[336] IV
Der junge Herr und die junge Frau.
Abend. – Ein mit banaler Eleganz möblierter Salon in einem Hause der Schwindgasse.
Der junge Herr ist eben eingetreten, zündet, während er noch den Hut auf dem Kopf und den Überzieher anhat, die Kerzen an. Dann öffnet er die Tür zum Nebenzimmer und wirft einen Blick hinein. Von den Kerzen des Salons geht der Lichtschein über das Parkett bis zu einem Himmelbett, das an der abschließenden Wand steht. Von dem Kamin in einer Ecke des Schlafzimmers verbreitet sich ein rötlicher Lichtschein auf die Vorhänge des Bettes. – Der junge Herr besichtigt auch das Schlafzimmer. Von dem Trumeau nimmt er einen Sprayapparat und bespritzt die Bettpolster mit feinen Strahlen von Veilchenparfüm. Dann geht er mit dem Sprayapparat durch beide Zimmer und drückt unaufhörlich auf den kleinen Ballon, so daß es bald überall nach Veilchen riecht. Dann legt er Überzieher und Hut ab. Er setzt sich auf den blausamtenen Fauteuil, zündet sich eine Zigarette an und raucht. Nach einer kleinen Weile erhebt er sich wieder und vergewissert sich, daß die grünen Jalousien geschlossen sind. Plötzlich geht er wieder
ins Schlafzimmer, öffnet die Lade des Nachtkästchens. Er fühlt hinein und findet eine Schildkrothaarnadel. Er sucht nach einem Ort, sie zu verstecken, gibt sie endlich in die Tasche seines Überziehers. Dann öffnet er einen Schrank, der im Salon steht, nimmt eine silberne Tasse mit einer Flasche Cognac und zwei Likörgläschen heraus, stellt alles auf den Tisch. Er geht wieder zu seinem Überzieher, aus dem er jetzt ein kleines weißes Päckchen nimmt. Er öffnet es und legt es zum Cognac, geht wieder zum Schrank, nimmt zwei kleine Teller und Eßbestecke heraus. Er entnimmt dem kleinen Paket eine glasierte Kastanie und ißt sie. Dann schenkt er sich ein Glas Cognac ein und trinkt es rasch aus. Dann sieht er auf seine Uhr. Er geht im Zimmer auf und ab. – Vor dem großen Wandspiegel bleibt er eine Weile stehen, richtet mit seinem Taschenkamm das Haar und den kleinen Schnurrbart. – Er geht nun zur Vorzimmertür und horcht. Nichts regt sich. Es klingelt. Der junge Herr fährt leicht zusammen. Dann setzt er sich auf den Fauteuil und erhebt sich erst, als die Tür geöffnet wird und die junge Frau eintritt.
DIE JUNGE FRAU
dicht verschleiert, schließt die Tür hinter sich, bleibt einen Augenblick stehen, indem sie die linke Hand aufs Herz legt, als müsse sie eine gewaltige Erregung bemeistern.
[337]DER JUNGE HERR
tritt auf sie zu, nimmt ihre linke Hand und drückt auf den weißen, schwarz tamburierten Handschuh einen Kuß.
Er sagt leise. Ich danke Ihnen.
DIE JUNGE FRAU.
Alfred – Alfred!
DER JUNGE HERR.
Kommen Sie, gnädige Frau ... Kommen Sie, Frau Emma ...
DIE JUNGE FRAU.
Lassen Sie mich noch eine Weile – bitte ... oh bitte sehr, Alfred! Sie steht noch immer an der Tür.
DER JUNGE HERR
steht vor ihr, hält ihre Hand.
DIE JUNGE FRAU.
Wo bin ich denn eigentlich?
DER JUNGE HERR.
Bei mir.
DIE JUNGE FRAU.
Dieses Haus ist schrecklich, Alfred.
DER JUNGE HERR.
Warum denn? Es ist ein sehr vornehmes Haus.
DIE JUNGE FRAU.
Ich bin zwei Herren auf der Stiege begegnet.
DER JUNGE HERR.
Bekannte?
DIE JUNGE FRAU.
Ich weiß nicht. Es ist möglich.
DER JUNGE HERR.
Pardon, gnädige Frau – aber Sie kennen doch Ihre Bekannten.
DIE JUNGE FRAU.
