Auf den Tod eines Seelsorgers

Palmsonntag 1837.


Charwoche, die auf Erden schleicht so bang,
Im Himmel fliegt sie unter Lobgesang.
Die Engel und die Geister vor dem Thron,
Sie flammen heller auf um Gottes Sohn,
Da kommt die Stunde, wo der Ew'ge spricht:
Daß Menschen ich erschaffen, reut mich nicht.
Und wenn hier unten einer enden soll,
Ein Auserwählter, licht- und gnadenvoll,
Wird ihm zu Theil kein schönrer Sterbetag,
Als wenn ihn ruft Palmsonntags-Glockenschlag.
Tritt ein, tritt ein, schallt's aus dem Himmelssaal,
Du bist willkommen uns bei'm Liebesmahl;
Und mit der Palme naht ein sel'ger Gast,
Und hält mit andern Himmelsgästen Rast.
Palmsonntag war's, es stieg zum Himmelsthor
Im leichten Aetherleib ein Geist empor
Von Wuchse hoch, ein ungebeugter Greis,
Sein schwarzes Haar an keiner Locke weiß.
Er schritt einher mit rüst'gem Jünglingsgang,
Doch demutvoll, nicht pochend auf Empfang.
Die Engel, die der Pforte Hüter sind,
Begnügte Geister, einfach wie ein Kind,
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Nicht groß an Wissen, nur von Willen rein,
Gleich Sterblichen, urtheilen aus dem Schein.
»Wer ist der Greis mit ungebleichtem Haar?«
Spricht Einer: »welch ein starkes Schulternpaar!
Wenn Simon nicht schon lang' am Throne wär',
Spräch' ich fürwahr: dem Herrn das Kreuz trug der!«
Als nun der Himmelspilger näher kam,
Ein Engel besser ihn in's Auge nahm:
»O sehet, diesen Blick voll tiefer Glut,
Dieß Feuer, das verkohlt hat Fleisch und Blut;
Kennt' ich nicht längst den Kirchenvater, Ihn,
Ich spräch', ich seh' den Ringer Augustin!«
Schon vor dem Thore harrte der Genoß;
Der goldne Riegel tönt im Demantschloß,
Geöffnet spaltet sich die Perlenthür,
Und Petrus der Zwölfbote tritt herfür.
Der mißt mit langem Staunen die Gestalt,
Spricht endlich: »Nicht hier oben wird man alt,
Wird schwächer nicht an Geist – mir aber ist,
Als hättest drunten du gedient dem Christ
Mit mir, als wärst gelegen du bei'm Mahl
An meiner Seiten, in der Jünger Zahl!« –
»O Herre,« spricht der Pilger schreckensvoll,
»Ich bin ein Knecht, der Rechnung stellen soll;
Ich bin ein armer Sünder, zittr' und zag',
Ach, dieser Palmtag ist mein jüngster Tag!«
Bei so zerknirschten Worten voll von Reu'
Wird selbst der kluge Himmelspförtner scheu;
Nicht kommen darf, zumal in solcher Zeit,
Ein Gast herein ohn' hochzeitliches Kleid.
Wer weiß, ob dieses Mannes Brust zerreißt
Nicht gar die Sünde wider'n heil'gen Geist?
Da ruft's vom Throne: »Christian Adam Dann!
Zu mir, zum Sohne! treuer theurer Mann!
Vor neun und siebzig Jahren mir getauft!
Von Kindesbeinen mir mit Blut erkauft!
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Mein Bild, in jeden Menschenkeim gelegt,
Gediegen hat's aus dir der Geist geprägt.
Du bist nur Du! Vergleichung thut es nicht,
Komm, zeige mir dein eigenst Angesicht!
Was zögerst du? – Dein harret schon die Schar,
Für die dein Wort des Lebens Nahrung war!
Mit Milch wie viele Kindlein tränktest du:
In Gott erwachsen strömen sie dir zu!
Wie strudelnd gossest du des Zornes Wein
Dem Taumelkelch verstockter Sünder ein,
Und streutest sonder Erntehoffnung Saat –
Doch dein und mein Geist wirkte Wunderthat.
Den Palmzweig flicht in's unergraute Haar,
Reich' mir die schwurgetreue Rechte dar.
Verklären wird sie meines Lebens Hauch,
Gesunden soll dein Schmerzensfinger auch,
An dem genagt das Leiden jener Zeit,
Das schwinden muß vor dieser Herrlichkeit,
Nimm hin die Krone, Christian Adam Dann.
Bleib' du bei'm Sohne, treuerfundner Mann!
Ruh' an der Brust, an der Johannes lag,
Vernimm der ew'gen Liebe Herzensschlag!«

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TextGrid Repository (2012). Schwab, Gustav. Gedichte. Gedichte. 2. Zeitgedichte. Auf den Tod eines Seelsorgers. Auf den Tod eines Seelsorgers. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-087F-4