken, nur schwerkräftiger und schlimmer wurde. Mir war hierbei sehr übel zu Muthe; denn ich sah sehr deutlich ein, daß ich mich in die fatalste Lage von der Welt gesetzt hatte. Es konnte nämlich nicht fehlen, daß ein Ungewitter von Gemeinheit über meinem Haupte losbrach, sobald die von mir zuerst entworfene Wiedervereinigung des Erbprinzen mit seiner Gemahlin nicht wirklich erfolgte. Was blieb mir aber, wenn dies durchaus geschehen mußte, anderes übrig, als entweder meinem Gehülfen den Prozeß machen, oder meinem ganzen Wesen zu entsagen und der Prinzessin eine Gemeinheit aufdringen, die mir selbst fremd war, und die sie ewig verabscheuen mußte? Zu beidem war ich gleich unfähig; ich konnte daher nur die Hände in den Schooß legen, und den Donner, der mich vernichten sollte, voll Ergebung erwarten. In der That, mein Geschlecht ist in jeder Hinsicht [228] sehr übel daran. Werden die Plane eines Biedermannes vereitelt, so darf er sich deshalb rechtfertigen, und je kräftiger er die Wahrheit sagt, desto mehr ehrt man seine Tugend. Ein edles Weib hingegen kann die allertriftigsten Gründe der Rechtfertigung haben; sie darf davon immer nur innerhalb der Schranken der Weiblichkeit Gebrauch machen, wenn sie nicht alles verlieren will. Wie viele weibliche Thränen würden unvergossen bleiben, wenn dem weiblichen Geschlecht die Sprache des Gemüths gestattet wäre!
Was ich mit so viel Bestimmtheit vorhergesehen hatte, blieb nicht lange aus. Die ganze Schuld des Mißlingens fiel auf mich zurück, ob ich gleich nicht dahin gelangt war, auch nur einen Finger in der Sache selbst in Bewegung setzen zu können. Es kam nur noch darauf an, sich das Wie zu erklären. Man er schöpfte sich in Vermuthungen über die Natur [229] meines Verhältnisses mit der Prinzessin; und da es unmöglich war, das Wort zum Räthsel zu finden, so machte man es wie immer: das Heiligste wurde bis zur Scheußlichkeit entheiligt. Man sprach ganz laut von Lastern, die uns selbst dem Namen nach unbekannt waren. Und welche Bewegungsgründe legte man mir unter! Nach Einigen hatte ich es darauf angelegt, die Mätresse des Prinzen zu werden; nach dem Urtheil Anderer war ich damit umgegangen, den Kammerherrn zu erobern, um, nach dem Tode des Herzogs, gemeinschaftlich mit ihm das Land zu regieren. Ein Paar Familien, welche seit hundert und funfzig Jahren im Besitz großer Vorrechte waren, und sich steif und fest einbildeten, daß von der Behauptung dieser Vorrechte nicht nur die Wohlfahrt des Herzogthums, sondern auch die des ganzen heiligen römischen Reichs abhange, nannten mich eine Verderberin [230] der guten Sitten, weil ich eine Fremde war und meine Gesellschaftsdamen-Stelle nicht ihrer Großmuth verdankte. Der Herr Hofcapellan, auf dessen Intriguen ich nicht hatte eingehen wollen, vereinigte sich mit den Übrigen, und eröffnete den förmlichsten Kreuzzug gegen mich, indem er über den Text predigte: Es ist besser, daß Einer umkomme, denn daß das ganze Volk verdorben werde. Rache, Neid und Bosheit liehen der Verleumdung ihre Waffen, um mich zu Grunde zu richten, und nie wirkte eine Verschwörung, in welcher nichts verabredet war, conzentrirter. Hätte man wenigstens die Erbprinzessin verschont! Doch um mich zu stürzen, glaubte man die ganze Hölle in Bewegung setzen zu müssen.
