87. Der Schatz auf dem Hohenbogen.

Sage vom Burgstall, Gipfel desHohenbogens im Bayerwalde. A.Müllers u. B. Gruebers bayer. Wald. S. 265.


Von diesem Schatze gehen wunderliche Sagen. Er liegt hundert Lachter unter dem Burgstall in einem kupfernen Kessel. Alle hundert Jahre [85] einmal wird ein Mensch geboren, der ihn unter gewissen Bedingnissen zu heben vermag. Ein solcher war ein Hirte von Schwarzenberg, welcher eines Tages seine Heerde auf der sogenannten kleinen Ebene am Flusse des Burgstallkegels weidete. Als er Abends eintreiben wollte, vermißte er ein junges Rind, und nach einigem Suchen hörte er es hoch oben im Walde Laut geben. Er stieg eilig den Burgstall hinan und war schon nahe dem Gipfel, als plötzlich eine wunderschöne, aber seltsam und fremdartig gekleidete Jungfrau vor ihm stand und ihn mit einschmeichelnder Stimme anredete: »Du kommst zu guter Stunde hieher. Wisse, daß es in meiner Hand liegt, dich zum reichsten Manne im Lande zu machen. Ich kann dir offenbaren, auf welche Weise du den unter unsern Füßen vergrabenen Schatz heben magst.« Der Hirt, welchen beim ersten Anblicke der Erscheinung ein heimliches Grauen beschlichen hatte, faßte Muth und entgegnete, daß er bereit sei, die Unterweisung zu vernehmen. Freudig fuhr die Jungfrau fort: »Finde dich heute über acht Tage zu Beginn der Mitternachtsstunde am Fuße des Burgstalls ein, begleitet von zwei Priestern, welche die Beschwörungen zu sprechen wissen. Ihr werdet den Schatz erhoben auf dem Gipfel des Berges liegen sehen. Schreitet nur muthig darauf los und laßt euch nicht irren, was euch immer in den Weg trete, sähe es auch noch so schrecklich aus; denn es ist eitel Blendwerk des Bösen, das euch weder an Leib noch Seele schaden kann. Bist du an die Schatztruhe herangekommen, so greife mit beiden Händen keck in den Goldhaufen ein, und er ist dein für immer. Aber wehe, so du durch die Künste Satans dich zur feigen Flucht bewegen ließest, wehe dann mir! Abermal müßt' ich hundert Jahre umherirren und könnte nicht zur ewigen Ruhe eingehen. Siehe dieses zarte Reis!« hier wies sie auf ein dem Boden entsprossendes Ahornbäumchen, »es muß zum starken Baume heranwachsen, aus seinem Stamme müssen Bretter geschnitten und diese zu einer Wiege gefügt werden; der Knabe, welcher in dieser Wiege ruhen wird, muß Mann geworden sein, dann erst darf ich wieder auf Erlösung hoffen. Gedenke der unaussprechlichen Leiden einer armen Seele und erbarme dich meiner, wie du willst, daß Gott der Herr sich deiner erbarme!«

In den letzten Worten lag der Ausdruck eines so herzzerreißenden Jammers, daß der Hirt davon auf's Tiefste ergriffen ward und mehr durch den Wunsch, so große Pein zu lindern, als durch die Begierde nach den verheißenen Reichthümern zu dem Wagnisse der Schatzhebung sich getrieben fühlte. Eben wollte er der Jungfrau seinen Entschluß kund [86] geben, als sich die Gestalt derselben in leichten Nebelflor auflöste, den der Abendwind über den Gipfel des Burgstalls hinwegtrieb. Aus dem Gebüsche aber, an welchem die Erscheinung gestanden, kam das verlorene Rind hervor und folgte willig seinem Herrn auf den Weideplatz hinab.

Des andern Tages hatte der Hirt nichts eiliger zu thun, als nach Neukirchen zum Kloster der Franziskaner zu gehen, und dem Pater Guardian den wunderbaren Vorfall zu berichten. Dieser hielt mit den Vätern Rath, was in der Sache zu thun sei, und man kam zu dem Entscheide, daß es sich hier um die Erlösung einer armen Seele und einen Triumph über den Satan handle, wozu die Diener der Kirche hilfreiche Hand bieten müßten. Nachdem der Guardian seinem Kloster von dem Hirten einen erklecklichen Antheil an dem Schatze ausbedungen hatte, ertheilte er zwei Mönchen, welche als die geübtesten Exorcisten der Gemeine galten, den Auftrag, sich durch Beten und Fasten zu dem heiligen Werke vorzubereiten.