Ich habe ja gar nichts gesehen.
DER JUNGE HERR.
Aber wenn es selbst Ihre besten Freunde waren, – sie können ja Sie nicht erkannt haben. Ich selbst ... wenn ich nicht wüßte, daß Sie es sind ... dieser Schleier –
DIE JUNGE FRAU.
Es sind zwei.
DER JUNGE HERR.
Wollen Sie nicht ein bißchen näher? ... Und Ihren Hut legen Sie doch wenigstens ab!
DIE JUNGE FRAU.
Was fällt Ihnen ein, Alfred? Ich habe Ihnen gesagt: Fünf Minuten ... Nein, länger nicht ... ich schwöre Ihnen –
DER JUNGE HERR.
Also den Schleier –
DIE JUNGE FRAU.
Es sind zwei.
DER JUNGE HERR.
Nun ja, beide Schleier – ich werde Sie doch wenigstens sehen dürfen.
DIE JUNGE FRAU.
Haben Sie mich denn lieb, Alfred?
DER JUNGE HERR
tief verletzt.
Emma – Sie fragen mich ...
DIE JUNGE FRAU.
Es ist hier so heiß.
DER JUNGE HERR.
Aber Sie haben ja Ihre Pelzmantille an – Sie werden sich wahrhaftig verkühlen.
DIE JUNGE FRAU
tritt endlich ins Zimmer, wirft sich auf den Fauteuil.
Ich bin totmüd.
DER JUNGE HERR.
Erlauben Sie. Er nimmt ihr die Schleier ab; nimmt die Nadel aus ihrem Hut, legt Hut, Nadel, Schleier beiseite.
[338]DIE JUNGE FRAU
läßt es geschehen.
DER JUNGE HERR
steht vor ihr, schüttelt den Kopf.
DIE JUNGE FRAU.
Was haben Sie?
DER JUNGE HERR.
So schön waren Sie noch nie.
DIE JUNGE FRAU.
Wieso?
DER JUNGE HERR.
Allein ... allein mit Ihnen – Emma – Er läßt sich neben ihrem Fauteuil nieder, auf ein Knie, nimmt ihre beiden Hände und bedeckt sie mit Küssen.
DIE JUNGE FRAU.
Und jetzt ... lassen Sie mich wieder gehen. Was Sie von mir verlangt haben, hab ich getan.
DER JUNGE HERR
läßt seinen Kopf auf ihren Schoß sinken.
DIE JUNGE FRAU.
Sie haben mir versprochen, brav zu sein.
DER JUNGE HERR.
Ja.
DIE JUNGE FRAU.
Man erstickt in diesem Zimmer.
DER JUNGE HERR
steht auf.
Noch haben Sie Ihre Mantille an.
DIE JUNGE FRAU.
Legen Sie sie zu meinem Hut.
DER JUNGE HERR
nimmt ihr die Mantille ab und legt sie gleichfalls auf den Diwan.
DIE JUNGE FRAU.
Und jetzt – adieu –
DER JUNGE HERR.
Emma –! Emma! –
DIE JUNGE FRAU.
Die fünf Minuten sind längst vorbei.
DER JUNGE HERR.
Noch nicht eine! –
DIE JUNGE FRAU.
Alfred, sagen Sie mir einmal ganz genau, wie spät es ist.
DER JUNGE HERR.
Es ist Punkt viertel sieben.
DIE JUNGE FRAU.
Jetzt sollte ich längst bei meiner Schwester sein.
DER JUNGE HERR.
Ihre Schwester können Sie oft sehen ...
DIE JUNGE FRAU.
O Gott, Alfred, warum haben Sie mich dazu verleitet.
DER JUNGE HERR.
Weil ich Sie ... anbete, Emma.
DIE JUNGE FRAU.
Wie vielen haben Sie das schon gesagt?
DER JUNGE HERR.
Seit ich Sie gesehen, niemandem.
DIE JUNGE FRAU.
Was bin ich für eine leichtsinnige Person! Wer mir das vorausgesagt hätte ... noch vor acht Tagen ... noch gestern ...
DER JUNGE HERR.
Und vorgestern haben Sie mir ja schon versprochen ...
DIE JUNGE FRAU.