Verworren und dumpf hallten zu der Prinzessin und zu mir die Gerüchte herüber, die man auf unsere Kosten verbreitete. Was sollte, was mußte geschehen,[231] um das Ungewitter abzuleiten? Ich gestehe, daß es Augenblicke gab, in welchen ich mich zermalmt fühlte; aber diese Augenblicke gingen um so schneller vorüber, weil meine Liebe für die Prinzessin immer die Oberhand behielt. Noch hatte sie kein Wort von dem Entwurf erfahren, welcher zwischen dem Kammerherrn und mir zu ihrer Wiedervereinigung mit dem Erbprinzen war verabredet worden. Ich hielt es für meine Pflicht, sie gegenwärtig damit bekannt zu machen, weil in diesem Entwurfe alle die Unfälle eingewickelt lagen, die seitdem über uns zusammengeschlagen hatten. Sie lächelte, als meine Erzählung geendigt war. »Mein Wille war rein,« fuhr ich fort; »meine Absicht edel; meine Mittel auf die herrliche Natur meiner Freundin berechnet.« »Dies ist es nicht,« erwiederte die Prinzessin, »was mir ein Lächeln abdringt; ich lächle nur darüber, daß meine Mirabella auch nur [232] einen Augenblick an die Besieglichkeit der Gemeinheit glauben konnte. Doch was geschehen ist, läßt sich nicht ändern, fuhr sie fort; und die Hauptsache ist und bleibt, welche Maaßregeln wir ergreifen müssen, um aus diesem Kerker ins Freie zu kommen? Was meinen Sie?«
Ich sah es der Prinzessin an, daß sie große Lust hatte, mein Geschick zu theilen; allein dies war etwas, das ich aus allen Kräften, wenigstens für den Augenblick, abwenden mußte. Ich sagte ihr also: Ich nähme mit Freuden die ganze Schuld auf mich, und würde mich darüber an Ort und Stelle schon zu verantworten wissen. Da man es nur auf meine Entfernung anlegte, so wollte ich auch die Einzige seyn, welche das Terrain räumte, ein noch größerer Triumph wäre zu viel Ehre für diese erbärmlichen Seelen. Der Besiegte hätte in den Augen der Welt immer Unrecht, und darum müsse die Prinzessin [233] nicht als besiegt erscheinen. Ich gäbe zu, daß ihr der Aufenthalt an diesem Hofe unerträglich seyn würde, so bald ich mich entfernt hätte; allein es käme auch nur darauf an, einen besseren Vorwand zu finden, und dieser würde nicht zu theuer erkauft, wenn die peinliche Lage der Prinzessin noch einige Monate fortdauerte. Am Ende hätte sie es doch immer in ihrer Gewalt, mit gebietender Herrlichkeit hervorzutreten, so bald sie es für gut befände; denn all dies Volk, das sie in dem gegenwärtigen Augenblick um meinetwillen verunglimpfe, würde sie anbeten, so bald sie es verlangte. »Ob Egoismus, oder Liebe für meine Freundin,« fuhr ich fort, »meine Schritte leitet, darüber kann wohl kein Zweifel statt finden. Alles, was ich vernünftiger Weise bezwecken kann, ist: Rettung derjenigen, die ich gegen alle meine Absichten unglücklich gemacht habe. Ich will bleiben, so bald Sie mir beweisen [234] können, daß mein Bleiben sicherer zum Ziele führt. Allein davon werd' ich mich nie überzeugen; denn der Kampf, in welchen wir gerathen sind, ist von einer so seltsamen Beschaffenheit, daß wir, selbst mit dem höchsten Muthe, die Flucht ergreifen müssen, wenn wir uns nicht für immer besudeln wollen. Sagen Sie selbst, meine Freundin, wodurch wollen wir die Gerüchte niederschlagen, die man gegen uns in Gang gebracht hat? Der bloße Versuch würde uns brandmarken. In uns beiden ist so Vieles enthalten, was sich durchaus nicht vor Gericht stellen läßt; und wer würden unsere Richter seyn, wenn wir es auch in unserer Gewalt hätten, unsere Gegner zu fassen? Das Leben gilt mir alles in Beziehung auf Sie; aber eben deshalb möchte ich nicht vor der Zeit untergehen. Hier können wir uns nur durch das Gefühl unserer Ohnmacht vernichten. Hab' ich mich aber [235] einmal aus dem Strudel gerettet, der uns in seinen Abgrund zu ziehen droht, so bekomm' ich meine ganze Freiheit wieder; und meine Energie wird um so größer seyn, je ehrwürdiger mir das Ziel ist, das ich verfolge. Erlauben Sie mir, zu Ihren Eltern zurück zu reisen, um diesen die nöthigen Aufschlüsse über Ihre Lage zu geben.«
Die Prinzessin empfand, daß ich Recht hatte. Es war nun nur noch davon die Rede, wie meine Entfernung einzuleiten sey. »Ich habe,« sagte ich, »nur von Ihnen abgehangen, und kann daher meinen Abschied nur aus Ihren Händen erhalten.« Die Prinzessin setzte sich sogleich nieder, um dem Herzog und ihrem Gemahl zu melden, daß sie für gut befunden habe, mich zu entlassen, nachdem ich selbst darauf angetragen. Unter stummen Umarmungen schieden wir von einander, nicht ohne Thränen, diesen ewigen Symbolen [236] der Ohnmacht. Mein Reisekoffer war bald gepackt, und nach zwei Stunden befand ich mich auf dem Wege nach W..., freier athmend, mit tausend Entwürfen für die Zukunft beschäftigt, das Bild der geliebten Prinzessin immer vor Augen habend.
