[1029] Personen.
- Graf Arpad Pazmandy
- Mizzi, seine Tochter
- Egon Fürst Ravenstein
- Lolo Langhuber
- Philipp
- Professor Windhofer
- Wasner
- Der Gärtner
- Der Diener [1029]
[1029] Personen.
Garten der gräflichen Villa. Hohes Gitter hinten. Tor ungefähr Mitte, etwas weiter nach rechts. Links vorn die Front der einstöckigen Villa, die einmal ein Jagdschlößchen war, vor 180 Jahren gebaut, vor 30 Jahren renoviert. Längs des erhöhten Parterres zieht eine nicht tiefe Terrasse, von der drei breite Stufen in den Garten führen. Von der Terrasse aus eine offene Glastür in den Salon. Der erste Stock hat einfache Fenster; über dem ersten Stock ein kleiner, blumengeschmückter Balkon, der zu einer Art von Mansarde gehört. Vor der Villa Rasenplatz mit Blumenbeeten. Rechts vorn, unter einem Baum, Gartenbank, Tischchen, Sessel.
Ziemlich weit. Bin über Mauer und Rodaun hinausgeritten. Es ist wunderschön heut. Was machst denn du? Schon bei der Arbeit? Wird man bald wieder was anschauen dürfen?
Was wollen S' denn? Ah so, wegen dem Einspannen? Ich fahr' heut nicht mehr aus. Der Josef kann sich heut einen freien Tag machen. Oder warten S' einen Moment. Ruft hinauf. Du Mizzi ...
Also bleibt's dabei, der Josef kann nachmittag machen, was er will. Sie ... und daß der Franz den Krampen ordentlich abreibt, wir sind heut ein bissel feurig gewesen ... alle zwei.
Der Strauch ist ganz voll. Es wär' kaum ratsam, gräfliche Gnaden, wenn wir sie länger am Stock ließen. Wenn gräfliche Gnaden vielleicht eine Verwendung hätten ...
Hab' keine Verwendung. Na, was schaun S' denn? Ich fahr' heut nicht in die Stadt, ich brauch' kein Bukett. Stecken S' die Blumen einzeln in die Vasen und Gläser, die drin herumstehen. So wie's jetzt modern ist. Nimmt die Blumen in die Hand und riecht daran. Scheint nachzusinnen. Halt' da nicht ein Wagen?
Danke, nicht vor Tisch. Eine von meinen Zigaretten, wenn du erlaubst. Nimmt eine Zigarette aus seiner Zigarrentasche und zündet sie an.
[1031]Daß du dich wieder einmal um einen umschaust. Weißt du überhaupt, wie lang du nicht da warst? Drei Wochen.
Nun ja, ihr habt es hier heraußen so wunderschön ... der Riesenpark! Aber irgend wohin wirst du ja doch im Sommer reisen.
Um sechs. Aber fünfundfünfzig, das ist auch nicht mehr der Frühling des Lebens. Na – man findet sich drein.
Im übrigen, ich weiß wirklich nicht, was du willst. Schaust famos aus. Er setzt sich. Wieder Blick zur Mansarde auf, wie manchmal. Pause.
Das verspricht sie dir doch, oder droht sie dir, oder wie man sagen soll, seit mindestens drei Jahren.
Seit drei? Du kannst ruhig sagen seit zehn. Oder seit achtzehn. Ja, wirklich. Überhaupt seit die Geschichte angefangen hat mit uns zwei. Es war ja immer eine fixe Idee von ihr. [1032] Wenn ein honetter Mensch kommt, der um meine Hand anhalt', so geh ich stante pede von der Bühne weg. Das war ihr zweites Wort. Du hast's doch selber auch ein paarmal von ihr gehört. Und jetzt ist er halt gekommen, der Erwartete ... und sie heirat'.
Ja, ich versicher' dich, es ist ein ernster Augenblick. Keine Kleinigkeit, wenn man so beinah zwanzig Jahr mit einem Wesen quasi gelebt hat, die besten Jahre mit ihr verbracht, wirklich Freud und Leid geteilt mit ihr ... man hat schon überhaupt nicht mehr gedacht, es könnt' jemals aufhören ... und da kommt sie eines schönen Tags und sagt: »B'hüt di' Gott, mein Lieber, nächstens ist Hochzeit ...« Das ist schon eine verfluchte G'schicht'.Steht auf, geht hin und her. Und dabei kann ich ihr's nicht einmal übelnehmen. Weil ich's nämlich so gut versteh'. Was willst machen!
Was ist da gut? Warum soll ich's nicht verstehen? Achtunddreißig hat's bei ihr geschlagen. Und ihrem Beruf hat sie Valet gesagt. Also daß es ihr keinen Spaß macht, als pensionierte Ballettänzerin und als aktive Mätresse vom Grafen Pazmandy weiter zu existieren, der mit der Zeit natürlich auch ein alter Esel wird, das muß ihr doch jeder nachfühlen. Ich war ja darauf vorbereitet. Hab' ihr's gar nicht übel genommen, meiner Seel'.
Natürlich. Sogar ein ganz fideler Abschied ist es gewesen. Meiner Seel'. Ich hab's ja im Anfang gar nicht gewußt, wie schwer's mir sein wird. Erst so allmählich bin ich zum Bewußtsein gekommen. Es ist schon eine ganz merkwürdige G'schicht' ...
