Herr Wendriner geht ins Theater

Für Paul Graetz


»Sehn Se, es hat schon angefangen!«
»Verräterei wird nicht vererbt, mein Fürst,
Und überkämen wir sie von Verwandten,
Was gehts mich an? Mein Vater übte keine.«

»Wo ist denn – wo sind wir denn? Wo ist denn unsere Reihe? Hier? Nein, da! Entschuldigen Sie. Padong! Bitte sehr. Danke sehr. Nanu? Ach, da ist unser Platz. Uff – Ich hab Ihn gleich gesagt, wir hätten 'n Auto nehmen solln!«


»Du Törin, du! Sie stiehlt dir einen Namen –«


[560] »Haben Sie 'n Zettel? Zeigen Sie mal – man kann jetzt nichts sehn. Wer ist das? Ausgeschlossen ist das die Bergner. Ich kenn sie doch: wir waren neulich zusammen mit ihr eingeladen bei – Pst! Psst! Ekelhaft, daß die Leute nicht pünktlich kommen können! Ein Miesnick, der da reinkommt! Nu sehn Sie sich die Beine an! So was muß Schauspielerin werden! Psst! Man versteht kein Wort, so leise sprechen die. Sehr schöne Ausstattung. Ja, Reinhardt.«


»O arme Rosalinde, wohin willst du?
Willst du die Väter tauschen? So nimm meinen!«

»Schönes Kleid, was die da anhat. Sehr schön . . . Ich kann nicht genau erkennen, aber ich glaube, da oben sitzen Korders. Doch, das sind sie, ich kenn doch den Kopp. Von wem ist die Musik? Na, ich wer nachher sehn. Die Bergner war noch nicht, was? Nein, sie war noch nicht. Nanu –? Schon Pause –? Ach so, Zwischenakt.

Nu sehn Sie sich mal an, da kommen immer noch Leute! Gut besucht. Die Kritiken waren ja auch sehr gut. Ich habe nur durch meinen Schwager die Billetts bekommen, sonst hätt ich sie gar nicht bekommen. Nein, meine Frau ist heute bei Welschs, die spielen Britsch. Spielen Sie gern Britsch? Ich mach mir nichts aus Britsch. Donnerwetter, ich glaube, ich hab vergessen, zu Hause das Gas am Badeofen auszumachen! Sehn Sie mal, die da! Die Nase find ich nicht hübsch; ja, die Augen gehn. Ah – da fängts wieder an. Erinnern Sie mich, daß ich Ihnen nachher den Witz mit dem Durchbruch erzähle!

Sehn Sie – das ist die Bergner! Ich kenn sie gleich, das ist sie. Schrecklich, wenn die Leute vor einem immer mit dem Kopf wackeln. Als ob das so schwer ist, den Kopf stille zu halten! Rücksichtslosigkeit. Reizend, nicht wahr? Ja, neulich bei Tisch, wo wir mit ihr eingeladen waren, war sie auch reizend. Eine reizende Person. Sagen Sie mal, haben Sie gesehen, daß ich den Brief eingeworfen habe, den ich vorhin in der Hand hatte? Ich glaube ja, was? Ja, ich glaube, ich hab ihn eingeworfen.«


»Könnt ich vom Glück nur diesen Lohn erwerben,
Nicht Schuldner meines Herrn und sanft zu sterben!«

