Vorrede zur zweiten Auflage.
Seit der ersten Drucklegung dieses Buches sind gut 40 Jahre verflossen, und schon seit einem Jahrzehnt und darüber tauchte der eine oder andere Band nur noch vereinzelt in den Beständen der Buchhändler und Antiquare auf. Die »Aberglaube und Sagen« waren von vornherein eine Sensation, der Verfasser hatte eine Saite angeschlagen, deren Ton ganz sonderbar klang und doch überall gefiel. Das Buch wanderte von Ort zu Ort, von Haus zu Haus, man sah es auf dem Tisch des Gelehrten, in der Hand des Arbeiters, der Buchhändler mußte immer neue Bestellungen machen, bis der Verleger schließlich meldete: Bergriffen.
In längeren und kürzeren Abhandlungen, in Kalendern (Volksbote, Gesellschafter usw.) und Tagesblättern war das Gebiet des Aberglaubens, und was damit zusammenhängt, wiederholt besprochen, aber alles, was man sah und las, machte den Eindruck des Unfertigen, des stückweise Gegebenen, nie ist der Gegenstand erschöpfend behandelt worden. Die Artikel dienten mehr der Unterhaltung, der Kurzweil als dem Wissen. [14] Strackerjan brachte zuerst System in die Sache, verfuhr wissenschaftlich. Wer sein Buch in die Hand nahm, wurde sich plötzlich klar, daß eine Seite des Volkslebens aufgedeckt worden, die bislang vernachlässigt war. Man fühlte, wer die Volksseele verstehen, in ihr lesen wollte, der müsse auch das Volk in seinem Aberglauben kennen, auf seine Gebräuche und Sitten achten, der müsse auch wissen, was sich die Leute am Herdfeuer an Sagen, Märchen und Schnurren u. dgl. erzählen. So sind die »Aberglaube und Sagen« für den Kulturhistoriker eine ergiebige Fundgrube geworden.
Der alte Titel ist beibehalten. Er deckt sich nicht vollständig mit dem Inhalte, aber er hat sich gut eingeführt und darum Anspruch auf Fortbestand. Aus der beifälligen Aufnahme, die das Buch von Anfang an gefunden, darf geschlossen werden, daß die Anordnung des Ganzen oder des Inhalts, die Sichtung des Stoffes im großen und ganzen gelungen ist. Wer auf die wissenschaftliche Seite Wert legt und daraufhin einmal den Inhalt des Werkes in sich verarbeitet und zu eigen gemacht hat, der muß mit der Anlage zufrieden sein. Es ist leicht, eine andere Einteilung zu treffen, ob aber auch eine bessere, ist etwas anderes. Demnach sind auch hier keine einschneidende Aenderungen getroffen.
Es ist Wert darauf gelegt, alle sachlichen Mitteilungen der ersten Auflage auch in der schlichten, dem Volksmunde abgelauschten Art, wie sie dort gegeben sind, in die zweite herüberzunehmen. Strackerjan hat seit seinen Schuljahren das Material zu seinem Buche gesammelt. Wer sich jetzt daran machen wollte, dem Aberglauben des Volkes nachzuspüren, würde es vielleicht zu einem dünnen Bändchen bringen, während beim Verfasser von »Aberglaube und Sagen« der Erfolg in zwei ansehnlichen Bänden bestand. Es ist von dem, was in der ersten Auflage Aufnahme gefunden, so vieles von der Bildfläche verschwunden, daß Leser, welche den ersten Druck heute in die Hand nehmen, der Meinung sind, so viel Dummheiten, wie dort vermerkt sind, könnten niemals im Volke ein Dasein gefristet haben. Zeuge ist z.B. das Buch »Saterland« von J. Bröring (Oldenburg, 1897, Schriften des Oldenburger Landesvereins für Altertumskunde und Landesgeschichte). In »Aberglaube und Sagen« ist das Saterland bekanntlich ausgiebig behandelt, obwohl in vielen Fällen für Saterland ruhig Münsterland, Oldenburg usw. hätte gesetzt werden können, da es sich um Aberglauben und [15] Bräuche handelt, die gar nicht spezifisch saterländisch sind. Doch das nebenbei. Bröring hat bei Abfassung seines Buches auch Strackerjan benutzt und ist dabei einige