Zur bestimmten Zeit trafen die Väter und der Hirt am Burgstalle zusammen, und eben schritten sie über den Weideplatz hin, als die Thurmuhr zu Neukirchen die eilfte Stunde angab. Mit dem letzten Schlage loderte auf dem Gipfel eine hohe Flamme empor, und die Mönche erkannten dieß als das Zeichen, daß der Schatz sich erhoben habe. Nachdem sie den Hirten gewarnt, nicht von ihrer Seite zu weichen, schickten sie sich an, dem bösen Feinde tapfer zu Leibe zu gehen. Aber kaum hatten sie einige Schritte bergan gemacht, als im Walde ein seltsames Leben rege ward. Eulen und Fledermäuse flatterten den nächtlichen Wanderern in dichten Schwärmen entgegen, aus dem Unterholze links und rechts warf es mit Todtenbeinen nach ihnen, und grinsende Schädel kollerten unter ihren Füßen hin. Die frommen Söhne des heiligen Franziskus ließen sich von diesem Spucke keineswegs anfechten, sondern drangen mit lauter Stimme, die Bannformeln hersagend und nach allen Seiten hin Weihwasser sprengend, rastlos voran. Schon mochten sie die Hälfte des Weges zurückgelegt haben, als der bisher mondhelle Himmel sich plötzlich verfinsterte und ein Sturm losbrach, welcher den ganzen Berg aus seinen Grundvesten heben zu wollen schien. Die Blitze fuhren hageldicht auf die Baumwipfel nieder, der Donner krachte Schlag auf Schlag, die Gießbäche stiegen im Nu brausend über ihre Ufer und wälzten mannshohe Fluthen gegen die Drei herab. Diese meinten bis an den Hals im Wasser zu gehen; aber wie sie näher zusahen, fanden sie, daß nicht ein Faden ihres Gewandes naß war. Darum achteten sie es auch nicht weiter, als ihnen noch allerlei [87] Schreckbilder, bald thierähnlich, bald menschlicher gestaltet, in den Weg traten, und erreichten den Gipfel, ohne daß ihnen ein Haar gekrümmt worden wäre.

Hier sahen sie wenige Schritte vor sich, hell von der noch immer lodernden Flamme erleuchtet, ein kesselartiges Gefäß, das bis zum Rande mit funkelnden Goldmünzen gefüllt war. Eben wollte der Hirt vortreten, um, wie ihm die Jungfrau geboten, den Schatz zu erfassen, da wankte der Boden unter ihm, und von unterirdischer Kraft gehoben, wich ein mächtiger Felsblock polternd von seinem Platze. Aus der Oeffnung, die sich gebildet, kroch ein scheußlicher Lindwurm hervor und ringelte seines Leibes endlos gestreckte Glieder dreimal um den Gipfel des Burgstalls herum, einen furchtbaren Schutzwall vor dem gefährdeten Mammon aufthürmend. Das Erscheinen dieses Ungeheuers setzte die Herzhaftigkeit der guten Mönche auf eine zu harte Probe. Sie glaubten sich schon gepackt von scharfen Zähnen des Drachen und purzelten mehr als sie liefen, den steilen Abhang hinunter. Dem Hirten, der sich von seinen geistlichen Helfern verlassen sah, blieb nichts übrig, als ihnen zu folgen. Wohl vernahmen sie hinter sich die Stimme der Jungfrau, wel che in kläglichen Lauten zum Ausharren ermahnte, aber die Flüchtlinge waren nicht mehr zum Stehen zu bringen. Nur einmal hatte der Hirt umzuschauen gewagt und gesehen, wie der Gipfel des Berges sich spaltete und in seinem weiten Risse die Schatztruhe verschlang. Darauf erhob sich ein tausendstimmiges Geheul, welches ihm das Blut in den Adern gerinnen machte. Es war das Hohngelächter der Hölle.

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TextGrid Repository (2012). Schöppner, Alexander. Sagen. Sagenbuch der Bayerischen Lande. Erster Band. 87. Der Schatz auf dem Hohenbogen. 87. Der Schatz auf dem Hohenbogen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-F15B-5