974. Die Mainzer vor Rieneck.
Mündlich.
Ein Mainzischer Heerhaufen zog gen Rieneck aus, die stolze Veste zu brechen und den kecken Ritter sammt seinen Leuten gefangen zu nehmen. Die Burg war hart bedroht, denn der Feinde war eine überlegene Zahl, auch hatten sie guten Vorrath an Wehr und Waffen, dazu hatten sich die in der Burg eines solchen Ueberfalls kaum versehen und keine Lebensmittel auf eine lange Belagerung herbeigeschafft. Eine Zeit lang vertheidigten sie sich wacker und schlugen alle Angriffe der Mainzer mit Tapferkeit zurück; aber was half aller Heldenmuth, wenn sich der Hunger ihren Feinden zugesellte. Denn bald waren die Vorräthe in der Burg aufgezehrt und dann mußte man sich dennoch auf Gnade und Ungnade an den Feind ergeben. Das blieb auch denen vor dem Schlosse keineswegs verborgen, daher sie die Sache ruhig abzuwarten gedachten. In dieser Bedrängniß, wo guter Rath theuer war, kam die Schlauheit eines Knechtes zu Hilfe. Es war nämlich noch eine lebendige Kuh und ein Schinken auf der Burg. Nun machte der Knecht den Vorschlag, den Schinken an einer Stange auf die Mauer zu stecken und die Kuh ebendaselbst spazieren zu lassen. Also geschah es, und noch dazu ward eine große Tafel aufgehängt, darauf zu lesen:
[45]
So wenig die Kuh den Schinken frißt,
So wenig Burg Rieneck euer ist.
Mit großem Erstaunen nahmen die Mainzer die Kuh und den Schinken wahr, denn solche fürtreffliche Dinge waren nicht einmal bei ihnen mehr vorräthig. Also zogen sie in aller Stille davon und nahmen den Spott des Rieneckers mit auf den Weg.