William Shakespeare
Maß für Maß
[212] Personen
Vincentio, Herzog von Wien
Angelo, Statthalter während des Herzogs Abwesenheit
Escalus, ein alter Herr vom Staatsrat und Gehülfe des Angelo
Claudio, ein junger Edelmann
Lucio, ein Wüstling
Zwei junge Edelleute, Freunde des Lucio
Varrius, ein Edelmann, in des Herzogs Diensten
Ein Kerkermeister
Thomas
Peter, Mönche
Elbogen, ein einfältiger Gerichtsdiener
Schaum, ein alberner junger Mensch
Pompejus, Bierzapfer bei der Frau Überley
Grauslich, ein Scharfrichter
Bernardino, ein Mörder
Isabella, Schwester des Claudio
Mariane, Angelos Verlobte
Julia, Claudios Geliebte
Franziska, eine Nonne
Frau Überley, eine Kupplerin
Herren, Wachen, Gerichtsdiener und andres Gefolge
Die Szene ist in Wien
[212]Erster Aufzug
Zweite Szene
Wenn sich der Herzog und die andern Herzoge nicht mit dem König von Ungarn vergleichen, nun, so fallen alle Herzoge über den König her.
Du sprichst dein Schlußgebet wie der gottselige Seeräuber, der mit den zehn Geboten zu Schiff ging, das eine aber aus der Tafel auskratzte.
Nun, das war ja auch ein Gebot, das dem Kapitän und seinem ganzen Haufen gebot, ihren Beruf aufzugeben: sie hatten sich eingeschifft, um zu stehlen. Da ist keiner von uns Soldaten, dem beim Tischgebet vor der Mahlzeit die Bitte um Frieden recht gefiele.
Warum nicht? Gratias ist Gratias, aller Kontrovers zum Trotz, so wie du, Exempli gratia, ein durchtriebener Schelm bist, und mehr von den Grazien weißt als vom Gratias.
Und du der Samt; du bist ein schönes Stück Samt, von der dreimal geschornen Sorte. Ich will viel lieber die Egge von einem Stück englischen haarichten Fries sein, als ein Samt, über den eine französische Schere gekommen ist. Habe ich dich nun einmal recht herzhaft geschoren?
Nein, ich denke, du hast diese Schere schon recht schmerzhaft verschworen, und ich will nach deinem eignen Geständnis deine Gesundheit aus bringen lernen, aber, solange ich lebe, vergessen, nach dir zu trinken.
Seht nur, kommt da nicht unsre Frau Minnetrost? Ich habe mir Krankheiten unter ihrem Dach geholt, die kosten mich –
Und doch bist du hohl durch und durch; deine Knochen sind hohl, die Ruchlosigkeit hat in dir geschwelgt.
Schon gut! Eben wird einer verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, der war mehr wert als fünftausend solche wie Ihr.
Ich sage Euch, es ist gewiß; ich sah ihn verhaftet, ich sah ihn weggeführt; und was noch mehr ist, binnen drei Tagen soll ihm der Kopf abgehauen werden.
Glaubt mir, es ist nicht unmöglich. Er versprach mir, mich vor zwei Stunden zu treffen, und er war immer pünktlich im Worthalten.
So bringen mich denn teils der Krieg und teils das Schwitzen, und teils der Galgen, und teils die Armut um alle meine Kunden. Nun? Was bringst du mir Neues?
Die sollen zur Saat stehen bleiben; sie wären auch drauf gegangen, aber ein wohlweiser Bürger hat sich für sie verwendet.
Ei, fürchtet Ihr nichts; guten Advokaten fehlt es nicht an Klienten. Wenn Ihr schon Euer Quartier ändert, braucht Ihr darum nicht Euer Gewerbe zu ändern; ich bleibe noch immer Euer Zapfer. Mut gefaßt! Mit Euch wird man's so genau nicht nehmen; Ihr habt Eure Augen in Euerm [218] Beruf fast aufgebraucht; über Euch werden sie schon ein Auge zudrücken.
Dritte Szene
Wenn ich im Arrest so weislich zu reden wüßte, so würde ich einige von meinen Gläubigern rufen lassen. Und doch, die Wahrheit zu sagen, mir ist die Narrenteidung der Freiheit lieber als die Moral der Gefangenschaft. Was ist dein Vergehn, Claudio? –
Ja, wahrhaftig, so ist es, und dein Kopf steht so kitzlig auf deinen Schultern, daß ein verliebtes Milchmädchen [220] ihn herunter seufzen könnte. Sende dem Herzog Botschaft und appelliere an ihn! –
Der Himmel gebe, daß sie es könne, sowohl zum Trost aller derer, die sich im gleichen Fall befinden und sonst unter schwerer Zucht stehn wür den, als damit du dich deines Lebens erfreust; denn es wäre mir leid, wenn du's so närrischer Weise um ein Spiel Tricktrack verlieren solltest. Ich gehe zu ihr.
Vierte Szene
Fünfte Szene
Zweiter Aufzug
Erste Szene
Kommt, bringt sie herbei! Wenn das rechtschaffne Leute im gemeinen Wesen sind, die nichts taten, als ihre Untaten in gemeinen Häusern auszurichten, so weiß ich nicht, was Jura ist. Bringt sie herbei!
Mit Euer Gnaden Vergunst, ich bin des armen Herzogs Konstabel, und mein Name ist Elbogen; ich bin ein Stück Justiz, Herr, und führe Eurer gestrengen Gnaden hier ein paar notorische Benefikanten vor.
Nichts für ungut, gnädiger Herr; ich weiß nicht recht, was sie sind; aber zwei absolutgesinnte Spitzbuben sind sie, und ohne ein Körnchen von der Kontribution, die ein guter Christ haben muß.
Der, gnädiger Herr? Ein Bierzapfer, Herr; ein Stück von einem Kuppler; dient einem schlechten Weibsbilde, deren Haus, wie es heißt, in den Vorstädten eingerissen ist: und nun macht sie Prozession von einem Badehause, und das ist auch ein recht schlechtes Haus.
Ich sage, Herr, ich für meine eigne Person detestiere hierin eben so gut, wie sie: wenn dieses Haus nicht einer Kupplerin Haus ist, so wär's schade drum; denn es ist ein ganz nichtsnutziges Haus.
Blitz, Herr, von meiner Frau: denn wenn sie eine Frau wäre, die den kardinalischen Lüsten nachhinge, so hätte sie in diesem Hause zu Proskription und Ehebruch und aller Unsauberkeit verführt werden können.