Also daß ich dir erzähl': Wie ich von ihr da herausg'fahrn bin, zum letztenmal, in der vorigen Wochen bei der Nacht, da ist mir plötzlich, wie soll ich nur sagen ... ganz leicht ist mir zu Mut gewesen. Jetzt bist du ein freier Mann, hab' ich mir gedacht. Brauchst nicht jeden Abend, den Gott dir geschenkt hat, in die Mayerhofgassen zu fahren und mit der [1033] Lolo bei Tisch sitzen und plauschen oder auch nur zuhören. Es war ja manchmal wirklich fad zum Auswachsen. Und mitten in der Nacht wieder nach Haus fahren und gar noch am End' Rechenschaft ablegen, wenn's du einmal mit Bekannten im Kasino soupierst, oder mit deiner Tochter in die Oper gehst, oder in die Burg. Also was soll ich dir viel erzählen, geradezu montiert war ich beim Nachhausefahren. Hab' schon allerlei Pläne im Kopf gehabt ... o nicht, was du dir denkst ... nein, aber reisen, was ich schon längst hab' tun wollen, nach Afrika oder Indien, als ein freier Mann ... das heißt, ich hätt' mein Mäderl mitgenommen. Na ja, du lachst, weil ich noch immer Mäderl sag'.
Fällt mir gar nicht ein. Die Mizzi sieht wirklich noch aus wie ein junges Mädel. Wie ein ganz junges. Besonders mit dem Florentiner Strohhut neulich.
Wie ein junges Mädel! Und dabei ist sie akkurat in einem Alter mit der Lolo. Na, du weißt ja! Alt werden wir, Egon. Alle. Ja, ja ... Und einsam. Aber wirklich, im Anfang hab' ich's nicht gemerkt. Es ist erst allmählich so über mich gekommen. Die ersten Tage nach dem Abschiedsfest war's noch nicht so schlimm. Erst vorgestern und gestern, wie die Stund' gekommen ist, wo ich sonst gewöhnlich in die Mayerhofgassen gefahren bin ... und jetzt, wie mir der Peter Rosen gebracht hat, für die Lolo selbstverständlich, da ist es mir so gewissermaßen klar geworden, daß ich zum zweitenmal in meinem Leben Witwer geworden bin. Ja, mein Lieber. Und jetzt ist es für immer. Jetzt kommt die Einsamkeit. Jetzt ist sie da.
Sei nicht bös', aber du verstehst das nicht. Du hast so ganz anders gelebt wie ich. Du hast dich doch in nichts mehr eingelassen, seit deine arme Frau gestorben ist vor zehn Jahren. In nichts Ernstes, mein' ich. Und hast nebstbei noch einen Beruf, gewissermaßen.
Wer weiß. Vielleicht erwischt's dich einmal wirklich. Und ich bin jetzt ganz fertig. Hab' mich vor drei Jahren sogar pensionieren lassen, ich Esel.
[1034]Aber zu nix Lust, alter Freund. Das ist die G'schicht'. Nicht einmal ins Kasino bin ich hineingefahren seitdem. Weißt du, was ich g'macht hab' die letzten Abende? Da unterm Baum bin ich g'sessen mit der Mizzi, und Domino haben wir g'spielt.
Na, siehst du, das ist doch keine Einsamkeit. Wenn man eine Tochter hat, noch dazu ein so kluges Wesen, mit dem man sich immer so gut verstanden hat ... Was sagt sie denn übrigens dazu, daß du deine Abende jetzt zu Hause verbringst?
Nix. Es ist ja auch früher manchmal vorgekommen. Gar nix sagt sie. Was soll sie denn sagen? Mir scheint, sie merkt's gar nicht. Glaubst, sie hat was gewußt von der Lolo?
Na natürlich. Ich weiß ja. Natürlich hat sie's g'wußt. Aber schließlich war ich ja beinah noch ein junger Mann, wie ihre arme Mutter gestorben ist. Sie hat mir's doch nicht übelnehmen können.
Das nicht. Leicht. Aber sie wird es schon manchmal gespürt haben, daß sie so viel allein ist, denk' ich mir.
Ja, ich bin doch nicht der Vertraute von der Mizzi. Mir gegenüber hat sie sich natürlich nie beklagt. Gott, vielleicht hat sie's auch gar nicht so gespürt. Sie ist ja dieses zurückgezogene, stille Leben so lange Zeit gewohnt.
Ja. Und es ist doch auch ihr Geschmack. Und dann, bis vor ein paar Jahren ist sie doch ziemlich viel in die Welt gegangen. Unter uns, Egon, noch vor drei Jahren, noch vor zwei, hab' ich fest geglaubt, sie wird sich doch entschließen.
Wenn du eine Ahnung hättest, was für Leut' sich noch in der allerletzten Zeit sehr lebhaft für sie interessiert haben ...
Aber sie will nicht. Sie will absolut nicht. Also ich mein' damit nur, gar so allein kann sie sich doch nicht gefühlt haben ... sonst hätt' sie doch, wo es ihr an Gelegenheit nicht gefehlt hat ...
[1035]Selbstverständlich. Es ist ja ihre freie Wahl. Und dann hat ja die Mizzi noch diese andere Ressource, daß sie malt. Das ist grad so wie bei meiner gottseligen Tant', der Fanny Hohenstein, die Bücher geschrieben hat bis in ihr höheres Alter und auch vom Heiraten hat absolut nichts wissen wollen.
Ist schon möglich, daß das so mit den künstlerischen Bestrebungen zusammenhängt. Ich denk' überhaupt manchmal, ob nicht alle diese Überspanntheiten gewissermaßen psychologisch zusammenhängen.
Ich hab' die Mizzi immer sehr klug und sehr ruhig gefunden. Wenn jemand Rosen und Veigerln malt, so muß er doch darum noch lange nicht überspannt sein.
Na, du wirst mich doch nicht für so dumm halten, daß ich mein', wegen der Veigerln und Rosen. Aber als ganz junges Mädel, wenns du dich erinnern kannst ...
Gott, daran denkst du noch? Das ist doch überhaupt nimmer wahr. Das ist ja schon achtzehn oder zwanzig Jahr her, beinah.
Wie sie damals zu den Ursulinerinnen gewollt hat, lieber als daß sie den netten Burschen zum Mann nimmt, mit dem sie schon so gut wie verlobt war. Und auf und davon ist von zu Haus. Das kann man doch überspannt nennen?