Ich kam wohlbehalten an. Mit meinem Berichte fand ich Eingang, so weit die elterlichen Gefühle reichten; da diese aber bei fürstlichen Personen durch politische Verhältnisse in sehr engen Schranken gehalten werden, so war das letzte Resultat meiner großmüthigen Unternehmung, daß man das Schicksal einer geliebten Tochter beklagte, und es ihrem Verstande überließ, die Gewalt desselben zu brechen. Vergeblich sagte ich, daß dies nur dadurch geschehen könne, daß die Prinzessin zur Gemeinheit herabsänke. Die einzige Antwort, die ich hierauf erhielt, war: daß man sich nach seiner [237] Umgebung bequemen müsse. Unstreitig bedachten diejenigen, die mir diese Antwort gaben, nicht, wie abscheulich sie war; ich aber mußte fortan den Muth verlieren, mich noch einmal zu verwenden. Zwar blieb ich in der Nähe des Hofes, und so oft ich an demselben erschien, wurde ich auf eine Art empfangen, welche sehr deutlich anzeigte, daß man mich um der Ideale willen ehrte, die aus mir sprachen; allein, da alle Berührungspunkte, in welchen ich ehemals gestanden hatte, wegfielen, so beschlich mich die Langeweile, und um dieser zu entrinnen, gab es keinen besseren Ausweg, als die Einsamkeit. Mit der Prinzessin blieb ich in Verbindung. Posttäglich empfing ich Briefe von ihr, worin sie mich mit den Begebenheiten des ...schen Hofes bekannt machte; posttäglich antwortete ich ihr, und jeder meiner Briefe enthielt irgend eine Aufforderung, ihren Charakter zu behaupten. Denn [238] ich konnte mich durchaus nicht von der Idee losreissen, daß ein menschliches Geschöpf alles preisgiebt, wenn es dem Heiligsten entsagt, das in ihm ist. Über diesen Punkt war ich mit mir selbst vollkommen im Reinen; und wenn nur diese Denkungsart eine männliche genannt werden kann, so ist es die meinige nicht blos gewesen, sondern auch immer geblieben.
Geschahe es, um meine Einsamkeit aufzuheitern, oder liebenden Gefühlen einen unmittelbaren Gegenstand zu verschaffen, daß ich mich um diese Zeit eines von seinen Eltern verlassenen liebenswürdigen Kindes annahm? Vielleicht war noch etwas Höheres dabei im Spiele. Der Mensch hört nicht auf, die Unschuld zu lieben, welche im Fortgange seiner Entwickelung so nothwendig als unwiderbringlich verloren geht. Nun hatte ich zwar die meinige bisher bewahrt; allein je theurer sie mir zu stehen kam, desto mehr[239] wünschte ich, recht viel an ihr zu besitzen. Sie mir nach ihrem ganzen Werthe zu vergegenwärtigen, gab es unstreitig kein besseres Mittel, als die symbolische Repräsentation derselben in einem Kinde. Ich müßte mich sehr irren, oder es ist nichts als verlorne Unschuld, was so viele Menschen so allmächtig zu Kindern hinzieht; in diesen wollen sie wiederfinden, was für sie selbst nicht mehr vorhanden ist; in diesen wollen sie sich die Möglichkeit einer vom gesellschaftlichen Leben unbefleckten und selbst in ihrer höchsten Entwickelung schuldlos gebliebenen Seele denken. So etwas wirkte freilich nicht in mir; aber, ohne den ersten Anflug davon, würd' ich schwerlich dahin gekommen seyn, mich mit einem Wesen zu verbinden, das in jeder Hinsicht ein Kind war. Von Ideen der Nützlichkeit wurde ich durchaus nicht geleitet; das Nützliche ordnete sich in mir dem Schönen ganz von selbst unter. [240] Um übrigens mein Wesen auf meinen Liebling zu übertragen, erzog ich ihn nach eben den Maximen, welche meiner eigenen Erziehung zum Grunde gelegen hatten. Vor allen Dingen flößte ich ihm die Liebe zur Reinlichkeit und Ordnung ein. Überhaupt dachte ich mir den Körper immer als den Abglanz der Seele; und so wie ich selbst von dem Bedürfniß der physischen Sauberkeit zu dem einer metaphysischen aufgestiegen war, so sollte dies auch bei meinem Zögling der Fall werden. Dies ist mir auch ganz nach Wunsch gelungen, und hätte das Schicksal nicht gewollt, daß meine Luise vor mir hinsterben sollte, so könnt' ich auf die Frau des Professors D... als auf ein Muster aller weiblichen Tugenden hinweisen, diejenigen gar nicht ausgenommen, die zu üben ich selbst nie Gelegenheit gehabt habe. Ich kann von meinem edukatorischen Verdienste jetzt nicht ausführlicher sprechen, [241] wenn ich meine eigene Entwickelungsgeschichte nicht allzuweit aus den Augen verlieren soll.
