4.
Die Tochter eines armen Beamten ward zur Doppelwaise. Um ihrem Bräutigam einige Aussteuer zuzubringen, trat sie als Kammermädchen in Dienste. Man ließ ihr aber keine Zeit, an ihrer Ausfertigung zu arbeiten, und so spann sie Nachts für sich bey Mondlicht, insbesondere in den Samstagnächten, in welchen man ohnehin nicht spinnen soll. Dabey machte sie das Fenster auf. Immer freundlicher schien der Mond herein, immer weicher ward sie. Die Blässe erhöhte ihre Schönheit. Oft wurde sie darüber von ihrer Frau getadelt und spottend die Spinnerin im Monde gescholten. Sie aber fühlte sich immer mehr vom Monde angezogen: denn der Mond zieht Alles an sich, besonders Mädchenherzen, weil er selber so unglücklich in [59] seiner Liebe zur Sonne ist. Einmal schlief sie ermattet von des Tages Mühen ein und träumte, sie werde in den Mond hinübergetragen. Als sie erwachte, befand sie sich wirklich im Monde. Sie ist nun die Spinnerin im Monde, und noch sieht man sie darin mit dem Rädchen.
Der Rocken nimmt mit dem Mondeswechsel ab und zu, aber immer bleibt noch etwas Flachs daran. Sie darf mit dem Rocken nicht zu Ende kommen. Ist einmal der Flachs Alle gesponnen, geht die Welt unter. Manchmal ist der Rocken sehr dick angelegt. Da wird die Spinnerin müde beim Spinnen und ihr Köpfchen neigt sich und ihre Haare streifen an des Flachses Haar, wodurch der Mond verdunkelt wird. Dann ist Mondsfinsterniß. Aber sie wird es bald inne und fährt zurück: daher endet die Mondsfinsterniß oft so plötzlich. Manchmal spinnt sie gedankenlos ihre langen Haare mit hinein, und wenn sie es empfindet durch den Schmerz, den das Einlaufen des Haares in das Rädchen verursacht, so hat sie zu thun, es zu lösen; dann dauert die Finsterniß länger.