§. 7. Von U.L. Frauen.

1.

Ein junger Ritter hatte die schöne Tochter eines Knechtes zum Weibe genommen und sich damit die Feindschaft aller Adeligen der Umgegend, besonders der Mütter, zugezogen. Sie lehnten Alle erbittert die Einladung zur Feyer der Hochzeit ab und liessen das junge [311] Ehepaar allein auf seiner Burg. Um so glücklicher aber lebten diese in ihrer friedlichen Einsamkeit. Als nun die Zeit nahte, wo die Frau entbinden sollte, sagte sie zum Gatten, der voll Kummer war, weil er nicht wußte, wo er für das Kind einen Pathen finden möchte: »Geh hinaus durch den Garten auf die Strasse und begrüsse den Ersten Beßten, der des Weges kommt, um den Liebesdienst, sollte es auch ein Knecht seyn.« Da ging der Ritter hinunter in den Garten und schon kam ihm eine schöne, würdevolle Frau entgegen, welche zu ihm sprach: »Ich kenne deinen Kummer, aber sey getrost, ich will Pathe seyn und es soll dich nicht gereuen.« So führte er die hohe Frau mit blauem Schleyer – es war die Muttergottes – hinauf in die Burg, und sie stand hilfreich und lindernd der Leidenden bey, als diese ein Mädchen zur Welt brachte. Das Kind wurde getauft und erhielt den Namen Marie; die Fremde aber entfernte sich darnach sogleich mit den Worten: »Geben werde ich für jetzt nichts: das Kind bedarf später meines Beystandes, und der soll ihm werden; ich muß jetzt eilen, nach Hause zu kommen.«

Das Mädchen wuchs zur Freude der Aeltern und war sieben Jahre alt, als ihm die Mutter starb. Da nahm der Ritter, dem es zu einsam wurde, ein Fräulein der Nachbarschaft zur Ehe, so schön als stolz und herrisch. Damit begannen nun üble Tage für Marie. Sie wurde von der hochmütigen Stiefmutter verachtet, und zu den niedrigsten Arbeiten verwendet. Dem Vater that es wohl wehe, aber er wagte nicht, Einsprache zu [312] thun. Drey Jahre waren so hinübergegangen, und Marie fühlte, sich von Tag zu Tag unglücklicher. Weinend über eine eben erlittene Mißhandlung ging sie in den Garten hinab und setzte sich in eine Ecke. Da stand U.L. Frau vor ihr und sagte: »Mein gutes Kind, ich hin deine Pathe und habe deiner Mutter versprochen, dir in der Noth zu helfen: komm mit mir, ich will für dich sorgen.« Freudig bot ihr die Kleine die Hand und sie gingen in den Wald. An einer hohen Felsenwand klopfte U.L. Frau dreymal an und es öffnete sich das Thor zu einem schönen Palaste, in welchem zwölf prächtige Säle waren. Darin hingen an den Wänden Schnüre der kostbarsten Perlen und an den Fenstern und auf Tischen blühten frische Rosen. Diese hatte Marie zu pflegen, damit sie nicht verwelkten: dafür durfte sie mit U.L. Frau am Tische speisen, der sich zu bestimmter Zeit von selber deckte. Glücklich lebte sie drey Jahre dahin, als U.L. Frau ihr die Schlüssel zu den Sälen einhändigte und den Auftrag ertheilte, nun auf einige Tage die alleinige Aufsicht im Palaste zu führen; doch wäre noch ein dreyzehentes Gemach, das nicht geöffnet werden dürfe. Damit trat U.L. Frau ihre Reise an und ließ das Kind allein. Marie aber war am Abende des dritten Tages so neugierig geworden, daß sie die Thüre des geheimen Zimmers öffnete. Da waren die Wände voll Kästen mit grossen, grossen Büchern und am Tische sassen Gott Vater und der Sohn Gottes und schrieben in ein grosses Buch das Schicksal aller Menschen, die geboren werden und die [313] Gaben, die sie erhalten auf den Weg des Lebens, und wie der Mensch in seinem Willen seine Bestimmung selber ändert und die Gaben anders verwendet, als wozu sie ihm ertheilt sind. – Am Morgen kam nun U.L. Frau von der Reise zurück und sprach zum Mädchen: »Du hast wider mein Gebot gehandelt; ich will dich dafür nicht strafen, aber behalten kann ich dich nun nicht mehr. Geh zu deinem Vater zurück, den Weg wirst du leicht finden; ich habe gesorgt, daß es dir am Leben nicht fehle.« Damit nahm sie einen Kranz von Rosen und setzte ihn dem Mädchen auf das Haupt, und ein weisses Kleid zog sie ihr an und sendete sie damit fort. Bald gelangte Marie in den Schloßgarten. Da saß traurig der Vater: denn die Stiefmutter liebte Pracht und Gesellschaft und hatte den früheren Wohlstand tief heruntergebracht. Mit Freude begrüßte er die blühende Tochter, die er längst tod geglaubt hatte. Nicht so ward sie von der Stiefmutter empfangen. Diese war froh über das Verschwinden des verhaßten Mädchens und meynte nun, sie könne ihres Bleibens nicht in der Burg haben, weil von einer Magd geboren, und könne irgendwo als Dirne ihr Brod gewinnen. Da weinte Marie und bat auf einige Zeit um Aufnahme, sie werde sich umsehen, ob sie nicht ein Unterkommen finde. Sie hatte ihre Ecke in der Küche und verrichtete alle niedrige Arbeit im Hause. So viel sie aber auch guten Willen bezeigte, konnte sie es doch nicht recht machen und die bösen Stiefbrüder neckten und höhnten die Bauerndirne und die böse Stiefmutter [314] lachte dazu. Einmal machten es aber die Brüder gar zu arg: sie schlugen die Schwester so, daß sie blutete. Da ging sie hinaus in die Küche und weinte über ein Waschbecken und das Blut fiel tropfenweise hinein, und bey jedem Falle war es, als ob etwas klinge. Die Stiefmutter kam dazu, um sie zu zanken, daß sie sich nicht vertrage und sah in der Schüssel etwas schimmern. Sie untersuchte und fand eine Menge der schönsten Perlen auf dem Boden. Nun war Freude in der Burg, denn man hatte wieder Mittel, in der früheren Weise zu leben. Die Perlen wurden theuer verkauft; ein festlicher Ball sollte die ehemaligen Freunde, welche seither sich nicht mehr sehen liessen, auf's Neue versammeln. Auch Marie sollte daran Theil nehmen. Als aber die Stiefmutter ihr dieses eröffnete, fing sie zu lachen an und es fiel ihr eine Rose um die andere, frisch und blühend, obwohl es Winter war, aus dem Munde. Da merkte die Stiefmutter, daß hinter dem Mädchen etwas Mehr seyn müsse als sie bisher gedacht, und behandelte sie besser. Aber dieses dauerte nur so lange, als das Geld für die Perlen reichte, darnach begann die Gehässigkeit der Brüder und der Hohn der Mutter das arme Kind zu quälen wie vorher, bis sie wieder Perlen weinte und Rosen lachte.