Während ich mich in Luisen – so hieß mein Zögling – zum zweitenmale erzog, und, weil ich mir selbst lebte, auf keine Weise in der Stimmung gestört wurde, die mich zur Harmonie mit der ganzen Welt führte, gerieth die Erbprinzessin aus einer mißlichen Lage in die andere. Von ihren fürstlichen Eltern verlassen, jeder anderen Stütze beraubt, den Intriguen des ...schen Hofes blosgestellt, und, weil sie überall dieselbe Gemeinheit fand, zuletzt an sich selbst verzweifelnd, schwankte sie so lange hin und her, bis sie sich zu einer Aussöhnung mit ihrem Gemahle entschloß. Von welcher Art diese Aussöhnung war, ist leicht zu errathen; zwei so ungleiche Naturen können nie zu einem dauerhaften Einverständniß zusammenschmelzen, nie diejenige [242] Einheit bilden, ohne welche die Ehe nur ein leerer Schall ist. Immer war indessen die Parthie, welche die Prinzessin genommen hatte, die beste, die sie den Umständen nach nehmen konnte; denn so lange sie auf ihrem Eigensinn beharrte, mußte sie den Hof in einer verderblichen Gährung erhalten, nicht zu gedenken, daß der Erbprinz von allen Personen ihrer Umgebung zuletzt noch die zuverlässigste und edelste war. Die Prinzessin trug einiges Bedenken, mich in diesem Schritte preiszugeben; allein ich selbst hob alle die Gewissensskrupel, welche sie sich hierüber machte. In der That, was konnte es mir, nachdem ich mein Schicksal einmal von dem der Prinzessin getrennt hatte, noch verschlagen, daß man mich am ...schen Hofe eine Furie nannte, welche sich zwischen dem Erbprinzen und dessen Gemahlin in die Mitte gestellt und den Frieden des Hofes gestört hätte? Ich kannte [243] nach gerade die Welt allzugut, um nicht zu wissen, daß es den wenigsten Sterblichen verliehen ist, den Kern von der Schaale, das Wesen von den Formen desselben zu unterscheiden. »Wie man sich auch über mich erklären mag,« schrieb ich der Prinzessin, »so ersuche ich Sie, keine Notiz davon zu nehmen. Mich treffen diese Urtheile nicht; und eben deswegen dürfen sie Ew. Durchlaucht nicht berühren. Die Hauptsache ist und bleibt, daß die ewigen Oscillationen des Hofes zum Stillstand gebracht werden; und wenn dies durch Aufopferung meiner Renommée zu Stande gebracht werden kann, so bin ich damit sehr zufrieden; ich schätze mich sogar glücklich, daß ich mich in Gedanken an die nicht unbedeutende Anzahl der besseren Menschen anschließen kann, die man für Verbrecher oder Wahnsinnige hielt, weil man sie durchaus nicht verstand. Übrigens bin ich unbesorgt für [244] meine Freundin und Beschützerin. Wie auch ihre Umgebung sey, sie wird den Idealen nicht ungetreu werden, die sie bisher zwar gemartert, aber auch hoch beglückt haben; und denke ich mir vollends, daß ihr im Verlaufe der Zeit die Verwandlung ihres Gemahls gelingen werde, so möchte ich die Stunde segnen, wo ich mich freiwillig aus ihrer beglückenden Gegenwart verbannete, um ihr ein besseres Geschick vorzubereiten. Es ist höchst selten der Fall, daß die Dinge gerade die Wendung nehmen, die wir ihnen geben möchten; aber dafür nehmen sie oft eine weit glänzendere.«
Dieser Schluß meines Briefes drückte mehr meine Wünsche als meine Hoffnungen aus. Wie hätte ich auch das Mindeste hoffen können, da sich nicht begreifen ließ, wie eine solche Verwandlung des Erbprinzen zu Stande kommen könnte? Hat sich das Zarte einmal in eine Verbindung [245] mit dem Starken eingelassen, so muß es sich auch darauf gefaßt machen, in ihm unterzugehen. Ich konnte nicht an die Prinzessin zurückdenken, ohne mich der unglücklichen Johanna von Castilien zu erinnern, welche, mit dem Erzherzog Philipp vermählt, so lange mit der Stärke ihres Gemahls rang, bis alle ihre Nerven rissen. Der unbesiegliche Theil des Erbprinzen war jene Heftigkeit, vermöge welcher erschütternde Sensationen ihm allein lieb und werth waren. Er konnte der Mann, aber nie der Gemahl der Prinzessin werden; denn um das letztere zu werden, hätte er sie begreifen und verstehen lernen müssen, wozu auch nicht die mindeste Anlage in