5. Ein Mord
Gott grüß' euch, liebe Bäume!
Wie blüht ihr so getreu,
Macht unsrer Jugend Träume
Alljährlich wahr und neu.
Die süße Mädchenblüte
Glänzt einmal nur, nicht mehr.
Euch schenkt des Himmels Güte
Der Blüten Wiederkehr. –
Was stört mir die Gedanken
Ein finsterer Gesell?
Wie seine Schritte wanken
Jetzt langsam und jetzt schnell!
Er schießt so gift'ge Blicke,
Ein Beil schwingt seine Hand,
Als würd' es ins Genicke
Des Feindes jäh gesandt.
Es ist schon Abend worden,
Und nicht geheuer hier!
Und doch – wer könnte morden
In solcher Frühlingszier?
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Mich schaudert, ich entweiche.
Was thut er? – Mensch! Abschaum!
Du führst die Todesstreiche
Auf einen Blütenbaum!
Weh! Hieb auf Hieb! dem zweiten,
Dem dritten thut er's an;
Dem Baume, der nicht streiten,
Der sich nicht wehren kann!
Halt ein! – er ist entflohen,
Er schwindet in den Wald;
Von fern seh' ich ihn drohen,
Als käm' er wieder bald.
Mein Herz ist fast gebrochen
Vor seiner Streiche Wucht.
Sie sterben vor der Frucht.
Umsonst bin ich entronnen
Der Stadt, die Böses pflegt,
Wenn hinterm Licht der Sonnen
Die Flur noch Schwärzres hegt;
Wenn in die milde Sprache,
Die Gott den Frühling lehrt,
Der Mensch mit seiner Rache
Auch hier verhöhnend fährt.
Fußnoten
1 sochen = siechen.