Ja, Herr, durch das Anstiften der Frau Überley; wie sie ihm aber ins Gesicht spuckte, so wußte er, woran er war.
Herr, sie kam an, und war hochschwanger, und hatte – (mit Eu'r Gnaden Respekt) – ein Gelust nach gekochten Pflaumen. Nun hatten wir nur zwei im Hause, gnädiger Herr, und die lagen eben in dem Monument gleichsam [229] auf einem Fruchtteller, ein Teller für drei oder vier Pfennige: Euer Gnaden müssen solche Teller schon gesehn haben; es sind keine Teller aus China, aber doch sehr gute Teller.
Nein, wahrhaftig, Herr, nicht so viel, als eine Stecknadel wert ist, das ist vollkommen richtig. Aber nun zur Hauptsache: Wie gesagt, die Frau Elbogen war, wie gesagt, guter Hoffnung, und ansehnlich stark, und hatte, wie gesagt, ein Gelust nach Pflaumen; und weil, wie gesagt, nur zwei auf dem Teller lagen, – denn Junker Schaum, der nämliche Herr hier, hatte, wie gesagt, die andern gegessen; – und er bezahlte sie sehr gut, das muß ich sagen; denn wie Ihr wohl wißt, Junker Schaum, ich konnte Euch keinen Dreier herausgeben, –
Seht Ihr wohl? Ihr wart eben dabei, wenn Ihr's Euch noch besinnt, und knacktet die Steine von den vorbesagten Pflaumen.
Nun, seht Ihr wohl? Ich sagte Euch just, wenn Ihr's Euch noch besinnt, daß der und der und dieser und jener von der Krankheit, die Ihr wohl wißt, nicht durchkuriert worden wären, wenn sie nicht so sehr gute Diät gehalten hätten, sagte ich Euch.
Geht mir, Ihr seid ein langweiliger Narr: zur Sache! Was tat man denn der Frau des Elbogen, daß er Ursach' zu klagen hat? Kommt jetzt auf das, was man ihr tat.
Herr, Ihr sollt aber darauf kommen, mit Eu'r Gnaden Vergunst; und betrachtet Euch einmal den Junker Schaum hier, mein gnädiger Herr: er bringt's auf achtzig Pfund im Jahr, und sein Vater starb am Allerheiligen-Tage. War's nicht am Allerheiligen-Tage, Junker Schaum? –
Nun, seht Ihr wohl? Ich hoffe, hier gibt's Wahrheit! Er saß eben auf einem niedrigen Sessel, gnädiger Herr: es war in der goldnen Traube, wo Ihr so gern sitzt, nicht so?
Ich bitt' Eu'r Gnaden, seht diesem Herrn einmal ins Gesicht. Lieber Junker Schaum, seht doch Ihre Gnaden an; ich sag's aus guter Meinung; betrachten sich Eu'r Gnaden sein Gesicht!
Ich will's vor Gericht deklamieren, daß sein Gesicht das Schlimmste an ihm ist. Nun gut: wenn sein Gesicht das Schlimmste an ihm ist, wie konnte Junker Schaum des Konstabels Frau etwas Unrechts tun? – Das möcht' ich von Euer Gnaden hören.
Erstlich, mit Eu'r Gnaden Erlaubnis, ist es ein [231] respektierliches Haus; ferner ist dieser hier ein respektierlicher Kerl, und seine Wirtin ist ein respektierliches Weibsbild.
Schlingel, du lügst, du lügst, gottloser Schlingel! Die Zeit soll noch kommen, wo sie je respektiert war mit Mann, Weib und Kind.
O du Lumpenkerl! O du Schlingel! O du menschenfresserischer Hannibal! Ich mit ihr respektiert vor unserer Heirat? Wenn ich mit ihr oder sie mit mir respektiert gewesen ist, so soll Eu'r Gnaden mich nicht für des armen Herzogs Diener halten. Beweise das, du gottloser Hannibal, sonst belange ich dich wegen tätlicher Mißhandlung! –
Wenn er Euch jetzt eine Maulschelle gäbe, so hättet Ihr noch obendrein eine Klage wegen anzüglicher Reden.
Sapperment, ich danke Eu'r Gnaden. Was wäre Eu'r Gnaden Inklination, daß ich mit diesem gottlosen Lump anfangen soll?
Ich denke, Konstabel, weil er allerlei Bosheiten in sich trägt, die du gern herausbrächtest, wenn du könntest, so mag's mit ihm sein Bewenden haben, bis wir erfahren, worin sie bestehn.
Sapperment, ich danke Eu'r Gnaden. Da siehst du nun, du gottloser Schlingel, wohin es mit dir gekommen ist; das Bewenden sollst du kriegen, das Bewenden! –
Neun! Kommt einmal her, Junker Schaum! Junker Schaum, ich dächte. Ihr ließt Euch nicht mit Zapfern ein: sie ziehn Euch nur aus, Junker Schaum, und Ihr bringt sie an den Galgen. Geht Eurer Wege, und laßt mich nichts mehr von Euch hören!
Ich danke Eurer Herrlichkeit. Ich für mein Teil bin auch nie in eine Schenkstube gekommen, daß ich's nicht recht anziehend gefunden hätte.
So! An Eurer Pumphose habt Ihr freilich etwas Großes, und so wäret Ihr, wo von Hosen die Rede ist, Pompejus der Große. – Pompejus, Ihr seid ein Stück von einem Kuppler, Pompejus, obgleich Ihr Euch hinter Euer Bierzapferamt verstecken wollt. Seid Ihr's nicht? Kommt, sagt mir die Wahrheit, es soll Euer Schade nicht sein.
Wovon willst du leben, Pompejus? Vom Kuppeln? Was dünkt dich von diesem Gewerbe, Pompejus? Ist das ein gesetzlich erlaubtes Gewerbe?
Sieht Eur' Herrlichkeit, so werden sie nach meiner geringen Meinung nicht davon lassen. Wenn Eu'r Herrlichkeit [233] nur die lüderlichen Dirnen und losen Buben in Ordnung halten kann, so braucht sie die Kuppler gar nicht zu fürchten.
Es fängt auch jetzt ein hübsches Regiment an, kann ich dir sagen; es handelt sich nur um Köpfen und Hängen.