Uralt? Mir ist, wie wenn's im vorigen Jahr g'wesen wär'. Es war grad um die Zeit, wo meine Geschieht' mit der Lolo ang'fangen hat. Wenn man so zurückdenkt! Wer mir damals vorausg'sagt hätt'! Weißt du, ang'fangen hat's doch eigentlich wie irgend ein Abenteuer. Ganz leichtsinnig und verrückt. Ja, verrückt. Na, ich will mich nicht versündigen, aber daß meine arme Frau damals schon ein paar Jahre tot war, das war ein Glück für uns alle. Die Lolo, die war mein Schicksal. Geliebte und Hausfrau zugleich. Weil s' nämlich auch so großartig hat kochen können. Und diese Behaglichkeit bei ihr. Und immer gut aufg'legt und nie ein böses Wort ... [1036] Na, aus is. Red'n wir nicht mehr davon.Pause. Aber sag', bleibst du nicht zum Essen bei uns? Ich werd' übrigens die Mizzi rufen.
Na, da hört sich doch ... Einen jungen Herrn hast du, der dein Sohn ist? Oder vielmehr, einen Sohn, der ein junger Herr ist? Wie alt ist er denn?
Siebzehn! Und das sagt er mir erst jetzt! Nein, Egon ... Egon! Ja, sag' mir ... Siebzehn Jahr ... Du! da hat ja deine Frau noch gelebt ...
Ja. Meine Frau hat damals noch gelebt. Man wird manchmal in merkwürdige Affären hineingerissen, lieber Arpad.
Nein, ich kann dir gar nicht sagen ... also einen siebzehnjährigen Sohn hat er! ... Plötzlich reicht er ihm die Hand und umarmt ihn. Und wenn ich schon fragen darf ... die Mutter von deinem Herrn Sohn ... wieso ... weil du schon einmal ang'fangen hast zu erzählen –
Ja, natürlich. Aber ein scharmantes Wesen. Na, ich erzähl' dir schon noch einmal ausführlich. So gut ich mich eben selbst noch daran erinnern kann. Es war wie ein Traum, die ganze Geschichte. Wenn der Bub' nicht da wäre ...
[1037]Aber geh. Aufgenommen! Hast vielleicht geglaubt ... Ich bin doch auch ein bißl ein Psycholog. Und das ist nun ein Freund!
Aber mir hättest du's doch sagen können. Ich versteh's wirklich nicht, daß du ... Na geh, es ist wirklich nicht schön.
Bei einem kleinen Gutsbesitzer. Die ersten Schulen hat er dann in Innsbruck besucht. Und in den letzten Jahren hab' ich ihn in Krems im Gymnasium gehabt.
Bis vor wenigen Tagen hat er eben geglaubt, daß er keine Eltern mehr hat; auch keinen Vater. Und daß ich ein Freund seines verstorbenen Vaters gewesen bin.
Ich möcht' das natürlich gern dir überlassen. Aber da ich den Buben doch adoptiere und er wahrscheinlich schon in wenigen Tagen durch einen Gnadenakt Seiner Majestät meinen Namen tragen wird ...
Natürlich, natürlich, warum denn auch nicht? Und wo du ihn sogar adoptierst ... Es ist doch komisch. Eine Tochter, [1038] und wenn sie auch eine alte Schachtel wird, für'n Vater bleibt sie halt doch immer das kleine Mäderl.
37 Jahre, noch sehr gut aussehend. Florentiner Strohhut, weißes Kleid. Sie küßt den Grafen. Dann reicht sie dem Fürsten die Hand. Nun, wie geht's, Fürst Egon? Man sieht Sie so selten.
Sei nicht so bescheiden, Mizzi. Neulich, der Professor Windhofer hat g'sagt, sie soll ruhig einmal ausstellen. Braucht sich neben der Wiesinger- Florian nicht zu verstecken.
Nun, wie heut die Strömung ist, gibt's Leute, die schon deswegen auf Ihre Bilder schimpfen möchten, Mizzi, weil Sie eine Gräfin sind.
Du entschuldigst mich einen Moment. Leise zu ihm. Sag's ihr jetzt, während ich nicht dabei bin. Ist mir lieber.
Und was sagen Sie dazu, Fürst Egon? Mir tut's ja recht leid. Wenn er jetzt wieder was anfängt, fällt er sicher hinein. Und ich fürchte, er fängt wieder was an. Er ist noch zu jung für seine Jahre.
[1039]Sie werden mich nicht sehr vermißt haben ... fürchte ich ... Die Kunst ... und weiß Gott was noch ...
Oder wenigstens Neuigkeiten, die mich persönlich mehr angehen als der Lebenslauf eines mir unbekannten jungen Herrn.
Über wichtigere Etappen in der Laufbahn dieses jungen Herrn glaub' ich mich doch verpflichtet Sie zu unterrichten. Als er gefirmt wurde, hab' ich mir ja auch erlaubt, Ihnen Mitteilung davon zu machen. Aber wir brauchen jetzt nicht weiter davon zu sprechen.
Erinnern Sie sich denn nicht mehr? Nach der Matura wollten Sie ihm ja eröffnen, daß Sie sein Vater sind.
Nichts, nichts, mein Kind. Ich müßt' rasch wohin fahren, und der verflixte Josef ... Sei nicht bös', Mizzi, aber ich möcht' nur ein paar Worte mit dem Egon ... Zu ihm. Also denk' dir, sie hat mich schon früher angerufen. Die Lolo nämlich. Sie hat keinen Anschluß gekriegt und jetzt telephoniert mir die Laura, na, ihr Kammermädel halt, daß sie grad zu mir herausgefahren ist.
