418. Die Spielkarten.

Von J.G. Seidl.


Vom Dome zu Augsburg dröhnt so bang
Der Armensünderglocke Klang!
Zum Richtplatz wogt die Menge fort,
Schon wartet der rothe Freimann dort.
Er wartet dort auf ein junges Blut,
Um das schier selber es leid ihm thut;
Ein junger Mörder fällt ihm anheim,
Der früh schon verkümmert des Lebens Keim.
Noch sitzt er im Thurme, da klingts hinein, –
Er fühlt, nun muß es verblutet sein:
Das Herz zerbricht ihm, er bittet um Rast,
Sinnt, weint und betet, und wird gefaßt.
Nur noch ein Spiel Karten verlangt er dann;
Sie geben's befremdet dem armen Mann.
Er aber entfaltet's vor ihnen still,
Und spricht: »Ihr begreift wohl nicht, was ich will!
Seht! diese Blätter, wie ich sie hier
Gleich wie zum Scherz aufschlage vor mir
So spiegeln sie treu mein Leben mir ab
Von meiner Wiege bis an mein Grab.
Hier Sieben! – Ich zählte sieben Jahr,
Als ich den Aeltern schon bleichte das Haar;
Ich war ein wüster, trotziger Bub',
Der Jedem gern eine Grube grub.
Hier Acht! – Acht Jahre zählte ich nur,
Da ward ich ertappt auf Diebesspur,
Hier Neun! – Neun Jahre zählte ich kaum,
Und nur mit Räubern raubt ich im Traum.
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Hier Zehn! – O zehntes Lebensjahr,
Du strahlst allein mir hell und klar
In meines Daseins Nacht hinein: –
O könnt' ich im zehnten Jahre noch sein!
Da sprengte beflissener Lehrer Hand
Des kalten Busens eisiges Band,
Aufthaute mein Herz, ich wuchs vom Neu'n,
Ich lernte beten, ich lernte bereu'n!
Hier Bube! – Ja – ja – die Buben, – nur sie
Zerstörten mir wieder die Harmonie;
Die Buben, die Freunde sich fälschlich genannt,
Sie haben das Herz mir wieder gewandt.
Sie rissen zum Spiele mich täuschend hin,
In diesen Blättern verlor sich mein Sinn!
Da kamen die Damen – die Damen seht,
Wie trefflich Alles zusammen geht!
Die Damen mit ihrem Doppelgesicht
Halb Höll', halb Himmel, ein Ganzes nur nicht,
Sie gruben künstlich vom Körper aus
Den Geist aus seinen Wurzeln heraus.
Die Eifersucht durchfuhr mir das Hirn,
So scharf wie mein Messer das Herz der Dirn,
Der Dame, die's wahrlich nicht verdient,
Daß nun mein Blut das ihrige sühnt!
Und nun – der König! Nun tret' ich bald
Vor ihn, den König in seine Gewalt,
Den ewigen, schrecklichen König der Welt,
Der die Tropfen der Reue hat gezählt.
Seht ihr das Aß – o lächelt nicht!
Es ist die Karte, die alle sticht;
Das Aß sei meiner Reue Bild,
Sie möge gelten, wenn nichts mehr gilt!
Nun werf' ich die Karten wieder zu Hauf;
Nun, Schergen, brecht zum Richtplatz auf!
Ein Blatt gilt ewig, es ist die Reu'!
Auf, Schergen, auf! Gott steh' mir bei!«

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TextGrid Repository (2012). Schöppner, Alexander. Sagen. Sagenbuch der Bayerischen Lande. Erster Band. 418. Die Spielkarten. 418. Die Spielkarten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-F699-D