Dritte Szene
Im florentinischen Lager.
Die beiden französischen Edelleute und einige Soldaten treten auf.
ERSTER EDELMANN.
Ihr habt ihm den Brief seiner Mutter noch nicht gegeben.
ZWEITER EDELMANN.
Ich gab ihn ihm vor einer Stunde; es muß etwas darin stehn, das ihn schmerzlich trifft; denn als er ihn las, ward er fast in ein andres Wesen verwandelt.
ERSTER EDELMANN.
Er verdient den schärfsten Tadel, daß er eine so würdige Gemahlin und holde Dame verstoßen hat.
ZWEITER EDELMANN.
Besonders hat er sich des Königs Ungnade für ewige Zeiten zugezogen, der eben seine Huld dazu gestimmt hatte, ihm Glück zu singen. – Ich will Euch etwas sagen, aber es muß in tiefem Dunkel bei Euch verborgen bleiben.
ERSTER EDELMANN.
Wenn Ihr's ausgesprochen habt, ist es tot, und es liegt in mir begraben.
ZWEITER EDELMANN.
Er hat hier in Florenz ein junges Fräulein vom sittsamsten Ruf verführt, und diese Nacht sättigt er seine Lust mit dem Raube ihrer Ehre. Er hat ihr seinen Familienring geschenkt und hält sich für überglücklich in dieser unkeuschen Verbindung.
ERSTER EDELMANN.
Nun, Gott erbarme sich unsers Abfalls! Was sind wir für Geschöpfe, wenn wir unserneignen Weg gehn!
ZWEITER EDELMANN.
Nur unsre eignen Verräter. Und wie, nach dem gewöhnlichen Lauf aller Verrätereien, sie sich immer selbst aufdecken, ehe sie ihr ruchloses Ziel erreicht haben, so wird auch er, der in dieser Tat seinen innern Adel herabsetzt, zugleich der Herold seiner eignen Schande.
ERSTER EDELMANN.
Ist es denn nicht eine höchst strafwürdige Gesinnung, selbst die Verkünder unsrer verbotnen Absichten zu sein? – Wir werden ihn also nicht heut abend in unsrer Gesellschaft sehn? –
ZWEITER EDELMANN.
Nicht bis nach Mitternacht, denn das ist die ihm bestimmte Stunde.
ERSTER EDELMANN.
Die ist nicht mehr fern. Ich möchte gern, [179] daß er seinen Freund anatomiert sähe, damit er sein eignes Urteil würdigen lerne, in welches er diesen falschen Demant so künstlich eingefaßt hatte.
ZWEITER EDELMANN.
Wir wollen uns mit jenem nicht abgeben, bis der Graf kommt; denn seine Gegenwart muß die Geißel des Gesellen werden.
ERSTER EDELMANN.
Sagt mir derweil, was hört Ihr von diesem Krieg?
ZWEITER EDELMANN.
Ich höre, man spricht von Friedensunterhandlungen.
ERSTER EDELMANN.
Nein, ich versichre Euch, der Friede ist schon geschlossen.
ZWEITER EDELMANN.
Was wird Graf Roussillon dann beginnen? – Wird er weiter reisen oder nach Frankreich zurückkehren?
ERSTER EDELMANN.
Ich schließe aus dieser Frage, daß Ihr nicht ganz in sein Geheimnis eingeweiht seid.
ZWEITER EDELMANN.
Dafür behüte mich Gott, Herr! Dann hätte ich auch großen Teil an seinem Tun.
ERSTER EDELMANN.
Seine Gemahlin, Herr, entfloh vor zwei Monaten aus seinem Hause: zum Vorwand nahm sie eine Pilgerfahrt zu Sankt Jakob dem Ältern, und vollbrachte dies heilige Unternehmen mit der strengsten Andacht. Während sie dort noch verweilte, ward die Zartheit ihrer Natur ihrem Kummer zur Beute; endlich seufzte sie ihren letzten Atem aus, und betet jetzt im Himmel.
ZWEITER EDELMANN.
Wie weiß man das mit Gewißheit?
ERSTER EDELMANN.