Warum, kann ich mir schon denken. Du weißt, sie war noch nie in der Villa, selbstverständlich, und ich hab' ihr immer versprochen, bevor sie heirat', darf sie einmal herauskommen, die Villa und den Park anschauen. Das war ja immer ihre Kränkung, daß ich sie nicht da heraußen empfangen kann. Na ja, wegen der Mizzi. Was sie auch eingesehen hat. Und sie so im geheimen herausbringen einmal, während die Mizzi nicht zu Haus ist, also auf solche Sachen hab' ich mich nie eingelassen. Na und da laßt sie mir telephonieren, übermorgen ist schon die Hochzeit, und sie ist grad herausgefahren.
Aber mir, mir paßt's nicht. Ich geh' dem Wagen entgegen und halt' sie auf. Es macht mich halt nervös. Entschuldig' mich so lang bei deinem Herrn Sohn. Adieu Mizzi, bin gleich wieder da.
Ihr Papa, Mizzi, hat ihr versprochen, daß sie sich vor ihrer Hochzeit einmal die Villa anschauen darf. Und jetzt geht er dem Wagen entgegen, um sie abzufangen.
[1041]Wie kindisch. Wie rührend eigentlich. Ich hätte sie gern kennen gelernt. Ist es nicht zu dumm? Da hat man einen Vater, der fast die Hälfte seines Lebens mit einem gewiß sehr sympathischen Geschöpf zubringt ... und man kommt nicht dazu – hat nicht das Recht – ihr einmal die Hand zu drücken. Warum paßt's ihm denn nicht? Daß ich alles weiß, kann er sich wohl denken.
Gott, er ist eben so. Vielleicht hätte es ihn auch weniger geniert, wenn er nicht gerade in dieser Stunde einen anderen Besuch erwartete ...
Sie halten es also offenbar noch immer für eine Laune von mir, daß ich von dem Buben nichts wissen will?
Laune ...? Nein. Um es so bezeichnen zu dürfen, fuhren Sie die Sache allerdings zu konsequent durch. Wenn man bedenkt, daß Sie es all die Jahre hindurch über sich gebracht haben, nicht ein mal nach ihm zu fragen ...
Das ist weiter nicht bewundernswert. Ich habe Schweres über mich gebracht. Damals, wie ich ihn hab' hergeben müssen, acht Tage nachdem er zur Welt gekommen ist.
Ja, damals blieb Ihnen, blieb uns doch nichts andres übrig. Was ich damals verfugt habe, und womit Sie sich doch auch am Ende einverstanden erklärt haben, das war entschieden das Klügste, was wir in unserer Situation tun konnten.
Und nicht nur klug, Mizzi. Sie wissen, es handelte sich nicht um unser Schicksal allein. Andre wären vielleicht zugrunde gegangen, wenn damals die Wahrheit ans Licht gekommen wäre. Meine Frau mit ihrem leidenden Herzen hätte es kaum überlebt.
[1042]Er hätte sich drein gefunden, da können Sie sich drauf verlassen. Damals hat ja gerade die Geschichte mit Lolo angefangen. Sonst war' die Sache auch nicht so glatt gegangen. Sonst hätt' er sich ein bißchen mehr um mich gekümmert. Ich hätt' nicht monatelang fortbleiben können, wenn's ihm nicht grad sehr bequem gewesen wäre. Gefährlich an der ganzen Sache war nur eins: daß der Fedor Wangenheim Sie möglicherweise totgeschossen hätte, lieber Fürst.
Er mich? Es hätte sich auch anders fügen können. Oder glauben Sie an Gottesurteile? Dann wäre übrigens der Ausgang auch noch fraglich gewesen. Denn wir armen Sterblichen können ja nie wissen, wie der da droben über so eine Sache denkt.
Möglich. Aber das Wesentliche ist doch, daß uns alle Ehrlichkeit und Kühnheit damals nicht das geringste geholfen hätte. Es wäre eine nutzlose Grausamkeit gewesen gegen Menschen, die uns nahestanden. Ein Dispens wär' kaum zu erlangen gewesen – und nebstbei hätte die Fürstin nie in die Scheidung gewilligt, das wissen Sie so gut wie ich.
Nichts. Das ist Ihnen doch nichts Neues? Ich hab's Ihnen doch damals auch gesagt. Sie ahnen ja nicht, wie ich damals ... Blick. was ... was damals aus mir zu machen gewesen wäre. Überallhin wär' ich Ihnen gefolgt, überallhin, auch als Ihre Geliebte. Ich mit unserm Kind. Nach der Schweiz, nach Amerika. Wir hätten ja schließlich leben können, wo es uns gepaßt hätte. Und im Herrenhaus hätte man vielleicht nicht einmal gemerkt, daß Sie verreist sind.
Ja, natürlich hätten wir fliehen und uns irgendwo im Ausland ansiedeln können ... Aber daß Ihnen ein solcher Zustand auf die Dauer angenehm oder nur erträglich gewesen wäre, das glauben Sie wohl heute selbst nicht mehr.
Heute, nein. Heute kenn' ich Sie nämlich. Aber damals hab' ich Sie geliebt. Und ich hätte Sie vielleicht – sehr lang lieben können, wenn Sie damals nicht zu feig gewesen wären, die Verantwortung zu übernehmen, für das, was [1043] geschehen ist .... Zu feig, Fürst Egon ...
Ja. Ich habe kein anderes. An mir lag es nicht. Ich war bereit, alles auf mich zu nehmen, mit Freuden, mit Stolz. Ich war bereit, Mutter zu sein und mich als Mutter unseres Kindes zu bekennen. Sie haben es gewußt, Egon! Vor siebzehn Jahren in dem kleinen Haus im Wald, wo Sie mich versteckt gehalten haben, hab' ich Ihnen gesagt, daß ich dazu bereit bin. Aber für Halbheiten war ich nie zu haben. Ganz hab' ich Mutter sein wollen oder gar nicht. An dem Tag, an dem ich den Buben hab' hergeben müssen, war ich auch entschlossen, mich überhaupt nicht um ihn zu kümmern. Darum find' ich es lächerlich, daß Sie ihn plötzlich hierher bringen wollen. Wenn Sie mir einen guten Rat erlauben, gehen Sie ihm auch entgegen, wie der Papa der Lolo, und fahren mit ihm wieder nach Haus.
