V. Erlösen der Armen Seelen.
Es gibt gewisse Menschen, welchen vorzugsweise die Eigenschaft inne wohnt, Arme Seelen durch gute Werke von ihrer Pein zu erlösen und aus dem Fegfeuer in die seligen Gefilde hinüberzubringen; solche sind die goldenen Sonntagskinder; sie können am Armeseelentag eine Arme Seele erlösen. Amberg.
Das Hauptwerk ist Gebet für ihre Ruhe Gott dargebracht, und man versäumt auch nicht, für dieAermste Seele zu beten, welche Niemanden auf Erden mehr hat, der ihrer gedächte.
Herumziehende Bilderhändler, aus der Rheinpfalz, verkaufen sogenannte Gebetkarten; jeder zieht daraus für sich eine Karte, und ist damit verpflichtet, zu beten, was und wieviel darauf für die Armen Seelen zu beten vorgeschrieben ist.
Auch opfert man zu ihrem Frommen sonstige gute Werke auf, vor Allem aber Leiden, welche der Herr über den Menschen sendet. Die gebotene Gabe nimmt [288] der Arme mit dem Danke: »Gelts Gott für die Armen Seelen«, an und gibt sich so als leiblichen Stellvertreter der leidenden Seelen.
Grüssen sich zwey auf dem Wege zu gleicher Zeit, so haben sie eine Arme Seele erlöst.
Der allgemeine Glaube ist, daß die Armen Seelen zur Strafe in wirklichem Feuer brennen. In diesem Glauben geht daher Mancher an einem gewissen Tage im Jahre, St. Laurenzi, in der Mittagsstunde hinaus auf den Gottesacker und gräbt in einer Ecke in die Erde etwa einen Fuß tief, so findet er drey Kohlen, welche er mit heim nimmt; hat er fünf Vaterunser und fünf Ave mit dem Glauben und Ablaßgebet davor gebetet, so ist eine Arme Seele erlöst. Die Kohlen hebt er auf, sie verlieren sich aber von selbst, innerhalb der nächsten vierzehn Tage, zum Zeichen der erfolgten Erlösung nach dem Verse:
Schür Bartl, schür,
Heut vierzehn Tage ists an dir!
Wenn sich die Kohlen nicht verlieren, so ist die Seele nicht erlöst, und man vergräbt sie wieder auf dem Freidhofe, aber an anderer Stelle, um auf nächstes Jahr von Neuem zu beginnen. Doch bleibt das fromme Werk nicht ohne jeden Erfolg, denn von den Kohlen verliert sich immer etwas. Rötz.
Es gibt ferner gewisse Anzeigen, daß die Arme Seele der Hilfe bedarf, wie wenn man von einem Verstorbenen träumt, oder wenn eine Distel aus dem Grabe [289] hervorwächst; in diesem Falle hat der Verlebte im Leben eine Kirchfahrt oder Kir gelobt, aber nicht gemacht, und die Angehörigen unternehmen nun für ihn die Wallfahrt, damit die Seele im Fegefeuer nicht brenne. Falkenstein.
Am häufigsten geben aber die Armen Seelen ihre Sehnsucht nach Erlösung durch persönliches Erscheinen kund, in Menschen- oder Thiergestalt.
Sie zeigen sich gerne um Mitternacht, auch zwischen Gebetläuten, wo sie viele Macht haben; nachdem sie mehr oder minder weiß gekleidet erscheinen, werden sie bald oder später erlöst.
Vor Allen sind es dann solche Seelen, welche im Leben ein Versprechen, besonders Gott und seinen Heiligen, gemacht haben, ohne es zu erfüllen, – oder solche, welche Geld vergraben und damit die Menschen um dessen Frucht gebracht haben; wer stirbt, ohne verziehen zu haben, den hört man im Grabe noch klopfen.
In den unzähligen Geistergeschichten erscheint als Grund des Umgehens meistens eine unterlassene Wallfahrt, eine heilige Messe, die nicht gelesen, eine Kapelle, die nicht gebaut worden. Auch solche haben nach dem Tode nicht Ruhe, welche durch Gewalt ihr Leben verloren, oder gähen Todes verstarben, sowie auch jene, deren Leib nicht in geweihter Erde liegt.
Man soll sie ansprechen, wenn sie sich zeigen; denn sie brauchen ja Hilfe. Der Spruch ist: »Alle guten Geister loben Gott den Herrn, sag an, was ist dein Begehren.« Doch hält Furcht die Menschen zurück.
[290] Auch die Sprichwörter ziehen die Armen Seelen in ihr Bereich.
So Einer mit großer Sehnsucht auf die Erfüllung eines Wunsches, einer Bitte harrt, heißt es: »Der wartet auch darauf, wie eine Arme Seele;« – und ist das Verlangen gestillt, so »ist auch eine Arme Seele erlöst.« Dieses letztere gilt insbesondere von Mädchen, welche nach langem Hoffen zu einem Manne gelangen.
Von einem Menschen, welcher mit zehrendem Leiden behaftet, sich gleichwohl noch fortschleppt, sagt man: »Der trägt auch seine Arme Seele im Arme herum;« anzudeuten, daß er seines Lebens wie eines kleinen Kindes zu pflegen habe. Amberg.
Eine merkwürdige Mittheilung ward mir aus der »Höll.« Bekanntlich werden da, wo ein Mensch gewaltsamen Todes gestorben ist, sogenannte Martersäulen, Marterln, zur Erinnerung an das geschehene Unglück und die Arme Seele des Verunglückten errichtet. Dort aber ist es Brauch, daß man sich statt dieser Säulen großer Bäume bedient, an welche man eine Tafel mit der Inschrift hängt. Bey Tag soll nun die Arme Seele in dem Baume hausen, Nachts aber entbunden seyn und in einem gewissen Umkreise um den Baum frey schalten dürfen. Ein ächt heidnischer Glaube.