Das Bild als Narr
Unter diesem Titel gab Ferdinand Avenarius, von der besten Überzeugung, wie immer, durchdrungen, im Krieg eine Sammlung feindlicher Kriegskarikaturen (bei Callwey in München) heraus.
Nun, da die Zeiten, was die kriegerische Begeisterung anbetrifft, etwas ruhiger geworden sind, sehen wir uns das Büchlein, das übrigens sehr gut ausgestattet ist, mit kühlen Blicken an.
Gleich der Anfang beweist, wie man so eine Karikaturensammlung [82] nicht an- und auffassen soll. Da handelt sichs um eine Serie des himmlisch frechen Hermann Paul in der ›Assiette au beurre‹, diesem von keinem deutschen je erreichten französischen Witzblatt. Das Sonderheft ›La guerre‹ stammt aus dem Jahre 1901 und geht gegen den Krieg, und zwar gegen den Krieg überhaupt, gegen die Soldaten, gegen alle Soldaten. Und weil die romanischen guten Witzblätter nicht, wie unsre lauen, streicheln und spotten und versteckt kichern, sondern mit Keulenschlagen und Pfeilen töten, so hat der Zeichner in wenigen Bildern das Thema restlos bis zu Ende erledigt. Die Heuchelei, die Kraftprotzerei, die Wonne der Frau über ihren tötenden Mann, wenn er nur siegt und nicht von den andern getötet wird – alles ist drin. Und was liest nun Avenarius heraus? »Was man drüben sich selber nachsagt.« Aber das ist ja gar nicht wahr! Paul mußte Franzosen als Vorbilder nehmen, weil die Satire sonst chauvinistisch gedeutet werden konnte. Er wollte aber sagen: cosi fan tutte. Natürlich sind die Franzosen nicht ausgenommen, aber das sind keine französischen tadelnden Glossen gegen die eigenen Soldaten, sondern es geht um die Soldaten der Welt. (Übrigens lohnt es schon wegen dieser Reproduktion aus der bisher in Deutschland verboten gewesenen Zeitschrift, das Buch zu erwerben.)
Der alte Vorwurf gegen Avenarius, er schulmeistere zu viel – hier muß ich ihn unterschreiben. Es geht nicht an, hinter jeder Karikatur mit dem Bakel zu stehen und zu deuten: erstens, zweitens und drittens . . . Karikaturen sind der Ausdruck eines Willens – die guten der Ausdruck des künstlerischen, die schlechten der des nationalen Willens –, und man kann ihnen nicht mit Tinte, nur mit dem Herzen begegnen.
Damit steht es nun faul. Natürlich haben wir in Belgien nicht Kinderhände zum Frühstück gegessen und Frauen grundsätzlich nur aufgespießt und gebraten. Dagegen sind die vielgeschmähten Zeichnungen Raemaekers nicht übel, und, halten zu Gnaden, nicht einmal ganz falsch. Und was die ›allerlei Propheten‹ anbetrifft, so wäre es klug gewesen, mit ihrer Verspottung bis nach Kriegsende zu warten. Und Widersprüche besagen gar nichts, denn die Karikatur ist kein logisches Kolleg . . . Was bleibt?
Es bleibt die Konstatierung von wirklichen Geschmacklosigkeiten, die nicht entschuldigt werden können und sollen. (Solche hat der Verlag Curtius in einer sehr verdächtigen Publikation gesammelt; Preis und Inhalt lassen fast befürchten, daß sie für Sadisten und solche, die es werden sollen, berechnet ist.) Es bleiben Lügen und ungeheuerliche Übertreibungen. Aber, Herr Avenarius, erlauben Sie mir eines zu sagen: Lieber noch das als die von Ihnen geschätzte deutsche Karikatur, die zu mau und zu flau – Sie sagen: zu vornehm – ist, um wirklich aufzupeitschen. Man muß hassen, wenn man karikiert, [83] nicht nur reklamiert sein wollen. Mag sich im Haß die Stimme überschlagen, mögen Fratzen ans Licht kommen, Ausgeburten der Hölle – es fließt Herzblut darin, zum mindesten das Herzblut derer, die es bejubeln. Ich wünsche uns solch kräftige Hasser und solch freche Lacher.
Aber als kleine wohlfeile Sammlung feindlicher Karikaturen stellen wir uns das Buch gerne ins Regal.