Ein Flüchtling

1831.


Du wirst mir vor der Seele stehen,
So lang mein Geist noch Bilder treibt,
So lang mein Blick, was er gesehen,
Noch vor sich in die Lüfte schreibt;
Auf feste Schultern hoch gegründet
Ein Haupt, vom Kummer nicht gebeugt,
Die Finger straff zur Faust geründet,
Der Blick aus Licht und Nacht gezeugt.
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Vom Sinn gedrängt, schwoll dir die Stimme,
Wie Römerwort herüberschallt;
Ja, deine Rede gab vom Grimme
Des Schicksals uns den Vollgehalt.
Wie Menschenwahn dazugesündigt,
Was Thorheit und Verblendung that,
Ward ruhig klar von dir verkündigt;
Nur donnernd sprachst du vom Verrat:
Von Einem, »der im Heimatgarten
Aufwuchs, ein unfruchtbarer Baum,
Der bei Gelag' und schnöden Karten
Verdämmerte des Lebens Traum;
Der in der Knechtschaft schwersten Tagen
Als Greis ein junges Weib gefreit,
Und, seinen Arm um sie geschlagen,
Durchtändelte die Jammerzeit.
Als nun im Fieber seine Ketten
Das kranke Vaterland zerbrach,
Rafft' er sich auf, als gält' es retten,
Sann, Freiheit jauchzend, er auf Schmach.
Er war der Tyrannei Verwalter
Auf ihrem umgestürzten Thron,
Und ließ sein silberhaarig Alter
Vergolden sich mit Feindeslohn.«
Du riefst: »Weh diesem! der empfinde
Gott als des alten Bundes Gott;
In seinem spätgezeugten Kinde
Büß' er den frech getriebnen Spott!
Kein Quell der Pein, der ihm nicht quölle,
Bis ihn hinunterschlingt die Flut;
Und drunten eine eigne Hölle,
Gemeine Qual ist viel zu gut!«
Ernstkräftig wiegtest du den wackern,
Den schwertgewohnten Heldenarm:
»Muß ich auf fremdem Boden ackern,«
Sprachst du, »das thu' ich ohne Harm!
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Gern irr' ich, wie ein Missethäter,
Des Elends Stecken in der Hand,
Nur weit, recht weit von dem Verräter,
Vom unterjochten Vaterland!
O Männer, die mit finstrem Sinnen
Ihr seht, wie unser Würfel fiel,
Glaubt's: wäre wieder zu beginnen,
Und wieder Untergang das Ziel:
Wir schaarten wieder uns zum Heere,
Wir sprächen: Henker, gürte dich!
Nicht Glück, nicht Ruhm – wir wollen Ehre;
Und von der Ehre zehr' auch ich!«
Du sprachst es, grüßtest, und wir drückten
Mit Schmerz die dargebotne Hand,
Und unsre Lippen, durstig, bückten
Sich auf dein staubig Schlachtgewand.
Du gingst, ein herrlicher Verbannter,
Am blut'gen Schwert als Wanderstab,
Des Völkerschicksals Abgesandter,
Geschickt von eines Volkes Grab.

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TextGrid Repository (2012). Schwab, Gustav. Gedichte. Gedichte. 2. Zeitgedichte. Ein Flüchtling. Ein Flüchtling. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-06C5-1