Sie haben mich so gequält. Aber ich habe es nicht tun wollen. Gott ist mein Zeuge – ich habe es nicht tun wollen ... Gestern war ich fest entschlossen ... Wissen Sie, [339] daß ich Ihnen gestern abend sogar einen langen Brief geschrieben habe?
DER JUNGE HERR.
Ich habe keinen bekommen.
DIE JUNGE FRAU.
Ich habe ihn wieder zerrissen. Oh, ich hätte Ihnen lieber diesen Brief schicken sollen.
DER JUNGE HERR.
Es ist doch besser so.
DIE JUNGE FRAU.
O nein, es ist schändlich ... von mir. Ich begreife mich selber nicht. Adieu, Alfred, lassen Sie mich.
DER JUNGE HERR
umfaßt sie und bedeckt ihr Gesicht mit heißen Küssen.
DIE JUNGE FRAU.
So ... halten Sie Ihr Wort ...
DER JUNGE HERR.
Noch einen Kuß – noch einen.
DIE JUNGE FRAU.
Den letzten. Er küßt sie; sie erwidert den Kuß; ihre Lippen bleiben lange aneinandergeschlossen.
DER JUNGE HERR.
Soll ich Ihnen etwas sagen, Emma? Ich weiß jetzt erst, was Glück ist.
DIE JUNGE FRAU
sinkt in einen Fauteuil zurück.
DER JUNGE HERR
setzt sich auf die Lehne, schlingt einen Arm leicht um ihren Nacken.
... oder vielmehr, ich weiß jetzt erst, was Glück sein könnte.
DIE JUNGE FRAU
seufzt tief auf.
DER JUNGE HERR
küßt sie wieder.
DIE JUNGE FRAU.
Alfred, Alfred, was machen Sie aus mir!
DER JUNGE HERR.
Nicht wahr – es ist hier gar nicht so ungemütlich ... Und wir sind ja hier so sicher! Es ist doch tausendmal schöner als diese Rendezvous im Freien ...
DIE JUNGE FRAU.
Oh, erinnern Sie mich nur nicht daran.
DER JUNGE HERR.
Ich werde auch daran immer mit tausend Freuden denken. Für mich ist jede Minute, die ich an Ihrer Seite verbringen durfte, eine süsse Erinnerung.
DIE JUNGE FRAU.
Erinnern Sie sich noch an den Industriellenball?
DER JUNGE HERR.
Ob ich mich daran erinnere ...? Da bin ich ja während des Soupers neben Ihnen gesessen, ganz nahe neben Ihnen. Ihr Mann hat Champagner ...
DIE JUNGE FRAU
sieht ihn klagend an.
DER JUNGE HERR.
Ich wollte nur vom Champagner reden. Sagen Sie, Emma, wollen Sie nicht ein Glas Cognac trinken?
DIE JUNGE FRAU.
Einen Tropfen, aber geben Sie mir vorher ein Glas Wasser.
DER JUNGE HERR.
Ja ... Wo ist denn nur – ach ja ... Er schlägt die Portiere zurück und geht ins Schlafzimmer.
DIE JUNGE FRAU
sieht ihm nach.
[340]DER JUNGE HERR
kommt zurück mit einer Karaffe Wasser und zwei Trinkgläsern.
DIE JUNGE FRAU.
Wo waren Sie denn?
DER JUNGE HERR.
Im ... Nebenzimmer. Schenkt ein Glas Wasser ein.
DIE JUNGE FRAU.
Jetzt werde ich Sie etwas fragen, Alfred – und schwören Sie mir, daß Sie mir die Wahrheit sagen werden.
DER JUNGE HERR.
Ich schwöre. –
DIE JUNGE FRAU.
War in diesen Räumen schon jemals eine andere Frau?
DER JUNGE HERR.
Aber Emma – dieses Haus steht schon zwanzig Jahre!
DIE JUNGE FRAU.
Sie wissen, was ich meine, Alfred ... Mit Ihnen! Bei Ihnen!
DER JUNGE HERR.
Mit mir – hier – Emma! – Es ist nicht schön, daß Sie an so etwas denken können.
DIE JUNGE FRAU.
Also Sie haben ... wie soll ich ... Aber nein, ich will Sie lieber nicht fragen. Es ist besser, wenn ich nicht frage. Ich bin ja selbst schuld. Alles rächt sich.
