Abendlied eines Gefangenen
Des Tages trübe Stunden
Sind wieder weggeschwunden,
Es glänzt der Abendstern
An blauen Himmelshöhen,
Von mir zwar ungesehen,
Doch steigt mein Nachtgesang zum Herrn.
Er half mir wieder tragen
Der langen Knechtschaft Plagen
Und hüllt nun meine Pein,
Die Lasten meines Kummers,
In Wolken sanftes Schlummers
Mit allen meinen Thränen ein.
[247]
Ja, danken will ich, danken,
Denn mich verlassnen Kranken,
Erbarmer, stärktest du!
Du sah'st des Leibes Schwäche,
Und goß'st, wie Lebensbäche,
In meine müden Glieder Ruh'.
Die Wunden meiner Seele
Hast du, als wie mit Oele,
Aus deinem Wort beträuft;
Den Engel sah ich strahlen,
Der nach des Elends Qualen
Die Bande von den Händen streift.
Von Menschen, die mich hassen,
Von Freunden selbst verlassen
In öder Einsamkeit,
Erbarmtest du dich meiner;
Nur du, mein Gott, sonst keiner,
Hast mich mit deinem Trost erfreut.
In dieser Gräberstille,
Mit dieses Herzens Fülle
Komm' ich, mein Gott, zu dir!
Ist alles mir entrissen,
So will ich's gerne missen,
Denn alles, alles bist du mir!
Vergib mir meine Schulden,
Schenk mir die Kraft zu dulden,
Gib Herzensreinigkeit!
Lehr mich im Elend danken,
Und will mein Glaube wanken,
So gib ihm wieder Festigkeit.
Willst du mir noch im Leben
Die Freiheit wieder geben;
So hör' den großen Schwur:
Dir soll mein Herz nur klopfen,
Und alle Lebenstropfen
Verströmen dir zur Ehre nur.
[248]
Doch soll nach tausend Nöthen
Langsamer Tod mich tödten;
So hör' den großen Schwur:
Dich will ich stammelnd preisen
In meinen letzten Schweißen;
Auf Jesum Christum sterb' ich nur!
So träufle Ruh' und Frieden,
O Gott! auf alle Müden
Vom stillen Mond herab;
In sanftem Säuseln falle
Dein süßer Schlaf auf alle
Die müden Pilgrime zum Grab.
Den Sklaven wilder Lüste
In wasserloser Wüste
Erschütt're dein Gericht;
Und die in Finsternissen
Des Kerkers schmachten müssen,
Erfreue bald mit deinem Licht.
Blick hin ins Krankenzimmer,
Wo bei des Nachtlichts Schimmer
Der Schmerz den Kranken weckt;
Dem Sterbenden erscheine,
Der qualvoll die Gebeine
Dem nahen Tod entgegenstreckt.
Und wenn, vom Mond beschienen,
Mit blaß getraurten Mienen
Die Meinen vor dir knien;
So lindre ihren Kummer
Und träufle süßen Schlummer
Auf ihre Augenlider hin.
Uns trennt zwar Thal und Hügel,
Doch unter Einem Flügel
Der Allmacht schlummern wir;
Was sollt' ich länger klagen?
Mein Engel scheint zu sagen:
Die Deinen sind nicht weit von dir.
[249]
Verlisch nun, stille Kerze!
Erquickung nach dem Schmerze
Träuft sanft auf mich herab.
O Schlaf! du Gottesgabe!
So ruh' ich einst im Grabe!
Ach! läg' ich schon in meinem Grab!