Die Inszenierung der Republik
Einmal – das ist schon lange her, wie man gleich sehen wird – bat mich ein Beamter aus dem Reichsministerium des Innern zusammen mit des Intendanten Jeßner und anderen in seinen Laden, um uns zu befragen, wie wir uns die erste Verfassungsfeier der deutschen Republik dächten. Der Beamte war ein Mann von sauberster Gesinnung, von bestem Willen, von untadeligem Ruf. Mich juckte es, ihn seinerseits zu fragen, wie er sich denn diese Feier dächte. Ich glaubte, lang unter den Tisch fallen zu müssen, als er antwortete: »Nun – wir haben uns gedacht, zur Feier des Tages die großen Türen des Reichstages, die da auf den großen Platz gehen, zu öffnen. Sie sind sonst geschlossen.« Der Platz hieß Königsplatz, die Feier war für den 11. August, statt für den 9. November angesetzt – und jener wollte die Türen aufmachen.
An diese Türen habe ich noch oft denken müssen.
Es gibt für die Propaganda der neuen Republik überhaupt nur eine einzige –: das ist die politische Aktion. Alles andere ist Zeitverschwendung.
[91] Die junge Republik hat noch lange keinen Mut für sich selbst und arbeitet, selbst mit dem besten Willen, unpsychologisch. Es ist lustig genug, von oft überzeugungsfesten Republikanern zu hören: »Aber ich bitte Sie – diese Flaggenfragen – Embleme – Stempel – Straßenbenennungen – das sind doch Äußerlichkeiten! Man muß die anderen nicht zu sehr reizen!« Aber sie vergessen, daß diese Äußerlichkeiten ganz besonders in kleinen Städten und auf dem Lande politische Anzeichen von der allergrößten Wichtigkeit sind – daß jede kaiserliche Parade, jede Fahnenentfaltung, jede Straßenbenennung eine Reklame gewesen ist.
Selbstverständlich hat jede Stadt ihre ›Kaiser-Wilhelm-Straße‹ – selbstverständlich hißt ein geachteter Fabrikant nicht Schwarz-Rot-Gold, und daß das so selbstverständlich geblieben ist – das ist Schuld einer Republik, die sich nicht zu sich selbst getraut. Der Mangel an republikanischen Äußerlichkeiten entspricht der politischen Tatkraft nach innen, und da kann man sich aussuchen, ob der böse Wille der Sabotierenden oder die Einsichtslosigkeit größer ist.
»Berliner Brief. Manch einer, der am 4. März 1925 nachmittags in der Universität im Erfrischungsraum oder gar in der Mensa academica sein Mittagessen einnehmen wollte, wurde arg enttäuscht. Die Mensa gab überhaupt kein Essen aus, der Erfrischungsraum wurde um 1 Uhr geschlossen . . . Ebenso war es in allen Instituten, Seminaren, Bibliotheken. Und der Grund all dieser Aufregung, dieses Bruchs des jahrein, jahraus gleich geregelten Ganges des täglichen Lebens? Der Reichspräsident ist gestorben!« – Soweit die ›Deutsche Hochschulzeitung‹ Der Reichspräsident ist gestorben – nur der Reichspräsident! Wenn aber Prinz Heinrich der Verstopfte von Greiz-Schleiz-Gundelfingen einen Sohn bekam, so schlossen Universität, Schulen und Ämter in schöner Einmütigkeit, die Kirchen und Kasernen öffneten sich weit, und alle fanden das in bester Ordnung. Das alte Reich hatte seine Leute fest in der Hand. Und hier sitzt der Hauptfehler der Propaganda.
Solange man nicht einen energischen Personalwechsel vorgenommen hat, solange wird es unmöglich sein, für die Republik eine Propaganda zu treiben, die heute von der Verwaltung sabotiert und von der Justiz bestraft wird. Was nützen alle schönen Reden der republikanischen Minister, die – wie die Weimarer Verfassung – dem öl gleich schillernd auf dem Wasser schwimmen, wenn nicht im kleinen Kreise die Achtung und die Autorität vor der Republik stabilisiert sind? Der soziologische Horizont der meisten Leute ist viel kleiner als sie es selbst wissen, und nach ihrer nächsten Umgebung messen sie die deutsche Welt. In diese engere Umgebung aber dringt die Republik nicht.
Mit den Beamten alten Stils kann man keine Republik begründen. [92] Mit diesen Universitätsrektoren nicht, die ungestraft den toten Reichspräsidenten verhöhnen, indem sie keine würdigen Trauerfeiern ansetzen aus Furcht vor einer randalierenden Studentenschaft, die sich als ›Führer der Nation‹ anpreist und nicht einmal wert ist, einem Sportverein vorzustehen; mit diesen Richtern nicht, die ihr Richteramt rein administrativ auffassen und in ihrer Gesamtheit bei den politischen Strafprozessen nicht den Anspruch auf leidenschaftslose Objektivität erheben dürfen, deren Richtersprüche also entsprechend zu werten sind – – hier ist zu reformieren. Eine ›Walther-Rathenau-Straße‹ allein machts nicht, solange der Geist des Mannes in seinen Büchern bleibt. Und nicht einmal zu dieser Straße langts in den meisten Gemeinden.
Ich weiß nicht, was ›wohlerworbene Rechte‹ der Beamten sind, und ich weiß nicht, wodurch man sich etwas wohl erwirbt, was heute übel ausschlägt. Aber ich weiß, was das wohlerworbene Recht der Republik ist und das wohlerworbene Recht eines Volkes, das mündig genug war, sich viereinhalb Jahr lang durch die Ackergräben schleifen zu lassen. Nach Hause gekommen, darfs artig unter den Bakel schlüpfen, den die alten Herren schwingen wollen und manche neuen dazu.
Wie begründe ich eine Republik –?
Indem ich in die Ämter Republikaner setze, indem ich die republikfeindlichen Richter und Lehrer und Universitätsprofessoren und Verwaltungsbeamten entferne, indem ich nicht den ›Fachmann‹ anbete, der sich farblos gibt und reaktionär arbeitet – indem ich Republikaner schaffe.