DER JUNGE HERR.
Ja, was haben Sie denn? Was ist Ihnen denn? Was rächt sich?
DIE JUNGE FRAU.
Nein, nein, nein, ich darf nicht zum Bewußtsein kommen ... Sonst müßte ich vor Scham in die Erde sinken.
DER JUNGE HERR
mit der Karaffe Wasser in der Hand, schüttelt traurig den Kopf.
Emma, wenn Sie ahnen könnten, wie weh Sie mir tun.
DIE JUNGE FRAU
schenkt sich ein Glas Cognac ein.
DER JUNGE HERR.
Ich will Ihnen etwas sagen, Emma. Wenn Sie sich schämen, hier zu sein – wenn ich Ihnen also gleichgültig bin – wenn Sie nicht fühlen, daß Sie für mich alle Seligkeit der Welt bedeuten – – so gehn Sie lieber.
DIE JUNGE FRAU.
Ja, das werd ich auch tun.
DER JUNGE HERR
sie bei der Hand fassend.
Wenn Sie aber ahnen, daß ich ohne Sie nicht leben kann, daß ein Kuß auf Ihre Hand für mich mehr bedeutet als alle Zärtlichkeiten, die alle Frauen auf der ganzen Welt ... Emma, ich bin nicht wie die anderen jungen Leute, die den Hof machen können – ich bin vielleicht zu naiv ... ich ...
DIE JUNGE FRAU.
Wenn Sie aber doch sind wie die anderen jungen Leute?
DER JUNGE HERR.
Dann wären Sie heute nicht da – denn Sie sind nicht wie die anderen Frauen.
[341]DIE JUNGE FRAU.
Woher wissen Sie das?
DER JUNGE HERR
hat sie zum Diwan gezogen, sich nahe neben sie gesetzt.
Ich habe viel über Sie nachgedacht. Ich weiß, Sie sind unglücklich.
DIE JUNGE FRAU
erfreut.
DER JUNGE HERR.
Das Leben ist so leer, so nichtig – und dann – so kurz – so entsetzlich kurz! Es gibt nur ein Glück ... einen Menschen finden, von dem man geliebt wird –
DIE JUNGE FRAU
hat eine kandierte Birne vom Tisch genommen, nimmt sie in den Mund.
DER JUNGE HERR.
Mir die Hälfte! Sie reicht sie ihm mit den Lippen.
DIE JUNGE FRAU
faßt die Hände des jungen Herrn, die sich zu verirren drohen.
Was tun Sie denn, Alfred ... Ist das Ihr Versprechen?
DER JUNGE HERR
die Birne verschluckend, dann kühner.
Das Leben ist so kurz.
DIE JUNGE FRAU
schwach.
Aber das ist ja kein Grund –
DER JUNGE HERR
mechanisch.
O ja.
DIE JUNGE FRAU
schwächer.
Schauen Sie, Alfred, und Sie haben doch versprochen, brav ... Und es ist so hell ...
DER JUNGE HERR.
Komm, komm, du einzige, einzige ... Er hebt sie vom Diwan empor.
DIE JUNGE FRAU.
Was machen Sie denn?
DER JUNGE HERR.
Da drin ist es gar nicht hell.
DIE JUNGE FRAU.
Ist denn da noch ein Zimmer?
DER JUNGE HERR
zieht sie mit.
Ein schönes ... und ganz dunkel.
DIE JUNGE FRAU.
Bleiben wir doch lieber hier.
DER JUNGE HERR
bereits mit ihr hinter der Portiere, im Schlafzimmer, nestelt ihr die Taille auf.
DIE JUNGE FRAU.
Sie sind so ... o Gott, was machen Sie aus mir! – Alfred!
DER JUNGE HERR.
Ich bete dich an, Emma!
DIE JUNGE FRAU.
So wart doch, wart doch wenigstens ... Schwach. Geh ... ich ruf dich dann.
DER JUNGE HERR.
Laß mir dich – laß dir mich –Er verspricht sich. ... laß ... mich – dir – helfen.
DIE JUNGE FRAU.
Du zerreißt mir ja alles.
DER JUNGE HERR.
Du hast kein Mieder an?
DIE JUNGE FRAU.
Ich trag nie ein Mieder. Die Odilon trägt auch keines. Aber die Schuh kannst du mir aufknöpfeln.