Im Hause aber war eine alte Magd, der ging es zu Herzen, daß Marie so viel zu leiden habe und tröstete sie einmal mit den Worten: »Mein liebes Kind, habe Geduld; in einem Jahre trete ich in das Hexenalter, da wird mir gegeben, Vieles zu wissen, da wollen wir[315] uns berathen. Ich war deine Amme und gehe gerne mit dir, wohin du willst. Wenn du wieder weinst, so gib mir das Becken, in welches deine heissen Thränen fielen.« Das Jahr ging um und die Alte ward wissend und sagte zu Marie: »Packe zusammen, wir verlassen diesen Ort und suchen eine Stätte des Friedens. Wir besitzen soviel, daß es uns nicht fehlen kann.«

So gingen sie am frühen Morgen durch den Garten hinaus und lange fort, bis sie in eine grosse Stadt kamen. Aber auch hier war ihres Bleibens nicht lange. Die schöne züchtige Jungfrau zog aller Augen auf sich und es kamen die edelsten Freyer, um ihre Hand zu werben. Sie aber fühlte sich zu keinem hingezogen und war betrübt, daß sie wehe thun mußte. Eben einmal war sie ihren traurigen Gedanken hingegeben, als U.L. Frau vor ihr stand und zu ihr sagte: »Mein gutes Kind, sey ruhig: du hast von mir die Gabe, irdischer Liebe fremd zu bleiben. Komm mit mir, ich überlasse dir meinen Palast; denn meine Zeit in dieser Gegend ist um und ich ziehe weiter. Beherberge fortan Kranke und Arme, bis ich dich zu mir nehme.« Da gingen alle drey fort und U.L. Frau klopfte dreymal an die Felsenwand und es stand der prächtige Palast vor ihren Augen, und Marie zog ein und rief die Kranken und Armen der Umgegend zu sich und pflegte sie. Und so sie Kummer auf der Seele hatte, oder ein Werk der Barmherzigkeit nicht zu üben vermochte, schloß sie sich in das verborgene Gemach ein, wo sie einst Gott Vater und Gott Sohn erblickt hatte und flehte da um Hilfe [316] und sie wurde niemal versagt. Sie blieb immer jung und schön; darum konnte man auch lange nicht glauben, daß sie tod sey, als U.L. Frau ihre Seele abgeholt hatte. Sie lag und liegt auf dem Bette, als bleiche Jungfrau, rothe Rosen um die Schläfe, in weissem Kleide. Neuenhammer.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. Sagen. Aus der Oberpfalz. Dritter Theil. Vierzehntes Buch. Himmel. 7. Von U.L. Frauen. 1. [Ein junger Ritter hatte die schöne Tochter eines Knechtes zum Weibe]. 1. [Ein junger Ritter hatte die schöne Tochter eines Knechtes zum Weibe]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-EAD3-8