Größtenteils aus ihren eignen Briefen; diese bestätigen ihre Geschichte bis auf den Punkt ihres Todes. Ihr Tod selbst, den sie nicht berichten konnte, ward zuverlässig durch den Pfarrer des Orts beglaubigt.
ZWEITER EDELMANN.
Ist das alles dem Grafen zugekommen?
ERSTER EDELMANN.
Ja, und die besondern Belege, Punkt für Punkt, zur völligen Bekräftigung der Wahrheit.
ZWEITER EDELMANN.
Es tut mir herzlich leid, daß er darüber froh sein wird.
ERSTER EDELMANN.
Wie wunderbar finden wir oft einen Trost in unserm Verlust!
[180] ZWEITER EDELMANN.
Und wie wunderbar benetzen wir oft unsern Gewinn mit Tränen! Die große Auszeichnung, die seine Tapferkeit ihm hier erworben, wird in seinem Vaterlande einer eben so tiefen Schande begegnen.
ERSTER EDELMANN.
Das Gewebe unsres Lebens besteht aus gemischtem Garn, gut und schlecht durch einander. Unsre Tugenden würden stolz sein, wenn unsre Fehler sie nicht geißelten, und unsre Laster würden verzweifeln, wenn sie nicht von unsern Tugenden ermuntert würden.
Ein Diener tritt auf.
Nun, wo ist dein Herr?
DIENER.
Er begegnete dem Herzog auf der Straße, Herr, und beurlaubte sich feierlich bei ihm. Seine Gnaden wollen morgen nach Frankreich; der Herzog hat ihm Empfehlungsschreiben an den König angeboten.
ZWEITER EDELMANN.
Die werden ihm dort mehr als nötig sein, sagten sie auch mehr zu seinem Lobe, als sie können.
ERSTER EDELMANN.
Sie können nicht süß genug für des Königs herbe Stimmung sein. – Da kommt der Graf. –
Bertram tritt auf.
Nun, gnädiger Herr, ist's nicht schon nach Mitternacht?
BERTRAM.
Ich habe diesen Abend sechzehn Geschäfte abgetan, jedes allein einen Monat lang; so kurz habe ich mich gefaßt. Ich habe vom Herzog Abschied genommen, mich seiner Umgebung empfohlen, ein Weib begraben, Trauer getragen, meiner Mutter geschrieben, ich käme zurück; meine Reise eingerichtet, und außer diesen Hauptobliegenheiten noch allerlei kleine Dinge ausgerichtet. Das letzte war das wichtigste, aber mit dem bin ich noch nicht zu Ende.
ZWEITER EDELMANN.
Wenn die Sache einige Schwierigkeit hat und Ihr diesen Morgen abreisen wollt, muß Euer Gnaden sich beeilen.
BERTRAM.
Ich meine, die Sache ist nicht zu Ende, weil ich fürchte, noch in der Folge davon zu hören. – Aber sollen wir nicht die Szene zwischen dem Narr'n und den Soldaten aufführen?
[181] Kommt, bringt uns dies falsche Muster her; er hat mich betrogen, wie ein doppelzüngiger Prophet.
ZWEITER EDELMANN.
Führt ihn her! Er hat die ganze Nacht im Stock gesessen, der arme, tapfre Wicht.
BERTRAM.
Tut nichts; seine Fersen haben's verdient, weil sie sich so lange der Sporen angemaßt. Wie ist denn seine Fassung? –
ERSTER EDELMANN.
Wie ich Euer Gnaden sagte, seine Einfassung ist der Block. Aber um Euch zu antworten, wie Ihr verstanden sein wollt: er weint wie eine Dirne, die ihre Milch verschüttet hat. Er hat dem Morgan gebeichtet, den er für einen Mönch hält, von der Zeit seiner frühesten Erinnerung an, bis zu diesem gegenwärtigen Unglück seines Stocksitzens: was meint Ihr wohl, daß er gebeichtet hat?
BERTRAM.
Nichts von mir, hoff' ich? –
ZWEITER EDELMANN.