DER JUNGE HERR
knöpfelt die Schuhe auf, küßt ihre Füße.
DIE JUNGE FRAU
ist ins Bett geschlüpft.
Oh, mir ist kalt.
[342]DER JUNGE HERR.
Gleich wirds warm werden.
DIE JUNGE FRAU
leise lachend.
Glaubst du?
DER JUNGE HERR
unangenehm berührt, für sich.
Das hätte sie nicht sagen sollen. Entkleidet sich im Dunkel.
DIE JUNGE FRAU
zärtlich.
Komm, komm, komm!
DER JUNGE HERR
dadurch wieder in besserer Stimmung.
Gleich – –
DIE JUNGE FRAU.
Es riecht hier so nach Veilchen.
DER JUNGE HERR.
Das bist du selbst ... Ja – Zu ihr. – du selbst.
DIE JUNGE FRAU.
Alfred ... Alfred!!!!
DER JUNGE HERR.
Emma ...
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
DER JUNGE HERR.
Ich habe dich offenbar zu lieb ... ja ... ich bin wie von Sinnen.
DIE JUNGE FRAU.
...
DER JUNGE HERR.
Die ganzen Tage über bin ich schon wie verrückt. Ich hab es geahnt.
DIE JUNGE FRAU.
Mach dir nichts draus.
DER JUNGE HERR.
O gewiß nicht. Es ist ja geradezu selbstverständlich, wenn man ...
DIE JUNGE FRAU.
Nicht ... nicht ... Du bist nervös. Beruhige dich nur ...
DER JUNGE HERR.
Kennst du Stendhal?
DIE JUNGE FRAU.
Stendhal?
DER JUNGE HERR.
Die »Psychologie de l'amour«?
DIE JUNGE FRAU.
Nein, warum fragst du mich?
DER JUNGE HERR.
Da kommt eine Geschichte drin vor, die sehr bezeichnend ist.
DIE JUNGE FRAU.
Was ist das für eine Geschichte?
DER JUNGE HERR.
Das ist eine ganze Gesellschaft von Kavallerieoffizieren zusammen –
DIE JUNGE FRAU.
So.
DER JUNGE HERR.
Und die erzählen von ihren Liebesabenteuern. Und jeder berichtet, daß ihm bei der Frau, die er am meisten, weißt du, am leidenschaftlichsten geliebt hat ... daß ihn die, daß er die – also kurz und gut, daß es jedem bei dieser Frau so gegangen ist wie jetzt mir.
DIE JUNGE FRAU.
Ja.
DER JUNGE HERR.
Das ist sehr charakteristisch.
DIE JUNGE FRAU.
Ja.
DER JUNGE HERR.
Es ist noch nicht aus. Ein einziger behauptet ... es sei ihm in seinem ganzen Leben noch nicht passiert, [343] aber, setzt Stendhal hinzu – das war ein berüchtigter Bramarbas.
DIE JUNGE FRAU.
So. –
DER JUNGE HERR.
Und doch verstimmt es einen, das ist das Dumme, so gleichgültig es eigentlich ist.
DIE JUNGE FRAU.
Freilich. Überhaupt weißt du ... du hast mir ja versprochen, brav zu sein.
DER JUNGE HERR.
Geh, nicht lachen, das bessert die Sache nicht.
DIE JUNGE FRAU.
Aber nein, ich lache ja nicht. Das von Stendhal ist wirklich interessant. Ich habe immer gedacht, daß nur bei älteren ... oder bei sehr ... weißt du, bei Leuten, die viel gelebt haben ...
DER JUNGE HERR.
Was fällt dir ein. Das hat damit gar nichts zu tun. Ich habe übrigens die hübscheste Geschichte aus dem Stendhal ganz vergessen. Da ist einer von den Kavallerieoffizieren, der erzählt sogar, daß er drei Nächte oder gar sechs ... ich weiß nicht mehr, mit einer Frau zusammen war, die er durch Wochen hindurch verlangt hat – désirée – verstehst du – und die haben alle diese Nächte hin durch nichts getan als vor Glück geweint ... beide ...
DIE JUNGE FRAU.
Beide?
DER JUNGE HERR.
Ja. Wundert dich das? Ich find das so begreiflich – gerade wenn man sich liebt.