Wenn Ihr nur zehn Jahre lang hinter einander alle die hängen und köpfen laßt, die sich in diesem Stücke vergehn, so könnt Ihr Euch bei Zeiten danach umsehn, woher Ihr mehr Köpfe verschreiben wollt. Wenn dies Gesetz zehn Jahre in Wien besteht, will ich im schönsten Hause das Stockwerk für sechs Dreier mieten; solltet Ihr's er leben, daß es so weit kommt, so sagt nur, Pompejus hab' es Euch vorausgesagt.
Dank, trefflicher Pompejus. Nun, um dir die Prophezeiung zu erwidern, so rat' ich dir, verstehst du, laß dich auf keiner neuen Klage betreffen, und ebensowenig in deiner jetzigen Wohnung; denn wenn das geschehn sollte, Pompejus, so werde ich dich in dein Zelt zurückschlagen und ein schlimmer Cäsar für dich werden: und, grade heraus zu sagen, Pompejus, ich werde dich peitschen lassen. So, für diesmal, Pompejus, gehab' dich wohl!
Ich dank' Eu'r Herrlichkeit für Euern guten Rat; aber folgen werd' ich ihm, wie Fleisch und Schicksal es fügen. Mich peitschen? Peitschen laßt den Kärrner seine Mähre: Wer peitscht aus dem Beruf je einen Mann von Ehre? Ab.
Kommt einmal her, Meister Elbogen, kommt einmal her, Meister Konstabel. Wie lange ist es her, daß Ihr Eurem Amt als Konstabel vorsteht? –
Ich dachte mir's nach Eurer Fertigkeit im Amt, Ihr müßtet es schon eine Weile verwaltet haben. Sieben ganze Jahre, sagt Ihr?
Ach! Da hat es Euch viel Mühe gemacht. Es geschieht Euch Unrecht, daß man Euch so oft zum Dienst requiriert; sind denn nicht andre Leute in Euerm Kirchspiel, die imstande wären, ihn zu versehn?
Meiner Treu, gnädiger Herr, es sind wenige, die etwas Einsicht in solchen Dingen haben; wenn sie gewählt werden, sind sie immer froh, mich wieder statt ihrer zu wählen; ich tu's für ein Stück Geld und übernehme es so für sie alle.
Hört, schafft mir die Namen von sechs oder sieben Leuten, die die brauchbarsten in Euerm Kirchspiele sind.
Zweite Szene
Dritte Szene
Vierte Szene
[243]
Dritter Aufzug
Erste Szene
Wenn Eure Zeit es zuließe, hätte ich gern eine kurze Unterredung mit Euch; diese Gewährung meiner Bitte würde zugleich zu Euerm Frommen sein.
Ich habe keine überflüssige Zeit; mein Verweilen muß ich anderen Geschäften stehlen; doch will ich noch etwas verweilen.
Mein Sohn, ich habe mit angehört, was zwischen Euch und Eurer Schwester vorging. Angelo hatte nie die Absicht, sie zu verführen; er hat nur einen Versuch auf ihre Tugend gemacht, um sein Urteil über das menschliche Gemüt zu schärfen. Sie, im wahren Gefühl echter Ehre, entgegnete ihm die fromme Weigerung, die er mit höchster Freude vernahm. Ich bin Angelos Beichtiger und weiß, daß dieses wahr ist. Bereitet Euch deshalb auf den Tod; schmeichelt Eurer Standhaftigkeit nicht durch trügliche Hoffnungen; morgen müßt Ihr sterben. Fallt auf Eure Kniee und macht Euch fertig!
Laßt mich meine Schwester um Verzeihung bitten. Die Liebe zum Leben ist mir so vergangen, daß ich bitten werde, davon befreit zu sein.
Daß Ihr, wie Ihr kamt, jetzt wieder geht. Laßt mich ein wenig allein mit diesem Fräulein; meine Gesinnung und mein Kleid sind Euch Bürge, daß sie von meiner Gesellschaft nichts zu fürchten hat.
Dieselbe Hand, die Euch schön erschuf, hat Euch auch gut erschaffen. Güte, von der Schönheit gering geachtet, läßt auch der Schönheit nicht lange ihre Güte; aber Sittsamkeit, die Seele Eurer Züge, wird Euch auch immer schön erhalten. Von dem Angriff, den Angelo auf Euch versucht, hat mich der Zufall in Kenntnis gesetzt, und böte nicht die menschliche Schwachheit Beispiele für sein Straucheln, ich [254] würde mich über Angelo wundern. Wie wollt Ihr's nun machen, diesen Statthalter zufrieden zu stellen und Euren Bruder zu retten?
Ich gehe gleich, ihm meinen Entschluß zu sagen: ich wolle lieber, daß mir ein Bruder nach dem Gesetz sterbe, als daß mir ein Sohn wider das Gesetz geboren werde. Aber, oh, wie irrt sich der gute Herzog in diesem Angelo! Wenn er je zurück kommt, und ich kann zu ihm gelangen, so will ich meine Lippen nie wieder öffnen, oder diese Verwaltung enthüllen.
Das würde nicht unrecht getan sein. Indes wie die Sache nun steht, wird er Eurer Anklage entgegnen, er habe Euch nur prüfen wollen. Darum leihet Euer Ohr meinem Rat; denn meinem Wunsch, Gutes zu stiften, bietet sich ein Mittel dar. Ich bin überzeugt, Ihr könnt mit aller Rechtschaffenheit einem armen gekränkten Fräulein eine verdiente Wohltat erzeigen; Euern Bruder dem strengen Gesetz entreißen; Eure eigne fromme Seele rein erhalten und den abwesenden Herzog sehr erfreuen, wenn er vielleicht dereinst zurückkehren und von dieser Sache hören sollte.
Tugend ist kühn, und Güte ohne Furcht. Hörtet Ihr nie von Marianen, der Schwester Friedrichs, des tapfern Helden, der auf der See verunglückte?
Eben die sollte dieser Angelo heiraten: mit dieser war er feierlich verlobt und die Hochzeit festgesetzt. Zwischen der Zeit des Verlöbnisses aber und dem Trauungstage ging das Schiff ihres Bruders Friedrich unter, und mit ihm das Heiratsgut der Schwester. Nun denkt Euch, wie hart das arme Fräulein hiedurch getroffen ward. Sie verlor einen edlen und berühmten Bruder, dessen Liebe für sie von jeher die zärtlichste und brüderlichste gewesen; mit ihm ihr Erbteil und den Nerv ihres Glücks, ihr Heiratsgut: mit beiden zugleich den ihr bestimmten Bräutigam, diesen redlich scheinenden Angelo! –
Verließ sie in ihren Tränen und trocknete nicht eine durch seinen Trost; widerrief sein Treuwort, indem er Entdeckungenüberihre verletzte Ehre vorgab; kurz, überließ sie ihrem Kummer, dem sie noch immer um seinetwillen ergeben ist; und er, ein Fels gegen ihre Tränen, wird von ihnen benetzt, aber nicht erweicht. –
Wie verdienstlich vom Tode, wenn er dieses arme Mädchen aus der Welt nähme! Welcher Frevel von diesem Leben, daß es diesen Mann leben läßt! Aber wie soll ihr hieraus Hülfe werden?