Seine Beichte ist zu Protokoll gebracht und soll in seiner Gegenwart abgelesen werden. Wenn Euer Gnaden darin vorkommen, wie ich fast glaube, so müßt Ihr die Geduld haben, es anzuhören.
Die Soldaten kommen zurück mit Parolles.
BERTRAM.
Hol' ihn der Henker, den vermummten Kerl! Er kann nichts von mir sagen. Still! Still!
ERSTER EDELMANN.
Da kommt die Blindekuh! – Porto Tartarossa.
DOLMETSCHER.
Er ruft nach der Tortur: wollt Ihr nicht ohne das bekennen?
PAROLLES.
Ich will ohne Zwang sagen, was ich weiß; wenn Ihr mich kerbt wie einen Pastetendeckel, ich kann nicht mehr sagen.
DOLMETSCHER.
Bosco chimurcho.
ZWEITER EDELMANN.
Boblibindo chicurmurco.
DOLMETSCHER.
Ihr seid ein gnädiger General. – Unser General befiehlt Euch, auf die Fragen zu antworten, die ich von meinem Zettel vorlesen werde.
PAROLLES.
Und so wahrhaft, als ich zu leben hoffe.
DOLMETSCHER.
»Zuerst fragt ihn, wie stark des Herzogs Reiterei ist.« Was sagt Ihr dazu?
[182] PAROLLES.
Fünf- bis sechstausend; aber sehr schwach und schlecht exerziert; die Truppen sind alle verstreut, und die Hauptleute arme Teufel: auf meine Ehre und Reputation, so wahr ich zu leben hoffe!
DOLMETSCHER.
Soll ich Eure Antwort so niederschreiben?
PAROLLES.
Tut das: ich will das Sakrament darauf nehmen, wie und wo Ihr wollt.
BERTRAM.
Dem ist alles eins; der Schurke ist ohne Gnade verloren!
ERSTER EDELMANN.
Ihr irrt Euch, gnädiger Herr: es ist Monsieur Parolles, der ausbündige Günstling des Mars (das war seine eigne Phrase), der die ganze Theorie der Kriegskunst in dem Knoten seiner Schärpe trägt, und die Praxis im Gehenk seines Seitengewehrs.
ZWEITER EDELMANN.
Ich will nie wieder jemand trauen, weil er seine Klinge blank hält, noch glauben, daß er der höchste der Menschen sei, weil sein Anzug sauber ist.
DOLMETSCHER.
Gut, das ist geschrieben.
PAROLLES.
Fünf- oder sechstausend Pferde, sagte ich, ich will aufrichtig sein; oder so ungefähr, schreibt hin: denn ich will die Wahrheit sagen.
ERSTER EDELMANN.
Hierin ist er der Wahrheit sehr nahe.
BERTRAM.
Aber ich weiß ihm keinen Dank für die Art und Weise, wie er sie aussagt.
PAROLLES.
Arme Teufel, das schreibt doch ja!
DOLMETSCHER.
Gut, da steht's!
PAROLLES.
Untertänigsten Dank, Herr; wahr bleibt wahr; es sind recht miserable Teufel.
DOLMETSCHER.
»Fragt ihn, wie stark ihr Fußvolk ist.« – Was sagt Ihr dazu?
PAROLLES.
Auf meine Ehre, Herr – hätt' ich nur noch diese Stunde zu leben – ich will die Wahrheit sagen. Laßt sehn: Spurio, einhundertundfünfzig; – Sebastian, eben so viel; – Corambus, eben so viel; – Jaques, eben so viel, – Guiltian, Cosmo, Lodovico und Grazii, jeder zweihundertundfünfzig; – meine eigne Kompagnie, Christopher, Vaumond, Benzii, jeder zweihundertundfünfzig: so daß die Musterrolle, Gesunde und Kranke, sich bei meiner Ehre nicht auf fünfzehntausend [183] Köpfe beläuft; und von denen wagt die Hälfte nicht den Schnee von ihren Wämsern abzuschütteln, damit sie nicht aus einander fallen.
BERTRAM.
Was soll man mit ihm anfangen?
ERSTER EDELMANN.
