235. Die drei Wasserjungfrauen im Gründlesloch.
Zu Castell in Unterfranken. – Bayer. Annalen 1833, IV. 17., woselbst des häufigen Vorkommens dieser Sage in Franken gedacht wird. Vgl. Vat. Mag. 1838, S. 91. Panzer a.a.O. S. 176.
Am Fuße des Casteller Berges, eines der Vorberge des Steigerwaldes, bricht in der Ebene zwischen Castell und Rüdenhausen aus dem Gypsgestein eine mächtige Quelle, und füllt mit dem klarsten Wasser einen mäßigen Kessel. Das Wasser kömmt aus großer Tiefe durch das unregelmäßig zerklüftete Gestein mit solcher Macht herauf, daß es Gegenstände, welche ein die Wasserschwere nicht stark überwiegendes Gewicht haben, nicht zu Boden läßt. Der Grund des Wassers ist nicht zu erforschen, weil es durch Krümmungen heraufbricht, und die Quelle heißt deshalb in der Umgegend der grundlose Bronnen oder das Gründlesloch. Auf der Höhe des Casteller Berges steh noch eine Thurmruine von dem alten Schlosse der Grafen von Castell, deren wohnliches neues Schloß nun nahe am Fuße des Berges liegt. Das alte Schloß setzt die Sage mit der Quelle in Verbindung.
In jenen Zeiten nämlich, da das alte Schloß noch stand, feierte ein Graf von Castell seine Hochzeit in den Sälen dieses Schlosses, und aus der Ferne und Nähe waren edle Gäste zum Feste geladen. Mit dem Anbruche der Nacht begann der Tanz, und die Jünglinge und Jungfrauen ergötzten sich in der festlichen Lust; Musik und freudiger Jubel tönte den Berg hinab weit in die Ebene hin. Da um Mitternacht traten plötzlich [227] leise drei Jungfrauen von blendender Schönheit in weißen langen Gewändern in den Tanzsaal, und erfüllten die jubelnden Gäste erst mit Staunen, dann mit Bewunderung, die Herzen der Jünglinge aber mit Sehnsucht der Liebe. Die Anmuth und Schönheit der Fremden hatte bald den ersten Schauder überwunden; man zog sie in den Tanz, und sie schlangen sich mit wunderbarer Zierlichkeit durch die Reihen. Die Stunden flogen hin, aber je näher der Morgen rückte, je mehr wurde eine ängstliche Sorge in den Augen der schönen Jungfrauen sichtbar, und als der erste Schauer des nahenden Morgens sich empfinden ließ, baten sie dringend um Entlassung. Es waren Nixen aus der Tiefe des grundlosen Bronnens. Da die Lust des Festes in den jubelnden Tönen zu ihnen gedrungen war, hatten sie dringend die Mutter angegangen, sie an dem Feste der Menschen Theil nehmen zu lassen. Nach langer Weigerung hatte die Alte den Bitten der Töchter nachgegeben, aber ihnen wiederholt das alte Gesetz der Tiefe eingeschärft, vor dem Hahnenschrei zurück zu sein, und sie vor den furchtbaren, tödtlichen Folgen der Uebertretung dieses Gesetzes in wehmüthiger Ahnung gewarnt. So waren sie denn aus dem klaren stillen Wasserspiegel aufgetaucht, und ein alter Jäger hatte von der Waldecke her die lieblichen Gestalten über den Pfad der Wiese, den Steig am Berge hinauf schweben sehen. Deshalb erfüllte der nahende Morgen sie mit Bangen. Die Leidenschaft der liebenden Jünglinge hielt sie wider Willen zurück. Da krähte der Hahn, und mit dem Blicke des Entsetzens stürzten sie aus dem Saale durch die Höfe, den Berg hinunter mit fliegender Eile, daß die Jünglinge ihnen nicht zu folgen vermochten. Sie sahen sie nur eilend über die Wiese nach der Quelle zu schweben, und als sie bei derselben angelangt waren, sich in dieselbe stürzen. Entsetzt eilten die Jünglinge hinzu, und als sie in den reinen Wasserspiegel hineinsahen, wallte ein warmer Blutstrom ihnen aus der unheimlichen Tiefe entgegen.
Nicht überall, wo diese Sage erzählt wird, betrifft die Jungfrauen das Unglück, oder wenigstens nur eine von den Dreien, die sich verspätet hat, während die anderen beiden zur rechten Zeit um Mitternacht den Tanzplatz verließen.