Es ist eine Wunde, die Ihr leicht heilen könnt; und diese Kur rettet nicht allein Euren Bruder, sondern schützt Euch vor Schande, wenn Ihr sie unternehmt.
Jenes Mädchen hegt noch immer ihre erste Neigung; seine ungerechte Lieblosigkeit, die nach Vernunftgründen ihre Zärtlichkeit ausgelöscht haben sollte, hat sie wie eine Hemmung im Strom nur heftiger und unaufhaltsamer gemacht. – Geht Ihr zu Angelo, erwidert auf sein Begehren mit scheinbarem Gehorsam; bewilligt ihm die Hauptsache, nur behaltet Euch diese Bedingungen vor: erstlich, daß Ihr nicht lange bei ihm verweilen dürft; dann, daß für die Zeit alle Begünstigung der Dunkelheit und Stille sei; und daß der Ort den Umständen entspreche. Gesteht er dies zu, dann gelingt alles. Wir bereden das gekränkte Mädchen, sich an Eurer Statt zur bestimmten Verabredung einzufinden. Wenn die Zusammenkunft hernach bekannt wird, so muß ihn das zu einem Ersatz zwingen, und dann wird auf diese Weise Euer Bruder gerettet, Eure Ehre bewahrt, die arme Mariane beglückt und der böse Statthalter entlarvt. Das Mädchen will ich unterrichten und zu dem Versuch überreden. Willigt Ihr ein, dies alles auszuführen, so schützt die doppelte Wohltat diesen Trug vor Tadel. Was dünkt Euch davon? –
Es kommt alles auf Euer Betragen an. Eilt ungesäumt [256] zu Angelo! Wenn er Euch um diese Nacht bittet, so sagt ihm Gewährung zu. Ich gehe sogleich nach Sankt Lukas – dort in der einsamen Hütte wohnt diese verstoßene Mariane –; dort sucht mich auf; und mit Angelo macht es ab, damit die Sache sich schnell entscheide.
Zweite Szene
Nun wahrhaftig, wenn da kein Einhalt geschieht, und Ihr wollt mit aller Gewalt Manns- und Frauensleute wie das liebe Vieh verkaufen, so wird noch die ganze Welt braunen und weißen Bastard trinken.
Mit der lustigen Welt ist's zu Ende, seit sie von zwei Wucherern dem lustigsten sein Handwerk gelegt hat und dem schlimmsten von Gerichts wegen einen Pelzrock zuerkannt, um sich warm zu halten; und noch dazu gefüttert mit Lämmerfell und verbrämt mit Fuchs, um anzudeuten, daß List besser fortkommt als Unschuld.
Dem Gesetze hat er etwas zu Leide getan, Herr; und obendrein, Herr, halten wir ihn für einen Dieb; denn wir haben einen ganz besondern Dietrich bei ihm gefunden, Herr, den wir an den Statthalter eingeschickt haben.
Er muß vor den Statthalter, Herr, der hat ihn gewarnt; der Statthalter kann solch Hurenvolk nicht ausstehn; wenn er dergleichen Hurenhändler handwerk treibt und kommt vor ihn, da wäre ihm besser eine Meile weiter.
Was macht mein edler Pompejus? Was, an Cäsars Fersen? Wirst du im Triumph aufgeführt? Was? Wo sind nun deine Pygmalionsbilder, deine neugebacknen Weiber, die einem eine Hand in die Tasche stecken und sie als Faust wieder heraus ziehn? Was hast du für eine Replik, he? Wie gefällt dir diese Melodie, Manier und Methode? Ist sie nicht im letzten Regen ersoffen? Nun, was sagst du, Pflastertreter? Ist die Welt noch, wie sie war, mein Guter? Wie heißt nun dein Lied? Geht's betrübt und einsilbig? Oder wie? Was ist der Humor davon? –
I nun, Herr, sie war mit ihrem Vorrat von gesalznem Fleisch zu Ende, nun hat sie sich selbst in die Beize begeben.
Ei, recht so; so gehört sich's; so muß es sein: Eure Fische immer frisch, Eure Hökerin in der Lauge: so ist's der Welt Lauf, so muß es sein. Begibst du dich ins Gefängnis, Pompejus?
Ei, das läßt sich hören, Pompejus! Glück zu! – Geh, sag, ich hätte dich hingeschickt; Schulden halber, Pompejus; oder vielleicht –
Schön! Darum ins Gefängnis mit ihm; wenn sich das Gefängnis für einen Kuppler gehört, dann geschieht ihm ja sein Recht; ein Kuppler ist er unleugbar, und zwar von alters her: ein geborner Kuppler. Leb wohl, teurer Pompejus, empfehlt mich dem Gefängnis; Ihr werdet wohl nun ein guter Haushalter werden, denn man wird Euch zu Hause halten.
Nein, wahrhaftig, das werd' ich nicht, Pompejus; das ist jetzt nicht Mode. Ich will mich für dich verwenden, daß man dich noch länger sitzen läßt; wenn du dann die Geduld verlierst, so zeigst du, daß du Haare auf den Zähnen hast. Leb wohl, beherzter Pompejus! – Guten Abend, Pater! –
Einige sagen, er sei beim Kaiser von Rußland; andre, er sei nach Rom gereist. Wo meint Ihr, daß er sei?
Das war ein toller, phantastischer Einfall von ihm, sich aus dem Staat wegzustehlen und sich auf die Bettelei zu werfen, zu der er nun einmal nicht geboren ist. Lord Angelo herzogt indes recht tapfer in seiner Abwesenheit; er nimmt das galante Wesen rechtschaffen ins Gebet.
Ein wenig mehr Milde für die Lüderlichkeit könnte ihm nicht schaden, Pater; etwas zu sauertöpfisch in dem Punkt, Pater.