ihm war, ob man gleich nicht mit Wahrheit behaupten konnte, daß es ihm an gesundem Verstande und an einem gewissen Adel in den Gesinnungen fehle. Auf jeden Fall mußte die körperliche Schönheit der Prinzessin [246] für dies Verhältniß das Beste thun, und die Sinnlichkeit des Erbprinzen die Vermittlerin einer Harmonie werden, die, wie lange sie auch dauern mochte, ihre Dauer nie über die den körperlichen Reizen von der Hand der Natur selbst gesetzten Schranken hinaus erstrecken konnte. Auch quälte mich in Beziehung auf die Prinzessin nichts so sehr, als der Gedanke an ein trostloses Alter, und mit Schaudern dachte ich an ihre Schwiegermutter zurück, die, bei einem weit geringeren Grad von hellen Gedanken und bestimmten Empfindungen, so nahmenlos unglücklich geworden war, daß man ihr Schicksal verabscheuen mußte.
Noch war seit unserer Trennung kein Jahr verstrichen, als mir die Prinzessin meldete, daß sie sich schwanger fühle. Wie viel Mühe es ihr auch gekostet haben mochte, die mit diesem Geständniß für sie verbundene Schaamröthe zu überwinden, so durchblitzte mich doch bei dieser [247] Nachricht ich weiß selbst nicht welche Ahnung eines besseren Geschickes für meine Freundin. Nicht als hätte ich künftige Mutterfreuden in einen hohen Anschlag gebracht; wie hätte ich dies thun können, da ich aus Erfahrung wußte, daß die Kinder fürstlicher Personen nur einen politischen Werth haben, und eben deswegen als Unterpfänder gegenseitiger Liebe wenig oder gar nicht auf ihre Eltern zurückwirken? Sondern weil ich mir sagte, daß der Zweck der ursprünglichen Verbindung meiner Freundin mit dem Erbprinzen jetzt erfüllt würde, und daß sich von dieser Erfüllung ein höheres Maaß von Freiheit für die vom Schicksal Verfolgte erwarten ließe. Meine Ahnung war, wie die Folge zeigen wird, sehr richtig; was mir aber für den Augenblick die höchste Genugthuung gewährte, war: daß der ganze ...sche Hof, von dem ersten Augenblick der erklärten Schwangerschaft [248] der Erbprinzessin an, um meine Freundin Kreis schloß, daß der alte Herzog außer sich war vor Freuden, seinen letzten Wunsch in Erfüllung gehen zu sehen, daß selbst die Herzogin zu einem neuen Leben erwachte, als sie die erfahrne Rathgeberin machen konnte. Dazu kam noch, daß, außer den Jagdparthien, welchen die Erbprinzessin gegen alle ihre Neigungen hatte beiwohnen müssen, noch alle übrigen geräuschvollen und heftigen Zeitvertreibe eingestellt wurden, welche ihren gegenwärtigen Zustand gefährlich machen konnten. Der ganze Hof wurde durch die Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, in eine Stimmung gebracht, welche dem ruhigen, von keinen Leidenschaften zersetzten Gemüth meiner Freundin entsprach; und unaussprechlich war die Freude, als sie, nach Ablauf der gewöhnlichen Zeit, von einem so starken als schönen Prinzen genaß. Sie selbst meldete [249] mir, wenig Tage nach ihrer Niederkunft, ihre Entbindung, und forderte mich auf, gegenwärtig zu ihr zurückzukehren, weil sie es in ihrer Gewalt habe, mich vor allen Verfolgungen zu sichern. Hätte ich dem Zuge des Instinkts folgen wollen, der mich unablässig zu meiner Freundin hintrieb; so hätte ich, wie lieb mir auch meine Einsamkeit geworden war, keinen Augenblick verlieren dürfen, mich auf den Weg zu machen. Allein ich zog in Betrachtung, daß die temporelle Ergebenheit des Hofes gegen die Erbprinzessin, wie groß sie auch seyn möchte, keine wesentliche Veränderung in seinen Ideen und Tendenzen hervorgebracht haben könnte; und, wie wenig ich auch mein eigenes Selbst in Anschlag bringen mochte, so blieb es noch immer problematisch, ob meine Wiedererscheinung nicht das Gegentheil von dem wirken würde, was die Erbprinzessin sich davon versprach. In [250] diesem Sinne schrieb ich meine Entschuldigungen nieder; und um der Prinzessin, welche nicht aufhörte, sich nach mir zurück zu sehnen, nicht auf einmal alle Hoffnung zu rauben, versprach ich zu kommen, so bald der Erbprinz seinem Vater in der Regierung gefolgt seyn würde.