DIE JUNGE FRAU.
Aber es gibt gewiß viele, die nicht weinen.
DER JUNGE HERR
nervös.
Gewiß ... das ist ja auch ein exceptioneller Fall.
DIE JUNGE FRAU.
Ah – ich dachte, Stendhal sagte, alle Kavallerieoffiziere weinen bei dieser Gelegenheit.
DER JUNGE HERR.
Siehst du, jetzt machst du dich doch lustig.
DIE JUNGE FRAU.
Aber was fällt dir ein! Sei doch nicht kindisch, Alfred!
DER JUNGE HERR.
Es macht nun einmal nervös ... Dabei habe ich die Empfindung, daß du ununterbrochen daran denkst. Das geniert mich erst recht.
DIE JUNGE FRAU.
Ich denke absolut nicht daran.
DER JUNGE HERR.
O ja. Wenn ich nur überzeugt wäre, daß du mich liebst.
DIE JUNGE FRAU.
Verlangst du noch mehr Beweise?
DER JUNGE HERR.
Siehst du ... immer machst du dich lustig.
DIE JUNGE FRAU.
Wieso denn? Komm, gib mir dein süsses Kopferl.
DER JUNGE HERR.
Ach, das tut wohl.
[344]DIE JUNGE FRAU.
Hast du mich lieb?
DER JUNGE HERR.
Oh, ich bin ja so glücklich.
DIE JUNGE FRAU.
Aber du brauchst nicht auch noch zu weinen.
DER JUNGE HERR
sich von ihr entfernend, höchst irritiert.
Wieder, wieder. Ich hab dich ja so gebeten ...
DIE JUNGE FRAU.
Wenn ich dir sage, daß du nicht weinen sollst ...
DER JUNGE HERR.
Du hast gesagt: auch noch zu weinen.
DIE JUNGE FRAU.
Du bist nervös, mein Schatz.
DER JUNGE HERR.
Das weiß ich.
DIE JUNGE FRAU.
Aber du sollst es nicht sein. Es ist mir sogar lieb, daß es ... daß wir sozusagen als gute Kameraden ...
DER JUNGE HERR.
Schon wieder fangst du an.
DIE JUNGE FRAU.
Erinnerst du dich denn nicht! Das war eines unserer ersten Gespräche. Gute Kameraden haben wir sein wollen; nichts weiter. Oh, das war schön ... das war bei meiner Schwester, im Jänner auf dem großen Ball, während der Quadrille ... Um Gottes willen, ich sollte ja längst fort sein ... meine Schwester erwartet mich ja – was werd ich ihr denn sagen ... Adieu, Alfred –
DER JUNGE HERR.
Emma –! So willst du mich verlassen!
DIE JUNGE FRAU.
Ja – so! –
DER JUNGE HERR.
Noch fünf Minuten ...
DIE JUNGE FRAU.
Gut. Noch fünf Minuten. Aber du mußt mir versprechen dich nicht zu rühren? ... Ja? ... Ich will dir noch einen Kuß zum Abschied geben ... Pst ... ruhig ... nicht rühren, hab ich gesagt, sonst steh ich gleich auf, du mein süsser ... süsser ...
DER JUNGE HERR.
Emma ... meine ange ...
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
DIE JUNGE FRAU.
Mein Alfred –
DER JUNGE HERR.
Ah, bei dir ist der Himmel.
DIE JUNGE FRAU.
Aber jetzt muß ich wirklich fort.
DER JUNGE HERR.
Ach, laß deine Schwester warten.
DIE JUNGE FRAU.
Nach Haus muß ich. Für meine Schwester ists längst zu spät. Wieviel Uhr ist es denn eigentlich?
DER JUNGE HERR.
Ja, wie soll ich das eruieren?
DIE JUNGE FRAU.
Du mußt eben auf die Uhr sehen.
DER JUNGE HERR.
Meine Uhr ist in meinem Gilet.
DIE JUNGE FRAU.
So hol sie.
DER JUNGE HERR
steht mit einem mächtigen Ruck auf.
Acht.
DIE JUNGE FRAU
erhebt sich rasch.
Um Gottes willen ... Rasch, [345] Alfred, gib mir meine Strümpfe. Was soll ich denn nur sagen? Zu Hause wird man sicher schon auf mich warten ... acht Uhr ...