Freilich, das Laster ist von großer Familie und vornehmer Verwandtschaft; aber es ist unmöglich, es ganz auszurotten, Pater, man müßte denn Essen und Trinken abschaffen. Man sagt, der Angelo sei gar nicht auf dem ordentlichen Wege der Natur von Mann und Weib erzeugt. Sollte das wohl wahr sein? Was meint Ihr?
Einige erzählen, eine Meernixe habe ihn gelaicht; andre, er sei von zwei Stockfischen in die Welt gesetzt: aber das ist gewiß, daß, wenn er sein Wasser abschlägt, der Urin gleich zu Eis gefriert; daran ist nicht der mindeste Zweifel. Er ist eine Marionette ohne Zeugungskraft, das kann nicht in Abrede gestellt werden.
Zum Henker, ist denn das nicht eine unbarmherzige Manier, um eines rebellischen Hosenlatzes willen einem Mann das Leben zu nehmen? Hätte der Herzog, der jetzt abwesend ist, das wohl je getan? Ehe der einen hätte hängen lassen um hundert Bastarde, hätte er das Kostgeld für ein ganzes Tausend aus seiner Tasche bezahlt. Er war kein Kostverächter, er verstand den Dienst, und das machte ihn nachsichtig.
Ich habe nie gehört, daß man den abwesenden Herzog eben mit Weibern in Verdacht gehabt hätte; er hatte dazu keinen Hang.
Was? Der Herzog nicht? Ja doch! Fragt nur Euer altes fünfzigjähriges Bettelweib; er pflegte ihr immer einen Dukaten in ihre Klapperbüchse zu stecken. Der Herzog hatte seine Nücken; er war auch gern betrunken: das glaubt mir auf mein Wort!
Herr, ich war sein vertrauter Freund; ein Duckmäuser war der Herzog, und ich glaube, ich weiß, warum er davon gegangen ist.
Nein, um Vergebung, das ist ein Geheimnis, das man zwischen Zähnen und Lippen verschließen muß. Aber so viel kann ich Euch doch zu verstehn geben: der größte Teil seiner Untertanen hielt den Herzog für einen verständigen Mann.
Entweder ist dies Neid, oder Narrheit von Euch, oder Irrtum; der ganze Lauf seines Lebens, die Art, wie er das Staatsruder geführt, würden, wenn es der Bürgschaft bedürfte, ein besseres Zeugnis von ihm ablegen. Laßt ihn nur nach dem beurteilt werden, wie er sich gezeigt hat, und er wird dem Neide selbst als ein Gelehrter, ein Staatsmann und ein Soldat erscheinen. Deshalb redet Ihr ohne Einsicht; oder wenn Ihr mehr Verstand habt, wird er sehr von Eurer Bosheit verfinstert.
Das kann ich kaum glauben, da Ihr nicht wißt, was Ihr sprecht. Aber wenn der Herzog je zurückkehrt (wie wir alle beten, daß es geschehn möge), so laßt mich Euch ersuchen, Euch vor ihm zu verantworten. Habt Ihr der Wahrheit gemäß gesprochen, so habt Ihr Mut, es zu vertreten.
[261] Meine Pflicht ist; Euch dazu aufzufodern; und des halb bitt' ich Euch, wie ist Euer Name?
Er wird Euch noch besser kennen lernen, wenn ich so lange lebe, daß ich ihm Nachricht von Euch geben kann.
Oh, Ihr hofft, der Herzog werde nicht zurückkehren, oder Ihr haltet mich für einen zu unbedeutenden Gegner. Und in der Tat, ich kann Euch wenig schaden: Ihr werdet dies alles wieder abschwören.
Ehe will ich mich hängen lassen; du irrst dich in mir, Pater. Doch genug hievon. Kannst du mir sagen, ob Claudio morgen sterben muß oder nicht?
Nun, weil er eine Flasche mit einem Trichter gefüllt. Ich wollte, der Herzog, von dem wir reden, wäre wieder da; dieser unvermögende Machthaber wird die Provinz durch Enthaltsamkeit entvölkern; nicht einmal die Sperlinge dürfen an seiner Dachtraufe bauen, weil sie verbuhlt sind. Der Herzog hätte gewiß, was im Dunkeln geschah, auch im Dunkeln gelassen; er hätte es nimmermehr ans Licht gebracht; ich wollte, er wäre wieder da! Wahrhaftig, dieser Claudio wird verdammt, weil er eine Schleife aufgeknüpft! Leb wohl, guter Pater! Ich bitte dich, schließ' mich in dein Gebet! Der Herzog, sage ich dir, verschmäht auch Fleisch am Freitag nicht. Er ist jetzt über die Zeit hinaus, und doch sag' ich dir, er würde eine Bettlerin schnäbeln, und röche sie nach Schwarzbrot und Knoblauch. Sag nur, ich hätte dir's gesagt! Leb wohl! –Ab.
Liebster, gnädiger Herr, habt Mitleid mit mir; [262] Euer Gnaden gilt für einen sanftmütigen Herrn – liebster, gnädiger Herr! –
Doppelt und dreifach gewarnt, und immer das nämliche Verbrechen! – das könnte die Gnade selbst in Wut bringen und zum Tyrannen machen.
Gnädiger Herr, das hat ein gewisser Lucio mir eingerührt. Jungfer Käthchen Streckling war schwanger von ihm zu des Herzogs Zeit; er versprach ihr die Ehe; sein Kind ist fünfviertel Jahr alt auf nächsten Philippi und Jakobi; ich habe es selbst aufgefüttert, und seht nun, wie er mit mir umspringen will!
Dies ist ein Mensch von sehr schlechter Aufführung: ruft ihn vor uns! Fort mit ihr ins Gefängnis – kein Wort mehr weiter! –
Schließer, mein Bruder Angelo läßt sich nicht überreden; Claudio muß morgen sterben. Besorgt ihm geistlichen Zuspruch, und was er zu christlicher Erbauung bedarf. Wenn mein Bruder gleiches Mitleid wie ich empfände, so stände es nicht so um Claudio.
Gnädiger Herr, dieser Pater ist bei ihm gewesen und hat ihm mit Rat beigestanden, dem Tode entgegen zu gehn.
Nichts; außer daß Rechtschaffenheit an einem so starken Fieber leidet, daß ihre Auflösung sie heilen muß. Nur dem Neuen wird nachgefragt, und es ist ebenso gefährlich geworden, in irgendeiner Lebensbahn alt zu werden, als es schon eine Tugend ist, in irgendeinem Unternehmen [263] standhaft zu bleiben. Kaum ist noch so viel Vertrauen wirksam, um der Gesellschaft Sicherheit zu verbürgen; aber Bürgschaft so überlei, daß man allen Umgang verwünschen möchte. Um diese Rätsel dreht sich die ganze Weisheit der Welt; dies Neue ist alt genug, und dennoch das Neue des Tages. Ich bitt' Euch, Herr, von welcher Gesinnung war Euer Herzog?