Dieser Zeitpunkt stellte sich weit früher ein, als ich es geglaubt hatte; denn der alte Herzog starb wenige Monate darauf. Da die Prinzessin mich an mein Versprechen erinnerte, so machte ich mich auf den Weg, so bald ihr Gemahl mich in einem eigenhändigen Schreiben dazu aufgefordert hatte. Ich kam früh genug an Ort und Stelle, um den Festlichkeiten der Succession beizuwohnen. Die junge Herzogin empfing mich mit all dem Enthusiasmus, welcher ihrer schönen Seele eigen war; aber eben dieser Enthusiasmus sagte mir auch, daß hier alles noch beim Alten sey; denn die Wiedererscheinung der [251] Freundin mußte minderen Eindruck machen, wenn zwischen Gemahl und Gemahlin eine wirkliche Harmonie statt fand. Ich sollte mich auf der Stelle entschließen, den Posten einer Oberhofmeisterin bei der jungen Herzogin anzunehmen; allein wie hätte ich dies gekonnt, ohne dem warnenden Genius entgegen zu streben, der mir zuflüsterte, daß hier kein Gedeihen für mich sey? Im Grunde war ich nur gekommen, das Terrain zu rekognosziren. Ich bat also, daß man mir Zeit lassen möchte; und ich that wohl daran, mich nicht zu übereilen. Der Geist des Hofes war durchaus derselbe. Kaum war es bekannt geworden, daß ich bestimmt sey, Oberhofmeisterin zu werden, als jene Paar Familien, von welchen oben die Rede gewesen ist, alles aufboten, um mich zu kränken und wieder zu entfernen. Ich war aufrichtig genug, darüber mit der Herzogin zu sprechen. Sie zog die Schultern, [252] und eine Thräne des ohnmächtigen Unwillens drang aus ihren schönen Augen.
»Sie haben Recht, Mirabella,« sagte sie, »hier kein Gedeihen zu erwarten; und könnten Sie noch in meiner Achtung gewinnen, so würde es durch die Entsagung geschehen, womit Sie in Beziehung auf sich selbst zu Werke gehen, indem Sie die Stelle der Ersten Dame von sich ablehnen. Ich muß es ganz Ihrem Gutbefinden überlassen, ob Sie bei mir bleiben wollen oder nicht. Welche Parthie Sie aber auch ergreifen mögen, nie werd' ich an Ihnen irre werden, so lange noch etwas in mir ist, wodurch ich das Edle von dem Gemeinen, das Schöne von dem Häßlichen zu unterscheiden im Stande bin. Ich habe, um alles mit einem Worte zu sagen, weder das Recht, Sie unglücklich zu machen, noch die Befugniß, von Ihnen zu verlangen, daß Sie mich durch engeres Anschließen an meine Person noch unglücklicher [253] machen sollen, als ich gegenwärtig bin; denn dies ist es doch zuletzt, was Sie allein vermeiden wollen.«
Es giebt, behaupte ich, kein angenehmeres Gefühl, als sich in einer großmüthigen Idee errathen zu sehen. Und wären mir, während meines kurzen Aufenthalts am ...schen Hofe, die größten Beleidigungen widerfahren; so würd' ich sie in diesem Augenblick vergessen haben. Ich küßte die Hand der Herzogin voll stummer Wehmuth, während sie mit einem Blick, aus welchem etwas Göttliches strahlte, mich ihre ewig theure Mirabella nannte.