Ich denke nicht daran. Nach allem, was ich eben von Ihnen wieder habe hören müssen, muß es wohl dabei bleiben, daß seine Mutter tot ist. Aber um so mehr muß ich mich seiner annehmen. Er ist mein Sohn, auch vor der Welt. Ich hab' ihn adoptiert.
Er trägt vielleicht morgen schon meinen Namen. Ich werde ihn vorstellen, wo es mir beliebt. Natürlich vor allem meinem alten Freund, dem Grafen, Ihrem Herrn Papa. Wenn es Ihnen unangenehm ist, den jungen Menschen zu sehen, so wird Ihnen nichts andres übrig bleiben, als sich für die Dauer seines Besuches auf Ihr Zimmer zurückzuziehen.
Verstimmung? Seh' ich verstimmt aus? Hören Sie ... Ich erlaube mir nur, Ihren Einfall geschmacklos zu finden. Im übrigen bin ich so gut gelaunt wie gewöhnlich.
An Ihrer sonstigen guten Laune zweifl' ich nicht. Nur jetzt ... Im übrigen ist es mir durchaus nicht unbekannt, daß Sie es längst verstanden haben, sich mit Ihrem Schicksal zu versöhnen. Ich habe es ja auch verstanden, mich in das meine zu fugen, das vielleicht in seiner Art gerade so schmerzlich war als das Ihre.
Wie? In was für ein Schicksal mußten Sie ... Es kann [1044] doch nicht jeder Minister werden. Ach so ... die Bemerkung bezieht sich am Ende darauf, daß Durchlaucht mir die Ehre erwiesen haben, mich vor zehn Jahren, nach dem Tode von dero hochseliger Gemahlin, um meine Hand zu bitten?
Und ich hoffe, Mizzi, Sie haben mir nie zugemutet, daß ich die Absicht hatte, mit meiner Werbung so irgend etwas zu tun, wie eine Schuld zu sühnen. Ich habe Sie gebeten, meine Frau zu werden, weil ich eben die Überzeugung hatte, daß mir das wahre Glück nur an Ihrer Seite beschieden sein könnte.
Das glaub' ich ja selbst, daß ich mich damals geirrt hätte. Vor zehn Jahren war es wohl noch zu früh. Vor sieben Jahren vielleicht auch noch. Heute nicht mehr.
Auch heute, lieber Fürst. Es ist Ihr Verhängnis, daß Sie mich niemals gekannt, nie etwas von mir gewußt haben. Nicht als ich Sie geliebt, nicht als ich Sie gehaßt habe und nicht einmal die lange Zeit hindurch, in der Sie mir gleichgültig sind.
Ich habe Sie immer gekannt, Mizzi. Ich weiß mehr von Ihnen, als Sie wahrscheinlich vermuten. Es ist mir zum Beispiel durchaus nicht unbekannt, daß Sie diese siebzehn Jahre auch auf Besseres verwandt haben, als einem Manne nachzuweinen, der damals vielleicht Ihrer nicht ganz würdig war. Ja, ich weiß sogar, daß Sie sich darauf kapriziert haben, nach der Enttäuschung, die Ihnen mit mir begegnet ist, noch einige andere zu erleben.
Enttäuschungen? Nun, zu Ihrem Trost kann ich Sie versichern, lieber Fürst, daß auch recht angenehme darunter waren.
Auch das weiß ich. Würd' ich sonst zu behaupten wagen, daß ich die Geschichte Ihres Lebens wirklich kenne?
Und bilden Sie sich vielleicht ein, ich kenne das ihre nicht? Wünschen Sie, daß ich Ihnen die Liste Ihrer Geliebten herzähle? Von der Frau des bulgarischen Attachés 1887 bis zu Fräulein Therese Grédun, wenn sie wirklich so heißt ... die zum mindesten dieses Frühjahr noch in Amt und Würden [1045] bei Ihnen stand? Wahrscheinlich weiß ich sogar mehr als Sie, denn ich weiß beinahe von jeder, mit wem sie Sie betrogen hat.
Davon erzählen Sie mir aber lieber nichts. Wenn man solche Dinge nicht selbst entdeckt, hat man keinen rechten Spaß davon.
Er ist es. Vielleicht wünschen Sie zu verschwinden, ehe er in den Park tritt. Ich will ihn solange aufhalten.
Bemühen Sie sich nicht. Es beliebt mir zu bleiben. Aber wenn Sie vielleicht glauben, es regt sich nur das Geringste in mir ... Es ist ein junger Herr, der meinen Vater besucht. Da ist er ja schon ... Stimme des Bluts? Es muß eine Fabel sein. Ich merke gar nichts, lieber Fürst.
Er ist siebzehn Jahre alt, schlank, hübsch, elegant, aber nicht gigerlhaft, von liebenswürdiger, etwas knabenhafter Unverschämtheit; doch nicht ohne Verlegenheit. Guten Tag. Verbeugt sich vor der Komtesse.
Guten Morgen, Philipp. Erlauben Sie, Komtesse, daß ich Ihnen meinen Sohn vorstelle. Das ist Gräfin Mizzi. Die Tochter meines alten Freundes, in dessen Haus du dich befindest.
Willst du nicht lieber mit mir zurückfahren, Papa? Ich find' nämlich, der Wasner fährt besser als dein Franz mit den alten Herrschaftsgäulen.
Mit dem Herrn selbst? Wissen Sie auch, daß das eine große Ehre ist? Der Wasner, der fährt nicht mit jedem. Vor zwei Jahren hat er noch den Papa geführt.