Mehr erfreut, andre froh zu sehn, als froh über irgend etwas, das ihn selbst vergnügt hätte; ein Herr, der in allen Dingen mäßig war. Doch überlassen wir ihn seinem Schicksal, mit einem Gebet für sein Wohlergehn, und vergönnt mir die Frage, wie Ihr Claudio vorbereitet fandet? Wie ich höre, habt Ihr ihm Euren Besuch gegönnt.
Er bekennt, sein Richter habe ihn nicht mit zu strengem Maß gemessen; vielmehr demütigt er sich mit großer Ergebung vor dem Ausspruch der Gerechtigkeit. Doch hatte er sich, der Eingebung seiner Schwachheit folgend, manche täuschende Lebenshoffnung gebildet, die ich allmählich herabgestimmt habe; und jetzt ist er gefaßt zu sterben.
Ihr habt dem Himmel Euer Gelübde und gegen den Gefangenen alle Pflichten Eures Berufs erfüllt. Ich habe mich für den armen jungen Mann bis an die äußerste Grenze meiner Zurückhaltung verwendet; aber meines Mitbruders Gerechtigkeitssinn zeigte sich so strenge, daß er mich zwang, ihm zu sagen, er sei in der Tat die Gerechtigkeit selbst.
Wenn sein eigner Wandel dieser Schroffheit seines Verfahrens entspricht, so wird sie ihm wohl anstehn; sollte er aber fehlen, so hat er sich sein eignes Urteil gesprochen.
Vierter Aufzug
Erste Szene
Lied
Bleibt, o bleibt, ihr Lippen, ferne,
Die so lieblich falsch geschworen;
Und ihr Augen, Morgensterne,
Die mir keinen Tag geboren!
Doch den Kuß gib mir zurück,
Gib zurück,
Falsches Siegel falschem Glück,
Falschem Glück! –
Recht wohl; doch üben Töne Zauberkraft,
Die Schlimmes gut, aus Gutem Schlimmes schafft. –
Ich bitt' Euch, sagt mir, hat hier jemand heut nach mir gefragt? Eben um diese Stunde versprach ich, ihn hier zu treffen.
Ich glaube Euch zuversichtlich; die Zeit ist da: eben jetzt. Ich muß Euch bitten, Euch auf einen Augenblick zu entfernen; ich denke, wir sprechen uns gleich wieder, um für Euch etwas Gutes einzuleiten.
Zweite Szene
Wenn der Mensch ein Junggesell ist, Herr, so kann ich's; ist's aber ein verheirateter Mann, so ist er seines Weibes Haupt; und ich kann unmöglich einen Weiberkopf abschlagen.
Hört, Freund, laßt die Narrenspossen und antwortet mir geradezu. Morgen früh sollen Claudio und Bernardino sterben; wir haben hier im Gefängnis unsern gewöhnlichen Scharfrichter, der einen Gehülfen im Dienst braucht: wenn Ihr's übernehmen wollt, ihm beizustehn, so sollt Ihr von Euem Fußschellen loskommen; wo nicht, so habt Ihr Eure volle Zeit im Gefängnis auszuhalten, und beim Abschied noch ein unbarmherziges Auspeitschen, denn Ihr seid ein stadtkündiger Kuppler gewesen.
Herr, ich bin seit undenklicher Zeit ein unzünftiger Kuppler gewesen; aber jetzt will ich mir's gefallen lassen, ein zünftiger Henker zu wer den. Es soll mir ein Vergnügen sein, einigen Unterricht von meinem Amtsbruder zu erhalten.
Seht einmal, hier ist ein Bursch, der Euch morgen bei der Hinrichtung helfen soll; wenn's Euch recht ist, so nehmt ihn an auf ein Jahr und behaltet ihn hier bei Euch; wo nicht, so braucht ihn für diesmal und laßt ihn gehn. Ihr könnt euch wegen der Ehre nicht unter einander zanken, denn er ist ein Kuppler gewesen.
Wollt Ihr nicht eine Ausnahme mit mir machen? Denn bis auf Eure hängenden Augen nehmt Ihr Euch sehr gut aus. Ihr nennt also Eure Hantierung eine Kunst?
Das Malen, Herr, habe ich sagen hören, sei eine Kunst; und da die Huren, Herr, unter deren Regiment ich gedient habe, sich aufs Malen verstehn, so folgt, daß meine [269] Hantierung eine Kunst sei: aber was für eine Kunst im Hängen sein sollte – und wenn Ihr mich hängen wolltet –, das kann ich nicht einsehn.
Freilich; denn sind Anzug und Halsschmuck ihm auch zu eng, der ehrliche Mann hält sie doch für weit genug; und findet Euer Dieb sie zu vollständig und derb, der ehrliche Mann hält sie für eng genug. Auf diese Weise muß jedes ehrlichen Mannes Anzug für den Dieb anpassend sein.
Herr, ich will ihm dienen; denn ich sehe, so ein Henker hat doch ein bußfertigeres Gewerbe als so ein Kuppler; er bittet öfter um Vergebung.
Ich bin sehr wißbegierig, Herr, und ich hoffe, wenn Ihr einmal Gelegenheit habt, mich für Euch selbst zu brauchen, Ihr sollt mich rührig finden; und wahrhaftig, Herr, Ihr habt so viel Güte für mich, daß ich Euch wieder gefällig sein möchte.
Mein Herr sendet Euch diese Zeilen, und durch mich den mündlichen Auftrag, daß Ihr nicht von dem kleinsten Punkt derselben abweichen sollt, weder in Zeit, Inhalt, noch sonst einem Umstand. – Guten Morgen, denn ich denke, der Tag bricht schon an. Bote geht ab.
Wie gesagt, Lord Angelo, der mich vermutlich nachlässig im Dienst glaubt, ermuntert mich durch dies ungewöhnliche Treiben. Mir scheint dies seltsam, denn es war früher nie seine Gewohnheit.
