Deutscher Undank

Weil mir just die Galle über deutschen Undank aufsteigt, so will ich was heraussagen, das ich längst hätte sagen sollen. Der große, von ganz Europa bestaunte Noverre hat sein erstes Glück am Würtembergischen Hofe einem schon fast gänzlich vergeßenen Deutschen zu danken; Deller heißt dieser Deutsche. Viele der größesten und glänzendsten Entwürfe in Noverres Balleten sind von diesem vortrefflichen Manne. Deller, als Tanzcomponist, war eben so groß als Noverre, der Balleterfinder. Noverre hat es auch mir und andern, die ihn kennen, mehr als einmal gestanden, daß er in ganz Europa Dellers Genie, womit er die Pantomime durch Musik zu beseelen gewußt, nicht angetroffen habe. Noch schauert mein Herz vor Ehrfurcht gegen den großen, in den schönsten Lebensjahren dahingerafften Mann, wenn ich die großen Ballete: Orpheus, Alceste, Agamemnon und andere wieder in die Phantasie heraufrufe, wozu Deller eine ganz göttliche Musik gesetzt hat. Wahr ist's, was ich Dellern einmal zu Ehren sang:


Sage selbst, o Göttin Harmonie,
Was die Wahrheit fodert,
Daß die Flamme des Genie
Ihm im Busen lodert;
[468]
Daß Er, dir und der Natur getreu,
Zaubereien töne,
Daß Er in der Mitte sei
Deiner großen Söhne.
Wenn Jomelli, wie ein Göttersohn,
Dem Gefühl gebietet;
Wenn Galuppi-Arion
Melodien wüthet;
Und wenn Hasse, wie der Thrazier,
In die Goldharf' rauschet,
Daß den großen Zauberer
Mensch und Thier belauschet:
O so sing's im hohen Sphärenton
Feuriger und schneller,
Nenne deinen vierten Sohn,
Deinen Liebling Deller!
Den dein Arm im mütterlichen Spiel
Oft melodisch wiegte,
Der sich immer voll Gefühl
Horchend an dich schmiegte;
Der von deinem ewigen Concert
Mächtiger durchdrungen –
Was er still von Dir gehört
Lauter nachgesungen;
Der dem Tanze eine Sprache leiht;
Den Thalia schätzet,
Der durch Ernst und Fröhlichkeit
Bessert und ergötzet;
Der mit goldnen Seilen den Affekt
Auch im Sturme lenket,
Und den starren Hörer weckt,
Daß er fühlt und denket.
[469]
Der im Herzen lauter Wohllaut ist –
Kann ein Herz mißtönen,
Das von dir gestimmet ist
Zum Gefühl des Schönen? –

Und dieser vortreffliche deutsche Mann, der seine Bildung sich ganz allein zu danken hatte, ward zu Wien von Noverre mit dem schändlichsten Undank belohnt, und starb zu München unter der Pflege der barmherzigen Brüder. Heil mir, daß ich einige Nesseln aus seinem Grabe jätete!

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TextGrid Repository (2012). Schubart, Christian Friedrich Daniel. Gedichte. Gedichte. Sonstige weltliche Lieder verschiedenen Inhalts. Deutscher Undank. Deutscher Undank. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-02BE-2