DER JUNGE HERR.
Wann seh ich dich denn wieder?
DIE JUNGE FRAU.
Nie.
DER JUNGE HERR.
Emma! Hast du mich denn nicht mehr lieb?
DIE JUNGE FRAU.
Eben darum. Gib mir meine Schuhe.
DER JUNGE HERR.
Niemals wieder? Hier sind die Schuhe.
DIE JUNGE FRAU.
In meinem Sack ist ein Schuhknöpfler. Ich bitt dich, rasch ...
DER JUNGE HERR.
Hier ist der Knöpfler.
DIE JUNGE FRAU.
Alfred, das kann uns beide den Hals kosten.
DER JUNGE HERR
höchst unangenehm berührt.
Wieso?
DIE JUNGE FRAU.
Ja, was soll ich denn sagen, wenn er mich fragt: Woher kommst du?
DER JUNGE HERR.
Von der Schwester.
DIE JUNGE FRAU.
Ja, wenn ich lügen könnte.
DER JUNGE HERR.
Na, du mußt es eben tun.
DIE JUNGE FRAU.
Alles für so einen Menschen. Ach, komm her ... laß dich noch einmal küssen. Sie umarmt ihn. – Und jetzt – – laß mich allein, geh ins andere Zimmer. Ich kann mich nicht anziehen, wenn du dabei bist.
DER JUNGE HERR
geht in den Salon, wo er sich ankleidet.
Er ißt etwas von der Bäckerei, trinkt ein Glas Cognac.
DIE JUNGE FRAU
ruft nach einer Weile.
Alfred!
DER JUNGE HERR.
Mein Schatz.
DIE JUNGE FRAU.
Es ist doch besser, daß wir nicht geweint haben.
DER JUNGE HERR
nicht ohne Stolz lächelnd.
Wie kann man so frivol reden –
DIE JUNGE FRAU.
Wie wird das jetzt nur sein – wenn wir uns zufällig wieder einmal in Gesellschaft begegnen?
DER JUNGE HERR.
Zufällig – einmal ... Du bist ja morgen sicher auch bei Lobheimers?
DIE JUNGE FRAU.
Ja. Du auch?
DER JUNGE HERR.
Freilich. Darf ich dich um den Kotillon bitten?
DIE JUNGE FRAU.
Oh, ich werde nicht hinkommen. Was glaubst du denn? – Ich würde ja ... Sie tritt völlig angekleidet in den Salon, nimmt eine Schokoladenbäckerei. ... in die Erde sinken.
DER JUNGE HERR.
Also morgen bei Lobheimer, das ist schön.
DIE JUNGE FRAU.
Nein, nein ... ich sage ab; be stimmt –
DER JUNGE HERR.
Also übermorgen ... hier.
[346]DIE JUNGE FRAU.
Was fällt dir ein?
DER JUNGE HERR.
Um sechs ...
DIE JUNGE FRAU.
Hier an der Ecke stehen Wagen, nicht wahr? –
DER JUNGE HERR.
Ja, so viel du willst. Also übermorgen hier um sechs. So sag doch ja, mein geliebter Schatz.
DIE JUNGE FRAU.
... Das besprechen wir morgen beim Kotillon.
DER JUNGE HERR
umarmt sie.
Mein Engel.
DIE JUNGE FRAU.
Nicht wieder meine Frisur ruinieren.
DER JUNGE HERR.
Also morgen bei Lobheimers und übermorgen in meinen Armen.
DIE JUNGE FRAU.
Leb wohl ...
DER JUNGE HERR
plötzlich wieder besorgt.
Und was wirst du – ihm heut sagen? –
DIE JUNGE FRAU.
Frag nicht ... frag nicht ... es ist zu schrecklich. – Warum hab ich dich so lieb! – Adieu. – Wenn ich wieder Menschen auf der Stiege begegne, trifft mich der Schlag. – Pah! –
DER JUNGE HERR
küßt ihr noch einmal die Hand.
DIE JUNGE FRAU
geht.
DER JUNGE HERR
bleibt allein zurück.
Dann setzt er sich auf den Diwan. Er lächelt vor sich hin und sagt zu sich selbst. Also jetzt hab ich ein Verhältnis mit einer anständigen Frau.