»Was Ihr auch immer vom Gegenteil hören mögt, laßt Claudio um vier Uhr hinrichten, und nachmittags den Bernardin. Zu besserer Versicherung schickt mir Claudios Kopf um fünf. Laßt dies genau vollzogen werden, und seid eingedenk, daß mehr hieran liegt, als wir Euch für jetzt [272] mitteilen dürfen. Verfehlt daher nicht, Eure Pflicht zu tun, indem Ihr auf eigne Gefahr dafür stehen müßt.« – Was sagt Ihr dazu, Herr? –
Ein Zigeuner von Geburt, doch hier im Lande erzogen und groß geworden; er sitzt schon seit neun Jahren gefangen. –
Wie kommt es, daß ihn der abwesende Herzog nicht entweder in Freiheit setzte oder hinrichten ließ? Wie ich höre, pflegte er immer so zu verfahren.
Seine Freunde wirkten beständig Aufschub für ihn aus, und in der Tat ward sein Verbrechen erst unter Lord Angelos Regierung unzweifelhaft erwiesen.
Ein Mensch, dem der Tod nicht fürchterlicher vorkommt als ein Weinrausch; sorglos, unbekümmert, furchtlos vor Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; ohne Scheu vor dem Tod, und ein ruchloser Mörder.
Die hört er nicht an; er hat jederzeit viel Freiheit im Gefängnis gehabt; man könnte ihm freistellen zu entfliehen, er würde es nicht tun. Er berauscht sich mehrmals am Tage; oft ist er mehrere Tage hinter einander betrunken. Mehr als einmal haben wir ihn geweckt, als wollten wir ihn zur Hinrichtung führen, und ihm einen vorgeblichen Befehl dafür gezeigt: es hat nicht den mindesten Eindruck auf ihn gemacht.
Hernach mehr von ihm. Auf Eurer Stirn, Kerkermeister, stehn Redlichkeit und Entschlossenheit geschrieben; lese ich nicht recht, so täuscht mich meine alte Erfahrung. Indes, im Vertrauen auf mein sichres Urteil will ich's drauf wagen. Claudio, für dessen Hinrichtung Ihr jetzt den Befehl habt, ist dem Gesetz nicht mehr verfallen als Angelo, der ihn verurteilt hat. Euch davon durch eine augenscheinliche [273] Probe zu versichern, bedarf es nur eines Aufschubs von vier Tagen, während dessen Ihr mir eine augenblickliche und gewagte Gefälligkeit erzeigen sollt.
Ach, wie kann ich das? Da mir die Stunde bestimmt und der ausdrückliche Befehl zugesandt ist, bei Todesstrafe seinen Kopf dem Angelo vor Augen zu bringen? Ich würde mir Claudios Schicksal zuziehn, wollte ich nur im geringsten hievon abweichen.
Bei meinem Ordensgelübde will ich Euch für alles einstehn, wenn Ihr meiner Leitung zu folgen wagt. Laßt diesen Bernardin heut morgen hinrichten und schickt seinen Kopf dem Angelo!
Oh, der Tod ist Meister im Entstellen, und Ihr könnt ihm zu Hülfe kommen. Schert ihm das Haupt, kürzt ihm den Bart, und sagt, der reuige Sünder habe dies vor seinem Tode so verlangt: Ihr wißt, daß der Fall häufig vorkommt. Wenn Euch irgend etwas hieraus erwächst, als Dank und gutes Glück: bei dem Heiligen, dem ich mich geweiht, so will ich's mit meinem Leben vertreten.
Nicht nur eine Möglichkeit, nein, eine Gewißheit. Doch weil ich Euch furchtsam sehe, und weder meine Ordenstracht, meine lautre Gesinnung, noch meine Überredung Euch gewinnen können, so will ich weiter gehn, als ich mir's vorgesetzt, um alle Furcht in Euch zu vernichten. Seht her, Freund! Hier ist des Herzogs Handschrift und Siegel. Ihr kennt die Schrift ohne Zweifel, und das Petschaft wird Euch nicht fremd sein.
Dieser Brief meldet des Herzogs Rückkehr; Ihr sollt ihn sogleich nach Gefallen durchlesen, und werdet sehn, daß er binnen zwei Tagen hier sein wird. Dies ist ein Umstand, den Angelo nicht weiß; denn eben heut erhält er Briefe von sonderbarem Inhalt: vielleicht daß der Herzog gestorben, vielleicht daß er in ein Kloster gegangen sei; aber wohl nichts von dem, was hier geschrieben steht. Seht, der Morgenstern macht den Schäfer schon munter. Staunt nicht zu sehr, wie alles dies zusammenhängt; alle Schwierigkeiten sind leichter, wenn man sie kennt. – Ruft Eure Scharfrichter, und herab mit Bernardinos Haupt; ich will sogleich seine Beichte hören und ihn für ein beßres Leben vorbereiten. Ich sehe, Ihr seid noch erstaunt; aber dies muß Euch durchaus zur Entschließung bringen. Kommt mit, es ist schon lichte Dämmerung.
Dritte Szene
Ich bin hier so bekannt, als ich's in unserm eignen Hause war; man sollte meinen, es wäre das Haus der Frau Überley, denn hier kommen eine Menge von ihren alten Kunden zusammen. Fürs erste ist hier der junge Herr Rasch; der sitzt hier für eine Provision von Packpapier und altem Ingwer, hundertsiebenundneunzig Pfund zusammen, woraus er fünf Mark bares Geld gemacht; freilich muß der Ingwer eben nicht sehr gesucht gewesen sein, und die alten Weiber waren wohl eben alle gestorben. Dann ist hier ein Herr Capriole, den Meister Dreihaar, der Seidenhändler, eingeklagt hat: für ein drei oder vier Stück schwarzen Atlas hat er ihn in unsre Gesellschaft eingeschwärzt. Dann haben wir hier den jungen Schwindlich, und den jungen Herrn Fluchmaul, und Herrn Kupfersporn, und Herrn Hungerdarm, den Dolch- und Degenmann, und den jungen Fegesack, der den lustigen Pudding [275] tot schlug; und Junker Stichfest, den Klopffechter, und den schmucken Herrn Schuhriem, den weitgereisten; und den wilden Halbnösel, der dem Krug den Garaus machte, und ich glaube ihrer vierzig mehr; lauter tapfre Leute in unsrer Hantierung, und werden jetzt heimgesucht um des Herrn willen.
Euer guter Freund, mein Herr, der Henker! Ihr müßt so gut sein, mein Herr, und aufstehn und Euch hinrichten lassen!
Bitt' Euch, Meister Bernardin, werdet nur wach, bis man Euch hingerichtet hat, nachher könnt Ihr weiter schlafen.