Nichts, als sich bei ihm bedanken. – Fragt ihn doch nach meinen Umständen, und wie ich beim Herzog angeschrieben bin.
DOLMETSCHER.
Gut, das steht geschrieben. – »Ihr sollt ihn fragen, ob ein gewisser Hauptmann Dumain im Lager ist, ein Franzose; in welchem Ruf er beim Herzog steht; wie es mit seiner Tapferkeit, Rechtschaffenheit und Kriegskenntnis beschaffen ist; und ob er's nicht für möglich hält, ihn mit einer vollwichtigen Summe zur Desertion zu bestechen.« Was sagt Ihr dazu? Wißt Ihr etwas davon?
PAROLLES.
Bitt' Euch, laßt mich diese Fragstücke einzeln beantworten: fragt jedes besonders!
DOLMETSCHER.
Kennt Ihr diesen Hauptmann Du main?
PAROLLES.
Ich kenne ihn! Er war bei einem Kleiderflicker in Paris in der Lehre, von dort wurde er weggepeitscht, weil er des Landrichters blödsinnige Magd geschwängert hatte – ein einfältiges stummes Ding, die nicht Nein sagen konnte.
Dumain hebt im Zorn seine Hand auf.
BERTRAM.
Nein, ich bitte Euch, laßt Eure Hand in Ruhe; sein Schädel gehört dem ersten Ziegel, der vom Dach fällt.
DOLMETSCHER.
Nun, und ist dieser Hauptmann im Lager des Herzogs von Florenz?
PAROLLES.
So viel ich weiß, steckt er da, und voller Läuse.
ERSTER EDELMANN.
Oh, seht mich nicht so an, gnädiger Herr; nun wird gleich die Reihe an Euch kommen.
DOLMETSCHER.
In welchem Ruf steht er beim Herzog?
PAROLLES.
Der Herzog kennt ihn nur als einen armen Offizier von meiner Kompagnie und schrieb mir vor ein paar Tagen, ich solle ihn fortjagen. Ich glaube, ich habe seinen Brief noch in der Tasche.
DOLMETSCHER.
Kommt, wir wollen nachsuchen.
PAROLLES.
In vollem Ernst, ich weiß doch nicht; entweder ist [184] er da, oder er hängt mit des Herzogs andern Briefen auf dem Faden in meinem Zelte.
DOLMETSCHER.
Hier ist er; hier ist ein Papier: soll ich's Euch vorlesen? –
PAROLLES.
Ich weiß nicht, ob er's ist oder nicht.
BERTRAM.
Unser Dolmetscher macht es gut!
ERSTER EDELMANN.
Vortrefflich!
DOLMETSCHER
liest.
»Diana, der Graf ist ein Narr, und schwer von Gold« –
PAROLLES.
Das ist nicht des Herzogs Brief, Herr: das ist eine Warnung für ein artiges Mädchen in Florenz, eine gewisse Diana, sich vor den Lockungen eines gewissen Grafen von Roussillon in acht zu nehmen, eines albernen, müßigen, jungen Menschen, der aber bei alle dem sehr verliebt ist. Ich bitte Euch, Herr, steckt ihn wieder ein.
DOLMETSCHER.
Nein, ich will ihn erst lesen, wenn Ihr erlaubt.
PAROLLES.
Meine Absicht dabei war bei meiner Ehre sehr redlich, zum Besten des Mädchens; denn ich kenne diesen jungen Grafen als einen gefährlichen und lüderlichen Burschen, einen rechten Walfisch aller Jungferschaft, der jede Beute verschlingt, die ihm in den Wurf kommt.
BERTRAM.
Verdammter Kerl! Auf beiden Seiten ein Schurke!
DOLMETSCHER
liest.
»Schwört er, so fodre Gold und halt' es klüglich;
Sonst zahlt er nie die Zeche nach dem Zechen.
Wer halb gewinnt, kauft gut: drum sag' ich füglich,
Weil er nicht nachzahlt, laß vorher ihn blechen!
Und Diana, ein Soldat tut dir zu wissen:
Mit Männern halt's, nicht Knaben laß dich küssen!