Ja, ich bitt' sehr um Entschuldigung. Ich hab' mich nämlich verschlafen. Zur Komtesse. Wir waren gestern abends ein paar Kollegen zusammen. Gräfin wissen vielleicht, daß ich vor vierzehn Tagen maturiert hab, und da haben wir [1046] gestern abend ein bissel gedraht.
Also, wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf, den Park find' ich prachtvoll. Er ist bedeutend schöner als unserer.
In der Stadt können sich Gärten eben nicht so entwickeln, wie da heraußen. Vor hundert Jahren war unsrer gewiß auch noch viel schöner als heute. Da ist ja auch unser Schloß noch außerhalb der Stadt gelegen.
Wir sind besser dran. Daß sich die Stadt bis zu uns heraus zieht, das werden wir wohl nicht mehr erleben.
Vor hundert Jahren war das alles noch Jagdgrund. Es grenzt direkt an den Tiergarten. Sehen Sie da drüben die Mauer, Philipp? Und unsere Villa war früher einmal ein Jagdschlössel von der Kaiserin Maria Theresia. Die Sandsteinfigur dort am Teich ist auch noch aus der Zeit.
Unser Schloß, mein Sohn, steht seit dem siebzehnten Jahrhundert. Ich hab' dir ja das Zimmer gezeigt, in dem der Kaiser Leopold eine Nacht geschlafen hat.
Das ist noch von der Matura her. Wenn ich einmal so alt sein ... Unterbricht sich. Pardon! ... ich mein' nur – im nächsten Jahr ist das alles verschwitzt. Daß er ein so guter Bekannter von uns war, der Kaiser Leopold, das hab' ich natürlich noch nicht gewußt, wie ich die Jahreszahl gelernt hab'.
Entdeckung ... Ja, aufrichtig gestanden, eine Entdeckung war das eigentlich nicht. Sieht den Fürsten an.
Also wissen Sie, Gräfin, ich hab' nämlich immer das Gefühl gehabt, daß ich kein gebürtiger Philipp Radeiner bin.
Es war mir natürlich sehr angenehm, wie meine Ahnung bestätigt worden ist; – aber gewußt hab ich's immer. Man ist doch nicht auf den Kopf gefallen. Auch in der Schule haben's einige geahnt ... daß ich ... Nicht wahr, diese Fabel, Gräfin, daß der Fürst Ravenstein immer nach Krems fährt, sich nach den Fortschritten des Sohnes von einem verstorbenen Freund zu erkundigen, das ist doch ein bissel romanhaft gewesen, Fünfkreuzerbibliothek ... Und für die Schlauern war es ziemlich klar, daß fürstliches Blut in meinen Adern braust. Und da ich einer von den Schlauesten war ...
Im Oktober mach' ich mein Freiwilligenjahr bei den Sechserdragonern, wo wir Ravensteins immer dienen. Was dann mit mir g'schieht, ob ich beim Militär bleib', ob ich Erzbischof werde, mit der Zeit natürlich ...
Ja, das steht schon in der Weltgeschichte. Zuerst waren sie katholisch, im Dreißigjährigen Krieg sind sie protestantisch geworden, dann sind sie wieder zum Katholizismus übergetreten, aber stark im Glauben waren sie jederzeit. Es war nur immer ein anderer.
Das war keine Kunst, Gräfin. Ich hab' halt ziemlich rasch aufgefaßt. Das ist wahrscheinlich auch das bürgerliche Blut in mir. Es ist mir noch zu allerlei Zeit geblieben, was nicht in der Schule vorgeschrieben war. Ich hab' reiten gelernt und ...
Warum ... na, weil alle Leut' lachen, wenn ich sag', daß ich Klarinett' blasen lern'. Gräfin haben doch auch gelacht. Ist das nicht komisch? Hat schon je einer gelacht, wenn Gräfin ihm erzählt haben, daß Sie zum Zeitvertreib malen?
O ja, Durchlaucht ... der Papa hat mir's erzählt. Und dann hängt doch sogar ein Blumenstück, so eine chinesische Vase mit Goldregen und noch was Violettem im Schloß in meinem Schlafzimmer.
Schau', Papa, wie du mir erzählt hast, du möchtest mich vor allem deinem alten Freund vorstellen, dem Grafen; und der Graf hat eine Tochter – was ich übrigens schon längst gewußt hab' – da hab' ich nur ein bissel Angst gehabt, daß sie vielleicht zu jung sein wird.
Na, ja, daß du für diese Tochter eine gewisse Vorliebe hegst, das war doch zu merken. Du bist ja förmlich verlegen worden, wenn du von ihr gesprochen hast. Und dann hast du allerlei von ihr erzählt, was du mir von einer andern gewiß nicht erzählt hättest. Was sollen mich denn zum Beispiel die Bilder von einer x-beliebigen Komtesse interessieren? Wenn man auch den Flieder durch die Farbe vom Goldregen unterscheiden kann. Also ich hab' mir gleich gedacht, du bringst [1049] mich nur hierher, um zu sehen, was sie auf mich für einen Eindruck macht. Und wie gesagt, meine Angst war nur, daß sie zu jung sein konnte – für meine Mutter, nicht für deine Frau. Du dürftest ja noch auf die Jüngste und Schönste Anspruch machen. Aber jetzt kann ich dir sagen, Papa, so wie sie ist, ist sie mir ganz recht.
Du bist wirklich der unverschämteste Bengel, der mir je vorgekommen ist. Denkst du wirklich, ich werde dich je fragen, wenn es mir einmal einfiele ...
Nicht grad fragen, Papa ..., aber zu einem guten Familienleben gehört doch, daß sich alle Mitglieder gegenseitig symphatisch sind ... nicht wahr?
Bitte, Fräulein, spazieren Sie nur weiter. Meinem Papa täte es gewiß sehr leid, wenn er Ihren Besuch versäumte. Will vorstellen. Erlauben Sie ...
