[113] Gegen Morgen

Tag will herauf.
Nacht wehrt nicht mehr dem Licht.
O Morgenwinde,
die den Geist in ungestüme Meere treiben!
Schon brechen Vorstadtbahnen
fauchend in den Garten
Der Frühe. Bald sind Straßen, Brücken
wieder von Gewühl und Lärm versperrt –
O jetzt ins Stille flüchten! Eng im Zug der Weiber,
der sich übern Treppengang zur Messe zerrt,
In Kirchenwinkel knien!
O, alles von sich tun, und nur in Demut
auf das Wunder der Verheißung warten!
O Nacht der Kathedralen!
Inbrunst eingelernter Kinderworte!
Gestammel unverstandner Litanein, indes die Seelen
in die Sanftmut alter Heiligenbilder schauen ...
O Engelsgruß der Gnade ...
ungekannt im Chor der Gläubigen stehn
und harren, daß die Pforte
Aufspringe, und ein Schein uns kröne
wie vom Haar von unsrer lieben Frauen.

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TextGrid Repository (2012). Stadler, Ernst. Gedichte. Der Aufbruch. Die Flucht. Gegen Morgen. Gegen Morgen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-14A6-5