Die Böhmenkönigin in Schwaben

Nach der Weise: Mag ich Unglück nicht widerstahn etc. 1


O Böhmenland mit Bergen stolz
Mit dunklem Holz,
Mit süßen frischen Quellen!
Was hörest du für frommen Schall
Im Widerhall
Aus deinen Thälern schwellen?
Wer singt so schlicht
Vom Glaubenslicht?
[316]
Wer wiegt so fein
Den Kummer ein
Auf sanften Liedeswellen?
Maria, deine Königin,
Erneut im Sinn,
Die hat so hell gesungen,
Durch Ungarn und durch Böhmen ist
Von Jesus Christ
Ihr heilig Lied gedrungen;
Wohl durch das Schloß,
Wohl durch den Troß,
Bis in den Saal
Zum Ehgemahl
Hat es sich frei geschwungen.
Herr Ludwig steht im Eisenkleid,
Macht sich bereit,
Will mit dem Türken ringen.
Er spricht ergrimmt: »Wer darf so frei
Von Ketzerei
An meinem Hofe singen?
Auf Riesen wag'
Ich jetzt den Schlag;
Da kommt der Zwerg
Von Wittenberg,
Legt meinem Weibe Schlingen!
Drum wandre, Frau, aus meinem Haus
Zur Fern' hinaus,
Laß dich nicht Fürstin nennen!
Leg' ab dein würdig Königskleid,
Laß das Geschmeid
Von deinem Halse trennen!
Fleuch meinen Grimm,
Die Harfe nimm,
Ja sing' dich fort
Von Ort zu Ort,
Ich mag dich nicht mehr kennen!«
[317]
Sie schaut ihn an voll Lieb' und Treu',
Doch ohne Reu';
Sie thut, wie er befohlen.
Durch Berg und Thal, ihr wohlbekannt,
Im Böhmerland
Sie wandelt fort verstohlen;
Ein Schloß bald lauscht,
Ein Quell bald rauscht;
In's Saitenspiel
Sie endlich fiel,
Da sang sie unverhohlen:
»Richt', wie ich woll', ich jetzt mein Sach,
(Weil ich bin schwach,
Und Gott mich Furcht läßt finden)
So weiß ich, daß kein' G'walt bleibt fest;
Ist's allerbest', –
Das Zeitlich' muß verschwinden.
Das ew'ge Gut
Macht rechten Mut,
Dabei ich bleib',
Wag' Gut und Leib;
Gott helf' mir's überwinden!«
Und wo die Elb' im Grunde tost,
Trat sie getrost
Hervor in fremde Lande;
Die fromme, schöne Harfnerin,
Sie ziehet hin
Im ärmlichen Gewande;
Hoch ist ihr Mut,
Grüßt Sachsen gut,
Wo schon das Licht
Durch Wolken bricht;
Da wird ihr leicht die Schande.
Doch sehnt sie sich in's Ferne weit,
Zur Einsamkeit
In tiefen Thalgewinden.
[318]
Wann birgt sie wieder Felsenwand?
O Böhmenland,
Wo wird sie neu dich finden?
O Brunn, o Wald,
Vom Lied durchhallt!
O Berges Schutz,
Du Menschentrutz!
Sie sah euch all' verschwinden!
So wallet sie durch's ebne Land
Im flachen Sand,
Bis sie zur Stätt' ist kommen,
Wo schöne Hügel, rund und grün,
Drauf Reben blühn,
Sie wieder aufgenommen.
Doch weilt sie nicht;
Im Abendlicht
Steigt wie ein Traum
Ein Bergessaum,
Dort ruft das Ziel der Frommen.
Das ist die theure Schwabenalb,
Die allenthalb
Blau nach der Ebne winket,
Wo man auf Haiden hoch und kühl
Fern vom Gewühl
Die reinen Lüfte trinket,
Wo Blütenduft
Zu Thale ruft:
Man wandert schnell,
Bis man am Quell
In Waldesschatten sinket.
Und als sie durch der Thäler Pfad
In Wälder trat,
Aus denen Felsen stiegen,
Und als sie auf den Spitzen rings
Sah rechts und links
Die alten Burgen liegen,
[319]
Da sang sie hell
An einem Quell,
Da flog der Hall
Vom Bergeswall,
Wie Engelsstimmen fliegen:
»Ich habe dich mein Böhmenland!
Von Gott gesandt,
Willst du mich hier umschließen.
Es steigt dein Berg, es schießt in's Thal
Dein Wasserstral,
Und deine Wälder sprießen!
Auch Gottes Licht
Ist ferne nicht!
Es rauscht, es muß
Des Heiles Fluß
Bald durch dies Land sich gießen!«
Vom Berge grüßet alt und grau
Ein Schloß 2 die Frau,
Zerrissen, ausgestorben.
Dort zieht die fremde Herrin ein,
Ein Kämmerlein
Hat sie sich bald erworben;
Sie singt voll Ruh
Den Trümmern zu:
»Kein G'walt bleibt fest,
Sei's allerbest',
Das Zeitlich' ist verdorben!«
Sie wallt an jedem Tag den Weg,
Den Felsensteg,
In's tiefe Dorf hernieder,
Ein Heilbrunn, wie im Vaterland,
Quillt aus dem Sand,
Und labt die müden Glieder;
Im Kirchlein steht
Sie oft und fleht
[320]
Für den Gemahl
Um Gottes Stral;
Sie singt viel Sehnsuchtslieder.
So lebet sie von Jahr zu Jahr;
Selbst arm, sie war
Der Armen Trost und Segen.
Da tönt im Dorf ihr einst von Krieg,
Von Türkensieg
Verworrne Klag' entgegen.
»O Frau, so fromm!
Komm, bete, komm!
In Ungarn ist
Der Widerchrist!
Ein König ist erlegen!
Es liegt des Königs Ludwig Rumpf
Versenkt im Sumpf,
Sein Haupt ist abgeschlagen!«
Die Fürstin starrt, es bricht in Schmerz
Das treue Herz,
Sie kann nicht weiter fragen.
Die Harfe schweigt,
Ihr Haupt sich neigt,
Sie sinket um
Verbleicht und stumm,
Wird tot hinweggetragen.
Ihr eignes Lied, das sangen leis,
Zu Gottes Preis,
Viel Mägdlein fromm und Knaben:
Da ward sie, wie im Vaterland,
Am Bergesrand
Beim kühlen Quell begraben,
Ihr Lob erschallt
Durch Thal und Wald,
Sie harrt des Herrn
Sie ruhet gern,
Die fremde Frau, in Schwaben. –

Fußnoten

1 Dies Lied, aus welchem der sechste Vers unsrer Romanze entlehnt ist, schreibt die Sage der Königin Maria zu.

2 Beim Bade Ueberkingen.

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TextGrid Repository (2012). Schwab, Gustav. Gedichte. Gedichte. 4. Romanzen, Balladen, Legenden. 4. Sagen von der schwäbischen Alb. Die Böhmenkönigin in Schwaben. Die Böhmenkönigin in Schwaben. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0824-E