Langhuber, wenn ich bitten darf. Ich komme nämlich nur dem Herrn Grafen danken, er hat mir so ein prachtvolles Bukett zu meiner Abschiedsvorstellung geschickt.
Selbstverständlich können Sie sich nicht erinnern, Fräulein, denn wie ich Ihr Bild aus der Zeitung herausgeschnitten hab', in Krems, das können Sie hier natürlich nicht gespürt haben.
Das ist nämlich ein Sport von uns gewesen im Gymnasium. Wir haben einen gehabt, der hat sich die Mord- und Unglücksfälle herausgeschnitten.
Und einer, der hat sich die historischen Persönlichkeiten [1050] herausgeschnitten, Nordpolfahrer und Komponisten und solche Leut', und ich hab' mir die Damen vom Theater gesammelt. Schaun viel besser aus. Zweihundertdreizehn. Ich zeig' sie dir einmal, Papa. Sehr interessant. Eine australische Operettensängerin ist auch drunter.
Also Fräulein ziehen sich jetzt ins Privatleben zurück? Sehr schad'. Grad, wo ich endlich das Vergnügen haben könnte, Sie auf den Brettern zu bewundern, welche die Welt bedeuten ...
Sehr scharmant, Durchlaucht, aber leider hat man keine Zeit, auf die heranwachsende Jugend zu warten. Und für die gereifteren bin ich halt jetzt ein etwas zu hoher Jahrgang.
Aber Gräfin – Kutscher! – Höchstens wie der Herr Papa – verzeihn schon – wenn er zufällig einmal seine Braunen selber fahrt. Fiakereigentümer ist mein Verlobter, Hausbesitzer und Bürger von Wien, der selber nur auf den Bock steigt, wenn's ihn halt freut und wenn er für jemanden eine besondere Wertschätzung hat. Jetzt führt er einen gewissen Baron Radeiner. Jetzt grad, Gräfin, hat er ihn zu Ihrem Herrn Papa herausgeführt. Der geht mir übrigens ab, der Herr Radeiner.
Habe die Ehre, Herr Graf. Ich habe nämlich so frei sein [1051] wollen ... ich wollte mich bedanken für das prachtvolle Bukett.
Seien Sie willkommen in meinem Haus. Betrachten Sie es jederzeit als das Ihrige. Es scheint, ich brauche nicht mehr bekannt zu machen.
Es ist sehr charmant von Ihnen, Fräulein. Sie wissen ja selbst am besten, wie sehr ich Sie immer bewundert hab' ... Aber sagen Sie mir nur, wie sind Sie denn eigentlich herausgekommen? Ich hab' da nämlich gerade meine Promenade auf der Hauptstraße gemacht, wo alle Wagen vorbei müssen, und ich hab' Sie gar nicht gesehen.
Ja, Herr Graf, was glauben Sie denn! Die Fiakerzeit ist jetzt vorbei für mich. Ich bin natürlich mit der Stadtbahn herausgefahren, wie sich's für mich schickt.
Sie fahren mit dem Wasner? Da hört sich doch alles ... jaja ... psychologische Zusammenhänge. – Ihm offerierend. Zigarre gefällig?
Natürlich. Wir haben ja auch ein Ahnenschloß ... in Ottakring. Schon der Urgroßvater vom Wasner ist Fiaker gewesen. Nein, ist das schön! Wie da die Blumen herunterhängen. So was werd' ich mir auch einrichten.
Wie sonderbar, daß ich heute zum allererstenmal Gelegenheit habe, Sie zu sprechen, Fräulein. Ich freue mich sehr.
Und ich erst, Gräfin. Ich kenn' Sie natürlich schon lang vom Sehen. Ich hab' oft in die Loge hinaufgeschaut.
Es wird ein harter Schlag für ihn sein. Ich weiß am besten, wie sehr er an Ihnen gehangen ist. Wenn er mir auch nie was erzählt hat.
Ja, glauben Sie nicht, Gräfin, daß es mir auch schwer ankommt? Aber ich bitt' Sie, Gräfin, was bleibt einem schließlich übrig? Ich bin auch nicht mehr die Jüngste, nicht wahr? Und man will doch endlich in geordnete Verhältnisse kommen. So lang ich einen Beruf gehabt hab', da hab' ich mir erlauben können – wie sagt man das nur – freieren Anschauungen zu huldigen. Es hat gewissermaßen mit zu meiner Stellung gehört. Aber jetzt, wo ich mich ins Privatleben zurückzieh', wie schauet denn das aus?
Vielleicht, daß er doch auch heiratet. Ich sag' Ihnen, Gräfin, da gibt's noch viele, die sich alle fünf Finger ... glauben Sie nicht, Gräfin, daß es für mich auch ein schwerer Entschluß war?
Wissen Sie, was ich manchmal gedacht habe? Ob er nicht vielleicht die Idee hat, Sie zu seiner Gattin zu machen?
Ich hab' Nein gesagt. Es hätt' kein' gut getan. Ich als Frau Gräfin! Können Sie sich das vorstellen? Ich als Ihre Stiefmama, Komtesse ... Da hätten wir nicht so gemütlich miteinander plaudern können wie jetzt.
Die G'schicht' ist halt die: Ich hab' mich so wahnsinnig in den Wasner verliebt. Sie werden doch deswegen nicht schlecht von mir denken? In den ganzen achtzehn Jahren hab' ich mir gar nichts gegen Ihren Herrn Papa vorzuwerfen gehabt. Aber daß sich mit der Zeit die Leidenschaft ein bissel abkühlt, das ist doch kein Wunder. Und eh' ich gegen Ihren Herrn Papa ... nein, nein Gräfin ... dazu bin ich Ihrem Herrn Papa doch zu viel Dankbarkeit schuldig. Jessas ...
Is nicht zu dumm, Gräfin, wenn ich ihn so plötzlich seh', krieg' ich immer Herzklopfen. Ja, wenn's eine Alte erwischt, da ist es am ärgsten.
