[136] Gang in der Nacht

Die Alleen der Lichter, die der Fluß
ins Dunkel schwemmt, sind schon erblindet
In den streifenden Nebeln.
Bald sind die Staden eingedeckt. Schon findet
Kein Laut den Weg mehr aus dem trägen Sumpf,
der alles Feste in sich schluckt.
Die Stille lastet. Manchmal bläst ein Wind
die Gaslaternen auf. Dann zuckt
Über die untern Fensterreihen eine Welle dünnen Lichts
und schießt zurück. Im Schreiten
Springen die Häuser aus dem Schatten vor
wie Rümpfe wilder Schiffe auf entferntem Meer
und gleiten
Wieder in Nacht. O diese Straße,
die ich so viel Monde nicht gegangen –
Nun streckt Erinnerung hundert Schmeichlerarme aus,
mich einzufangen,
Legt sich zu mir, ganz still, nur schattenhaft,
nur wie die letzte Welle Dufts
von Schlehdornsträuchern abgeweht,
Nur wie ein Spalt von Licht, davon doch meine Seele
wie ein Frühlingsbeet in Blüten steht –
Ich schreite wie durch Gärten.
Bin auf einem großen Platz.
Nebel hängt dünn und flimmernd
wie durch Silbernetz gesiebt –
Und plötzlich weiß ich: hinter diesen Fenstern dort
schläft eine Frau, die mich einmal geliebt,
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Und die ich liebte. Hüllen fallen. Eine Spannung bricht.
Ich steh' bestrahlt, besternt in einem güldnen Regen,
Alle meine Gedanken laufen wie verklärt durchs Dunkel
einer magisch tönenden Musik entgegen.

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TextGrid Repository (2012). Stadler, Ernst. Gedichte. Der Aufbruch. Stationen. Gang in der Nacht. Gang in der Nacht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-152D-F