[3] Vorrede
Die Schüchternheit, mit der ich diese kleine Sammlung dem Publikum übergebe, giebt mir einigen Anspruch auf die Schonung desselben. Mein Bewußtseyn sagt mir es laut, wie sehr ich deren bedarf, und wie gewagt es sei, sich jenem glänzenden Kreise zu nähern, der unser Zeitalter verherrlicht, und der durch so manches treffliche Produkt genievoller Dichter seinem Verfasser die Unsterblichkeit [3] sichert; es sagt mir, wie vieles ich wage, indem ich meine dichterischen Versuche dem öffentlichen Urtheil preiß gebe. – Ich nenne sie Versuche, und mehr sollen sie nicht seyn, auch wurden sie nicht in der Absicht niedergeschrieben, um einst öffentlich bekannt gemacht zu werden. – Wenn ich dies hernach beschloß, so bestimmte mich hierzu theils meine Lage, theils auch das – vielleicht nicht vorurtheilsfreie – Urtheil meiner Freunde.
Das Publikum hat ein gegründetes Recht, Rechenschaft von einem Schritt zu fordern, den ich selbst für gewagt erkläre. Es sei mir also erlaubt, einiges anzuführen, was die Mängel meiner Lieder einigermaßen entschuldigt und mich hoffen läßt, daß man sie mit Schonung, und wenn das zu viel gefordert [4] wäre – doch nicht mit derjenigen Strenge beurtheilen werde, womit man die Werke vollendeter Dichter richtet.
Meine Gedichte wurden mehrentheils niedergeweint, und in Verhältnissen erzeugt, die die freie Bewegung des Geistes fesseln und jeden Aufflug der Fantasie niederdrücken, und lähmen. Nichts blieb mir übrig, das Dunkel zu mildern, das meinen Lichtkreiß umzog, nichts, was meinem Herzen Trost und meiner Seele Aufheiterung gab, als der Versuch: meine Gefühle in den Rhythmus elegischer Ergießungen zu bringen. Ach, diese Erholung war die einzige Harmonie unter den vielen Dissonanzen meines Lebens! – sie half mir, den Schneckengang desselben erträglich machen, der mich, ohne die freundliche Hand der Musen, [5] vielleicht in das Labyrinth der düstersten Melancholie gestürzt haben würde. Daher dieses Hinneigen meiner Muse zu Klagen und Trauer, dieses Schmachten und Sehnen nach den Gefilden einer besseren Welt! – Die mancherlei Gelegenheits-Gedichte, die meine Sammlung anfüllen, haben zum Theil ihren Grund in meinen Verhältnissen – in der heißen Dankempfindung, die ich so glühend für alle diejenigen Personen in meinem Herzen trage, deren Namen meine Muse genannt hat. Möchten sie in diesem kleinen Opfer den Charakter einer Frau erkennen, die den größten Theil ihres Lebens mit einem ungünstigen Schicksal kämpfte, und daher um so inniger und stärker die Pflichten der Dankbarkeit fühlt, welche die Güte und Humanität [6] ihrer Freunde ihr einflößte. Sollte es nicht unter meinen Schwestern einige geben, die ein ähnliches Schicksal mit mir theilten? und deren Genius ihnen während dem Lesen meiner Gedichte Empfindungen zuflüstert, die ihnen diese Aehnlichkeit verrathen? Wie leicht giebt es ihnen dann einigen Trost, ihre Gefühle in den meinigen wieder zu finden, oder sie fühlen sich mit mir ergriffen von der Ahnung einer besseren Zukunft. Für diese sind meine Gedichte bestimmt; erreiche ich diesen Zweck, so erhalte ich die schönste Genugthuung für mein Herz – und meine kleine Sammlung hat, bei aller ihrer Unvollkommenheit, doch einigen Werth. Und wer wollte mir wohl das Vergnügen mißgönnen, irgend eine edle Empfindung geweckt, ein [7] leidendes Herz zur Ergebung gestimmt – eine Ahnung höheren Seyns, oder ein aufrichtendes Gefühl eigenen Werths erregt zu haben?
Marburg, im November 1805.
Elise Sommer. [8]