Dem Braven trau', dem Grafen nimmermehr:
Zahlt er voraus nicht, prellt er hinterher.
Der deine, wie er dir ins Ohr gelobt.
Parolles.«
BERTRAM.
Er soll durchs ganze Lager gepeitscht werden, mit diesem Reim an seiner Stirn.
ZWEITER EDELMANN.
Das ist Euer treu ergebner Freund. Herr, der vielbewanderte Sprachkenner und waffenkundige Soldat.
[185] BERTRAM.
Ich habe von jeher alles ertragen können, nur keine Katze, und nun ist er eine Katze für mich.
DOLMETSCHER.
Ich schließe aus des Feldherrn Blicken, Herr, daß wir wohl nicht werden umhin können, Euch aufzuhängen.
PAROLLES.
O Herr, nur mein Leben, auf jeden Fall; nicht, daß ich mich vor dem Tode fürchte, sondern weil meiner Sünden so viel sind, daß ich sie gern in dieser Zeitlichkeit abbüßen möchte. Laßt mich leben, Herr, in einem Kerker, im Block, wo es auch sei, wenn ich nur lebe.
DOLMETSCHER.
Wir wollen sehn, was sich tun läßt, wenn Ihr aufrichtig bekennt. Also, – um nochmals auf diesen Hauptmann Dumain zu kommen, – über sein Ansehn beim Herzog und über seine Tapferkeit habt Ihr geantwortet. Wie steht's um seine Rechtschaffenheit?
PAROLLES.
Er wird Euch ein Ei aus einem Kloster stehlen; an Gewalttätigkeiten und Entführungen kommt er dem Nessus gleich. Er gibt sich nie damit ab, seine Eide zu halten; sie zu brechen, darin ist er stärker als Herkules. Lügen kann er mit solcher Geläufigkeit, daß Ihr die Wahrheit für eine Närrin halten solltet; Trunkenheit ist seine beste Tugend, denn er säuft Euch wie ein Vieh, und in seinem Schlaf tut er niemand was zu Leide, als seinen Bettüchern; aber man kennt seine Unarten schon und legt ihn auf Stroh. Sonst weiß ich nicht viel mehr von seiner Rechtschaffenheit zu sagen, Herr: er hat alles, was ein rechtschaffner Mann nicht haben sollte; und was ein rechtschaffner Mann haben sollte, davon hat er nichts.
ERSTER EDELMANN.
Ich fange an, ihm dafür gut zu werden.
BERTRAM.
Für diese Beschreibung deiner Rechtschaffenheit? Ich meinesteils wünsche ihn zum Henker; er wird mir immer mehr und mehr zur Katze.
DOLMETSCHER.
Was sagt Ihr von seiner Kriegs kenntnis?
PAROLLES.
Meiner Treu, er hat die Trommel vor den englischen Komödianten her geschlagen; belügen möchte ich ihn eben nicht, und mehr weiß ich nicht von seiner Soldatenschaft, außer daß er in England die Ehre hatte, Dienste an einem Orte zu tun, den sie dort Mile-End nennen; und da hat er[186] die Leute exerziert, zwei Mann hoch zu stehn. Ich möchte dem Menschen gern alle mögliche Ehre antun, aber dieser Sache bin ich nicht recht gewiß.
ERSTER EDELMANN.
Er hat den Schuft so überschuftet, daß die Seltenheit ihn frei spricht.
BERTRAM.
Zum Henker mit ihm! Er bleibt immer eine Katze.
DOLMETSCHER.
Da seine Eigenschaften so wenig wert sind, so brauche ich Euch wohl nicht zu fragen, ob Gold ihn wohl zur Desertion verführen könnte?
PAROLLES.
Für einen Quart d'Ecu verkauft er Euch das Freilehn seiner Seligkeit, sein Erbrecht dran, und prellt alle seine Agnaten um ihre Anwartschaft und Sukzession auf ewige Zeiten.
DOLMETSCHER.
Was sagt Ihr denn von seinem Bruder, dem andern Hauptmann Dumain?
ZWEITER EDELMANN.
