222. Auferstandene Frau.
Bechstein S. 166.
Auf dem Schweinfurter Gottesacker ist ein alter Grabstein mit dem lebensgroßen Bildniß einer vornehmen Frau zu sehen, welche ein eingewickeltes Kind zu ihren Füßen liegen hat. Diese war die Frau eines Syndikus Albert. Man sagt von ihr, daß sie sehr schnell und plötzlich gestorben sei, und als ihr Tod erfolgt war, wurde sie unter einem Schwibbogen, [217] in welchem sich ihr Familienbegräbniß befand, beigesetzt. Ihr zurückgelassener Gatte betrauerte sie sehr aufrichtig. Der Todtengräber, ein habgieriger Mann, hatte jedoch an dem Finger der Leiche einen kostbaren Ring bemerkt, den er der Todten nicht lassen wollte; er machte sich daher des Nachts heimlich auf, hob den Sargdeckel ab, und wollte der Leiche den Ring vom Finger ziehen; da richtete sich diese plötzlich auf. Entsetzt lief der Todtengräber davon; die Frau im weißen Todtengewande entstieg ihrem Sarg, wandelte ihm nach, und kam ruhigen Ganges vor ihr Haus, wo sie anläutete. Eine Magd sieht zum Fenster hinaus: »Wer da?« »Ich bin's, die Frau! Oeffne!« Schreiend stürzt die Dienerin zu ihrem Herrn: »Die Frau ist unten an der Thüre, ich habe sie an der Stimme erkannt!« – Der Herr schüttelt ungläubig den Kopf, und läßt seinen Diener hinaussehen. »Oeffne mir um Gotteswillen! Ich komme um vor Kälte!« Da eilt auch der Diener rasch zum Herrn: »Es ist die Frau, ich erkenne sie an ihrer Stimme.« – Der Herr aber sagte: »Ihr seid Thoren und dümmer wie das Vieh! Wenn meine Pferde zum Fenster hinaussähen, würden sie gescheidter antworten, als ihr!« Kaum ist das Wort gesprochen, so kommt es mit Gelärm und mit Gepolter die Treppe herauf, und stampft und trappt und wiehert, – die Pferde sind's – zur Stube herein, und sie stecken die Köpfe durch die Fenster, daß die Scheiben klirren und die Flügelbänder brechen, und beide sehen den Vorsaal hinab zum Fenster hinaus und wiehern. Nun läßt der Herr, erschrocken, schleunig öffnen, und die halberstarrte Frau wird zu Bette gebracht und geneset bald darauf eines Töchterleins. Doch Mutter und Kind lebten nicht lange mehr, und die erste wurde zum zweiten Male begraben, und beiden dieser Grabstein zum Andenken gesetzt. Alle Jahre am ersten Ostertage ist eine wahre Wallfahrt nach dem Gottesacker, der dann prächtig mit herrlichen Blumen geschmückt ist, aber das Erste, was man den Kindern zeigt und was sie alle gerne sehen wollen, ist die wiedererstandene Frau mit ihrem Kinde.