[159] Am Geburtstage meiner verehrungswürdigen Tante, der Frau Dr. Reincken, geb. Brandenburg; den 11. November

Prachtvoll steigt der junge Morgen,
In der Glorie des Tages,
Aus des Meeres dunklen Fluthen,
Wenn Aurora ihre Rosen
Ihm zum Kranze um die Stirne
Zwischen blauem Azur schlinget.
Ihrem Stralenglanz' entweichen
Luna und das Heer der Sterne;
Gleich Rubinen glänzen alle
Tropfen an des Grases Spitzen,
In dem reinen Aether schwimmen
Aller Blüthen süße Düfte.
Mild und hehr im Sternenschleier
Sinkt der laue Sommerabend
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Auf die welken Blüthen nieder,
Wenn Dianens Silberstralen
Ueber blaue Berge schweben,
Und in ernster heil'ger Stille
Die Natur den Schlaf der Schöpfung
Feiert bis zum neuen Morgen.
Betend sinkt der fromme Schwärmer
Auf der Erde Altar nieder,
Sel'ge Thränen tiefer Rührung
Glänzen im verklärten Blicke,
Himmlische Gefühle heben
Ihn in Edens Thal hinüber.
Aber schöner noch ist dieser
Goldne Morgen mir entstiegen!
Niemals floh' ein Sommerabend
Mir so schön, so froh vorüber,
Wenn ich lag auf Rosenblättern
Und des Frühlings Sängern lauschte;
An der Quelle, wo des Pfirsichs
Zweige sich zur Laube wölbten,
Und die roth- und weißen Blüthen
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Schöner mir im Wasser glänzten.
Höh're Freude fühl' ich heute,
Froher kränz' ich meine Locken
Mit der Mirthe grünen Blättern
An dem Tag, der Dich, o Edle,
Rief zu Schmerzen und zu Freuden!
Heil'gere Gefühle heben
Mich empor zum Thron' der Gottheit,
Wenn ich flehend für Dein Leben
Mich ihm tief anbätend nahe.
Laut, Geliebte! nenn' ich Deinen
Namen vor dem ganzen Himmel,
Wenn ich jene Edlen zähle,
Deren Großmuth, deren Güte
Mich dem Leben wieder gaben,
Da ich schon am Grabe wankte,
Und mit hoffnungslosem Blicke
In die ferne Zukunft schaute,
Wo die Meinen ganz verwaiset,
Mich und ihr Geschick beweinten,
Ohne Kenntniß, ohne Bildung
Sich dem Jünglings-Alter nah'ten,
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Fern von Dir und all' den Edlen,
Die mein Daseyn retten halfen,
Will ich dieses Fest der Freude
Feiern mit gerührter Seele!
Lebe glücklich dort an jenen
Stillen Ufern, wo die Ostsee
Hochauffluthend an dem Walle
Deiner stolzen Veste strömet; –
In dem edlen frohen Kreise
Der sich liebevoll vereinet,
Dir den Abend Deines Lebens
Mannigfaltig zu verschönen!
Denke meiner, wenn des Mondes
Silberstralen in Dein Zimmer
Blaß und melancholisch schleichen,
Sage Dir: jezt denkt Elise
Mein, voll warmer Dankgefühle,
Mein, voll Liebe und voll Sehnsucht;
Ihre heißen Thränen schwimmen
In des Mondes blassen Stralen,
Darum blicket er so trübe
In mein ödes stilles Zimmer!

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TextGrid Repository (2012). Sommer, Elise. Gedichte. Poetische Versuche. Am Geburtstage meiner verehrungswürdigen Tante. Am Geburtstage meiner verehrungswürdigen Tante. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-1056-C