36. Das Kirchlein des Auerbergs.
Mündlich.
An der Nordgrenze des Landgerichts Füssen im schwäbischen Allgäu, liegt der Auerberg mit einem dem heiligen Georg geweihten, von dem umwohnenden Volke häufig besuchten Kirchlein, von dessen Erbauung sich im Munde des Volkes eine Sage erhalten hat. In grauer Vorzeit kam ein gewaltiger Rittersmann in diese Gegend. Er saß milden Anblicks auf einem blendend weißen Rosse, mit Purpur angethan, einen silberstrahlenden [37] Helm auf dem Haupte. Man sah ihn niemals, nach Anderer Art, von wildem Trosse gefolgt, den Edelhirsch und den Eber jagen, auch hörte man nichts von Schmausen und Gelagen auf seinem Schlosse. Nur mit den Drachen und grausen Unthieren, welche das Land bedrängten, lag er in Fehde, und wo es eine Unschuld zu retten oder zu schirmen gab, da war er männiglich bereitet. Es ward überhaupt nichts Edles und Gutes gethan, was er nicht aus allen Kräften beförderte. Damals gedachten die Bewohner jener Gegend auf der Höhe des Auerberges eine Kirche zu bauen. Sie begannen das Werk, allein es ging wider Erwarten langsam von Statten, weil das Herbeischaffen der Steine auf den Berg gar beschwerlich war. Da flehten sie inbrünstig zu Gott um Förderung und Segen ihres Beginnens, und siehe da, von selbem Augenblicke an gedieh der Bau auf wunderbare Weise. Denn Gott hatte ihnen einen wackern Helfer geschickt, das war kein Anderer, als jener treffliche Rittersmann, welcher mit den Ungeheuern und Drachen Krieg führte. Dieser arbeitete Nachts, während die Leute ruhten, an dem Bau der Kirche, schleppte auf seinen gewaltigen Schultern Steine herbei und fügte sie mit kunstreicher Hand aufeinander. In wenigen Tagen stand die Kirche vollendet da, also daß man ob des wunderbaren Anblickes kaum seinen Augen trauen mochte. Mit der Vollendung des Werkes war aber auch der wackere Bauhelfer verschwunden, und Nichts als die Erinnerung ist dem Volke geblieben, daß es der heilige Rittersmann – Georg gewesen.