Male auf Mitteilungen aus dem Saterlande gestoßen, wovon ihm und seinen Gewährsmännern nichts bekannt war (I, 76 Anm. 2, 99, 108, 111, 118). Er kommt daraufhin zu dem Schluß, Strackerjan sei von unzuverlässigen Berichterstattern bedient worden. Bröring hätte schließen müssen: jetzt ist von dem nichts bekannt, was damals nach Oldenburg berichtet worden. Was nämlich in den 60er Jahren oder vorher im Saterlande gesammelt wurde, als Strackerjan seinen Stoff für den Druck fertig stellte, davon ist heute ein guter Teil der Vergessenheit anheimgefallen. Wie das kam, haben wir hier nicht zu untersuchen. Der Strackerjansche Berichterstatter aus dem Saterlande war der verstorbene Landtagsabgeordnete Borgmann, ein Saterländer, ein gebildeter, nüchtern denkender Mann, der seine Heimat kannte und liebte und nicht von der Art war, daß er dort, wo sein eigenes Wissen nicht ausreichte, sich von seinen Gewährsmännern hätte Bären aufbinden lassen. Und so lange nicht das Gegenteil erwiesen ist, müssen wir auch bei Berichterstattern aus anderen Teilen des Landes annehmen, daß sie gewissenhaft, nach bestem Wissen und Wollen ihre Berichte gemacht haben. Somit liegt kein Grund vor, sachliche Angaben aus der ersten Auflage zu unterdrücken. Im Gegenteil, für die Kenntnis der Geschichte des Aberglaubens und dessen, was daran klebt, ist es notwendig, nicht nur das abergläubische Denken und Handeln der Jetztzeit, sondern auch der Vergangenheit heranzuziehen. Die zweite Auflage stellt sich demnach in der Hauptsache als ein Abdruck der ersten dar, sogar die Gegenwartform ist, soweit es angängig war, beibehalten, als wären die Berichte erst gestern eingelaufen.
Strackerjan meint in seiner Vorrede, daß trotz eifrigen Forschens seinerseits und seiner Helfer doch noch nicht alles aufgefunden worden, der Brunnen also keineswegs bis auf den Grund ausgeschöpft sei. Er bittet die Freunde seines Unternehmens, die Arbeit nicht ruhen zu lassen und ihm etwaige Funde, und wären sie auch scheinbar noch so unbedeutend, zu übermitteln. Die Suche, welche die Neubearbeitung der »Aberglaube und Sagen« erforderlich machte, ist nicht ergebnislos verlaufen. Das Kapitel Aberglauben oder sagen wir der erste Band konnte um verschiedene Zusätze, auch um [16] solche, die neue Gesichtspunkte darboten, bereichert werden. Eine größere Ausbeute lieferte eine neue sorgfältige Umschau auf dem Gebiete der Sagen, der Sitten und Gebräuche alter und neuer Zeit. Fleißige Mitarbeiter haben hier gern ihre Kräfte in den Dienst einer guten Sache gestellt. Es ist hohe Zeit, daß da etwas geschieht. Sagen oder alte Volksüberlieferungen mögen sich vielleicht noch länger halten, aber mit den alten Bräuchen (bei hohen Festen, Sterbefällen, Hochzeiten, Ernten usw.) geht es rasend bergab, noch ein paar Jahre, und die Menschheit weiß sich ihrer nicht mehr zu erinnern. Was Jahrhunderte und länger bestanden, erhält plötzlich den Todesstoß oder trägt den Keim der Auflösung in sich. Die alten Volksgebräuche zu sammeln und durch den Druck festzulegen, wurde deshalb als eine wichtige Aufgabe der Neuauflage angesehen.
Die neueste Litteratur ist tunlichst berücksichtigt. Gar viele und große Dienste konnte sie nicht leisten, da ja das meiste und wichtigste im Volke gesammelt und nicht lediglich aus handschriftlichen und gedruckten Quellen geschöpft ist. Wo letztere aber herangezogen wurden, ist dies an den betreffenden Stellen im Texte vermerkt. Zugaben zur Neuauflage sind durchgehends durch ein Sternchen gekennzeichnet. Bei kleineren oder gelegentlichen Zusätzen mußte von einer Kennzeichnung abgesehen werden.
Vechta, 1908.
K. Willoh.