Um mir meinen Aufenthalt in der Nähe eines so herrlichen Wesens nicht unnöthig zu verbittern, sorgte ich dafür, daß es noch an demselben Tage bekannt wurde, daß ich die Stelle einer Oberhofmeisterin abgelehnt hätte. Die Wirkungen dieser Nachricht zeigten sich bald. Um die Achtung [254] der meisten Menschen zu gewinnen, darf man ihnen nur unbegreiflich werden. Je weniger man darauf gerechnet hatte, daß ich eine so einträgliche und ehrenvolle Stelle ausschlagen würde, desto emsiger drängte man sich zu mir, um das Warum zu erforschen. Wie geschmeidig waren nun mit einemmale alle die Creaturen, welche sich noch kurz vorher so trotzig und boshaft bewiesen hatten! Dem Kammerherrn muß ich indessen die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er sich auch jetzt seinem legalen Charakter gemäß bewies. Kaum konnte ich mich bei seinem Anblick des Lachens enthalten, so feist und glänzend hatte ihn seine Legalität gemacht, die in ihm, wie in allen anderen Menschen, sich ganz vortrefflich mit der goldenen Mönchsregel vertrug: »daß man seine Pflicht handlich erfüllen, den Herrn Abt in Ehren halten und die Welt gehen lassen müsse, wie sie nun einmal gehen [255] will.« Es war eine Lust, zu sehen, wie der ehrliche Kammerherr, von seiner Corpulenz gedrückt, auf einem Lehnstuhl da saß, die Ellenbogen auf die Lehnen gestützt, die Daumen um einander schiebend, und von Zeit zu Zeit so tief aufathmend, als ob die Bürde der Weltregierung auf ihm lastete. Und diesen Ehrenmann hatte ich einmal in meine Ideale verwickeln wollen; und diesem Manne hatte ich zugemuthet, einem jungen Prinzen Erhebung und bleibenden Antrieb fürs Edle zu geben! Fehlgriffe dieser Art werden in der Welt nicht selten gemacht; aber sehr selten lacht man darüber, weil man nicht auf die Kontraste merkt, zu welchen sie führen. Ich wollte einen Versuch machen, mit dem guten Kammerherrn über unseren ehemaligen Entwurf zu plaisantiren; allein ich hatte kaum davon zu sprechen angefangen, als der Schweiß aus allen seinen Poren hervorbrach; unstreitig weil [256] er sich noch sehr lebhaft der Folter erinnerte, auf die ich ihn gesetzt hatte.
Der bewaffneten Neutralität, in welcher ich den Hofleuten gegenüber dastand, verdankte ich es, daß der Rest meines Aufenthalts am Hofe sehr angenehm war. Lange durft' ich aber nicht bleiben, wofern ich nicht Mißtrauen und Eifersucht erregen wollte. Ich trennte mich also von der Herzogin, so bald ich es nur über mich erhalten konnte. »Wir sehen uns wieder,« sagte sie beim Abschied; »und so Gott will, kommt nun die Reihe des Aufsuchens an mich.« Ich verstand dies so, als ginge sie damit um, ihre Eltern zu besuchen, und antwortete in diesem Sinne. Nähere Verabredungen wurden unter uns nicht genommen. Ich trat meine Rückreise mit frohem Herzen an, weil mir volle Genugthuung zu Theil geworden war. Was ich nach meiner Zurückkunft unserem Hofe berichtete, machte um so mehr Vergnügen, [257] weil es eine indirekte Lobrede auf die Weisheit enthielt, womit man die Dinge sich selbst überlassen hatte. Mit Vergnügen trat ich in meine Einsamkeit zurück, welche nicht mehr einsam war, seitdem sie durch ein junges Geschöpf belebt wurde, das sich täglich herrlicher entwickelte. Die Tage verstrichen mir als Minuten; aber sie dehnten sich desto mehr in der Erinnerung aus; ein sicheres Zeichen, daß sie weder gedanken- noch empfindungslos verlebt wurden. Das einzige, was mein Gemüth in einer unangenehmen Spannung erhielt, waren die Briefe der Herzogin voll bitterer Klagen über ihr Geschick. Doch, ohne hierüber in ein Detail einzugehen, begnüge ich mich, im Allgemeinen zu erzählen, wie sich ihr Geschick entwickelte, und wie wir gegen alle unsere Erwartungen ganz plötzlich wieder vereiniget wurden.