»Pause. Sehr schön. Die Bergner ist fabelhaft. Die andern find ich nicht so gut. Nu hören Sie bloß, wie die da oben klatschen. Na, na –! Gehn wir bißchen raus? Ich geh 'n bißchen raus, kommen Sie mit? Entschuldigen Sie nur, daß ich hier durchgehe! – ssississ! Natürlich waren das Korders, was hab ich Ihnen gesagt – den Kopp kenn ich. Kommen Sie, wir gehn 'n Glas Bier trinken! 'n Abend! Keine Ahnung, wer das war – man hat soviel Bekannte . . . Wer [561] war das? Das war der? Den hab ich mir ganz anders vorgestellt – hat der nicht neulich die Geschichte gehabt mit dem Verhältnis von Kestenberg? Ich weiß nicht, sie hat abgetrieben, aber er wollt nicht, und dann hat er doch gewollt . . . Eine Fülle! Wir haben ganz gute Plätze, was? Ich sitz nicht gern Loge, ist doch nicht nötig! Sehn Sie mal vor uns: reizende Person! Famos angezogen, famose Figur! Kommen Sie, wir gehn mal vorbei – Donnerwetter! Fabelhaft! Haben Sie den Blick gesehn, den sie mir zugeworfen hat? Lieber Freund, die war gar nicht so ohne. 'n Augenblick mal, meine Krawatte sitzt nicht, da is'n Spiegel – so. Sehn Se, da kuckt sie wieder. Na, die Frau ist schon Klasse! Überhaupt sehr gutes Publikum hier. Ich freu mich, daß wir so gute Plätze haben – ohne meinen Schwager hätt ich sie gar nicht gekriegt. Sehn Sie mal den – sicher 'n Attaché, was? Skandal, so kleine Kinder mit ins Theater zu nehmen! Kleine Kinder gehören ins Bett. Na ja, 'n klassisches Stück . . . Ich geh sonst nie in klassische Stücke – aber das hier ist ja was anders. Nu sehn Sie sich mal die an, den Schmuck! 'n Ahmt! Regierer! – na, Sie auch hier? Ja, wir sind auch hier. Was machen Sie denn in soner guten Vorstellung? Ich meine . . . Sie interessieren sich nicht für Theater, denk ich? Na ja, die Kritiken waren ja sehr gut. Die Bergner ist fabelhaft. Ich sahre eben zu Epstein: ich mach sonst keine klassischen Vorstellungen, aber das hier ist ja was anders. Ja, natürlich. Selbstverständlich. Nein, wir waren gestern im Kino, zu Schepplien: ganz nett. Morgen gehn wir ins Philharmonische. Ich glaube links, hinten im Gang. Viel Vergnügen! 'n Ahmt! Wissen Sie, der Regierer gefällt mir nicht. Seit er die Sache mit seinem Sozius gehabt hat . . . Was? das wissen Sie gah nicht? Der Sozius hat heimlich spekuliert, er ist erst dahintergekommen, wie der jeden Tag mit nem neuen Pelz ins Geschäft gekommen ist, und dann hat er doch die Aufregung mit dem Sohn, ja, der nach Italien gegangen ist mit der Person, wie heißt sie – Pst! da ist er. Na, haben Sie gefunden? 'n Ahmt, Regierer! 'n Ahmt! Viel Spaß! Alt geworden, der Regierer. Na ja, die Sorgen . . . Es grassieren jetzt überhaupt wieder viel Krankheiten, die Grippe, die Cousine meiner Frau hat auch Milzschwellung, der Arzt weiß noch nich . . . Kommen Sie, wir trinken 'n Glas Bier! Nicht doch so drängeln! Wissen Sie, wenn man hier nicht drängelt, kommt man überhaupt nicht ran. Wieviel? Unverschämtheit! achtzig Pfennig für ein kleines Glas Bier! Son Geschäft möcht ich auch mal haben! Ach so, richtig, ich wollt Ihnen ja den Witz mit dem Durchbruch erzählen. Also . . . und da rufen die: Verrat! Verrat! wir sind im – – ahhahhaha! Gut, was? Hab ich heut im Geschäft gehört. Nein, das Stück hab ich nicht gesehn. Ach wissen Se, Tendenzstücke, wenn ich das will, les ich meine Zeitung. Kunst ist keine Politik, verstehn Sie mich?

Kommen Se, wir lassen uns die Garderobe rauslegen. Ach, Frollein, [562] legen Sie mir doch nachher die Garderobe raus, ja? Hier – haben Sie dreißig Pfennig – ssiss gut so. Sie, ob das Gas zu Hause brennt? Das war mir sehr unangenehm – meine Frau kommt nehmich eher nach Hause als ich. Sie haben da 'n Fussel auf Ihrem Anzug. Es klingelt. Gehn wir wieder rein. Fixen Sie eigentlich Franken? Ich weiß nicht . . . Übrigens haben Divan & Wronker ihr Geschäftsjubiläum gehabt – ich war da zum Essen. Haben Sie gratuliert? Müssen Sie tun – man kann nie wissen. Ja, es war 'n großes Dineh, 's Essen war ganz gut, der Dings hat gesprochen, der von der Handelskammer; neben mir saß Kirsch, das möcht ich auf der Bank haben, was der schon in seinem Leben verloren hat – kommen Sie, wir müssen uns beeilen.

So, da sitzen wir. Ich geh ab und zu ganz gern ins Theater. Wissen Se: es lenkt ab –!«


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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1926. Herr Wendriner geht ins Theater. Herr Wendriner geht ins Theater. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6027-A