§. 6. Der gestohlene Herrgott.

Ein Bauer ging einst bey einem Crucifix am Walde vorüber und sah, daß der Opferstock daneben viel Geld enthalte, während bey dem Herrgotte, der bey ihm zu Hause an einem Feldrain stand, Jahr aus Jahr ein kein rother Heller einging. Er wollte aber nun auch einen Herrgott haben, der bey den Leuten in Ansehen stände und Geld eintrüge, und kam nach vielem Sinnen auf den Einfall, den Herrgott am Walde zu sich herüberzuholen und dafür den seinigen an dessen Stelle hinüberzuschmuggeln. Gesagt, gethan. Neben den gestohlenen Herrgott aber setzte er einen hölzernen Opferkasten so groß wie eine Truhe.

Als er meynte, die Zeit wäre gekommen, daß der Opferkasten voll seyn müsse, fuhr er mit seinem Wagen hinzu, öffnete die Truhe ein wenig und tastete darin herum, um so zu prüfen, wie hoch der Haufen Geldes [310] schon angewachsen sey. Der Kasten war in der That voll. Es fühlte sich aber doch nicht so an, wie Geld, und zuletzt biß ihn der Schatz so heftig in die Hand, daß er schnell zurückzog und den Deckel fallen ließ. Es war ein Hamster, der sich im Kasten einquartiert und darin seinen Wintervorrath an Korn aufgespeichert hatte. Der Bauer aber wußte dieses nicht, und hob freudig den schweren Kasten auf sei nen Wagen und fuhr ihn heim. Und wie er ihn ablud, war er gar leicht; er öffnete ihn und fand keinen Inhalt vor. Denn der Hamster hatte unten ein Loch gebissen und war dadurch entkommen, das Korn aber auf dem langen Wege ausgelaufen. Da ward der Bauer gar zornig und brummte: »Es ist wahr, mein Herrgott war faul und hat mir nichts eingetragen, aber er war doch ehrlich und kein Betrüger wie dieser da.« So lud er den gestohlenen Herrgott wieder auf und fuhr ihn an den Wald zurück, und nahm den seinigen wieder heim. Neuenhammer.

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TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. Sagen. Aus der Oberpfalz. Dritter Theil. Vierzehntes Buch. Himmel. 6. Der gestohlene Herrgott. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-DDDB-0