Im Ernst, Freund, macht Euch dran und haspelt Euer Gebet herunter; denn, seht Ihr, der Befehl ist da.
Ei desto besser; wenn er die ganze Nacht durch gesoffen hat, und man hängt ihn den Morgen früh, da hat er den andern Tag, um auszuschlafen.
Mein Freund, ich hörte, wie bald Ihr die Welt verlassen müßt, und kam aus christlicher Nächstenliebe, Euch zu ermahnen, zu trösten und mit Euch zu beten.
Pater, daraus wird nichts. Ich habe die ganze Nacht scharf gesoffen und muß mehr Zeit haben mich zu besinnen, sonst sollen sie mir das Hirn mit Keulen herausschlagen. Ich tu's nicht, daß ich mich heut hinrichten lasse; dabei bleibt's.
Nicht ein Wort! Wenn Ihr mir was zu sagen habt, kommt in mein Gefängnis, denn ich will heut keinen Schritt heraustun. Ab.
O schöne Isabella, mein ganzes Herz erblaßt, deine Augen so rot zu sehn! Du mußt dich in Geduld fassen. Ich muß mich auch drin finden, mittags und abends mit Wasser und Brot zufrieden zu sein; so lieb mein Kopf mir ist, darf ich meinen Bauch nicht füllen; eine einzige derbe Mahlzeit, und ich wäre geliefert. Aber wie es heißt, kommt der Herzog morgen wieder. Bei meiner Seele, Isabella, ich liebte deinen Bruder; hätte nur der alte phantastische Herzog, der Winkelkriecher, zu Hause gesessen, er lebte noch!
Herr, der Herzog ist Euern Reden über ihn außerordentlich wenig Dank schuldig; das beste ist nur, daß Eure Schild'rung ihm nicht gleicht.
Ihr habt mir schon zu viele erzählt, wenn sie wahr sind; und sind sie's nicht, so wäre eine einzige zu viel.
Nun freilich war sie's von mir; aber ich schwur die Geschichte ab; ich hätte sonst die faule Mispel heiraten müssen.
Mein' Seel', ich bringe dich noch bis an die Ecke. Wenn dir Zotengeschichten zuwider sind, so wollen wir dir nicht zu viel auftischen – ja, Mönch, ich bin eine Art von Klette, ich hänge mich an.
Vierte Szene
Auf die ungleichste und widersinnigste Weise. Seine Handlungen erscheinen fast wie Wahnsinn; der Himmel gebe, daß sein Verstand nicht gelitten habe! Und warum ihm vor dem Tore entgegen kommen und unsre Ämter dort niederlegen? –
Und warum sollen wir eben in der Stunde seiner Ankunft ausrufen lassen, daß, wenn jemand über Unrecht zu klagen hat, er sein Gesuch auf offener Straße anbringen möge?
Hierfür gibt er Gründe an: er will alle Klagen auf einmal abtun und uns für die Zukunft vor Streitigkeiten sicher stellen, die alsdann keine Kraft mehr gegen uns haben sollen.
Fünfte Szene
Sechste Szene
Fünfter Aufzug
Erste Szene
Gnädiger Herr, es wird wohl ein Schätzchen sein, denn die sind gewöhnlich weder Mädchen, Witwen, noch Frauen.
Signor Lucio, sagtet Ihr nicht, Ihr kenntet jenen Pater Ludwig als einen Menschen von unehrbarem Wandel?
Cucullus non facit monachum: ehrbar in nichts, als in seinem Habit; und hat höchst niederträchtig von unserm Herzog gesprochen.
Seid so gut und wartet hier, bis er kommt, um dies gegen ihn zu behaupten. Es wird sich ergeben, daß dieser Mönch ein schlimmer Gesell ist.
Ruft besagte Isabella wieder her, ich will mit ihr reden. Erlaubt mir, gnädiger Herr, sie zu vernehmen. Ihr sollt sehen, wie ich ihr zusetzen werde.
Ei, gnädiger Herr, ich meine nur, wenn Ihr insgeheim ihr zusetzt, so wird sie eher beichten; vielleicht schämt sie sich, es so vor der Welt zu tun.
Näher, guter Freund! Habt Ihr diese Weiber angestiftet, [292] Lord Angelo zu verleumden? Sie haben bekannt, daß Ihr es tatet.
Ich erinnere mich Eurer, Herr, an dem Ton Eurer Stimme; ich traf Euch während des Herzogs Abwesenheit im Kerker. –
Wirklich, Herr? Und läuft der Herzog den Dirnen nach? Und ist er ein Geck und eine Memme, wie Ihr von ihm sagtet?
Ihr müßt erst unsre Rollen tauschen, Herr, eh' Ihr mich das sagen laßt; Ihr allerdings spracht so von ihm, und viel mehr, viel schlimmer.
Hört doch, wie der Schurke jetzt abbrechen möchte, nachdem er verräterische Lästerungen ausgestoßen! –
Mit solchem Kerl muß man kein Wort verlieren: fort mit ihm ins Gefängnis! Wo ist der Schließer? Fort mit ihm ins Gefängnis! – Legt ihm Eisen genug an, laßt ihn nicht weiter reden; und nun auch fort mit den leichtfertigen Dirnen und ihren andern Spießgesellen.
Wartet nur, wartet nur, wartet nur; pfui doch! Was, Ihr kahlköpfiger, lügnerischer Schuft, Ihr müßt Euch den Kopf so vermummen? Müßt Ihr? Zeigt einmal Euer Schelmengesicht, und an den Galgen mit Euch! Zeigt Euer Strauchdiebsgesicht, und laßt Euch frisch hängen! Will die Kapuze nicht herunter?
Meiner Treu, gnädigster Herr, ich sagte das nur so nach hergebrachter Mode; wollt Ihr mich dafür hängen lassen, so mag's geschehn; aber ich säh' es lieber, wenn Ihr geruhen wolltet, mich durchpeitschen zu lassen.
Ich bitt' Euer Hoheit um alles, verheiratet mich, doch nicht an eine Metze! Eu'r Hoheit sagte noch eben, ich hätte Euch zum Herzoge gemacht: liebster, gnädiger Herr, lohnt mir nun nicht damit, daß Ihr mich zum Hahnrei macht.
Solch einen lüderlichen Fisch heiraten, gnädiger Herr, ist erdrückt, erstickt, gepeitscht und gehängt werden.
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- TextGrid Repository (2012). Shakespeare, William. Komödien. Maß für Maß. Maß für Maß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0CA0-5