Schnipsel

Höflich wie ein Engländer zu Hause. Unhöflich wie ein Engländer auf Reisen.
Man sollte gar nicht glauben, wie gut man auch ohne die Erfindungen des Jahres 2500 auskommen kann!
Kriminalroman im Bett ist schwer. Ein Bett ist doch keine Eisenbahn!

Und immer wieder: man stelle sich vor, wie unsre Bücher aussähen, wenn Herr Seeger und seine Mannen sie vorher zu zensieren hätten! Rundfunk und Film sehen aus wie die Literatur in einem Polizeistaat: kindisch, gefesselt und uninteressant. Zu fordern ist – immer wieder –: Filmfreiheit, Rundfunkfreiheit, und zwar völlige Freiheit. Die Strafgesetze genügen, wie bei den Büchern. Jeder Einwurf dagegen, auch solche von den Bildungsbonzen der SPD, stammt aus einem Polizeigehirn.

Für einen Weißen, der Afrika nicht kennt, haben die Hochzeitsgebräuche eines Negerstammes keinen Sinn – er sieht, aber begreift nichts.

Wenn man einmal aus dem Bürgertum herausgefallen ist, erscheint eine mondäne Bar in Paris sinnlos: alles fällt auseinander, die Frauen riechen nach Verwesung, die Männer wirken wie verkleidet, und eine leere Musik macht ein vertragsmäßig ausbedungnes Geräusch dazu. [57] Ich habe dort nie das Gefühl: wie unsittlich! Sondern ich fühle: welch Anachronismus.


Für die kleinen Nöte des Lebens ist unser Apparat nicht geschaffen; dazu ist er zu sehr Selbstzweck. Ärzte und Rechtsanwälte machen gewaltige Fortschritte, aber mit einer Forderung von 46,50 Reichsmark und mit einem Schnupfen bist du doch immer der Dumme.

In Spanien gründeten sie einmal einen Tierschutzverein, der brauchte nötig Geld. Da veranstaltete er für seine Kassen einen großen Stierkampf.

Auf den Völkerbund schimpfen darf nur, wer gegen die absolute Souveränität der Staaten ist. Ein Rechtsgebilde über den Staaten besitzt an Macht lediglich, was ihm die einzelnen Staaten geben. Also gibt es zur Zeit gar keinen Völkerbund, und Genf ist eine Farce. Das darf aber kein Nationaler tadeln. Er ist ja damit einverstanden.

Rein hippologisch betrachtet ist er vom Pferd gefallen.

Es ist der grundlegende Irrtum aller Dilettanten, der lyrischen Damen, romantisierenden Lehrer und katholischen Familienblattschreiber: daß, wer ergriffen sei, dadurch schon den Leser ergreife. »Aber ich habe es doch mit Gefühl geschrieben!« Ergriffen zu sein, ist eine Voraussetzung – für ein Kunstwerk bedeutet es allein noch gar nichts.

Warum sagen die Russen eigentlich niemals, wieviel Geld sie sich im Ausland geliehen haben, um den Fünfjahresplan durchführen zu können? Ihre Leistung verkleinerte es nicht. Es ist geschickt und gut, daß sie den Kapitalismus mit dessen Waffen schlagen – doch sollte das Geschrei über eine neue Fabrik auf das richtige Maß zurückgeführt werden. Hier ist Geld investiert worden –: wird es richtig und fruchtbringend arbeiten –?

Verzeiht, o Kleriker des marxistischen Korans, mir die Sünde.


Eine allen Deutschen gemeinsame Literatur gibt es nicht. Bei uns liest jeder nur seins.
Die schönste Geschichte über Masochismus, die ich weiß:

Wir lagen in einem polnischen Nest, gleich hinter der damaligen deutschen Grenze, hinter Marggrabowa. In unserm Armierungsbataillon waren Schlesier und Berliner anmutig gemischt. Und eines sternenklaren Abends stand ich hinter einer Hausecke, da schlugen die trauten Laute der Heimat an mein Ohr. A richtich! Ich lauschte.

[58] Es waren zwei waschechte Berliner, die sich da um die Ecke unterhielten. Der eine mußte von Beruf wohl so eine Art Zuhälter gewesen sein; jedenfalls rühmte er sich dessen und erzählte viel von einer gewissen Ella, bei der er die Spinde abjewackelt hätte. Dieses Mädchen nun hatte auch eine masochistisch veranlagte Kundschaft, die sie gut und richtig bediente. Und ich hörte:

»Ick komm also ruff bei Ellan, un die hatte sonen Meckerjreis, den mußte sie imma vahaun. Jutet Jeld – jedet Mal achssich Mark. An den Ahmt wah a ooch da. Wie ick die Korridortür uffschließe, heer ick schon von weitn: Wißte mal die Pantoffeln uffhebn! Jleich hebst du die Pantoffeln uff, du Sau! Du Hund! Heb mal die Pantoffeln uff!« – »Wat haste denn da jemacht?« fragte der andre.

»Na«, sagte der erste, »ick bin rinjejangn un hab zu den altn Herrn jesacht:

Warum tun Sie denn die Dame nich den Jefalln un hehm die Pantoffeln uff –?«


Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1932. Schnipsel [3]. Schnipsel [3]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6E2A-1