Das höhere Maaß von Freiheit, welches [258] der Herzog durch den Tod seines Vaters gewonnen hatte, wirkte in sofern nachtheilig auf seine häuslichen Verhältnisse zurück, als es ihn zu Liebeshändeln aufgelegt machte, welche sein Ansehn kompromittirten. Seine Gemahlin war nicht sehr geneigt, davon Notiz zu nehmen; allein, indem einzelne Hofleute, die schwache Seite des Herrn benutzend, sich ein Verdienst daraus machten, ihm behülflich zu seyn, so konnte es nicht fehlen, daß alle die Spaltungen erneuert wurden, welche den ...schen Hof in einer früheren Periode zu einem so unangenehmen Aufenthalte gemacht hatten, und daß selbst die Herzogin litte. Es kam aber noch dazu, daß, während sie auf der einen Seite durch das Daseyn eines Erbprinzen ihre Bestimmung erfüllt hatte, der Herzog auf der anderen seiner Gemahlin gegenüber eine Scham empfand, die zu überwinden er zuletzt allzugut war. Es war besonders [259] dieser letzte Umstand, der das edelste Weib, das je die Sonne beschienen hat, lästig, wo nicht gar verhaßt, machte. Die Herzogin fühlte dies, wußte sich aber nicht eher zu rathen noch zu helfen, als bis sie auf den gesunden Gedanken gerieth, ihren Gemahl um die Erlaubniß zu einer Reise nach der Schweiz und Italien zu bitten. Ihr Vorschlag wurde auf der Stelle angenommen, und eine hinlängliche runde Summe zur Bestreitung der Reisekosten ausgemittelt. So wurde die Ahnung erfüllt, die mich bei der ersten Nachricht von der Schwangerschaft der Herzogin durchblitzte.
Zwei Jahre mochten seit meiner Zurückkunft verstrichen seyn, als ich ganz unerwartet ein Schreiben voll Jubels von der Herzogin erhielt, worin sie mir nicht nur den Ausgang des langen Kampfes meldete, den sie gekämpft hatte, sondern auch sagte, daß sie, um bequemer zu [260] reisen, nicht den ganzen Aufwand machen würde, den die eigennützige Großmuth ihres Gemahls ihr zu machen erlaube. Übrigens verstände es sich von selbst, daß ich sie begleiten sollte. »Nur auf diese Weise,« schrieb sie, »konnten wir uns wieder vereinigen, und ich schätze mich glücklich, daß ich endlich zum Ziel gelangt bin.« Ich hatte Mühe mich von meinem Erstaunen zu erholen; allein indem ich die Sache nahm, wie sie einmal da lag, fand ich mich darin, und machte meine Reiseanstalten mit allem Eifer, den meine Liebe für die Herzogin mit sich führte. Meine Luise nicht an Andere abzutreten, beschloß ich, sie mit mir zu nehmen.
Ich war, als dies geschah, ein und dreißig Jahre alt; die Herzogin sechs Jahre jünger. Gesundheit und Erfahrung besaßen wir in gleichem Maaße; unsere Köpfe hatten dieselbe Richtung genommen. War irgend ein Unterschied, den physischen [261] nicht in Anschlag gebracht, zwischen uns, so bestand er darin, daß bei der Herzogin, welche durch eine weit härtere Schule gegangen war, als ich, die Empfindungen mehr Tiefe hatten, während ich, ohne deshalb nur im Mindesten leichtsinnig zu seyn, die ersten Eindrücke bei weitem leichter überwinden und zur Sprache bringen konnte. Selbst vermöge dieses Unterschiedes paßten wir herrlich zusammen; denn indem die Herzogin in ihrer stillen Größe blieb und sich nur selten aussprach, war ich gewissermaßen ihr Dollmetsch, und ihr selbst um so willkommner, weil ich ihre Empfindungen in Ideen verwandelte.
Wenige Wochen nach ihrem letzten Schreiben kam sie bei ihren Eltern an. Diese waren wiederum sehr zufrieden mit der Wendung, welche das Schicksal ihrer Tochter genommen hatte. Sie freueten sich herzlich, sie wieder zu sehen; sie freueten sich aber noch weit mehr der bedeutenden [262] Pension, welche ihr Gemahl ihr ausgeworfen hatte. Es wurden Feste veranstaltet, welche frohe Gefühle wecken sollten, aber, wie immer, nur Langeweile erregten. Die Herzogin konnte den Augenblick nicht erwarten, wo sie in meiner Gesellschaft ihre Reise nach der hochgepriesenen Schweiz antreten sollte. Endlich schlug die Stunde, und wir reiseten in einer wenig zahlreichen Begleitung ab.
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