Die Glocke vom Wunnenstein
Es steigt ein schöner Hügel, er steht voll Wald und Wein;
Dort weht der Lüfte Flügel so kühlend und so rein.
Er trägt umsonst von Wonne den alten Namen nicht,
Es glänzt sein Haupt voll Sonne bis spät zum Abendlicht.
Und wenn ihr stehet droben und seht die goldne Flur,
Wenn es euch drängt, zu loben die herrliche Natur;
Wollt ihr im Lied euch laben, durch drei der Lande hallt's:
Durch Franken und durch Schwaben und in die blaue Pfalz.
Wohl lauschte heil'gen Klängen die graue Vorzeit schon:
Eine Glocke sah man hängen, die gab so hellen Ton.
Sie glänzte goldig im Blauen, wenn sie geschwungen ward,
Von frommen Klosterfrauen Geschenk von seltner Art.
Wenn man sie hörte nieden im Dorf und nahen Thal,
Da legten sich im Frieden die Menschen nach dem Mahl.
Sie schliefen bei dem Klange, nach heißem Sommertag,
Und ihnen war nicht bange vor Blitz und Wetterschlag.
In ihrem Erz da lebte so segenvolle Macht,
Als wenn ein Herz drin bebte, laut schlüg' auf hoher Wacht.
Wenn die Gewitter dräuten, hört' man aus hohem Sitz
Sie durch die Donner läuten, und sah sie glühn im Blitz.
Und auf die fromme Stimme horcht' aller Wolken Schar,
Daß sie in scheuem Grimme zerstäubten wunderbar.
Da fuhren links die Wetter zum Albgebirge bald,
Und rechts ab mit Geschmetter zum fernen Odenwald.
Und weh den schönen Fluren, durch die sie zogen hin,
Wo auf die grausen Spuren die Morgensonne schien!
Doch an des Berges Fuße das Dörflein sicher lag,
Da schaute mit heitrem Gruße herein der junge Tag.
Den dichten Blumenlauben kein Blättlein war gekränkt,
Die Pfirschen hatte, die Trauben ein süßer Thau getränkt.
[251]Es wogten froh die Aehren, und wie vom Regen die Flur,
So glänzte von Freudezähren der Menschen Antlitz nur.
Da sah mit stillem Neide Heilbronn, die reiche Stadt,
Daß solche Wetterscheide das arme Dörflein hat.
Es muß sie wohl gelüsten, der Klang tönt gar so hold;
Wozu liegt in den Kisten das Silber und das Gold?
Des Schatzes Augen lauern mit tückisch rotem Schein;
Sie bieten ihn den Bauern, er lacht aus offnem Schrein,
Sie sind bereit zu legen ihr Gold den Weg entlang,
Sobald der Glocke Segen von ihrem Thurme klang.
Bald hat die schwachen Herzen der eitle Glanz bethört:
»Es läßt sich ja verschmerzen, daß man sie nicht mehr hört!
Was kann ein Erz, das blinde? hell blickt des Goldes Stral!
Auch haben wir Berg' und Winde, die schützen unser Thal!« –
Und unter dumpfem Dröhnen die Glocke steigt vom Thurm,
Es tönt, wie banges Stöhnen, zerrissner Klang im Sturm.
Auf einen stolzen Wagen lädt sie das Stadtvolk auf;
Er kann die Wucht kaum tragen, oft stockt der Rosse Lauf.
Und wie sie langsam führten durch's Thal den Trauerzug,
Die Wind' und Wolken sich rührten, sich senkte der Vögel Flug;
Und brütend lag die Hitze auf Feld und Wald ringsum,
Es leckten scheue Blitze den Boden bleich und stumm.
Und als sie vor den Thoren abluden ihren Hort,
Da sprach in ihre Ohren der Donner ein zornig Wort;
Und als man hub die Glocken mit Eile den Thurm hinan,
Sie kam hinauf nicht trocken, zu traufen es begann.
Jetzt ist es Zeit zu läuten, der Thürmer faßt den Strang.
Doch wehe, was will's bedeuten? die Glocke gibt keinen Klang!
Da draußen aber stürmet der Hagel und zuckt der Blitz,
Und Wolk' auf Wolke thürmet des Himmels finstrer Sitz.
Wie bang sie horchen Alle zum Glockenthurm empor,
Nicht tönt von andrem Schalle denn schwerem Donner das Ohr.
Es winkt des Himmels Feuern das glühende Metall,
Und Häuser und volle Scheuern ergreift der Flamme Schwall.
[252]
Die Felder sind zerschlagen, die Bäume sind zerschellt,
Von Beten und von Klagen erschallen Stadt und Feld:
»Die Luft läßt nicht vom Sturme, der Himmel hängt voll Nacht,
Seit wir nach unsrem Thurme den stummen Fluch gebracht!«
So lösen sie mit Zittern die Glock' im hohen Haus,
Da hallt von den Gewittern der Donner mählig aus.
Mit Macht und Müh' gehoben, steigt sie zum Wagen empor;
Der blaue Himmel droben thut auf das schwarze Thor.
Zwölf starke Rosse ziehen am Wagen schnaubend fort;
Doch fehlt die Kraft den Knieen, sie kommen kaum vom Ort;
Eilt, eilet, seid nicht träge, fort mit dem schlimmen Gast! –
Doch auf dem halben Wege erliegen sie der Last.
Es hatten groß Betrüben die Bürger bei dem Zug;
Da kommt vom Dorfe drüben ein Bäuerlein am Pflug.
Wie der die Glock' erblicket, so weint er wie ein Kind,
Hat schnell sich angeschicket, lös't seine Stiere geschwind.
Er spannt sie vor den Wagen und schickt die Rosse fort,
Die Bürger stehn und zagen – denn auf sein Schmeichelwort
Ermannen sich die Thiere, sie ziehen rüstig, leicht,
Am Dorfe sind die Stiere, bevor der Tag erbleicht.
O herzlicher Willkommen mit Liedern und Gebet!
Wie, aller Angst entnommen, das Dörflein aufersteht!
Denn auf den Knie'n gelegen war es in Wettersnacht,
Weil draußen stand sein Segen verwais't und unbewacht.
Es stand der Berg im Flimmern des letzten Sonnenstrals,
Und wieder sah man schimmern die Wächterin des Thals;
Und als des Abends Dunkel verhüllend niedersank,
Ertönt' im Sterngefunkel von selbst der fromme Klang.