1278. Der Galgenpater.

Mündlich.


Im vorigen Jahrhunderte bestand noch zu Burghausen ein Hochgericht, und ein alter ehrwürdiger Jesuit des dortigen Klosters hatte seit vielen Jahren das schwere, aber bei ihm segensvolle Geschäft, die Verurtheilten zum Tode zu bereiten und zur Richtstätte zu begleiten. – So ward er denn auch einmal zu einem jungen Menschen in den Kerker gerufen, der wegen eines schweren Verbrechens um Tode verurtheilt war. Die Umstände und Beweise lagen so eigenthümlich, daß seine Schuld von den Richtern unbezweifelt ausgesprochen und das Urtheil auch in München bestätigt ward. Der gute Galgenpater fand an ihm eine Gelegenheit zu neuer Pflichtübung, nämlich ihn trotz seiner dringenden Unschuldsbetheuerungen dennoch zur Ergebung in Gottes Willen und zum freudigen Tode als Christ zu bestimmen; und es gelang ihm dieß auch im vollem Maße.

So kam der festgesetzte Tag der Hinrichtung, und der greise Galgenpater begleitete seinen jungen liebgewordenen Freund auf dem Armensünderkarren zur Richtstätte. Unterwegs durchzuckte diesen plötzlich ein Lichtgedanke und er sprach zum Pater: »Lieber Pater! Ich weiß, Sie glauben an meine Unschuld; aber wie die Beweise liegen, könnten Sie doch noch einmal zweifelhaft an mir werden. Gott giebt mir aber in diesem Augenblicke das lebendige Vertrauen ins Herz; erbitten Sie sich von Ihm irgend ein Zeichen für meine Unschuld; ich glaube fest, Gott wird es Ihnen gewähren!« – »Gut,« sagte der Pater, »ich zweifle zwar nicht an deiner Unschuld; aber um dich zu beruhigen, bitte ich hiemit Gott, daß zum Beweise deiner Unschuld der größte Sünder auf vier Stunden weit in der Runde sich bekehre und ich Solches erfahre.« – »Ich danke Ihnen, lieber Pater, und vertraue zu Gott, Sie werden die Freude erleben.« – So kamen sie zur Richtstätte, und der Jüngling starb wie ein Heiliger. Es war fünf Uhr Nachmittags. – Gebrochenen Herzens kehrte der Pater in seine Zelle zurück, warf sich auf sein Lager [274] und brachte die Nacht in Schmerz und Gebet zu, im Gedanken an den Verurtheilten. – Morgens um drei Uhr klopft es an seiner Thüre. Der Pförtner meldet, es sei schon seit einer Stunde ein Mensch vor der Kirchenthüre, der dringend verlange, dem Galgenpater zu beichten. Er geht hinab in die Kirche, in den Beichtstuhl, und ein fremder Mann legt ihm ein stundenlanges Bekenntniß ab, wie er, obwohl Galgenpater, noch keines gehört, aber mit solchen Zeichen der tiefsten Reue, mit Schluchzen und Thränen, daß der gute Pater selbst innig bewegt wird. Als das Bekenntniß vorüber, fragt er ihn: »Aber, lieber Mann, wie kommt Ihr jetzt, zu solcher Stunde, und gerade zu mir?« – »Hört, Herr,« sagt er; »gestern Nachmittags arbeitete ich wie gewöhnlich in meinem Stalle und dachte nicht an meine Sünden; da fiel's auf einmal wie Feuer vom Himmel in meine Seele und brannte mir im Geiste wie die Hölle, die ich offen vor mir sah, und alle meine Gräuel standen mir vor Augen und ich rief: Ich bin verdammt! Da hörte ich eine Stimme in mir: Verzweifle nicht; mache dich auf, geh nach Burghausen, frage nach dem Galgenpater und lege ihm eine offene Beichte ab, und Gott wird dir vergeben; und so bin ich die Nacht durch gegangen, bis ich an Eure Kirche kam und Euch endlich fand.« – »Um wie viel Uhr war das?« – »Gestern Nachmittags um fünf Uhr.« – »Und wie weit wohnt Ihr von hier?« – »Gute vier Stunden,« war die Antwort.

Frohlockend blickte der Galgenpater zum Himmel.

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TextGrid Repository (2012). Schöppner, Alexander. Sagen. Sagenbuch der Bayerischen Lande. Dritter Band. 1278. Der Galgenpater. 1278. Der Galgenpater. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-F66F-D