Ich bin siebenunddreißig. Aber schauen Sie mich nicht so mitleidig an. Es ist keine Ursache. Absolut keine.
Man hat ja so allerlei gehört, Komtesse ... ich hab' es natürlich nicht geglaubt. Na, Gott sei Dank, daß es wahr is. Händedruck.
[1054]Hören Sie, lieber Wasner, Sie können Ihre Braut gleich in Ihrem Zeugel mit nach Haus fuhren, ich nehm' meinen Sohn in meinem Wagen mit.
Dieses Fräulein Lolo ist die natürliche Tochter des Grafen, also eine Schwester der Komtesse, ihre Milchschwester.
Und sie lieben dich beide, selbstverständlich. Die Komtesse und die Ballettänzerin. Und diese Heirat zwischen der Balletteuse und dem Wasner ist dein Werk.
Wenn es meine Mutter wäre, die soeben durch diese merkwürdige Verkettung der Umstände, in demselben Wagen, in dem ich herausgekommen bin, in die Stadt hineinfährt? Wenn es meine eigene Mutter wäre, die ich aus der Zeitung herausgeschnitten habe –?
Bub', du wirst entschieden Minister, wenigstens für Ackerbau. – Aber komm, wir müssen uns jetzt auch empfehlen.
Kommt mir auch so vor. Also adieu. Adieu, liebe Mizzi, adieu, lieber, alter Freund. Dich hoff' ich ja jedenfalls in Ostende wiederzusehen.
Sie wird schon mitkommen. Was Mizzi? Schließlich kann man sich auch an der See ein Atelier mieten. Nicht wahr, Mizzi?
Hat s' dir gefallen? Na ja, wenn man immer gleich wüßt' ... Was soll man machen? Jetzt ist's halt aus.
Macht ein paar Schritte hin und her. Was sagst du übrigens, Mizzi, zu ... wie g'fallt dir der Bursch?
Ja, frech, aber fesch. Hoffentlich bleibt er beim Militär. Das ist doch eine vernünftigere Karriere als Diplomatie. Langsam, aber sicher. Wenn man's erlebt, so wird man General. Aber mit der politischen Karriere ... Schau' dir den Egon an ...[1057] dreimal wär' er beinah Minister geworden ... Und wenn er's schon geworden wär'? Auf und ab. Ja, ja ... ein bissel einsam wird's in dem Sommer werden bei uns.
Ja, sag' ... möchtest du wirklich nicht mitfahren? Es wär' doch wirklich ... weißt du, ohne dich ... Du brauchst mich nicht so anzuschaun, ich weiß schon, ich hab' mich nicht so viel um dich gekümmert in den Jahren, als ich eigentlich ...
Na ja! Aber siehst du, ohne dich wird mir die ganze Reise keine Freud' machen. Und was willst du denn so allein da heraußen tun? Den ganzen Tag malen?
So ... Na ja ... Schließlich, ich hab' dir nie in was dreingeredet. Wie du meinst ... Aber eigentlich weiß ich nicht recht, warum. Ich hab' schon lang bemerkt, daß er ... Im Alter würdet ihr nicht schlecht zusammenpassen. Und was die sonstigen Verhältnisse anbelangt ... Sechzig Millionen sind auch nicht grad zu verachten. Aber wie du meinst.
Oder ist es am Ende wegen des Buben? Ich bitt' dich, das wär' übertrieben. So was kommt in den besten Familien vor. Und besonders wo seine Frau doch immer mit dem Herzen zu tun gehabt hat .... Plötzlich wird man in so eine Affäre hineingerissen, weiß selbst nicht, wie.
Also bitt' dich, das steht doch nur so in den Büchern. Was kann denn er dafür? Diese Frauenzimmer sterben ja leider meistens früh. Und wer weiß, wenn sie nicht gestorben wär', ob er nicht ... Das find' ich doch eigentlich sehr hübsch von ihm, das mit dem Buben. Es gehört doch Courage dazu. Ich könnt' dir manchen nennen ... Na, reden wir nicht davon. Also, wenn das das Einzige ist, was gegen ihn spricht ... Und übrigens so ein Zusammensein in Ostende verpflichtet doch zu gar nichts.
[1058]Na also. Ich werd' dir was sagen. Du begleitest mich einfach hin. G'fallt's dir, so bleibst du. Wenn nicht, so fahrst du vielleicht hinüber nach London zur Tant' Lori. Ich mein' nur, es hat so gar keinen Sinn, daß du mich allein fortfahren läßt.
Du kannst dir gar nicht vorstellen ... ohne dich, Mizzi ... Die Erinnerungen, grad heuer ... Du weißt doch, daß ich im vorigen Jahr mit der Lolo in der Normandie gewesen bin?
Und im übrigen, was den Egon anbelangt ... ohne daß ich dir weiter zureden will ... an so einem fremden Ort lernt man sich manchmal in ein paar Tagen besser kennen als zu Haus in Jahren.
Es ist ja abgemacht, Papa, ich reis' mit dir. Was das übrige anbelangt, reden wir nicht davon ... vorläufig.
Also, weißt du was, ich telephonier' gleich zum Schenker wegen Schlafwagen für übermorgen oder für morgen.
Na, was hat das für einen Sinn, noch da herumsitzen, wenn wir einmal entschlossen sind. Also ich telephonier' ... Ist's dir recht?
Er nimmt beim Eintritt in den Park den Hut ab, kommt nach vorn. Guten Tag, Gräfin. Guten Tag, Herr Graf.
[1059]Guten Tag, lieber Professor, wie geht's? Sie entschuldigen, ich muß grad telephonieren, weil wir nämlich abreisen.
So? – Und was glaubst du, wer das Coupé zwischen meinem und deinem hat ... Der Egon und sein Herr Sohn. Das wird eine Überraschung sein.