Warum fragt er ihn nach mir?
DOLMETSCHER.
Wie ist's mit dem? –
PAROLLES.
Auch eine Krähe aus demselben Nest; nicht ganz so groß als der Älteste im Guten, aber ein großes Teil größer im Bösen. Er übertrifft seinen Bruder als Memme, und doch gilt sein Bruder für eine der vorzüglichsten in der Welt. Auf der Flucht überrennt er jeden Läufer, und wenn's zum Angriff geht, hat er den Krampf.
DOLMETSCHER.
Wenn Euch das Leben geschenkt wird, wollt Ihr dann versprechen, den Herzog von Florenz zu verraten?
PAROLLES.
Ja, und den Anführer seiner Reiterei, den Grafen Roussillon, obendrein.
DOLMETSCHER.
Ich will heimlich mit dem General reden und hören, was sein Wille ist.
PAROLLES
beiseit.
Ich will keine Trommeln mehr; hol' die Pest alle Trommeln! Nur um den Schein des Verdiensts zu haben und den Argwohn dieses lüderlichen jungen Grafen zu hintergehn, habe ich mich in solche Gefahr begeben. Wer hätte aber auch einen Hinterhalt vermutet, wo ich gefangen ward?
DOLMETSCHER.
Es ist keine Hülfe, Freund, Ihr müßt sterben. Der General sagt, wer so verräterisch die Geheimnisse seines [187] Heers entdeckt und so giftige Berichte über höchst ehrenwerte Männer aussagt, könne der Welt nicht redlich nützen; darum müßt Ihr sterben. Kommt, Scharfrichter; herunter mit seinem Kopf!
PAROLLES.
O Gott, Herr, laßt mich leben, oder laßt mich meinen Tod sehn! –
DOLMETSCHER.
Das sollt Ihr, und Abschied nehmen von allen Euren Freunden. Er nimmt ihm die Binde ab. So, seht Euch um; kennt Ihr jemand hier?
BERTRAM.
Guten Morgen, edler Hauptmann!
ZWEITER EDELMANN.
Gott segn' Euch, Hauptmann Parolles!
ERSTER EDELMANN.
Gott schütz' Euch, edler Hauptmann!
ZWEITER EDELMANN.
Hauptmann, habt Ihr einen Gruß für Herrn Lafeu? Ich will nach Frankreich.
ERSTER EDELMANN.
Lieber Hauptmann, wollt Ihr mir nicht eine Abschrift von dem Sonett geben, das Ihr an Diana geschickt, um ihr den Grafen von Roussillon zu empfehlen? Wenn ich nicht eine Erzmemme wäre, so zwänge ich sie Euch ab; aber so lebt wohl!
Bertram und die Edelleute gehn ab.
DOLMETSCHER.
Ihr seid verloren, Hauptmann, ganz aufgelöst; nur Eure Schärpe ist es nicht, die hat noch einen Knoten.
PAROLLES.
Wen zertrümmerte wohl nicht ein solches Komplott?
DOLMETSCHER.
Könntet Ihr ein Land auffinden, wo die Weiber nicht mehr Scham hätten als Ihr, Ihr würdet dort ein recht unverschämtes Volk stiften. Gehabt Euch wohl, Herr! Ich will auch nach Frankreich; wir werden dort von Euch erzählen. Geht ab.
PAROLLES.
Doch bin ich dankbar. Wäre groß mein Herz,
Jetzt bräch' es! Mit der Hauptmannschaft ist's aus;
Doch soll mir Speis' und Trank und Schlaf gedeihn,
Als wär' ich Hauptmann; nähren muß mich nun
Mein nacktes Selbst. Wer sich erkennt als Prahler,
Der nehm' ein Beispiel dran; es kann nicht fehlen,
Kein Großmaul weiß sein Eselsohr zu hehlen.
[188]Verroste, Schwert, und Scham, fahr' hin! Glück auf;
Beginn' als Narr den neuen Lebenslauf,
Denn noch sind Platz und Unterhalt zu Kauf. –
Ich geh' mit ihnen.
Er geht ab.